Suchbegriff eingeben...

Inserire il termine di ricerca...

Enter search term...

Katharina Crepaz

Die Bayerischen Landtagswahlen 2018 – ­Zwischen Kreuzpflicht und Grünen-Boom

The Bavarian Elections 2018 – Between Cross Compulsory and Green Boom

Abstract The regional election held in Bavaria in October 2018 presented a variety of interesting outcomes: The Christlich-Soziale Union suffered significant losses and had to form a coalition government with the Freie Wähler; the Sozialdemokratische Partei Deutschlands failed to position itself as a viable alternative, a role gladly taken up by the Grünen, who reached 17.6 % in Bavaria and became the strongest party in the state capital Munich with 30.3 % of the vote. The present paper posits possible reasons for the election outcome by analyzing recent political developments as well as the electoral campaigns, which were strongly shaped by the CSU’s fear of losing votes to the Alternative für Deutschland. I will argue that the CSU alienated many voters with its more right-wing approach; urban middle-class voters with a pro-European stance chose the Grünen, while voters in rural areas opted for the Freie Wähler. The article will also draw comparisons with the South Tyrolean election in 2018 and look at similarities and differences between the two alpine regions.

1. Einleitung

Für Südtiroler Beobachter/-innen ist der politische Blick nach Bayern aus unterschiedlichen Gründen lohnenswert: Zum einen gibt es im Freistaat eine ähnliche politische Konstellation wie in Südtirol – eine sehr starke Volkspartei, die über Jahrzehnte alleine regieren konnte; ein stark konservativ-katholisch geprägtes Umfeld; eine gute wirtschaftliche Situation sowie den Willen, möglichst viele Kompetenzen auf Landesebene zu (er)halten. Zum anderen arbeitet man auch politisch zusammen, die Christlich-Soziale Union in Bayern (CSU) und die Südtiroler Volkspartei (SVP) sind z. B. gut vernetzt, und auch als Teil des Alpenraumes findet man sich in Diskussionen zu gemeinsamen oder unterschiedlichen Interessen wieder (z. B. in der Debatte um den Fernverkehr, die als transnationales Thema zwischen Südtirol, Tirol und Bayern steht). Im Jahr 2018 bieten sich die Landtagswahlen als zusätzliche Vergleichsebene zwischen den beiden Regionen an. Die Wahltermine unterschieden sich um nur eine Woche (in Bayern wurde am 14., in Südtirol am 21. Oktober gewählt) und die Wahlkämpfe waren von ähnlichen Themen geprägt (allen voran Migration und Sicherheit). Dennoch gab es im Wahlausgang nicht nur Gemeinsamkeiten (wie die Schwächung der beiden stärksten Parteien, CSU und SVP), sondern auch Unterschiede (z. B. das sehr starke Abschneiden der bayerischen Grünen im Vergleich zum nur stabilen Ergebnis ihrer Südtiroler Kolleginnen und Kollegen). Der folgende Beitrag soll daher die Landtagswahlen in Bayern, den Wahlkampf, den Wahlausgang und auch die Entwicklungen nach der Wahl beleuchten als auch in komparativer Perspektive mit den Ergebnissen in Südtirol vergleichen.

Ausgangspunkt für die Analyse werden die Ereignisse im Vorfeld der Landtagswahlen bzw. die Strategien im Wahlkampf sein. Markus Söders „Kreuzerlass“ kann z. B. schon als Reaktion auf die vermeintliche Stärke der Alternative für Deutschland (AfD) gesehen werden, auch Bundesinnenminister Seehofers Diktum von der Migration als „Mutter aller Probleme“ war wohl darauf gemünzt, sich in der Migrationspolitik noch mehr als Hardliner zu positionieren – wiederum als Reaktion auf die AfD. Während man aber in der CSU sehr auf die Stimmenabwanderung nach „rechts“ bedacht war, hat man die bürgerliche Mitte als Wählerbasis, die extremistische Äußerungen wenig goutiert, vergessen.

Anschließend soll auf das Wahlergebnis und mögliche Gründe dafür eingegangen werden. Dabei werden allgemeine Phänomene des Niedergangs der großen Volksparteien ebenso betrachtet wie spezifische Entwicklungen, die z. B. auch zum Erstarken der Grünen in Bayern geführt haben (Umwelt- und Dieselskandale, Positionierung als Oppositionspartei gegen die Politik der Großen Koalition auf Bundesebene). Zudem werden die Freien Wähler als bayerisches Phänomen genauer analysiert, und es soll darauf eingegangen werden, ob auch in Südtirol mit dem Erfolg des Team Köllensperger (TK) eine vergleichbare bürgerliche Alternative zur Mehrheitspartei entsteht. Auch die Rolle der AfD, deren Gewinne bayernweit nicht so stark ausfielen wie im Vorfeld prognostiziert, die aber vor allem in Grenzgemeinden punkten konnte, soll in die Analyse mit einfließen.

Abschließend sollen die Koalitionsverhandlungen und das Koalitionsabkommen mit den Freien Wählern näher untersucht werden. Wo musste die CSU Zugeständnisse machen, wo konnte sie ihre Positionen verteidigen? In den Schlussfolgerungen werden aus der Wahl in Bayern erkennbare Zukunftstrends analysiert. Auf komparativer Ebene soll eine Zusammenschau mit den Wahlergebnissen in Südtirol hergestellt und Gemeinsamkeiten und Unterschiede verdeutlicht werden.

2. Der Landtagswahlkampf 2018

Ein bundes- und europaweiter Trend war auch im Wahlkampf zur bayerischen Landtagswahl sichtbar: Ein Erstarken rechtspopulistischer Akteurinnen und Akteure, in diesem Fall der AfD, das den Erosionsprozess der Wähler/-innenbindung an die traditionellen Volksparteien weiter beschleunigte. Migration, Integration, Leitkultur und innere Sicherheit bildeten dabei einen als stark miteinander verknüpft dargestellten wichtigen Themenblock. Die CSU, die sich traditionell als christlich geprägte, heimatverbundene bürgerliche Partei sieht, versuchte diese Werthaltungen besonders herauszustreichen, um gegen die AfD zu punkten. Die AfD hingegen wollte sich zum einen als die einzig legitime Bewahrerin der bayerischen Werte darstellen (man plakatierte u. a. „Die AfD hält, was die CSU verspricht!“, und verknüpfte das Bild eines Wegkreuzes in Bergkulisse mit den Worten „Der Islam gehört nicht zu Bayern!“). Zum anderen nutzte sie den Konflikt innerhalb der CDU-CSU Union, und die insbesondere in der rechtsnationalistischen Zivilgesellschaft (PEGIDA o. Ä.) zum Feind stilisierte Kanzlerin als Abgrenzungsmerkmal (Plakat „Wo CSU draufsteht, ist Merkel drin!“) (AfD Landesverband Bayern 2018).

CSU und AfD kämpften somit um die Rolle der Verteidigerin des christlichen Abendlandes gegen Gefahren von außen. Deutlich wird dies auch im mit ersten Juni 2018 in Kraft getretenen sogenannten „Kreuzerlass“ des bayerischen Ministerprä­sidenten Markus Söder. Der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaats Bayern wurde folgender Passus hinzugefügt: „Im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes ist als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns gut sichtbar ein Kreuz anzubringen“ (Spiegel Online 2018a). Die neue Regelung umfasst nach Angaben des Landesinnenministeriums mehr als 1100 staatliche Hauptdienststellen in Bayern (vgl. Spiegel Online 2018a). Eine Ausnahme besteht für „publikumswirksame Bereiche“ wie Hochschulen, Museen und Theater; für diese gilt lediglich eine Empfehlung, ein Kreuz im Eingangsbereich zu positionieren (vgl. Die Welt 2018). Diese Einschränkung entbehrt nicht einer gewissen Ironie; das Kreuz soll die „geschichtliche und kulturelle Prägung“ Bayerns repräsentieren, aber genau an jenen Orten, an denen am meisten Menschen dieses Symbol sehen könnten, ist die Anbringung fakultativ. Aus dem Bereich der Kunst- und Kulturschaffenden sowie der Universitäten gab es auch deutliche Kritik am „Kreuzerlass“. Auch aus der katholischen Kirche äußerten sich kritische Stimmen: unter anderem Kardinal Richard Marx, der Erzbischof von München und Freising und Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz. Laut Marx sei durch Söders Erlass „Unruhe, Spaltung, Gegeneinander“ entstanden, und es stehe dem Staat nicht zu, zu erklären, was das Kreuz bedeute (zitiert in Drobinski/Wetzel 2018). Auch der Münchner Weihbischof Wolfgang Bischof warf Söder vor, das Kreuz für die „[…]bayerische Identität, was auch immer das sein soll“ zu missbrauchen: „Das Kreuz ist aber kein Symbol für Bayern und erst recht kein Wahlkampflogo“ (zitiert in Spiegel Online 2018b). Die Instrumentalisierung des Kreuzes als Symbol der christlichen Prägung Bayerns und gleichzeitig als Abgrenzung gegen alles Fremde wurde sowohl von Kirchenvertreter/-innen als auch von der bürgerlich-gemäßigten Wähler/-innenschicht der CSU abgelehnt. Die Wahlkampfthemen der CSU waren an das Agenda-Setting der AfD geknüpft, und orientierten sich hauptsächlich am Inhaltsspektrum Migration – innere Sicherheit. Bei ihrer Fokussierung auf ein Halten potentieller Wähler/-innenstimmen, die an die AfD zu gehen drohten, vergaß die CSU auf ihren bürgerlichen Flügel und dessen Abneigung gegen eine Versteifung auf reine Heimatschutzthemen.

Viele Inhalte, die die Menschen vor allem in den urbanen Zentren in Bayern bewegen, wurden von den Grünen aufgegriffen: Sie plakatierten z. B. „Ich will bezahlbare Mieten“ (angesichts der deutschlandweit höchsten Mietpreise in München eine mit Sicherheit anschlussfähige Forderung) oder „Ich will grüne Wiesen statt Betonwüsten“. Die Grünen positionierten sich zudem als Alternative zur Fokussierung auf Sicherheitsthemen, und bezogen klare pro-europäische Positionen; z. B. mit dem Slogan „Ich will ein menschliches Bayern in unserem Europa“ oder „Mut geben statt Angst machen“ (Grüne Bayern 2018). Im September 2018 gingen knapp 10.000 Menschen in München unter dem Motto „#ausspekuliert“ auf die Straße, um gegen zu hohe Mietpreise und Wohnungsknappheit zu protestieren, unterstützt von Gewerkschaften und Oppositionsparteien. Bei den Themen Europa sowie Wohnen und Lebensqualität (Umweltschutz, Nachhaltigkeit) punkteten die Grünen daher besonders. Die SPD plakatierte zwar ebenfalls zum Thema Mieten („Zuhause – alle brauchen ein Dach über dem Kopf, und zwar bezahlbar“) (Bayern SPD 2018), konnte sich aber wohl vor allem auf Grund ihrer Regierungsbeteiligung im Bund nicht als echte Alternative auf Landesebene präsentieren.

Eine süddeutsche Besonderheit stellen die Freien Wähler dar. In Bayern und Baden-Württemberg regieren sie teilweise auf kommunaler Ebene mit. Sie gelten als konservativ aber pragmatisch und konnten sich laut Soziologin Claudia Neu vor allem im ländlichen Raum als konkrete Problemlösungspartei einen Namen machen (vgl. Deutschlandfunk 2018); hier wird auch die Bruchlinie Stadt-Land wieder deutlicher sichtbar. Die Freien Wähler traten einerseits mit CSU-nahen Themen an (Brauchtum fördern, Familiennachzug begrenzen), sind aber andererseits z. B. – wie auch die Grünen – gegen die dritte Startbahn am Münchner Flughafen, oder wie die SPD für kostenlose Kitas (vgl. Friedmann/Höhne 2018). Die Freien Wähler sind damit eine Alternative zur CSU für Wähler/-innen der bürgerlichen Mitte, insbesondere im ländlichen Raum, die konkrete Sachthemen über normative rechts/links Vorstellungen stellen. In einer Umfrage zehn Tage vor der Landtagswahl lag die CSU bei 33 Prozent, die Grünen bei 18 Prozent, die SPD und die Freien Wähler bei jeweils elf Prozent, die AfD bei zehn Prozent, die FDP bei sechs Prozent und die Linke bei 4,5 Prozent (vgl. Spiegel Online 2018c). Der Verlust der absoluten Mehrheit für die CSU und somit das Ende einer Ära der Alleinregierung in Bayern waren also bereits absehbar, und die Freien Wähler der inhaltlich wohl kompatibelste Koali­tionspartner.

3. Ergebnisse der Landtagswahlen 2018

3.1 Verluste für die CSU – mit Migrationstunnelblick an den Anliegen der Mitte vorbei

Die CSU verlor 10,4 Prozent der Stimmen und kam somit nur noch auf 37,2 Prozent, ihr schlechtestes Ergebnis seit 1950. Einen noch schlechteren Wahlausgang verzeichnete nur die SPD, die 10,9 Prozentpunkte verlor und somit mit 9,7 Prozent im Vergleich zu 2013 mehr als die Hälfte ihrer Wähler/-innenstimmen einbüßte. Zu den Gewinnern der Wahl zählen die Grünen (plus neun Prozent), die somit nun auch die zweitstärkste Partei in Bayern sind, sowie die Freien Wähler und auch die AfD, die erstmals im bayerischen Landtag vertreten ist. Die SPD, vormals zweitstärkste Kraft im Land, und auch die jahrzehntelang dominierende Mehrheitspartei CSU müssen dagegen Verluste hinnehmen (vgl. Tagesschau 2018b). Die Erosion der großen Volksparteien ist also auch in Bayern spürbar, und auch die CSU, die von abnehmender parteipolitischer Identifikation bisher weitgehend verschont blieb, leidet nun unter diesem Trend und büßt ihre absolute Mehrheit sowie die Möglichkeit allein regieren zu können ein.

Der Überblick über die CSU-Wahlergebnisse seit 1966 verdeutlicht den einschneidenden Charakter dieser Veränderung: Die CSU, die zu ihren besten Zeiten mehr als 60 Prozent der Wähler/-innenstimmen auf sich vereinen konnte, erlebt 2018 einen historischen Tiefstand und erreicht nicht einmal mehr 40 Prozent der Wähler/-innenstimmen. Wahlsieger/-innen waren jene Parteien, die sich als CSU-Alternative für die städtische und ländliche bürgerliche Mitte positionieren konnten, vor allem die Grünen und die Freien Wähler. Die größere Vielfalt an bürgerlich ausgerichteten Parteien mit sachpolitisch derzeit sehr relevanten Inhalten (Umweltschutz und Landschaftserhalt, Wohnen, ländliche Infrastruktur) dürfte ebenfalls zum schlechten Abschneiden der CSU beigetragen haben. Die Wähler/-innenstromanalyse zeigt Wähler/-innenwanderungen von der CSU vor allem zu den Grünen (170.000) sowie zur den Freien Wählern (160.000); auch die AfD konnte 160.000 ehemalige CSU-Wähler/-innen überzeugen (vgl. Tagesschau 2018c).

Interessant ist hier, dass der Wahlkampf und die gesamte politische Strategie der CSU im Jahr 2018 sehr stark auf ein Zurückdrängen der erstarkenden AfD ausgerichtet waren; Horst Seehofer versuchte, sich als Hardliner gegen Angela Merkels umstrittene Flüchtlingspolitik zu positionieren, und man wollte sich auf Landesebene klar von der Schwesterpartei CDU und deren Parteivorsitzender Merkel abgrenzen. Markus Söders „Kreuzerlass“ sollte ebenfalls die CSU und auch seine Person selbst als Ministerpräsident zum Verteidiger Bayerns, der bayerischen katholischen Werte und der Traditionen stilisieren. Während diese Strategie der Annäherung und Übernahme von Inhalten der rechtspopulistischen Parteien, um die eigenen Wähler/-innen zu halten, in Österreich gut funktionierte (vgl. die „türkis“ gewordene ÖVP um Sebastian Kurz, die einiges an FPÖ-Themen aufgegriffen hat), war sie in Bayern von wenig Erfolg gekrönt. Die CSU blieb stärkste Partei, musste aber deutliche Stimmeinbußen hinnehmen und war gezwungen, eine Koalition einzugehen. Durch den sehr stark auf die Konkurrenz von der rechten Seite ausgerichteten Wahlkampf wurde auf die starke bürgerliche Komponente innerhalb der CSU vergessen, die eine inhaltliche Annäherung an die AfD nicht unterstützte. Dies zeigt die Tatsache, dass 160.000 Wähler/-innen ihre Stimmen den Freien Wählern gaben und somit einer anderen bürgerlich ausgerichteten Partei. Auch unter den 170.000 Stimmen für die Grünen dürften sich viele Wähler/-innen aus dem bürgerlichen Milieu finden, für die sozial- und umweltpolitische Veränderungsprozesse wichtiger und besorgnis­erregender sind als Migration. Eine Umfrage von infratest dimap zeigt, dass die wichtigsten Themen für die Wähler-/innen Schul- und Bildungspolitik (52 Prozent), Schaffung bezahlbaren Wohnraums (51 Prozent), sowie Umwelt- und Klimapolitik (49 Prozent) waren, die Asyl- und Flüchtlingspolitik landete mit 33 Prozent weit dahinter (vgl. Tagesschau 2018d).

Das Hauptwahlkampfthema der CSU ging somit an den wichtigsten Anliegen der Wähler/-innen vorbei. Zudem hatte die CSU in den genannten Bereichen mit Entscheidungen wie der Einführung und dann Wieder-Abschaffung des achtjährigen Gymnasiums, der mangelhaften Umsetzung der von der UN-Behindertenrechtskonvention geforderten inklusiven Schule, den Dieselskandalen und der Unterstützung für die Autoindustrie sowie wenig Einsatz gegen Immobilienspekulationen und zu hohe Mietpreise eher negative Eindrücke bei den Wählern und Wählerinnen hinterlassen. Die SPD schaffte es wohl auch durch die Regierungsbeteiligung auf Bundesebene nicht, sich hier als glaubwürdige Alternative zu präsentieren. Laut infratest dimap sagten 76 Prozent aller Befragten und 88 Prozent der SPD-Wähler/-innen dass „es […] Zeit [wird], dass sich die SPD in Berlin in der Opposition erneuern kann“ (Tagesschau 2018e). Die Grünen als große Wahlsieger/-innen (von 8,6 Prozent 2013 auf 17,6 Prozent 2018) konnten hingegen wohl genau bei von den Bürgern und Bürgerinnen als am wichtigsten eingestuften Themen Wohnungsmarkt, Bildung, sowie Umweltschutz und Nachhaltigkeit punkten.

3.2 München als „grüne Weltstadt“ – der Aufstieg der Grünen

In den Großstädten konnten die Grünen die größten Wahlerfolge verzeichnen: 16 Prozent mehr Stimmen im Vergleich zu 2013; aber auch in den Mittelstädten1 (plus neun Prozent) und in den Landgemeinden (plus sieben Prozent) gab es Zuwächse (vgl. Schuler 2018). Besonders erfolgreich waren die Grünen in der Landeshauptstadt München; hier wurden sie mit 30,3 Prozent der Stimmen stärkste Partei (2013 waren es noch 12,8 Prozent) und gewannen fünf der neun Münchner Stimmkreise. Deutliche Verluste gab es in München für die CSU (2013 noch 36,7 Prozent, 2018 25,2 Prozent) und die SPD (2013 30 Prozent, 2018 13,6 Prozent). Die Freien Wähler verbesserten sich nur leicht von 5,2 Prozent auf 6,1 Prozent (vgl. Görmann 2018) – es ist also davon auszugehen, dass die Stimmen aus dem bürgerlichen CSU-Lager Großteils an die Grünen gegangen sind. Neben den Erfolgen in München konnten die Grünen auch den Stimmkreis Würzburg-Stadt gewinnen (vgl. Görmann 2018).

München-Mitte, der Stimmkreis von Ludwig Hartmann (zusammen mit Katharina Schulze Teil der Doppelspitze der bayerischen Grünen), ist laut Süddeutscher Zeitung (vgl. Effern et al. 2018) der „grünste Ort Bayerns“: Hier hat Hartmann 44 Prozent der Erststimmen geholt. Die Grünen Wahlkampfthemen waren – nicht nur – für die bürgerlichen Schichten in München passend gewählt: Wohnungsmarkt und Mietpreise, Verkehrsbelastung, Gefährdung des vereinten Europas durch neu erstarkende Nationalismen. Auch bei den Großdemonstrationen (z. B. gegen das Polizeiaufgabengesetz, gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit und gegen Immobilienspekulationen) übernahmen die Grünen eine prominente Rolle. Sie konnten dadurch in München auch am meisten vormalige Nicht-Wähler/-innen für sich gewinnen (65.000) (vgl. Effern et al. 2018). Dass Grün-Wähler/-innen eher in den Städten zu finden sind, ist kein neues Ergebnis der bayerischen Landtagswahl; das traditionelle Stadt-Land Cleavage zwischen progressiveren und konservativeren Wähler/-innenschichten bleibt auch hier aufrecht. Interessanter ist ein Blick auf die Altersverteilung: Je mehr 18 bis 39-jährige in einem Stimmkreis leben, desto besser haben die Grünen abgeschnitten; das CSU-Ergebnis fiel in dieser Gruppe besonders schlecht aus (vgl. Anzlinger et al. 2018). Auch bei der Bevölkerung mit Hochschulabschluss waren die Grünen stärkste Partei (vgl. Anzlinger et al. 2018); eben diese Wähler/-innenschichten sind auch in München stark repräsentiert und waren somit wichtig für den Wahlerfolg der Grünen. Im Jahr 2020 könnten die Grünen also auch eine wichtige Rolle bei der Wahl zum Münchner Oberbürgermeister spielen (derzeit hat Dieter Reiter von der SPD das Amt inne, dem große Chancen für eine Wiederwahl vorausgesagt werden).

Für eine Machtübernahme auf Landesebene fehlt den Grünen noch der Rückhalt in den ländlichen Gebieten Bayerns, sowie unter den älteren Bevölkerungsschichten. Auch das könnte sich allerdings angesichts der Abgasskandale und des Klimawandels noch ändern – Umweltschutz (in Bayern immer auch als Heimatschutz wahrgenommen) könnte das vereinende Zukunftsthema für Wähler/-innen in Stadt und Land sein:

„[Die Grünen] tragen ein Themenfeld mit einer Mächtigkeit vor sich her, das die Konservativen in den Siebzigerjahren preisgegeben haben, die Ökologie, oder auf Bayerisch: den Schutz und die Bewahrung der Natur, wenn man so will, der Heimat. Ein Thema, die Extremwetter deuten es an, das nicht verschwinden wird von der Agenda“ (Lühmann 2018).

Eine zunehmend auf den Realo-Flügel ausgerichtete, bürgerliche aber wertprogressive grüne Partei hätte somit in Bayern die Chance, zu einer ernstzunehmenden Rivalin für die CSU auf Landesebene zu werden.

3.3 Die Freien Wähler – eine bayerische Besonderheit?

Die Freien Wähler (mit 11,6 Prozent der Stimmen drittstärkste Kraft in Bayern) legen gleich auf der Startseite ihres Internetauftritts dar, was sie nicht sein wollen: „Wir sind keine klassische Partei“ (Freie Wähler 2018). Das bestimmt gleichzeitig auch schon die Natur der Freien Wähler: Es gibt, im Gegensatz zu den großen Volksparteien wenig ideologische Hintergründe, wenig unumstößliche Dogmen, sondern eher pragmatische Sachpolitik. Den Freien Wählern wird daher ein inkonsistentes Programm vorgeworfen; sie seien „flexibel und anschlussfähig, aber auch beliebig“ (Otto 2018a). Bei der inneren Sicherheit gibt es große Überschneidungen mit der CSU, die Freien Wähler sind für das umstrittene Polizeiaufgabengesetz und möchten die Grenzkontrollen beibehalten, im Bereich Migration lehnen sie zwar die Ankerzentren und das Landesamt für Asyl ab, sind aber z. B. wie die CSU für mehr Sach- statt Geldleistungen. Die dritte Startbahn am Münchner Flughafen lehnen sie – wie die Grünen – ab, ebenso Handelsabkommen wie TTIP und CETA. Die Forderung nach kostenfreien Kitas ist auch eine Forderung der SPD. Ein zentrales Thema ist die Erhaltung von Strukturen (Krankenhäuser, keine Schließung der Geburtenabteilungen, mehr Geld für die Kommunen) im ländlichen Raum. Auch die Lösung für den angespannten Mietmarkt in den Großstädten sehen die Freien Wähler in einer Stärkung des ländlichen Raums (z. B. Zuschüsse für Wohnungsausbau) und in somit wieder attraktiver werdenden Dörfern. Ihre Forderungen, wie z. B. die Rücknahme des acht- statt neunjährigen Gymnasiums, die später auch von der Landesregierung umgesetzt wurde, versuchen die Freien Wähler häufig über direktdemokratische Elemente (u. a. Bürgerbegehren) umzusetzen (vgl. Otto 2018a).

Es handelt sich bei den Freien Wählern also um eine bürgerliche Partei, die gezielt mit sachpolitischen Themen vor allem den ländlichen Raum ansprechen möchte. Wie bei der CSU sind Heimat und Brauchtum wichtige Themen, was sich auch durch die starke Verortung auf der ländlichen Seite des Stadt-Land Cleavage erklären lässt. Hubert Aiwanger, niederbayrischer Landwirt und Vorsitzender der Freien Wähler, kritisierte, dass die CSU Bayern als ihren Privatbesitz betrachte (vgl. Otto 2018b) – hier gibt es durch die jahrzehntelange Alleinherrschaft der CSU einige Angriffspunkte, und analoge Frustrationen mit der alles dominierenden Mehrheitspartei lassen sich auch in Südtirol am Fallbeispiel SVP festmachen. Die Freien Wähler bieten also eine Alternative für Menschen, die politisch bürgerlich und heimatverbunden ausgerichtet sind, aber aus unterschiedlichen Gründen nicht die CSU wählen möchten (z. B. eben aufgrund der soeben genannten Machtkonzentration). Mit dem Bild einer anpackenden, wenig ideologisierten Partei, deren Mitglieder sich aus den unterschiedlichsten Berufs- und Gesellschaftsschichten zusammensetzen (in der Landtagsfraktion finden sich u. a. Landwirtinnen und Landwirte, Unternehmer/-innen, Schuldirektorinnen und Schuldirektoren, Polizistinnen und Polizisten, Universitätsprofessorinnen und Universitätsprofessoren) konnten die Freien Wähler vor allem in den ländlichen Regionen Bayerns die Wähler/-innen überzeugen. Der Versuch, sich nicht als traditionelle Partei, sondern eher als bürgernah und inhaltlich ausgerichtet zu präsentieren, ist dabei kein rein bayerisches Phänomen. Regionalspezifisch ist jedoch die starke Bezugnahme auf die Bruchlinie Stadt-Land sowie auf die eigene Rolle als Watchdog einer meist alleine regierenden und das Land politisch dominierenden CSU.

3.4 Das Ergebnis der AfD – Hochburgen in den Grenzgebieten

Die AfD erreichte bei der Landtagswahl 10,2 Prozent der Stimmen und lag somit etwas unter ihrem bayerischen Ergebnis bei der Bundestagswahl 2017 (12,4 Prozent) (vgl. Bundestagswahl Bayern 2017). Im Juni 2018 sprach der AfD-Landesvorsitzende Martin Sichert noch von bedeutend höheren Zielen: „Auch 20 Prozent für die AfD sind locker drin“ (zitiert in Kamann 2018). Die CSU spielte mit ihrem migrationsfokussierten Wahlkampf der AfD in die Karten, auch die Themen Heimat und Identität als zentrale Wahlkampfinhalte wurden nicht nur von der CSU, sondern auch von der AfD besetzt (z. B. Wegkreuze mit Bergkulisse als Hintergrund als Wahlplakat gegen die vermeintliche Islamisierung Bayerns). Die CSU hatte ihren Wahlkampf auf die AfD ausgerichtet, und die AfD griff hauptsächlich die CSU an – als „Merkel-Unterstützer“ und unfähig, die innere Sicherheit zu garantieren. Die Junge Alternative, die Jugendorganisation der AfD, zog vor die CSU-Zentrale in München und verschüttete Kunstblut, um an die angebliche Verantwortung der CSU für die von Migranten und Migrantinnen begangenen Gewalttaten zu erinnern (vgl. Kamann 2018).

Erfolgreich war die AfD mit ihrem Anti-CSU-Kurs vor allem in den Grenzgebieten zu Österreich und Bayern, z. B. in den Stimmkreisen Cham, Deggendorf und Passau, wo die Partei ca. 16 Prozent der Stimmen erreichte (vgl. Augsburger Allgemeine 2018). Die Grenzregionen waren schon bei der Bundestagswahl 2017 die bayerischen Hochburgen der AfD, die damals z. B. in Deggendorf 19,2 Prozent der Stimmen erreichen konnte (vgl. Baum 2017). Das Grenzgebiet war am meisten von der „Flüchtlingskrise“ 2015 betroffen, es gibt zudem einige sehr strukturschwache Regionen, insbesondere z. B. in der Oberpfalz; die Forderungen der AfD nach mehr Grenzmanagement dürften hier deshalb auf fruchtbaren Boden gefallen sein. Auch in der Region Schwaben gab es einige AfD-Hochburgen, darunter der Stimmkreis Günzburg mit 14,1 Prozent (vgl. Augsburger Allgemeine 2018). Insgesamt blieb die AfD in Bayern aber hinter den Prognosen und den eigenen Ansprüchen zurück. Besonders schlecht schnitt die Partei in den Städten ab (z. B. 3,7 Prozent im Stimmkreis München-Schwabing) (vgl. Augsburger Allgemeine 2018). Als bürgerliche Alternative mit Fokus auf den ländlichen Raum konnten sich die Freien Wähler besser positionieren, die im Bereich der inneren Sicherheit ebenfalls für mehr Kontrollen eintraten. Als Partei mit der größten inhaltlichen Schnittmenge zur CSU stellten sie auch die erste Wahl für einen möglichen Koalitionspartner dar.

4. Nach der Wahl: Das Koalitionsabkommen zwischen der CSU und den Freien Wählern

Nach der Landtagswahl am 14. Oktober 2018 stand relativ schnell fest, dass ein Bündnis zwischen CSU und Freien Wählern wohl die aussichtsreichste Koalitionsoption sein wird. Eine Koalition mit der AfD schloss Ministerpräsident Söder aus. Die Grünen erklärten sich zwar bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen, inhaltlich hätte es hier aber wohl deutlich weniger Überschneidungen gegeben als zwischen CSU und Freien Wählern. Am zweiten November 2018, nur knapp drei Wochen nach der Landtagswahl, stand die sogenannte „Spezi-Koalition“ (schwarz-orange) nach zehn Verhandlungstagen (vgl. Guyton 2018). Drei Ministerien gehen an die Freien Wähler: Parteichef Aiwanger wird Minister für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie und stellvertretender Ministerpräsident, Michael Piazolo Bildungsminister, und Thorsten Glauber Umweltminister. Hinzu kommen noch ein Staatssekretär und eine Staatssekretärin im Wirtschafts- und im Bildungsministerium.

Im Koalitionsabkommen konnten sich die Freien Wähler mit ihrer Forderung durchsetzen, die Straßenausbaubeiträge für Anlieger/-innen abzuschaffen. Für die entfallenen Beiträge sollen die Kommunen 2019 100 Millionen Euro vom Freistaat Bayern erhalten, in den nächsten Jahren dann 150 Millionen Euro – somit wurde mit einer finanziellen Stärkung der Kommunen ein weiterer Programmpunkt der Freien Wähler umgesetzt. Auch die Forderung nach kostenlosen Kitas wurde weitgehend erfüllt: Nun werden auch für das erste und zweite Kindergartenjahr monatlich 100 Euro pro Kind vom Freistaat beigesteuert, denselben Betrag soll es ab 2020 vom zweiten Lebensjahr an in der Kinderbetreuung geben (vgl. Deininger/Wittl 2018). Im Bereich innere Sicherheit gibt es mehr Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte und eine Evaluation des umstrittenen Polizeiaufgabengesetzes (Koalitionsvertrag 2018, 6). Die Asylpolitik soll „mit Humanität und Ordnung“ (Koalitionsvertrag 2018, 7) geführt werden, das Sachleistungsprinzip hat Vorrang. Der Heimatfokus eint CSU und Freie Wähler, im Bildungsbereich soll es daher zukünftig einen Schwerpunkt „Mundart und regionale Kultur“ geben. Für Umweltschutz und Nachhaltigkeit soll vermehrt auf erneuerbare Energien gesetzt werden, bäuerliche Unternehmen sollen gestärkt werden, und der Klimaschutz erhält Verfassungsrang. Für die großen Städte soll – analog zur von der dortigen rot-grünen Stadtregierung implementierten Jahreskarte der Wiener Linien – ein „365-Euro-Jahresticket“ eingeführt werden. Mit einer Landarztquote bei Vergabe der Studienplätze und einer Prämie für Landärzte soll auch die ländliche Gesundheitsversorgung gesichert werden (Deininger/Wittl 2018). Zur Verbesserung der Wohnsituation soll vor allem der soziale Wohnbau gefördert, und mit der staatlichen Wohnbaugesellschaft BayernHeim bis 2025 10.000 neue Wohnungen geschaffen werden. Das Wohngeld soll an die Mietpreise der bayerischen Städte angepasst werden, während die Eigenheimzulage von 10.000 Euro wohl eher für ländliche Gegenden interessant sein wird (Koalitionsvertrag 2018, 19 – 21).

Die Freien Wählen haben das Koalitionsabkommen also maßgeblich beeinflusst und konnten zwei ihrer wichtigsten Forderungen ganz sowie die kostenlose Kita durch Zuschussvereinbarungen teilweise umsetzen. Die schnelle Verhandlungszeit (man vergleiche dazu die Koalitionsbildung in Südtirol, die erst im Jänner 2019 abgeschlossen werden konnte) deutete bereits darauf hin, dass es zwischen den beiden Parteien keine unüberwindbaren Differenzen gab. In der inneren Sicherheit machten die Freien Wähler Zugeständnisse (z. B. für die „bayerische Kavallerie“, eine Vergrößerung der Reiterstaffel auf Wunsch von Ministerpräsident Söder), konnten dafür aber ihre Programmpunkte vor allem im Bereich Sozialpolitik sowie Stärkung der Kommunen und des ländlichen Raumes auf den Weg bringen. Eine erste Bewährungsprobe für die nach der Wahl deutlich veränderten Machtverhältnisse in der bayerischen Parteienlandschaft werden die EU-Parlamentswahlen im Mai 2019 sein, bei denen in vielen europäischen Ländern ein Rechtsruck droht. Es bleibt abzuwarten, ob die bayerischen Wähler/-innen auch auf EU-Ebene bürgerliche bzw. progressive Alternativen zur CSU bevorzugen werden, oder ob sich die CSU besser als Garantin bayerischer Interessen in Europa positionieren kann.

5. Schlussfolgerungen

Die Strategie der CSU im Landtagswahlkampf war klar auf gefühlte „Bedrohung“ durch die AfD ausgerichtet. Man fokussierte sich daher vor allem auf die Bereiche Migration, innere Sicherheit und traditionelle bayerische Werte. Ein Versuch, die CSU als Bewahrerin des katholischen Bayerntums darzustellen war Söders „Kreuzerlass“, der ihm jedoch sowohl in bürgerlichen CSU-Wähler/-innenkreisen als auch innerhalb der katholischen Kirche selbst einiges an Kritik einbrachte (vgl. Spiegel Online 2018b). Eine Instrumentalisierung der religiösen Identität des Landes und die Nutzung des Kreuzes als exkludierendes Symbol fanden viele Bürger/-innen nicht richtig. Zudem ist – wie auch in Südtirol – eine Erosion der Parteientreue festzustellen: CSU wählen, weil man eben immer CSU gewählt hat, ist für viele Wähler/-innen kein ausreichender Beweggrund mehr. Viele bürgerliche CSU Wähler/-innen waren daher offen für Alternativen, deren Themenbereiche (Wohnen, Umweltschutz, Sozialpolitik, Stärkung des ländlichen Raumes) näher an ihren Alltagssorgen lagen als Migration (vgl. Tagesschau 2018d).

In den Städten konnten vor allem die Grünen diese Alternative bieten. Sie profilierten sich in München in den Demonstrationen gegen Mietspekulation und Aus­län­der/-innenfeindlichkeit („#ausspekuliert“ und „#ausgehetzt“) und fuhren einen stark pro-europäischen Kurs, der der CSU in ihrer Übernahme von AfD-Agenden abhandengekommen war. Die Grünen konnten mit einem sozial-, europa- und umweltpolitischen Fokus 170.000 Stimmen ehemaliger CSU-Wähler/-innen gewinnen (vgl. Tagesschau 2018c). Die SPD war in Bayern auch aufgrund der Krise der Bundespartei keine ernstzunehmende Alternative. Der Wahlerfolg der Grünen zeigt, dass grüne Kernthemen – von einem Spitzenduo mit Realo-Ausrichtung vorgetragen – in den Städten durchaus mehrheitsfähig sind. In den ländlichen Gebieten konnten die Freien Wähler mit sachpolitischen Themen punkten. Hier ging es den Wähler/-innen vor allem um die Bruchlinie Zentrum-Peripherie, und um die Sicherstellung von Lebens­perspektiven (Arbeitsplätze, Gesundheitsversorgung, Bildung) vor Ort (vgl. Deutsch­landfunk 2018).

Vergleicht man die Ergebnisse der bayerischen Landtagswahlen mit jenen in Südtirol, gibt es einige Parallelen, aber auch Unterschiede. Die Rechtspopulisten (Lega in Südtirol, AfD in Bayern) mit ihrem migrationsfokussierten Wahlkampf konnten jeweils ca. zehn bis elf Prozent erreichen, die SVP als mächtige Mehrheitspartei Südtirols musste ebenfalls Verluste hinnehmen (wenn auch mit minus 3,8 Prozent und 41,9 Prozent der Stimmen deutlicher weniger als die CSU) (vgl. Südtiroler Landtag 2018). Im Gegensatz zu Bayern schafften es die Südtiroler Grünen nicht, mit auch für das bürgerliche Lager zugänglichen Themen wie Sozialpolitik und Umweltschutz eine SVP-Alternative zu werden. Dazu fehlten eine nach rechts-rückende Positionierung der SVP, und ein Realo-Flügel innerhalb der grünen Führungsspitze. Auch die interethnische Ausrichtung der Partei dürfte für viele Wähler/-innen nicht attraktiv sein, da die Bruchlinie Sprache immer noch sehr einflussreich ist. Die SVP verfolgte weiterhin eine klar pro-europäische Linie; die CSU bot den bayerischen Grünen in diesem Punkt mehr Angriffsfläche und den Grünen mehr Möglichkeiten einer Profilierung als einzig klare Pro-Europa-Partei. Erfolgreicher auf dem Weg zur „neuen Volkspartei“ als die Südtiroler Grünen war das TK, das auf Anhieb 15,2 Prozent der Stimmen errang (vgl. Südtiroler Landtag 2018). Hier ergeben sich einige Parallelen zu den Freien Wählern: Keine traditionelle Parteistruktur bzw. kein ideologischer Überbau, Kandidaten und Kandidatinnen aus den unterschiedlichsten Berufs- und Gesellschaftsschichten, inhaltliche Anknüpfungspunkte mit unterschiedlichen Parteien (z. B. Sicherheit, Umweltschutz), Stärkung der Peripherie (z. B. durch Aufrechterhaltung der Krankenhäuser). Beide Parteien waren somit Alternativen für bürgerliche Wähler/-innenschichten, die aus unterschied­lichen Gründen ihre Stimmen nicht mehr der CSU bzw. der SVP geben wollten. Die Freien Wähler haben im Gegensatz zum TK eine starke kommunalpolitische Verankerung, die ihnen bereits vor ihrer Regierungsbeteiligung erlaubt hat, konkrete Sachthemen vor Ort umzusetzen (vgl. Deutschlandfunk 2018). Wie sich die neue politische Kraft in Südtirol dahingehend entwickeln wird, bleibt noch abzuwarten. Mit den Freien Wählern hat die CSU einen sowohl hinsichtlich Grundwerte als auch hinsichtlich politischer Inhalte deutlich kompatibleren Koalitionspartner als die SVP mit der Lega.

Abb. 1: Das Wahlergebnis der bayerischen Landtagswahlen 2018

Quelle: Tagesschau 2018a, Landtagswahl Bayern 2018 – Endergebnis

Abb. 2: Landtagswahl Bayern 2018 – Gewinne und Verluste

Quelle: Tagesschau 2018b, Landtagswahl Bayern 2018 – Gewinne und Verluste

Abb. 3: Überblick über die Wahlergebnisse der CSU in Bayern

Quelle: Claudius Wagemann 2014, 375; Ergebnis für 2018 von Autorin hinzugefügt

Abb. 4: Wähler/-innenstromanalyse CSU – Landtagswahl 2018

Quelle: Tagesschau 2018c, Wanderung CSU

Abb. 5: Gründe für Wahlentscheidung

Quelle: Tagesschau 2018d, Sehr wichtig für meine Wahlentscheidung

Anmerkungen

1 Städte zwischen 50.000 und 200.000 Einwohnern.

Literaturverzeichnis

AfD Landesverband Bayern (2018), Dafür steht die AfD!, https://www.afdbayern.de/wahlen-2018/themenplakate/ (11.04.2019)

Anzlinger, Jana/Brunner, Katharina/Endt, Christian (2018), Ein Bayern, zwei Welten, in: Süddeutsche Zeitung, www.sueddeutsche.de/bayern/landtagswahl-ein-bayern-zwei-welten-1.4170570 (31.01.2019)

Augsburger Allgemeine (2018), Das sind die AfD-Hochburgen in Bayern und in der Region, www.augsburger-allgemeine.de/bayern/Das-sind-die-AfD-Hochburgen-in-Bayern-und-in-der-Region-id52452526.html (31.01.2019)

Baum, Carla (2017), Das sind die AfD-Hochburgen im Westen, www.welt.de/politik/deutschland/article169066466/Das-sind-die-AfD-Hochburgen-im-Westen.html (31.01.2019)

Bayern SPD (2018), Wahlen, https://bayernspd.de/wahlen/ (11.04.2019)

Bundestagswahl Bayern (2017), Bundestagswahl am 24. September 2017 – endgültiges Ergebnis, https://www.bundestagswahl2017.bayern.de/ (11.04.2019)

Deininger, Roman/Wittl, Wolfgang (2018), Das hat die schwarz-orange Koalition vor, in: Süddeutsche Zeitung, www.sueddeutsche.de/bayern/csu-freie-waehler-koalitionsvertrag-1.4196416 (31.01.2019)

Deutschlandfunk (2018), Freie Wähler haben sich geschickt im ländlichen Raum positioniert, www.deutschlandfunk.de/soziologin-zur-bayern-wahl-freie-waehler-haben-sich.694.de.html?dram:article_id=430613 (28.01.2019)

Die Welt (2018), Doch keine Kruzifixe in Hochschulen, Museen und Theatern, www.welt.de/regionales/bayern/article176823172/Kreuzpflicht-Doch-keine-Kruzifixe-in-Hochschulen-Museen-und-Theatern.html (28.01.2019)

Drobinski, Matthias/Wetzel, Jakob (2018), Kardinal Marx wirft Söder Spaltung vor, www.sueddeutsche.de/bayern/kreuz-erlass-kardinal-marx-wirft-soeder-spaltung-vor-1.3962223 (29.01.2019)

Effern, Heiner/Gierke, Sebastian/Hoben, Anna/Jaschensky, Wolfgang/Kohrs, Camilla (2018), München, die grüne Weltstadt, www.sueddeutsche.de/muenchen/landtagswahl-in-bayern-muenchen-die-gruene-weltstadt-1.4171643 (31.01.2019)

Freie Wähler (2018), Startseite, www.freie-waehler-bayern.de/ (31.01.2019).

Friedmann, Jan/Höhne, Valerie (2018), Er nervt Söder – und kann ihn retten, www.spiegel.de/politik/deutschland/bayern-wer-sind-die-freien-waehler-und-wer-ist-hubert-aiwanger-a-1232661.html (30.01.2019)

Görmann, Marcel (2018), Landtagswahl München: Grüne behalten Direktmandat in München-Moosach, www.merkur.de/politik/landtagswahl-muenchen-gruene-behalten-direktmandat-in-muenchen-moosach-10325902.html (30.01.2019)

Grüne Bayern (2018), Grüne stellen Kampagne zur Landtagswahl vor, https://gruene-bayern.de/gruene-stellen-kampagne-zur-landtagswahl-vor/ (11.04.2019)

Guyton, Patrick (2018), Die „Spezi-Koalition“ von CSU und Freien Wählern steht, www.tagesspiegel.de/politik/bayern-die-spezi-koalition-von-csu-und-freien-waehlern-steht/23337706.html (31.01.2019)

Kamann, Matthias (2018), Die AfD verfehlt ihre kühnen Ziele, www.welt.de/politik/deutschland/article182070766/Landtagswahl-Bayern-2018-Die-AfD-verfehlt-ihre-kuehnen-Ziele.html (31.01.2019)

Koalitionsvertrag für die Legislaturperiode 2018 – 2023 (2018), Für ein bürgernahes Bayern – menschlich, nachhaltig, modern, www.csu.de/common/csu/content/csu/hauptnavigation/dokumente/2018/Koali­tionsvertrag__Gesamtfassung_final_2018-11-02.pdf (31.01.2019)

Lühmann, Michael (2018), In den Städten fängt es an, www.zeit.de/politik/deutschland/2018-10/gruene-bayern-landtagswahl-staedte-wuerzburg-muenchen (31.01.2019).

Otto, Ferdinand (2018a), Wie werden die Freien Wähler Bayern regieren?, www.zeit.de/politik/deutschland/2018-10/freie-waehler-bayern-parteiprogramm-regierung (31.01.2019)

Otto, Ferdinand (2018b), Warum Hubert Aiwanger der CSU gefährlich wird, www.zeit.de/politik/deutschland/2018-10/freie-waehler-landtagswahl-bayern-hubert-aiwanger (11.04.2019)

Schuler, Katharina (2018), Erfolg, keine Macht, www.zeit.de/politik/deutschland/2018-10/gruene-bayern-wahlergebnis-landtagswahl-erfolg (30.01.2019)

Spiegel Online (2018a), Kreuzerlass in Bayern, www.spiegel.de/politik/deutschland/bayern-kreuz-erlass-von-csu-regierungschef-markus-soeder-ist-amtlich-a-1208922.html (28.01.2019)

Spiegel Online (2018b), Kardinal Marx wirft Söder Spaltung vor, www.spiegel.de/politik/deutschland/bayern-kardinal-marx-kritisiert-soeders-kruzifix-vorstoss-a-1205443.html (29.01.2019)

Spiegel Online (2018c), CSU auf Rekordtief in Bayern – nur noch 33 Prozent, www.spiegel.de/politik/deutschland/csu-auf-rekordtief-in-bayern-infratest-dimap-umfrage-zur-landtagswahl-a-1231616.html (29.01.2019)

Südtiroler Landtag (2018), Ergebnisse der Landtagswahlen 2018, http://www.landtag-bz.org/de/wahlen/ergebnisse-landtagswahlen.asp (11.04.2019)

Tagesschau (2018a), Landtagswahl Bayern 2018 – Endergebnis, http://wahl.tagesschau.de/wahlen/
2018 - 10-14-LT-DE-BY/charts/index-content/chart_313289.shtml (01.03.2019)

Tagesschau (2018b), Landtagswahl Bayern 2018 – Gewinne und Verluste, http://wahl.tagesschau.de/wahlen/2018 - 10-14-LT-DE-BY/charts/index-content/chart_313290.shtml (01.03.2019)

Tagesschau (2018c), Wanderung CSU, www.tagesschau.de/multimedia/bilder/uvotealbum-991~_origin-17ce0f1f-8164-4dc4-8e63-bafff5045973.html (30.01.2019)

Tagesschau (2018d), Sehr wichtig für meine Wahlentscheidung, http://wahl.tagesschau.de/wahlen/2018-10-14-LT-DE-BY/charts/umfrage-aktuellethemen/chart_286306.shtml (30.01.2019)

Tagesschau (2018e), Es wird Zeit, dass sich die SPD in Berlin in der Opposition erneuern kann, http://wahl.tagesschau.de/wahlen/2018-10-14-LT-DE-BY/charts/umfrage-spd/chart_285936.shtml (30.01.2019)

Wagemann, Claudius (2014), Wiedergewonnene Stabilität oder fortgesetzter Umbruch? Die bayerischen Landtagswahlen vom 15. September 2013, in: Pallaver, Günther (Hg.), Politika 2014 – Südtiroler Jahrbuch für Politik, Bozen: Raetia, 371 – 386