Suchbegriff eingeben...

Inserire il termine di ricerca...

Enter search term...

Georg Grote

Irland und die Südtirolfrage vor den Vereinten Nationen, 1960

„The cause of nationality is sacred, in Asia and in Africa as in Ireland“

Ireland and the South Tyrol question at the United Nations, 1960

„The cause of nationality is sacred, in Asia and in Africa as in Ireland”

Abstract The United Nation’s debate on the South Tyrol issue in 1959/60 marks one of the major turning points in the province’s troubled history towards the autonomy of 1972. Existing historiography largely overlooks the role the young Irish Republic and its skilled diplomats played in the success for Austria that was Resolution 1497 (XV) dated October 31, 1960. This article investigates the Irish motivation for getting involved in an issue seemingly far removed from its own national interests, and it analyses in detail the negotiators’ strategies involving many newly independent African and other non-aligned states in drafting the resolution. Linking the South Tyrol case closely to their own recent colonial history and the ensuing struggle for independence from the United Kingdom, the Irish were instrumental in countermanding the dominance of super-powers such as the USA and blocs like the emerging European ­Economic Community in 1960 in order to give voice to grievances affecting smaller member states.

1. Einleitung

Die Befassung der Vereinten Nationen mit der Südtirolfrage 1960 stellt zweifellos einen wesentlichen Wendepunkt der Geschichte Südtirols dar. Mit der Verabschiedung der Resolution 1497 im Jahre 1960 wurde das Schicksal der deutschsprachigen Minderheit in Italien aus dem rein nationalen Kontext Italiens herausgelöst und – zumindest bis zum Bau der Berliner Mauer im August 1961 – ins Licht des internationalen Interesses gerückt. Deren Schutz in Südtirol war hernach keine rein italienische Angelegenheit mehr, sondern wurde im multilateralen Kontext verhandelt. „Die Internationalisierung der Südtirolfrage war zweifelsohne der maßgebliche Anstoß für die nun folgenden und letztendlich auch erfolgreichen Problemlösungsbemühungen auf europäischer und innerstaatlicher Ebene“ (von Egen 1997, 68).

Die Frustrationen unter den deutschsprachigen Südtirolern und Südtirolerinnen, die sich aufgrund der fehlenden Implementierung des Vertrages von 1946, bzw. des darauf folgenden Autonomiestatuts von 1948, aufgestaut hatte (vgl. Woller 2010, 301), begannen sich indes bereits in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre gewaltsam zu entladen. Südtirol steuerte darauf hin, ein Unruheherd im Zentrum ­Europas zu werden. Dies zu einer Zeit, als sich der Kalte Krieg in Europa und in der Welt verfestigte und niemand im westlichen Bündnissystem NATO sich ein desta­bilisiertes Italien inmitten des westlichen Lagers wünschen konnte. Österreich, erst seit 1955 außenpolitisch wieder handlungsfähig, sah sich gezwungen, zu intervenieren.

2. Die existierende Historiographie

In der Südtiroler Historiographie hat sich in groben Zügen ein Diskurs etabliert, in dem das Vorbringen der Südtirolfrage vor den Vereinten Nationen (UNO) im Jahre 1960 folgendermaßen umrissen wird: Die späten 1950er Jahre werden von einer Abfolge frustrierender Gesprächsrunden zwischen Italien und Österreich in Bezug auf die Südtirolfrage charakterisiert (vgl. Othmerding 1984; von Egen 1997). Der österreichische Kanzler Leopold Figl wollte das Thema bereits zum zehnjährigen Jubi­läum des Europarates in Straßburg am 20. April 1959 anschneiden – und somit inter­nationalisieren –, doch sowohl der italienische Abgeordnete Roberto Lucifero D’Apriligliano als auch der belgische Vorsitzende intervenierten, woraufhin Figl den kontroversen Passus in seiner Rede überging und Straßburg unter Protest verließ, wie Rudolf Lill ausführte:

„Bei der Gedenksitzung der Beratenden Versammlung des Europarates (zu dessen zehnjährigem Bestehen, Straßburg, 20. April 1959) wurde Außen­minister Figl auf Zuruf des Abgeordneten Roberto Lucifero (Monarchist) vom belgischen Präsidenten daran gehindert, den entsprechenden Passus seiner Rede (deren Text zuvor verteilt worden war), vorzutragen, weil der nicht zum Thema der Sitzung gehöre“ (Lill 2002, 289).

Rolf Steininger fasste die Stimmung bezüglich Südtirol seinerzeit folgendermaßen zusammen: „Österreich hatte damals bei den Westmächten beim Thema Südtirol keine Freunde. Man wollte keine Unruhe im Herzen Europas und schon gar keine Debatte über Minderheiten vor der UNO“ (Steininger 1997, 486). Rolf Steininger repräsentiert (bzw. hat entscheidend mitgeprägt) die vorherrschende Meinung, dass Bruno Kreisky der große politische Akteur war, dessen überragende taktische Durchsetzungsfähigkeit mehr oder weniger allein dazu führte, dass die Causa ­Südtirol vor der UNO landete. Diese Hagiographie der Person und Rolle Kreiskys ist durchaus verständlich, wird aber den historischen Gegebenheiten jener Periode nicht zur ­Gänze gerecht.

Laut Steininger setzte die Verhandlungsdelegation der Südtiroler Volkspartei den neuen österreichischen Außenminister Bruno Kreisky bei einem Gespräch am 1. August 1959 in Innsbruck unter Druck und verlangte die sofortige Befassung der Vereinten Nationen mit der Südtirolfrage, wobei österreichischerseits die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts für die Südtiroler und Südtirolerinnen gefordert werden sollte. Kreisky erwähnte das Thema daraufhin erstmalig vor der UNO am 21. September 1959. In der Folge wurden Geheimgespräche zwischen Italien und Österreich angesetzt, zu denen es allerdings nicht kam. Die österreichische Regierung beschloss daraufhin am 28. Juni 1960, das Thema „zum nächstmöglichen Zeitpunkt“ zur „konkreten Anrufung der Vereinten Nationen“ auf die Tagesordnung zu setzen, da es zu „keinem realen Fortschritt mit Italien“ gekommen war (Lill 2002, 289).

Weiterhin werden die Ereignisse und das diplomatische Tauziehen um die Südtirol Petition so dargestellt, als habe Bruno Kreisky das Heft in die Hand genommen und das Thema auf die Tagesordnung der Vereinten Nationen setzen lassen, woraufhin es nahezu problemlos zu Kreiskys epochalem Auftritt vor der UNO gekommen sei und „am 31. Oktober 1960 Bruno Kreisky vor der UNO eine Sternstunde für Südtirol prägte“ ­(Peterlini 2012, 178).

An diesem Plan habe er auch entgegen den Warnungen einiger anderer einflussreicher Länder festgehalten: So weist Rolf Steininger darauf hin, dass Großbritannien die Chancen der Befassung der Vollversammlung mit Südtirol als eher gering einstufte (vgl. Steininger 1997, 487). Es war also doch nicht so, dass der Fall Südtirol vor den Vereinten Nationen zunächst große Unterstützung bei den Mitgliedern der Organisation fand. Südtirol war eben nicht der Selbstläufer, mit dem man sich befassen wollte, weil in der UNO die Ungerechtigkeit, die Südtirol nach dem Ersten Weltkrieg widerfahren war, nur allzu bekannt war und es ein allgemeines Anliegen ­gewesen sei, dies so gut es ging zu revidieren. Der Weg zur Befassung der UNO war trotz Kreiskys Engagement doch eher holprig, wie Rudolf Lill ausführt: „Nach Überwindung erheblicher inhaltlicher und prozeduraler Hindernisse erreichte Österreich Mitte September beim UN-Lenkungsausschuss die Aufnahme seiner Forderung in die Tagesordnung; unter dem Titel „Der Status des deutschsprachigen Elements in der Provinz Bozen. Die Erfüllung des Pariser Abkommens vom 5. September 1946“. Seinen ursprünglichen Vorschlag, über „das Problem der österreichischen Minderheit in Italien “zu diskutieren, hatte Rom mit dem Argument zu Fall gebracht, daß es eine solche nicht gebe“ (Lill 2002, 295). Dennoch: „Schon die Tatsache, daß Südtirol in die Tagesordnung der UN-Vollversammlung aufgenommen wurde, daß diese nicht (wie von Italien angestrebt) ihre juristische, sondern die poli­tische Spezialkommission damit befaßte und daß dort eine gute Woche lang darüber debattiert wurde, waren gewichtige Erfolge Österreichs“ (Lill 2002, 295).

Damit konnte sich Österreich allerdings noch nicht zufriedengeben. Nun war man soweit gekommen, Südtirol im internationalen Kontext zu behandeln, und da sollte es auch konkrete Ergebnisse geben. „Kreisky witterte die Gefahr des mög­lichen Mißerfolgs seines zu weit reichenden Resolutionsentwurfs. Österreichs Diplomatie suchte daher nach einem Ausweg…“ (Gehler 2008, 296) in diesem Gre­mium, denn „eine diplomatische Niederlage hätte über Jahre Österreichs Ansehen beeinträchtigt“ (von Egen 1997, 74). Österreich warb daher um die Unterstützung kleinerer – blockfreier/non-aligned – Staaten. Mit ‚blockfrei‘ und ‚non-aligned‘ sind all jene Staaten gemeint, die seinerzeit weder in der NATO noch in der sich etab­lierenden Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und auch nicht im sowjetisch domi­nierten Ostblock organisiert waren und somit oft in Interessensblöcken vo­tierten. Franz Widmann beschrieb den weiteren Weg zum diplomatischen Erfolg folgendermaßen:

„Österreich bekam weiter Schützenhilfe kleiner Staaten. Zypern forderte für Südtirol eine Autonomie nach dem Muster von Sizilien oder dem ­französischsprechenden Aosta. Die wichtigste Rolle übernahm aber Irland, ein ebenfalls noch junger Staat. Kurt Waldheim hatte der Südtiroler ­Delegation Zugang zu einem Empfang für den irischen Präsidenten der UN-Generalversammlung Frederik Boland verschafft. Friedl Volgger konnte dort mit der Freundschaft zu einem hohen irischen Würdenträger in Rom aufwarten, Monsignore Hugh O’Flaherty…

Nach der Vorlage der italienischen Resolution meldete sich der irische Delegierte Conor Cruise O’Brien zu Wort. Er verlas den Text einer neuen Entschließung, die von nicht weniger als zehn Staaten unterschrieben war: Ceylon, Zypern, Ecuador, Ghana, Indien, Irak, Irland, Jordanien, Mexiko und Dänemark, einem bis dahin an der Seite Italiens gewähntem ­Nato-Land. Spontan setzten auch die Vertreter Kubas und Boliviens ihre Unterschrift unter den Text.

Das Papier lag schon am nächsten Tag vor. Es trug alle zwölf Unter­schriften des irischen Entwurfes, dazu aber auch jene der vier südamerikanischen Italien-Verbündeten und der Nato-Staaten Norwegen und ­Kanada. Mit dieser Resolution nahm die Uno (sic) zur Anwendung des Pariser Vertrages Stellung“ (Widmann 1998, 526), siehe Anhang.

Franz Widmann fasste den Vorgang wie folgt zusammen:

„Es war der Durchbruch. …Bruno Kreisky erklärte, daß der Text für Österreich annehmbar sei und dankte den Unterzeichnern für ihre ­Anstrengung. Italien hatte sich auch gegen diesen Entwurf zunächst mit Händen und Füßen gewehrt. Als aber Kanada unmissverständlich klar machte, auf jeden Fall für diese Resolution zu stimmen, lenkte Italien ein. Durch die Zustimmung zum Text konnte Italien sein Gesicht retten. Am 27. Oktober wurde die Entschließung im Sonderausschuß durch ­Handaufheben einstimmig gutgeheißen. Am 31. Oktober stand Südtirol für kurze Zeit wirklich im Mittelpunkt des Weltforums: Die Vollversammlung der Uno ratifizierte den Beschluß einstimmig per Akklamation“ ­(Widmann 1998, 528).

Dies war ein großer Erfolg für Österreich und für Südtirol, aber auch „ein nicht zu unterschätzender Erfolg der kleinen Staaten, deren Haltung entscheidend war für den Ausgang des UNO-Abenteuers“ (Steininger 1999, 250). In dieser Resolution

„wurde ebenfalls die Aufnahme bilateraler Verhandlungen vorgeschlagen. Entscheidend aber war, daß nicht die Überweisung an den Internationalen Gerichtshof allein, sondern alle in der Satzung der Vereinten Nationen vorgesehenen Lösungsmöglichkeiten im Falle eines Scheiterns direkter Verhandlungen in den Vordergrund gerückt wurden, nämlich die Sicherung der Rechte der Südtiroler Bevölkerung“ (Steininger 1999, 249).

Aus diesen Schilderungen wird deutlich, dass es nicht nur Kreiskys energischen Vorgehens und seines politischen Wagemutes bedurfte, das Thema Südtirol erfolgreich vor die Vereinten Nationen zu bringen, sondern auch die ebenso tatkräftige Unterstützung der kleinen Mitglieder vonnöten war, um die Thematik gegen die in Blöcken – vor allem der NATO – agierenden Großmächte durchzusetzen, zu denen auch Italien zählte. Es stellt sich die Frage, was insbesondere Irland dazu bewog, sich mit aller Kraft vor den ‚diplomatischen Karren‘ Österreichs zu spannen und äußerst aktiv an einer Problemlösung mitzuarbeiten. Ohne Irland wäre der diploma­tische Erfolg vor den Vereinten Nationen wohl alles andere als wahrscheinlich gewesen. Betrachten wir die Ereignisse des Herbstes 1960 also einmal aus irischer Perspektive.

3. Irland in den Vereinten Nationen

Im Jahre 1960 blickte die Republik Irland, die sich 1922 als Freistaat vom Vereinigten Königreich losgesagt hatte und 1949 zur Republik geworden war, bereits auf fünf Jahre Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen zurück. Irland war daher noch immer ein Newcomer in dieser Weltorganisation und suchte seine Rolle darin als kleiner und neutraler Staat. Auftritte in internationalen Foren hatten für den jungen Staat daher auch sowohl innenpolitische als auch außenpolitische Dimensionen. Die eigene Bevölkerung in Irland sollte in der Lage sein, aus ihrem Selbstverständnis globale Interventionen legitimieren zu können, um die Akzeptanz des Staates zu verstärken – ein wesentlicher Aspekt für das Überleben neuer Staaten (vgl. Grote 2009, 20ff).

Der irische Diplomat Noel Dorr beschreibt in seinem Buch Ireland at the United Nations. Memories of the Early Years die frühen Jahre der Mitgliedschaft Irlands in den Vereinten Nationen. Wikipedia erwähnt Noel Dorr als „the most admired Irish ­diplomat of his generation“. Er war darüberhinaus ein genauer Chronist der Ereignisse in der UNO im Allgemeinen und insbesondere des frühen irischen Engagements in den späten 1950er und frühen 60er Jahren. Er beschreibt die Position ­Irlands Anfang der 1960er Jahre treffend als „a small member state – respected, yes, but no colossus“ (Dorr 2010, 39). Trotz der periphären Rolle Irlands aber war sich die irische UN-Delegation der Kompetenz bewußt, die Irland in die UNO einbrachte:

„In an assembly such as this, Ireland as a new UN member state felt itself to be in something of a special position. It was a European state with friendly relations with its European neighbours. But its representatives at the UN thought of Ireland also as a submerged nation that had emerged to independence after a long struggle“ (Dorr 2010, 42).

Die irische Delegation bestand seinerzeit zum Großteil aus Diplomaten, die den irischen Kampf um Unabhängigkeit teils noch aktiv erlebt hatten und diese persön­lichen Erlebnisse zum charakterisierenden Ausgangspunkt der diplomatischen Bemühungen Irlands stilisierten.

So verwendete der irische Außenminister Frank Aikin in der Generaldebatte vom 6. Oktober 1960 einen Teil seiner Rede darauf, die Rolle des irischen Freiheitskampfes im damaligen Kontext darzustellen – eine historische Periode, in der es weder einen Völkerbund noch eine UNO gegeben hatte, bei denen die Iren um Unter­stützung hätten ansuchen können:

„In 1913 I became a volunteer in our national revolutionary army. We had few weapons. We armed ourselves largely with the weapons we captured. We fought elections as well as guerilla battles until we ­established our government, with the active support of three-fourths of our people… We had no international forum to appeal to, no United ­Nations to support our struggle for freedom“ (Dorr 2010, 49).

Die Existenz der Vereinten Nationen, fügte Aikin hinzu, würde bewaffnete Ausei­nandersetzungen zwischen den Völkern – wie eben der irische Kampf um Unab­hängigkeit – überflüssig machen. Die UNO stellte eine Option für die friedliche Bei­legung dieser Differenzen dar, und Streitparteien könnten sich an sie wenden. Allerdings habe die UNO die Verpflichtung, sich dieser Konflikte auch anzunehmen und auf sie zu reagieren (Dorr 2010, 50). Damit hatte Aikin den Grundpfeiler des irischen Verständnisses der Existenzberechtigung der Vereinten Nationen benannt: Die UNO hatte die Pflicht, sich um Völker zu kümmern, die nach Selbst­bestimmung strebten.

Neben der internationalen Anerkennung der irischen Unabhängigkeit in einer Periode, die der Gründung internationaler Organisationen vorausging, legten die Iren besonderen Wert darauf, die Souveränität des jungen Staates dauerhaft zu unter­mauern, indem sich Irland als vollwertiges Mitglied auch aktiv an den Pflichten der UNO beteiligte. Die irische Außenpolitik war ebenfalls von der Aufgabe geleitet, um internationale Anerkennung für die Existenz des irischen Staates zu werben und die Unabhängigkeit des irischen Staates zu behaupten:

„We need to ­remember, however, that at that time an independent Irish State had been in existence for only a generation. A central issue for ­successive Irish Governments over previous decades had been how best to consolidate the independence that had been achieved and gain ­international recognition for the State“ (Dorr 2010, 19).

Daher versuchte Irland von Anfang an, auch an den internationalen Aktivitäten der UNO teilzunehmen und scheute auch nicht davor zurück, eigene Truppen für UN-Friedens­einsätze zur Verfügung zu stellen:

„In 1958 Ireland sent unarmed officers of the Defence Forces to Lebanon. In 1960 Ireland contributed an armed military contingent to a full-scale peacekeeping force in the Congo“ (Dorr 2010, 64).

Diese Einsätze waren für die junge Republik mehr als nur reine Teilhabe in einem internationalen Gremium; die Entsendung von Truppen in den Libanon, vor allem aber in den Kongo, bedeutete eine klare Positionierung gegen imperiale Mächte und für nach staatlicher Selbstbestimmung strebende (ehemalige) Kolonien. Irland war im Selbstverständnis der irischen Delegierten

„in effect the first colony to shake off foreign domination in the twentieth century. When the opportunity ­arose they felt entitled to draw on that sense of Ireland’s own history to speak out strongly against colonialism and in favour of self-determination for other suppressed peoples“ (Dorr 2010, 39).

An diesem Punkt wäre zu erwähnen, dass sich die Vereinten Nationen in den späten 1950er Jahren in ihrer Komposition grundlegend anders präsentierten als heutzu­tage. Noel Dorr zeichnet das Bild einer wesentlich kleineren und lokal begrenzteren Organisation:

„A further notable difference between then and now was the virtual ­absence of sub-Saharan Africa from the General Assembly. The great wave of decolonization had not yet gathered force. When Ireland was admitted to the UN at the end of 1955, there were far fewer countries from the ­developing world in the organization than there are today. Much of Africa was still under European rule. Indeed, apart from South Africa, only two countries of sub-Saharan Africa, Ethiopia and Liberia, were UN members“ (Dorr 2010, 41).

Wenn Irland sich als ein Fürsprecher für die Belange junger und auch dekolo­nisierter Staaten sah – the cause of nationality is sacred, in Asia and in Africa as in Ireland‘ – ein Motto aus der Zeit Charles Stewart Parnells und seiner Irish ­Parliamentary Party in den 1880er Jahren, als dessen Mitglied Henry Harrison ­diesen allumfassenden Anspruch nationaler Selbstbestimmung dergestalt in Worte fasste – dann resultierte dies einerseits in einer herausragenden Vorreiterrolle ­Irlands für die Dekolonialisierung Afrikas im internationalen Diskurs. Andererseits aber konnte diese Advokatenrolle für die Unabhängigkeit junger Staaten zu Konflikten mit ehemaligen und noch existierenden europäischen Kolonialmächten führen, die noch immer an ihren Kolonien hingen und die gleichzeitig bedeutenden Einfluss auf die europäische Politik und die Entwicklung des europäischen Einigungswerkes sowie auf Finanz- und Wirtschaftsströme hatten, von denen das kleine Irland unmittelbar betroffen sein würde.

Somit mussten die Ereignisse des Herbstes 1960 zu einer besonderen Herausforderung für die irische Delegation werden.

4. Die Südtirolfrage aus irischer Sicht

Im Jahre 1960 war die österreichische Regierung bestrebt, die Südtirolfrage vor das Weltgremium zu bringen, um Bewegung in die festgefahrenen Gespräche mit Italien zu bringen. Noel Dorr beobachtete damals präzise, dass die Bereitschaft anderer Staaten, sich mit dieser Kleinigkeit im europäischen Kontext zu beschäftigen, extrem gering war (vgl. Dorr 2010, 186).

Die irische UNO-Delegation, zu der auch Außenminister Frank Aiken gehörte, sah nun die Möglichkeit, sich entlang der selbst gesteckten Ziele in der UNO zu profilieren, indem man Österreich beistand. Genau dies aber sorgte in Dublin für große Nervosität, da die irische Regierung bereits die Mitgliedschaft zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft avisierte und natürlich Italien durch eine Parteinahme für Österreich nicht vor den Kopf stoßen wollte. Italien konnte die EWG-Mitgliedschaft mit seinem Veto ablehnen. Irland hatte zuvor schon in der Algerienfrage sehr vorsichtig agiert, um Frankreich nicht zu brüskieren, denn auch Frankreich war ja eines der sehr einflussreichen sechs Gründungsmitglieder der EWG. Die irische Dele­gation war sich bewusst, dass es keinen Automatismus im Beitrittsansuchen zur EWG gab. Es galt, um die Gunst der sechs Gründungsmitglieder der EWG zu werben und möglichst keinen von ihnen zu verprellen.

„The balance tipped a little more towards prudence on certain matters once the Irish Government under (Taoiseach Seán) Lemass decided to ­apply for full membership of (the EEC) in 1961. It was by no means a ­foregone conclusion that Ireland would be accepted as an applicant … It was important therefore to maintain good relations with, and indeed to court, the six founding Member States of the EEC. The stance of the Irish delegation in New York on such issues as the Algerian struggle for ­independence from France, …became a matter of concern to Lemass, who feared that the result would be to antagonize a country that was ­crucial to the success of Ireland’s application for EEC membership“ (Dorr 2010, 185).

Insbesondere Taoiseach Seán Lemass setzte ganz auf Vorsicht und instruierte die irische UN-Delegation daher entsprechend, auch in der Südtirolfrage äußerste Vorsicht walten zu lassen.

Es gab seinerzeit große Unterschiede in der Herangehensweise an internationale Konflikte zwischen der taktischen Politik des Taoiseach Seán Lemass und seinem Außenminister Frank Aiken, der eher prinzipienorientiert agierte. Besondere Sorgen machte sich der irische Premierminister um ein Mitglied der Delegation namens ­Conor Cruise O’Brien:

„I recall also the very considerable nervousness in Dublin, which ­emanated ultimately I think from Lemass himself and filtered down, about the active role that Conor Cruise O’Brien played in New York over the South Tyrol / Alto Adige question at the 1960 General Assembly, a year before our EEC membership application“ (Dorr 2010, 185).

Conor Cruise O’Brien (1917 – 2008) war, wie der Journalist Finten O’Toole kürzlich beschrieb, „the foremost Irish intellectual“ (O’Toole 2021, 181) seiner Zeit. Noel Dorr beschreibt ihn als einen bedeutenden Autor, Historiker und Politiker, der Anfang der 1960er Jahre die irische UN-Delegation nachhaltig prägte und auf dem interna­tionalen Parkett sehr aktiv agierte.

„He was a distinguished writer, historian and later politician. As a middle-level official in the Department of External Affairs with the ear of the Minister, he was both a leading figure in the Irish Delegation and, later, a chronicler of what it achieved“ (Dorr 2010, 36).

Lemass’s Unruhe bezüglich O’Brien war hingegen nicht unbegründet, galt dieser doch als leidenschaftlich, unberechenbar und als „a notorious controversionalist“ (Fallon 2008). Dennoch war er ein begnadeter Diplomat, und er nahm sich der scheinbar unmöglichen Mission Österreichs nicht zuletzt auch deshalb an, da er auch eine politisch/ideologische Nähe zu Kreiskys sozialistischer Minderheiten­politik spürte. Als Vertreter einer für irische Politiker zu jener Zeit typischen anti-kolonialen Grundhaltung war O’Brien allerdings kein Marxist und auch kein So­zialist à la Bruno Kreisky, sondern sah im Kolonialismus „a modern form of racially premised domination promoted through ideas of the containment of ­communism“ (Callanan 2019). Dennoch aber waren sich Kreiskys und O’Briens Weltsicht an­gesichts der globalen Implikationen der Südtirolfrage sehr ähnlich, und auch ­Aiken teilte diese Sichtweise. Gleichzeitig spielte Aikin die Nervosität von ­Lemass in ­Dublin ostentativ herunter, um O’Brien größtmögliche Handlungsfreiheit zu ­geben:

„The Department in Dublin, as I recollect it, reflecting a measure of ­concern on the part of Lemass about possible offence to Italy, would have preferred Conor to hold back from too active an involvement in the issue. But, with the support of his minister, Frank Aiken, who was with him in New York, Conor continued. …He may perhaps not have been fully aware that some who counted at home, at the highest Government level, had been rather nervous“ (Dorr 2010, 186).

O’Brien war über die Südtirolsituation bereits gut informiert und hatte die wesent­lichen Hürden für Österreichs Initiative klar erkannt – Italiens Mitgliedschaft in der US-dominierten NATO:

„Austria had appealed to the UN in protest against what it regarded as the ill-treatment of the Austrians remaining in South Tyrol by the Italian government. This complaint was registered at the UN as ‚The Problem of Bolzano/Bozen‘. As Italy was an ally of the United States, and Austria was not, Italy looked to the Americans to ensure that Austria’s claim was rejected as contemptuously as possible, so that it might never be renewed before the General Assembly“ (O’Brien 1998, 195).

Diese schwierige diplomatische Situation, die wie ein aussichtsloser Kampf zwischen David und Goliath anmutete – kleine blockfreie Länder gegen mächtige multi­laterale Blöcke – erfüllte O’Brien mit umso größerer Energie und Optimismus, um eine Lösung zu finden:

„This looked quite feasible. This was the year – 1960 – of a large number of admissions of newly-independent African states. When the Americans took soundings with the new entry they found that the African states were disposed to be neutral concerning what they regarded as a purely inter-­European dispute. If the Africans stayed out, the Americans – though they could no longer be certain of an automatic two-thirds of those who voted – had a good chance of seeing off the Austrian complaint. Austrian’s friends were few, and NATO’s many“ (Dorr 1998, 195).

Bruno Kreiskys Rede vor den Vereinten Nationen hatte die Situation nicht einfacher gemacht, wie O’Brien beobachtete, und Österreich musste nun andere diplomatische Wege gehen, damit die Initiative nicht erfolglos endete:

„Bruno Kreisky, the Chancellor of Austria, came out to address the ­General Assembly on the Austrian resolution and met with a rather frigid response. Then Kurt Waldheim, Permanent Representative of Austria, approached me on the subject of the Austrian resolution. This was a simple proposition calling for a ‚friendly, just and neighbourly solution of the dispute‘, a formula used when the Assembly did not wish, or was not able, to take sides with either party. Austria’s hope was to avert the humiliation of a simple and curt rejection of the Austrian case – a rejection which the Italians, backed by the Americans, were seeking. … Waldheim wanted me to speak in favour of the Austrian proposition. He knew that the ­Republic of Ireland would be likely to want to be helpful in such a case“ (O’Brien 1998, 197).

Waldheim hatte richtig vermutet; Irland nahm sich unter Führung von Conor Cruise O’Brien der österreichischen Sache an und begann, einen Ausgleich zwischen drei zunächst scheinbar unvereinbar scheinenden Punkten zu suchen: a) dem österreichischen Ansinnen, sich für Südtirol einzusetzen durch die Internationalisierung des Problems, b) der irischen Mission, sich für Minderheiten und sich emanzipierende kollektive Identitäten einzusetzen und c) der Vorsicht, die es angesichts der zukünftigen Interessen Irlands in Bezug auf den EWG-Beitritt zu beachten galt.

Zunächst versicherte er sich der Unterstützung des irischen Außenministers. Dabei ging es insbesondere darum, die irische Position als amerikakritisch darzustellen, sich in Zeiten globaler Ost-West Polarisierung aber gleichzeitig völlig anti-kommunistisch zu positionieren.

„I confidently expected Frank Aiken’s support and I got it. This was an ­occasion on which Ireland’s capacity to resist American pressure could again be demonstrated. …Also, this time round, Aiken’s position in relation to the Austrian case could not possibly be interpreted as ­pro-communist, and would readily be understood at home“ (O’Brien 1998, 197).

Danach begann O’Brien mit seinen Sondierungen. Sein Vorgehen bestand darin, die für seine Strategie interessanten Delegationen und auch einzelne Mitglieder derselben in informellen Gesprächen von der Wichtigkeit des österreichischen Ansuchens für sie selbst zu überzeugen.

„The new African intake were all non-aligned and a reassertion of Ireland’s non-aligned position and demonstration of Ireland’s clout among the non-aligned would not come amiss“ (O’Brien 1998, 197).

Den Zeitgeist der kolonialen Emanzipation, in dem diese Delegationen an die UNO kamen, vermittelte O’Brien als ein Repräsentant eines Landes, das diese selbst erst kürzlich errungen hatte, sehr überzeugend. Er vermied darüber hinaus die große diplo­matische Bühne, um bei möglichen Rückschlägen mit einzelnen Delegationen bei der Paraphierung einer gemeinsamen Note möglichst flexibel reagieren zu können. Diese Vorgehensweise war letztlich der Schlüssel zum Erfolg:

„Conor was instrumental in helping it to get off the hook without too great a loss of face. This was done by way of a resolution that called for talks to achieve a ‚friendly solution‘“ (Dorr 2010, 186).

O’Brien gelang es, 17 Staaten hinter einer Resolution zur Unterstützung des österreichischen Ansinnens zu vereinen, die jenen Zielen genügte. Diese war zwar von Zypern aufgesetzt worden, doch war es die Tür-zu-Tür Diplomatie der Iren, und insbesondere O’Briens, dem es gelang, eben jene 17 Staaten zur Unterstützung zu bewegen. Die Liste der 17 reflektiert Irlands Politik, ehemalige Kolonien zu einem gemeinsamen Statement zu bewegen. Die „Resolution 1497 (XV) October 31, 1960“ basierte auf der Resolution, die die folgenden 17 Staaten am 27. Oktober verfasst hatten: Argentinien, Bolivien, Brasilien, Kanada, Ceylon, Zypern, Dänemark, ­Ecuador, Ghana, Indien, Irak, Irland, Jordanien, Mexiko, Norwegen, Paraguay, ­Uruguay.

Es gelang O’Brien und der irischen Delegation ebenfalls, die folgenden Staaten zur Unterstützung der Resolution in der Generalversammlung der Vereinten Nationen zu gewinnen. Auch hier konnten die Iren die gleichen Argumente ins Felde führen, da sie sich um Unterstützung Österreichs bei den gerade eben oder kürzlich dekolonisierten Ländern Afrikas bemühten: Madagaskar, Mauretanien, Mali, Tschad, Niger, Zentralafrikanische Republik, Kongo, Gabun, Kamerun, Nigeria, Dahomey, Togo, Obervolta (Burkina Faso), Elfenbeinküste (Ivory Coast), Senegal, Somalia (alle 1960) sowie Äthiopien (1941), Libyen (1951), Sudan, Marokko, Tunesien (1956), Ghana (1957) und Guinea (1958).

O’Briens Argumentation in diesen Einzelgesprächen mit den Delegationen, aber auch im Sonderausschuss, war ebenso schlüssig wie überzeugend und vermochte die Einzelinteressen der blockfreien Staaten mit denen Österreichs und Irlands zu verknüpfen, und somit den Erfolg der österreichischen Intervention für Südtirol zu ermöglichen:

„With the full support of all who counted in our delegation, I intervened in the debate with some confidence. The case I made was this: I understood that many of the countries which had just become members of the UN were disposed not to vote in what they regarded as a purely inter-European dispute. This was an understandable position, generally speaking, but I thought I could show that it was a mistaken one, in the actual circum­stances of the present case. The distinguishing feature of the dispute before the committee was not that it was a dispute between Europeans, but that it was a dispute between a member and a non-member of NATO. … To vote for the very moderate Austrian resolution was not a matter of sentiment for non-aligned countries, but one affecting their vital interests. Any non-­NATO country, at any time, might have a grievance against a NATO country which they would wish to raise in the General Assembly. The American-Italian position, against the Austrian resolution, was designed precisely to deny that right of appeal. It was in the common interest of all non-aligned countries – including Ireland as well as African countries – to ensure that the right of appeal was kept firmly open.

The African countries got the message more fully and quickly than even I had hoped. Delegation after delegation announced that they would vote for the Austrian resolution, for African reasons, which had now become clear to them. I learned about the impact of all this on the Italians from a colleague who was a member of our representation on the First Committee. One of the Italians on the Special arrived to report to his colleagues on the First what was going on following my intervention. By reason of alphabetical proximity, my Irish colleague was able to hear what the Italians were saying. The Italian from the Special reported to his colleagues, ‚It is Caporetto!‘ He was referring to the rout of the Italians by the Austrians towards the end of 1916. In any case, the American-Italian resolution was heavily defeated in the Special Committee, and the right of members to appeal to the Assembly was decisively vindicated“ (O’Brien 1998, 197).

5. Der diplomatische Erfolg

Der Text der Resolution 1497 selbst war dann letztlich gar nicht so revolutionär (siehe Anhang), sondern im Ton eher milde und hob besonders hervor, dass sich beide Staaten doch bitte um gut nachbarschaftliche Beziehungen und weitere Gespräche bemühen sollten, um die Problematik zu entschärfen. Aber, und das war das Wesentliche, die Südtirolfrage war nun vom Weltgremium UNO zur Kenntnis genommen worden und damit nicht mehr nur länger eine Sache der Innenpolitik Italiens. Entlang dieser Linie hatte Rom bis dato immer argumentiert.

Des Weiteren erhob diese Resolution das „Gentlemen’s agreement“ (Steininger 1997, 388) zwischen Alcide De Gasperi und Karl Gruber vom September 1946 – heute als Pariser Vertrag bekannt – nun auf die Ebene eines „international agreement“, also eine von der Völkergemeinschaft anerkannte Abmachung, und forderte die Einlösung der seinerzeit gemachten Versprechen der italienischen Regierung und Alcide De Gasperis ein. Das war wesentlich für Österreich, und gleichzeitig sehr unliebsam für Italien. Dies war auch den irischen Diplomaten in New York ­sofort klar, wie Noel Dorr bemerkte:

„Though this may seem innocuous enough, in this context it was helpful to Austria and, for that reason, less than welcome to ­Italy“ (Dorr 2010, 186).

Über die Signifikanz der Befassung der Vereinten Nationen mit der Südtirol­frage für den Fortgang des Disputs besteht heutzutage kein Zweifel mehr; die Resolution 1497 markiert einen jener Wendepunkte hin zum Autonomiestatut von 1972. Doch auch schon damals war Österreich der diplomatische Erfolg jener Mission sofort offensichtlich, und auch Italien erkannte die diplomatische Leistung Irlands letztlich an. So erfuhr Irlands Intervention in der Südtirolfrage eine Bestätigung von zunächst eher unerwarteter Seite, als sich nämlich im Spätherbst 1960 der italienische Außenminister Gaetano Martino mit der Bitte um Hilfe an die Iren wandte. Er bat sie, eine Kompromissresolution zu verfassen, eine, wie Dorr sie bezeichnete, eher blasse und farblose Note, die dann auch den ihr zugedachten Zweck erfüllte, nämlich den, dass die Südtirolfrage von nun an nicht mehr vor der UNO verhandelt wurde und an die beiden streitenden Parteien zurückverwiesen wurde. Diese wurde einstimmig von der Generalversammlung angenommen (Dorr 2010, 186), siehe Text der zweiten Resolution von 1961 im Anhang.

Irlands Ansatz war erfolgreich gewesen, und das Land hatte seine Rolle und das diplomatische Geschick seiner Delegation mit nachhaltigem Erfolg für die Deeskalation eines schwelenden Konfliktes einsetzen können. So war es wenig verwunderlich, dass auch Österreich Irland im Jahre 1961 noch einmal bat, das Thema ­Südtirol erneut vor die Vereinten Nationen zu bringen: als im Jahre 1961 die Situation in Südtirol mit der Feuernacht eskalierte, wandte sich Österreich direkt an die irische Delegation mit der Bitte, eine weitere Befassung der UNO mit der Thematik zu unterstützen. Dieses Mal waren sich Aiken und Lemass einig darin, dass für ­Österreich durch eine erneute Befassung der UNO eigentlich nichts weiter zu erreichen sei.

„Lemass, too, did not think it wise for Ireland to take an initiative on the issue and he told Aiken so. His prudence was understandable since he knew he would need Italy’s support for the application by Ireland for ­membership which he had submitted to the EEC two months previously“ (Dorr 2010, 186).

Zusammenfassung

Das irische Engagement für die Südtirolfrage vor der UNO zeigt zweierlei: einerseits, dass Irland seine – aufgrund der eigenen Geschichte selbst definierte – Rolle als Fürsprecher für die Selbstbestimmung kleiner Völker ernst nahm, und diese mit der den Iren eigenen ausgeprägten Neigung zu konstruktivem Dialog und nuanciertem diplomatischen Kompromiss zum Vorteil kleiner Völker auf der internationalen Bühne umzusetzen wusste.

Andererseits, die Befassung der UNO mit der Südtirolfrage kam eben nicht nur aufgrund des österreichischen Drängens darauf zustande, sondern erforderte intensive diplomatische Bemühungen hinter den offiziellen Kulissen. Sie konnte weniger aus dem Grund realisiert werden, weil die internationale Gemeinschaft das Unrecht anerkannte, dass Südtirol nach dem Ersten Weltkrieg Unrecht widerfahren war, sondern vielmehr, weil der Zeitpunkt der UNO-Befassung mit der Welle der globalen Entkolonialisierung und der Gründung neuer postkolonialer afrikanischer Staaten zusammenfiel und sowohl Österreich als auch Irland sich diesen Zeitgeist für das konkrete Fallbeispiel Südtirol zunutze machen konnten. Gleichzeitig vermochten diese ihr eigenes diplomatisches Gewicht – als kleine und neutrale Länder – innerhalb einer sich polarisierenden Weltgemeinschaft zu stärken.

Anhang: Die Südtirol Resolutionen

1. Die UNO Resolution 1497 (XV) 31. Oktober 1960

(Siehe beigefügtes Faksimile)

2. Text der zweiten Resolution von 1961

Resolution 1661 (XVI) vom 28. November 1961 (mit geringfügigen stilistischen Änderungen). Resolutionsentwurf A/SPC/L77/Rev. 1 & Add. 1 der Staaten: Argentinien, Chile, Griechenland, Guatemala, Indien, Indonesien, Irland, Jemen, Panama, Peru, Schweden, Uruguay, Vereinigte Arabische Republik und Zypern:

Die Generalversammlung,

Eingedenk ihrer Resolution 1497 (XV) vom 31. Oktober 1960,

Mit Genugtuung feststellend, dass zwischen den beiden betroffenen Parteien Verhandlungen stattfinden,

Ferner feststellend, dass der Streit bisher ungelöst geblieben ist,

Fordert die beiden betroffenen Parteien auf, weitere Anstrengungen zu unternehmen, um eine Lösung gemäß den Absätzen 1, 2 und 3 der erwähnten Resolution zu finden.

Literaturverzeichnis

Callanan, Frank (2019), O’Brien, Conor Cruise.Dict of Irish Biography, www.dib.ie/biography/obrien-conor-cruise-a9694 (16.12.2023)

Dorr, Noel (2010), Ireland at the United Nations. Memories of the Early Years. Dublin: Institute of Public Administration

Fallon, Tony (2008), Obituary on Conor Cruise O’Brien, The Observer 19.12.2008

Gehler, Michael (2008), Tirol im 20. Jahrhundert. Vom Kronland zur Europaregion, Bozen: Athesia

Grote, Georg (2009), „I bin a Südtiroler“. Kollektive Identität zwischen Nation und Region im 20. Jahrhundert, Bozen: Athesia

Lill, Rudolf (2002), Südtirol in der Zeit des Nationalismus, Konstanz: UVK

O’Brien, Conor Cruise (1998), Memoir. My Life and Themes, Dublin: Poolbeg

O’Toole, Fintan (2021), We Don’t know ourselves. A Personal History of Ireland since 1958, London: Head of Zeus

Othmerding, Heinz-Rudolf (1984), Sozialistische Minderheitenpolitik am Beispiel Südtirol von den ­Anfängen des Konflikts bis heute, Hamburg: phil. Diss.

Peterlini, Hans Karl (2012), 100 Jahre Südtirol. Geschichte eines jungen Landes, Innsbruck/Wien: ­Haymon

Steininger, Rolf (1997), Südtirol im 20. Jahrhundert. Vom Leben und Überleben einer Minderheit, Innsbruck/Wien/Bozen: Studienverlag

Steininger, Rolf (1999), Südtirol zwischen Diplomatie und Terror 1947 – 1969. Band 2: 1960 – 1962 (Ver­öffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs, Kapitel 1. 1960: ‚Vor der UNO‘), Bozen: Athesia, 167 – 250

von Egen, Alexander (1997), Die Südtirol-Frage vor den Vereinten Nationen. Rechtsgeschichte und ­Dokumente – mit einer Zusammenfassung in italienischer und englischer Sprache, Bozen: Athesia und Frankfurt: Peter Lang

Widmann, Franz (1998), Es stand nicht gut um Südtirol. 1945 – 1972. Von der Resignation zur Selbst­behauptung. Aufzeichnungen der politischen Wende, Bozen: Raetia

Woller, Hans (2010), Geschichte Italiens im 20. Jahrhundert, München: C H Beck