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Ferdinand Karlhofer

Die Tiroler Gemeindewahlen 20161

The 2016 local elections in Tyrol

Abstract Aside from a gradual increase in votes for the Freedom Party of Austria (FPÖ), which – in light of the refugee crisis – was to be expected, the outcome of 2016 does not differ too much from previous local elections held in Tyrol. As before, the traditionally predominant Austrian People’s Party (ÖVP) holds a total of around 70 % of the council seats and fields the mayors in 80 % of the state’s municipalities. There is a still a number of small municipalities where there is no electoral contest at all, due to the fact that only one – as a rule ÖVP-controlled – list stands for election. On closer examination, however, there are some indications that a shift is taking place. The lynchpin here is a peculiarity of Tyrol’s electoral system, which allows for the creation of combined lists that essentially act as just one single list. For a long time, the ÖVP was more or less the only party to take advantage of this option (along the lines of ‘march alone, strike together’), yet the number of lists without an explicit party name has meanwhile increased, with many of them no longer clearly committing themselves to the party from which they originally emanated. The various non-party lists running for election are gradually cutting ties with their mother party. As a result, while the ÖVP is still the leading party by a substantial margin, it is faced with eroding intra-party cohesion.

1. Stellenwert der Gemeinden in der Landespolitik

Gemeinden, besonders solche mit geringer Einwohnerzahl, sind überschaubare Räume. Bei den Wahlen auf dieser Ebene stehen naturgemäß lokale Themen im Mittelpunkt. Man möchte also meinen, für die jeweilige politische Partei sind ihre bei Kommunalwahlen antretenden Listen eine vernachlässigbare Größe. Im Einzelnen mag das zutreffen, in Summe aber sind die Gemeinden für die Landespartei eine maßgebliche Größe, mehr noch, sie sind unverzichtbares Fundament, auf das letztlich die gesamte Parteiorganisation aufbaut.

Im Wissen um deren Bedeutung für die Organisation insgesamt sind die Landesparteizentralen längst dazu übergegangen, ihre Ortsgruppen – wenn auch im Hintergrund – bei Vorbereitung und Ablauf des Wahlkampfes zu unterstützen. Namentlich bei nicht klar abzusehendem Ausgang in größeren Gemeinden wird die lokale Parteileitung von Werbeagenturen und Politikberatern professionell begleitet.

In Tirol ist durch die hohe Zahl an Gemeinden mit gleichzeitig niedriger Einwohnerzahl die Betreuung der Ortsorganisationen vergleichsweise aufwendiger als in anderen Bundesländern (vgl. Karlhofer/Pallaver 2013, 11). Das Land gliedert sich in 279 Gemeinden, annähernd gleich viel wie die wesentlich größere Steiermark, wo die Zahl 2015 durch Fusionen von 539 auf 285 verkleinert wurde. Hinsichtlich der durchschnittlichen Einwohnerzahl liegt Tirol mit 2.561 an vorletzter Stelle (vor dem Burgenland mit 1.677)2, mehr als ein Drittel (35,5 %) der Bevölkerung lebt in Gemeinden mit weniger als 1.000 Einwohnern.

2. Parteienpräsenz in den Gemeinden

Reichweite und Einfluss der Parteien auf kommunaler Ebene stehen in direktem Zusammenhang mit der Zahl der Gemeinderäte, in denen sie vertreten sind. Bei den Gemeindewahlen zeigt sich die Dominanz der Tiroler Volkspartei noch wesentlich deutlicher, als das bei Landtagswahlen der Fall ist: Nur sie unterhält in allen Gemeinden Ortsorganisationen und ist in ausnahmslos allen Gemeinderäten vertreten. Sie stellt rund 70 Prozent aller Gemeinderatsmitglieder und 80 Prozent aller Bürgermeister und ist damit mehr als fünfmal bzw. fast neunmal so stark wie die nächstgrößere Partei SPÖ.3 In Klein- und Kleinstgemeinden stellt die ÖVP oft überhaupt die einzige Fraktion im Gemeinderat.

Die ÖVP legt ein nicht nur lückenloses, sondern mit den Ortsorganisationen ihrer Bünde sogar mehrfaches Organisationsnetz4 über das Land. Ihre Konkurrenten müssen dagegen mit weißen Flecken auf ihrer politischen Karte leben. Bei Wahlgängen erweist sich das als empfindlicher Wettbewerbsnachteil: Während die ÖVP ihre Logistik über das gesamte Land zieht, müssen SPÖ, FPÖ und Grüne bei der Flächenbetreuung Abstriche machen. Abgesehen von punktuellen Ausnahmen verfügt keine der drei Parteien über die für die nachhaltige Erschließung der kleinen Landgemeinden im Oberland, im Außerfern und in Osttirol nötigen Ressourcen. Untersuchungen über Landtagswahlkämpfe in Tirol machen das sichtbar: Sowohl die SPÖ als auch FPÖ und Grüne setzen den Fokus ihrer Wahlwerbung auf den urbanen Ballungsraum Innsbruck und die Achse Landeck bis Kufstein sowie Lienz (vgl. Karlhofer/Seeber 1999; Ringler 2000; Seeber 2009). Bei Gemeindewahlen ist die Schwerpunktsetzung noch deutlicher – in vielen Kleingemeinden an der Peripherie treten SPÖ, FPÖ und Grüne gar nicht erst an.5

Die weiteren im Landtag vertretenen Parteien sind in den Gemeinden überhaupt nicht beziehungsweise nur indirekt präsent. Das Bürgerforum Tirol (Liste Fritz), 2008 mit mehr als 18 Prozent eingezogen, peilte ursprünglich zwar einen „nachholenden“ Aufbau regionaler und kommunaler Präsenz an. Schon frühzeitig wurde aber eingeräumt, dass das mit Gemeindewahlen verbundene finanzielle und organisatorische Risiko zu groß sei. (vgl. Langegger 2009)6 Bei der Landtagswahl 2013 auf unter sechs Prozent geschrumpft, beschränkte sich die Partei bei den Gemeindewahlen 2016 darauf, in 20 bis 30 Gemeinden Namenslisten finanziell und beratend zu unterstützen, verbunden mit der Erwartung, dass diese „für die Partei bei der Landtagswahl 2018 nützlich werden“ 7 (vgl. Tiroler Tageszeitung 2016)

Von vornherein keine Ambition, bei den Gemeindewahlen 2016 als Partei in Erscheinung zu treten, hatte die mit drei (ursprünglich vier) Abgeordneten im Landtag vertretene Partei impuls tirol. 2013 unter Vorwärts Tirol zur Wahl angetreten und ähnlich wie 2008 die Liste Fritz eine Abspaltung von der ÖVP, haben die Abgeordneten sich nach längerem Konflikt im Februar 2015 durch Gründung ihrer eigenen Partei impuls endgültig von Vorwärts getrennt. Letztere ist kommunalpolitisch mit ihrem Parteiobmann (Hansjörg Peer) in Mutters präsent, der dort mit einer Namensliste 2010 zum Bürgermeister gewählt und 2016 in dieser Funktion bestätigt wurde. Aus den Reihen von impuls kam die Bürgermeisterin von Lermoos (Maria Zwölfer), die 2016 nicht mehr antrat.

Die Ergebnisse der Gemeindewahlen vom 28. Februar 2016 – gewählt wurde in 277 der 279 Gemeinden8 – lassen im Gesamten betrachtet keine großen Verschiebungen im Vergleich zu 2010 erkennen (Tabelle 1). Die ÖVP reklamiert 236 Bürgermeister für sich (zwei mehr als bis dahin), die SPÖ mit 24 gleich viel wie bei der vorangegangenen Wahl, die FPÖ verbucht zwei gegenüber davor einem Bürgermeister; die verbleibenden 15 Bürgermeister sind parteipolitisch nicht deklariert. Hinter der Gesamtverteilung gab es allerdings, wie unten noch auszuführen, zum Teil beträchtliche Änderungen durch unerwartete Stichwahlen und das Ausscheiden langjähriger Amtsinhaber.

Tab. 1: Präsenz der Landtagsparteien in den Gemeinden (ohne Innsbruck) *

ÖVP

SPÖ

FPÖ

Grüne

2010

2016

2010

2016

2010

2016

2010

2016

Präsenz in GR

278

278

117

ca. 120

47

ca. 100

31

46

Mandatare

2.627

ca. 2.600

387

<350

49

152

43

72

Bürgermeister

234

236

24

24

1

2

0

0

* Da sich im Laufe einer Periode die Werte verändern, liegt der Tabelle für 2010 der Stand Ende 2015 zugrunde.

Quellen: Für 2010 schriftliche Auskünfte der Geschäftsführer der Parteien; für 2016 Pressemitteilungen der Parteien.

Etwas deutlicher als bei der Bürgermeisterwahl fallen die Veränderungen bei der Zusammensetzung der Gemeinderäte aus:9 Die ÖVP konnte ihren Mandatsstand in etwa halten, die SPÖ erlitt Verluste und liegt in Summe bei unter 350 Sitzen. Die Grünen dagegen konnten in 15 Gemeinden zusätzlich Fuß fassen und einen Zuwachs von 29 Mandaten verbuchen. Am stärksten gewonnen hat die FPÖ, die ihren Mandatsstand verdreifacht hat; trotz des relativ starken Zuwachses bilanziert sie aber immer noch mit weniger als der Hälfte der Mandate der SPÖ.

3. Markante Eckpunkte und Ergebnisse der Wahlen 2016

Grosso modo ist mit den Gemeindewahlen vom 28. Februar und der Bürgermeisterstichwahl vom 14. März die Kräfteverteilung relativ stabil geblieben. Dessen ungeachtet gab es bei einigen Aspekten bemerkenswerte Veränderungen:

Kandidatenmangel. Ein Punkt wurde bereits im Vorfeld der Wahl zum Thema: die stark rückläufige Bereitschaft, sich für die Gemeinderats- und insbesondere für die Bürgermeisterwahl zur Verfügung zu stellen. Betroffen von diesem Problem waren nicht die größeren Gemeinden mit mehreren tausend Einwohnern (wo es teilweise fünf und sogar sechs Bewerber für das Bürgermeisteramt gab), sondern vor allem Kleingemeinden mit nur wenigen hundert Einwohnern. Schon bei vorangegangenen Wahlen war hier die Suche nach Kandidaten oft mühsam gewesen; diesmal spitzte sich das Problem in bisher nicht gekanntem Ausmaß zu, namentlich in Pfafflar und Spiss, wo sich erst knapp vor der Wahl Kandidaten fanden. In Gramais musste die Wahl entfallen, weil die amtierende Einheitsliste samt Bürgermeister keinen Wahlvorschlag einreichte. Als Begründung für den Rückzug aus der Gemeindepolitik wird durchwegs der unverhältnismäßig umfangreich gewordene Zeitaufwand angeführt, von Bürgermeistern das stetig wachsende und im Rahmen einer Nebentätigkeit nicht mehr zu bewältigende Aufgabenfeld. Als Konsequenz daraus wird in Tirol die Frage der Zusammenlegung von kleinen und kleinsten Gemeinden zum Thema. Tirol hat 36 Gemeinden mit weniger als 500 Einwohnern und ist damit österreichweit mit großem Abstand Schlusslicht. Der Tiroler Gemeindeverband und auch die ÖVP stehen der Zusammenlegung von Gemeinden skeptisch gegenüber. Vorstöße wie zuletzt seitens der Bürgermeister von Jungholz (ÖVP) und Fließ (SPÖ), die Zahl der Gemeinden in den Bezirken Reutte und Landeck drastisch zu verkleinern, um dadurch vor allem die Finanzprobleme der Kleinkommunen zu entschärfen, stoßen in der Landespolitik auf wenig Widerhall (vgl. ORF Tirol 2015). Vorerst wird von Seiten der Landesregierung vehement zurückgewiesen, „dass Gemeinden gegen ihren Willen zwangsfusioniert werden“ 10 (Mittelstaedt 2016).

Frauen in der Kommunalpolitik. Tirol lag bisher mit 15 Prozent Frauenanteil bei den Gemeinderatsmitgliedern österreichweit im hinteren Bereich, desgleichen mit nur elf Bürgermeisterinnen in den insgesamt 278 Gemeinden. Die Wahlen von 2016 haben in dieser Hinsicht zu einer nicht sensationellen, aber doch spürbaren Anhebung geführt: Der Frauenanteil in den Gemeinderäten ist auf fast 21 Prozent gestiegen, die Zahl der Bürgermeisterinnen liegt (Innsbruck mit eingerechnet) nun bei 16. So wie schon 2010 traten auch 2016 in einigen Gemeinden reine Frauenlisten an: in Hatting mit drei von 13 und in Kundl mit zwei von 15 Mandaten, in Kematen ohne Erfolg.

Punktuelle Erfolge der FPÖ. Die verbreitete Irritation im Zusammenhang mit der Flüchtlingstragödie beschert rechtspopulistischen Parteien europaweit Zulauf, auch in Österreich. Starke Zugewinne für die FPÖ waren bereits bei den Landtags- und Gemeindewahlen im Herbst 2015 in Oberösterreich zu registrieren. In Tirol konnte die Partei die „bereitliegenden“ Mandate aber nur in Grenzen für sich verbuchen, da sie in einer Vielzahl von Gemeinden, insbesondere im Oberland, nicht über die für eine Kandidatur nötigen organisatorischen Strukturen verfügt. Die Verdreifachung der Mandate im Vergleich zu 2010 stützt sich daher vor allem auf Zuwächse – zumeist im Bereich von zwanzig Prozent – in den größeren Gemeinden des Unterinntals, von Hall bis Kufstein.

„Wahl der Deutschen“. Seit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union sind bei Gemeindewahlen auch Bürger aus dem EU-Raum aktiv und passiv (letzteres für den Gemeinderat, nicht aber für Gemeindevorstand und Bürgermeisteramt) wahlberechtigt. Mit fast zwei Drittel der Stimmbürger wählten in Jungholz bei der Wahl 2016 deutsche Staatsbürger die kandidierende Einheitsliste und stellen nun auch die Mehrzahl der Gemeinderatsmitglieder.

4. Tiroler Charakteristika

Im Folgenden werden die zum Teil sehr spezifischen Charakteristika des Tiroler Wahlsystems – namentlich Einheitslisten, das sogenannte Listenkoppeln und Effekte der Bürgermeister-Direktwahl – näher beleuchtet.

Einheitslisten

Bei der vorangehenden Wahl 2010 gab es in 25 der 278 Tiroler Gemeinden keinen Parteienwettbewerb. Es kandidierte hier jeweils nur eine einzige Liste, die im Wahlgang naturgemäß 100 Prozent der gültigen Stimmen erzielt. Den Bestimmungen der Gemeindewahlordnung folgend stellen diese Listen auch den Bürgermeister, da für das Amt nur an die erste Stelle eines Wahlvorschlags für den Gemeinderat gereihte Personen kandidieren dürfen (§ 40 TGWO). 2016 stieg die Zahl der Gemeinden mit Einheitslisten auf 31 an, in einer weiteren Gemeinde (Gramais) wurde, wie schon erwähnt, überhaupt nicht gewählt.

Die Bildung von Listen ohne Konkurrenz durch weitere wahlwerbende Gruppen geht, wie meist schon aus den Namen hervorgeht, von der Grundannahme einer interessenübergreifenden, überparteilichen Gemeinsamkeit aller Bürger aus: Einheitsliste, Gemeindeliste, Gemeinschaftsliste, Dorfliste, Dorfgemeinschaft und ähnliche mehr.

Einheitslisten werden, wie der Vergleich mit den Gemeinden mit mehreren Listen zeigt, bevorzugt in Gemeinden mit niedriger Einwohnerzahl gebildet. Gleichwohl beschränken sie sich nicht ausschließlich auf Kleinstgemeinden, denn es gibt sie durchaus auch in größeren Gemeinden, etliche davon mit mehr als 1.000 Wahlberechtigten (unter anderem Baumkirchen11, Schlitters, Virgen und Ehrwald – letzteres mit sogar über 2.000 Wahlberechtigten). Mit Blick auf diese Gemeinden lässt sich nicht pauschal annehmen, das Phänomen Einheitsliste habe damit zu tun, dass auf kleinem Raum eben kein Bedarf für Parteienkonkurrenz sei. Zwei Fragen erheben sich in diesem Zusammenhang: Sind Einheitslisten Ausdruck von (politischer) Harmonie in der Gemeinde? Oder gibt es bestimmte Barrieren – soziale Kontrolle, politikbestimmende Präsenz dominanter Gruppen –, die die Bildung zusätzlicher Listen verhindern? Zur näheren Befassung mit diesen beiden Fragen bieten sich als Indikatoren erstens die Höhe der Wahlbeteiligung und zweitens der Anteil der ungültigen Stimmen an.

1. Tritt bei einer Wahl immer nur eine einzige Liste an, dann handelt es sich, mangels Alternative zur bestehenden Liste, im strengen Sinn um keine Wahl. Ist die Beteiligung dennoch hoch, so kann das, zumal es keine Wahlpflicht gibt, als ausdrückliche Zustimmung gewertet werden – kann, muss aber nicht, denn besonders bei sehr kleinen Gemeinden ist die Wahlbeteiligung generell überdurchschnittlich hoch, im überschaubaren Dorf würde ein Fernbleiben von der Wahl registriert werden. Anders verhält es sich bei größeren Gemeinden. Mit der fehlenden Auswahlmöglichkeit entfällt bei Einheitslisten das Spannungselement der Parteienkonkurrenz, da der Sieger ja vorab schon feststeht und somit Nichtwählen keinerlei Konsequenzen hat. Und hier zeigt sich in der Tat eine deutlich niedrigere Wahlbeteiligung – in neun der zehn Gemeinden mit der niedrigsten Teilnahmerate stand nur eine Einheitsliste zur Wahl, Schlusslicht war bei der Wahl 2016 Ehrwald mit 46,4 Prozent.

2. Aussagekräftiger als die Wahlbeteiligung ist der Anteil der ungültigen Stimmen. Nichtwählen kann viele Gründe haben, ungültig zu wählen ist dagegen klar und eindeutig Ausdruck der Unzufriedenheit mit dem vorhandenen Angebot. Auch hier heben sich die Gemeinden mit Einheitslisten von den Gemeinden mit Listenvielfalt ab: Unter den zehn Gemeinden mit den höchsten Anteilen an ungültigen Stimmen mit bis zu 25 Prozent waren 2016 neun mit Einheitslisten.12

Resümierend lässt sich zum Thema Einheitslisten feststellen: Sie sind Ausdruck eines Mangels an Wettbewerb, der bei sehr kleinen Gemeinden nachvollziehbar ist, bei größeren Gemeinden dagegen weniger – auch wenn es sich hier um einen insgesamt sehr kleinen Teil der Wählerschaft handelt. Festzuhalten ist auch, dass die Buntheit und zugleich die Unübersichtlichkeit hinsichtlich der parteipolitischen Zuordnung dieser Listen deutlichere Konturen annehmen, sobald man den Blick auf die Bürgermeister dieser Gemeinden richtet: In so gut wie allen Gemeinden mit Einheitslisten ist der Bürgermeister (und damit auch der Listenerste) Mitglied der ÖVP. Einheitslisten sind somit eine Domäne der ÖVP, abgeschwächt durch die Einbeziehung unabhängiger bzw. unter Umständen auch anderen Parteien verbundener Exponenten.

Nun gibt die Tiroler Gemeindewahlordnung (§ 49 TGWO) dem Wähler zwar die Möglichkeit, durch die Vergabe von bis zu zwei Vorzugsstimmen die Reihung auf der Liste zu beeinflussen (wie weit speziell in diesen Gemeinden davon Gebrauch gemacht wird, wäre eine aufschlussreiche Untersuchung wert). Dass das aber kein Ausgleich für fehlenden Parteienwettbewerb sein kann, zeigt sich gerade dort, wo eine auffallend niedrige Wahlbeteiligung mit einem auffallend hohen Anteil ungültiger Stimmen zusammenfällt.

Effekte des Listenkoppelns

Nicht unerheblich, wenn auch nicht zentral, wird die Dominanz der ÖVP durch das für Tirol spezifische Listenkoppeln bei Gemeinderatswahlen abgestützt, welches gezielt eingesetzt systematisch die größte Partei begünstigt; es ist die ÖVP auch die einzige Partei, die das Listenkoppeln in ihrem Parteistatut (§ 58 Abs. 4) regelt.13 Die Tiroler Gemeindewahlordnung (§ 37) ermöglicht es einer Partei, mit mehreren Listen anzutreten und dabei zu „koppeln“. Der Vorteil dabei: Es gehen nicht mehr Reststimmen verloren als bei einem Wahlvorschlag mit einer einzigen Liste. Vorgesehen war die Möglichkeit des Listenkoppelns lange Zeit auch in der Tiroler Landtagswahlordnung; in der Praxis wurde davon aber nicht Gebrauch gemacht, im Rahmen einer Gesetzesnovelle 2011 wurde der Passus eliminiert.

Die Vorteile des Wechselspiels aus – wenn man so will – Pluralität und Einheit wurden in der Vergangenheit schon geschätzt:

„[Die Partei] […] kann damit Wählerschichten in den städtischen Gemeinden wie in den Landgemeinden ansprechen, die ihr sonst verschlossen bleiben; Bruchlinien innerhalb der Partei gab es fast nur in wirtschaftlichen Belangen oder in persönlichen bündisch-lokalen Eifersüchteleien, niemals aber in grundsätzlich-weltanschaulichen Bereichen. Die von der Parteileitung geübte Toleranz der Listenfreiheit mit Koppelungsverpflichtung belebte den innerparteilichen Wettbewerb und bewirkte den soziologischen Aufbruch der oft konservativen Dorfgemeinschaft zur demokratischen Fragmentierung ohne Schaden für die Gesamtpartei.“ (Gattinger 1994, 108)14

Die Zahl der Koppelungen ist von Wahl zu Wahl unterschiedlich, eine auffällige Zu- oder Abnahme ist im Zeitverlauf nicht erkennbar. Bei der Landtagswahl 1998 kam es in 88 Gemeinden (32 %) zu Listenkoppelungen, 2004 waren es 71 (25 %), 2010 73 (26 %) und 2016 66 (24 %). Naturgemäß nimmt bei Koppelungen die Zahl der zur Wahl antretenden Listen zu: Herausragender Fall war 2016 die Stadt Imst mit zehn Listen, von denen sieben gekoppelt waren (2 mal 2, 1 mal 3), und gleichzeitig sechs Listen sich mit eigenem Kandidaten der Bürgermeisterwahl stellten (Tabelle 2). Was die Namensgebung betrifft, verzichten die Listen fast durchgängig auf einen expliziten Parteibezug. Zuordenbar wird dieser meist erst bei genauerer Kenntnis der lokalen Gegebenheiten.

Tab. 2: Listenkoppeln – Beispiel Imst

Nr.

Wählergruppe

K*

Mandate

Stimmen

%

1

Vereint für Imst – Gitti und Gebi – Vereint für Imst

A

3

625

12,39

2

Alle für Imst mit Bürgermeister Stefan ­Weirather – Alle für Imst

B

7

1.812

35,93

3

Sozialdemokratische Akzente für Imst – ­Akzente Reheis

1

339

6,72

4

IFI – Initiativ für Imst Liste Andrea Jäger – IFI

C

2

590

11,70

5

Die Grünen Imst – Die Grünen

C

1

216

4,28

6

Liste 2000 mit Heinrich Gstrein – Liste 2000

B

1

233

4,62

7

Gemeinsam für unser Imst Team Friedl ­Fillafer – Team Friedl Fillafer

C

1

307

6,09

8

PROIMST – Manuel Norbert Praxmarer

A

1

301

5,97

9

Freiheitliche Partei Imst – FPÖ

2

477

9,46

10

Unabhängige Liste Lebenswertes Imst – U.L.L.I

0

143

2,84

* Die Buchstaben A, B und C stehen für Listenkoppelungen.

Quelle: https://wahlen.tirol.gv.at/gemeinderats_und_buergermeisterwahlen_2016/gemeinden/imst.html

Kurioses Beispiel war 2016 die Gemeinde Ehenbichl, wo zwei ohne weitere Konkurrenten antretende Listen aus nicht nachvollziehbaren Gründen miteinander koppelten, obwohl in diesem Fall das letzte der zu vergebenden Mandate ohnedies der Liste mit den meisten Reststimmen zufallen musste.

Vielfach kommt es aber auch dazu, dass eindeutig einer gemeinsamen Partei zugehörige Listen auf eine Koppelung verzichten. Besonders betrifft das Listen der ÖVP, bei der in vielen Gemeinden eigenständig antretende Listen nicht miteinander koppeln. Damit stehen sie in offenem, von der Landespartei aber geduldetem Widerspruch zum Parteistatut; mit Blick auf die Bürgermeisterstichwahl am 14. März wies Landesparteiobmann Günther Platter sogar selbst darauf hin, dass es sich in neun der zwanzig Gemeinden um „ein rein VP-internes Match“ (Salzburger Nachrichten, 2016) handle.15

Ungeachtet des ausgeprägten Laissez-faire gegenüber ihren lokalen Listen ist die ÖVP mit ihrer bündischen Gliederung – Wirtschaftsbund, Bauernbund, AAB – geradezu prädestiniert für das Koppeln; allfällige Rivalitäten bei der Zusammenstellung einer Parteiliste lassen sich hier durch Auslagerung in die Bünde hintanhalten. Gleichsam als Nebeneffekt dieser Lockerung der Einheit der Partei kommt es aber immer wieder zu einer Verselbständigung von Listen, die – trotz mehr oder weniger klarer Parteinähe – auf ihre Unabhängigkeit pochen und sich schlussendlich nicht nur weigern zu koppeln, sondern sich oft sogar untereinander einen heftigen Schlagabtausch liefern. Im Ergebnis weist Tirol eine im Bundesländervergleich ausgeprägte und bunte Listenvielfalt mit verschiedentlich erstaunlich kreativen Listennamen, in denen kaum eine Zielgruppe ausgespart bleibt, auf.

Lange Zeit kein landespolitisches Konfliktthema, wurde das Listenkoppeln ab Ende der 1990er-Jahre von SPÖ, FPÖ und Grünen als demokratiepolitisch bedenklich kritisiert – wiewohl alle drei, wenn auch in bescheidenem Umfang, gelegentlich selbst koppeln –, während die ÖVP es naturgemäß weiterhin als „Bereicherung für die Gemeindepolitik“ beibehalten will (Malaun 2016, 60). Zu SPÖ und FPÖ ist anzumerken: Auch wenn die Haltung dem Listenkoppeln gegenüber eine negative ist – in der Praxis, siehe die Beispiele oben, verzichten auch sie nicht darauf, wenn die Gelegenheit sich bietet. In der Übersicht stellen sich die Positionen der Parteien wie folgt dar:

Tab. 3: Listenkoppeln – Positionen der Parteien

ÖVP – pro

Listenkoppeln ist eine Bereicherung für die Gemeindepolitik: Sie gibt unterschiedlichen Interessengruppen die Möglichkeit, ihre Klientel direkt anzusprechen, und führt mitunter zu Mandatsverschiebungen als „angenehme Begleiterscheinung“. Einziger Wermutstropfen: Kleinere Gruppen sind tendenziell im Nachteil.

Da die Listenkoppelung ja bereits vor der Wahl bekannt sei, weiß der/die Wähler/-in von vornherein, dass seine/ihre Stimme allenfalls der gekoppelten Liste zukommen kann.

Weiterer Vorteil: Durch die Listenkoppelung weiß der/die Wähler/-in auch, welche Gruppierungen nach der Wahl eine Zusammenarbeit anstreben.

SPÖ – contra

Die Mechanismen und die Regeln bei Wahlen – siehe Innsbrucker Stadtrecht – interes­sieren die Wähler/-innen auf der Straße nicht.

Bei der Koppelung wird eine Trennung vorgetäuscht, die es bei der Zuteilung der Mandate aufgrund der Zurechnung der Reststimmen nicht gibt.

Die Mehrzahl der Wähler/-innen weiß mit Koppelungen nichts anzufangen. Zu fragen wäre auch: Will man diese Unwissenheit vielleicht auch? Und warum gibt es dieses System nur in Tirol?

Grüne – pro (mit Reformvorschlag)

Listenkoppeln ist grundsätzlich eine Möglichkeit, die kleinere Listen stärkt. Es darf jedoch nicht zur Wähler/-innentäuschung kommen, deshalb sollte die Koppelung am Stimmzettel deutlich erkennbar sein, damit niemand eine Partei mitwählt, die er/sie gar nicht will – Kennzeichnung am Aushang reicht nicht.

FPÖ – contra

Die Listenkoppelung wird abgelehnt, weil sie eine Ausweitung der Listen bewirkt, die als eine Liste ausgewertet und gezählt werden. Die Möglichkeiten des Koppelns nützt fast ausschließlich die ÖVP, um „schwarze“ Listen als „nicht ganz schwarze“ Listen erscheinen zu lassen.

Quelle: Erhebung des Verfassers 2009 – Auskünfte der Parteizentralen.

5. Gemeinderats- und Bürgermeisterwahl – Spannungselemente

In der Mehrzahl der Bundesländer – Ausnahmen sind Wien, Niederösterreich und Steiermark – wurde im Verlauf der 1990er-Jahre die Direktwahl des Bürgermeisters eingeführt. Tirol (1991) zählte neben Kärnten (1990) und Burgenland (1992) zu den Vorreitern. In allen drei Ländern wurden die darauffolgenden Gemeindewahlen nach diesem Modell durchgeführt. Von der VfGH-Erkenntnis von 1993, durch die die Direktwahl als nicht verfassungskonform eingestuft wurde (erst nach einer Abänderung des Art. 117 B-VG 1994 war der Weg wieder frei), blieben alle drei Länder faktisch unberührt, da die Gemeindewahlen vor dem Urteil stattfanden. In Tirol wird die Bürgermeister-Direktwahl somit ungebrochen seit 1992 (in Innsbruck seit 2012) praktiziert. Entsprechend liegen inzwischen hinreichend Erfahrungen mit der Dualität von Gemeinderats- und Bürgermeister-Wahlen über die drei Perioden vor. Ähnlich wie auch in anderen Bundesländern16 ist die Zusammenarbeit zwischen Gemeinderat und Bürgermeister mehrheitlich kooperativ, wenn auch nicht immer friktionsfrei und in Einzelfällen sogar von offener Konfrontation gekennzeichnet (vgl. Frießer 2002).

Auslösend für Kontroversen zwischen Gemeinderat und Bürgermeister sind meist Kompetenzstreitigkeiten im Zusammenhang mit der starken rechtlichen Position des Gemeindeoberhaupts: Der Bürgermeister vertritt die Gemeinde nach außen, ist allein zuständig für den übertragenen Wirkungsbereich bei der Ausübung staatlicher Aufgaben, führt den Gemeindehaushalt und hat erheblichen Spielraum beim Vollzug der Beschlüsse von Gemeinderat und Gemeindevorstand bzw. Stadtrat.

Die mit der Direktwahl verbundene Personalisierung und direkte Legitimation durch die Wählerschaft erhöht die strategische Stärke des Bürgermeisters zusätzlich (vgl. Giese 2002), zumal die Wahl des Gemeinderats klar im Schatten der des Bürgermeisters steht. Wohl aber kann der Gemeinderat, insbesondere wenn der Bürgermeister sich auf keine Mandatsmehrheit stützen kann, die Handlungsfähigkeit des Bürgermeisters und seiner Fraktion empfindlich einschränken.

An den Wahlergebnissen lässt sich ablesen, dass der Parteienwettbewerb auf Gemeindeebene seit Einführung der Direktwahl des Bürgermeisters dynamischer geworden ist. Innerparteiliche Herausforderer können reüssieren – sofern sie mit eigener Liste antreten, da für die Bürgermeisterwahl laut Gemeindewahlordnung ausdrücklich nur die Spitzenkandidaten der Gemeinderatswahl zugelassen sind.17

Chancen für Veränderung bietet die Direktwahl auch dort, wo eine Partei (in Tirol meist die ÖVP) über die absolute Mehrheit im Gemeinderat verfügt und deren Spitzenkandidat innerhalb seiner Fraktion fest abgestützt ist. So stellte die SPÖ ab den 1990er-Jahren in allen drei Oberland-Bezirksstädten, obwohl Minderheitspartei, die Bürgermeister, verlor sie aber zuletzt wieder in allen drei Städten: in Imst 2008 nach dem Wechsel des Bürgermeisters in die Landesregierung, in Reutte durch Abwahl 2010 und in Landeck 2013 nach dem überraschenden Tod des Amtsträgers. Bei der Gemeinderatswahl 2016 verbuchte die SPÖ nur mehr vier Mandate in Landeck und je eines in Imst und Reutte. Das Bürgermeisteramt halten und den Mandatsstand ausbauen konnte die Partei dagegen in Kundl, Wörgl und Lienz.

Einen Wechsel an der Spitze gab es 1998 in 86 Gemeinden (31 %), in den meisten Fällen wegen Verzicht und Pensionierung des Amtsinhabers; immerhin elf Bürgermeister aber unterlagen einem Herausforderer. 2004 schieden 75 Bürgermeister (27 %) aus, zwölf davon durch Abwahl. 2010 schied in 47 Gemeinden der Bürgermeister aus, davon in 19 Fällen – darunter die Bezirksstädte Kufstein und Reutte und 2011 auch Lienz – durch Abwahl. 2016 schieden 41 Bürgermeister aus dem Amt, elf davon wurden abgewählt. Die Direktwahl trägt damit wesentlich dazu bei, dass das alte Bild vom Bürgermeister als „Dorfkaiser“ verblasst. Selbst bereits über mehrere Perioden amtierende und scheinbar fest im Sattel sitzende Amtsinhaber können sich einer Wiederwahl nicht sicher sein.

6. Schlussbetrachtung

Rein „technisch“ gesehen sind politische Wahlen ein Mechanismus, mit dem die Bürger einer einzelnen Person oder einer Gruppe (Liste/Partei) für eine befristete Zeit Verantwortung und damit auch Gestaltungsmacht übertragen. Wahlsysteme weisen von Land zu Land – und oft auch innerhalb eines Landes – erhebliche Unterschiede auf.18 In jedem Fall aber gibt die rechtliche Ausgestaltung und nicht zuletzt auch die Wahlpraxis Auskunft über die Demokratiequalität eines Landes. Mit dem Kreuz auf dem Stimmzettel allein ist es also nicht getan. Das gilt für Wahlen auf allen Ebenen: für EU-, National- und Landtagswahlen – und eben auch für Kommunalwahlen. In dieser Hinsicht weist das Tiroler Gemeindewahlsystem Vorzüge und zugleich auch Schwächen auf:

Einheitslisten mit Monopolstellung: In mehr als jeder zehnten Tiroler Gemeinde – zumeist sehr kleinen, aber doch auch einigen mit mehr als 1.000 Einwohnern – steht nur eine einzige gemeinschaftliche Liste zur Wahl. Das könnte als Ausdruck, es bestehe eben kein Interesse an Parteienkonkurrenz, interpretiert werden. In der Realität handelt es sich aber in den wenigsten Fällen um „echte“ überparteiliche Listen – abzulesen daran, dass die Bürgermeister fast durchwegs der ÖVP angehören und mitunter der Parteiname auch in der Listenbezeichnung explizit aufscheint. Auch das aber könnte zunächst als Ausdruck allgemeiner Zustimmung in der Dorfgemeinschaft gedeutet werden. Einzige aussagekräftige Prüfgröße für die Frage, ob es sich tatsächlich so verhält, ist in diesen Fällen der Anteil ungültiger Stimmen. Und hier gibt es in der Tat markante Abweichungen: Bei Gemeinden mit mehreren Listen beläuft sich der Anteil ungültiger Stimmen auf wenige Prozent, bei solchen mit nur einer Liste dagegen bis zu einem Viertel der abgegebenen Stimmen.

Mögliches Vorbild für eine Belebung der Partizipation in solchen Gemeinden könnte das in Vorarlberg unter der Bezeichnung Mehrheitswahlsystem praktizierte Modell19 sein. Für den Fall, dass keine Liste antritt (eine Entscheidung, die im Konsens zwischen allen politischen Kräften getroffen wird), werden bei der Wahl leere Stimmzettel verwendet, auf denen so viele Namen eingetragen werden können, wie Mandate (plus Ersatzmandate) zu vergeben sind. Die Mandate werden nach der Zahl der erreichten Stimmen zugeteilt. Der Anteil ungültiger Stimmen liegt in diesen Fällen fast durchwegs bei unter einem, maximal bei drei Prozent (selbst in Lech, der mit mehr als 1.500 Einwohnern größten dieser Gemeinden, sind 97,7 Prozent der Stimmen gültig).

Listenkoppeln: Tirol ist im Vergleich der Bundesländer das Land der bunten Listen, in keinem anderen Bundesland gibt es eine solche Vielfalt wie hier. Zuzuschreiben ist diese Vielfalt in erster Linie dem nur im Tiroler Gemeindewahlrecht (sieht man von einigen Statutarstädten in anderen Bundesländern ab, wo es aber kaum praktiziert wird) vorgesehenen Koppeln von Listen. Mit großem Abstand am häufigsten nutzt die ÖVP dieses Instrument, aus zwei Gründen: Sie ist zunächst in den meisten Gemeinden die dominante Partei und sie ist im Weiteren durch ihre bündische Struktur geradezu prädestiniert dafür, mit mehreren Listen anzutreten.

Gleichwohl, auch wenn bevorzugt die ÖVP das Koppeln nutzt, bedeutet das nicht zwingend, dass dieses Instrument zwangsläufig nur ihr zugutekommen muss. Die Listenverbindung (so der Terminus dort) wird bei Kommunalwahlen in Deutschland und in der Schweiz bewusst von den kleineren Parteien genutzt.

Das Listenkoppeln ist in erster Linie den wahlwerbenden Parteien von Nutzen. Potentiell stellt es zwar auch für die Wähler eine hilfreiche Orientierung dar, da allein durch die Tatsache, dass Listen miteinander koppeln, ein Mindestmaß an Gemeinsamkeit bekundet wird, das später auch im Stimmverhalten der Mandatare seinen Ausdruck finden kann. Dem entgegen steht aber der eklatant geringe Informationsstand der Wähler darüber, was es mit diesem Instrument auf sich hat. Hier besteht erhöhter Informationsbedarf, sowohl von Seiten der Gemeindeverwaltungen als auch der wahlwerbenden Listen selbst.20

Bürgermeister-Direktwahl

Die Direktwahl bringt ohne Frage eine Belebung der Kommunalpolitik mit sich und wird, wie Erhebungen in Tirol wie auch in anderen Bundesländern zeigen, von einer deutlichen Mehrheit der Wähler und – wenn auch mit Einschränkungen – auch der Bürgermeister positiv bewertet. Bei den Wählern findet vor allem Anklang, dass mit den zwei Stimmzetteln eine Art „Stimmensplitting“ möglich ist, also für den Gemeinderat eine bestimmte Liste gewählt, die Stimme für den Bürgermeister aber dem Kandidaten einer anderen Liste gegeben werden kann (vgl. Steininger 2003).

Abgesehen von den Vorzügen ist die Direktwahl allerdings auch nicht frei von Schwächen:

Vor Einführung der Direktwahl war das Gemeindeoberhaupt vom Gemeinderatsgremium gewählt worden, konnte sich also in seiner Amtsführung auf eine Mehrheit der Mandatare stützen. Mit der Direktwahl dagegen muss zwar nicht, aber kann die Situation eintreten, dass der Bürgermeister über keine Mehrheit verfügt und unter Umständen beide Organe einander immer wieder behindern, was zu Verzögerungen bei der Umsetzung von Projekten bis hin zu Blockaden führen kann.21

Zum Bürgermeister kandidieren kann, wie schon angesprochen, nur, wer gleichzeitig Spitzenkandidat einer Liste ist, wie das auch in den Wahlordnungen anderer Bundesländer so vorgesehen ist. Dort allerdings ist die Zuordnung wegen des meist explizit ausgewiesenen Parteibezugs des Kandidaten im Regelfall unschwierig. Anders in Tirol: die vom – für Tirol spezifischen – Listenkoppeln geförderte Listenvielfalt und der häufige Verzicht auf den Parteibezug22 macht die Zuordnung vielfach unübersichtlich. Oft lüftet sich der Schleier überhaupt erst, wenn die Landesparteien die Zahlen der von ihnen für sich reklamierten Bürgermeister öffentlich machen.

Blieb in der Vergangenheit ein vom Gemeinderat einmal gewählter Bürgermeister meist auf Dauer im Amt, steigt mit der Direktwahl das Risiko, nach zwei Perioden oder gar schon nach einer abgewählt zu werden. Damit verliert das Amt erheblich an Attraktivität bei potentiellen Bewerbern, zumal das Aufgabenfeld komplexer wird und oft auch das persönliche Risiko – so sind bei Rechtskonflikten in Grundeigentumsfragen Amtshaftungsklagen keine Seltenheit – deutlich zunimmt. Zudem ist die Entlohnung mit Blick auf die mit dem Amt verbundene Verantwortung gemessen an Managergehältern eher knapp. Gerade für höher qualifizierte Personen ist das Amt im Vergleich zu den Verdienstmöglichkeiten in der Privatwirtschaft heute wenig attraktiv, zumal für hauptamtlich tätige Bürgermeister nach ein oder zwei Perioden die Rückkehr in den Zivilberuf massive Probleme bereiten kann.23

Mit diesem Hintergrund wird das Amt von der überwiegenden Mehrzahl nur nebenberuflich ausgeübt (naturgemäß besonders in kleineren Gemeinden). Parallel zur wachsenden Aufgabenfülle wird die Vereinbarkeit von Beruf und Bürgermeisteramt in steigendem Maße als Belastung empfunden. Oft ist es überhaupt schwierig, Kandidaten für das Amt zu rekrutieren: Unerwünschte Folgewirkung des mit der Direktwahl verbundenen Risikos kurzer Amtszeiten könnte also sein, dass tendenziell nicht „beste“, sondern eher „zweitbeste“ Kräfte für das Bürgermeisteramt zu haben sein werden.

Anmerkungen

1 Bearbeitete und um die Ergebnisse der Gemeindewahlen vom 28. Februar aktualisierte Version von Karlhofer 2016.

2 In Tirol liegen auch die österreichweit kleinsten Gemeinden. Schlusslicht ist Gramais, das im Wahljahr 2010 60 Einwohner zählte; jeder fünfte der 44 Wahlberechtigten ist Mitglied des neunköpfigen Gemeinderats.

3 Wegen der für Tirol spezifischen Listenvielfalt im Zusammenhang mit dem Listenkoppeln bei Gemeindewahlen sind gerade bei der ÖVP exakte Zahlen kaum zu eruieren. Selbst die Geschäftsführung der Partei kann im Regelfall nur Schätzwerte nennen, da vielfach auch eindeutig VP-nahe Listen ihre Unabhängigkeit betonen und sich gegen eine taxfreie Vereinnahmung verwahren würden.

4 Die Beobachtung machte bereits Cortolezis-Csoklich (1992).

5 Siehe dazu die Beiträge im Forum Parteien des Jahrbuchs 2016 „Politik in Tirol“ (Karlhofer/Pallaver 2016, 57 – 72).

6 Fritz Dinkhauser

7 Markus Sint, Pressesprecher der Liste Fritz

8 In einer Gemeinde (Gramais) entfiel die Wahl, da keine Liste antrat, und in der Statutarstadt Innsbruck wird regulär 2018 gewählt.

9 Anzumerken ist dazu, dass präzise Zahlen nur bedingt vorliegen aus mehreren Gründen: Es gibt keine amtliche Erhebung der Mandatsstärken der Parteien tirolweit; die Vielzahl der Namenslisten macht eine genaue Zuordnung unmöglich; vielfach gibt es gemischte Listen mit Kandidaten unterschiedlicher politischer Provenienz.

10 Landeshauptmann Günther Platter.

11 Baumkirchen ist insofern ein Sonderfall, als hier der Bürgermeister (ÖVP) bis zuletzt sogar gehofft hatte, dass die immerhin mit zwei Mandaten im Gemeinderat vertretene SPÖ einen Vorschlag einbringen würde – vergeblich.

12 Ein bemerkenswerter Fall ist die kleine Gemeinde Spiss (105 Wahlberechtigte), wo 2016 einzig die Liste „Tiroler Bauernbund“ antrat. Die Beteiligung betrug 71 Prozent, 25 Prozent der Stimmen waren ungültig. 2010 war noch eine zweite Liste, die „Bürger Liste Spiss“ angetreten, die auch den Bürgermeister gestellt hatte. Die Beteiligung war hier bei 95 Prozent gelegen, der Anteil der ungültigen Stimmen bei lediglich 5 Prozent.

13 „Die Aufstellung und Reihung der Kandidaten für die Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlen obliegt dem Gemeindeparteivorstand. Werden mehrere ÖVP-Listen aufgestellt, so sind diese miteinander zu koppeln“ (§ 58 Abs. 4 Landesparteiorganisationsstatut der Tiroler Volkspartei).

14 Gattinger war langjähriger Parteisekretär der ÖVP Tirol.

15 Ohnedies ist das Parteistatut, das interne Konkurrenz unterbindet, in der Praxis nicht bindend. Auch das Listenkoppeln wird vom Geschäftsführer der Landespartei als Kann- und nicht als Muss-Bestimmung eingestuft: „Ob diese VP-(nahen) Listen die Möglichkeit der ,Kopplung‘ in Anspruch nehmen wollen oder nicht, liegt in deren Entscheidung“ (Malaun 2016, 60).

16 Vgl. den Befund von Neuhofer (2003, 55 – 84); für das Bundesland Vorarlberg siehe Salomon (2006).

17 „Eine Wählergruppe darf nur den in der Wahlwerberliste ihres Wahlvorschlages für die Wahl des Gemeinderates an der ersten Stelle gereihten Wahlwerber als Wahlwerber für die Wahl des Bürgermeisters vorschlagen“ (§ 40 Abs. 2 Tiroler Gemeindewahlordnung).

18 Allgemein dazu Nohlen (2009).

19 Im Vorarlberger Gemeindewahlgesetz als „Wahlverfahren für die Wahlen in die Gemeindevertretung in Ermangelung von Wahlvorschlägen“ (GWG §§ 59 – 63) geregelt.

20 Änderungsbedürftig ist auch der einheitlich vorgegebene amtliche Stimmzettel, auf dem die Koppelung von Listen lediglich in Form einer Fußnote zu vermerken ist (etwa in der Art „Die Wahlvorschläge mit den Nr. 1 u. 5 sind gekoppelt“). Eine Markierung jeweils neben dem Listennamen (etwa in Form von gleichen Großbuchstaben für gekoppelte Listen) würde hier mehr Übersicht schaffen.

21 Eine ernüchternde Erfahrung machte beispielsweise die neugewählte Bürgermeisterin der Gemeinde Mayrhofen bei der konstituierenden Sitzung des Gemeinderats im März 2016: Trotz langer Verhandlungen verweigerte die Opposition die Besetzung des Kontrollausschusses – der Tagesordnungspunkt musste vertagt werden.

22 Für Namenslisten entscheiden sich nicht allein Politiker aus den Reihen der ÖVP: Auch die der SPÖ angehörende Bürgermeisterin von Wörgl gab im Vorfeld der Wahl 2016 bekannt, dass sie mit einer Namensliste ohne Nennung des Parteinamens anzutreten beabsichtige. „Mit den handelnden Personen der Partei [auf Landesebene]“ könne sie sich „derzeit nicht identifizieren“ und überhaupt wolle sie eine „Partei-Punzierung“ vermeiden („Gemeinderatswahl 2016: Hedi Wechner mit eigener Liste“ – www.vero-online.info/page.php?id=3648).

23 Vgl. die österreichweit eine breite Diskussion auslösende Studie von Wolfgang Mazal (2008).

Literaturverzeichnis

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