Marion Wieser
Donald Trump und die religiöse Rechte. Eine (un)mögliche Zweckallianz
Donald Trump and the Religious Right. An (Im)possible Alliance
Abstract With the election of George W. Bush to the White House in 2000, the political influence of the Religious Right on U.S. politics came back in plain sight, after the movement had been declared dead over and over again since the 1980s. Shaped by its conservative and socio-moral agenda setting, the Religious Right was able to always bounce back and influence politics and political actors on all levels. Today, they form the most loyal voter base of Donald Trump, the three times divorced womanizer and multibillionaire, elected President in 2016. A very unlikely alliance that stunned many political scientists, but can be explained by analyzing the strategy followed by this political movement. This article explains how this alliance came about, what keeps it together and what can be expected in the near future.
1. Einleitung
Seit 1973 treffen sich regelmäßig tausende Abtreibungsgegnerinnen und Abtreibungsgegner zum jährlichen March for Life in Washington, D.C. um das richtungsweisende Gerichtsurteil Roe v. Wade des U.S. Supreme Court zu kritisieren, das die Abtreibung in den USA 1973 legalisierte. In zahlreichen Reden wird der „Verfall der amerikanischen Gesellschaft“ und der „Verlust von Familienwerten“ angeprangert. 2018 gab es bei dieser Veranstaltung zum ersten Mal eine Premiere: der amtierende US-Präsident richtete eine Live-Videobotschaft aus dem Rosengarten des Weißen Hauses an die versammelten Aktivisten:
„Americans are more and more pro-life. […] Under my administration, we will always defend the very first right in the Declaration of Independence, and that is the ‘right to life.’ Tomorrow will mark exactly one year since I took the oath of office. And I will say our country is doing really well. Our economy is perhaps the best it’s ever been.“
(The Hill 2018)
Trump erhielt dafür tosenden Applaus von der Menge. Wie lässt sich dieser Jubel einer bestimmten Bevölkerungsgruppe einem Präsidenten gegenüber erklären, der im Dezember 2017 eine Zustimmungsrate von lediglich 35 Prozent (Gallup 2018) vorzuweisen hatte? Zu verdanken hat Trump diesen Beifall einer politischen und sozialen Bewegung, die in den USA seit der Wahl von George W. Bush im Jahr 2000 verstärkt in das öffentliche Interesse gerückt war, obwohl sie bereits mehrfach in den USA und außerhalb tot gesagt worden war: der religiösen Rechten. Ihre Anhängerinnen und Anhänger zählen heute zur treuesten Wählerschicht von Donald Trump; ihre Führungsriege zu den einflussreichsten Beraterinnen und Beratern rund um den Präsidenten. Im folgenden Beitrag sollen die Beziehungen und Verstrickungen der Trump-Administration zur Religiösen Rechten skizziert und analysiert werden. Dabei geht es um die Fragen, wie groß der Einfluss der Religiösen Rechten auf die Trump-Administration ist, warum sich die Religiöse Rechte gerade mit dem umstrittenen Multimillionär verbündet, mit welchen Folgen dieser Zweckallianz zu rechnen ist und wie die aktuelle politische Situation in den USA vor diesem Hintergrund einzuschätzen ist. Diesen Fragen wird ausgehend von der These nachgegangen, dass die Religiöse Rechte zur Erreichung ihrer Ziele bereit ist, Allianzen mit politischen Akteuren einzugehen, deren Wertordnung im Widerspruch zu ihren eigenen Idealen steht.
2. George W. Bush, Barack Obama und die Religiöse Rechte – (K)ein Mann Gottes im Weißen Haus?
Bereits im Jahr 2000 ging die Religiöse Rechte eine regelrechte „Wahlkampfallianz“ mit der republikanischen Partei ein und setzte sich vehement im Wahlkampf für deren Präsidentschaftskandidaten George W. Bush ein. Sie mobilisierte höchst professionell und erfolgreich ihre Anhängerschaft zum Wahlgang und zur Stimmabgabe für Bush. Nur er allein könne die Ziele der Bewegung erfüllen und die USA wieder zu einer moralisch-konservativen, christlichen Nation machen, so das Argument der Bewegung. Der neue Präsident schien zunächst auch die Wünsche und Hoffnungen der Bewegung zu erfüllen: er organsierte regelmäßig Bibelstunden und Gebetstreffen im Weißen Haus, eröffnete jede Kabinettssitzung mit einem gemeinsamen Gebet und erinnerte in seinen Reden stets an seinen persönlichen Glauben als Born-Again-Christ. Ferner setzte er einige Vertreter und Vertreterinnen in wichtige Ämter seiner Administration ein. So wurde u.a. Condoleezza Rice, die Tochter eines Pastors, zur nationalen Sicherheitsberaterin, John Ashcroft, Mitglied der erzkonservativen Assemblies of God-Kirche zum Justizminister und Kay Coles James, der ehemalige Dekan der evangelikalen Regent University und strenger Abtreibungsgegner, zum Leiter des Office of Personnel Management und damit zum Dienstgeber aller Bundesangestellten. Weitere enge Beraterinnen und Berater von Bush, darunter Andrew Card, Don Evans, Karen Hughes, Claude Allen und Wade Horn unterhielten ebenfalls Kontakte zu bzw. Mitgliedschaften in Organisationen der Religiösen Rechten und ihnen nahestehende Kirchen. Die Ernennungen von John G. Roberts und Samuel Alito Jr. zu Richtern des Obersten Gerichtshofs fanden ebenfalls Anklang bei der Religiösen Rechten. Trotz dieser personellen Entscheidungen wurden sowohl während der ersten als auch während der zweiten Amtszeit von George W. Bush die Hoffnungen der Religiösen Rechten enttäuscht, inhaltlich neue Schwerpunkte in Zusammenarbeit mit der Bush-Administration setzen zu können. Zwar gelang es Bush für seine Wiederwahl 2004 noch einmal, die Bewegung hinter sich zu vereinen und die sogenannten „Wertewähler und Wertewählerinnen“ für sich zu gewinnen, die Bush-Administration verlor allerdings mehr und mehr das Vertrauen bei dieser aus wahlkampftaktischen Gründen und für die Wählermobilisierung so wichtigen Wählergruppe. Die Hoffnungen der Religiösen Rechten mit Bush endlich einen „Mann Gottes“ im Weißen Haus zu haben wurden herb enttäuscht. Inhaltlich jedenfalls konnten sie kaum etwas durchsetzen.
Spätestens mit der Wahl von Barack Obama zum neuen demokratischen Präsidenten 2008 wurde den Republikanern klar, dass sie zwar die Stimmen der weißen evangelikalen Anhängerinnen und Anhänger der Religiösen Rechten für sich verbuchen konnten, dies aber nicht ausreichte und es ihnen nicht gelungen war, langfristig neue Wählerschichten wie z. B. die afroamerikanischen Konservativen und die konservativen Katholiken hinter sich zu vereinen. Mit dem Einzug des ersten afroamerikanischen Präsidenten in das Weiße Haus, dessen liberalerem Agenda Setting und dem Ausbau der demokratischen Mehrheit im Kongress endete vorerst auch die in Ansätzen vorhandene direkte politische Einflussnahme der Religiösen Rechten auf den Präsidenten, seine Administration und die nationale Gesetzgebung. Es kam zu einem Tiefpunkt des politischen Einflusses der Bewegung. Deren Anhängerinnen und Anhänger zogen sich in der Folge zurück und konzentrierten sich darauf, ihre sozio-moralischen Themen auf bundesstaatlicher Ebene und vor den Gerichten voranzutreiben. Ändern sollte sich dies erst acht Jahre später ausgerechnet mit der Wahl des dreifach geschiedenen, tendenziell anti-religiös erscheinenden, Multimillionärs Donald Trump im Jahr 2016.
3. Donald Trump, die Religiöse Rechte und die Wahlen von 2016
Das Wahlergebnis der Präsidentschaftswahlen von 2016 war für viele Beobachterinnen und Beobachter sowie Meinungsforscherinnen und Meinungsforscher eine ziemliche Überraschung, denn obwohl Hillary Clinton mit rund 2,9 Millionen mehr an ausgezählten Stimmen vor Donald Trump lag, gewann dieser aufgrund des speziellen Präsidentschaftswahlsystems in den USA mit 304 zu 227 Wahlmännerstimmen die Wahl. Er hatte nämlich nicht nur in den Swing States Florida, Ohio, North Carolina und Iowa gewonnen, sondern – wenn auch denkbar knapp – in den bislang immer fest in demokratischen Händen liegenden Bundesstaaten Michigan, Pennsylvania und Wisconsin. Dies führte aufgrund der Aufteilung der Wahlmännerstimmen zum Wahlsieg des republikanischen Kandidaten. Dem Wahltag selbst waren ein harter Vorwahl- und Wahlkampf vorausgegangen mit neuen Rekorden im Negative Campaigning, rekordverdächtigen Wahlausgaben und Wahlverstrickungen, die wohl in die Geschichte eingehen werden. Hinzu kam ein besonders überraschendes Abschneiden von gleich zwei „Outsider-Kandidaten“: Bernie Sanders bei den Demokraten und Donald Trump bei den Republikanern. Beide führten einen Wahlkampf gegen das „Establishment“ in Washington, D. C., das sie für die gegenwärtige wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage verantwortlich machten.
Schlüsselt man das Wahlergebnis nach der Religionszugehörigkeit der Wählerschaft auf, so ergibt sich folgendes Bild: 2016 gaben 81 Prozent der weißen born-again Evangelikalen an, Donald Trump gewählt zu haben (in Florida sogar 85 Prozent). Dies waren mehr als 2004 für George W. Bush gestimmt hatten (78 Prozent). Lediglich 16 Prozent gaben 2016 Hillary Clinton ihre Stimme (Pew Research Center 2017). Dass es sich bei Trump um einen dreifach geschiedenen Mann handelte, der sich noch dazu für das Recht auf Abtreibung aussprach, mit Casinogeschäften Geld verdiente und sexistische Anmerkungen gegenüber Frauen machte, Clinton, hingegen, aber trotz des Skandals um die Affäre ihres Mannes mit Monika Lewinsky keine Scheidung verlangt hatte, hatte für die bedeutsame religiöse Wählerschaft letztendlich eine untergeordnete Rolle gespielt. Was war passiert? Wie ist diese Widersprüchlichkeit der amerikanischen Politik und politischen Kultur zu erklären? Hier fand wohl ein grundsätzliches Umdenken innerhalb der religiösen Wählerschaft statt. 2011 gaben nur 30 Prozent der weißen Evangelikalen an, einen Präsidenten wählen zu können, der bei ihnen moralische Bedenken auslöste. 2016 waren dies bereits 72 Prozent (Pew Research Center 2017). Es hat den Anschein, als wären die „Wertewählerinnen und Wertewähler“ der vergangenen Jahre in dieser Hinsicht eingeknickt und hätten sich von ihren moralischen Wertvorstellungen entfernt bzw. sogar losgesagt. Die moralischen Vorgaben der Bibel und die Predigten der Pastorinnen und Pastoren schienen nicht mehr so wichtig zu sein wie noch in den vorangegangenen Jahrzehnten. Nicht die liberalen und nicht-religiösen Kräfte in den USA haben sich weiter von den christlichen Moralvorstellungen entfernt, sondern die weißen, evangelikalen Christen des Bible Belt, wie die konservativen evangelikalen Kerngebiete des Südens und Mittleren Westens der USA, von Texas bis nach Virginia, genannt werden.
Dies erklärt auch, warum sich keiner der anderen republikanischen Kandidaten, darunter u.a. Ted Cruz, Marco Rubio, Ben Carson, Rick Santorum oder Mike Huckabee im Vorwahlkampf der geschlossenen Unterstützung der Religiösen Rechten sicher sein konnte. Die Bewegung war gespalten was ihren Wunschkandidaten und ihre Anforderungen an einen politischen Vertreter religiöser Couleur betraf. Dies führte auch innerhalb der Bewegung zu heftigen Diskussionen, vor allem zwischen der „alten“ Garde von Führern der Bewegung wie z. B. Jerry Falwell Jr. und den jungen Kräften. Bis zur republikanischen Nominierung auf der Republican National Convention am 19. Juli 2016 war es unklar, ob und in welchem Ausmaß der Kandidat Donald Trump unterstützt würde. Erst als er von der Partei bestätigt wurde, sah man innerhalb der Religiösen Rechten keine Alternative mehr und musste Trump in der Folge unterstützen, wenn man überhaupt eine Chance behalten wollte, erneut verstärkten Einfluss auf den Präsidenten nehmen zu können. Was die religiösen Wählerinnen und Wähler betraf, so kam ihnen Trumps Wahlspruch „Make America Great Again!“ sehr gelegen, interpretierten sie dies doch als Versprechen, den Werteverfall aufzuhalten und Amerika wieder konservativ zu prägen. Sie sahen im privaten Erfolg des Multimillionärs ein Zeichen Gottes, dass dieser auch als Präsident erfolgreich sein würde. Trump bemühte sich in der Folge gezielt um diese evangelikale Wählerschaft und war damit letztlich erfolgreicher als jeder Präsidentschaftskandidat vor ihm. Auch bei den Stimmen von katholischen Wählerinnen und Wählern schnitt Trump besser ab als Romney 2012 (52 Prozent zu 48 Prozent), während Clinton selbst bei hispanischen Katholiken hinter den Wähleranteil von Barack Obama von 2012 zurückfiel (67 Prozent zu 75 Prozent). Trotzdem konnte Hillary Clinton vor allem bei dieser Gruppe einen großen Vorsprung gegenüber Trump einfahren (67 Prozent zu 26 Prozent) (Pew Research Center 2017). Dies ist vorwiegend dem strengen Ruf von Donald Trump nach einer strikten Einwanderungspolitik und dem Bau einer durchgehenden Grenzmauer zu Mexiko geschuldet. Themen, die der Religiösen Rechten am Herzen liegen, wie z. B. der Kampf gegen die Abtreibung, das Verbot gleichgeschlechtlicher Ehe, die Wiedereinführung des Schulgebets usw. spielten insgesamt im Wahlkampf 2016 lediglich eine untergeordnete Rolle, obwohl vor allem der republikanische Kandidat Donald Trump immer wieder versuchte, durch eine religiös-rhetorische Komponente, die religiöse Wählerschicht anzusprechen. Es war Trump sehr wohl bewusst, dass er für religiöse Wählerinnen und Wähler nicht der offensichtlichste und wahrscheinlichste Kandidat war, weshalb er durch gezielte Wahlkampfakzente bei dieser Wählerschaft zu punkten versuchte. Trump kam noch eine weitere Tatsache zugute: eine tiefsitzende Abneigung vieler Amerikaner und Amerikanerinnen – vor allem der Weißen im Bible Belt – gegen den Afroamerikaner Barack Obama, aber auch gegen alle „machthungrigen und geldgierigen“ Vertreterinnen und Vertreter des Washingtoner Establishments.
4. Die Trump-Administration und die religiöse Rechte
Bereits bei den ersten Nominierungen und Ernennungen für Ämter und Positionen in der neuen Administration wurde deutlich, dass Donald Trump die Religiöse Rechte für ihre Wahlunterstützung belohnen und sie für eine eventuelle Wiederwahl 2020 als wichtige Wählerbasis zufriedenstellen wollte. Bereits im Wahlkampf war klar geworden, dass Trump besonders mit der Ernennung von Mike Pence zum Vizepräsidentschaftskandidaten ein deutliches Zeichen in Richtung Religiöser Rechten senden wollte. Es erwies sich als kluger Schachzug, der dem Kandidaten half, die religiösen Wählerinnen und Wähler auf seine Seite zu bringen. Pence, der ehemalige Gouverneur von Indiana, mutierte bereits während seiner Studentenzeit von einem moderaten Katholiken zu einem konservativen Born-Again-Evangelikalen und Republikaner (vgl. Coppins 2018). Nach zwei erfolglosen Wahlkampagnen für den Kongress begann Pence mit einer lokalen Radio-Talk-Show, die er schnell ausweiten konnte und in der er sämtliche sozio-moralischen Themen der Zeit der Culture Wars aufgriff. Immer wieder erklärte er, er sei zuallererst ein Christ, dann ein Konservativer und an dritter Stelle ein Republikaner (Coppins 2018). Im Jahr 2000 wurde er schließlich Kongressabgeordneter der Republikaner und hat seitdem stets zu 100 Prozent im Sinne der Religiösen Rechten abgestimmt. Er beginnt jeden Arbeitstag mit einem gemeinsamen Gebet mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, zitiert häufig die Bibel und setzte sich von Anfang an gegen die Abtreibung und gegen Homosexualität ein. Er knüpfte Kontakte zu allen wichtigen Führern der Bewegung, darunter u.a. zu Ralph Reed sowie zu den wichtigsten konservativen Geldgebern der Republikanischen Partei, wie z. B. den Gebrüdern Koch. 2012 wurde er zum Gouverneur von Indiana gewählt, wo er seine konservative Agenda weiterverfolgte bis ihn Donald Trump im Juli 2016 zum Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten machte, um sich die Stimmen der Religiösen Rechten zu sichern.
Neben Vize-Präsidenten Pence, ernannte Trump Betsy DeVos, ebenfalls Anhängerin der Religiösen Rechten und vehemente Verteidigerin der staatlichen Unterstützung von privaten Konfessionsschulen, zur Unterrichtsministerin. Er betraute Jerry Falwell Jr. mit der Führung einer Arbeitsgruppe zu Bildungsfragen, nachdem dieser eine Ernennung zum Unterrichtsminister abgelehnt hatte (vgl. Pollitt 2017). Zum Minister für Wohnungsbau und Stadtentwicklung ernannte Trump seinen Vorwahlkampfrivalen Ben Carson, ein bekennendes Mitglied der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten. Der Afroamerikaner Carson, ein prominenter Neurochirurg, geriet bei seiner ersten Ansprache an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in seinem Ministerium im März 2017 in die Schlagzeilen, als er von Sklaven als „Einwanderern“ sprach, die auf der Suche nach Erfolg und Glück in die USA eingewandert wären (vgl. Stack 2017). Er löste damit landesweit einen Sturm der Empörung aus, politische Konsequenzen blieben jedoch aus.. Der im November 2016 von Trump zum neuen Gesundheitsminister ernannte Tom Price äußerte sich in den Medien zum Thema Verhütungsmittel. Dabei sagte er, er habe noch nie eine Frau getroffen, die sich keine Verhütungsmittel leisten könnte (vgl. Pollitt 2017). In Price setzte die Religiöse Rechte und mit ihr viele Anhängerinnen und Anhänger der Republikaner die Hoffnung, dass es ihm gelingen würde, die Gesundheitsreform von Obama rückgängig zu machen. Doch bereits im September 2017 musste Price seinen Rücktritt erklären, nachdem bekannt geworden war, dass er in großem Stil Steuergelder für private Reisen verwendet hatte (Diamond 2017). Katy Talento wurde von Trump für den Gesundheitsbereich in den Domestic Policy Council entsandt, obwohl sie der festen Überzeugung ist, Verhütungsmittel wie die Pille würden Krebs verursachen und zu Unfruchtbarkeit führen. Zum Justizminister ernannte Trump Jeff Sessions, einen konservativen republikanischen Senator und ehemaligen Generalstaatsanwalt aus Alabama. Während seiner Zeit im Senat von 1997 bis 2016 stimmte Sessions in allen sozio-moralischen Fragen stets zu 100 Prozent im Sinne der Religiösen Rechten ab. Im Februar 2017 geriet Sessions in Verdacht über die Beziehungen der Trump-Administration zu Vertreterinnen und Vertretern der russischen Regierung während des Wahlkampfs gelogen zu haben und musste sich in der Folge aus der dazu eingeleiteten Untersuchung des Justizministeriums zurückziehen und diese an seinen Stellvertreter abgeben. Trump kritisierte seinen Justizminister öffentlich für diesen freiwilligen Rückzug (vgl. BBC 2017). Bei der Anhörung zu seiner Bestätigung durch den Senat antwortete Sessions auf die Frage eines demokratischen Senators, ob es nicht so sei, dass ein nicht-religiöser Mitarbeiter des Justizministeriums dieselbe Gewissenhaftigkeit bei der Ausübung seiner Tätigkeit haben könne wie ein religiöser Mitarbeiter: „Well, I am not sure“ (Goldberg 2017). Zu weiteren hochrangigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Trump-Administration mit Beziehungen oder einem ideologischen Naheverhältnis zur Religiösen Rechten zählt auch der ehemalige CIA Direktor und nunmehrige Außenminister, Mike Pompeo, ein Mitglied der Tea Party in Kansas. Pompeo sieht Amerika in einem Religionskrieg gegen den Islam und erklärte auf einer Rallye von Anhängerinnen und Anhängern der Religiösen Rechten im Jahr 2015: „We will defend our Christian values and American exceptionalism with all our heart.“ (Goldberg 2017).
Ralph Reed, der ehemalige Geschäftsführer der Christian Coalition, der größten Organisation der Religiösen Rechten in den 1980er- und 1990er-Jahren, wurde zu einem Berater von Trump in Religionsfragen. Franklin Graham, der Sohn des legendären Billy Graham, sprach ein Gebet bei Trumps Amtseinführung im Januar 2017. Auch Trumps Wahlkampfstrategin und Beraterin Kellyanne Conway äußerte sich mehrfach öffentlich gegen die Abtreibung und für die Agenda der Religiösen Rechten, u.a. vor Teilnehmerinnen und Teilnehmer des March for Life in Washington, D. C. im Januar 2017, als sie den Versammelten zurief: „We hear you. We see you. We respect you. And we look forward to working with you. And, yes, we walk, we march, we run, and we endeavor forward with you” (The Washington Post 2017). 2018 bestärkte Präsident Trump vor demselben Publikum diese Unterstützung.
Donald Trump ist es gelungen, eine auf den ersten Blick heterogene Gesellschafts- und Wählerschicht hinter sich zu vereinen. Dazu zählen die Anhängerinnen und Anhänger der Religiösen Rechten genauso wie die Mitglieder der Tea Party-Bewegung, White Supremacists, Southern Conservatives, die arme weiße Arbeiterschicht vor allem des Mittleren Westens, fanatische Patrioten aber auch Milizionäre, Konservative der Reagan Ära, Waffenbesitzerinnen und Waffenbesitzer und die ländliche Bevölkerung. Sie alle einen teilweise gemeinsame Ideale und Ziele. Trump bemüht sich, innerhalb dieser Gruppierungen eine religiös-nationalistische Agenda durchzusetzen (vgl. Green 2017). In seiner Rede zum National Prayer Breakfast im Februar 2017 erklärte Trump dazu in Anlehnung an den amerikanischen Fahneneid und mit für ihn üblicher Simplizität: „That’s what poeple want: one beautiful nation under God.” (vgl. Green 2017). Trump hat es geschafft, allen diesen Wählerschichten bereits im Wahlkampf oder kurz nach Amtsantritt das zu geben bzw. als Erfolg zu verkaufen, was sie sich vom zukünftigen Präsidenten gewünscht hatten:
„The white nationalists would be getting their wall. The oilmen would be getting their pipeline. The Islamophobes would get their Muslim ban. The Obama-haters would find satisfaction in an order to purge affordable health care from the books. But the religious right would get pretty much everything it wanted – all of the above and more.“
(Stan 2017)
Die Kritik, dass von den zahlreichen Wahlkampfversprechen bislang wenig umgesetzt wurde, verkauft Präsident Trump ganz im Sinne eines postfaktischen Zeitalters als „Fake News“ bzw. sagt offen die Unwahrheit. Er zieht sich somit vor seinen Wählerinnen und Wählern aus der Verantwortung. Einzig gegenüber der Religiösen Rechten kann er kleine Erfolge und die Einhaltung von Versprechen aufweisen, so z. B. mit der Unterzeichnung eines Dekretes, das es Arbeitgebern ermöglicht, Abtreibungen und Verhütungsmittel aus Versicherungen für ihre Arbeitnehmer auszuklammern. Ferner ermöglichte er eine Lockerung des sogenannten „Johnson Amendments“ aus dem Jahr 1954, mit dem es Kirchen und Pastorinnen und Pastoren untersagt wurde, sich aktiv und parteiisch für einen politischen Kandidaten bzw. eine Kandidatin oder eine bestimmte Partei einzusetzen ohne ihre Steuerprivilegien zu verlieren. Vieles ist aber auch nur rein symbolischer Natur, wie z. B. seine Aussagen, aus dem Weihnachtsfest wieder ein christliches Fest machen oder den Kirchen ihre politische Stimme wiedergeben zu wollen. In anderen Bereichen widerspricht Trump den Versprechungen, die er der Religiösen Rechten gegeben hatte. So erlaubte seine Administration Transgender Menschen trotz gegenteiliger Rhetorik und zum Missfallen der Religiösen Rechten den Zugang zum Militärdienst.
5. Eine Zweckallianz für beide Seiten
Seit den Wahlen im November 2016 wurde deutlich, dass es sich bei der gegenseitigen Unterstützung von Trump und der Religiösen Rechten um eine Zweckallianz handelte. Während die Religiöse Rechte zu einer der loyalsten Gruppierungen zählt, die dem neuen Präsidenten Trump trotz Russland-Skandals und einer publik gewordenen Affäre mit einem Pornostar den Rücken stärkt, bemüht sich die Trump-Administration darum, die Agenda der Bewegung wohldosiert so umzusetzen, dass er sich der weiteren Unterstützung dieser Wählerbasis gewiss sein kann. Trump möchte diesen Teil seiner Wählerschaft selbstverständlich nicht verärgern. Er braucht sie für eine eventuelle Wiederwahl 2020 dringend. Für die Religiöse Rechte steht vor allem in Hinblick auf zukünftig anstehende Richterernennungen zum Obersten Gerichtshof sehr viel auf dem Spiel. Drei der neun Richterinnen und Richter sind bereits älter als 78 Jahre und eine Neubesetzung noch während der Trump-Administration von zumindest ein bis zwei neuen Richterinnen und Richtern, scheint sehr realistisch. Solche Ernennungen könnten die Rechtsprechung des Gerichts für die kommenden Jahrzehnte aufgrund der hohen politischen Relevanz der Entscheidungen nachhaltig prägen. Die Religiöse Rechte hofft hier insbesondere auf die für sie so wichtige Rücknahme von Roe v. Wade aus dem Jahr 1973, die auch beim March for Life 2018 im Mittelpunkt stand. Ferner sollen von einem konservativeren Gericht zukünftige richtungsweisende Urteile in ihrem Sinne auch zu anderen Themen, wie z. B. der gleichgeschlechtlichen Ehe, der Gleichstellung von Transgender Menschen, der Stammzellenforschung usw. gefällt werden. Die Ernennung von Neil Gorsuch zum Supreme Court als Nachfolger von Antonin Scalia zeigte für die Bewegung jedenfalls klar in ihre Richtung. Es fehlt nun nur noch eine weitere konservative Stimme in der Richterschaft, um dieses langersehnte Ziel der Religiösen Rechten möglich zu machen.
Genau um solche Ziele zu erreichen ging die Religiöse Rechte die Allianz mit dem Multimillionär ein. Frederick Clarkson, Senior Fellow bei Political Research Associates stellte dazu fest:
„The Christian right has matured as political movement. They recognize that you can’t always get political leaders who conform with your beliefs as consistently and wholly as you’d like. Even though he doesn’t appear to be their guy, they can make deals with him that would make him into their guy in a way that no one else has ever been.“
(Wilson 2016)
Die New York Times schrieb im Jänner 2017 zum neu gewonnen Einfluss der Religiösen Rechten: “The religious right has been elevated to power without having to contest its ideas in an election. Sometimes, a deal with the devil pays off, big league” (Goldberg 2017).
Mit einem Schlag – treffender noch, wie Katha Pollitt es ausdrückt: mit einer einzigen Wahl – gelang es der Religiösen Rechten mit Hilfe von Donald Trump vorerst wieder, sich den politischen Einfluss zu holen, der ihnen in den vorangegangenen Jahren abhanden gekommen war:
„The so-called culture war – actually a war over the social and economic power of straight white men – has been declared dead many times, including as recently as last year. Modernity, we were told – feminism, LGBTQ rights, the sexual revolution, free speech, equality, religious tolerance, secularism – had won the day, with religious conservatives as the grumbling losers. What a difference an election makes.“
(Pollitt 2017)
Gleichzeitig keimt in der Bewegung die Hoffnung auf, gemeinsam mit der Trump-Administration die gesellschaftlichen Veränderungen in den USA der vergangenen Jahrzehnte aufzuhalten bzw. sogar rückgängig zu machen. Die Religiöse Rechte sah sich in den vergangenen Jahren in all ihren wichtigen Fragen Niederlagen ausgesetzt, am deutlichsten bei der Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe, die durch zwei Gerichtsurteile des Supreme Court 2013 und 2016 nun in allen Bundesstaaten anerkannt werden muss. Aber auch die öffentlichen Schulen, wo die Religiöse Rechte hofft, den Religions- und Bibelunterricht sowie die gemeinsamen Schulgebete wieder einführen zu können, sieht die Religiöse Rechte als „Schlachtfeld“ in ihrem Kampf um die religiös-moralische Einstellung der Bevölkerung.
Ferner sieht sich die Bewegung aufgrund demographischer Veränderungen im Zuge der Einwanderung und des teilweise fehlenden Nachwuchses in der Defensive. Donald Trump wird hier als Verbündeter gesehen, der helfen kann, diesen Trend wenn nicht aufzuhalten, so doch zu verlangsamen. Die ersten Amtshandlungen der neuen Administration ließen bereits anklingen, was noch kommen könnte. So sah einer der ersten Executive Orders des neuen Präsidenten die Kürzung der Finanzmittel für Organisationen vor, die in der Entwicklungshilfe tätig sind und die neben der Verteilung von Verhütungsmitteln auch die medizinische Durchführung von Abtreibungen in bestimmten Fällen unterstützen. Aber auch bei anderen Themen decken sich die Interessen der Religiösen Rechten mit jenen von Donald Trump. Ein Beispiel stellt hier das im Februar 2017 von der Regierung erlassene Einreiseverbot für Menschen aus verschiedenen muslimischen Ländern dar. Während diese Maßnahme, die in der Folge ein Fall für die amerikanischen Gerichte wurde, landesweit auf viel Kritik stieß, zeigte sich die Religiöse Rechte mit dieser Verordnung durchaus zufrieden (vgl. Bruinius 2017). 76 Prozent der weißen Evangelikalen gaben bei Umfragen an, diese Einreisebeschränkungen zu befürworten (gegenüber rund 40 Prozent in der gesamten Bevölkerung) (vgl. Bruinius 2017). Führer der Bewegung argumentierten dabei nicht nur mit einer Abwehrmaßnahme gegen die Einreise von Islamisten und internationalen Terroristen, sondern vor allem auch mit der Angst vor muslimischer Einwanderung und dem Entstehen einer muslimischen Parallelgesellschaft, inklusive der Einführung des Sharia-Rechts in den USA. Dieses wäre für die Religiöse Rechte nicht mit den jüdisch-christlichen Wurzeln der amerikanischen Nation vereinbar. Trumps rigoroses Vorgehen bei der Ausweisung von illegal im Land lebenden Menschen, vor allem aus Lateinamerika, erfährt in Kreisen der Religiösen Rechten ebenfalls großen Zuspruch. Dabei scheint selbst die Abschiebung von seit Jahrzehnten in den USA lebenden Eltern ohne ihre Kinder, die in den USA geboren wurden und amerikanische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sind, keine moralischen Bedenken bei der Mehrheit der christlichen Anhängerinnen und Anhänger der Bewegung auszulösen. In Trump haben sie den idealen Partner gefunden, dem die Wirkungen seiner Handlungen im Wesentlichen gleichgültig sind. Er muss dazu nicht ein gläubiger Christ sein, sondern nur jemand, der ihre Forderungen durchsetzt ohne diese zu hinterfragen.
Die Wahl von Trump, die Reaktionen darauf und der scharfe Ton, der derzeit die Debatten rund um Religion und Politik in den USA beherrscht, weisen darauf hin, dass die Religiöse Rechte nach wie vor von Führern dominiert wird, die sich ganz klar am rechten Spektrum des politischen Systems angesiedelt fühlen. Obwohl einige dieser „alten Riege“, u.a. Jerry Falwell und Paul Weyrich, im letzten Jahrzehnt verstorben sind und junge Vertreterinnen und Vertreter sich durchaus in einigen Themen und Handlungsweisen eher wieder in die politische Mitte bewegen, lässt sich noch nicht erkennen, ob diese sich in naher Zukunft oder überhaupt durchsetzen werden. Auch die Beziehungen zur republikanischen Partei scheinen nach wie vor dieselben zu sein wie seit den 1990er-Jahren: ein Wechselspiel zwischen gegenseitiger Unterstützung, Enttäuschungen, dem Ruf der Partei nach Wählermobilisierung durch die Bewegung, einem Buhlen um Wählerstimmen und neue Versprechungen, die wiederum enttäuscht werden.
Es wird nun an der Trump-Administration – und hier vor allem am Vizepräsidenten – und der Parteiführung im Kongress, allen voran Mitch McConnell, liegen, das Verhältnis zur „alten“ und zur „neuen“ Religiösen Rechten zu gestalten und diese für die nächsten Wahlen 2018 und 2020 für sich zu gewinnen. Ohne die religiöse Wählerbasis wird es aufgrund der niedrigen Umfragewerte für Trump und die republikanische Führungsspitze schlecht aussehen. Ein Sieg der Demokraten zumindest im Abgeordnetenhaus bei den Zwischenwahlen 2018 scheint aus heutiger Sicht durchaus realistisch. Dies zeigte sich u.a. deutlich bei der U.S. Senatswahl für einen Nachfolger des zum Justizminister ernannten Jeff Sessions aus dem konservativen Bundesstaat Alabama im Dezember 2017. Der frühere, erzkonservative Richter am Obersten Gerichtshof von Alabama und Held der Religiösen Rechten, Roy Moore, unterlag seinem demokratischen Herausforderer Doug Jones trotz intensiver Mobilisierung durch die republikanische Partei, der Religiösen Rechten und Donald Trump. Es waren vor allem Wählerstimmen der afroamerikanischen Frauen in Alabama, die Moore diese unerwartete Niederlage zugefügt, und Doug Jones zum ersten Demokratischen Senator in Alabama seit 1992 gewählt haben.
6. Der Status Quo in den USA: Eine gefährliche Mischung aus Nationalismus, Patriotismus, Rassismus, Populismus und Religiosität
Die Wahl von Barack Obama 2008 und der Hass, der ihm nach seinem Wahlsieg von vielen Seiten entgegenschlug, haben gezeigt, dass trotz Bürgerrechtsbewegung der 1960er-Jahre die Rassenfrage in den USA noch immer nicht gelöst ist und dass rassistische Ressentiments heute noch innerhalb der amerikanischen Gesellschaft schwelen. Die Polemiken rund um die Demontage von Monumenten aus der Zeit der Konföderation sowie die Ereignisse vom August 2017 in Charlottesville, Virginia, wo bei einem Aufmarsch von Neonazigruppen, White Supremacists und anderen Gruppierungen der Alt-Right, Hassbotschaften skandiert und eine junge Frau von einem Fundamentalisten niedergefahren und weitere schwerverletzt wurden, zeigen sehr deutlich, dass diese Konflikte nun verstärkt aufbrechen. Das Southern Poverty Law Center (SPLC) beobachtet dies bereits seit einiger Zeit und stellte fest, dass nicht nur die Wiederwahl von Obama zum Präsidenten die Stimmung aufgeheizt hatte, sondern vor allem auch der Verlust der numerischen Mehrheit der weißen Bevölkerungsgruppe im Land. Dies habe zu einem explosionsartigen Anwachsen der radikalen Rechten geführt. Die Anzahl der sogenannten Hate Groups stieg in den vergangenen Jahren auf über 1.000 an, jener von „patriotischen Anti-Regierungsgruppierungen“ stieg von 149 im Jahr 2008 auf 1.274 im Jahr 2012 (Potok 2012). Dieser Anstieg von radikalen Gruppierungen ging einher mit vermehrten Angriffen auf Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner sowie Mitglieder der Black Lives Matter-Bewegung, die sich im Zuge der zahlreichen gewalttätigen Übergriffe der Polizei auf junge schwarze Männer gebildet hatte, sowie mit einer steigenden Anzahl an antisemitischen Anschlägen und Bombendrohungen gegen bzw. auf jüdische Gemeindezentren, Schulen und Friedhöfe. Auch Anschläge auf muslimische Einrichtungen haben einen neuen Höhepunkt in den USA erreicht. Dies hat sich seit der Wahl von Donald Trump 2016 noch einmal verstärkt.
Wie passt die Religiöse Rechte in dieses Bild? Die Bewegung hat einige Gemeinsamkeiten mit anderen radikalen Gruppierungen, darunter die Betonung von traditionellen und „christlichen“ Werten wie Glaube, Familie, Ehe etc., das Hochhalten der Nation und des amerikanischen Patriotismus, ganz im Sinne der amerikanischen Zivilreligion und darüber hinaus sowie eine xenophobe Grundeinstellung (wobei diese nicht bei allen Mitgliedern der Religiösen Rechten vorhanden ist). Sowohl konservative Weiße, die sich nach der gesetzlichen Auflösung der Rassentrennung in den 1960er-Jahren aus den Städten in die Vorstädte zurückgezogen hatten, als auch Mitglieder der Religiösen Rechten siedeln sich heute gern in den Vorstädten (Suburbs) und im exurbanen Raum an, wo sie die Nachbarschaft zu ihresgleichen suchen. Nicht selten decken sich vor allem im ländlichen Raum der Südstaaten und des Mittleren Westens die Anhängerinnen und Anhänger der Religiösen Rechten mit den rechten Rassisten. Die mediale Präsenz von religiösen, sozio-moralischen und außenpolitischen Themen in Zusammenhang mit dem internationalen Terrorismus oder dem Islamismus, u.a. verbreitet von TV-Sendern wie Fox News oder via Internet, haben dazu geführt, dass radikale Anschauungen auch für nicht fundamentalistisch eingestellte Menschen salonfähig und zum Mainstream geworden sind. Damit unterliegen nicht nur Gruppen der Religiösen Rechten und der radikalen Rechten einem unbestreitbaren Populismus, der während des Wahlkampfs von Donald Trump ganz offen in den Medien zu erkennen war, sondern auch ein großer Teil der bis dahin eher unpolitischen amerikanischen Gesellschaft. Viele Bürgerinnen und Bürger sehen im Washingtoner Establishment einen Feind, den es gilt loszuwerden, der ihre Interessen nicht vertritt und der für die Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2007–2008 verantwortlich gemacht wird. Man will mit der alten Machtstruktur im Land brechen, die in den Augen vieler, Schuld an der sich weiter öffnenden sozialen Schere trägt. Trump und sein von Populismus geprägter Wahlkampf kamen in diesem Klima der Unsicherheit, der Angst und Unzufriedenheit gerade recht.
Die Religiöse Rechte kann selbst in einigen Teilen als populistische Gruppierung angesehen werden. Während sich die Religiöse Rechte der 1970er und 1980er-Jahre sehr zurückhaltend mit Allianzen nicht nur gegenüber anderen Religionsgemeinschaften (Juden, Orthodoxe Katholiken, etc.), sondern auch gegenüber anderen politischen Gruppierungen verhielt, hat sich die Bewegung spätestens seit dem Ende der 1990er-Jahre geöffnet. Das geht teilweise soweit, dass sie sich mit der extremen Gruppierung der Reconstructionists, den Dominionists und anderen fundamentalistischen Gruppierungen verbündet, um gemeinsame Interessen durchzusetzen. Dies ist bei den verschiedenen Veranstaltungen der Bewegung erkennbar, wo immer radikalere Rednerinnen und Redner eingeladen werden. Donald Trump hat dieses Klima weiter aufgeheizt, indem er sich deren Wählerstimmen gesichert hat. Nachdem er nun im Weißen Haus sitzt, erhoffen sich diese natürlich alle im Gegenzug seine Unterstützung. Die Chancen der Religiösen Rechten stehen dabei nicht schlecht. Zum einen hat Trump weitere Gesetzesvorlagen angekündigt, die er im Kongress einbringen möchte, darunter einen Finanzierungsstopp für Planned Parenthood, die Wiedereinbringung des First Amendment Defense Acts und andere. Mit der Unterstützung von Pence, der ganz hinter dieser Agenda steht, ist es durchaus realistisch, dies in Zusammenarbeit mit einem republikanisch-dominierten Kongress auch durchzubringen. Trump wird vermutlich immer dann einen Schritt auf die Bewegung zugehen, wenn er selbst wieder im politischen Kreuzfeuer steht und eine mediale Ablenkung benötigt. Zum anderen hat der Präsident im Wahlkampf – wie erwähnt – versprochen, Richterinnen und Richter zu ernennen, die auf eine Zurücknahme von Roe v. Wade hinarbeiten würden. Mit der ersten Nominierung von Neil Gorsuch hat er einen Teil des Versprechens bereits eingehalten. Weitere Nominierungen könnten folgen und durchaus eine Neuausrichtung in einigen zentralen Themenbereichen der Religiösen Rechten und die Aufhebung wichtiger Gerichtsurteile zur Folge haben, so z. B. in der Abtreibungspolitik, bei der Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe und Streifragen zur Trennung von Staat und Kirche, wie z. B. den Bildungsgutscheinen. Dies wäre ein riesiger und längerfristiger Erfolg für die Religiöse Rechte. Donald Trump würde damit unzweifelhaft zur „Ikone“ der Bewegung aufsteigen. Ein konservativer Oberster Gerichtshof, der Roe v. Wade aufheben würde, ist das ultimative Ziel der Bewegung, für das sie seit den 1970er-Jahren kämpfen und das weit wichtiger für sie ist als irgendein politisches Amt zu beeinflussen. Die Chancen hierfür stehen so gut wie nie zuvor: nur eine weitere Nominierung noch während der Ära Trump könnte die Politik der USA für die nächsten 40 Jahre stark beeinflussen. Neben dem Supreme Court kommt aber auch den Bundes- und Berufungsgerichten eine wichtige Rolle zu. Hier hat Trump bereits sehr gute Arbeit für die Religiöse Rechte geleistet, indem er sofort nach Amtsantritt begann, freie Richterstellen mit jungen konservativen Richterinnen und Richtern zu besetzen. Bis November 2017 hat Trump bereits 18 solche Berufungsrichterinnen und Berufungsrichter ernannt. 14 davon sind Männer und 16 weißer Hautfarbe (Savage 2017).
Die Anhängerinnen und Anhänger der Religiösen Rechten sehen ihre Freiheit, ihre Werte und ihre Lebensweise seit den 1970er-Jahren bedroht. Ihre Enttäuschung nach der Wiederwahl von George W. Bush sowie nach acht Jahren demokratischer Macht im Weißen Haus unter Barack Obama haben zu neuer Euphorie während des Wahlkampfs von Donald Trump geführt. Sein Sieg hat den Anhängerinnen und Anhängern der Bewegung Mut und Hoffnung gemacht, dass sie der Präsident in ihrem „Kulturkampf“ unterstützen wird. Die Sehnsucht der traditionellen religiösen Wählerinnen und Wähler nach den „alten“ Werten der 1950er-Jahre deckt sich heute zunehmend mit den Wünschen nach einer neuen „großen amerikanischen Nation“ und einem neuen Patriotismus, die vor allem die ärmeren Weißen in den USA hegen. Ferner stellten die weißen Christen bei den Wahlen von 2016 erstmals nicht mehr die demographische Mehrheit dar (43 Prozent gegenüber 54 Prozent noch im Jahr 2008) (vgl. Jones 2016) und fühlten sich auch dadurch von einer „neuen Mehrheit“ bedroht. Da sich die Anhängerinnen und Anhänger der Religiösen Rechten mit den Sympathisanten anderer radikaler Gruppierungen teilweise überlappen bzw. decken, kommt es zur Verschmelzung von Religion, Patriotismus und Nationalismus. Hinzu kommt noch der von den Politikern angestachelte und von den Medien transportierte Populismus. Dabei wird mit den Zukunftsängsten und der Verunsicherung der Bevölkerung gespielt und versucht, diese für politische Ziele zu missbrauchen. Es scheint fast so, als wäre es mit der Wahl Trumps plötzlich öffentlich erlaubt, gegen Muslime, Juden, Frauen, Homosexuelle und Ausländer zu schimpfen und zu agitieren. Denn wenn der amerikanische Präsident dies selbst zu jeder Tages- und Nachtzeit via soziale Medien betreibt, so scheinen alle Schranken für andere auch zu fallen – und Neonaziaufmärsche mit Fackelzügen und Hakenkreuzfahnen gehören seit kurzem dazu und werden vom Präsidenten selbst nicht vehement verurteilt. Alle Versuche von Gegenbewegungen, nicht-konformen Medien und politischen Gegnern sich dieser Entwicklung entgegenzustellen, scheitern zumeist am Vorwurf, es handle sich dabei um Fake News. Diesem postfaktischen Medien- und Gesellschaftssystem ist kaum beizukommen.
Die Religiöse Rechte spielt zwar nur eine untergeordnete Rolle in diesem Spiel, trägt aber ihrerseits zu diesem Klima in den USA bei. Sie thematisiert immer wieder einen „Niedergang der westlichen Kultur“ und versucht dadurch ihrerseits Ängste zu schüren. Gleichzeitig geht sie aber auch auf die Ängste der Menschen ein, die sich dadurch ernstgenommen fühlen. Für externe Beobachterinnen und Beobachter stellt die Wahl des Milliardärs Trump durch eine vorwiegend weiße, bildungsferne, ärmere, männliche Arbeiterklasse (in den Medien vielfach auch als „Angry White Men“ bezeichnet), die sich in erster Linie gegen das ihnen verhasste Establishment auflehnen will und sich vor allem wirtschaftliche Absicherung wünscht, eine Kuriosität dar. Wählerinnen und Wähler ohne Collegeabschluss stimmten 2016 landesweit zu 58 Prozent für Trump. Schränkt man dies auf die weiße Arbeiterklasse ein, so waren es 66 Prozent (2012 waren es 44 Prozent, die für den republikanischen Kandidaten stimmten). „They are angry and scared that they are losing ground to the privileged, college-educated elites of coastal America and free traders“, analysiert Chidanand Rajghatta in einem Artikel in der Economic Times (Rajghatta 2016).
Warum wählen diese Wählerschichten einen gegen ihre Interessen agierenden Wirtschaftsmogul, der absolut nichts von ihrem Leben und ihren Alltagsproblemen weiß, der den Reichen im Land Steuererleichterungen verspricht und rund 22 Millionen Amerikanerinnen und Amerikanern die erst vor kurzem ermöglichte Gesundheitsversicherung streitig macht? Eine mögliche Antwort auf diese Frage liegt in der Verschmelzung von Nationalismus, Rassismus, Religiosität und Populismus, die Trump bereits im Wahlkampf verkörperte. Insofern ist dies im Grunde eine Weiterentwicklung von dem, was Thomas Frank in seinem Buch „Was ist mit Kansas los?“ beschrieben hat: Ärmere konservative Christen in Kansas (oder sonst irgendwo in den USA) wählen jene Republikaner, die sich gegen die Abtreibung und gleichgeschlechtliche Partnerschaften aussprechen, gegen die Unterstützung der Stammzellenforschung sind und das gemeinsame Schulgebet wieder einführen wollen – unabhängig davon, ob diese Politikerinnen und Politiker Entscheidungen gegen das wirtschaftliche Interesse ihrer Wählerinnen und Wähler treffen (vgl. Frank 2005). „Poor conservative Christians vote their values, not their economic interests, and are willing to do so even when it impoverishes them. (…) Values are central to American society and voters may vote their values more than their material interests.” (Baker 2009, 98). Dabei reduzierten sich diese „Werte“ für den Großteil der Anhängerinnen und Anhänger der Religiösen Rechten nun mehr auf die Themen Abtreibung und Homosexualität. Viele religiöse Wählerinnen und Wähler sowie Anhängerinnen und Anhänger der Religiösen Rechten stimmten nicht aus religiösen Gründen für Trump, sondern weil er in seinem Wahlkampf Dinge angesprochen und versprochen hatte, die ihnen wichtig sind: Schutz der Religionsfreiheit, einen Isolationismus, der Amerika voranstellt, eine Ablehnung des Nukleardeals mit dem Iran, eine Unterstützung Israels, eine Restauration des konservativen, weißen, christlichen Amerikas und vor allem ein Hochhalten ihrer Traditionen und Wertvorstellungen. Dies wurde ihnen mit den rhetorischen Mitteln eines rechten Populismus vermittelt, wie er derzeit auch in Europa typisch ist und der eine anti-elitäre Rhetorik, ein Liebäugeln mit Verschwörungstheorien, eine apokalyptische Sichtweise der „westlichen“ Kultur und ein gewisses Ausmaß an autoritärem Verhalten aufweist. Die Intensität der Emotionen, die mit der Wahl von Donald Trump zutage getreten ist, ist erschreckend und hat viele Politikexperten und -expertinnen überrascht. Die Polarisierung ist in den USA überall zu spüren: in den Familien, den Kirchen, Schulen, im privaten und im öffentlichen Leben. Seit einiger Zeit brechen sie auch auf der Straße offen aus, wie die erschreckenden Vorkommnisse in Charlottesville, Virginia, am 12. August 2017 gezeigt haben.
Diese zunehmende Polarisierung in den USA wird auch von zahlreichen Studien belegt. Seit den späten 1970er-Jahren driftete die amerikanische Gesellschaft in ihren Ansichten zu sozio-moralischen Fragen zusehends auseinander. Seit rund 20 Jahren klafft diese Kluft auch im politischen Bereich verstärkt auf. Die Ansichten der Anhängerinnen und Anhänger der beiden dominierenden Parteien liegen in vielen wichtigen Politikfeldern immer weiter auseinander, von der Sozialpolitik über die Wirtschaftspolitik bis hin zur Außenpolitik (Abramowitz/Bishop 2007, A17). Insofern mag die These von den „Zwei Nationen“, wie sie die Neokonservativen während der Clinton-Jahre formuliert hatten durchaus zutreffen (vgl. Leggewie 2004). Ein gemeinsames Diskutieren und Politisieren – auch wenn man anderer Meinung ist – scheint in den USA heute nicht mehr so einfach möglich zu sein. Viele tauschen sich nicht mehr über ihre politischen Ansichten aus oder wechseln sogar ihren Freundeskreis und treffen sich nur mehr mit Menschen mit gleichen politischen Einstellungen. Die Ressentiments gegenüber Andersdenkenden sind überall zu spüren und spalten Familien und Freunde wie noch nie zuvor. Die Politikerinnen und Politiker in Washington agieren ebenso: parteiübergreifender Konsens ist nicht mehr möglich, der Fokus liegt eindeutig auf Obstruktionspolitik, je nachdem wer gerade die Mehrheit im Kongress hält. Republikanische Führer wie Ryan oder McConnell zeigten während der Obama-Administration deutlich, dass sie keinerlei Interesse an einer Zusammenarbeit mit den Demokraten hegten. Es kommt fast zu einem Stillstand im Gesetzgebungsprozess des Kongresses und in den Parlamenten der Bundesstaaten. Diese Polarisierung umfasst demnach sowohl die Wählerinnen und Wähler als auch die von ihnen gewählten Volksvertreterinnen und Volksvertreter bzw. die politischen Eliten:
„For the past three decades, the major parties and the electorate have grown more divided – in what they think, where they live and how they vote. It may be comforting to believe our problems could be solved if only those vile politicians in Washington would learn to get along. The source of the country’s division, however, is nestled much closer to home.“
(Abramowitz/Bishop 2007, A17)
Trotzdem muss festgehalten werden, dass es nach wie vor eine große politische Mitte in den USA gibt, um die es in den letzten Jahrzehnten allerdings leiser geworden ist. Sie steht nicht im Zentrum der Medienberichterstattung, demonstriert nicht vor dem Obersten Gerichtshof oder marschiert nicht mit Fackeln durch die Kleinstädte. Diese Mitte müsste sich ihren Platz im politischen und öffentlichen Prozess wieder zurückerobern und ihn nicht den extremen Kräften auf beiden Seiten überlassen. Die Problematik der voranschreitenden politischen wie wirtschaftlichen Polarisierung (reiche Upper-Middle-Class vs. Lower-Working-Class bzw. Working-Poor) verstärken die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft bzw. ist ursächlich für diese mitverantwortlich. Eine Antwort auf diese Herausforderungen hat man weder in den USA noch in Europa bislang gefunden, wo ähnliche Entwicklungen festgestellt werden können, die durchaus auf vergleichbare Ursachen zurückzuführen sind und ähnliche Ausformungen annehmen. In den USA scheint es so, als könne die Demokratische Partei derzeit auf nationaler Ebene im U.S. Kongress keine Alternative zur Politik von Trump anbieten. Der Wahlsieg von Doug Jones im Bundesstaat Alabama hat jedoch einen möglichen Ausweg für die Zwischenwahlen im Herbst 2018 aufgezeigt: wenn es den Demokraten gelingt, die Wählerstimmen der weißen Arbeiterklasse zurückzugewinnen und jene der Afroamerikanischen Bevölkerung auszubauen, haben sie Chancen. Trumps politisches Überleben, hingegen, wird nicht unwesentlich von der religiösen Wählerbasis abhängen – sofern es nicht doch aufgrund der Ermittlungen zu den Verstrickungen der Trump-Administration in der Russlandaffäre zu einem Amtsenthebungsverfahren kommt. Aber dann müsste auch Mike Pence mitangeklagt werden, um der Bewegung der Religiösen Rechten den seit 2016 erlangten politischen Einfluss wieder zu entziehen. Ein Präsident Pence im Weißen Haus wäre für die Bewegung allerdings noch wünschenswerter als es Trump bereits ist.
Literaturverzeichnis
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