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Günther Pallaver

Südtirols Parteien und Parteiensystem

Ethnisch, fragmentiert und zentrifugal

1. Einleitung

Parteien sind in den liberalen Demokratien die zentralen politischen Akteure. Es gibt keine Demokratie ohne Parteien. Es sind die Parteien, die die Interessen artikulieren, diese bündeln und ins politische System einbringen, politisches Personal rekrutieren und die politische Macht legitimieren. Parteien sind somit unverzichtbare Bestandteile einer jeden Demokratie. Demokratie konkretisiert sich im Parteienstaat, der im übertragenen Sinne auf allen Ebenen präsent ist, nicht nur auf staatlicher, sondern auch auf kommunaler, auf regionaler genauso wie auf europäischer Ebene.

In diesem Beitrag soll auf Südtirols Parteiensystem und seine Parteien eingegangen werden, sollen die Besonderheiten und Entwicklungstendenzen des Parteiensystems untersucht und eine Typologisierung des Südtiroler Parteiensystems vorgenommen werden. Auch soll die Frage geklärt werden, was unter ethnischen und interethnischen Parteien zu verstehen ist. Die Arbeit schließt mit der Diskussion über die Konsequenzen einer seit Jahren andauernden zentrifugalen Dynamik des Südtiroler Parteiensystems.

2. Ethnische Parteien

Die ethnische Fragmentierung der Gesellschaft hat in Südtirol unmittelbare Auswirkungen auf die Parteien und das Parteiensystem, denn Südtirols Parteiensystem ist durch eine zentrale ethnische Bruchlinie gekennzeichnet, die alle anderen ­cleavages überlagert. Längs dieser Bruchline haben sich von jeher „ethnische“ Parteien gebildet, deutsche und italienische, in den letzten Jahren auch ladinische Parteien.

Die erste Frage lautet, was sind ethnische Parteien und wodurch sind sie gekennzeichnet. Beginnen wir beim Begriff des Ethnischen. Die Definierung von Ethnie ist kontrovers. Dazu gibt es unterschiedliche Zugänge, die im Wesentlichen von zwei großen Denkschulen bestimmt sind. Der erste dieser Zugänge betrifft die A-Rationalität der ethnischen Bindung, also die Unmöglichkeit, aufgrund nachvollziehbarer und objektiver Kriterien festzustellen, worin die Essenz einer ethnischen Gruppe besteht und worauf diese ethnische Gruppensolidarität beruht.

Der zweite dieser Zugänge geht davon aus, dass eine Ethnie in jedem Falle eine soziale Konstruktion ist (Anderson 1996), ein Artefakt, auch wenn es scheinbar objektive Elemente der kulturellen und anderer Ähnlichkeit gibt. Wie alle sozialen Konstruktionen unterliegen diese der Änderung, dem Untergang oder einem Revival, somit der Dekonstruktion und Rekonstruktion (Tronconi 2009, 25).

Ergänzt werden müssen diese Ansätze durch die subjektive Wahrnehmung der ethnischen Gruppe und ihrer angeblich objektiven Merkmale. Unabhängig von solch objektiven Merkmalen wie etwa Sprache kommt es letztendlich immer auf die Unterscheidung von „wir“ und die „anderen“ an. Die Zuordnung einer Person zu einer ethnischen Gruppe hängt grundsätzlich von dieser Wahrnehmung ab und nicht von objektiven Kriterien (Conner 1995, 93).

Bei ethnischen Parteien handelt es sich somit um Parteien, deren zentrale Charakteristik im Versuch besteht, eine in einem Territorium konzentrierte ethnische Gruppe zu vertreten, die von sich aus behauptet, eine spezifische soziale Kategorie mit einer einzigartigen und gemeinsamen Identität darzustellen, die unter anderem auf einer gemeinsamen Sprache, Kultur, Geschichte usw. beruhen kann (De Winter in della Porta 2001). In der Regel handelt es sich um autochthone Minderheiten.

Ethnoregionale Parteien agieren auf einem substaatlichen Territorium und sind durch eine ausschließende Gruppenidentität gekennzeichnet, verbunden mit der Forderung nach einer (oft unterschiedlich konzipierten) Selbstverwaltung. Da solche Parteien die gesellschaftlichen Konflikte unter ethnischen Aspekten betrachten, werden ethnoregionale Parteien auch, „ethnische Unternehmer“ bezeichnet (De Winter/Türsan 1998).

Trotz aller Verkürzung können wir bei dieser Fragestellung davon ausgehen, dass ethnoregionale Parteien politische Akteure sind, die sich von anderen Parteienfamilien durch ihre ethnische Selbstdefinierung und durch den damit verbundenen Ausschluss von Personen und Gruppen unterscheiden, die im Sinne des „wir“ und die „anderen“ zu den anderen gezählt werden. Neben der Selbstdefinierung der eigenen Gruppe als ethnos sind solche Parteien durch die territoriale Konzentrierung auf substaatlicher Ebene gekennzeichnet.

Zur leichteren Unterscheidung ethnoregionaler Parteien von anderen Parteienfamilien können die folgenden Unterscheidungsmerkmale hilfreich sein.

Parteien, die territorial auf einer substaatlichen Ebene wie einer Region konzentriert sind und ethnische Interessen vertreten, fallen in die Kategorie I (siehe Tabelle 1).

Parteien der Kategorie II beziehen sich ebenfalls auf eine ethnisch-nationale Gemeinschaft, aber das Territorium, auf das Bezug genommen wird, ist der gesamte Staat. Es handelt sich hier um nationalistische Parteien wie etwa der Front Na­tio­nal in Frankreich oder in der Vergangenheit um der Movimento Sociale Italiano. Zwischen Kategorie I und II ändert sich neben dem Territorium die Wahrnehmung des „anderen“. Bei den ethnoregionalen Parteien sind die „anderen“ in erster Linie die Staatsbürger, die nicht zur eigenen Gruppe gezählt werden, bei den nationa­listischen Parteien werden grundsätzlich die Staatsbürger zur eigenen Gruppe gezählt (nicht immer aber die „naturalisierten“), während alle anderen ausgeschlossen werden.

Tabelle 1: Ethnoregionale Parteien im Universum der politischen Parteien

Regionale Konzentration

Ja

Nein

Ethnizität

Ja

I

II

Ethnizität

Nein

III

IV

Quelle: Tronconi 2009, 28.

In die Kategorie III fallen jene Parteien, die zwar territorial auf eine Region konzentriert sind, aber nicht ethnische Interessen vertreten. Gründe dafür können sein, dass eine Partei nicht genügend Ressourcen hat, um sich über das gesamte Staatsgebiet auszudehnen oder wegen der besonderen politischen Kultur der Konsens der WählerInnen territorial begrenzt bleibt. Dies war der Fall bei der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) in Deutschland, die nur in den ostdeutschen Bundesländern vertreten war.

Die Präsenz regionaler Parteien kann aber auch das Spiegelbild eines Parteiensystems sein, das keine staatliche Dimension aufweist, wie dies etwa in Belgien der Fall ist, wo sich die gesamtstaatlichen Parteien längs ethnischer Bruchlinien getrennt haben.

Die Kategorie IV umfasst schließlich die gesamtstaatlichen Parteien, die sich auf keine ethnische oder nationale Gemeinschaft beziehen und die wir in allen europäischen Parteiensystemen vorfinden, wie etwa die Volksparteien oder sozialdemokratischen Parteien (Tronconi 2009, 27 – 29).

Diesen Kategorien können wir auch die Parteien Südtirols zuordnen, die bei den Wahlen am 26. Oktober 2008 in den Landtag gezogen sind.

Tabelle 2: Ethnoregionale Parteien in Südtirol

Regionale Konzentration

Ja

Nein

Ethnizität

Ja

Südtiroler Volkspartei,
Freiheitliche, Süd-Tiroler Freiheit, Union für Südtirol, Unitalia

Ethnizität

Nein

Grüne-Verdi-Vërc, Lega Nord

Popolo della Libertà, Partito Democratico/Demokratische Partei

Die Südtiroler Volkspartei (SVP), die Freiheitlichen, die Süd-Tiroler Freiheit und die Union für Südtirol verstehen sich als ethnische Parteien, weil sie den Anspruch erheben, die Interessen der deutsch- und ladinischsprachigen SüdtirolerInnen zu vertreten. In den Parteistatuten ist nicht vorgesehen, dass sie auch die Interessen der Italiener vertreten.

All diese Parteien sind territorial nur in Südtirol verankert. Nur aufgrund ihrer erklärten ethnischen Interessenvertretung können diese Parteien staatliche Sonderregelungen in Anspruch nehmen. Das betrifft etwa das Wahlgesetz zum italienischen Parlament aus dem Jahre 2005, das vorsieht, dass Parteien, die ethnische Minderheiten vertreten, von der Vier-Prozent-Sperrklausel befreit sind, wenn sie in ihrer Region 20 Prozent der Stimmen erzielen. Hier kommen die beiden zentralen Prinzipien zum Tragen: Ethnizität und substaatliches Territorium. Es ist nämlich vorgesehen, dass nur jene Parteien diese Sonderregelung in Anspruch nehmen können, die nicht außerhalb ihrer Region kandidieren. Dank dieser Sonderregelung ist die SVP in der römischen Kammer vertreten (Peterlini 2009, 104 – 106).

Eine weitere Sonderregelung zugunsten ethnischer Parteien sieht das Wahlsystem zum Europäischen Parlament vor, nach dem ethnische Parteien in Verbindung mit einer gesamtstaatlichen Partei 50.000 Stimmen erzielen müssen, um eine/n Abgeordnete/n ins EU-Parlament entsenden zu können, sofern die Sperrklauseln überwunden werden.

Unitalia, eine Abspaltung des MSI, welche entstanden ist, als 1995 die ehemalige neofaschistische Partei den Transformationsprozess in Alleanza Nazionale vollzog, ist ausschließlich auf Südtirol konzentriert und beansprucht, die spezifischen Interessen der Italiener zu vertreten. Die Italiener Südtirols werden zwar als integrierender Teil der italienischen Nation angesehen, die in Südtirol aber eine numerische Minderheit darstellen und somit mit besonderen Maßnahmen gefördert werden müssen. Aus diesen Gründen fällt Unitalia ebenfalls in die Kategorie I, auch wenn es hier eine bestimmte Grauzone gibt.

Die Grünen-Verdi-Vërc sind in dieser Konfiguration territorial nur in Südtirol präsent. Sie sind nach den Organisationsprinzipien der staatlichen Grünen kein integrierter Teil der Gesamtpartei, sondern mit dieser nur konföderiert. Die Grünen beanspruchen auch nicht, die spezifischen Interessen einer einzigen ethnischen Gruppe zu vertreten, sondern aller in Südtirol lebenden Personen.

In diese Kategorie fällt auch die Lega Nord, die als territoriale Partei des italienischen Nordens gilt und die besonderen Interessen des Nordens mit seinen autoch­thonen Bevölkerungen vertritt, wie der Lombarden oder Veneter. Mitunter werden die autochthonen Bevölkerungen des italienischen Nordens auf das Volk der Illyrer zurückgeführt (Pallaver 2009), womit im weitesten Sinne die Ethnizität mit ins Spiel kommt. Insofern gibt es auch bei der Lega Nord eine bestimmte Grauzone. Dennoch belassen wir die Lega Nord in der Kategorie jener Parteien, die territorial umschrieben agieren und in Südtirol keine spezifischen ethnischen Interessen vertreten. Bei den Landtagswahlen ist die Lega Nord denn auch als sprachgruppenübergreifende Partei aufgetreten.

Der Popolo della Libertà und die Demokratische Partei fallen hingegen unter die Kategorie der gesamtstaatlichen Parteien.

3. Interethnische Parteien

Neben den ethnischen Parteien gibt es in Südtirol Parteien, die von sich behaupten, interethnische Parteien zu sein. Die Begrifflichkeit Interethnizität weist bereits darauf hin, dass es sich um Parteien handelt, die in einem „ethnischen“ Kontext agieren. Dieser Kontext weist auf ein Territorium hin, auf dem mehrere Sprachgruppen leben. Im Gegensatz zu den ethnischen Parteien vertreten interethnische Parteien aber nicht die Interessen einer bestimmten ethnischen Gruppe, sondern die (wirtschaftlichen, ökologischen usw.) Interessen einer Gesamtgruppe, unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit ihrer Mitglieder. Während ethnische Parteien eine Unterscheidung von „wir“ und die „anderen“ anstellen und somit die anderen ausschließen, nehmen interethnische Parteien diese Unterscheidung nicht vor und schließen grundsätzlich alle ein.

Auch im Falle von interethnischen Parteien haben wir es mit einer substaatlichen Ebene zu tun, weil es sich um Parteien handelt, die in einer ethnisch fragmentierten Gesellschaft agieren, die sich aufgrund der Anwesenheit autochthoner Minderheiten von der gesamtstaatlichen Situation unterscheidet.

Allerdings kann man unter den interethnischen Parteien längs der Achse „wir/die anderen“ Unterschiede feststellen. Es gibt bestimmte Parteien, die den Anspruch erheben, die Interessen bestimmter, aber nicht aller Minderheiten zu vertreten. So trat etwa die Lega Nord bei den Landtagswahlen am 26. Oktober mit dem Anspruch an, die Interessen der deutsch- und italienischsprachigen Bevölkerung Südtirols zu vertreten, nicht aber jene der neuen ZuwandererInnen (mit italienischer Staatsbürgerschaft). Im Gegensatz dazu gehen die Grünen-Verdi-Vërc vom Anspruch aus, nicht nur die im Autonomiestatut genannten drei offiziellen Sprachgruppen zu vertreten, sondern alle, unabhängig von Ethnizität oder Konfession.

Bis jetzt haben wir vom formalen Anspruch gesprochen, den Parteien als inter­eth­nische Akteure erheben. Forza Italia hat beispielsweise bei den Landtagswahlen 2003 diesen Anspruch mit dem Hinweis erhoben, unter den KandidatInnen auch eine deutschsprachige Kandidatin aufgestellt zu haben. Genügt dies, um als inter­eth­nisch angesehen zu werden?

Damit kommen wir zu den objektiven Kriterien, die eine interethnische Partei aufweisen muss, um über den formalen Anspruch hinauszugehen. Wenn interethnische Parteien als Pendant zu ethnischen Parteien angesehen werden können, so können wir in Abgrenzung zu diesen die zentralen Charakteristika interethnischer Parteien festlegen. Zu diesem Zweck stellen wir einen Raster von ethnischen versus interethnischen Charakteristika auf.

Tabelle 3: Unterschiede zwischen ethnischen und interethnischen Parteien

Charak­teristika

Zielgruppe

Externe Wahr­nehmung

Interne/externe Kommu­nikation

Organisation

WählerInnen

Gesell­schafts­modell

Ethnische Parteien

eigene Ethnie

ethnische Partei

Sprache der Ethnie

rein ethnisch

aus eigener Ethnie

Separation der Ethnien

Inter­ethnische Parteien

alle ­ethnischen Gruppen

inter­ethnische Partei

Sprache aller ethnischen Gruppen

interethnisch

aus allen ethnischen Gruppen

Integration der Ethnien

Schauen wir uns die einzelnen Charakteristika an. Zielgruppe einer ethnischen Partei ist ihre eigenen Ethnie. In erster Linie vertritt eine solche Partei die Interessen der eigenen Sprachgruppe, sie kann auch mehrere Sprachgruppen vertreten, wie dies die SVP mit der deutsch- und ladinischsprachigen Bevölkerung beansprucht (Pallaver 2006). Diese Interessenvertretung ist immer mit dem Prinzip des Ausschlusses von „anderen“ verbunden. Die Anliegen von anderen ethnischen Gruppen werden nicht oder im Vergleich zur eigenen Gruppe weniger intensiv und bewusst wahrgenommen. Es besteht gewissermaßen ein Ranking der Interessenvertretung.

Im Gegensatz dazu erheben interethnische Parteien den Anspruch, die Interessen aller ethnischen Gruppen des entsprechenden Territoriums zu vertreten. Diese gehen vom Prinzip des Einschlusses aller aus, nicht des Ausschlusses. Die Interessenvertretung erfolgt nicht längs einer ethnische Bruchlinie, sondern längs anderer, etwa zwischen Kapital und Arbeit oder zwischen Konfession und Laizismus usw. Diesen Anspruch erheben beispielsweise die Grünen-Verdi-Vërc in Südtirol (Atz 2007).

Die externe, öffentliche politische Wahrnehmung teilt solche Parteien auch ohne genaue Kenntnisse ihrer Charakteristika, aber aufgrund begleitender Beobachtung in ethnische und interethnische Parteien ein. Diese externe Wahrnehmung ist für das ethnische Wahlverhalten oft entscheidend. Denn WählerInnen, die stark ethnisch geprägt sind, werden Parteien, die in der öffentlichen Wahrnehmung einer anderen Ethnie zugeordnet werden, mit größeren Vorbehalten gegenübertreten, auch wenn sich diese Partei unter ethnischen bzw. interethnischen Gesichtspunkten gewandelt hat oder versucht, sich ein geändertes Image zu geben. WählerInnen unterscheiden recht genau zwischen einer substanziellen und einer lediglich formalen Image-Änderung. Als Beispiel sei nochmals an die Landtagswahlen 2003 erinnert, als sich Forza Italia als interethnische Partei präsentierte, weil eine deutschsprachige Exponentin auf ihrer Liste kandidierte. Die WählerInnen haben FI trotzdem als italienische Partei wahrgenommen.

Diese öffentliche Wahrnehmung hängt stark mit der externen Kommunikation zusammen. Ethnische Parteien wenden sich in der Regel in der Sprache der Ethnie an die Öffentlichkeit, die sie vertreten. Daraus lässt sich die ethnische Zugehörigkeit der Partei leicht eruieren. Dies gilt auch für die interne Kommunikation einer ethnischen Partei, etwa bei den Mitteilungen an die Mitglieder oder bei der Sprache, die bei Sitzungen und Versammlungen verwendet wird. Dies gilt in Südtirol für die SVP genauso wie für die Freiheitlichen, die Union für Südtirol oder die Süd-Tiroler Freiheit. Bei der Süd-Tiroler Freiheit ist es undenkbar, eine interne Sitzung in einer anderen als der deutschen Sprache abzuhalten.

Interethnische Parteien wenden sich hingegen in der Regel in allen Sprachen an die Öffentlichkeit, die von den verschiedenen Gruppen auf dem Territorium gesprochen werden. Dies gilt in Südtirol etwa für die Grünen, die in der Regel immer in den beiden großen Landessprachen Deutsch und Italienisch nach außen hin kommunizieren, oft sogar dreisprachig (ladinisch). Sie gestalten aber auch die interne Kommunikation zweisprachig. In der Regel verwendet jede/r bei Sitzungen die eigene Muttersprache.

Der Anspruch der Interethnizität zeigt gerade in diesem Punkt gern seine Grenzen. In der Vergangenheit hat beispielsweise die Sozialistische Partei den Anspruch erhoben, eine interethnische Partei zu sein, hat in der internen und externen Kommunikation aber im Wesentlichen einsprachig italienisch agiert.

Eine Voraussetzung für die ein- oder zwei/mehrsprachige Kommunikation nach außen und nach innen ist die Organisation der Partei. Ethnische Parteien nehmen keine „ethnischen“ Differenzierungen in der Organisation vor. In der Union für Südtirol arbeiten deutschsprachige SüdtirolerInnen, nehmen deutschsprachige SüdtirolerInnen Funktionen wahr. Es gibt keinen internen ethnischen Proporz.

Bestehende Parteien, die sich zu interethnischen wandeln (möchten), wie dies beispielsweise bei der ehemaligen Kommunistischen Partei der Fall war, haben die Parteiorganisation nach ethnischen Logiken organisiert und damit die ethnische Trennung in der Gesellschaft (zum Teil) in die Partei hereingenommen. Klassischer Ausdruck dieser Differenzierung waren die getrennten Sektionen auf allen Ebenen der Partei, wie dies in den 70er-Jahren gehandhabt wurde. Der Parteivorstand tagte nach Sprachgruppen getrennt (um die Entscheidungen am Ende dann sprachgruppenübergreifend zu treffen), die Partei gab zwei Parteizeitungen heraus, eine in deutscher und eine in italienischer Sprache. Zum Teil sickerte diese Logik bis auf die Ebene der örtlichen Organisation herab.

Parteien, die von allem Anfang an als interethnische entstehen, wie dies bei der Neuen Linken/Nuova Sinistra als Vorgängerbewegung der Grünen-Verdi-Vërc mit ihrer leichten Organisation der Fall war, nehmen keine interne ethnische Differenzierung der Organisation vor, sondern in dieser wirken ExponentInnen aller Sprachgruppen ohne proportionale Aufschlüsselung.

Ethnische Parteien wenden sich grundsätzlich an die WählerInnen der eigenen Ethnie und appellieren an die ethnische Loyalität. Eine solche ethnische Loyalität ist gegenüber anderen Loyalitäten stärker verankert. Dies lässt sich anhand der letzten Landtagswahlen nachvollziehen, wo rund 90 Prozent der italienischen ­WählerInnen italienische Parteien und rund 98 Prozent der deutschsprachigen WählerInnen deutsche und ladinische Parteien oder die interethnischen Grünen gewählt haben (Atz/Pallaver 2009, 117).

Interethnische Parteien wenden sich hingegen an alle Sprachgruppen des Territoriums. So erhielten beispielsweise die Grünen-Verdi-Vërc/Civiche bei den letzten Landtagswahlen im Oktober 2008 rund 15 Prozent der Stimmen aus der italie­nischen Sprachgruppe, der Rest stammt aus den anderen beiden Sprachgruppen, wobei die ladinischen Stimmen aufgrund ihrer geringen Anzahl kaum ins Gewicht fallen.

Als letzter Punkt ist das gesellschaftliche Modell zu nennen, das Parteien anstreben. Ethnische Konflikte können entweder durch ein dissoziatives oder durch ein assoziatives Modell gelöst werden. Im ersten Fall handelt es sich um ein Modell­ der ethnischen Trennung der Sprachgruppen, die von einer physischen bis hin zu einer sozialen Trennung gehen kann. Im zweiten Fall geht es um eine gesellschaftliche Integration der Sprachgruppen. Südtirols Konfliktlösungsmodell entspricht der sozialen Trennung der Sprachgruppen. Die Parteien, die rein ethnisch organisiert sind, sind Ausdruck dieser Trennung nach Sprachgruppen (Pallaver 2007).

Parteien hingegen, die die soziale Trennung ablehnen und sich für die Integration der Sprachgruppen einsetzen, gehören dem Typus der interethnischen Parteien an.

Neben den Grünen-Verdi-Vërc hat sich bei den Landtagswahlen 2008 beispielsweise auch die Lega Nord als interethnische Partei präsentiert, zum Teil sogar explizit als Partei der Gemischtsprachigen. Die Anzahl der von den Eltern her zweisprachigen Personen, die dieser Kategorie in Südtirol zugerechnet werden können, liegt zwar im Dunkeln, aber grobe Schätzungen sprechen von rund 30.000 Personen. Dazu zählte sich auch die Spitzenkandidatin der Lega Nord, Elena Artioli. Ausdruck dieser Interethnizität sollte auch der an zweiter Stelle kandidierende Expo­nent der Lega, Roland Atz, sein, der lange Jahre Landtagsabgeordneter und Regionalassessor der SVP war. Von 31 KandidatInnen der Lega Nord hatten sich acht der deutschen Sprachgruppe zugehörig erklärt.

Ob die Lega Nord nicht nur formal, sondern auch substanziell eine interethnische Partei ist, lässt sich über die hier aufgestellten sechs Kriterien verifizieren. Zielgruppe der Lega waren alle Sprachgruppen, die externe Kommunikation war zweisprachig, die interne Kommunikation vorwiegend italienisch, wie auch die Organisation selbst, während in der Wahrnehmung der Bevölkerung die Lega Nord nach wie vor eine italienische Partei geblieben ist. Die Lega hat sich an alle WählerInnen gewandt und wurde auch von beiden großen Sprachgruppen gewählt. Erklärungen über die Integration der Sprachgruppen erfolgten keine, sodass anzunehmen ist, dass die Lega Nord das bestehende politische Gesellschaftsmodell akzeptiert. Von den sechs aufgestellten Kriterien erfüllt die Lega drei zur Gänze, ein Kriterium zur Hälfte, sodass sie nicht als interethnische Partei bezeichnet werden kann.

Die Lega Nord befindet sich unter diesen Aspekten in der Übergangsphase von einer ethnischen zu einer interethnischen Partei. In welche Richtung sie sich definitiv entwickeln wird, hängt vom Faktor Zeit ab, die als weitere, sekundäre Variable in Betracht gezogen werden muss.

Der Umstand, dass sich Parteien aus Gründen der Wahlwerbung und der Maximierung ihres WählerInnenkonsenses in allen Landessprachen an die WählerInnen wenden, ist somit für die Einordnung einer Partei als interethnisch noch lange nicht genug. Die externe Kommunikation vieler kandidierenden Parteien, von der SVP über die Demokratische Partei bis hin zur Sinistra dell’Alto Adige/Linke für Südtirol, war zwei- und mehrsprachig. Dennoch kann davon nicht abgeleitet werden, dass es sich bei diesen Parteien um interethnische Parteien handelt.

4. Ethnisch getrenntes Parteiensystem

Ein Parteiensystem ist das System jener Beziehungen, die aus dem Parteienwettbewerb resultieren (Sartori 1976, 44). Es ist das strukturelle Gefüge der Gesamtheit der politischen Parteien in einem Staat (Nohlen 2005, 65) und bildet den Schnittpunkt, auf den hin alle politischen Kräfte konvergieren. Lepsius stellt das Parteiensystem stärker auf die Funktion der Parteien ab, welche Bedeutung sie in einem Parteiensystem für die Herstellung von Koalitionen oder von Mehrheiten haben (Lepsius 1980, 541).

Die Parteien sind die zentralen Akteure im politischen Wettbewerb, der durch die politischen Institutionen strukturiert und vom Verhalten der WählerInnen geprägt wird. Parteiensysteme sind mehr als die Summe ihrer Einheiten. Sie beinhalten die Art ihrer Interaktion, ihrer Kooperation und ihrer Konkurrenz. Wenn von Parteiensystemen die Rede ist, so wird auf die Anzahl der Parteien in einem solchen System Bezug genommen, auf ihre Dimension, auf die ideologische Distanz zwischen den einzelnen Parteien, auf den zwischenparteilichen Wettbewerb und auf die elektorale Partizipation sowie auf die Auswirkungen, welche die Anzahl der Parteien auf die Dynamik des Parteienwettbewerbs hat (della Porta 2001, 127).

Parteien spiegeln soziale Bruchlinien/cleavages, etwa zwischen Kapital und Arbeit, Staat und Kirche, Stadt und Land, Ökologie und Ökonomie, Zentrum und Peripherie wider (Lipset/Rokkan 1967). Südtirols Parteiensystem weist neben diesen klassischen Bruchlinien eine Hauptbruchlinie auf, nämlich das ethnische cleavage, das alle anderen Bruchlinien überlagert. Wie wir bereits ausgeführt haben, haben sich entlang dieser Bruchlinie ethnische Parteien gebildet (Beyme 1982, 160, De Winter/Türsan 1998, De Winter/Gómez-Reino/Lynch 2006, Tronconi 2009).

Die Konzentrierung und Einschränkung auf die eigene Sprachgruppe hat von jeher dazu geführt, dass die Südtiroler Wahlarena in zwei den Sprachgruppen entsprechende Subarenen zerfällt. Die ladinische Sprachgruppe ist zu klein, als dass sich auch eine konsistente ladinische Subarena hätte herausbilden können, wenngleich es seit den 90er-Jahren ladinische Parteien gibt. Parteien innerhalb einer Subarena treten in Konkurrenz untereinander auf, aber nicht zu Parteien der anderen Sprachgruppen. Lediglich die interethnischen Grünen-Verdi-Vërc haben sich seit je nicht auf eine einzige Wahlarena beschränkt, sondern haben in allen drei Subarenen um WählerInnenstimmen geworben.

Dies hat zu einer extremen Reduktion des politischen Wettbewerbs der Parteien um WählerInnenstimmen in anderen ethnischen Lagern geführt. Der Anteil der ethnischen WechselwählerInnen ist nach wie vor sehr gering. Unter diesen Rahmenbedingungen kann man die Wettbewerbssituation innerhalb des Südtiroler Parteiensystems als segmentierten Wettbewerb bezeichnen. Anders ausgedrückt: In Südtirol gibt es einen intraethnischen Wettbewerb, also innerhalb der einzelnen ethnischen Subarenen, nicht aber einen interethnischen Wettbewerb (Holzer 1991, 136).

Während der sprachgruppenübergreifende Wettbewerb in der Vergangenheit kaum existierte und über punktuelle Versuche nie hinauskam, hat es bei den Landtagswahlen von 2008 im Vergleich zu anderen Wahlgängen etwas stärkere Tendenzen ethnischer Grenzüberschreitung gegeben, ohne dass sich dadurch die Anzahl der interethnischen Parteien vergrößert hätte.

Wenn wir Südtirols Parteien nach ethnischen Kategorien aufschlüsseln, so sehen wir, dass die SVP von 1948 bis 1964 und von 1968 bis 1973 die einzige deutsche Partei im Südtiroler Landtag war. Von den 14 Urnengängen von 1948 bis 2008 konnte sie in fünf Wahlgängen den ethnischen Alleinvertretungsanspruch der deutschsprachigen, mit Einschränkungen der ladinischsprachigen SüdtirolerInnen erheben. Erstmals 1964 gelang es der Tiroler Heimatpartei (THP), einen Landtagssitz zu erobern und damit diesen ethnischen Alleinvertretungsanspruch zu durchbrechen. Sämtliche deutschen Oppositionsparteien, die bis heute im Landtag vertreten waren, haben in Summe bis zu den Landtagswahlen 2003 zusammen maximal rund zwölf Prozent der Stimmen auf sich vereinen können. Bis vor den Landtagswahlen 2003 lag dieser Prozentsatz immer unter zehn Prozent. Zählt man die Stimmen deutschsprachiger WählerInnen auch anderer, in erster Linie interethnischer Parteien dazu, so kam man 2003 auf etwa 17 Prozent. Dies bedeutet, dass die SVP im Landesparlament gut 80 Prozent der deutschsprachigen und etwa gut 60 Prozent der ladinischsprachigen Bevölkerung vertrat (Holzer 1991).

Mit den Landtagswahlen 2008 hat sich dieses Bild stark verändert. Der Prozentsatz des WählerInnenkonsenses zugunsten deutscher Oppositionsparteien, die im Landtag vertreten sind, ist auf 21,5 Prozent gestiegen. Zählt man die Stimmen von deutschsprachigen SüdtirolerInnen dazu, die die Grünen, die Bürgerbewegung und andere Parteien gewählt haben, in erster Linie die Demokratische Partei, so steigt dieser Anteil auf rund 28 Prozent.

Dieses Ergebnis hat Auswirkungen auf die Typologisierung der SVP. Parteien, die bei drei Wahlgängen hintereinander die absolute Mehrheit der Mandate erzielen, gelten als prädominante Parteien (Sartori 1976). Aufgrund des Umstandes, dass die SVP bei allen Landtagswahlen seit 1948 die absolute Mehrheit der Mandate erzielt hat, kann sie als demokratisch-hegemonische Partei bezeichnet werden.

Laut Sartori kann man von einer hegemonischen Partei nur dann sprechen, wenn eine Partei ihre hegemoniale Stellung ohne politischen Wettbewerb erringt. Andere Parteien können zwar die Parteienlandschaft bevölkern, aber den Satellitenparteien wird nicht zugestanden, mit der hegemonischen Partei unter Bedingungen der Chancengleichheit und des Wettbewerbs zu konkurrenzieren. Eine Ablösung der hegemonischen Partei ist vom System her gar nicht vorgesehen, ihre Hegemonie wird nicht infrage gestellt (Sartori 1982, 70).

Solche wettbewerbslose Rahmenbedingungen gibt es in Südtirol nicht, wo die Landtagswahlen nach demokratischen Spielregeln abgehalten werden und die verschiedenen Parteien in den einzelnen ethnischen Subarenen zueinander in Konkurrenz treten. Die Einordnung der SVP als demokratisch-hegemonische Partei ist somit demokratisch abgesichert, auch wenn es seit 1948 in Südtirol keine politische Alternanz, keine zeitliche Gewaltenteilung gegeben hat (Pallaver 2001, 321).

2008 hat die SVP erstmals in ihrer Geschichte mit 48,1 Prozent die absolute Mehrheit der Stimmen verloren, aber aufgrund des Wahlsystems die absolute Mehrheit der Mandate retten können. Sie bleibt deshalb eine demokratisch-hegemonische Partei, auch wenn sie starken Erosionsprozessen und einer immer erfolgreicheren Konkurrenz ausgesetzt ist, sie beginnt aber zu hinken (Atz/Pallaver 2009, 124).

Die Wahlen vom Oktober 2008 haben zu einer weiteren historischen Zäsur geführt. Die Zunahme des elektoralen Konsenses der deutschsprachigen Oppositionsparteien und die Abnahme des Konsenses für die SVP erlauben es nicht mehr, von der SVP als der Sammelpartei der deutsch- und ladinischsprachigen SüdtirolerInnen zu sprechen. Wenn wir nämlich die Stimmen innerhalb der deutschsprachigen Wahlarena aufschlüsseln, so können wir feststellen, dass die SVP nur mehr rund 61 Prozent der deutsch- und ladinischsprachigen WählerInnen vertritt (siehe den Beitrag von Hermann Atz in diesem Band). Die SVP hat in den letzten Jahren aus unterschiedlichen Gründen ihre ethnische Integrationskraft verloren und damit ihren Charakter als ethnische Sammelpartei.

Was die Parteienfragmentierung betrifft, so war diese in den vergangenen Jahren innerhalb der deutschsprachigen Subarena im Vergleich zur italienischsprachigen von jeher relativ gering. In fünf Legislaturperioden (1948 bis 1964 und 1968 bis 1973) war die SVP die einzige deutsche Partei im Südtiroler Landtag, 1964 – 1968 kam mit der Tiroler Heimatpartei (THP) eine zweite deutsche Partei hinzu, in den anderen Legislaturperioden waren neben der SVP jeweils zwei andere deutsche Oppositionsparteien im Landtag vertreten (Südtiroler Fortschrittspartei/SFP, Sozialdemokratische Partei Südtirols/SPS, Partei der Unabhängigen/PDU, Wahlverband des Heimatbundes/Union für Südtirol, Freiheitliche), seit 2008 drei (Freiheitliche, Süd-Tiroler Freiheit, Union für Südtirol). Im Landtag sind heute für die deutschsprachige Wahlarena vier Parteien vertreten. Angetreten waren insgesamt fünf Listen, neben den im Landtag vertretenen Parteien war dies die Bürgerbewegung.

Im Gegensatz zur deutschen elektoralen Subarena war die Parteienfragmentierung im italienischen Lager immer viel höher, obgleich sich die Bevölkerungszahl zwischen deutsch- und italienischsprachigen BürgerInnen etwa zwei Drittel zu einem Drittel verhält. Diese Fragmentierung geht von einem Minimum von vier Parteien (1988 und 2008) bis zu einem Maximum von sechs Parteien (1948, 1964, 1998). Wenn allerdings sämtliche Parteien gezählt werden, die im Südtiroler Landtag vertreten sind, somit auch die interethnischen Parteien und die ladinische Partei, so reicht die Parteienfragmentierung von einem Minimum von sechs Parteien bis zu einem Maximum von elf Parteien (1998), die sogar auf zwölf steigt, wenn die im letzten Jahr der 12. Legislaturperiode als Abspaltung von den Grünen gebildete Liste „Umwelt und Rechte/Ambiente e diritti“ (später Alternative Rosa/Rosa Alternativa) miteinbezogen wird.

Zu den Landtagswahlen von 2008 sind acht italienische Listen angetreten (Popolo della Libertà, Partito Democratico, Lega Nord, Italia dei Valori, Unitalia, UdC, Sinistra dell’Alto Adige/Linke für Südtirol, Comunisti Italiani/Südtiroler Kommunisten), davon sind vier in den Landtag gezogen (Popolo della Libertà, Partito Democratico, Lega Nord, Italia dei Valori, Unitalia).

Während innerhalb der deutschsprachigen Wahlarena nur Landesparteien antreten, aber keine gesamtstaatlichen, treten in der italienischen Wahlarena außer der Partei Unitalia ausschließlich gesamtstaatliche Parteien mit ihren Landesorganisationen an. Aber selbst diese ausschließlich auf Landesebene wirkende Partei hatte einen politischen Bezugspunkt zu Pino Rautis Movimento Sociale Fiamma Tricolore zuerst und später zur Liste Movimento per l’Italia von Daniela Santanchè gehabt.

Tabelle 4: Landtagswahlen 1948 – 2008 in Südtirol

Prozentsätze und Anzahl der Mandate der Landtagsparteien

Jahr

1948

1952

1956

1960

1964

1968

1973

1978

1983

1988

1993

1998

2003

2008

Anzahl Mandate

20

22

22

22

25

25

34

34

35

35

35

35

35

35

SVP

67,60
13

64,76
15

64,40
15

63,86
15

61,27
16

60,69
16

56,42
20

61,27
21

59,44
22

60,38
22

52,04
19

56,60
21

55,6
21

48,1
18

DC/PPI Unione Autonomista1

10,78
2

13,72
3

14,35
3

14,61
3

13,52
3

14,40
4

14,08
5

10,79
4

9,55
3

9,07
3

4,43
2

2,7
1

3,7
1

PSI2

4,99
1

5,75
1

5,62
1

5,90
1

5,38
1

7,18
2

5,64
2

3,35
1

3,91
1

4,03
1

PCI/PDS, Pace e diritti/PD3

3,96
1

3,07
1

2,18
1

3,14
1

3,68
1

5,97
1

5,69
2

7,04
3

5,61
2

3,01
1

2,94
1

3,5
1

3,8
1

6,0
2

PSDI4

3,46
1

4,03
1

3,64
1

3,82
1

3,44
1

2,29
1

PSLI

3,08
1

PLI5

2,47
1

2,58
1

MSI/AN6

2,94
1

4,78
1

6,02
1

7,09
1

6,22
1

4,86
1

4,02
1

2,92
1

5,88
2

10,29
4

11,64
4

9,7
3

8,4
3

THP

2,40
1

SFP

1,71
1

SPS

5,14
2

2,22
1

Grüne-Verdi-Vërc7

3,65
1

4,52
2

6,72
2

6,92
2

6,5
2

7,9
3

5,8
2

PDU/FPS8

1,33
1

2,44
1

1,35
1

PRI9

2,06
1

UfS10

2,54
1

2,29
1

4,80
2

5,5
2

6,8
2

2,3
1

Freiheitliche

6,06
2

2,5
1

5,0
2

14,3
5

Lega Nord

2,96
1

2,1
1

Ladins11

1,97
1

3,6
1

UCAA

1,74
1

Unitalia

1,8
1

1,5
1

1,9
1

Lista Civica Forza Italia12

3,7
1

3,4
1

Il Centro-UDA13

1,8
1

Süd-Tiroler Freiheit14

4,9
2

Popolo della Libertà15

8,3
1

Quelle: Pallaver 2004, S. 107; Atz/Pallaver 2009, S. 115

Abkürzungsverzeichnis:

SVP: Südtiroler Volkspartei; DC: Democrazia Cristiana; PPAA: Partito Popolare dell’Alto Adige; PSI: Partito Socialista Italiano; PCI: Partito Comunista Italiano; PDS: Partito Democratico della Sinistra; PD: Partito Democratico; PSDI: Partito Socialista Democratico Italiano; PSLI: Partito Socialista Lavoratori Italiani; MSI: Movimento Sociale Italiano; AN: Alleanza Nazionale; THP: Tiroler Heimatpartei; SFP: Soziale Fortschritts­partei; SPS: Sozialdemokratische Partei Südtirols; PDU: Partei der Unabhängigen; FPS: Freiheitliche Partei Südtirols; PRI: Partito Repubblicano Italiano; UfS: Union für Südtirol; LN: Lega Nord; UCAA: Unione di Centro Alto Adige; Il Centro UDA: Unione Democratica dell’Alto Adige,

Erläuterungen:

1 1993 hat die DC als Partito Popolare Alto Adige kandidiert, 1998 als Popolari-Alto Adige Domani, 2003 kandidierten vier Zentrumsparteien als Unione Autonomista; diese hat sich nach den Landtagswahlen gespalten. Der einzige Abgeordnete der Unione hat die Partei Il Centro gegründet. Eine der direkten Nachfolgeparteien des Partito Popolare war die Margherita, die 2007 mit den Democratici di Sinistra fusioniert hat und 2008 bei den Landtagswahlen als Partito Democratico angetreten ist.

2 1968 hatte der PSI mit dem PSDI ein Wahlbündnis geschlossen; 1998 haben die Socialisti Italiani (SI) in einem Wahlbündnis mit den Democratici di Sinistra und dem Partito Repubblicano kandidiert.

3 1993 hat der PCI als Partito Democratico della Sinistra kandidiert, 1998 als Progetto Centrosinistra, ein Wahlbündnis zwischen PDS/Democratici di Sinistra, Partito Repubblicano, Socialisti Italiani. Nach der Fusion mit der Margherita (2007) kandidierte die ehemalige postkommunistische Linke als Partito Democratico/Demokratische Partei.

4 Der PSDI hat 1968 zusammen mit dem PSI kandidiert.

5 1998 haben I Liberali gemeinsam mit Alleanza Nazionale kandidiert.

6 1998 kandidierte der MSI als Alleanza Nazionale. 2008 kandidierten AN und FI als Popolo della Libertà.

7 1978 kandidierte die Bewegung Neue Linke/Nuova Sinistra, 1983 als Alternative Liste für das andere Südtirol/Lista Alternativa per l’altro Sudtirolo-pesc, 1988 als Grün-Alternative Liste/Lista Verde Alternativi, ab 1993 als Verdi-Grüne-Vërc. 2003 verlässt eine Landtagsabgeordnete die Grünen und bildet die Landtagsfraktion „Umwelt und Rechte/Ambiente e diritti“. 2008 kandidieren die Grünen gemeinsam mit den Bürgerlisten/Civiche.

8 Die Partei der Unabhängigen kandidierte 1988 als Freiheitliche Partei Südtirols.

9 Der Partito Repubblicano kandidierte 1998 gemeinsam mit den Democratici di Sinistra und den Socialisti Italiani.

10 1983 kandidierte der Wahlverband des Heimatbundes (WdH), 1988 der Südtiroler Heimatbund, 1993 die Union für Südtirol.

11 1998 kandidierten die Ladins mit der Demokratischen Partei Südtirols.

12 Neben Vertretern der Zivilgesellschaft kandidierte unter diesem Namen Forza Italia (FI) und der Centro Cristiano Democratico (CCD). 2008 kandidierte FI gemeinsam mit AN unter dem Listenzeichen Popolo della Libertà.

13 Die Partei Il Centro-Unione Democratica dell’Alto Adige entsteht aus einer Spaltung des PPI in Südtirol und steht der gesamtstaatlichen Partei CDU nahe, die 2002 mit dem CCD die Unione di Centro (UdC) gegründet hat.

14 2007 spaltete sich die Union für Südtirol, worauf es zur Gründung der Süd-Tiroler Freiheit kam.

15 Alleanza Nazionale und Forza Italiana kandidierten 2008 als Popolo della Libertà. Am letzten Märzwochenende 2009 kam es in Rom zur Fusion beider Parteien.

Auch wenn es von gesamtstaatlichen Parteisymbolen abweichende Listenzeichen gab, so steckten dahinter immer gesamtstaatliche Parteien. So haben sich etwa 2003 in der Liste Pace e Diritti drei linke Parteien (DS, SI, Rifondazione Comunista) zu einem Wahlbündnis zusammengeschlossen, in der Liste Unione Autonomista vier gesamtstaatliche Zentrumsparteien. In der Liste Sinistra dell’Alto Adige/Linke für Südtirol waren 2008 Rifondazione Comunista, Partito Socialista und Sinistra Democratica vereint.

5. Parteiensystem und Anzahl der Parteien

Wenn wir von der Systematik Sartoris ausgehen, so müssen wir bei Parteiensystemen zwischen einem einfachen Pluralismus (bipolar), einem gemäßigten Pluralismus und einem polarisierten Pluralismus unterscheiden.

Tabelle 5: Typologie der Parteiensysteme und Analysekriterien

Parteiensystem/Fragmentierung

Pole

Polarisierungsgrad

Dynamik

einfacher Pluralismus

bipolar

null (nicht polarisiert)

zentripetal

gemäßigter Pluralismus

bipolar

gering

zentripetal

extremer Pluralismus

multipolar

stark (polarisiert)

zentrifugal

Quelle: Sartori 1982, 8

Sartori geht nicht von der Anzahl der Parteien aus, sondern von den Polen, den eigentlichen Angelpunkten des Parteiensystems. Wenn deshalb von Bipolarität gesprochen wird, wird darunter ein Parteiensystem verstanden, das sich auf zwei Pole gründet, unabhängig davon, ob wir es mit zwei, drei oder vier Parteien zu tun haben. In einem solchen Falle hat das Parteiensystem kein Zentrum, basiert also nicht auf einem zentralen Pol. Multipolar bedeutet, dass das Parteiensystem auf mehr als zwei Polen basiert. In diesem Falle hat das Parteiensystem auch ein Zentrum.

Neben der Anzahl der Pole ist auch die Distanz zwischen diesen relevant. Wenn die politischen Meinungen extrem sind, wenn also die beiden äußeren Pole sich entgegengesetzt gegenüberstehen, sprechen wir von einem polarisierten System. Das heißt: Wie weit befinden sich Parteien ideologisch von einer gedachten Mitte entfernt? Dies bedeutet die Abwesenheit von einem Grundkonsens, hier verstanden als eine Konvergenz der Werteeinstellungen, Orientierungen und Verhaltensweisen einer Gesellschaft (Almond/Verba 1963).

Schließlich muss auch noch die Mechanik, die Dynamik in Betracht gezogen werden, in welche Richtung sich Parteiensysteme bewegen, die Schubkraft, von der die kompetitive Dynamik eines Parteiensystems geprägt ist. Die bipolaren Parteiensysteme tendieren in Richtung Zentrum und sind somit zentripetal. Die multipolaren (polarisierten) Parteiensysteme tendieren hingegen auseinanderzudriften, sind somit zentrifugal. Sie haben ein Zentrum, sind aber weniger durch das Zentrum als vielmehr durch zentrifugale Tendenzen an den Flügeln gekennzeichnet. Wenn sich ein politisches System zentrifugal entwickelt, so überwiegt die Polarisierung gegenüber der Depolarisierung. Das System ist von einer extremen Politik geprägt. Wenn das System zentripetal ist, ist es hingegen durch eine gemäßigte Politik charakterisiert.

Wir kommen zu der Frage, ob Südtirols Parteiensystem in die Kategorie eines gemäßigten oder eines polarisierten Vielparteiensystems fällt. Dazu müssen wir die Anzahl der Pole feststellen sowie deren ideologische Distanz zueinander. Auf den ersten Blick kann Südtirols Parteiensystem als gemäßigtes Vielparteiensystem angesehen werden. Die SVP stellt das große Zentrum dar, rechts von ihr finden wir die italienische (Unitalia, PdL) und deutsche Rechte (Freiheitliche, Union für Südtirol, Süd-Tiroler Freiheit), die zur Volkspartei eine unterschiedlich große ideologische Distanz aufweisen.

Links von der Volkspartei finden wir die Demokratische Partei sowie die inter­ethni­schen Grünen-Verdi-Vërc. Beide weisen eine geringere ideologische Distanz zur SVP auf als die rechten Parteien. Alle drei Parteien (SVP, PD, Grüne) bilden den zentralen Pol. Unter diesen Gesichtspunkten müssten wir von einem gemäßigten bipolaren Parteiensystem sprechen, denn alle Parteien akzeptieren das demokratische System und sind, zumindest im Sinne einer elektoralen Demokratie, Systemparteien (Diamond/Plattner 2001).

Aufgrund des ethnischen cleavage muss die Anzahl der Pole aber in einem anderen Licht betrachtet werden. Wir ziehen deshalb anstelle der ideologischen Distanz die Nähe bzw. die Entfernung der Parteien zur Autonomie als Gradmesser der Polarisierung heran.

Eine eindeutige Befürworterin der Autonomie ist die SVP, die im Wesentlichen den status quo beibehalten und die Autonomie noch weiter ausbauen will. Wir können sie deshalb als Autonomiepartei bezeichnen. Aber auch die Demokratische Partei und die Grünen-Verdi-Vërc sind Autonomieparteien, auch wenn diese beiden Parteien, die eine mehr (Grüne), die andere weniger (DP), die Autonomie in einigen (wesentlichen) Punkten ändern wollen (Proporz, ethnische Trennung usw.). Für diese Parteien gibt es keine Alternative zur Autonomie, aber sie wollen sie reformieren. Wir nennen sie deshalb Autonomie-Reformparteien.

Im Gegensatz zu diesen beiden Parteien gibt es für die deutschen Oppositionsparteien, in erster Linie für die Süd-Tiroler Freiheit, aber auch für die Union für Südtirol (mehr) und für die Freiheitlichen (weniger), sehr wohl eine Alternative zur Autonomie. Für diese Parteien bleibt die Forderung nach Selbstbestimmung im Sinne der Sezession von Italien mit den Varianten Freistaat oder zurück zu Österreich aufrecht. Sie setzen deshalb weniger auf die Reform der Autonomie als vielmehr auf die Änderung der staatsrechtlichen Zugehörigkeit. Sie können deshalb als Semi-Autonomieparteien bezeichnet werden.

Dieselben Argumente gelten für die italienischen Parteien. Der neu gegründete Popolo della Libertà akzeptiert die Autonomie, wenn auch nicht in allen Bereichen, will sie aber in einem zentralstaatlichen Sinne ändern, also wieder eine stärkere Kontrolle des Zentralstaates einführen. Unitalia lehnt hingegen die Autonomie als ethnischen Anachronismus ab. Die beiden ersten Parteien können als Semi-Autonomieparteien, Unitalia als Anti-Autonomiepartei bezeichnet werden.

Wenn wir also nicht von der ideologischen Distanz zwischen den einzelnen Polen, sondern von ihrer Distanz zur Autonomie ausgehen, so können wir von einem polarisierten Vielparteiensystem sprechen.

An den extremen anti-autonomiepolitischen Polen finden wir auf italienischer Seite Unitalia, auf deutscher Seite die Süd-Tiroler Freiheit. Beide lehnen die Autonomie ab, Unitalia mit der Forderung nach Wiederherstellung der Macht des Zentralstaates, die Süd-Tiroler Freiheit mit der Forderung nach Selbstbestimmung (Sezession). Als Semi-Autonomieparteien gelten auf deutscher Seite die Union für Südtirol und die Freiheitlichen, die die zentralen Errungenschaften der Autonomie zwar akzeptieren, die Selbstbestimmung aber nicht ausschließen möchten. Auf italienischer Seite finden wir den PdL und die Lega Nord. Die Lega Nord war in den Wahlkampf 2008 mit der Forderung nach einem Freistaat gezogen, der PdL ruft wie Unitalia nach mehr Zentralstaat, aber im Unterschied zur Partei der extremen Rechten akzeptieren Teile des PdL die Errungenschaften der Autonomie.

Abbildung 1: Konzentrische Disposition des Südtiroler Parteiensystems 2008

Den zentralen Pol besetzt die Autonomiepartei SVP. Die Demokratische Partei und die Grünen-Verdi-Vërc bilden die Autonomie-Reformparteien.

Der Zentrumspol setzt sich nur aus der deutschen SVP zusammen, in der Vergangenheit war hier auch immer eine italienische Zentrumspartei präsent. Die Autonomie-Reformparteien setzen sich aus einer italienischen (PD) und einer inter­ethni­schen Partei (Grüne-Verdi-Vërc) zusammen. PD und Grüne zählen sich zum Mitte-links-Block. Die Anti- und Semi-Autonomieparteien setzen sich aus zwei italienischen (Pdl, LN), und zwei deutschen Parteien zusammen (Union für Südtirol, Freiheitliche) und befinden sich allesamt auf dem rechten Flügel des Südtiroler Parteiensystems.

Die Autonomieparteien und die Autonomie-Reformparteien gehören dem Mitte-links-Lager an, die Anti- und Semi-Autonomieparteien dem Mitte-rechts-Lager. Schon diese Einordnung der einzelnen Parteien ist aussagekräftig. Denn die substanzielle Verwirklichung der Südtiroler Autonomie geht auf die Politik von Mitte-links-Regierungen (Centro-Sinistra) in Italien zurück. Mitte-rechts-Regierungen haben zum Wachsen der Autonomie und zum Minderheitenschutz kaum etwas beigetragen (Vgl. Sleiter 1999).

6. Die Dynamik des Parteiensystems

Die Frage, ob Wahlen in der politischen Mitte oder an den extremen Flügeln gewonnen werden, weist auf die Mechanik des Parteiensystems hin. In welche Richtung bewegt sich nun Südtirols Parteiensystem? Ist es ein zentrifugales oder ein zentripetales? Wenn wir die Landtagswahlen in der Zeit der Zweiten Republik von 1998 bis 2008 ansehen, so können wir eine zentrifugale Tendenz feststellen. Wir beziehen in den Vergleich aber auch noch die Landtagswahlen von 1993 mit ein, weil sich damals zwar die italienischen Parteien noch unter ihren traditionellen Parteizeichen zur Wahl präsentiert haben, die Implosion des italienischen Parteiensystems aber bereits ihren Lauf genommen hatte.

1993 konnten die im Landtag vertretenen Autonomieparteien 61,17 Prozent der Stimmen auf sich vereinen, 1998 waren es 61,10 Prozent und 2003 nur mehr 59,3 Prozent. Und 2008 sank dieser WählerInnenkonsens auf 48,1 Prozent Das entspricht einem Minus von 13,67 Prozent. Umgekehrt die Semi- und Anti-Autonomieparteien: 1993 lagen diese bei 22,5 Prozent, 2003 bei 25,1 Prozent, 2008 bereits bei 33,8 Prozent, was einer Steigerung von 11,3 Prozent entspricht.

Die Autonomie-Reformparteien blieben zwischen 1993 und 2008 im Wesentlichen gleich (–0,1 Prozent). Dies zeigt uns, dass sich das Südtiroler Parteiensystem kontinuierlich hin zu den extremeren Polen bewegt. Besonders deutlich wird dieser Trend, wenn wir etwa die Landtagswahlen von 2008 mit jenen von 1988 vergleichen. Damals kamen die Autonomieparteien SVP, DC und PSI auf 73,48 Prozent. Wenn man den PCI/KPI dazuzählt, der damals ebenfalls eine autonomiepolitische Linie fuhr, die von jener der SVP nicht weit entfernt war, so kommen wir auf insgesamt 76,49 Prozent. Zwei Drittel der im Landtag vertretenen Parteien waren rund um den autonomiepolitischen Pol angesiedelt, während die Anti- und Semi-Autonomieparteien MSI-DN und Südtiroler Heimatbund lediglich auf 12,58 Prozent kamen.

Tabelle 6: Zentrifugales Wahlverhalten (Angaben in Prozent der gültigen Stimmen)

Jahr

Autonomieparteien

Autonomie-Reformparteien

Semi- und Anti-
Autonomieparteien

1993

61,7
SVP, DC/PPI, Lega Nord, Unione di Centro

11,9
Grüne-Verdi-Vërc,
Ladins, PDS

22,5
MSI, Freiheitliche, Union

1998

61,1
SVP, Popolari, Il Centro UDA

13,6
Grüne-Verdi-Vërc, Ladins,
PDS
Progetto Centrosinistra

23,2
AN-I Liberali, Union,
Lista Civica/FI,
Freiheitliche, Unitalia

2003

59,3
SVP, Unione Autonomista

11,7
Grüne-Verdi-Vërc,
Pace e Diritti

25,1
AN, Union, FI, Freiheitliche,
Unitalia

2008

48,1
SVP

11,8
Grüne-Verdi-Vërc, PD

33,8
PdL, Freiheitliche, Süd-Tiroler Freiheit, Union, LN, Unitalia

Quelle: Pallaver 2004 und Atz/Pallaver 2009, 123. Der Berechnung liegen die Ergebnisse der Landtags­wahlen zugrunde. Allerdings wurden jene Parteien, die kandidiert haben, aber den Einzug in den Landtag nicht geschafft haben, als für das Parteiensystem nicht relevante Parteien nicht berücksichtigt.

Einen leichten Trend hin zu den extremen Polen weisen die im Landtag vertretenen italienischen Parteien auf. 1993 vertraten die Anti- und Semi-Autonomieparteien 11,6 Prozent der Wähler, 2008 konnten sie sich auf 12,3 Prozent steigern, mit einem Höchststand 2003 von 13,3 Prozent (+0,7 Prozent). Die deutschen Parteien verzeichneten dank der Wahlen von 2008 einen bedeutend stärkeren Trend. Sie legten von 10,86 Prozent im Jahre 1993 auf 21,5 Prozent im Jahre 2008 zu, womit sie ihren Anteil verdoppeln konnten.

Ebenfalls als historische Zäsur kann der Umstand gewertet werden, dass erstmals in der Nachkriegsgeschichte Südtirols keine italienische Zentrumspartei im Landtag vertreten ist. Der zentrifugale Trend im Südtiroler Parteiensystem, aber auch in der italienischen Wahlarena hat dazu geführt, dass zwei von drei politischen Zentrumsparteien bei den Landtagswahlen 2008 zwar angetreten sind, aber den Einzug in den Landtag nicht geschafft haben. Derzeit weist Südtirols Parteiensystem also eine zentrifugale Dynamik auf, die sich zwar sehr langsam, aber immerhin konstant in Richtung der autonomiepolitisch extremeren Pole bewegt. Unter der Hypothese, dass dieser Trend anhält, würde dies bedeuten, dass langfristig das Spannungsverhältnis zwischen den extremeren Flügeln des Systems, den Anti- und Semi-Autonomieparteien und den (statischen) Autonomieparteien immer größer wird. Das Risiko dabei wäre, dass es früher oder später zu einer immer stärkeren Zerreißprobe zwischen dem autonomiepolitischen Zentrumspol und den extremeren Polen käme. Die letzte Konsequenz wäre, dass das Autonomiesystem irgendeinmal auseinanderbrechen würde. Dass dies nicht so kommen muss, hängt von der SVP und den Autonomie-Reformparteien ab. Letztere können dank ihres Koalitionserpressungs- und institutionellen Potenzials die derzeit demokratisch-hegemonische Partei SVP motivieren, autonomiepolitische Reformen durchzuführen, die für die extremen Pole den Wählerkonsens schmälern würden.

7. Schlussbetrachtung

Die Wahlergebnisse bestätigen die zentrifugale Dynamik des Südtiroler Parteiensystems. Die extremeren Parteien, die in unserem Modell nicht ideologisch, sondern autonomiepolitisch definiert werden, haben in der letzten Dekade stimmenmäßig zugenommen. Sollte dieser Trend anhalten, ist das politische Konkordanzsystem in Südtirol gefährdet (Pallaver 2008). Die Auswirkungen dieser zentrifugalen Tendenz zeigt sich recht augenscheinlich in der Forderung nach Selbstbestimmung der deutschsprachigen Oppositionsparteien und in der Reaktion der Mitte-rechts-Parteien. In beiden Fällen gewinnt der Nationalismus wieder zunehmend an Boden.

Der Trend kann sich aber auch ändern. Anti- und Semi-Autonomieparteien können durchaus eine Entwicklung hin zum Zentrum nehmen, wie dies vormals bei der Anti-Autonomiepartei MSI der Fall war. Würde der Popolo della Libertà seinen derzeitigen autonomiepolitischen Kurs ändern, wie dies eine Minderheit innerhalb der Partei versucht, so würden sich für die SVP neue Koalitionsoptionen eröffnen. Die politisch und autonomiepolitisch vorgezeichnete Koalition mit den italienischen Mitte-links-Parteien (die derzeit auf eine zusammengeschrumpft sind), würde auch eine Koalitionsoption mit den italienischen Mitte-rechts-Parteien eröffnen. Trotz der geänderten politischen Kommunikation über die getrennten Wahlarenen hinaus haben die Landtagswahlen 2008 aber wieder gezeigt, dass das Wahlverhalten nach wie vor stark ethnisch determiniert ist. An der ethnischen Logik der Parteien und des Parteiensystems wird sich deshalb kurz- bis mittelfristig nicht viel ändern.

Literaturverzeichnis

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Abstracts

I partiti e il sistema
dei partiti in Sudtirolo

Il panorama partitico-politico in provincia di Bolzano rispecchia la frattura fondamentale della società e cioè il cleavage etnico, che è trasversale rispetto alle altre divisioni. Lungo questa spaccatura si sono sviluppati partiti il cui raggio d’azione non spazia in tutta l’arena elettorale, ma si limita alla propria subarena. Ciò fa si che la competizione politica sia di molto ridotta, in quanto ha luogo soltanto fra i partiti di ciascuna subcultura etnica, e non fra partiti appartenenti a subculture etniche diverse. Nelle elezioni provinciali del 2008 sempre più partiti hanno tentato di ampliare la competizione politica a gruppi al di fuori della propria arena elettorale, ed alcuni si sono presentati come partiti interetnici. Nel presente contributo si cerca dunque di indicare i criteri secondo i quali i partiti possono essere definiti come etnici oppure interetnici, come pure di approfondire lo sviluppo del sistema dei partiti. A questo proposito si nota un tendenza centrifuga, in base alla quale, a partire dalle elezioni del 1993, il consenso verso i partiti autonomisti diminuisce sempre più, quello verso i partiti riformisti-autonomisti ristagna, mentre invece aumenta il supporto ai partiti anti-autonomisti o semi-autonomisti.

Le sistem di partis de Südtirol y i partis

Le sistem di partis de Südtirol respidlëia na ligna de fratöra fondamentala dla sozieté, plü avisa le cleavage etnich che mët dötes les atres lignes de fratöra insuralater. Dlungia chësta ligna de fratöra él gnü sö partis etnics che ne agësc nia te döta l’arena litala, mo tles subarenes etniches corespognëntes. Cun chësc vëgn le concurs politich dassënn smendrì, deache al sozed danter i partis de so c´iamp etnich, mo nia danter i partis de dötes les subarenes. En gaujiun dles lîtes provinziales 2008 à tres deplü partis porvè da slarié fora le concurs sura i grups linguistics fora, n valgügn s’à presentè sciöche partis interetnics. Te chësc articul vëgnel porchël ejaminé do c´i criters che an po definì partis etnics y interetnics. Dlungia vëgnel ejaminé le svilup dl sistem di partis. Tl edl dà la formaziun zentrifugala, dal momënt che do les lîtes provinziales dl 1993 vëgn le consëns dles litadësses y di litadus di partis por l’autonomia tres mënder, chël di partis por la reforma dl autonomia s’astagna y le consëns por i partis anti- y semiautonomisc´ crësc.

Party system and parties in South Tyrol

The South Tyrolean party system displays a main social dividing line, the ethnic cleavage, which overlays all other political cleavages. Along this dividing line there have developed ethnic parties which do not operate in the entire electoral arena but in their respective ethnic subarenas. Because of that, political competition is highly reduced, since it evolves only between the parties in each ethnic camp but not between parties of all subarenas. On the occasion of the election for the provincial parliament in 2008 more and more parties tried to expand their competition cross-linguistically, others presented themselves as interethnic parties. The article will thus examine according to which criteria ethnic and interethnic parties can be defined. In addition, the development of the party system will be examined. In the course of this a centrifugal development will become noticeable, particularly as voter consent for pro-autonomy parties has been decreasing since the elections for the 1993 provincial parliament, causing pro-autonomy reform parties to stagnate and boosting anti- and semi-autonomy parties.