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Guido Denicolò/Günther Pallaver

Doppelstaatsbürgerschaft für
Südtiroler/-innen: Verzicht auf Alleingänge

Dual citizenship for South Tyroleans: abstaining from a single-handed attempt

Abstract Beyond the current debates, this paper discusses a few open legal and political questions regarding the dual citizenship for the South Tyrolean population. According to our hypothesis, these questions show that bilateral agreements between Austria and Italy are characterized by the reciprocal practice and law of renouncing unilateral steps. In detail, this article examines how the intention of awarding Austrian citizenship impacts on Austria’s geopolitical position and specifically on its special relation with Italy. Furthermore, it analyzes which points of reference can and should be used for a definition of “South Tyroleans” as recipients of this proposition. Finding criteria for such a definition and demarcation proves to be problematic, and unexpected dynamics might be triggered by the conflict potential inherent to the issue. Therefore, the topic of dual citizenship should shift from being a matter of the heart to becoming a matter of reason.

1. Einleitung

Die Debatte über eine österreichische Staatsbürgerschaft für Südtirolerinnen und Südtiroler, allgemein als „Doppelpass“ bekannt, beginnt im Jahre 2006, als Italien den ehemaligen italienischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern in den an Jugoslawien abgetretenen Gebieten, die in der Zwischenkriegszeit zum italienischen Staatsgebiet gehörten (heute Slowenien und Kroatien), den Erwerb der italienischen Staatsbürgerschaft einräumte, ohne dass diese auf die ursprüngliche verzichten mussten.

Die beiden SVP-Abgeordneten Siegfried Brugger und Karl Zeller nahmen die Maßnahme Italiens zum Anlass, Österreich zu ersuchen, den Südtirolerinnen und Südtirolern die österreichische Staatsbürgerschaft zu gewähren. Aber sowohl das Ansinnen Südtirols, die Schutzmachtfunktion Österreichs in einer Präambel der österreichischen Bundesverfassung zu verankern, als auch die Doppelstaatsbürgerschaft für Südtirolerinnen und Südtiroler gesetzlich zu ermöglichen, wurde 2012 abgelehnt oder jedenfalls auf die lange Bank geschoben (vgl. Pallaver 2013, 114).

Der „Doppelpass“ erlangte neue Aktualität, als nach den österreichischen Nationalratswahlen vom Oktober 2017 dieser Punkt ins Koalitionsabkommen der neuen ÖVP-FPÖ-Regierung aufgenommen wurde.

Jenseits der tagesaktuellen Diskussion werden in diesem Beitrag einige offene rechtliche und politische Fragen diskutiert, mit denen aufgezeigt werden soll, dass – so die These – die bilateralen Beziehungen zwischen Österreich und Italien in Recht und Praxis vom Verzicht auf einseitige Vorgangsweisen gekennzeichnet sind, wobei dies reziprok gilt.

2. Völkerrechtliche Dimension und italienische Praxis

Der rechtliche bzw. rechtspolitische Teil der Diskussion über die Möglichkeit, dass Österreich mit einer eigenen innerstaatlichen Initiative den „Südtirolerinnen und Südtirolern“1 den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, unter Beibehaltung der italienischen (sog. Doppelpass), anbieten könnte, beschäftigte sich bisher hauptsächlich mit den Fragen:

a) wie sich diese Absicht zu der allgemeinen völkerrechtlichen Einbindung Österreichs und speziell zu seiner besonderen Beziehung zu Italien verhält;

b) an welchen Anknüpfungspunkten die Definition der „Südtirolerinnen und Südtiroler“ als Adressaten dieses Angebotes verankert werden könnte bzw. sollte.

Darüber hinaus wurde gelegentlich auch erörtert, welchen gesetzgeberischen Weg – Verfassungsänderung, einfachgesetzliche Initiative – Österreich diesbezüglich beschreiten könnte oder auch müsste, welche Konsequenzen (Militärdienst, Wahlrecht, Sozialleistungen, diplomatischer Schutz, öffentlicher Dienst etc.) sich aus der Zuerkennung der Staatsbürgerschaft an eine (zumindest theoretisch) nicht unbedeutende Anzahl von nicht ansässigen Personen mit sich brächte und ob bzw. wie man diese Auswirkungen unter Umständen einschränken könnte.

Während letztere Problematik vorwiegend die Innenpolitik Österreichs und somit die Weite des von dort ausgehenden Angebotes an die „Südtirolerinnen und Südtiroler“ betrifft, reichen die beiden erstgenannten Themen weit näher an die politische und gesellschaftliche Realität in Südtirol heran, so wie sie sich nicht nur im Lande selbst, sondern auch in ihrer „Beziehung zu Rom“ darstellt.

Ein erster Aspekt, der verschiedentlich angesprochen und auch untersucht wurde, berührt generell die Möglichkeit bzw. Vertretbarkeit von Mehrfachstaatsbürgerschaften, und zwar angesichts der völkerrechtlichen Verpflichtungen Österreichs im Allgemeinen und insbesondere in seinem Verhältnis zu Italien.

Beide Länder waren seinerzeit dem Europäischen Übereinkommen von 1963 über die Verminderung der Fälle mehrfacher Staatsangehörigkeit und über die Militärpflicht in Fällen mehrfacher Staatsangehörigkeit beigetreten (vgl. Europarat 1963).

Dieses Vertragswerk verwirft grundsätzlich Mehrfachstaatsbürgerschaften, sieht bei Erwerb einer anderen Staatszugehörigkeit den Verlust der vorherigen vor und untersagt es den Unterzeichnerstaaten, deren Beibehaltung zu genehmigen.

Während Österreich bis heute (auch nach der Unterzeichnung des späteren Europäischen Übereinkommens über Staatsangehörigkeit von 1997 – vgl. Europarat 1997) am Vertrag von 1963 festhält, hat Italien im Jahre 2009 dessen Kapitel I gekündigt und ist demnach nur mehr an die den Militärdienst betreffenden Bestimmungen gebunden.

Daraus wird im Zusammenhang mit dem sog. Doppelpass-Thema geschlossen, dass es für Österreich gegenüber Italien keine aus dem 1963er-Übereinkommen resultierenden Hindernisse für eine Ausdehnung seiner Staatsbürgerschaft auf „Südtirolerinnen und Südtiroler“, unter gleichzeitiger Bewahrung der italienischen Staatszugehörigkeit, gebe.

Von den Befürwortern und Betreibern dieses Vorhabens, das zumindest formell und mit einem auffällig schwammigen Text (den man durchaus als klassische „dilatorische Kompromissformel“ bezeichnen kann) in das Koalitionsprogramm der gegenwärtigen ÖVP-FPÖ-Regierung in Wien aufgenommen worden ist (Regierungsprogramm 2017, 33), wird überdies hervorgehoben, dass das spätere Übereinkommen von 1997 die strikte Ablehnung von Mehrfachstaatsbürgerschaften zurückgenommen hat und es den Unterzeichnerstaaten überlässt zu bestimmen, ob (unter anderem) der Erwerb oder die Beibehaltung ihrer Staatsangehörigkeit von der Aufgabe oder dem Verlust einer anderen Staatsangehörigkeit abhängt.

Österreich hat dieses Übereinkommen ratifiziert, Italien hat es zwar unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert.

In Wirklichkeit hat die vom 1963er-Übereinkommen beabsichtigte Vermeidung von Mehrfachstaatszugehörigkeiten nie richtig gegriffen, da bald mehrere Staaten von der Möglichkeit, nur das Kapitel I zu kündigen, Gebrauch gemacht haben und das Phänomen der mehrfachen Staatsbürgerschaft mittlerweile – in mehr oder weniger ausgedehntem Maße – von der Mehrheit der europäischen Staaten vorgesehen oder zumindest geduldet wird.

Die geltenden italienischen Staatsbürgerschaftsbestimmungen (Legge 1992, 2000, 2006)2 schließen Mehrfachzugehörigkeiten nicht aus, ja nehmen sie zum Teil bewusst in Kauf, auch – wie es heißt – in Anerkennung der veränderten Weltsituation und des daraus resultierenden anachronistischen“ Charakters eines „exklusivistischen Begriffs der Staatsbürgerschaft“ , der den „verbreiteten Tendenzen in den einschlägigen europäischen Gesetzgebungen, angefangen bei der italienischenentgegenläuft.3

Tatsächlich hat, wie erwähnt, Italien nicht nur Kapitel I des Übereinkommens von 1963 mit Wirkung vom 4.6.2010 (Circolare 2009) gekündigt, sondern auch eine Reihe von Regelungen in Kraft gesetzt, die es Ausländern, unter mehr oder weniger deutlicher Betonung ihrer „Italienität“3, ermöglichen, die italienische Staatsbürgerschaft zu erlangen, ohne auf die aktuell besessene fremde verzichten zu müssen.

Dies gilt im Besonderen (vgl. Legge 2000) für die ehemaligen k. u. k. Staatsangehörigen und deren Nachkommen, die in den gegenwärtig zu Italien gehörenden bzw. in den vormals italienischen, aber dann an Jugoslawien (Friedensvertrag 1947 und Osimo-Vertrag 1975) abgetretenen Gebieten „geboren und ansässig“ und vor dem 16.7.1920 ins Ausland abgewandert waren.

Ausgenommen von dieser Möglichkeit waren jedoch jene, die vor dem besagten Stichtag in das Gebiet der heutigen Republik Österreich ausgewandert sind: nach dieser Regelung hatten sie keinen Anspruch auf den Erwerb der italienischen Staatsbürgerschaft.

Wie ersichtlich, ist für den von dieser Gesetzesregelung erfassten Personenkreis kein explizit ethnischer Anknüpfungspunkt vorgesehen, es wird ausschließlich auf das territoriale Element der Geburt und der Ansässigkeit in einem bestimmten Gebiet und auf den Tatbestand der Auswanderung vor einem historischen Stichtag Bezug genommen.

Im Jahre 2006 wurde darüber hinaus für ehemalige italienische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, die in den an Jugoslawien abgetretenen (und heute zu Slowenien bzw. Kroatien gehörenden) Gebieten ansässig waren, sowie für deren direkte Nachkommen „italienischer Sprache und Kultur“, die Möglichkeit des Erwerbs der italienischen Staatsbürgerschaft, ohne Verzicht auf die gegenwärtige ausländische, eröffnet (vgl. Legge 2006).

In diesem Falle wird, wie man sieht, ausdrücklich an ein sprachlich-kulturelles Requisit angeknüpft, das erheblich an eine ethnische Charakterisierung des begünstigten Personenkreises heranreicht.

Das Gesetz verwendet unterschiedliche „Italienitäts“-Bezüge für die „Ursprungs-Ahnen“ und deren Nachkommen.

Für Erstere wird neben der ehemaligen italienischen Staatsbürgerschaft und der Ansässigkeit in den abgetretenen Gebieten, der Besitz der Voraussetzungen für die in den jeweiligen Verträgen bereits einmal vorgesehene Optionsmöglichkeit verlangt.

Der Friedensvertrag von 1947 (Artikel 19 Abs. 2) begnügte sich hierfür mit dem Verweis auf Personen, deren „gewöhnliche Sprache italienisch ist“ („la cui lingua usuale è l’italiano“) (Trattato di pace 1947), während der Osimo-Vertrag von 1975 (Artikel 3) (siehe Supplemento 1977, Art. 3) bereits in – man könnte sagen: typisch Südtirolerisches – nationales Vokabular vorstößt und von Personen spricht, die „Teil der italienischen ethnischen Gruppe“ („parte del gruppo etnico italiano“) sind und diese von den Personen der „jugoslawischen ethnischen Gruppe“ unterscheidet, wobei im Dunkeln bleibt, worin Letztere angesichts der sprachlichen, nationalen und religiösen Vielfalt des damaligen Jugoslawien bestanden haben könnte.

Die im erwähnten Gesetz von 2006 ebenfalls berücksichtigten (lediglich direkten) Nachkommen der eben genannten „Ahnen“ hatten hingegen nachzuweisen, dass sie „italienischer Sprache und Kultur sind“, ohne dass der Gesetzgeber selber diese Bedingung unmittelbar näher bestimmte.

Dies erfolgte schließlich auf der Durchführungsebene mit eigenen Rundschreiben des italienischen Innenministeriums, sowohl für die ehemaligen k. u. k Angehörigen als auch für die Einwohner der an Ex-Jugoslawien „verlorenen“ Territorien.

Für die (zwischen 1867 und 1920) ausgewanderten Staatsangehörigen der Doppelmonarchie, die vor dem 16.7.1920 in den gegenwärtig zu Italien gehörenden und in den mit dem Friedensvertrag von 1947 und dem Osimo-Vertrag von 1975 an Jugoslawien angegliederten Gebieten ansässig waren, wird neben anderen Unterlagen auch verlangt, dass sie „Atteste“ von italienischen „Zirkeln, Vereinigungen, Gemeinschaften“, die am ausländischen Wohnort des Antragstellers präsent sind, beibringen, aus denen „taugliche Elemente“ über deren „Italienität“ hervorgehen.

Als Bewertungsrichtlinien werden exemplarisch aufgezählt: „Bekanntheitsgrad“ („livello di notorietà“) der Zugehörigkeit zur „italienischen ethnisch-sprachlichen Gruppe“ des Antragstellers und von dessen Vorfahren, Erklärung über die „nationale Zugehörigkeit“, Datum des Beginns der „Mitgliedschaft“ in der bescheinigenden Einrichtung, jede weitere dienliche Dokumentation über die Zugehörigkeit zur „italienischen ethnisch-sprachlichen Gruppe“, wie beispielsweise Schulbesuchsatteste, Schulzeugnisse, Familienkorrespondenz (Circolare 2001).

Und dies, obwohl das erwähnte Grundlagengesetz (Legge 2000) überhaupt keine direkten ethnisch-nationalen Voraussetzungen vorsieht, sondern als Ausgangspunkt lediglich auf die frühere Ansässigkeit in den bezeichneten Territorien und auf die Auswanderung vor dem 16.7.1920 abstellt.

Anders, wie gesagt, die spätere „Rückeroberung“ (2006) der Staatsbürgerschaft der ehemaligen italienischen Staatsangehörigen und deren Nachkommen in den aus Jugoslawien hervorgegangenen Nachfolgestaaten: für diese wird explizit der Nachweis der „Italienität“ verlangt.

Hier wird kurioserweise unterschieden zwischen den Gebieten laut Friedensvertrag 1947 und Osimo-Vertrag 1975 (Circolare 2006).

Im ersten Falle kann die „Italienität“ nachgewiesen werden:

a) für die Vorfahren, mittels einer von – am ausländischen Wohnort präsenten – italienischen Zirkeln, Vereinigungen oder Gemeinschaften ausgestellten Bescheinigung über das Mitgliedsdatum und die gewöhnlich gebrauchte Sprache des Betreffenden und durch jedes weitere dienliche Dokument, aus welchem die Kenntnis der italienischen Sprache hervorgeht;

b) für deren direkte Nachkommen, durch die Bescheinigung der genannten Einrichtungen über die „Kenntnis, seitens des Antragstellers, der italienischen Sprache und Kultur“ sowie anhand jedes weiteren nützlichen Dokumentes, aus welchem die Kenntnis der italienischen Sprache und Kultur hervorgeht.

Hinsichtlich der Einwohner der ehemaligen B-Zone von Triest (Osimo-Vertrag) ist hingegen in Bezug auf die Vorfahren explizit vom (bereits in Vertrag selbst verwendeten) Begriff der Zugehörigkeit zur „italienischen ethnischen Gruppe“ die Rede, während von deren Nachkommen lediglich der Nachweis über die Kenntnis der „italienischen Sprache und Kultur“ verlangt wird, der über die bereits erwähnten Bescheinigungen und Dokumente erbracht werden kann.

Das Ganze wird sodann von eigenen ministeriellen bzw. interministeriellen „Kommissionen“ bearbeitet und bewertet.

Angesichts dieser stark national angesengten Tendenzen des italienischen Gesetzgebers in jenen Jahren wird es möglicherweise auch verständlicher, warum Italien das europäische Staatsbürgerschaftsübereinkommen von 1997 zwar anfangs unterzeichnet, aber dann bis heute nicht ratifiziert hat, sieht es doch in Artikel 5 vor, dass die Bestimmungen eines Vertragsstaates betreffend die Staatsangehörigkeit, unter anderem, „keine Unterscheidungen […] auf Grund der nationalen Herkunft oder der Volkszugehörigkeit beinhalten“ dürfen.

Die über diese Wege erfolgende Rückführung bzw. „Heimkehr“ in die „ethnisch-nationale Staatsbürgergemeinschaft“ ist jedenfalls grundsätzlich vereinbar mit der Beibehaltung der ausländischen Staatszugehörigkeit.

Auch der in der vergangenen Legislaturperiode von der italienischen Abgeordnetenkammer verabschiedete, aber vom Senat (Senato della Repubblica 2017) dann nicht mehr rechtzeitig behandelte Gesetzentwurf zur Verstärkung des Geburtsorts- bzw. Territorialprinzips (sog. ius soli und ius culturae) in der italienischen Gesetzgebung, sieht keine Einschränkung der Doppelstaatsbürgerschaft im Falle der Einbürgerung vor.

3. Das „Herzensanliegen“

Aus dem erwähnten allgemeinen europäischen Vertragsregelwerk zur Staatsbürgerschaft erwächst somit im speziellen Verhältnis zu Italien kein nennenswertes völkerrechtliches Hindernis im Hinblick auf eine eventuelle Ausdehnung der österreichischen Staatsangehörigkeit auf „Südtirolerinnen und Südtiroler“ mit italienischer Staatsbürgerschaft.

Nach Auffassung der politischen Betreiber dieses „Herzensanliegens“ handele es sich hierbei überhaupt nur um eine rein innerösterreichische Souveränitätsfrage.

Von ihnen wird vorbeugend geltend gemacht, Italien selbst sei eben bereits „vorbildhaft“, „großherzig“, „aus dem Geist eines großen Kulturvolkes“ und „in bester humanistischer Gesinnung“ Österreich vorangegangen, als es seinen „Auslandsitalienern“, namentlich in Südamerika und auf dem Balkan, die Wiedererlangung der Staatsbürgerschaft ermöglichte, weshalb es heute keinen Anlass, ja überhaupt keine Berechtigung habe, sich wegen einer ähnlichen Aktion Österreichs zugunsten seiner „Südtiroler Auslandsösterreicher“ verstimmt zu zeigen (SVP-Club der ehemaligen Mandatarinnen und Mandatare 2018, 3).

Dass die damaligen italienischen Initiativen ihrerseits einer mehr als erkenn­baren nationalistischen bzw. ethno-nostalgischen Motivation, vornehmlich der Berlusconi-Regierung und der an ihr maßgeblich beteiligten postfaschistischen Partei Alleanza Nazionale, entsprangen und zu entsprechenden Belastungen in den Bezie­hungen zu Slowenien und Kroatien führten, wird von dieser Argumentation vollkommen unterschlagen.

Man darf daher, ganz im Gegenteil, durchaus der Meinung sein, dass hier Italien eben „mit keinem guten Vorbild“ vorangegangen ist (Palermo 2017)5 und spannungsreichen nationalistischen Alleingängen anderer Staaten (Ungarn, Rumänien, Slowakei) sozusagen den Weg geebnet hat.

Wer sich aber Zweifel an der Sinnhaftigkeit einer – späten und ethnisch begründeten – Doppelstaatsbürgerschaft für „Südtirolerinnen und Südtiroler“ erlaubt, dem wird, ebenso vorbeugend, „uneingestandener nationalistischer Oppressionswille“, „versteckte Ablehnung der Identität einer Minderheit, Herabwürdigung der Angehörigen einer Minderheit zu einem „Subjekt geringeren Rechts und Wertes gegenüber Angehörigen des Staatsvolkes“ etc. vorgeworfen (SVP-Club der ehemaligen Mandatarinnen und Mandatare 2018, 11-12).

Stattdessen sei der Ruf nach dem österreichischen Pass „eine Forderung der Nächstenliebe im Geiste des Evangeliums“ und „ein legitimer christlicher Anspruch aus dem Geist der Menschenwürde“, den ein „kluger italienischer Staat […] auch im eigenen und europäischen Interesse dankbar wahrnehmen“ müsse (ebda, 12-13).

Angesichts eines derartigen populärtheologischen Diskurses, der sich unausgesprochen auch gegen die besorgten Worte des Bischofs der Diözese Bozen-Brixen richtet, dürfen sich die „kritisierenden Kräfte“ (ebda, 11) mit ihren bereits geäußerten und im Laufe der kommenden Debatte – sowohl in Österreich als in Italien – noch zu erwartenden Bedenken juristischer sowie gesellschafts- und rechtspolitischer Natur als ausdrücklich gewarnt betrachten.

Immerhin wurde auch von grundsätzlichen Befürwortern der italienisch-österreichischen Doppelstaatsbürgerschaft eingeräumt, dass diese (im Gegensatz zum ultimativen Ton des SVP-Dokuments der Altmandatare) „kein Recht darstellt, das eingefordert werden kann, von Teilen der österreichischen Bevölkerung „als Ressourcenverteilungsproblem betrachtet werden und auch in dieser Hinsicht zu Widerstand führen“ und schließlich auch „Abstimmungsprobleme zwischen den Staaten aufwerfen“ kann (Hilpold 2016,1, vgl. auch Hilpold 2016a).

Ebenso wurde eingestanden, dass sich der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft durch „Südtirolerinnen und Südtiroler“ beim derzeitigen Stand des Völkerrechts „nur ganz eingeschränkt“ als Instrument des Minderheitenschutzes eignen würde, da dadurch „weder die Schutzfunktion Österreichs gestärkt noch die Ausübung des diplomatischen Schutzrechtes durch Österreich gegenüber Italien eröffnetwürde (Obwexer 2011, 57).

4. Einige offene Fragen

Wenn nun die Ausdehnung (in welcher gesetzgebungstechnischen Form auch immer) der österreichischen Staatsbürgerschaft auf „Südtirolerinnen und Südtiroler“ kein nennenswertes allgemeines bilaterales österreichisch-italienisches Problem nach dem aktuellen Stand des genannten europäischen Regelwerkes zu dieser Thematik darstellen mag, so kann man sich hingegen speziell mit Blick auf das Sonderverhältnis in Bezug auf Südtirol doch noch einige weitergehende völkerrechtliche bzw. bilaterale Fragen – zumindest – stellen.

Diese könnten nicht nur von einigem wissenschaftlichen Interesse sein, sondern dann, wenn es – je nach dem augenblicklichen Befinden in den Beziehungen zwischen Österreich und Italien – unter Umständen „hart auf hart“ gehen sollte, tatsächlich dazu dienen, „höflich und diplomatisch eine Ablehnung auszusprechen, ohne ein verletzendes «Nein» zu äußern“ (Hilpold 2016a, 4).

Gemeint ist konkret der gesamte Komplex des „Südtirol-Aquis“, vom Staatsvertrag von St. Germain 1919 über den Pariser Vertrag 1946 und den österreichischen Staatsvertrag 1955 bis zur Streitbeilegung 1992.

Das Thema wurde bereits einmal kurz gestreift (vgl. Obwexer 2011), aber möglicherweise nicht genügend vertieft und vielleicht etwas zu schnell für „obsolet“ erklärt, um es tatsächlich als definitiv erledigt betrachten zu können.

Einige Fragen, mögen sie auch auf den ersten Blick etwas anachronistisch und zeitlich „weit hergeholt“ erscheinen, dürfen zumindest gestellt werden, vor allem angesichts der möglichen Haltung Italiens, die sich bisher – zunächst mit vorsichtigem und abwartendem Understatement – aus den Wortmeldungen von Regierungsvertretern „ablesen“ lässt: für die italienische Regierung ist und bleibt die Grundlage für die gute Nachbarschaft und die exzellente Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern das Autonomiestatut als gelungenes Modell des Minderheitenschutzes „und des friedlichen Zusammenlebens verschiedener Sprachgruppen“ auf der Basis der „vollständigen Erfüllung des De Gasperi-Gruber-Abkommens“ (Farnesina 2018).

In einer späteren offiziellen Verlautbarung des italienischen Außenministeriums, auch als Reaktion auf den nicht besonders freundlichen Alleingang Österreichs bei der Einladung von Südtiroler Politikern und Politikerinnen und – ohne Einbeziehung des Ministeriums – des italienischen Botschafters (!) zu einer Anhörung in der Doppelpass-Sache im März 2018, wurde die Position schon deutlicher: neben dem Teilnahmeverbot für den Botschafter am Wiener Treffen, wird diesmal ausdrücklich unterstrichen, dass Italien das österreichische Doppelpass-Vorhaben als „unverständlich“ betrachtet und von seinem Widerspruch zu dem vom „De Gasperi-­Gruber-Abkommen gesetzten Status“ („assetto disegnato dall’Accordo De Gasperi-Gruber) der völkerrechtlichen und bilateralen Beziehungen ausgeht (Farnesina 2018a).

Der Standpunkt Italiens, „dass die von Wien vorgetragenen Gründe zur Verteidigung des Vorschlages der doppelten Staatsbürgerschaft keinen Bestand haben“, sei „bekannt“, heißt es in dieser offiziellen Mitteilung weiter (ebda).

Außerdem wird dort nachdrücklich hervorgehoben, die Angelegenheit gehöre auf der Grundlage des völkerrechtlichen Kontextes zwischen beiden Ländern vornehmlich in den Bereich der bilateralen Beziehungen auf Regierungsebene und nicht in die einseitigen Kontakte Österreichs zu untergeordneten lokalen Behörden in Südtirol.

Die von Italien geäußerten Bedenken sind jedenfalls nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen.

Die Verpflichtungen Italiens aus dem Pariser Vertrag gelten bekanntlich mit der Streitbeilegungserklärung von 1992 als erfüllt, und seither ist das Verhältnis zwischen Österreich und Italien in Bezug auf Südtirol – in der bilateralen Praxis wie im Recht – vom Verzicht auf einseitige Vorgangsweisen gekennzeichnet, der selbstverständlich nur reziprok gelten kann.

Demnach kann Österreich auch in seiner „Schutzfunktion“ keine einseitigen Handlungen und vollendeten Tatsachen setzen, ohne dieses „Modell“ grundsätzlich in Frage zu stellen.

Dazu gehört auch der Verzicht auf eine einseitige kollektive Vereinnahmung bzw. „Einverleibung“ eines Teiles der in der Provinz Bozen/Südtirol lebenden Bevölkerung mit italienischer Staatsbürgerschaft.

Dies muss auch der neuen österreichischen Regierung klargeworden sein, da ­deren Außenministerin Karin Kneissl wiederholt – und mit zunehmendem Nachdruck – erklärt hat, das Vorhaben werde „nur im Gleichklang mit Rom und Bozen“ betrieben und brauche auf jeden Fall seine Zeit (Kurier 2018); sie „verspricht […], dass es keinen unilateralen Vorstoß Österreichs geben wird“ und räumt bezeichnenderweise ein, dass aktuell „dynamische Entwicklungen“ herrschen, die „im Gruber-De Gasperi-Abkommen nicht vorherzusehen waren“ und die somit gegenüber Italien nicht ohne weiteres darauf zurückgeführt werden können (Südtiroler Landesverwaltung/News 2018).

Die österreichische Außenministerin, immerhin eine gelernte Diplomatin, hat zuletzt auch festgestellt, es sei nicht zu erwarten, dass es noch 2018 („während Österreichs EU-Ratsvorsitz im zweiten Halbjahr 2018“) zu einer Einigung wegen der Doppelstaatsbürgerschaft für deutsch- und ladinischsprachige „Südtirolerinnen und Südtiroler“ komme (die Neue Südtiroler Tageszeitung 2018).

Interessant ist auch die Ergänzung der Außenministerin, dafür müsste Österreich zuerst aus der Europarats-Konvention zur Vermeidung von Doppelstaatsbürgerschaften von 1963 bzw. aus einem bestimmten Passus darin aussteigen.

Das heißt, Österreich betrachtet sich selbst (gewissermaßen objektiv-rechtlich) als an dieses Übereinkommen gebunden, und zwar unabhängig von seiner eventuellen bilateralen Unwirksamkeit gegenüber Italien (das es ja 2009 gekündigt hat).

Jedenfalls, eines ist der etwaige individuelle Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft durch „Südtirolerinnen und Südtiroler“ im Rahmen der normalen, für alle geltenden Staatsbürgerschaftsregelung, etwas gänzlich anderes ist hingegen der gewissermaßen „kollektive Anspruch“ auf eine ganze, auf fremdem Staatsgebiet lebende Bevölkerungsgruppe.

Das ist letztlich auch gemeint, wenn die sog. „Bozner Empfehlungen“ (2008) der OSZE, der sowohl Österreich als auch Italien angehören, davon sprechen, dass die Staaten bei der Übertragung der Staatsbürgerschaft an Ausländerinnen und Ausländer die Grundsätze der guten Nachbarschaft und der territorialen Souveränität respektieren und davon absehen sollten, die Staatsbürgerschaft en masse zu gewähren (Punkt 11 der Empfehlungen-OSCE/HCNM 2008).

Die OSZE-Empfehlungen sprechen sich demnach nicht grundsätzlich gegen die Bindung der Staatsbürgerschaft an Ausländer an bevorzugte sprachliche Kompetenzen und/oder kulturelle, historische oder familiäre Bezüge aus, sondern warnen vor der einseitigen kollektiven, d. h. „massenweisen“ Eingliederung von ganzen Bevölkerungsgruppen.

Außerdem ist es für Österreich, als vollwertiges Mitglied des Staatsbürgerschaftsübereinkommens von 1997, möglicherweise objektiv-rechtlich (d. h. unabhängig von der gegenwärtigen Position Italiens in diesem Rahmen) auch nicht ganz unerheblich, dass – wie bereits erwähnt – laut Artikel 2 dieses völkerrechtlichen Vertrages die Staatsangehörigkeit das „rechtliche Band“ zwischen einer Person und einem Staat bedeutet und „nicht auf die Volkszugehörigkeit einer Personweist, und dass – noch deutlicher Artikel 5 –

„die Bestimmungen eines Vertragsstaates betreffend die Staatsangehörigkeit […] keine Unterscheidungen oder Praktiken enthalten (dürfen), die eine Diskriminierung auf Grund […] der nationalen Herkunft oder der Volkszugehörigkeit beinhalten“ (ebda).

Das könnte unter Umständen auch die Bestimmung der Anknüpfungspunkte für eine Staatsbürgerschaftsverleihung an „Südtirolerinnen und Südtiroler“ zum Problem machen.

Österreich hat keine Vorbehalte und Erklärungen zu den Artikeln 2 und 5 des 1997er-Abkommens abgegeben und diese somit vollumfänglich akzeptiert.

Es wird also ganz davon abhängen, wie im konkreten Falle – wenn es überhaupt dazu kommen sollte, was bezweifelt werden darf – das österreichische Staatsbürgerschaftsangebot formuliert sein wird und wie dessen Betreiber, auch und gerade in Südtirol selbst, schließlich damit umgehen.

Mit dem Staatsvertrag von 1919, zu dessen voller Geltung und Anerkennung sich Österreich in Artikel 11 des Staatsvertrages von 1955 ausdrücklich erneut verpflichtet hat, erwarben alle Personen, die das Heimatrecht in dem zu Italien geschlagenen Gebiet des heutigen Südtirol hatten, und nicht laut Artikel 78 für die weitere Zugehörigkeit zu Österreich optierten, automatisch die italienische Staatsbürgerschaft „unter Ausschluss der österreichischen Staatsangehörigkeit“ (vgl. Staatsvertrag 1919, Artikel 70).

Die Legitimität einer gewissermaßen „en-masse-Rückholung“ der österreichischen Staatsbürgerschaft, d. h. nicht aufgrund individueller Anspruchsgründe nach der allgemeinen staatlichen Regelung, sondern ausschließlich und undifferenziert mit speziellem Bezug auf den im Staatsvertrag von 1919 festgeschriebenen und von Österreich mehrfach akzeptierten Verlust der Einwohnergruppe des an Italien abgetretenen Gebietes, könnte möglicherweise aus italienischer Vertragssicht (wenn schon nicht aus österreichischer Einsicht) zumindest fraglich oder diskutierbar erscheinen.

Der Pariser Vertrag von 1946 baut auf dem durch den Staatsvertrag von St. Germain geschaffenen Rechtsstand zwischen Österreich und Italien auf und enthält implizit die erneute Anerkennung des dort bestimmten Ausschlusses des österreichischen „Anspruchs“ auf die Staatsbürgerschaft der in der Provinz Bozen lebenden ehemaligen österreichischen Bevölkerung.

Dies verdeutlicht sich nicht zuletzt in der Anerkennung der Existenz der italienischen „Staatsbürger deutscher Zunge“ (Artikel 1 Abs. 2 Pariser Vertrag), sowie – „zum Zwecke der Herstellung gutnachbarlicher Beziehungen […], nach Beratung mit der österreichischen Regierung“ – vor allem auch in der Vereinbarung mit Ita­lien, die Wiedererlangung der italienischen Staatsbürgerschaft durch die Optanten des Jahres 1939 zu regeln (Artikel 3 Abs. 1 Buchst. a) (vgl. Pariser Vertrag 1946; vgl. Rückoptantendekret 1948).

Ein gewisses vorsichtiges Echo dieser Problematik (wenn auch nicht unter dem hier angesprochenen bilateralen Gesichtspunkt) findet sich bei Obwexer (2011) im Hinblick auf das allgemeine völkerrechtliche Interventionsverbot.

Die Akten der Streitbeilegungserklärung aus dem Jahre 1992 dokumentieren und anerkennen durch beide Seiten die restlose Erfüllung des Pariser Vertrages durch Italien und bedeuten für Österreich die endgültige Anerkennung des damit verbundenen Status-quo, an welchem keine der beiden Seiten wesentliche unilaterale Veränderungen vornehmen kann, ohne damit das erreichte Gleichgewicht nicht nur in den zwischenstaatlichen Beziehungen, sondern auch in Bezug auf das konkrete Verhältnis zwischen den Sprachgruppen in Südtirol selbst zu gefährden.

Die bereits 1969 vereinbarte Version der österreichischen Streitbeilegungserklärung nimmt bezeichnenderweise nicht nur auf die dauerhafte Gewährleistung der „Interessen der deutschsprachigen Bevölkerung Südtirols“ Bezug, sondern bezieht sich unübersehbar auch auf das „friedliche Zusammenleben und die Entwicklung der Sprachgruppen Südtirols“ (Streitbeilegungserklärung 1992)6.

In der an die italienische Regierung gerichteten österreichischen Verbalnote vom 11.6.1992 ist zustimmend die Rede vom „Rahmen der gemeinsamen Verantwortung“ auch im Falle von zukünftigen „normativen Änderungen“ (ebda).

Die „Südtirolfrage“ ist also mittlerweile so wenig eine reine österreichische Angelegenheit wie sie eine rein italienische ist.

Italien hat sich in den letzten Jahrzehnten an diese durch Recht und Praxis erhärtete Erkenntnis gehalten und wichtige, Südtirol betreffende Entscheidungen stets mit Österreich abgestimmt.

Österreich wird genauso wenig Handlungen, die sich erheblich auf die Situation in Südtirol auszuwirken drohen, außerhalb dieser bilateralen Methode vornehmen können, und zwar ohne Rücksicht auf die voreiligen Einflüsterer und Drängler, welche die Verleihung der (Doppel-)Staatsbürgerschaft lediglich auf die Ebene eines „souveränen Kraftaktes“ gegenüber Italien reduzieren möchten.

Damit ist nicht gesagt, dass Österreich in seiner Rechtsordnung nicht die individuelle Erlangung seiner Staatsbürgerschaft durch „Südtirolerinnen und Südtiroler“ erleichtern kann.

Wenn diese Operation jedoch – sowohl durch die Vorgehensweise des österreichischen Gesetzgebers, als auch durch die Art und Weise, wie sie von den Befürwortern in Südtirol politisch betrieben wird – trotz der von der Befürworterseite immer wieder hervorgehobenen Antragsbindung den Sinn und die Bedeutung einer einseitigen (kollektiven) rechtlich-politischen „Heimholung“ der „Südtiroler“ Bevölkerung annimmt, wird sie nicht nur möglicherweise unter den hier (selbstverständlich nur kurz) gestreiften völkerrechtlichen-bilateralen Aspekten einigermaßen fraglich, sondern verletzt mit Sicherheit die nach der Streitbeilegungserklärung konsolidierte (und darin letztendlich auch begründete), auf die von uns verwiesenen Rechtsgrundlagen basierende Praxis des Verzichts auf Unilateralität, der – noch einmal – nur reziprok gelten kann.

5. Anknüpfungspunkte

Ein weiterer Problemkreis, der sich im Zusammenhang mit dieser Thematik eröffnet, betrifft die Bestimmung jener Personen, an die sich das österreichische Angebot richten könnte oder sollte bzw. welche davon ausgenommen bleiben würden.

Aus diesem Grunde hat, wie bereits eingangs erwähnt, die bisher eingehendste Studie zu dieser Frage diese Kategorie bezeichnenderweise (noch) unter Anführungszeichen gesetzt (vgl. Obwexer 2011).

Gemeinhin werden zwei Optionen in den Raum gestellt: eine historische Bestimmung („Altösterreicher/-innen“), verbunden mit dem Abstammungsprinzip (Nachkommen), oder eine „ethnische“ Klassifizierung nach der Sprachgruppenzugehörigkeit.

Beide Kriterien zeigen jedoch erhebliche Schwächen und werfen ernsthafte Fragen in Bezug auf Kohärenz und Durchführbarkeit auf.

Die „Altösterreicher“-Hypothese stößt, hundert Jahre nach dem Ende der k. u. k. Monarchie, sowohl auf Schwierigkeiten in der Rekonstruktion der Ausgangslage („österreichische Staatsangehörigkeit“ vor dem Staatsvertrag 1919) als auch auf die mittlerweile nicht mehr „eindeutige“ und nur sehr schwer zu „entwirrende“ Situation der „Nachkommenschaft“ in der dritten, vierten und bald auch fünften Generation.

Ein ausschließlicher Rückgriff auf die frühere Staatsangehörigkeit wäre überdies für die beschworene „Herzensangelegenheit Südtirol“ wohl zu weit gedehnt, weshalb man den Anknüpfungspunkt der früheren Staatszugehörigkeit durch das fragwürdige ethnische Kriterium „deutsch- und ladinischsprachig“ wieder einschränken müsste, mit entsprechenden neuen Definitionsproblemen, Unzufriedenheiten, Inkohärenzrisiken, „Ahnenpass“-Reminiszenzen und ethnischen „Reinheitsgeboten“ in einem Südtirol, das zwischenzeitlich ebenfalls von der multikulturellen Globalisierung erfasst wurde.

Die „historische“ Lösung wäre demnach mit vielen Unannehmlichkeiten jeder Art verbunden, über welche man sich in Südtirol selbst an verantwortlicher Stelle bereits Sorgen macht.

Ivo Muser, der Bischof der Diözese Bozen-Brixen, etwa meinte, er könne

„als Bürger, Christ und Bischof nur hoffen, dass die Diskussion um die Doppelstaatsbürgerschaft unsere Gesellschaft nicht spaltet, nicht alte Wunden und Vorurteile aufreißt und ein vergiftetes, misstrauisches politisches und menschliches Klima hinterlässt, von dem wir hofften, es überwunden zu haben“ (Katholisches Sonntagsblatt 2018, 9).

Südtirols Landeshauptmann Arno Kompatscher, immerhin auch SVP-Spitzenexponent, hat Bedenken geäußert, die Einschränkung nur auf Deutsch- und Ladinischsprachige könnte zu einer „Abstimmung werden, in der entschieden wird, wer ein guter Patriot ist und wer nicht“ und hat den „nationalistischen Ansatz“ eines solchen Vorhabens erkannt (Profil 2018).

Aus diesen Gründen meinte er, die Doppelstaatsbürgerschaft sollte am besten „auch den Nachkommen der italienischen Altösterreicher oder sogar allen Südtirolern“ zugestanden werden, womit er wohl die Gesamtheit der Einwohner Südtirols ohne jede ethnisch-sprachliche bzw. historische Differenzierung gemeint hat.

Da es jedoch für die Betreiber des „Herzensanliegens“ dies- und jenseits des Brenners keine erkennbare Veranlassung dafür gibt, ist Kompatschers Vorschlag wohl eher als Aufforderung gedacht, die „historische“ bzw. historisch-ethnische Lösung erst gar nicht ernsthaft in Betracht zu ziehen.

Ganz abgesehen davon, dass diese sich – in ihrem Rückgriff auf die ehemalige „österreichische“ Staatsbürgerschaft vor 1919 – umso mehr dem bereits aufgezeigten möglichen völkerrechtlich-bilateralen Einwand aussetzen könnte, Österreich wolle auf diese Weise den mit dem Staatsvertrag von St. Germain akzeptierten Verlust der staatrechtlichen Anbindung der Einwohner Südtirols („unter Ausschluss der österreichischen Staatsbürgerschaft“ – Artikel 70 Staatsvertrag) einseitig „ungeschehen“ machen.

Hinzu kommt im Übrigen, dass aufgrund der Option 1939 ein Großteil der deutschsprachigen Südtiroler Bevölkerung bzw. von deren Vorfahren als letzte, der heutigen italienischen Staatsbürgerschaft vorausgegangene Staatszugehörigkeit die deutsche und nicht etwa die österreichische besaß.

Mit dem sog. Rückoptantendekret von 1948 wurde diesen Personen auf der Basis des Pariser Vertrages mit Österreich die Möglichkeit eröffnet, freiwillig die italienische Staatsbürgerschaft, bei Verzicht auf die deutsche, wiederzuerlangen.

Die Geschichte von den „altösterreichischen“ Italienern – und die Debatte, ob diese „Südtirolerinnen und Südtiroler“ überhaupt jemals österreichische Staatsbürger waren (Kofler 2018) – würde also möglicherweise durch das Intermezzo der „großdeutschen“ Staatsbürgerschaft zumindest auf der Argumentationsebene zusätzlich etwas kompliziert werden.

Der andere, angeblich einfachere Ansatz bestünde nach Auffassung einiger Exponenten der Doppelpassbefürworter in der Anknüpfung an „eine“ Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung.

Darauf stellt etwa der bisher einzige Versuch ab, das Vorhaben juristisch genauer zu erfassen und innerhalb des österreichischen Staatsbürgerschaftsgesetzes zu platzieren.

Gemeint ist der im Jänner 2018 in Bozen vorgestellte Pernthaler-Watschinger-Vorschlag für ein sog. „2. Südtirolergleichstellungsgesetz 2018“ (Regierungsvorlage 2018), mit welchem unter anderem das österreichische Staatsbürgerschaftsgesetz von 1985 geändert werden sollte.

Von Interesse ist an dieser Stelle die Bestimmung der „Fremden“, denen zusätzlich – über die bereits bestehende Möglichkeit hinaus – der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft „durch Anzeige“ zugänglich gemacht werden soll.

Die Rede ist von den Südtirolern und Südtirolerinnen „deutscher und ladinischer Sprachzugehörigkeit“, die zum „Zeitpunkt der Geburt im Gebiet der heutigen autonomen Provinz Bozen-Südtirol oder in Österreich ansässig oder österreichische Staatsbürger“ waren.

Abgesehen davon, dass es einigermaßen schwierig ist, bereits zum „Zeitpunkt der Geburt“ irgendwo „ansässig“ zu sein, da die Geburt den Umständen entsprechend an jedem Ort der Welt erfolgen kann und die „Ansässigkeit“ eines Kindes erst nachher, und in der Regel in Abhängigkeit vom Wohnsitz der Eltern, erworben wird, interessiert hier vor allem die Technik der Zuordnung zur erforderlichen Sprachgruppe als rechtsbegründendes Element.

Diese kann dem Vorschlag zufolge durch „eine aktuelle Bescheinigung über die Zugehörigkeit zur deutschen oder ladinischen Sprachgruppe (Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung)“ stattfinden, bzw. bei Minderjährigen über die Zugehörigkeit „eines Elternteils“.

Man darf sich hier zunächst fragen, was mit einer „aktuellen Bescheinigung“ der Sprachgruppenzugehörigkeit gemeint ist, da es sich um ein österreichisches Gesetz handelt, in Österreich aber vermutlich eine derartige „Bescheinigung“ derzeit nicht besteht und sonst keine weiteren Angaben vorliegen.

Zwar nahm auch das österreichische Südtirolergleichstellungsgesetz von 1979 (Bundesgesetz 1979) auf die Zugehörigkeit zur deutschen oder ladinischen Sprachgruppe Bezug, griff dabei aber immerhin präzise auf das bei der „jeweils letzten in der Provinz Bozen durchgeführten Volkszählung“ abgegebene „Bekenntnis“ zurück.

Meint also der hier kommentierte Vorschlag irgend „eine“ (wie es im Text steht) Bescheinigung, oder soll es dafür eine eigene österreichische Regelung geben, oder ist es ein Verweis auf die italienische Rechtslage, wie sie konkret in Artikel 20/ter DPR n. 752/1976 (sog. Proporzdekret) festgelegt ist?

Auch ist der im österreichischen Gleichstellungsgesetz von 1979 enthaltene Bezug mittlerweile unter mehreren Gesichtspunkten unzulänglich, da die sog. individuelle Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung inzwischen von der zehnjährigen Volkszählung abgekoppelt worden ist und nun, unter den vorgesehenen Bedingungen, jederzeit abgegeben sowie geändert oder auch gänzlich widerrufen werden kann.

Seit 1979 hat sich außerdem die Regelung dieser Erklärung (die, anders als im Pernthaler-Watschinger-Vorschlag suggeriert, keine wirkliche „Bescheinigung“ durch irgendwelche Behörde, sondern eine freie Willensbekundung darstellt) unter manchem Aspekt grundlegend geändert, auch aufgrund wiederholten Drucks der EU-Behörden hinsichtlich Datenschutz, Freizügigkeit, Niederlassungsfreiheit und Diskriminierungsverbot.

Fürs erste gab es 1979 die rechtliche Kategorie der „Anderen“ noch nicht, die in der Erklärung ausdrücklich angeben können, keiner der drei offiziellen Sprachgruppen (also auch nicht der deutschen oder ladinischen) anzugehören, sondern sich lediglich zum Zwecke der Inanspruchnahme der an die Sprachzugehörigkeit gebundenen Rechtswirkungen an eine Sprachgruppe „anzugliedern“.

Obwohl in den Erläuterungen zum besagten Gesetzesvorschlag die „Zugehörigkeit oder Zuordnung“ erwähnt wird, ist im Text selbst lediglich von der „Zugehörigkeit“ die Rede.

Wären damit nun auch die „Anderen“ gemeint, die ausdrücklich keiner der drei Sprachgruppen zugehören oder zugehören wollen, würde deren lediglich rechtlich-bürokratische Angliederungserklärung nicht dazu taugen, sie – wie von den Proponenten explizit beabsichtigt – als ethnisch definierte deutsche und ladinische „Volksösterreicher“ auszuweisen.

Die Sache ist jedoch, dass der erwähnte Artikel 20/ter DPR n. 752/1976 immerhin bestimmt, dass die Zugehörigkeits- und Angliederungserklärung „dieselben Rechtswirkungen“ haben. Was dann?

Man wird sich erinnern, dass die Einführung der Kategorie der „Anderen“, und deren gleichzeitige absolute Gleichstellung mit den „Zugehörigen“, seinerzeit die Grundvoraussetzung für eine gewisse Befriedung des bekannten Volkszählungskonfliktes in Südtirol darstellte und auch die (wenngleich nur unzulängliche) Einhaltung des Artikels 3 des – sowohl von Italien als von Österreich ratifizierten – Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarates vom 1. Februar 1995 gewährleistet (Europarat 1995).

Dessen Artikel 3 bestimmt nämlich, dass

jede Person, die einer nationalen Minderheit angehört, […] das Recht (hat), frei zu entscheiden, ob sie als solche behandelt werden möchte oder nicht; aus dieser Entscheidung oder der Ausübung der mit dieser Entscheidung verbundenen Rechte dürfen ihr keine Nachteile erwachsen“.

Die Zugehörigkeitserklärung ist, wie betont, eine reine Willensbekundung und ist nicht auf ihre „Wahrheit“ hin überprüfbar, jeder kann frei, aus welcher Überlegung und aus welchem Kalkül auch immer, eine beliebige Sprachgruppenzugehörigkeit angeben.

Dieses Dokument lässt somit auf keine ethnische Klassifizierung des Erklärenden bzw. auf dessen „deutsche Identität“ (so in den Erläuterungen zur Gesetzesvorlage) schließen.

Das Archiv der Sprachgruppenerklärungen umfasst inzwischen viele Tausende von (vor allem) „Deutsch-Bekenntnissen“, die überhaupt keinen, von den Proponenten aber erklärtermaßen vorausgesetzten „ethnischen Wert“ haben, sondern pure – vom System als vollkommen legitim betrachtete – Zweckentscheidungen darstellen.

Man denke diesbezüglich nur daran, dass mittlerweile jedes Jahr allein in der Provinz Bozen ca. 2.000 neue Einbürgerungen von hier lebenden Ausländern bzw. Einwanderern erfolgen7.

Im Übrigen legt der Text der besagten Gesetzesvorlage nicht fest, ob der dort erwähnte, in der Provinz Bozen ansässige und – entsprechend seiner Erklärung – der deutschen oder ladinischen Sprachgruppe „zugehörige“ Südtiroler bereits auch italienischer Staatsangehöriger sein muss, um in den Genuss der österreichischen Staatsbürgerschaft kommen zu können.

Da mittlerweile, aufgrund einer kürzlich ergangenen Änderung des Art. 20/ter DPR n. 752/1976 die Sprachgruppenerklärung auch von EU-Bürgern und bestimmten Ausländern sowie Asylberechtigten abgegeben werden kann, ist es durchwegs vorstellbar, dass auch in Südtirol geborene und ansässige Personen, die keine italienische Staatsbürgerschaft, aber die „deutsche oder ladinische“ Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung haben, im Sinne des hier kommentierten Vorschlages die österreichische Staatsbürgerschaft erlangen könnten.

Es könnte sogar gut sein, dass auf diese Weise der eine oder andere von ihnen die österreichische Staatsbürgerschaft noch vor der italienischen erwirbt.

Wie zu ersehen ist, eignet sich die hierzulande geltende Regelung über die Sprachgruppenzugehörigkeit nur sehr schlecht für das erklärte nationalistische Anliegen der Betreiber, die „deutsche Sprachgruppe in ihrer Identität als ethnisch selbstständiges Subjekt“ (siehe die erwähnten Erläuterungen zum Pernthaler-Watschinger-Gesetzesvorschlag) zu definieren und als alleinigen Adressaten des österreichischen Staatsbürgerschaftsangebots von allen anderen abzugrenzen.

6. Ein Blick in die soziale Wirklichkeit: Identitäre Zuordnung ohne Österreichbezug

In den Erläuterungen zum „2. Südtiroler Gleichstellungsgesetz 2018“ wird mit einem weiteren Argument für die Doppelstaatsbürgerschaft für Südtiroler/-innen argumentiert. Die österreichische Staatsbürgerschaft sei „ein besonders starkes ethnisches Bindeglied zwischen der Südtiroler Volksgruppe und ihrem deutschsprachigen ‚Muttervolk‘ Österreichs/Tirols“. Eine solche stärke deren „Identität als ethnisch selbständiges Subjekt“ und somit „deutsche Identität der Südtiroler Volksgruppe“, damit es nicht zu ihrer Assimilation nach dem Muster der Verelsässerungkomme (Regierungsvorlage 2018, 5). Zwei zentrale Argumente (neben anderen) für die österreicherische Staatsbürgerschaft zugunsten von Südtirolerinnen und Südtirolern sind somit die i. Verhinderung der Verelsässerung sowie ii. Die Stärkung der emotionalen Bindung zu Österreich.

Zum Begriff der Verelsässerung sei nur soviel gesagt, dass damit mit Bezug auf die deutsche Sprache und die deutschsprachige Bevölkerung in Elsass-Lothringen das langsame Aussterben einer Sprache, im weiteren Sinne die Erosion der ethnischen Identität und somit einer ganzen Sprachgruppe beschrieben und eingefangen wird. Der österreichische Pass für Südtiroler/-innen soll eine solche Entwicklung verhindern.

Davon ausgehend lautet deshalb aus einer empirischen Sicht die erste Frage: Gibt es in Südtirol Anzeichen einer Verelsässerung? Schauen wir uns dazu einige sozialwissenschaftliche Daten an.

Greifen wir weit zurück, auf die Umfrage des Instituts für Demoskopie in Allensbach aus dem Jahre 1960. Im Bericht „Die Lage in Südtirol“ wird argumentiert: „[…] in großer Mehrheit, zu vier Fünfteln, betrachten sich die Südtiroler nach wie vor als Angehörige einer österreichischen Volksgruppe“. Allerdings wird diese Behauptung aus dem Umfrageergebnis rückinterpretiert, dass sich bei einer Volksabstimmung „80 bis 90 Prozent für einen Anschluss an Österreich entscheiden“ würden (Institut für Demoskopie 1960, 1).

Machen wir einen Sprung von knapp 50 Jahren. Laut Erhebung des Sprachbarometers von 2004 bezeichneten sich 85,6 Prozent der deutschsprachigen Bewohner als Südtirolerinnen und Südtiroler, 2,6 Prozent als Tirolerinnen und Tiroler, niemand als Österreicherinnen und Österreicher. Die Bewohner um den Sellastock bezeichneten sich zu 84,2 Prozent als Ladiner oder ladinischsprachige Südtirolerinnen und Südtiroler, zu 2,2 Prozent als Tirolerinnen und Tiroler (Autonome Provinz Bozen-Südtirol/Landesinstitut für Statistik – ASTAT 2006, 158).

Diese Einstellungen bestätigt auch das Sprachbarometer von 2014. 80,7 Prozent der deutschen Bevölkerung fühlte sich als Südtirolerinnen und Südtiroler, 2,2 Prozent als Österreicherinnen und Österreicher, 9,2 Prozent als Tirolerinnen und Tiroler, knapp 10 Prozent als Italienerinnen und Italiener. Unter den Rätoromanen des Landes fühlten sich 84,6 Prozent als Ladinerinnen und Ladiner, nur zu 0,8 Prozent als Tirolerinnen und Tiroler, niemand fühlte sich als Österreicherin und Österreicher (Autonome Provinz Bozen-Südtirol/Landesinstitut für Statistik – ASTAT 2015, 170).

Die Astat-Daten decken sich mit Umfrageergebnissen, die das österreichische Meinungsforschungsinstitut „Karmasin“ 2013 für die „Arbeitsgruppe für Selbstbestimmung“ unter deutsch- und ladinischsprachigen Südtirolerinnen und Südtiroler durchgeführt hat. 86 Prozent bezeichneten sich als Südtirolerinnen und Südtiroler, 6 Prozent als Italienerinnen und Italiener, der Rest fühlte sich als etwas anderes oder gab keine Angaben an (Süd-Tiroler Freiheit 2013).

Diese Daten entsprechen wiederum einer Untersuchung aus dem Jahre 2010, als das Institut für Sozialforschung und Demoskopie Apollis im Auftrag des Südtiroler Heimatbundes eine Umfrage unter deutsch- und ladinischsprachigen Südtirolerinnen und Südtirolern durchführte. 95 Prozent der deutsch- und ladinischsprachigen Befragten erklärten, sich mehr „als Südtirolerin und Südtiroler“, 5 Prozent sich mehr „als Italienerin und Italiener“ zu fühlen. Die Daten beruhen allerdings nur auf gültigen Antworten. Bei der Frage zur Identität hatten fast 20 Prozent keine eindeutige Entscheidung treffen wollen (Süd-Tiroler Freiheit 2010).

Die empirischen Daten zur identitären Zuschreibung werden auch von den Volkszählungen bestätigt. Seit 1961 liegt die deutschsprachige Wohnbevölkerung laut Volkszählung immer über 60 Prozent (Provinz Bozen-Südtirol/Landesinstitut für Statistik – ASTAT 2017, 118). Die „Identität als ethnisch selbständiges Subjekt“, wie es der Gesetzesentwurf formuliert, hat somit in den letzten fast 60 Jahren keine Einbrüche erlebt. Die Gefahr einer „Verelsässerung“ scheint somit nicht gegeben zu sein.

Das zweite Argument betrifft die „stärkere emotionale Bindung zu Österreich“. Die subjektive Orientierung der Südtirolerinnen und Südtiroler an Österreich ist, wie die zitierten Daten belegen, äußerst gering. Das Sprachbarometer von 2006 gibt dazu keine Auskunft, außer den Hinweis, dass sich 2,6 Prozent der deutsch-, und 2,2 Prozent der ladinischsprachigen Südtirolerinnen und Südtiroler als Tirolerinnen und Tiroler fühlen. 2014 haben diese Prozentsätze etwas zugenommen. Unter den Deutschsprachigen fühlten sich 2,2 Prozent als Österreicherinnen und Österreicher (kein Ladiner), 9,2 Prozent als Tirolerinnen und Tiroler (0,8 Prozent Ladiner). Unter diesen Aspekten gibt es aus der Sicht der Einbringer des Gesetzes zum Doppelpass tatsächlich einen enormen Nachholbedarf.

Eine andere Frage ist allerdings, ob ein zweiter Pass für die Südtirolerinnen und Südtiroler ein solches Zugehörigkeitsgefühl einschneidend anstoßen würde. Denn nicht einmal in Nordtirol fühlen sich die Einwohner/-innen in erster Linie als Österreicher/-innen, und mit diesen auch die Bewohner der westlichen Bundesländer.

In einer 2001 durchgeführten bundesweiten Umfrage von Fritz Plasser und Peter A. Ulram (Plasser/Ulram 2001) fühlten sich die Bewohnerinnen und Bewohner der Alpenrepublik lediglich zu 48 Prozent in erster Linie Österreich verbunden, zu 25 Prozent ihrem Bundesland und zu 38 Prozent ihrer Gemeinde. Die westlichen Bundesländer aber, in erster Linie Tirol, waren stärker Gemeinde- und Landes-bezogen. Die Tirolerinnen und Tiroler identifizierten sich zu 50 Prozent mit der Gemeinde und zu 32 Prozent mit dem Land, nur an dritter Stelle landete mit 30 Prozent Österreich (ebda, 433).

Eine Umfrage des Innsbrucker Instituts für Föderalismus im Jahre 2009 zeigte, dass die Identifikation mit Österreich auf 40 Prozent zurückgegangen war. In Tirol nahm die Identifizierung mit dem Bundesland hingegen im Vergleich zu 2001 stark zu. An erster Stelle lag die emotionale Bindung zu Tirol mit 42,7 Prozent, gefolgt von der Gemeinde gleichauf mit Österreich (20 Prozent). In Kärnten und Vorarlberg lag die Identifikation mit dem eigenen Bundesland ebenfalls höher als mit dem Staat Österreich. Je weiter man dann nach Osten geht, umso höher werden die Österreich-Werte. Eine Abschwächung des Landesbewusstseins zugunsten des Österreichbewusstseins hat sich im Vergleich zu 2001 jedoch nicht fortgesetzt. Selbst bei jenen, wenn wir auf die Bevölkerung Tirols blicken, die einen österreichischen Pass besitzen, ist das Österreich-Bewusstsein schwächer ausgeprägt als das Landesbewusstsein (Bußjäger/Seeber 2010, 34).

Die Befürchtung von einigen Rechtsexperten, dass relativ wenige Südtirolerinnen und Südtiroler die österreichische Staatsbürgerschaft beantragen könnten und damit die Schutzfunktion Österreichs untergraben werden könnte, wird durch die derzeitige Einstellung der Südtirolerinnen und Südtiroler zu Österreich nicht entkräftet.

7. Schlussfolgerungen

Wir sind von der These ausgegangen, dass die bilateralen Beziehungen zwischen Österreich und Italien in der Praxis und im Recht vom Verzicht auf einseitige Vorgangsweisen gekennzeichnet sind, wobei dies reziprok gilt. Wir konnten dabei aufzeigen, dass die „Südtirolfrage“ mittlerweile so wenig eine rein österreichische Angele­genheit wie eine rein italienische ist und dass Entscheidungen wie der „Doppelpass“ nur im Einvernehmen zwischen Wien und Rom möglich sind. Angesichts der problematischen, ja teilweise kaum präsentablen bis widersprüchlichen Definitions- und Abgrenzungskriterien und der unvorhersehbaren Dynamik, welche das – beispielsweise von Bischof Ivo Muser, aber auch von Landeshauptmann Arno Kompatscher schon bald erkannte – Konfliktpotential entfalten kann, das dem Doppelpassthema in Südtirol selbst und allgemein in den österreichisch-italienischen Beziehungen innewohnt, ist es gut möglich, dass diese Sache am Ende vom Herzen etwas tiefer auf den Magen zu liegen kommen könnte.

Vielleicht sollte man also besser versuchen, die Frage des „Doppelpasses“ von einem Herzensanliegen zu einer Verstandessache werden zu lassen.

Anmerkungen

1 Sinnigerweise im Gutachten von Walter Obwexer (2011) unter Anführungszeichen gesetzt.

2 Eine nützliche Übersicht, auch mit einem kleinen rechtsvergleichenden Teil, findet sich im Dossier Nr. 239/2015 des „Servizio studi del Senato“ (2015).

3 Schriftliche Beantwortung vom 15.12.2008 der parlamentarischen Anfrage Nr. 4-01176 (Abgeordnetenkammer) durch den damaligen Unterstaatssekretär des Außenministerium Alfredo Mantica: www.camera.it/_dati/lavori/stenografici/sindisp/framesed.asp?sed=057&min=02 (angerufen am 28.03.2018).

4 Der Einfachheit halber wird der italienische Begriff „italianità“ mit Italienität übersetzt.

5 In der zitierten Schrift der SVP-Altmandatare wird Palermo übrigens auch vorgeworfen, die „Bozner Empfehlungen“ der OSZE durch den Passus, der von der massenweisen Verleihung von Doppelstaatsbürgerschaften an Minderheiten abrät, „minderheitenfeindlich“ beeinflusst zu haben (2018, 5).

6 Vgl. die Dokumentensammlung zur Streitbeilegung vor der UNO, dem Europarat und dem IGH in: Peterlini (2017).

7 2.045 waren es zuletzt 2016; vgl. Annuario (2017).

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Staatsvertrag (1919), Staatsvertrag von Saint-Germain-en-Laye 1919, http://www.versailler-vertrag.de/svsg/svsg-i.htm (5.3.2019)

Streitbeilegungserklärung (1992), Österreichische Note samt der definitiven Streitbeilegungserklärung, https://www.uibk.ac.at/zeitgeschichte/zis/library/19920611.html (5.3.2018)

Süd-Tiroler Freiheit (2010), Neue Meinungsumfrage: 95% der Süd-Tiroler wollen keine Italiener sein, 11.10.2010, http://www.suedtiroler-freiheit.com/neue-meinungsumfrage-95-der-sud-tiroler-wollen-keine-italiener-sein/ (28.2.2018)

Süd-Tiroler Freiheit (2013), Neue Meinungsumfrage zur Selbstbestimmung: Nur 26% der Süd-Tiroler wünschen sich einen Verbleib bei Italien, 1.7.2013, http://www.suedtiroler-freiheit.com/neue-meinungsumfrage-zur-selbstbestimmung-nur-26-der-sud-tiroler-wunschen-sich-einen-verbleib-bei-italien/ (28.2.2018)

Südtiroler Landesverwaltung/News (2018), LH Kompatscher bei Ministerin Kneissl: Doppelstaatsbürgerschaft, 6.3.2018, http://www.provinz.bz.it/news/de/news.asp?news_action=4&news_article_id=608631 (5.3.2018)

SVP-Club der ehemaligen Mandatarinnen und Mandatare (2018), Doppel-Staatsbürgerschaft für Südtiroler. Eine europäische Geste des Vaterlandes Österreich. 70-Punkte-Info, 15.2.2018, Bozen, https://www.salto.bz/sites/default/files/atoms/files/doppelstaatsburgerschaft_-_lange_version.pdf (5.3.2018)

Trattato di pace fra l’Italia e le Potenze Alleate ed Associate – Parigi, 10 febbraio 1947, https://it.wikisource.org/wiki/Trattato_di_pace_fra_l%27Italia_e_le_Potenze_Alleate_ed_Associate_-_Parigi,_10_
febbraio_1947 (5.3.2019)