Kathia Nocker/Michael Peer
www.wahlkabine.it:
ein Projekt der politischen Bildung
1. Zielsetzungen
Sechs Wochen war 2008 die erste Südtiroler Internetwahlkabine vor den Südtiroler Landtagswahlen online. Ein Projekt zur politischen Bildung, das für Gesprächsstoff sorgte. Über 50.000-mal wurde der Internetfragebogen komplett durchgeklickt – ein kaum für möglich gehaltener Erfolg für die Initiatorinnen und Initiatoren des Südtiroler Jugendrings (SJR).
Die Initiative des SJR, die im Mai 2008 im Rahmen einer Vollversammlung der Mitgliedsorganisationen beschlossen wurde, wurde sehr gut angenommen. Mit mehr als 1,5 Millionen beantworteten Einzelfragen übertreffen die Zahlen von www.wahlkabine.it sogar die bisherigen Nutzungszahlen bei österreichischen Landtagswahlen. Dies überraschte sogar die Initiatoren der Österreichischen Internetwahlkabine, die damit seit 2002 vor Nationalrats- und Landtagswahlen zur politischen Bildung beitragen.
Die Jugendverbände Südtirols hatten es sich vor den Wahlen zum Ziel gesetzt, Jugendlichen mit diesem Projekt die Möglichkeit zu geben, sich mit sachpolitischen Fragen auseinanderzusetzen, abseits von gezielter Wahlpropaganda und der üblichen Wahlveranstaltungen verschiedenster Parteien.
Dabei gingen die Mitgliedsorganisationen von ihrem wichtigen Grundsatz aus, wonach es Aufgabe einer demokratischen Gesellschaft ist, Jugendliche politisch zu involvieren. Dazu gehören die Förderung des politischen Interesses, die Bedeutung von Politik für das eigene Leben, die Häufigkeit politischer Gespräche sowie die Fähigkeit, politische Informationen zu verarbeiten. Nur dies garantiert nämlich, dass Jugendliche die Fähigkeit erwerben, auch durchaus komplexe politische Zusammenhänge und Vorgänge zu verstehen. Dies hat wiederum zur Folge, dass das politische Interesse innerhalb unserer Gesellschaft zunimmt, was in einem demokratischen Staat zweifelsohne unerlässlich ist. Ein weiterer Faktor für hohes politisches Interesse ist das Phänomen der Informationsmöglichkeiten durch moderne technologische Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten wie Fernsehen und Internet.
Nachdem das Internet für Jugendliche heute das meistgenutzte Informationsmedium ist, entschieden sich Südtirols Jugendverbände für eine Internetwahlkabine nach österreichischem Vorbild. Was jedoch nicht vorhersehbar war, ist die Tatsache, dass die Initiative am Ende ein Projekt zur politischen Bildung für alle Altersgruppen wurde.
2. Das Projekt
Wahlkabine.it war und ist ein Projekt der politischen Bildung des Südtiroler Jugendrings (SJR), welches in Kooperation mit dem Institut für Neue Kulturtechnologien und dem Institut für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck sowie im Rahmen von Medienpartnerschaften realisiert wurde.
Die interaktive Seite bot die Gelegenheit, durch die Beantwortung und Gewichtung von ausgewählten Fragen zu überprüfen, in welchem Ausmaß die individuellen Positionen mit jenen der wahlwerbenden Parteien übereinstimmen. Die Parteien hatten im Vorfeld die Möglichkeit, die Fragen selbst zu beantworten und Gewichtungen vorzunehmen Ein unabhängiges Redaktionsteam überprüfte deren Validität und gewährleistete eine ausgewogene Themenauswahl. Durch die Besetzung des Redaktionsteams mit Politikwissenschaftlern der Universität Innsbruck und Medienvertreterinnen und -vertretern war eine wissenschaftlich fundierte Umsetzung des Projektes gewährleistet.
Die professionelle Entwicklung der Seite wurde durch die Universität Innsbruck und das Institut für Neue Kulturtechnologien/t0 Wien übernommen. Diese haben bereits seit 2002 Erfahrungen in diesem Bereich. Auf der von ihnen verantworteten Seite www.wahlkabine.at wurden seitdem nicht nur mehr als 1,4 Millionen Gesamtdurchläufe verzeichnet. Das Projekt der Internetwahlkabine wurde im Juni dieses Jahres auch als europäisches Best-Practice-Modell des Europäischen Netzwerks der Politischen Bildung (NECE) im EU-Parlament in Straßburg vorgestellt.
3. www.wahlkabine.at
Das Projekt Wahlkabine.at versteht sich seit seinem erstmaligen Start zu den Nationalratswahlen 2002 als eine politische Orientierungshilfe, die einen konstruktiven Beitrag zur Diskussion von Wahlen als Instrument politischer Beteiligung in einer demokratischen Gesellschaft leisten möchte.
Eine Unterscheidung zwischen den inhaltlichen Ausrichtungen der Parteien ist heute für viele Menschen immer schwieriger. Bei Wahlentscheidungen und politischen Meinungen spielen unterschiedliche Motive mit, die nicht nur über die Orientierung an Sachthemen bestimmt werden.
Wahlkabine.at und Wahlkabine.it verfolgen daher die Absicht, vor allem politische Inhalte in den Vordergrund zu rücken, die aufgrund der starken Personalisierung von Politik nicht genug sichtbar sind.
4. www.wahlkabine.it – www.cabina-elettorale.it
Die Internetwahlkabine, die unter www.wahlkabine.it und www.cabina-elettorale.it erreicht werden kann und sowohl auf Deutsch als auch auf Italienisch verfügbar ist, bot die Chance, auf einfache Weise den Grad der Übereinstimmung mit verschiedenen Auffassungen der Parteien zu ermitteln, die bei den Landtagswahlen 2008 angetreten sind, und dabei unterschiedliche politische Positionen kennenzulernen.
Themen waren zum Beispiel die Einstellung der Parteien zu Familie und Lebenspartnerschaft, Steuern und Alterssicherung, Gleichberechtigung von Mann und Frau, Minderheitenpolitik und Autonomie, Sprache und Integration, Jugendpolitik, Kultur und Verkehr.
Insbesondere die Einbeziehung jugendrelevanter Themen und die diesbezügliche Positionierung der Parteien war ein Anliegen des Südtiroler Jugendrings. Damit sollte dem Umstand Rechnung getragen werden, dass viele junge Wählerinnen und Wähler spezielle Fragen an die Politikerinnen und Politiker haben, die in den alltäglichen Wahlkampfkundgebungen nicht auftauchen.
Durch das Anklicken der möglichen Antworten und der Zuweisung der persönlichen Priorität für die jeweilige Fragestellung konnte man die Antworten der Parteien gewichten. Die Auswertung zeigte den Grad der persönlichen Übereinstimmung mit den Positionen der einzelnen Parteien auf. Neben ausführlichen Vergleichsmöglichkeiten veröffentlichte www.wahlkabine.it auch Kommentare der Parteien zu den einzelnen Fragestellungen.
Bis zum Wahltag am 26. Oktober diente Wahlkabine.it also allen Wählerinnen und Wählern – egal ob jung oder alt – als wichtige Orientierungshilfe. Die Webseite ist und bleibt weiterhin zugänglich, sodass es möglich ist, die Aussagen der Parteien zu den Fragen vor der Wahl mit den Handlungen der Verantwortlichen nach der Wahl zu vergleichen.
5. www. wahlkabine.it – ein überwältigender Erfolg
Über 50.000-mal wurde der Internetfragebogen vollständig durchgeklickt – ein kaum für möglich gehaltener Erfolg für die Initiatorinnen und Initiatoren des Südtiroler Jugendrings.
Mit mehr als 1,5 Millionen beantworteten Einzelfragen übertreffen die Zahlen von www.wahlkabine.it sogar die bisherigen Nutzungszahlen bei österreichischen Landtagswahlen. So wurden zum Beispiel bei den letzten Tiroler Landtagswahlen (2008) im Vergleich 485.000 Einzelfragen beantwortet. Dies überraschte sogar die Initiatoren der Österreichischen Internetwahlkabine, die seit 2002 vor Nationalrats- und Landtagswahlen diese Internetplattform betreiben.
Um die erste Internetwahlkabine Südtirols bekannt zu machen, wurde eine breit angelegte Werbekampagne gestartet. Neben den Presseaussendungen wurde per Mailverteiler, Radiospot und Bannerwerbung auf Webseiten der Mitgliedsorganisationen und Medienpartner geworben.
Für große Aufmerksamkeit sorgte auch die Aktion der „Neuen Südtiroler Tageszeitung“, in der sie täglich eine/n andere/n Prominente/n den Internetfragebogen beantworten ließ und die Ergebnisse samt evtl. Statements veröffentlichte. Auch die Wochenzeitschrift „ff“ sowie der Radiosender „Südtirol 1“ griffen die Aktion verstärkt auf, ließen prominente Gäste den Internetfragebogen beantworten und veröffentlichten das Ergebnis.
In Statements aus den Vereinen und Verbänden, den Medien, von Schulen und vielen Einzelpersonen wurde deutlich, dass die Internetwahlkabine ein Instrument darstellte, das zur Auseinandersetzung mit politischen Sachfragen angeregt hat. Gerade weil sich die Parteien nicht hinter ihrem Wahlprogramm verstecken konnten, sondern zu konkreten Fragen Stellung genommen und diese gewichtet haben, wurde eine detaillierte Rückmeldung möglich. So kamen immer wieder auch Ergebnisse bei Nutzerinnen und Nutzern zustande, die nicht mit ihrer Parteipräferenz übereinstimmten. Dies war durchaus beabsichtigt, zeigte es doch auf, wo die offizielle Antwort der Parteien zu Sachfragen nicht mit denen der Nutzerinnen und Nutzer von www.wahlkabine.it übereinstimmten.
Die einzelnen Ergebnisse der Internetwahlkabine sollten daher auch nicht als Wahlempfehlung verstanden werden, sondern als Orientierungshilfe für interessierte Bürgerinnen und Bürger. So konnten die Ergebnisse dazu dienen, das eigene Wahlverhalten zu überprüfen, sich mit den Antworten der Parteien auf Sachfragen auseinanderzusetzen und diese eventuell gezielt zu vertiefen.
Auffallend war, dass trotz wiederholter und gezielter Versuche, die Plattform www.cabina-elettorale.it in den italienischen Medien zu bewerben, diese kaum darauf einstiegen. So war es sehr schwierig, die italienische Bevölkerung unseres Landes zu erreichen, was sich auch in den Ergebniszahlen widerspiegelte: der italienische Fragebogen wurde 4.100-mal vollständig ausgefüllt, während der deutsche Fragebogen 46.200-mal durchgeklickt wurde. Diese Tatsache machte den Initiatoren zum wiederholten Male bewusst, dass durch das weitgehende Fehlen zweisprachiger Medien und Informationskanäle in Südtirol oft die Gefahr besteht, dass Initiativen, welche bewusst dreisprachig bzw. zweisprachig angelegt werden, trotzdem oft nur einen Teil der Bevölkerung erreichen, der sich ausschließlich auf eine Volksgruppe beschränkt.
Es wird somit Aufgabe der Initiatoren sein, bei den nächsten Wahlen die Internetplattform www.wahlkabine.it bzw. www.cabina-elettorale.it verstärkt und gezielt auch für unsere italienischsprachige Bevölkerung zugänglich zu machen.
Das Redaktionsteam
Giuseppe De Cesare (Journalist), Isabelle Hansen (Dolomiten, Redaktion Lokales), Mauro Fattor (Alto Adige, Redaktion Innenpolitik), Wolfgang Mayr (Journalist), Mateo Taibon (Freier ladinischer Journalist), Günther Pallaver (Politikwissenschaftler; Universität Innsbruck), Gilg Seeber (Koordinator, Politikwissenschaftler; Universität Innsbruck), Martin Wassermair (Projektleiter, Institut für Neue Kulturtechnologien/t0)
Literaturverzeichnisverzeichnis
Inglehart, Ronald F. (1989). The silent revolution in Europe-Intergenerational Change in Postindustrial Societies, in: American political science review, 65, 991–1017
www.wahlkabine.at
www.wahlkabine.it
www.cabina-elettorale.it
Abstracts
www.cabina-elettorale.it:
un progetto di educazione politica
Nel 2008, sei settimane prima delle elezioni provinciali, è stata messa in rete la prima cabina elettorale virtuale dell’Alto Adige, un progetto nato seguendo il modello austriaco di wahlkabine.at. Cabina-elettorale.it è uno strumento d’informazione e orientamento politico che ha fatto discutere molto. Il formulario online è stato compilato da oltre 50.000 persone ed è stato un successo che è andato ben oltre alle più rosee previsioni, superando pure il successo che ha avuto il progetto originario d’oltralpe. Cabina-elettorale.it era ed è un progetto di educazione politica realizzato dal Südtiroler Jugendring in collaborazione con l’Institut für neue Kulturtechnologien (Istituto per le nuove tecnologie culturali), l’Istituto di scienze politiche dell’Università di Innsbruck e con il supporto dei media presenti sul territorio. L’iniziativa vuole essere uno strumento di orientamento politico che possa dare uno slancio costruttivo alla discussione e alla partecipazione politica in una società democratica. L’intento di cabina-
elettorale.it è inoltre di mettere in primo piano i contenuti politici, che spesso vengono marginalizzati a favore di una eccessiva personalizzazione della leadership politica.
www.wahlkabine.it: n proiet dla furmazion politica
Sies enes dan la veles provinzieles ie tl 2008 unida metuda online, aldò dl model austriach, la prima cabina sudtrioleja internet per lité te doi rujenedes. N aiut per se urienté politicamënter che à purtà la jënt a rujené truep. Plu de 50.000 iedesc ie l cuestioner internet unì fat dal scumenciamënt ala fin – n suzes che n se ëssa mei aspità de arjonjer, i iedesc che la cabina ie unida adurveda ie stac de plu cho no chëi dla cabina austriaca da veles provinzieles. „Wahlkabine.it“ fova y ie n proiet dla furmazion politica dl „Südtiroler Jugendring“, che ie unì realisà n cooperazion cun l Istitut per Tecnocolgies Nueves y l Istitut de Scienzes Politiches tla università de Dispruch sciche ënghe tl cheder de jumblinedes de media. L ie da udëi sciche n aiut per se urienté politicamënter y sciche cuntribut costrutif per tò pert politicamënter ala descuscions de veles te na sozietà democratica. „Wahlkabine.it“ à ntenzion de mustré su dantaltut cuntenuc politics che per gauja dla personalsazion dla politica ne ie nia assé da udëi.
www.wahlkabine.it:
a project in political education
The first bilingual South Tyrolian Internet polling booth went online six weeks before the South Tyrolian parliament election in 2008, thus following the example set by Austria. As a political innovation, it provided plenty to talk about. The questionnaire on the web was altogether clicked on more than 50,000 times – an incredible, scarcely expected success; it even exceeded the number of visitors of wahlkabine.at during the Austrian parliament election. wahlkabine.it was and is a project of political education by the South Tyrolian Jugendring (SJR); a project realized in cooperation with the Institute for New Culture Technologies and the Institute for Political Studies of the University of Innsbruck, as well as within the context of other media partnerships. Intended as a help for users in finding one‘s political bearings, it represents a major contribution to the debate around elections regarded as an instrument of political participation in democratic societies. The principal purpose pursued by wahlkabine.it is to push political topics to the fore which are hardly visible due to the strong personalisation, that is the undivided attention given to politicians, rather than to topics, in politics.