Carolin Zwilling / Johanna Mitterhofer
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Gemeinden in der Europaregion
Municipalities and cross-border cooperation in the European Region Tyrol - South Tyrol - Trentino
Abstract This article explores the role of municipalities with regard to cross-border cooperation within the European Region Tyrol - South Tyrol - Trentino. Focusing on the three case studies of (A) the European Grouping of Territorial Cooperation (EGTC) ‘European Region Tyrol - South Tyrol -Trentino’, (B) the Interreg Councils Wipptal, Terra Raetica and Dolomiti Live, and (C) the cross-border network ‘Alpine Pearls’, the authors highlight the legal, practical and strategical differences between these forms of cooperation. The central question is whether municipalities play an active role in cross-border cooperation, or if they are merely passive beneficiaries of initiatives planned and executed by actors at the regional level. An analysis of the three forms of cooperation mentioned above shows clear differences in structure, aims and composition, which define the extent to which municipalities are able to participate.
Created in 2011, the EGTC ‘European Region Tyrol - South Tyrol -Trentino’ is a key driver of cross-border cooperation in the region. However, its unidimensional composition of members exclusively from the regional level as well as the absence of bodies composed of representatives from other levels of governance precludes municipalities from actively participating in the EGTC’s planning and implementation processes. In contrast, both the Interreg Councils and the Alpine Pearls network, which is composed of municipalities, intend to strengthen border regions from the bottom up. Consequently, municipalities play a prominent role. In 2016, the Interreg Councils will be transformed into CLLD regions within the Interreg V Programme for the 2014-2020 period, further strengthening their ties to the citizens through an integral financial scheme and development strategy. Economic reasons have also convinced the Alpine Pearls network to transform its association into an EGTC, which will, in future, also be characterised by a unidimensional membership structure consisting solely of municipalities.
1. Einleitung
Bereits seit Beginn der 1990er-Jahre versucht der Begriff „Europaregion Tirol“ eine räumliche Einheit zwischen Tirol, Südtirol, dem Trentino und anfänglich Vorarlberg zu schaffen, in der die historischen Landesteile der Gefürsteten Grafschaft Tirol wieder näher zusammenrücken sollten (Pernthaler 2007, 83). Die politische, aber auch die wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit über die Staatsgrenze hinweg sollte umfassend gefördert werden (vgl. Viola 1996, 13 – 19). Doch infolge politischer und rechtlicher Hindernisse ließ man das „Projekt Europaregion Tirol“, das die Institutionalisierung einer dauerhaften grenzübergreifenden Kooperation beabsichtigte, ruhen (vgl. Pernthaler/Ortino 1996). Die geografische Bezeichnung der drei Landesteile als Europaregion blieb jedoch weit verbreitet, auch wenn wissenschaftlich unter „Europaregion“ ein europaweit verbreitetes Modell für grenzüberschreitende Kooperationen zu verstehen ist (vgl. Perkmann 2003).
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit hat stets vor dieser Bezeichnung stattgefunden, wenn auch in wechselnder Intensität, aufgrund unterschiedlicher Bedürfnisse und geregelt von unterschiedlichen Rechtsnormen (vgl. Pallaver 2013). Ein Blick auf grenzüberschreitende Kooperationen von Tiroler, Südtiroler und Trentiner Gemeinden darf sich nicht allein auf die historisch-kulturellen Elemente richten. Gerade in jüngerer Vergangenheit haben sich neue Formen entwickelt, gefördert durch neue rechtliche Möglichkeiten, die dem fortschreitenden Austausch über die Brennergrenze hinweg noch mehr Geschwindigkeit verliehen haben: von einzelfallbezogenen Kooperationen im Rahmen von Interreg-Projekten über kommunale Arbeitsgruppen bis hin zur breit angelegten Zusammenarbeit im wirtschaftlich-kulturellen Bereich innerhalb des Europäischen Verbundes für territoriale Zusammenarbeit (EVTZ) „Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino“ (im folgenden EVTZ „Europaregion“).
Dieser Beitrag möchte die drei Schlüsselbegriffe „Grenzüberschreitende Zusammenarbeit“, „Gemeinden“ und „Europaregion“ miteinander verbinden und deren Kombination kritisch hinterfragen: Grenzüberschreitende Zusammenarbeit auf substaatlicher Ebene ist unbestritten ein weltweites Phänomen, von steigender Bedeutung in Europa (vgl. Nelles 2014, 105) und ebenso im Brennerraum (vgl. Toniatti 1996). Die Schaffung des rechtlichen Rahmens des EVTZ „Europaregion“ hat zweifelsfrei diesen Austausch noch weiter gefördert (vgl. Fink 2012). Doch welche Rolle spielt die kommunale Ebene? Liegen die Außenbeziehungen allein in der Hand der regionalen Ebene, also der autonomen Provinzen von Bozen und Trient und dem Bundesland Tirol, oder konnten Gemeinden ebenfalls Initiativen zur effizienteren und nachhaltigeren Entwicklung von gemeinsamen Räumen über die Grenzen hinweg entwickeln? Nach einer Analyse der Rolle der Gemeinden innerhalb des EVTZ „Europaregion“ untersucht dieser Beitrag die Interreg-Räte Dolomiti Live, Terra Raetica und Wipptal sowie das Netzwerk der Alpine Pearls.
2. Der EVTZ „Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino“ als Antriebsfeder für die grenzüberschreitenden Beziehungen – aber auch für die Gemeinden?
Die Entwicklung der Zusammenarbeit über Staatsgrenzen hinweg und der damit einhergehende Bedeutungsverlust dieser Trennungslinien stehen in engem Zusammenhang mit den Phänomenen der Globalisierung und der Europäischen Integration (vgl. Nelles 2014, 105). Gerade der Blick auf die substaatliche Ebene – und hier vor allem auf die Gemeinden als kleinste Gebietskörperschaften – ist von großem Interesse, da diese besonders von der „Öffnung der Staatlichkeit“ (Engl/Woelk 2011, 2) betroffen sind. Sie erhalten im Zuge der fortschreitenden Entgrenzung des Staates eine neue Rolle im Verfassungsgefüge und neue Aufgaben und Zuständigkeiten. Innerstaatlich gilt die interkommunale Zusammenarbeit als eines der erfolgreichsten Instrumente zur Überwindung von aktuellen Krisen z. B. in den Bereichen Finanzen, Demografie und Kommunalisierung (vgl. Astner 2016). Doch auch an Außengrenzen bewährt sich die grenzüberschreitende interkommunale Zusammenarbeit zunehmend als erfolgreicher Lösungsweg bei der Wahrnehmung gemeinsamer Aufgaben und Problemstellungen, die beiderseits der Grenze bewältigt werden müssen (vgl. Perkmann 2003). Die innerstaatliche Dezentralisierung, die immer größere Autonomie der substaatlichen Ebene mit sich bringt, sowie der parallel stattfindende Prozess der Integration der Staaten in größere Verbände wie der Europäischen Union vertiefen das Phänomen der Entstaatlichung (vgl. Palermo 2005). Zentraler Aspekt ist die Aufwertung der Regionen und Gemeinden von ehemaliger Peripherie an den Staatsgrenzen und benachteiligten Randgebieten hin zu entscheidenden Wirtschaftsteilnehmern mit besonderer Scharnierfunktion in Grenzgebieten. Modellcharakter hat seit Jahrzehnten die Euregio an der deutsch-niederländischen Grenze (vgl. Hoffschulte 2009). Der grenzüberschreitende Kommunalverband hat sich am 8. Januar 2016 von einem eingetragenen Verein nach deutschem Recht in einen deutsch-niederländischen Zweckverband umgeändert, gerade um den niederländischen Gemeinden eine formelle Mitgliedschaft zu ermöglichen und so ihre Stellung als gleichberechtigte Partner zu stärken. Dies steht als Beispiel für die allgemeine Tendenz, dass die Bedeutung der verschiedenen Formen grenzüberschreitender Zusammenarbeit – im institutionellen Sinne wie jenen von Soft-law-Instrumenten – stetig zunimmt. Auch der Brennerraum ist hiervon nicht ausgeschlossen.
Die Intensivierung der Zusammenarbeit fand im Brennerraum bereits in den 1970er-Jahren ihren Anfang und steigerte sich schrittweise bis hin zum heutigen Rechtsraum des EVTZ (vgl. Engl/Zwilling 2013, 136). Nach anfänglich nur spontanem und informellem Austausch von Informationen erfuhren die Gemeinden erst in einem zweiten Schritt ab den 1980er-Jahren eine Aufwertung als Teilnehmer bei grenzüberschreitender Kooperation durch die völkerrechtlichen Übereinkommen des Madrider Rahmenübereinkommens von 1980 und die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung von 1985. Letztere erkennt die grenzüberschreitenden Aktivitäten erstmals als Instrument kommunaler Zusammenarbeit an (vgl. Gamper 2014). Oft standen jedoch weiterhin konkrete Probleme wie Infrastruktur oder Katastrophenschutz im Vordergrund. Die grenzüberschreitenden Beziehungen scheiterten dennoch allzu oft an den rechtlichen Schranken. Da die Verfassungs- und Verwaltungsrechtsordnungen den Handlungsspielraum vorgaben, setzte sich dieser allein aus der Schnittmenge zwischen dem österreichischen und italienischen Recht zusammen. Allein schon die unterschiedlichen Staatsformen als Bundesstaat einerseits und Regionalstaat andererseits ließen einen gemeinsamen Nenner in Bezug auf die legislativen und verwaltungsrechtlichen Zuständigkeiten eher klein ausfallen. Erst die Schaffung des EVTZ „Europaregion“ im Jahre 2011 hat aus rechtlicher Sicht effektiv die Durchlässigkeit der Staatsgrenze erhöht und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit stark gefördert (vgl. Engl 2014, 388). Diese Europaregion folgt ebenso wie jene in anderen Regionen Europas der Grundidee der Dekonstruktion von Grenzen. Der gemeinsame Raum, in welcher institutionellen und rechtlichen Form er ausgestaltet sein mag, soll staatliche, politische, wirtschaftliche, soziale und auch kulturelle Grenzen überbrücken, je nachdem, wo der konkrete Zweck einer Europaregion liegt.
Ein EVTZ ist ein unionsrechtliches Rechtsinstrument zur grenzübergreifenden Zusammenarbeit zwischen Gemeinden, Regionen und Staaten, welches von der EU im Jahre 2006 durch eine Verordnung geschaffen wurde (vgl. Zwilling/Engl 2014, 313). Die Verordnung verleiht den Staaten, den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften sowie anderen öffentlichen Einrichtungen das Recht, in Einklang mit den jeweils geltenden Verfassungsrechtsordnungen einen grenzübergreifenden Kooperationsverband mit eigener Rechtspersönlichkeit zu gründen. Der Zweck einer solchen Einrichtung besteht darin, durch gemeinsame Projekte sowie durch eine gemeinsame Verwaltung von öffentlichen Dienstleistungen oder Infrastrukturen den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt in der EU zu fördern (vgl. Engl 2011). Gemäß Artikel 3 Absatz 1 lit. c EVTZ-VO können lokale Gebietskörperschaften innerhalb der Grenzen ihrer Befugnisse nach innerstaatlichem Recht Mitglieder eines EVTZ werden. Darunter sind in diesem Zusammenhang Organe mit eigener politischer Legitimität zu verstehen, die nach innerstaatlichem Recht mit einer eigenen, von der des Staates verschiedenen Rechtspersönlichkeit ausgestattet sein müssen. Ob und in welchem Ausmaß eine lokale Gebietskörperschaft Mitglied werden kann, hängt allein von ihren Kompetenzen nach mitgliedstaatlichem Verfassungs- und Verwaltungsrecht ab. Als Folge dieses Verweises sind die Akteure daher von Staat zu Staat sehr verschieden – eine beabsichtigte Heterogenität und Asymmetrie, die als Grundsatzentscheidung so bereits in der EVTZ-Verordnung angelegt ist (vgl. Zwilling/Engl 2014, 315). In der Folge unterscheidet man monodimensionale EVTZ, in denen die Mitglieder nur einer verfassungsrechtlichen Ebene angehören, und multidimensionale EVTZ, in denen verschiedene Verfassungsebenen vertreten sind. Regelmäßig nehmen in EVTZ, denen Gemeinden als Gründungsmitglieder beigetreten sind, diese eine zentrale Stellung im institutionellen Gefüge ein, so vor allem in der Versammlung und dem Vorstand als den Entscheidungs- und Lenkungsorganen des Verbands. Die bisherigen Erfahrungen und Statistiken haben gezeigt, dass Gemeinden ebenso wie regionale Gebietskörperschaften dieses Rechtsinstrument auf vielfältige Weise nutzen können, um ihre Zusammenarbeit rechtlich zu institutionalisieren und gemeinsame Entwicklungsstrategien leichter zu planen und umzusetzen (vgl. Zwilling/Engl 2014, 323).
Der EVTZ „Europaregion“ ist das erste grenzüberschreitende Organ mit Rechtspersönlichkeit im Brennerraum, nachdem Italien das erste Zusatzprotokoll zum Madrider Abkommen, mit dem die Möglichkeit, derartige Organe einzurichten, geschaffen worden war, nie ratifiziert hat (vgl. Engl/Zwilling 2013, 141). Der EVTZ führt gezielt die Zusammenarbeit der 1990er-Jahre fort und lehnt sich strukturell an die Initiatoren des politischen Projektes der „Europaregion Tirol“ an: Die Initiative zur Gründung eines EVTZ geht auf den Dreierlandtag zurück. Daher ist eine Vorrangstellung der drei Gebietskörperschaften in der Struktur seiner Mitgliederzusammensetzung nicht verwunderlich: Anstatt die von der Verordnung zur Verfügung gestellte Flexibilität und Heterogenität zu nutzen, sind nur die beiden autonomen Provinzen und das Bundesland Tirol Mitglieder des Verbands. Damit fußt dieser Verband ausschließlich auf einer monodimensionalen, nämlich regionalen, Verwaltungs- und Regierungsebene, was allein nicht ungewöhnlich ist im Vergleich zu anderen Fallstudien (vgl. Engl 2014, 389). Wie auch in anderen EVTZ üblich, leiten die höchsten politischen Vertreter der Mitglieder den Verband, mithin die Landeshauptleute. Die formelle Mitgliederstruktur verbietet jedoch nicht, auf andere Weise zusätzliche institutionelle Ebenen mit einzubeziehen. Durch das Einbinden von Vertretern der regionalen Parlamente (Regionalrat und Tiroler Landtag) in die Versammlung der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino wird die Absicht deutlich, dass auf horizontaler Ebene institutionelle Trennungslinien überwunden werden sollen (vgl. Engl 2014, 389). Im Hinblick auf die vertikale Einbeziehung von zusätzlichen Verwaltungs- und Regierungsebenen hat sich der EVTZ „Europaregion“ jedoch gegen die Möglichkeit entschieden, etwa beratende Organe zu schaffen, wie sie andere EVTZ kennen. Anzudenken wäre hier konkret eine Bürgermeister-Konferenz wie im EVTZ „Eurométropole Lille-Kortrijk-Tournai“ (Engl 2014, 289 und 390) oder auch die Einbindung des Südtiroler Gemeindenverbandes oder des Rates der Gemeinden. Damit hätten Vertreter der lokalen Ebene und indirekt damit auch die einzelnen Bürgerinnen und Bürger in der Planungs- oder Entscheidungsfindungsphase der Aktivitäten des EVTZ eingebunden werden können. Abgesehen von der strikt eindimensionalen Struktur dieses EVTZ erfährt auch seine Dominanz der Exekutive zunehmend Kritik (vgl. Engl 2015). Die ebenfalls kritisierte Bürgerferne könnte jedenfalls durch eine regelmäßige Berücksichtigung der kommunalen Ebene und deren Brückenfunktion zu den Bürgerinnen und Bürgern verringert werden.
3. Die Gemeinden als aktive Gestalter, Mitläufer oder Randfiguren in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit?
3.1 Die Interreg-Räte Dolomiti Live, Terra Raetica und Wipptal
Aufbauend auf langjährigen Erfahrungen in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit wurden in der Europaregion zwischen 2006 und 2008 die drei Interreg-Räte Wipptal, Terra Raetica und Dolomiti Live gegründet, um die Zusammenarbeit zwischen Österreich und Italien sowie dem Schweizer Kanton Graubünden auf lokaler Ebene zu fördern und zu stärken und um ihr einen formellen Rahmen zu geben. Die Räte verfolgen das Ziel, Entwicklungsstrategien für die jeweilige grenzüberschreitende Region auszuarbeiten, den aktiven Informations- und Erfahrungsaustausch zu fördern sowie die grenzüberschreitenden Regionen allgemein zu stärken. Dies erfolgt primär durch die Vorbereitung und Durchführung gemeinsamer Projekte, welche unter anderem mit Geldern aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) finanziert werden.
Im Sinne des Bottom-up-Ansatzes wird lokalen Akteuren eine zentrale Rolle zugeteilt. Dadurch soll ein Gleichgewicht zwischen Anforderungen, Strategien und Richtlinien „von oben“ (Provinz/Land, Staat, EU) und den Bedürfnissen und Ansprüchen „von unten“ (Gemeinden, Bezirksgemeinschaften, Privatsektor) hergestellt werden. Die Räte werden durch die jeweiligen Trägerorganisationen (Regionalentwicklungsorganisationen der einzelnen Regionen, das sind Bezirksgemeinschaften im Falle von Südtirol, Regionalmanagementeinrichtungen in Österreich bzw. Gruppi di Azione Locale GAL im Belluno) getragen und operativ unterstützt, welche das Management und sämtliche Koordinationsaufgaben wahrnehmen. Mitglieder der Räte sind neben den bestellten Vertretern dieser Organisationen zudem auch Repräsentanten der einzelnen Gebiete. Dazu gehören sowohl Vertreter der öffentlichen Körperschaften, wie etwa Bürgermeisterinnen und Bürgermeister und Bezirkshauptleute, als auch Wirtschafts- und Sozialpartner.
Gemeinden sind in den Interreg-Räten auf verschiedenen Ebenen aktiv beteiligt. Als Vorstände von Regionalentwicklungseinrichtungen bzw. als Vertreter ihrer Region zählen in allen drei Interreg-Räten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister zu den Mitgliedern. Prinzipiell hat jede/r Bürgermeister/-in die Möglichkeit, als Vertreter seiner Region in den jeweiligen Interreg-Rat entsandt zu werden, indem er aktiv den Wunsch an das jeweilige Regionalmanagement heranträgt. Während im Interreg-Rat Wipptal laut Statut alle Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der grenzüberschreitenden Region Mitglied des Rates sind, ist die Mitgliedschaft der Gemeinden in Dolomiti Live und Terra Raetica limitierter. Hier werden die einzelnen Regionen nicht von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern der Gemeinden vertreten, sondern durch Repräsentantinnen und Repräsentanten der regionalen, der Provinz- oder Bezirksebene.
Im Rahmen ihrer Mitgliedschaft im Interreg-Rat haben die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister die Möglichkeit, die Interessen ihrer Gemeinden aktiv zu vertreten. So nehmen sie unter anderem an der Ausarbeitung von Entwicklungsstrategien für die grenzüberschreitende Region und der Erarbeitung von Kernthemen und Aktionsfeldern teil, welche den strategischen Rahmen für Projekte und andere Initiativen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im jeweiligen Gebiet bilden.
Alle Gemeinden können sich, unabhängig von ihrer Mitgliedschaft im Interreg-Rat, außerdem an der Projektvorbereitung und -umsetzung beteiligen. Vertreten durch ihre Bürgermeisterinnen und Bürgermeister können Gemeinden als Projektträger selbst Projektideen ausarbeiten und Projektanträge stellen, welche anschließend vom Interreg-Rat im Abstimmungsverfahren genehmigt oder abgelehnt werden. Als Projektträger führt die Gemeinde ihre Projekte in Zusammenarbeit mit den anderen Projektpartnern durch und verteilt projektbezogene Aufträge.
Die große Anzahl von Interreg-Projekten, die von Gemeinden in Zusammenarbeit mit anderen Projektpartnern eingereicht und durchgeführt wurden, weist auf das hohe Interesse und die starke Beteiligung von Gemeinden an der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit hin. Besonders für Gemeinden in peripheren Grenzregionen sind diese Kooperationen von großer wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Bedeutung. In Zeiten von kommunalen Budgetkürzungen stellen EU-Finanzierungsprogramme zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit eine wichtige Geldquelle dar, die die Umsetzung von Projekten ermöglicht.
Allgemein sind EU-Förderprogramme allerdings mit einem großen bürokratischen Aufwand verbunden und besonders für kleinere lokale Akteure wie auch Gemeinden schwer zugänglich. Um den im Grenzraum handelnden Akteuren unbürokratisch und schnell die Möglichkeit zu geben, grenzüberschreitende Zusammenarbeit aktiv zu gestalten, wurden Kleinprojektefonds eingerichtet, die von den Interreg-Räten betreut und verwaltet werden. Sie dienen der Förderung von Maßnahmen mit Fokus auf Austausch, Begegnung und anderen gemeinsamen Aktionen mit einem Budget von bis zu 50.000 Euro, für die es zu aufwändig wäre, ein eigenes Interreg-Projekt einzureichen. Diese Kleinprojekte sollen einerseits den Einstieg der lokalen Akteure in die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Projektarbeit erleichtern und anregen sowie andererseits eine breitere Einbindung der Interessenvertreter und der Bevölkerung gewährleisten. Auch hier sind Gemeinden maßgeblich beteiligt, sowohl in der Auswahl von Kleinprojekten als auch als Projektträger und -partner.
Am Beispiel des Interreg-Kleinprojektes „Kultur an der alten Brennerstraße“ des Interreg-Rats Wipptal lässt sich die Rolle der Gemeinden im Rat nachzeichnen. Im Rahmen des Projektes haben sich die Gemeinden Gries am Brenner (Tirol) und Brenner (Südtirol) sowie Verbände und Betriebe nördlich und südlich des Brenners zusammengeschlossen, um die Regionen und Gemeinden zwischen Gries und Gossensaß grenzüberschreitend zu vernetzen und durch den Themenweg „Alte Brennerstraße“ die Brennerregion touristisch aufzuwerten. Als Mitglieder des Interreg-Rates Wipptal waren die Bürgermeister der beiden Gemeinden an der Entwicklung der strategischen Ausrichtung und der Schlüsselthemen zur Zusammenarbeit der Brennerregion, wie etwa die gemeinsame Entwicklung von Angeboten zur Förderung des Tourismus, beteiligt. Das Interesse der peripheren Gemeinden Gries und Brenner, den lokalen Tourismus zu stärken und die beiden Grenzorte wiederzubeleben, führte zur Ausarbeitung des Projektantrages und zur anschließenden Umsetzung durch die zwei Gemeinden gemeinsam mit örtlichen Chronistengruppen und Gastbetrieben und mit administrativer Unterstützung von Seiten der Regionalentwicklungseinrichtungen. In Zukunft soll das Projekt auf andere Gemeinden und Gastbetriebe ausgeweitet werden. Die Gemeinden waren also auf drei Ebenen als aktive Gestalter der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit tätig: erstens bei der Beteiligung im Interreg-Rat bei der Ausarbeitung der strategischen Kernthemen, auf deren Basis Projektanträge bewertet werden, zweitens bei der konkreten Entwicklung und Einreichung des Projektantrags und drittens bei der Umsetzung des genehmigten Projektes.
Um die Beteiligung von lokalen Akteuren an der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit verstärkt zu fördern, sieht das neue Interreg V Programm Italien-Österreich 2014 – 2020 die „Stärkung der grenzüberschreitenden Integration und Förderung der lokalen Eigenverantwortung im unmittelbaren Grenzgebiet durch integrierte grenzüberschreitende Strategien gemäß dem CLLD-Ansatz zur Förderung eines innovativen, nachhaltigen und inklusiven Wachstums“ vor. Im Sinne des Community-Led Local Development („Lokale Entwicklung unter der Federführung der Bevölkerung“, kurz CLLD) soll Verantwortung für die Entwicklung und Umsetzung von Strategien und Projekten vermehrt an eine lokale Partnerschaft delegiert werden, welche aus Akteuren des privaten und öffentlichen Bereichs sowie der Zivilgesellschaft besteht. Die drei Interreg-Räte der Europaregion haben sich 2015 als grenzübergreifende CLLD-Gebiete im Rahmen des Interreg V Programms Italien-Österreich beworben und Anträge zur Finanzierung von grenzübergreifenden lokalen Entwicklungsstrategien im Sinne des CLLD eingereicht. Die beabsichtigte Aufwertung gilt besonders für jene Akteure, die bisher vor allem in der Umsetzung von Projekten, der Entwicklung von Strategien und der Projektauswahl nur am Rande beteiligt waren, wie etwa Vereine und Privatpersonen. Dies stärkt auch die demokratisch-partizipative Dimension der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, was voraussichtlich auch die Rolle der Gemeinden positiv beeinflussen wird. Der bisherige Fokus auf die administrativ-politische Ebene wird auf die Bevölkerung ausgeweitet, wodurch die Initiativen der Kooperation noch gezielter auf Bedürfnisse und Ziele von Gemeinden ausgerichtet werden können und dadurch von Gemeindeverwaltung, Gemeindepolitik sowie Gemeindebevölkerung aktiv unterstützt und mitgetragen werden können.
3.2 Alpine Pearls: Vom grenzüberschreitenden Verein zum EVTZ
Dieses von Gemeinden initiierte und geführte grenzüberschreitende Netzwerk ist ein weiteres Beispiel für grenzüberschreitende Zusammenarbeit, in der Gemeinden die aktive Rolle spielen. 17 Gemeinden aus dem gesamten Alpenbogen gründeten 2006 einen österreichischen Verein mit dem Ziel, sanfte Mobilität im Tourismus zu fördern und durch das gemeinsame Auftreten den touristischen Bekanntheitsgrad aller Mitglieder als Alpine Pearls zu steigern. Inzwischen ist das Netzwerk auf 25 Gemeinden angewachsen – darunter auch Gemeinden aus Südtirol, dem Trentino und Tirol. Nach acht Jahren erfolgreicher Tätigkeit als österreichischer Verein wurde 2014 in der Mitgliederversammlung die Umwandlung in einen EVTZ beschlossen. Das Genehmigungsverfahren des EVTZ ist derzeit noch nicht abgeschlossen. Die Absicht hinter dieser Entscheidung lag vor allem in den Vorteilen, die durch die Rechtspersönlichkeit des EVTZ entstehen und zur Erleichterung und Förderung der interregionalen Zusammenarbeit zwischen seinen Mitgliedern beiträgt. Als anerkanntes Instrument der Zusammenarbeit auf EU-Ebene mit Rechts- und Geschäftsfähigkeit soll der EVTZ zudem ein strategischer Schritt sein, um Förderprojekte einzureichen. Als Beispiel wird etwa das EU-Programm Alpine Space genannt, für das ein EVTZ als alleiniger Projektpartner für Kooperationsprojekte auftreten könnte. Zudem können auch Institutionen aus der Schweiz beteiligt sein. Alpine Pearls erwartet sich, durch den EVTZ die Vorreiterrolle als alpines Netzwerk für sanfte Mobilität weiter auszubauen und die Marke „Alpen“ noch stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Wie bereits im Verein, in dem jeder teilnehmende Ort eine Stimme hatte, sollen auch im EVTZ nur Gemeinden bzw. die Tourismusorganisation einer oder mehrerer Gemeinden die Mitgliedschaft erhalten. Laut Satzungsentwurf setzen sich die Organe des EVTZ ausschließlich aus Vertreterinnen und Vertretern der Gemeinden bzw. der Tourismusorganisationen von Gemeinden zusammen. Jedes Mitglied entsendet eine/n Vertreter/-in in die Mitgliederversammlung, welche unter anderem Maßnahmenpläne, strategische Leitlinien und die Geschäftsordnung ausarbeitet und genehmigt, die Mitglieder des Vorstandes wählt und über die Aufnahme neuer Mitglieder entscheidet. Jedes Mitglied hat eine Stimme. Der Vorstand des EVTZ, bestehend aus Präsident und fünf Vizepräsidenten, wird von der Mitgliederversammlung aus ihrer Mitte gewählt. Jedes Land hat das Recht, zumindest einen Vizepräsidenten zu stellen. Dem Vorstand obliegt die Leitung des EVTZ in operativer Hinsicht, er hat unter anderem die Aufgabe, Tätigkeits- und Jahresabschlussberichte zu verfassen sowie die Budgetplanung gemeinsam mit der Geschäftsführung durchzuführen. Zudem kann der Vorstand Fachkommissionen einberufen, neue Aufgabenstellungen festlegen und Impulse für die zukünftige Entwicklung des EVTZ setzen. Die bilaterale Abstimmung von Projektideen und Strategien zwischen den Mitgliedern und sonstigen Institutionen sowie die Aufbereitung, Einreichung, Umsetzung und Abrechnung von gemeinsamen Projekten gehören damit zum Aufgabenbereich der im EVTZ aktiven Gemeinden. Dies bedeutet, dass die Interessen und Strategien von Gemeinden im Mittelpunkt dieser grenzüberschreitenden Kooperation stehen und die Ziele dementsprechend von den Mitgliedern definiert und mittels gemeinsamen Projekten umgesetzt werden. Da der EVTZ ausschließlich aus Gemeinden bzw. Tourismusvereinen der Gemeinden zusammengesetzt ist, ist die Rolle der Gemeinden als aktive Träger hier noch stärker ausgeprägt als in den Interreg-Räten. Inwiefern die Zusammenarbeit der Gemeinden innerhalb der Rechtsform des EVTZ auch langfristig erfolgreich ist, wird sich nach offizieller Gründung und Aufnahme der Tätigkeiten als EVTZ zeigen. Die langjährige Erfahrung in der Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden als Alpine Pearls sowie die Ausrichtung des neuen EVTZ auf die Förderung eines nachhaltigen Tourismus mit Schwerpunkt auf umweltfreundlicher Mobilität lassen allerdings auf eine positive Weiterentwicklung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auf lokaler Ebene im Alpenraum hoffen.
4. Fazit: Aktive Gestalter und Mitläufer, aber keine Randfiguren
Die genannten Beispiele haben verdeutlicht, dass es auch in der Europaregion verschiedenartige Möglichkeiten gibt, um grenzüberschreitend zusammenzuarbeiten. Dabei wird jedoch auch deutlich, dass die kommunale Ebene nicht alle Formen für sich nutzt. Scheinbar variiert die Rolle der Gemeinden stark je nach Organisationsform. Doch zeigt ein genauerer Blick, dass vor allem Funktionalität und der konkrete Zweck ihrer Kooperation die Gemeinden leiten und für die Wahl der einen oder anderen Form sprechen. Dies bestätigt die allgemeine Annahme, dass es gerade kein perfektes Rechtsinstrument für grenzüberschreitende Zusammenarbeit gibt und die jeweiligen Ziele der beteiligten Partner in direktem Zusammenhang mit der Wahl von Form und Struktur stehen (vgl. Böttger 2009). Die Gemeinden der Europaregion lassen dadurch erkennen, dass sie sich ihrer Wahlmöglichkeiten durchaus bewusst sind und eine emanzipierte Rolle in den Mehrebenensystemen nördlich und südlich des Brenners einnehmen.
Die eindimensionale Mitgliederstruktur des EVTZ „Europaregion“ beruht auf historischen Gründen, vor allem der beabsichtigten Fortführung der bereits bestehenden Kooperation, und der von Beginn an überwiegend politisch motivierten Zusammenarbeit der Landtage. Dementsprechend formuliert die Satzung den Zweck des Verbundes daher sehr weit: Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen seinen Mitgliedern und Stärkung der wirtschaftlichen und sozialen Kohäsion. Erst in einem zweiten Schritt, nämlich bei der konkreten Umsetzung von Projekten unter dem rechtlichen Schirm des EVTZ, stellt sich die Frage, welche Projektpartner und verwaltungs- und verfassungsrechtlichen Ebenen notwendig sind, um Effizienz, Qualität und Erfolg bestmöglich zu garantieren. Die kommunale Ebene bzw. einzelne Gemeinden können dann innerhalb dieser Einzelmaßnahmen zentrale Rollen einnehmen und als nicht-institutionalisierte Partner fungieren. Eine mehrdimensionale Mitgliederstruktur hätte zwar den Vorteil, kompetenzrechtliche Hürden in Mehrebenensystemen zu überwinden und so den Handlungsraum des EVTZ als solchen weiter auszugestalten. Doch können die Asymmetrien in den Organen eines EVTZ, etwa der Versammlung, auch zu schwerfälligeren Abläufen oder längeren Entscheidungsfindungsprozessen führen. Ein Vergleich der bisher gegründeten EVTZ zeigt, dass die eindimensionale Struktur bislang überwiegt. Gerade im vorliegenden Fall hätte ein institutioneller Pluralismus auch zu einem politischen Pluralismus führen können, da auf der kommunalen Ebene die Südtiroler Sprachgruppen durch ein größeres Parteienspektrum repräsentiert werden als auf regionaler Ebene. Durch die Vertreter der Gemeindeebene im EVTZ „Europaregion“ hätte man auch politische Oppositionsparteien berücksichtigen müssen.
Das europäische Rechtsinstrument zeigt sich hingegen genau dort als besonders interessant, wo die Mitglieder einen sehr spezifischen Zweck verfolgen, der den Kern ihrer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit darstellt. Die Gemeinden des Netzwerks Alpine Pearls haben seit 2000 zunächst aufgrund von EU-Finanzierungsprogrammen zusammengearbeitet, um nachhaltige Mobilität in Tourismusgebieten auszubauen. Sie gründeten gemeinsam die Marke der alpinen Perlen, die für Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Qualität im Tourismussektor im ganzen Alpenbogen stehen. Nach Auslaufen der EU-Förderung war 2006 eine Institutionalisierung notwendig geworden, um langfristig Integration und Kohäsion zu garantieren. Der derzeit angestrebte Übergang zu einem EVTZ dient ebenfalls allein diesem Zweck und verspricht zusätzlich, wieder leichter an EU-Förderungen teilnehmen zu können (vgl. Mentil 2015). Auch dieser EVTZ soll eine monodimensionale Mitgliederstruktur haben. Doch entspricht dies genau dem Zweck der Zusammenarbeit: nachhaltige Regionalentwicklung im alpinen Tourismus auf kommunaler Ebene und mit Schwerpunkt auf umweltfreundlicher Mobilität findet sich im Handlungsspielraum der Gemeinden. Die Umsetzung kann nur durch die Gemeinde als Erbringer von Dienstleistungen im öffentlichen Interesse, etwa der Infrastruktur, und in enger Abstimmung mit ihren Bürgerinnen und Bürgern, den Unternehmern und Wirtschaftstreibenden im Tourismussektor erfolgen. Die gemeinsame Rechtsform als EVTZ hilft, die großen rechtlichen Unterschiede zu überwinden, denen die Gemeinden in ihren innerstaatlichen Rechtsordnungen ausgesetzt sind. Es bleibt derzeit noch abzuwarten, ob und wie die bisherigen Kooperationspartner (Ministerien, Landesdienststellen, Mobilitätsdienstleister wie DB, ÖBB, SBB etc.) in die Struktur eingebunden werden sollen.
Dass dieselbe Rechtsform in einem Fall den Kommunen den entscheidenden Erfolgsfaktor bieten soll und hingegen im anderen Fall kritiklos die kommunale Ebene ausschließt, zeigt einmal mehr, dass der Inhalt und nicht die Hülle zählt. Es wird außerdem deutlich, dass nicht mehr die Geschichte das verbindende Element und somit Triebfeder für die Kooperation nördlich und südlich des Brenners ist, sondern die wirtschaftliche Entwicklung, die sich im konkreten Alltagsleben der Einwohner widerspiegelt. Die Gemeinden handeln vorrangig zum Gemeinwohl der Bürgerinnen und Bürger und suchen nicht in erster Linie, den politischen Ansätzen der von den Landtagen geförderten Zusammenarbeit zu folgen. Die gemeinsame Form der kommunalen Kooperation folgt allein pragmatischen, strategischen Entscheidungen und ergibt sich je nach Kooperationszweck auf institutionalisierter oder vielmehr informeller Basis.
Dies unterstreichen auch die Zusammenschlüsse zu Interreg-Räten an der Staatsgrenze zwischen Österreich und Italien. Öffentlich-rechtliche und privatrechtlich organisierte Akteure schließen offizielle Partnerschaftsverträge, um in einem formalisierten Rahmen gemeinsame Interreg-Projekte zu planen, einzureichen und umzusetzen. Zur Unterstützung dieser Interreg-Projekte haben sich die jeweiligen Projektpartner eine „begleitende Assistenz in Form des Interreg-Rates […] eingerichtet“ (Interreg-Rat Dolomiti Live) und somit eine Art Managementinstrument entwickelt, allein mit dem Zweck, die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Partnerschaft zu erhöhen und gebündelt jene Aufgaben zu übernehmen, die ansonsten von jedem Partner in Einzelverantwortung ausgeführt werden müssten. Ein gemeinschaftliches und daher strategisch aufeinander abgestimmtes Vorgehen erhöht die Chancen auf Finanzierung und erleichtert damit für jeden einzelnen Partner die Bewältigung der gleichgelagerten Herausforderungen. Durch die Genehmigungen ihrer Kandidatur im Rahmen des Interreg V Programms wandeln sich diese Interreg-Räte im Frühling 2016 in CLLD-Gebiete um. Damit basieren die jeweiligen Partnerschaften nicht mehr auf drittmittelfinanzierten Einzelprojekten, sondern auf einer umfassenden ganzheitlich ausgerichteten Entwicklungsstrategie für ihre jeweilige Region. Als Voraussetzung für finanzielle Beiträge haben gemäß dem CLLD-Ansatz die lokalen Akteure und Stakeholder innerhalb jeden Interreg-Rates die auf ihre lokalen Bedürfnisse zugeschnittenen Strategien entwickelt (vgl. Hoffmann 2015). Die Entscheidung der Gemeinden, aktiv an diesen Projektpartnerschaften teilzunehmen und in einem Folgeschritt sogar die Kandidatur als CLLD-Gebiet zu unterstützen, zeigt deutlich die Zielorientiertheit und den Pragmatismus in ihrem Handeln. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist Teil des kommunalen wirtschaftlichen Handelns zur Steigerung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit und nicht (alleiniger) Selbstzweck zur Stärkung und Bewahrung gemeinsamer kultureller Werte.
Die Frage nach der Rolle der Gemeinden kann nicht für die gesamte Europaregion einheitlich beantwortet werden, da sich große geografische Unterschiede zeigen: Alle Gemeinden entlang der italienisch-österreichischen Staatsgrenze sind eindeutig aktive Gestalter ihrer grenzüberschreitenden Beziehungen. Sie nutzen erfolgreich die vorhandenen Formen (alle die Interreg-Räte und zum Teil sogar zusätzlich den Zusammenschluss zu Alpine Pearls), um kommunale Außenpolitik zu betreiben und ihre meist wirtschaftlich geprägten Ziele zu erreichen. Dabei lassen sie die gemeinsamen historischen und sprachlich-kulturellen Elemente, die sie miteinander verbinden, ebenfalls nicht außer Acht, auch wenn dies oft wieder wettbewerbssteigernde Wirkung haben kann und soll, etwa im Bereich Tourismusförderung. Die untersuchten Kooperationsformen EVTZ, eingetragene Vereine oder Interreg-Räte bzw. CLLD-Gebiete bieten ihnen Verbindlichkeit und Verantwortlichkeit. Diese Vorteile für die Gemeinden ergeben sich aus dem Rechtsinstrument EVTZ, da sie durch die potentielle Mehrebenenstruktur aufgrund der Mitglieder aus mehreren Verfassungsebenen ihre eigenen politischen Handlungsspielräume ausweiten können (vgl. Zwilling/Engl 2014). Doch gilt dies genauso für Interreg-Räte und jene Partnerschaften, die auf durch Drittmittelakquise motivierte Einzelfallprojekte aufbauen. Ein abgestimmtes gemeinschaftliches Handeln schafft Vertrauen durch Informationsaustausch und hilft in freiwilligen Verhandlungssystemen, die potenziell auftretenden Interessens- und Verteilungskonflikte zu überwinden. Nur so können grenzüberschreitende Beziehungen auch langfristigen Charakter annehmen, und zwar unabhängig von ihrer rechtlichen Form.
Außerhalb der Interreg-Räte ist zwischen jenen Gemeinden zu unterscheiden, die den Alpine Pearls angehören und auf diese Weise aktive Gestalter sind und jenen Gemeinden, die hingegen nur indirekte grenzüberschreitende Beziehungen pflegen, da sie sich im EVTZ „Europaregion“ befinden. Letztere sind eher als Mitläufer zu bezeichnen, da sie nach den oben dargestellten derzeitigen Strukturen des EVTZ institutionell nicht eingebunden werden. Jedoch entfalten die einzelnen Projekte des EVTZ direkten Einfluss auf die kommunale Ebene, hier sei etwa auf das Mobilitätskonzept und den Euregio-Familienpass zu verweisen. Auch wenn sie keine aktive Rolle im Entscheidungsfindungsprozess spielen und auch nicht über ein beratendes Organ wie die Bürgermeister-Konferenz angehört werden, so sind sie dennoch in der Umsetzungsphase beteiligt und übernehmen eine Brückenfunktion zu den Bürgerinnen und Bürgern als Leistungsempfänger. Darüber hinaus bieten ihnen einzelne Initiativen des EVTZ „Europaregion“ auch eine aktive Beteiligungsmöglichkeit, etwa die Teilnahme am Euregio-Kooperationspreis.
Damit wird deutlich, dass die Gemeinden der Europaregion innerhalb des Facettenreichtums der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ihre Rolle haben und diese auch wahrnehmen, sobald sie den Mehrwert für sich im wirtschaftlichen, kulturellen, sozialen oder historischen Bereich erkennen. Außenstehende Beobachter und reine Randfiguren sind sie jedenfalls nicht. Die Integrationstiefe lässt sich eher auf der Bandbreite zwischen aktivem Gestalter und Mitläufer verorten.
Literaturverzeichnis
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