Suchbegriff eingeben...

Inserire il termine di ricerca...

Enter search term...

Thomas Benedikter

Südtirols Finanzen:
Beginnen jetzt die mageren Jahre?

Die Finanzierung der Südtirol-Autonomie zwischen
neuem Steuerföderalismus und altgewohnter Bevorteilung

1. Einleitung

„Südtirol ist auf gesamtstaatlicher Ebene kein Nettoempfänger, sondern zahlt netto ein“, freute sich Landeshauptmann Luis Durnwalder im Oktober 2009 bei der Vorstellung einer Studie des Wirtschaftsförderungsinstituts WIFO zur finanzpolitischen Position des Landes gegenüber dem Staat. Diese Studie hatte für 2007 einen positiven Fiskalprimärsaldo von 411 Millionen Euro für die Provinz Bozen ermittelt, der allerdings 2008 wieder auf 142 Millionen Euro schrumpfte. Er erwähnte nicht, dass Südtirol – wie das Trentino – bis 2006 über zwei Jahrzehnte lang Nettoempfänger bei den öffentlichen Finanzen gewesen war und was ein solch geringer Fiskalprimärsaldo einer wohlhabenden Provinz in Zusammenhang mit der Regionenfinanzierung überhaupt bedeutet. Doch war es diese Feststellung, die in der Öffentlichkeit zählte und einige Wochen später in der Neuverhandlung des Finanzierungssystems des Landes mit der Regierung in Rom eine gewichtige Rolle spielte.

Den beiden Landeshauptleuten Luis Durnwalder und Lorenzo Dellai gelang es, mit dem am 30. November 2009 mit Finanzminister Giulio Tremonti besiegelten Mailänder Abkommen einen enormen Erfolg einzufahren: Sie konnten weiterreichende Kürzungsforderungen des Staates abwenden und die Substanz der Finanzquellen der autonomen Provinzen retten. Zusammen verpflichteten sich Trient und Bozen zwar zu einer Entlastung des Staatshaushalts von 1.500 Millionen Euro (750 pro Provinz), doch Ausgleichszahlungen des Staates und Zusatzeinnahmen halten den Rückgang in engen Grenzen, konsolidieren vielmehr die Einnahmen auf hohem Niveau. In der Folge nahm der Umfang des Landeshaushaltes 2010 erstmals leicht ab, ebenso jener von 2011.

In welcher relativen Position im Regionensystem Italiens befindet sich Südtirol tatsächlich? Warum ist der leicht positive Fiskalprimärsaldo kein Gegenbeweis zum Vorwurf der Normalregionen, die Region Trentino-Südtirol sei finanziell privilegiert? Was bedeutet es eigentlich für die Wirtschaft Südtirols, einen nur knapp positiven Primärsaldo bei den öffentlichen Finanzen aufzuweisen? Welche Perspektiven tun sich mit dem neuen Finanzabkommen für die zukünftige Entwicklung der Finanzierung der Südtirol-Autonomie auf?1

2. Klare Daten, widersprüchliche Schlussfolgerungen

In Italien wird seit vielen Jahren nicht nur unter Fachleuten, sondern auch in den Medien und in der Politik eine kontroverse Diskussion um die Verteilung der öffentlichen Finanzmittel zwischen den Regionen geführt. Die Frontstellung verläuft dabei primär zwischen den Regionen Norditaliens und Süditaliens, doch auch zwischen den Regionen mit Normal- und jenen mit Sonderstatut (in der Folge autonome Regionen genannt), angeheizt von der Grundforderung der Lega Nord nach einer Entlastung der padanischen Regionen als den bisherigen Melkkühen der Nation. In zahlreichen Studien sowohl unabhängiger Institute als auch von Regierungskommissionen ist eindeutig nachgewiesen worden, dass tatsächlich nur der Norden Nettozahler bei den öffentlichen Finanzen Italiens ist, wobei sich überraschenderweise die autonomen Regionen des Nordens weitestgehend aus dem Finanzausgleich zugunsten des Südens heraushalten konnten. Die Einstufung als Nettoempfänger bei den öffentlichen Finanzen bedeutet, dass bei einer konsolidierten Berechnung aller öffentlichen Finanzflüsse in einem bestimmten Gebiet (in Italien bezogen auf die Regionen und die beiden autonomen Provinzen) die gesamten öffentlichen Ausgaben sämtliche Einnahmen bezogen auf dieses Territorium übersteigen. Was bedeutet konsolidiert? Beim Vergleich der relativen Positionen von Gebietskörperschaften wird in der Finanzwissenschaft immer von der konsolidierten Berechnung der öffentlichen Finanzflüsse ausgegangen, bei welcher alle Einnahmen und Ausgaben aller Regierungsebenen einbezogen und Doppelzählungen ausgeschlossen werden. Damit wird von der unterschiedlichen Kompetenzenausstattung verschiedener Arten von Regionen abstrahiert und die tatsächliche Gesamt­situation der öffentlichen Finanzströme und ihr Saldo für jede spezifische Region abgebildet. Eine Nettoempfängerposition kann entwicklungs- und regionalpolitisch gewollt sein, wenn wirtschaftlich rückständige Teile eines Landes eine zu geringe Finanzkraft aufweisen, um ein Mindestmaß an Versorgung mit öffentlichen Gütern zu gewährleisten, und über eine solche Netto-Kapitalhilfe mittelfristig zum Niveau der leistungsstärkeren Gebiete eines Staates aufschließen sollen. Dieser Fall besteht in Deutschland mit seinem Entwicklungsprogramm Aufbau Ost seit 1990 und in Italien mit der finanziellen Stützung des Südens seit Kriegsende. Obwohl nach wie vor jährlich mindestens 30 Milliarden Euro netto vom Norden in den Süden transferiert werden, scheint der Mezzogiorno seit 60 Jahren in seinem strukturell bedingten Rückstand zu verharren.2

Andererseits kann eine Nettoempfängerposition rein politisch bedingt sein, wenn bestimmten Gebieten aus historischen und politischen Gründen ein besonders vorteilhaftes Finanzierungssystem eingeräumt wird. Dies gilt etwa für die Überseedépartements Frankreichs und die abhängigen Gebiete Großbritanniens, die mit öffentlichen Geldern von Unabhängigkeitsbestrebungen abgehalten werden sollen. Es gilt auch für autonome Regionen, die aufgrund ihrer politischen Sonderrolle oder Insellage besondere Finanzierungsformen durchsetzen konnten. Beispiele hierfür gibt es in Europa etwa auf Madeira und den Azoren in Portugal, den Åland-Inseln Finnlands, den Färöer-Inseln und Grönland in Dänemark (Benedikter 2007, 78–169). In Italien haben die fünf autonomen Regionen ein nach demselben Muster gestaltetes, doch untereinander differenziertes Finanzierungssystem erhalten, das ihnen permanente finanzielle Vorteile gegenüber den Normalregionen verschafft hat.

2008 hat das ASTAT, das Landesinstitut für Statistik, ausgehend von der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, erstmals in einer konsolidierten Gesamtrechnung aufgezeigt, dass die öffentlichen Finanzströme in Südtirol einen deutlichen und längerfristigen Negativsaldo aufweisen dass Südtirol demnach bei den öffentlichen Finanzen Nettoempfänger gegenüber dem restlichen Italien ist (ASTAT 2008). 2005 betrug dieser Saldo 1.148 Millionen Euro, immerhin 7,5 Prozent des Südtiroler BIP. Dieser Umstand ist auf die vorteilhafte Finanzregelung des Autonomiestatuts zurückzuführen, die am 30. November 1989 in Kraft getreten und seit 1990 wirksam ist:3 Das Land kann dank der Einbehaltung von rund 90 Prozent des gesamten Staatssteueraufkommens in der Provinz und zusätzlicher Überweisungen seitens des Staats über gut 100 Prozent des Steueraufkommens verfügen, das in Südtirol aufgebracht wird (vgl. Benedikter 2008; Bonell/Winkler 2010). Der in Südtirol noch stark präsente Staat deckt dagegen die Ausgaben (3.089 Millionen Euro im Jahr 2005, 3.422 Millionen Euro 2008) für eine breite Palette an Dienstleistungen – von der Polizei bis zur Justiz, von der Steuerverwaltung bis zu Bahn und Post – nur zum Teil (1.989 Millionen im Jahr 2005) aus eigenen Einnahmen. Die Differenz schießt der Staat netto zu, womit spätestens seit 1990 bis einschließlich 2005 für einen dauerhaften Nettozuschuss an öffentlichen Mitteln für Südtirol gesorgt war, ganz so als wäre Südtirol eine rückständige Region Süditaliens. Dieser seit den 1980er-Jahren andauernde Nettoempfängerstatus der beiden autonomen Provinzen kann weder mit den zusätzlichen autonomen Kompetenzen noch mit wirtschaftlicher Rückständigkeit begründet werden, zumal das Trentino und Südtirol schon 1990 beim BIP pro Kopf über dem italienischen Durchschnitt und 2009 an der Spitze der Regionen Italiens standen.

Die vom Wirtschaftsministerium auf Druck der norditalienischen Regionen neu entwickelte Methode der Conti Pubblici Territoriali (CPT, erarbeitet vom Ministero dello sviluppo economico, Dipartimento politiche di sviluppo 2010) erlaubt eine präzise Berechnung der relativen Position der Regionen bei den öffentlichen Finanzen. Die Vorschläge zur Reform des Steuerföderalismus, aber auch die Kritik der norditalienischen Regionen an ihrer finanzpolitischen Diskriminierung stützen sich auf diese offizielle Datenbank (vgl. Unioncamere Veneto 2007, 2008, 2008a, 2009). In Südtirol nutzen das ASTAT und das WIFO die CPT als Hauptquelle ihrer Daten (WIFO/IRE 2009, Öffentliche Einnahmen und Ausgaben in Südtirol – 1996–2007, Bozen 2009; ASTAT 2010). Die CPT bilden mit plausiblen und aufwendigen Methoden ab, welche Einnahmen und Ausgaben sämtlicher öffentlicher Institutionen aller Ebenen den einzelnen Regionen zuzurechnen sind. Sie ermöglichen die Ermittlung der regionalen Nettobilanz der öffentlichen Finanzen, die der realen Belastung und dem realen Nutzen der BürgerInnen der jeweiligen Regionen durch die öffentliche Hand sehr nahe kommt. Trotz einiger Einwände können die CPT als ein ziemlich getreuer Spiegel der territorialen Verteilung der realen Einnahmen- und Ausgabenflüsse im öffentlichen Finanzsystem Italiens betrachtet werden. Bei Anwendung dieser statistischen Methode steigen die dem Land Südtirol zuzurechnenden Steuereinnahmen gegenüber den Daten der tatsächlich in den Steuerämtern der Provinz Bozen verbuchten staatlichen Steuereinnahmen gewaltig an (vor allem bei der IVA; Ähnliches gilt auch für die IRPEG, die Mineralölsteuer und andere Verbrauchssteuern) und führten erstmals 2006 zu einem erkennbaren Positivsaldo gegenüber dem Staat, der in den CPT für 2008 mit 142 Millionen Euro berechnet wurde.

Tabelle 1: Primär-Fiskalsaldo der Autonomen Provinz Bozen 1996–2008. In Millionen Euro

1996

1997

1998

1999

2000

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

2008

Konsolidierte Gesamtausgaben

5.406

5.540

5.861

6.174

6.342

6.815

6.931

6.882

7.000

7.295

7.295

7.476

8.125

Konsolidierte Gesamteinnahmen

5.051

5.395

5.478

5.954

6.011

6.168

6.451

6.873

6.972

7.152

7.384

7.942

8.267

Ausgaben Zentralver-waltungen in Südtirol

3.032

2.883

2.933

2.976

2.829

3.149

3.195

3.067

3.007

3.157

3.199

3.244

3.422

Primär-Fiskalsaldo

–355

–145

–383

–220

–331

–647

–480

–9

–28

–143

89

466

142

Quelle: www.dps.tesoro.it/cpt/banca_dati-seriestorica_statico.asp; letzter Zugriff am 20.11.2010; Zusammenstellung der Tabelle durch den Autor.

Ein positiver Primär-Fiskalsaldo (saldo fiscale primario) ist erst seit 2006 festzustellen, während Südtirol vorher eindeutig Nettoempfänger war. Was bedeutet der Primär-Fiskalsaldo konkret? Der positive Primärsaldo Südtirols für 2008 von 142 Millionen Euro bedeutet, dass die Südtiroler Steuer- und SozialabgabenzahlerInnen diesen Betrag mehr aufgebracht haben, als ihnen als öffentliche Ausgaben insgesamt im Land zugutegekommen ist. 2008 hat jede/r EinwohnerIn Südtirols für öffentliche Ausgaben außerhalb der Provinz, also für den Staat Italien als solchen, einen Beitrag von 285 Euro geleistet. 2003 lag dieser Saldo bei nahezu null. Eine derartige Situation bedeutet, dass Südtirol 2003 weder Ressourcen ins restliche Gebiet Italiens transferiert hat, noch vom restlichen Italien eine Netto-Unterstützung bezogen hat. Kurz: 2003 hat Südtirol zum Gesamtstaat Italien so gut wie nichts beigetragen, obwohl es beim BIP pro Kopf schon damals in der Spitzengruppe der Regionen Italiens lag.

Bildet man den Durchschnitt der Jahre 1996–2008, ergibt sich ein deutlich nega­tiver Primärsaldo von 157 Millionen Euro im Jahr. Da der zugrunde liegende Finanzierungsmodus (eingeführt mit dem Gesetz Nr. 386 von 1989) seit 1990 zum Tragen gekommen ist, kann mit Sicherheit von einer derartigen Situation seit 1990 ausgegangen werden (ASTAT-Information 1999). Zudem sind aus dieser Berechnung zwei wichtige Haushaltsposten ausgeklammert geblieben: zum einen die Zuschüsse der EU an die Autonome Provinz, zum anderen die Zinszahlungen des Staats auf die öffentliche Verschuldung. Würde auch dieser in Italien höchst belastende Ausgabenposten regionalisiert, also den Regionen gemäß Bevölkerung zugerechnet, ergäbe sich für Südtirol eine Mehrausgabe von rund 600 Millionen und dadurch auch für 2008 eine Nettoempfängerposition von 460 Millionen Euro. Doch werden die Zinsen auf die Staatsschuld als nicht regionalisierbar betrachtet und bleiben in den CPT außer Betracht. Auch wenn Handelskammer und Landesregierung glauben, mit diesen Daten Südtirol als Nettozahler präsentieren zu können, entkräften die Zahlen der offiziellen Datenbank CPT keineswegs die immer wieder vorgebrachte Kritik, dass die autonomen Regionen des Nordens finanziell bevorteilt sind. Folgende auf den CPT-Daten aufbauende Tabelle fasst diesen Zusammenhang sehr treffend für die Jahre 2005–2007 (Dreijahresdurchschnitt) zusammen:

Tabelle 2: Primär-Fiskalsaldo der öffentlichen Finanzströme – Konsolidierte Einnahmen und Ausgaben nach Regionen – Durchschnitt 2005–2007

Region

Millionen Euro insgesamt

Euro pro Einwohner

BIP pro Kopf 2007

Ein­nahmen

Aus-
gaben

Saldo

Ein­nahmen

Aus-
gaben

Saldo

Piemont

60.259

48.661

11.598

13.804

11.147

2.657

28.366

Aosta

2.030

2.230

–201

16.248

17.854

–1.605

33.828

Lombardei

156.164

96.633

59.532

16.345

10.114

6.231

33.300

Trentino-­
Südtirol

14.463

14.055

408

14.526

14.115

410

(TN) 30.573
(BZ) 33.792

Venetien

62.858

45.523

17.336

13.146

9.521

3.626

30.038

Friaul-Jul. Ven.

16.896

15.717

1.179

13.914

12.943

971

29.065

Ligurien

20.621

20.010

611

12.814

12.434

380

26.630

Emilia-Romagna

63.449

46.674

16.776

15.004

11.037

3.967

31.746

Toskana

48.951

40.308

8.643

13.429

11.058

2.371

28.181

Umbrien

10.018

10.198

–179

11.448

11.653

–205

24.450

Marken

18.182

15.524

2.657

11.811

10.085

1.726

26.166

Latium

82.773

66.349

16.425

15.179

12167

3.012

30.162

Abruzzen

12.854

12.910

–56

9.790

9.832

–43

21.185

Molise

2.746

3.257

–510

8.565

10.157

–1.592

19.594

Kampanien

44.688

49.899

–5.211

7.708

8.607

–899

16.687

Apulien

30.405

35.735

–5.330

7.466

8775

–1.309

17.264

Basilikata

4.563

5.857

–1.293

7.707

9.891

2.184

18.572

Kalabrien

14.990

19.682

–4.692

7.482

9.824

–2.342

16.810

Sizilien

38.080

49.186

–11.106

7.584

9.796

–2.212

17.023

Sardinien

15.252

18.454

–3.201

9.817

11.115

–1.928

20.129

Regionen Normalstatut

633.523

517.219

116.304

12.632

10.313

2.319

RNS Norden

363.352

257.501

105.852

14.807

10.493

4.314

RNS Mittelitalien

159.924

132.379

27.546

13.891

11.499

2.393

RNS Süden

110.247

127.340

–17.093

7.819

9.032

–1.212

Regionen mit Sonderstatut

86.722

99.642

–12.920

9.618

11.051

–1.433

Aut. Regionen Norden

33.389

32.002

1.387

14.300

13.706

594

Aut. Regionen Süden

53.332

67.640

–14.308

7.982

10.123

–2.141

Italien

720.245

616.861

103.384

12.173

10.426

1.747

25.862

Mittel- und Norditalien

556.666

421.881

134.785

14.502

10.990

3.511

Süditalien

163.579

194.980

–31.401

7.872

9.383

–1.511

17.552

Quelle: Unioncamere Veneto (2008) (Regione Veneto e Consiglio regionale del Veneto), Spesa pubblica e federalismo, Venezia, Quaderni di ricerca n. 9, marzo 2008; auf der Grundlage von Daten des Dipartimento delle Politiche di Sviluppo – Ministero dello Sviluppo Economico, Venedig

Worin besteht nun das Privileg der SüdtirolerInnen, TrentinerInnen, Friulaner­Innen und AostanerInnen gegenüber den benachbarten Normalregionen? Jede/r EinwohnerIn der Lombardei trägt 6.231 Euro, Venetiens 3.626 Euro, der Emilia-Romagna 3.967 Euro jährlich netto zum Funktionieren der öffentlichen Hand bei (Staat Italien in seiner Gesamtheit), TrentinerInnen und SüdtirolerInnen hingegen nur 410 Euro, obwohl die SüdtirolerInnen beim BIP pro Kopf alle anderen Regionen überholt haben. Südtirol lag 2009 mit einem BIP zu Marktpreisen pro EinwohnerIn von 34.421 Euro an der Spitze vor dem Aostatal (32.784 Euro), der Lombardei (31.743 Euro) und dem Trentino (30.918 Euro) (vgl. ISTAT 2010).

Alle Normalregionen im Norden weisen einen positiven Primär-Fiskalsaldo von 4.374 Euro pro Kopf auf, die autonomen Regionen des Nordens von 594 Euro, Trentino-Südtirol von 410 Euro. Letztere befinden sich beim Wohlstand an der Spitze, beim Beitrag zur öffentlichen Hand nur im Mittelfeld. Gäbe es eine Gleichbehandlung mit Venetien, müsste Südtirol nicht 410 Euro pro Kopf aufweisen, sondern 3.626 Euro pro Kopf jährlich zum Funktionieren Italiens zuschießen. Beim Bevölkerungsstand von 2008 würde das nicht weniger als 1,6 Milliarden Euro an zusätzlicher Steuerleistung oder an geringeren öffentlichen Ausgaben in Südtirol bedeuten. Auch bei der neuen, gegenüber der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung für Südtirol weit günstigeren und von Staat und Regionen akzeptierten Berechnungsmethode der CPT ist dieses Finanzvolumen das Mindestausmaß des relativen Vorteils der autonomen Provinzen gegenüber den Nachbarregionen mit Normalstatut (Unioncamere del Veneto 2008, Brambilla 2005).

Wenn wir uns auf den Saldo pro Kopf der Bevölkerung der jeweiligen Regionen beziehungsweise Provinzen konzentrieren, wird der allbekannte Befund bestätigt, dass der Süden am Tropf des Nordens hängt. Zweites Ergebnis: Der Zentralstaat wird fast ausschließlich von den BürgerInnen der nord- und mittelitalienischen Regionen mit Normalstatut finanziert. Es überrascht nicht, dass die beiden autonomen Inseln Sardinien und Sizilien in besonderem Ausmaß Nettoempfänger bei den öffentlichen Finanzen sind. Die eigentliche Anomalie in diesem Bild ist der außerordentlich geringe Beitrag der autonomen Regionen des Nordens zum Funktionieren des italienischen Staats. Für 2005–2007 trugen im Jahresdurchschnitt alle BürgerInnen der Normalregionen Norditaliens 4.314 Euro netto bei, während die BürgerInnen der drei Spezialregionen des Nordens bei höherem BIP pro Kopf nur 594 Euro pro Kopf beisteuerten, also nur ein Siebtel des Betrags der NorditalienerInnen der Normalregionen. Ein Befund, der dem verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz, dass die Regionen nach ihrer wirtschaftlichen und steuerlichen Leistungskraft zur Deckung der öffentlichen Ausgaben beizutragen haben, klar widerspricht.

Dieser Zahlenvergleich für 2008 bestätigt – neben der allbekannten Tatsache des Gefälles zwischen Nord- und Mittelitalien einerseits und Süditalien andererseits – die Schräglage zwischen den Regionen mit Normalstatut und jenen mit Sonderstatut Norditaliens ziemlich deutlich. Südtirol liegt 2008 erstmals an der Spitze des BIP pro Kopf der Bevölkerung, weist jedoch einen Primär-Fiskalsaldo von nur 286 Euro pro Kopf auf (im Trentino war er 2008 sogar negativ). Bei den erklärten Einkommen dagegen liegt Südtirol nur im Mittelfeld, knapp über dem gesamtitalienischen Durchschnitt. Die BewohnerInnen der Region Venetien tragen netto neunmal so viel zum Funktionieren des Staats bei, die BewohnerInnen der Lombardei im Durchschnitt sogar achtzehnmal so viel als die SüdtirolerInnen. Abgesehen vom Aostatal sind auch die BewohnerInnen Friaul-Julisch Venetiens 2008 wieder ins Minus beim Primär-Fiskalsaldo gerutscht. Innerhalb Norditaliens besteht somit das erhebliche Ungleichgewicht bei den öffentlichen Finanzen zwischen den Regionen mit Normal- und mit Sonderstatut weiter.

Tabelle 3: Primärsaldo der öffentlichen Finanzströme pro Kopf, BIP pro Kopf und erklärte Einkommen pro Kopf nach Regionen – 2007 und 2008

Region

Bevölkerung in Tausend 2008

BIP
pro Kopf 2008

Primärsaldo pro Kopf 2008

BIP
pro Kopf 2007

Primärsaldo pro Kopf 2007

Erklärte Ein­kommen pro Kopf 2008

Piemont

4.416,9

27.350

2.060

28.366

2.657

20.070

Aosta

126,5

34.154

–3.833

33.828

–1.605

20.240

Lombardei

9.692,6

31.743

5.152

33.300

6.231

22.540

Trentino

516,6

31.588

–156

30.573

410

19.730

Südtirol

496,4

34.955

286

Venetien

4.858,9

30.347

2.685

30.038

3.626

19.560

Friaul-Jul.Venetien

1.226,5

29.341

–357

29.065

971

19.440

Ligurien

1.612,4

27.348

–321

26.630

380

20.050

Emilia-R.

4.362,8

32.062

2.619

31.746

3.967

20.560

Toskana

3.723,3

28.746

1.415

28.181

2.371

Umbrien

889,3

24.590

–731

24.450

–205

Marken

1.561,3

26.655

767

26.166

1.726

Latium

5.594,0

30.641

1.834

30.162

3.012

21.310

Abruzzen

1.329,3

21.786

–689

21.185

–43

Molise

320,8

20.370

–2.506

19.594

–1.592

Kampanien

5.812,3

16.886

–1.466

16.687

–899

Apulien

4.086,6

17.309

–1.006

17.264

–1.309

Basilikata

590,8

19.081

–2.541

18.572

2.184

Kalabrien

2.008,2

16.896

–2.664

16.810

–2.342

Sizilien

5.033,7

17.338

–2.536

17.023

–2.212

Sardinien

1.668,3

20.591

–2.024

20.129

–1.928

Italien

59.832,2

26.204

1.021

25.862

1.747

18.870

Mittel- u. Norditalien

31.347

3.511

Süditalien

17.803

17.552

–1.511

Quelle: Dip. Politiche allo sviluppo (2010), Conti pubblici territoriali, auf: //www.dps.tesoro.it/cpt/cpt.asp; und Ministero delle Finanze (2010), Dichiarazione dei redditi 2009 (percepiti nel 2008), auf: www.afi-ipl.org, abgerufen am 28.10.2010. Zusammenstellung der Tabelle durch den Autor.

3. Finanz- und wirtschaftspolitische Implikationen der bisherigen Finanzierung der Autonomie

Aus dem bis 2006 bestehenden negativen Primär-Fiskalsaldo und dem seit 2007 weiter verzeichneten geringen positiven Saldo ergeben sich eine Reihe von Standortvorteilen für die Unternehmen und die Versorgung der Bevölkerung Südtirols im Allgemeinen (vgl. Benedikter 2009, 30–34). Heute spielt sich nicht nur zwischen den großen Wirtschaftsblöcken und innerhalb der EU ein wachsender Standortwettbewerb ab, auch die Regionen sind bestrebt mit wirtschafts-, sozial- und steuerpolitischen Mitteln ihre Standortattraktivität zu verbessern. In der in Südtirol häufig gepflegten Diskussion um die Qualitäten und die Sicherung des „Wirtschaftsstandortes Südtirol“ (WIFO 2008) ist die finanzpolitische Vorteilsposition dieser autonomen Provinz fast gänzlich ausgeklammert geblieben. Selbst in einer 2002 erschienenen wissenschaftlichen Analyse der Erfolgsfaktoren dieses Landes wird in keinem Kapitel oder Abschnitt der Aspekt der öffentlichen Finanzen überhaupt nur gestreift (EURAC 2002). Weder bei den sektoralen Analysen zur Wirtschaft Südtirols, noch bei den politischen und institutionellen Hintergründen wird auf diese Form öffentlicher Subventionierung durch den Zentralstaat eingegangen, der – ob es gefällt oder nicht – auch einen Teil des Erfolgs dieses Modells ausmacht. Die Frage der öffentlichen Finanzen ist für den Wirtschaftsstandort auch deshalb von enormer Bedeutung, weil durch die finanzielle Ausgabenkapazität des Landes eine ganze Palette von öffentlichen Gütern überhaupt erst im heutigen Ausmaß und in dieser Qualität produziert werden können, die ihrerseits einen Standortfaktor bilden. Bezüglich der Standortkonkurrenz erwachsen aus dieser Ausgabenkapazität fünf wesentliche Vorteile:

1. Südtirol kann sich ein weit höheres Volumen an öffentlichen Aufträgen erlauben. Die Pro-Kopf-Ausgaben des erweiterten öffentlichen Sektors betrugen in Südtirol 2007 16.204 Euro pro Kopf, in Norditalien 14.637 Euro pro Kopf (ASTAT 2010). Für Südtirol sind diese Finanzflüsse vom ASTAT analysiert worden (ASTAT 2010).

2. Südtirol hat ein höheres Subventionsniveau zugunsten der gewerblichen Wirtschaft; die Unternehmen bezogen im Jahr 2007 pro Kopf der Bevölkerung 503 Euro, in Norditalien nur 182 Euro pro Kopf der Bevölkerung (ASTAT 2010).

3. Südtirol hat ein höheres Sozialleistungsniveau: Mehr leistungsfähige ArbeitnehmerInnen ziehen in unser Land, mehr Menschen haben eine Beschäftigungschance. Die Transferleistungen im Kapitalkonto an Private betrugen 2007 709 Euro pro Kopf gegenüber 223 Euro in Norditalien (ASTAT 2010).

4. In Südtirol geben die Lokalkörperschaften mehr Geld aus, was die Lebensqualität hebt und den Wirtschaftsstandort über die Infrastrukturvorleistungen verbessert (zum Beispiel bei der Anlegung von Gewerbeflächen). Die Ausgaben im Kapitalkonto des erweiterten öffentlichen Sektors betrugen 2007 in Südtirol rund 3.600 Euro pro Kopf, in Norditalien lagen sie bei 1.600 Euro (ASTAT 2010).

5. Südtirol weist ein geringeres Abgabenniveau auf, kann bei gewerbebezogenen Steuern (zum Beispiel IRAP, Tourismusabgabe usw.), Einkommenssteuerzuschlägen sowie Verbrauchssteuern kürzen, ohne sein hohes Ausgabenniveau spürbar zu beeinträchtigen (im Zeitraum 2007–2010 Steuerkürzungen um rund 150 Millionen Euro).

Als Folge der relativ hohen Einnahmen des Landes ist Südtirol wie das Trentino, das Aostatal und Friaul-Julisch Venetien in der Lage, den Gemeinden ein wesentlich höheres Einnahmenniveau zu verschaffen. 13,05 Prozent des Südtiroler Landeshaushalts fließen jährlich, neben anderen Zuweisungen verschiedener Natur, verpflichtend an die Gemeinden. Unabhängig von der finanziellen steuerlichen Leistungskraft der Gemeinden führte dies zu einem stetig wachsenden Ausgabenvolumen der Gemeinden. Allerdings hat das hohe Maß an verfügbaren öffentlichen Mitteln auch negative Folgen gezeitigt, wie etwa:

Tendenzen zur ineffizienten Verausgabung öffentlicher Mittel;

eine hohe Abhängigkeit der gewerblichen Wirtschaft von öffentlichen Beiträgen sowie die Herausbildung eines entsprechenden Anspruchsdenkens;

eine hohe Abhängigkeit des aufgebauten Sozialleistungssystems von einem entsprechenden Einnahmenniveau;

nur in begrenztem Maße mehr Verteilungsgerechtigkeit bei Einkommen und Vermögen, da in jüngster Zeit eine wachsende Ungleichverteilung verzeichnet wird (Benedikter 2006); mehrere Untersuchungen der letzten Jahre haben dies bestätigt, wie z. B. die Untersuchung des ASTAT/AFI zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Haushalte in Südtirol 2003/2004 (ASTAT/AFI 2005);

ein gewaltiges Bauvolumen sowohl der Privaten wie der öffentlichen Hand, was sich in Summe ungünstig auf die Qualität der Landschaft und Umwelt ausgewirkt hat.

Von Arbeitnehmerseite wird im Zusammenhang mit der Standortdiskussion immer wieder eine stärkere Betonung der sozialen Aspekte eines Standortes gefordert. Nicht bloß für Unternehmerentscheidungen relevante Faktoren müssten in die Gesamtbewertung eines Standorts eingehen, sondern auch all jene Faktoren, die die Lebensqualität eines/r durchschnittlichen Arbeitnehmers/-nehmerin und der Bevölkerung im Allgemeinen betreffen. Einerseits zeigt das Modell Südtirol auf, wie ein Standort mit üppiger finanzieller Ausstattung, verkehrspolitisch günstiger Lage und effizienter öffentlicher Verwaltung erfolgreich aufgebaut werden kann, sich damit als Wirtschaftsstandort profiliert und die allgemeinen Lebensbedingungen verbessert. Andererseits weisen die ArbeitnehmervertreterInnen auch auf die hohen Lebenshaltungskosten, die stagnierenden Reallöhne bezogen auf das Südtiroler Preisniveau, die wachsenden Einkommensdifferenzen und verschiedene Umweltbelastungen hin. Dabei spielt die finanzpolitische Vorteilsposition keine unwesentliche Rolle: Die dafür nötigen öffentlichen Ressourcen stammen zwar aus dem eigenen Territorium, der lokalen Wirtschaft und Bevölkerung, doch ist das Land im Unterschied zu den Nachbarregionen mit Normalstatut dauerhaft von nahezu jeglichem nennenswerten Beitrag an das staatliche Gesamtsystem entlastet.

4. Der neue Steuerföderalismus und die autonomen Regionen

In den vergangenen zehn Jahren ist in Italien immer mehr Kritik am Finanzierungsmodus der autonomen Regionen laut geworden, die allesamt über ihre Verhältnisse leben würden. Die insgesamt in diesen fünf Regionen verzeichneten öffent­lichen Einnahmen reichen – bei anteiliger Aufteilung der Lasten der Staatsverschuldung – nirgendwo aus, die ihnen zurechenbaren Ausgaben zu decken. Dies reicht von mindestens 11 Milliarden Primär-Fiskaldefizit in Sizilien bis zu rund 458 Millionen Euro (2008) in Südtirol einschließlich der anteiligen Schuldendienstlast. Die norditalienischen Normalregionen waren 2005–2007 im Schnitt mit 105 Milliarden Euro Nettozahler, die drei autonomen Regionen im Norden steuerten zusammen 1,3 Milliarden Euro für den Gesamtstaat bei. Aus der Sicht der Regionen mit Normalstatut hat sich in Italien eine unhaltbare Schräglage gebildet. Die vier großen padanischen Regionen finanzieren den Staat, der Süden verharrt in permanenter Strukturschwäche und finanzieller Abhängigkeit und die autonomen Regionen des Nordens genießen ein politisch bedingtes Finanzprivileg. Diese Finanzordnung führt zu einer verzerrten Verteilung der Ressourcen, die die Eigenverantwortung der Regionen untergräbt. Im Süden besteht keine konkrete Aussicht, den hohen Mittelzufluss auch so effizient und wachstumsträchtig einzusetzen, dass der Abstand bei Produktivität, Wirtschafts- und Steuerleistung zum Norden mittelfristig verringert wird. Im Norden werden die öffentlichen Mittel unausgewogen verteilt, wodurch eine unlautere Standortkonkurrenz entstanden sei. Die heutige Finanzordnung Italiens entspricht somit nicht der Anwendung von objektiven finanzpolitischen Kriterien und Prinzipien, wie etwa in benachbarten Bundes- und Regionalstaaten, sondern beruht auf widersprüchlichen Einzelregelungen. Es macht sowohl für die regionale Wirtschaft wie für die Bevölkerung einen gewaltigen Unterschied, ob die EinwohnerInnen Venetiens bei geringerem Pro-Kopf-BIP, aber demselben erklärten Durchschnittseinkommen neunmal so viel an Primär-Fiskalbeitrag zur Finanzierung des Staates leisten wie jene Südtirols.

Auf diesem Hintergrund verlangen die Normalregionen Norditaliens ein neues Finanzierungssystem der Regionen, genannt Steuerföderalismus, mit einheitlichen Prinzipien und ausgewogener Belastung. Die Regionen und Lokalkörperschaften sollen laut Delegierungsgesetz Nr. 42/2009 mehr Eigenverantwortung nicht nur bei den Ausgaben, sondern auch bei den Einnahmen erhalten. Grundgedanke ist die Gesamt-Abgabenquote zu senken, indem die Effizienz der Einnahmenerzielung durch Regionalisierung erhöht wird. Die Übertragung von mehr Gesetzgebungs- und Regelungskompetenzen in der Steuerpolitik an die Regionen erzeugt jedoch die Gefahr, dass den BürgerInnen insgesamt eine höhere Steuerlast zugemutet wird, weil sich der Zentralstaat aufgrund seiner Verschuldung eine wesentliche Steuerentlastung gar nicht leisten kann. Art. 27 des Staatsgesetzes Nr. 42/2009 verpflichtet auch die autonomen Regionen zur Beteiligung am solidarischen Finanzausgleich nach Maßgabe ihrer Wirtschaftskraft, wobei jedoch ihre Sonderstatute und besondere Verfahren zur rechtlichen Umsetzung der Reform beachtet werden müssen (Peterlini 2010, 148–149). Die Umsetzung des Steuerföderalismus hat bei diesen Regionen im Einvernehmen zwischen Regierung und betroffenen Regionen zu erfolgen, das zur Anpassung der jeweiligen Statuten innerhalb des 21. Mai 2011 führen muss. Dabei können die autonomen Regionen auch zusätzliche, kostenträchtige Aufgaben übernehmen, die bisher der Staat wahrgenommen hat (Art. 27, Absatz 3).

Mit dem neuen Steuerföderalismus, der mit dem Delegierungsgesetz Nr. 42/
2009 und dem Verordnungsentwurf der Regierung vom 7. Oktober 2010 immer konkretere Gestalt annimmt, zeichnet sich eine gewisse Entlastung der bisherigen Melkkühe der Nation ab, verbunden mit einer Ausweitung ihres steuerpolitischen Bewegungsspielraums (vgl. De Petris 2009, 19–36). Stärker als bisher wird deren Finanzierung an das jeweilige regionale Mehrwertsteueraufkommen geknüpft. So sollen die Normalregionen 45 Prozent des regionalen Aufkommens der IVA erhalten, also die Hälfte des Anteils, der den Regionen Trentino-Südtirol, Friaul-Julisch Venetien, Sardinien und Aosta zugestanden worden ist (Sizilien erhält 100 Prozent der IVA). Dazu kommen die Einnahmen aus der IRAP und der regionale Aufschlag auf die Einkommenssteuer IRPEF. Dabei wird – wie auch für die autonomen Regionen angewandt – nicht das in der Region eingetriebene IVA-Aufkommen bemessen, vielmehr wird vom Anteil der Konsumausgaben jeder Region an den nationalen Konsumausgaben ausgegangen. Zudem können die Regionen den IRPEF-Satz (derzeit regionaler Zuschlag von höchstens 0,9 Prozent) um bis zu 2,9 Prozent erhöhen. Ab 2014 können die Regionen mit Normalstatut die IRAP senken oder völlig streichen. Es wird erwartet, dass dieser neue steuerpolitische Spielraum auch auf die autonomen Regionen ausgedehnt wird. Während die bisher unterfinanzierten Normalregionen die IRPEF-Erhöhungen und zusätzlichen IVA-Beteiligungen dringend benötigen, um das Ausgaben- und Leistungsniveau für ihre BürgerInnen zu verbessern, werden sich die autonomen Regionen dank ihrer günstigen Ausgangsposition weitere Steuererleichterungen wie etwa die Streichung des regionalen IRPEF-Zuschlags und IRAP-Senkungen erlauben können.

Der sich abzeichnende Steuerföderalismus wird den jährlichen Netto-Transfer an öffentlichen Ressourcen vom Norden an den Süden etwas reduzieren und die Normalregionen Süditaliens zwingen, mehr Effizienz und Selbstverantwortung bei der Finanzverwaltung walten zu lassen. Die Reform stellt demnach einen Kompromiss zwischen zentralistischen und föderalistischen Kräften dar. Angesichts des extrem hohen Schuldenstandes Italiens könnte der Zentralstaat eine weiterreichende Abtretung von Steueraufkommensanteilen an die Regionen aber kaum verkraften, weil dann ein echter Schuldenabbau erschwert würde. Darin liegt auch das strukturelle Dilemma Italiens: Effizienzgewinne in der öffentlichen Verwaltung sind nur bei wesentlicher Regionalisierung der Steuern zu erwarten, doch den Schuldenabbau kann nur der Zentralstaat betreiben. Es ist abzusehen, dass in Zeiten schrumpfender öffentlicher Haushalte auch der interregionalen Solidarität neue Grenzen gesetzt werden. Norditalien will eine Entlastung durchsetzen und seine neuen Kompetenzen im Sozial- und Gesundheitswesen besser wahrnehmen, und das kostet Geld. Der Staat muss seine Neuverschuldung im Verbund der Euroländer zurückfahren, eine steuerliche Entlastung der BürgerInnen anpeilen und den Gesamtschuldenstand abbauen. Das kostet auch viel Geld. Somit nimmt es nicht wunder, dass der Druck auf Süditalien steigt. Zunehmend wird der gewaltige Ressourcentransfer vom Norden in den Süden infrage gestellt: Sollen Regionen mit geringer Steuerleistung und hoher Schattenwirtschaft tatsächlich ein Recht auf Finanzausgleich haben? Ist nicht das weit geringere Steueraufkommen pro Kopf der Bevölkerung Süditaliens auch eine Folge der Misswirtschaft, der geringeren Unternehmerinitiative, des Assistenzialismus, der Unfähigkeit der Verwalter, der riesigen Steuerhinterziehung, der kriminellen Aktivitäten? Warum sollten solche Faktoren ein Anrecht auf dauerhafte Unterstützung begründen?

5. Das Mailänder Abkommen und die Folgen

Aufgrund des neuen Steuerföderalismus, grundgelegt im Delegierungsgesetz Nr. 42 von 2009, ist eine Anpassung der Finanzierungssysteme der Regionen mit Sonderstatut notwendig geworden. Gemäß Art. 27 dieses Gesetzes sind auch die autonomen Regionen zur Teilnahme am Finanzausgleich und zur Solidarität unter Einhaltung des Stabilitätspaktes verpflichtet. Allerdings wird nicht näher präzisiert wie dies zu erfolgen hat. Es wird auf die im Einvernehmen zwischen Regierung und betroffenen Regionen zu erlassenden Durchführungsbestimmungen verwiesen, die allesamt noch zu erlassen sind. Vor dem Hintergrund des geringen Verteilungsspielraums steigt die Autonome Region Trentino-Südtirol bei dem 2009 getroffenen Abkommen mit dem Staat zur Reform der Finanzierung der Region und der Provinzen noch ziemlich gut aus. Das Mailänder Abkommen vom 30.11.2009 bildet die Grundlage für die 2011 zu erlassenden Durchführungsbestimmungen, die nur im Einvernehmen zwischen Staat und Land getroffen werden können.4 Zwar muss gemäß Abkommen der neue Finanzierungsmodus eine Entlastung des Zentralstaats von insgesamt 1.500 Millionen Euro gewährleisten, doch konnte eine wesentliche Verschlechterung der bis 2009 geltenden Finanzierungsregeln verhindert werden (Valdesalici 2010, 95–114). Der Staat hat nämlich verfahrensrechtlich wenig Spielraum, die Finanzierungssysteme der autonomen Regionen strengeren, einheitlicheren Regeln zu unterwerfen, weil die autonomen Regionen mit den in der Verfassung verankerten Statuten eine Sonderrolle einnehmen. Das Autonomiestatut kann zwar in Sachen Finanzen (Art. 69–86) mit einfachem Staatsgesetz abgeändert werden, doch im Unterschied zum restlichen Statut müssen die Durchführungsbestimmungen im Einvernehmen mit den beiden autonomen Provinzen verabschiedet werden.5

Was wird sich an den bisherigen Finanzierungsregeln für Südtirol ändern? Die Grundregel der Finanzierung der autonomen Provinzen bleibt die Zuteilung von 90 Prozent des im jeweiligen Gebiet verzeichneten Steueraufkommens der Staatssteuern. Gleichzeitig verzichten Trient und Bozen mit dem Mailänder Abkommen auf einen Teil ihrer Einnahmen – nämlich auf die variable Quote (301 Millionen Euro), den Ersatzbetrag auf die IVA auf den Import (337 Millionen Euro) und die Beteiligung an den Sektorengesetzen (62 Millionen Euro) (Peterlini 2010a, 150–151) – und verpflichten sich, weitere staatliche Aufgaben mit den damit verbundenen Ausgaben zu übernehmen. Zudem werden beide Provinzen dazu verpflichtet, 40 Millionen Euro für Projekte in Gemeinden in den Provinzen Belluno und Sondrio zu finanzieren. Rechtsgrundlage dafür ist der neue Art. 79 des Autonomiestatuts, in dem die Modalitäten definiert werden, mit welchen Region und Provinzen zum Finanzausgleich und der Solidarität zwischen den Regionen beitragen.

Das für Trentino-Südtirol so vorteilhafte 9/10-System wird trotz der nachdrücklichen Kritik der angrenzenden Regionen mit Normalstatut nicht nur gerettet, sondern durch Einschluss kleinerer Steuern sogar vervollständigt. Zudem ist vereinbart worden, die rückständigen Zuweisungen seitens des Staates in Jahresraten nachzuholen. Die Beteiligung der autonomen Provinzen an der IVA auf die Importe wird neu geregelt: Als Bezugsgröße für die Berechnung werden nun die Konsum­aus­gaben für diese Güter als Anteil am italienischen Gesamtkonsum herangezogen. Die Kompetenzen, eigene Steuern einzuführen und Staatssteuern abzuändern, werden ausgeweitet. So kann zum Beispiel die Autosteuer jetzt mit Landesgesetz geregelt werden. Die autonomen Provinzen können auch neue Lokalsteuern einführen und den Steuerdruck bei einzelnen Staatssteuern verändern. Laut Art. 80 des neuen Statuts können Hebesätze innerhalb bestimmter Bandbreiten verändert werden, neue Abzüge, Freibeträge und Steuervergünstigungen eingeführt werden. Die Pflichten hinsichtlich der Einhaltung des Stabilitätspakts werden künftig von den Provinzen selbst festgelegt, die auch über deren Einhaltung durch die Gemeinden zu wachen haben. Es wird ein Mechanismus der direkten Überweisung der vom Staat geschuldeten Beträge an die Region und die Provinzen eingerichtet, der am 1.1.2011 in Kraft getreten ist. Auch die Kompetenzen der Provinzen bei der Festlegung der Steuerbemessungsgrundlage werden verstärkt. Dies liegt ja im Interesse der Provinzen, die von der 9/10-Beteiligung profitieren. Mehr Effizienz in der Steuereintreibung kommt zuallererst diesen zugute. Die Beträge der vom Staat für die Ausübung delegierter Funktionen geschuldeten Finanzzuweisungen (Schule, Zivilmotorisierung, Kataster, Staatsstraßen usw.) werden festgelegt und müssen in den kommenden 10 Jahren gezahlt werden.

Gemäß Mailänder Abkommen werden weitere Befugnisse vom Staat an die Provinzen übertragen: die Mobilitätskasse für Arbeitslose, die Universität Bozen und Trient, das Bozner Konservatorium, die Ausgaben für das Postwesen in Südtirol und weitere Infrastrukturen staatlicher Kompetenz, wie zum Beispiel der Neubau des Gefängnisses in Bozen und der Betrieb des Senders Bozen der RAI. Dazu kommen weitere Ausgabenverpflichtungen zulasten der beiden Provinzen bis zu einem Höchstmaß von 100 Millionen Euro. Die neuen Funktionen, die der Staat an die Provinzen abtritt, sind noch nicht definitiv festgelegt worden, was im Rahmen der Durchführungsbestimmungen in der 12er- und 6er-Kommission zu erfolgen hat. Jedenfalls stellen die damit verbundenen Ausgaben, im Verein mit abgeschafften Zuweisungen des Staats, den finanziellen Beitrag dar, den sich die autonomen Provinzen zur Entlastung des Staatshaushalts zu leisten verpflichtet haben. Dabei geht es weniger um die Übertragung echter autonomer Kompetenzen, als vielmehr um die Beteiligung der Provinzen an zentralstaatlichen Aufgaben und Ausgaben. Die finanzpolitischen Lasten sind jedenfalls schon mit 1.1.2010 überantwortet worden, was sich auf die Haushalte des Landes 2010 und 2011 auch schon ausgewirkt hat, die zum ersten Mal seit Inkrafttreten des Autonomiestatuts einen leichten Rückgang erfahren haben. Oskar Peterlini weist auf die missverständliche Bestimmung des Punktes 8 des Mailänder Abkommens vom 30.11.2009 hin: „Der Inhalt des Vertrags wird in spezifischen Gesetzesbestimmungen überführt, die ab 2010 zu Einsparungen von 1.000 Millionen auf den zu finanzierenden Netto-Saldo und rund 500 Millionen Euro auf die Netto-Neuverschuldung führen.“ (Peterlini 2010a, 155). Jede Provinz müsste demgemäß auf jährlich 750 Millionen Euro gegenüber der heutigen Situation verzichten.

Das neue Finanzierungssystem der autonomen Provinzen behält das Grundprinzip, nämlich die Haupteinnahmequelle Beteiligung am Aufkommen der Staats­steuern in der Provinz, mit fixer Quote von 9/10, bei, wobei kleinere Einnahmen und die variable Quote abgeschafft worden sind. Damit kann die Regierung die jährlichen Einnahmen der Region und der Provinzen noch weniger als bisher beeinflussen, während diese auf stabile Ressourcen bauen, die nur vom Gesamtsteuersystem und der regionalen Wirtschaftsentwicklung abhängen. Die Unsicherheit bei der Feststellung der Einnahmen des Landes sinkt, die längerfristige Kalkulierbarkeit der Einnahmen steigt. Insgesamt kann das Mailänder Abkommen mit der damit eingeleiteten Reform der Finanzierung der Südtirol-Autonomie aus Südtiroler Perspektive als Erfolg gewertet werden. Hält man sich einerseits die Finanzierungsregelung von autonomen Regionen in anderen europäischen Ländern (mit Ausnahme der autonomen Inseln Finnlands und Dänemarks) vor Augen, zum anderen die bestehenden Ungleichgewichte und Konflikte im Gesamtsystem der Finan­zierung der Regionen Italiens, stellen die mit dem Mailänder Abkommen erfolgten Korrekturen relativ geringfügige Einschnitte in der finanziellen Gesamtausstattung dar. Aus dem Blickwinkel des territorialen Finanzausgleichs gemäß der wirtschaftlichen und steuerlichen Leistungsfähigkeit ist eine 90-Prozent-Beteiligung der wohlhabendsten Provinzen Italiens am lokalen Steueraufkommen allerdings unhaltbar. Im Wesentlichen bedeutet dies, dass ihr Beitrag zum interregionalen Finanzausgleich eine vernachlässigbare Größe darstellen wird. Somit haben die beiden Autonomen Provinzen ihre Sonderrolle behaupten können. Mit dieser Regelung wird sich der Primär-Fiskalsaldo der beiden Provinzen (seit 2007 leicht positiv, also sind die beiden Provinzen Nettozahler in bescheidenem Ausmaß) leicht zugunsten des Zentralstaats erhöhen, das heißt die autonomen Provinzen werden bei konsolidierter Haushaltsrechnung einen höheren Beitrag zu den Staatsfinanzen insgesamt leisten müssen. Die beim Mailänder Abkommen beschlossenen Beiträge der Provinzen zur Entlastung des Staatshaushalts von jeweils 750 Millionen Euro werden jedoch von neuen Einnahmequellen teilweise aufgewogen. Voraussichtlich werden die autonomen Provinzen weiterhin über rund 5 Milliarden Euro im Landeshaushalt verfügen.

6. Perspektiven der zukünftigen Entwicklung bei Südtirols Finanzen

Der in den vorhergehenden Kapiteln dargelegte Umstand der strukturellen Bevorteilung Südtirols bei den öffentlichen Finanzen (negativer oder nur geringfügig positiver Primär-Fiskalsaldo) besteht nicht erst seit wenigen Jahren, sondern schon seit Anfang der 1980er-Jahre, spätestens jedoch seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Finanzregelung Nr. 386/1989. Diese Regelung war ein außerordentlicher Erfolg der Südtiroler Politik gegenüber Rom und hat zu einem im interregionalen Vergleich enormen Umfang an öffentlichen Ausgaben in Südtirol geführt. Mit dem Mailänder Abkommen vom 30. November 2009 ist die Substanz dieser Regelung bestätigt worden und bildet mittelfristig die Grundlage für die im Regionenvergleich Italiens weiterhin vorteilhafte Finanzierung der Südtirol-Autonomie. Einige wesentliche Vorteile dieser Regelung könnte man wie folgt zusammenfassen:

Die insgesamt jährlich getätigten öffentlichen Ausgaben in Südtirol (konsolidiert, also alle Regierungsebenen ohne Doppelzählungen zusammengefasst) belaufen sich auf fast 50 Prozent des BIP, während sie in den norditalienischen Regionen mit Normalstatut bei 34–38 Prozent liegen. Die Südtiroler Wirtschaft stützt sich somit zur Hälfte auf die öffentlichen Ausgaben, was insgesamt zu einer spürbaren Abhängigkeit von der öffentlichen Hand führt.

Die Abgabenquote, also alle Steuern und Pflichtsozialversicherungsbeiträge bezogen auf das BIP, liegt mit 36,3 Prozent über 4 Prozent unter dem gesamtitalienischen Wert, aber auch deutlich unter der Abgabenquote Österreichs, Deutschlands und der EU insgesamt. Über ein wesentlich höheres Sozialleistungs- und Subventionsniveau sind die BürgerInnen Südtirols bereits heute gegenüber anderen Gebieten bei den Abgaben entlastet.

Der Zufluss öffentlicher Mittel speist die Nachfrage der öffentlichen Körperschaften im Land auf allen Ebenen und damit die lokale Wirtschaft. Ein Teil des in Südtirol in den letzten 20 Jahren im Vergleich zu Restitalien verzeichneten höheren Wirtschaftswachstums ist auf diesen Faktor zurückzuführen.

Die reichliche Ausstattung mit öffentlichen Mitteln führt zu einem höheren Beschäftigungsstand im öffentlichen Dienst auf allen Ebenen sowie dank dieses Nachfrageelements zugunsten der Südtiroler Wirtschaft zu einer höheren allgemeinen Erwerbs- und Beschäftigungsquote.

Das durch die permanent höheren Einnahmen ermöglichte öffentliche Investitionsniveau (zuletzt bei rund 20 Prozent) stützt das Wachstum, stabilisiert Konjunkturschwankungen und verhindert größere Krisen in der Beschäftigung, was in der Wirtschaftskrise 2008/09 bestätigt worden ist.

Wenn gut verwaltet, erbringt die bisherige und im Wesentlichen bestätigte Regelung der 90-Prozent-Beteiligung an den Steuern einen Circulus vitiosus für die Wirtschaft: Das erhöhte Wirtschaftswachstum führt zu höheren Steuereinnahmen, die zu 90 Prozent im Land bleiben und wiederum über den Landeshaushalt und die übrigen Körperschaften die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen erhöhen und die lokale Wirtschaft verstärken. Dies führt erneut zu höheren Steuereinnahmen usw.

Im Standortwettbewerb zwischen den Regionen in der Nachbarschaft kann Südtirol sowohl bei den öffentlichen Ausgaben (erhöhtes Subventionsniveau, bessere Sozialleistungen, effizientere Infrastrukturen) als auch mit geringeren Landessteuern punkten, da für beides eine ausreichende Mittelausstattung der autonomen Provinz vorliegt.

Auch für die ArbeitnehmerInnen bringt dieses öffentliche Finanzvolumen Vorteile, doch nicht in dem Maße, das unter veränderten steuer- und subventionspolitischen Bedingungen vorstellbar wäre. Zum einen führt dieser Mittelzufluss zu einer höheren Beschäftigung, geringeren Arbeitslosigkeit, mehr Arbeitsplätzen, höherem Lohnniveau im öffentlichen Dienst sowie einer breiteren Palette von Sozialleistungen. Ein beachtlicher Teil der öffentlichen Ausgaben kommt über die Finanzierung öffentlicher Einrichtungen und Güter der Allgemeinheit zugute. ArbeitnehmerInnen im privaten Sektor können mit der Entwicklung der Wertschöpfung dennoch nicht mithalten und sind in der Aufbringung des Steueraufkommens benachteiligt (weniger Chancen zur Steuervermeidung, gläserne Brieftasche).

Die mit dem Mailänder Abkommen getroffene Neuregelung, doch vor allem die mit dem Delegierungsgesetz vom 7. Oktober 2010 ermöglichten neuen Spielräume in der Gestaltung der Hebesätze (IRPEF und IRAP) und anderer Bestimmungen der Besteuerung durch die Regionen werden auch den autonomen Regionen und damit Südtirol zugute kommen. Diese Verbesserung der steuerlichen Autonomie ist jedoch nicht zu verwechseln mit der Steuerhoheit, wie sie von verschiedener Seite in Südtirol gefordert wird. Eine volle Steuerhoheit für die autonomen Regionen ist bei den derzeit geltenden Finanzierungsregelungen (hohe Beteiligung am staatlichen Steueraufkommen in der Region, sehr geringer oder negativer Primär-Fiskalsaldo) kaum denkbar. Würde die mit einem solidarischen Finanzausgleich nicht vereinbare Finanzregelung der nördlichen autonomen Regionen fallen, stünde Südtirol vor der Aufgabe, den heutigen Umfang des Landeshaushalts mit eige­nen Steuereinnahmen wettzumachen, um zumindest das heutige Niveau an Sozial­leistungen aufrechtzuerhalten. Dies kann durch mehr Steuereffizienz (Ausschöpfung der Kompetenzen des Landes bei der Steuereinhebung bis zur vollen Übernahme dieses Dienstes, dadurch Eindämmung der Schattenwirtschaft) und durch Einhebung eigener autonomer Steuern (IRAP, Tourismusabgabe, IRPEF-Zuschläge, Kfz-Steuer, Baukostenabgaben usw.) erreicht werden.

Eine echte funktionierende Territorialautonomie benötigt eine solide Finanzierung, die Teil des Autonomiestatuts ist und nur mit erschwerten Verfahren möglichst im Einvernehmen zwischen Zentralstaat und autonomer Einheit abgeändert werden können soll. Doch aus der Autonomieforderung lässt sich nur eine für das Funktionieren der Autonomie angemessene Mittelausstattung ableiten, nicht jedoch der Status eines finanziellen Nettoempfängers im heutigen Ausmaß. Die Regionen mit Normalstatut Norditaliens, die einzigen wirklich relevanten Nettozahler im heutigen Finanzsystem Italiens, pochen darauf, nach dem Vorbild von europäischen Bundesstaaten einen tragbaren und gerechteren Steuerföderalismus einzurichten, der in effizienter und gerechter Weise für beides sorgt: nämlich für eine ausreichende Finanzierung der Regionen, gleich ob mit Sonderstatut oder mit Normalstatut, und für einen Ausgleich zwischen armen und reichen Regionen, jedoch unter Stärkung der Eigenverantwortung aller Regionen für die öffentlichen Einnahmen.

Allein aus den zusätzlichen autonomen Kompetenzen oder speziellen Erfordernissen der Autonomie lässt sich das bestehende Finanzierungssystem Südtirols und aller autonomen Regionen im Norden nicht rechtfertigen. Natürlich schließt eine echte Regionalautonomie auch eine stabile und ausreichende Finanzierung ein, doch grundsätzlich ist es schwierig, daraus einen Anspruch auf einen Status als Nettoempfänger öffentlicher Finanzen abzuleiten bzw. sich aus einem gesamtstaatlichen Finanzausgleich auszuklammern. Ein rationaler und nachhaltiger Steuerföderalismus muss beide Prinzipien in Einklang bringen, den finanziellen Bedarf und die steuerliche Leistungsfähigkeit der Regionen. Er muss in effizienter und gerechter Weise für beides sorgen, nämlich für eine ausreichende Finanzierung aller Regionen, jener mit Sonderstatut wie jener mit Normalstatut, sowie für den Ausgleich zwischen armen und reichen Regionen. Dies ist seit vielen Jahren ein Kernproblem der öffentlichen Finanzen Italiens. Es liegt natürlich nicht an Südtirol, das heutige, überaus vorteilhafte System zu ändern. Der derzeit erst in Grundzügen vorliegende neue Steuerföderalismus hat die Details der künftigen Regelung der Finanzen der autonomen Regionen noch offengelassen. Eine echte Korrektur der hier erläuterten finanzpolitischen Anomalie ist gegenüber Trentino-Südtirol nicht erfolgt und ist auch bei den übrigen autonomen Regionen wenig wahrscheinlich. Zudem genießen diese Regionen eine zusätzliche Sicherheit: Die Finanzbestimmungen der Autonomiestatute können zwar von einer einfachen Parlamentsmehrheit mit Staatsgesetz abgeändert werden, doch nur im Einvernehmen mit den betroffenen Regionen und Provinzen. Somit steht – aus Südtiroler Sicht – nicht zu befürchten, dass mit 2010 tatsächlich magere Jahre bei den öffentlichen Finanzen beginnen, sondern eher eine Konsolidierung auf hohem Niveau.

Anmerkungen

1 Um Missverständnissen vorzubeugen eine Randbemerkung vorab: In der Konkurrenz zwischen Gebietskörperschaften (zum Beispiel Regionen) um knappe öffentliche Mittel bilden die Verteidigung eines vorteilhaften Status quo bei den Einnahmen einerseits und die Bemühungen um mehr Verteilungsgerechtigkeit andererseits das legitime Verhalten der betroffenen politischen Akteure. Die Bevölkerung einer bestimmten Region wird im Sinne des eigenen Vorteils und Interesses auf einmal errungene Einnahmenniveaus nicht verzichten wollen; und kein politischer Vertreter kann öffentlich für Abstriche des eigenen Gebietes im Sinne eines vernünftigeren regionalen Finanzausgleichs plädieren, wenn er nicht bei Wahlen sofort abgestraft werden will. Gruppenegoismus ist der Normalzustand und spiegelt sich in der demokratischen Auseinandersetzung. Nicht nur regionale Medien, sogar wissenschaftliche Institutionen fügen sich in dieses Verhaltensmuster ein. Davon abweichend ist der Autor dieses Beitrags als Südtiroler zwar froh über jeden Euro, der Südtirol zum Wohl seiner Bevölkerung zufließt, und zweifelt nicht an der Notwendigkeit einer soliden Grundfinanzierung einer jeden echten Territorialautonomie. Allerdings hält er als Finanzwissenschaftler auch den distanzierten und ganz unparteiischen Blick des Wissenschaftlers auf die konkrete Sachlage für legitim, um zu einem unabhängigen Urteil zu gelangen.

2 Vgl. die Angaben für den Zeitraum 2005–2007 in: Dipartimento Politiche dello Sviluppo (2008).

3 Wie in meiner Dissertation nachgewiesen (Benedikter 1987), bestand dieser relative Vorteil bereits vorher, also seit den ersten Durchführungsbestimmungen zur Finanzierung der Autonomie, die bis 1989 in Kraft waren.

4 „Accordo di Milano per un riassetto del finanziamento dell’autonomia per l’attuazione del federalismo fiscale“. Vgl. Art. 2 des Gesetzes vom 23. Dezember 2009, Nr. 191, in Kraft getreten am 1.1.2010. Dabei ist nach dem im Autonomiestatut Art. 104 vorgesehenen Verfahren der Herstellung des Einvernehmens zwischen Region bzw. autonomen Provinzen und Regierung hinsichtlich der Abänderung der Finanzierungsregeln vorgegangen worden.

5 Das Autonomiestatut als solches steht in Verfassungsrang und kann nur mit entsprechenden Verfahren abgeändert werden. Die Finanzierungsregeln (Art. 69–83) der autonomen Provinzen und Region können jedoch mit einfachem Staatsgesetz geändert werden, vorausgesetzt, Staat und Länder haben in bilateralen Verhandlungen ein Einvernehmen dazu erzielt. Dies erfolgte 1989 (Gesetz Nr. 386 vom 30.11.1989) und 2009 (Gesetz Nr.191 vom 23.12.2009, basierend auf dem Mailänder Abkommen). Vgl. dazu auch Peterlini 2010, 150–151.

Literaturverzeichnis

ASTAT (2010). Italien im Lichte der Öffentlichen Territorialen Konten. Die öffentlichen Finanzströme in der Autonomen Provinz Bozen, Bozen 2010. www.provinz.bz.it/cpt/de/456.asp (27.10.2010)

ASTAT. Statistische Jahrbücher 2005, 2006, 2007, 2008, 2009, Bozen. www.provinz.bz.it/astat/ (27.10.2010)

ASTAT (2008). Die Konten der öffentlichen Verwaltung in Südtirol 2001–2005 (astat Schriftenreihe Nr. 142), Bozen. www.provincia.bz.it/astat/de/volkswirtschaft/599.asp?aktuelles_action=4&aktuelles_article_id=262334 (27.10.2010)

ASTAT (2005). Sozialprodukt und Wirtschaftsentwicklung in Südtirol 1990–2003 (astat Schriftenreihe Nr.122), Bozen. www.provinz.bz.it/pressnotes/module/pres_getimg.asp?imgID=213566 (28.10.2010)

ASTAT (2005). Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Haushalte in Südtirol 2003/2004 (astat Schriftenreihe Nr. 117), Bozen. www.provinz.bz.it/astat/de/service/846.asp?redas=yes8259_action=
300&259_image_id=38320 (26.10.2010)

ASTAT (1999). Konsolidierte Ausgaben der öffentlichen Körperschaften in Südtirol 1993–1996, ASTAT-Information Nr. 6

Benedikter, Thomas (2006). Armut verstehen – Armut entgegenwirken, hg. von der Caritas, Bozen: Caritas

Benedikter, Thomas (2008a). The Finance of the Autonomous Province of Bozen, in: Woelk, Jens/Palermo, Francesco/Marko, Joseph (Hg.). Tolerance through Law, Leiden/Boston: Martinus Nijhoff Publishers, 105–119

Benedikter, Thomas (2008b). Esperienze europee di federalismo fiscale e di finanziamento delle Regioni a confronto con la realtà italiana, in: Pföstl, Eva (Hg.). Il Federalismo Fiscale, Rom, APES, 115–193

Benedikter, Thomas (2009). Südtirol – ein subventioniertes Land. Die finanz-, sozial- und wirtschafts­politischen Implikationen der strukturellen Nettoempfängerposition Südtirols bei den öffentlichen Finan­zen. Studie im Auftrag des AFI-IPL, Bozen (unveröffentlicht)

Benedikter, Thomas (1987). Il finanziamento delle Regioni a statuto speciale. Tesi di laurea, Trient

Bonell, Lukas/Winkler, Ivo (2010). Südtirols Autonomie, hg. von der Autonomen Provinz Bozen, Bozen

Brambilla, Alberto (2005). La regionalizzazione del bilancio dello Stato, Rom: La Bancaria editrice

De Petris, Andrea (2010). La Legge delega n. 42/2009 sull’attuazione dell’art. 119 Cost. in materia di federalismo fiscale: aspetti procedurali e sostanziali, in: Woelk, Jens (Hg.). Federalismo fiscale tra differenziazione e solidarietà: profili giuridici italiani e comparati (EURAC book 55), Bozen: EURAC, 19–36

Dipartimento Politiche dello Sviluppo (2008). Conti Pubblici Territoriali CPT. www.dps.tesoro.it/cpt/cpt.asp (30.10.2010)

Finanzassessorat der Autonomen Provinz Bozen, Haushaltsvoranschläge 2003–2009. www.provinz.bz.it/finanzen (27.10.2010)

EURAC (2002). Erfolgsfaktoren einer Region. Das „Modell Südtirol“, Bozen: Edition Raetia Bozen

ISTAT (2010). Conti economici regionali. www.istat.it/salastampa/comunicati/non_calendario/20100928_
00/testointegrale20100928.pdf (29.10.2010)

Mahlknecht, Philipp (2000). Die Finanzautonomie Südtirols. Politikwissenschaftliche Diplomarbeit, Innsbruck

Macciotta, Giorgio (2008). „Normalizzazione“ delle regioni a statuto speciale dal punto di vista delle en­trate, Dipartimento delle Politiche di Sviluppo – Ministero dello Sviluppo Economico, Rom

Ministero dello sviluppo economico (2010). Dipartimento Politiche allo sviluppo, Conti pubblici territo­riali, Rom. www.dps.tesoro.it/cpt/cpt.asp Im Speziellen: Albero statico della ricerca guidata, www.dps.tesoro.it/cpt/banca_dati-seriestorica_statico.asp sowie: Le monografie regionali. www.dps.tesoro.it/cpt/cpt.monografie.asp (1.10.2010)

Peterlini, Oskar (2008). Evoluzione in senso federale e riforma costituzionale in Italia (FÖDOG 25), Innsbruck: Institut für Föderalismus

Peterlini, Oskar (2010b). Föderalismus und Autonomien in Italien, Die Auswirkungen der Födera­lismus­entwick­lung in Italien auf die Sonderautonomien und im Besonderen auf das Autonomiestatut von Trentino-Südtirol. Sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Dissertation, Innsbruck

Peterlini, Oskar (2010a). L’Autonomia che cambia, Bozen: PRAXIS III

Unioncamere Veneto (2009) (Regione Veneto e Consiglio regionale del Veneto). Responsabilità e federalismo, Venezia. Quaderni di ricerca n. 11, settembre 2009. http://osservatoriofederalismo.eu/pubblicazioni.asp?IN=ITA (2.10.2010)

Unioncamere Veneto (2008) (Regione Veneto e Consiglio regionale del Veneto). Spesa pubblica e federalismo, Venezia. Quaderni di ricerca n. 9, marzo 2008. http://osservatoriofederalismo.eu/pubblicazioni.asp?IN=ITA (2.10.2010)

Unioncamere Veneto (2008a) (Regione Veneto e Consiglio regionale del Veneto). Federalismo e compe­titività, Venezia. Quaderni di ricerca n. 10, settembre 2008. http://osservatoriofederalismo.eu/pubblica
zioni.asp?IN=ITA (2.10.2010)

Unioncamere Veneto (2007) (Regione Veneto e Consiglio regionale del Veneto). I costi del „non federalismo“, Venezia. Quaderni di ricerca n. 8, maggio 2007. http://osservatoriofederalismo.eu/pubblicazio
ni.asp?IN=ITA (2.10.2010)

Unioncamere Veneto (2008/2009) (Regione Veneto e Consiglio regionale del Veneto). Bollettino Federa­lismo e dintorni. Annate 2008 e 2009. www.unioncameredelveneto.it sowie: http://osservatoriofedera
lismo.eu/pubblicazioni.asp?IN=ITA (2.10.2010)

Valdesalici, Alice (2010). L’intesa finanziaria per il Trentino-Alto Adige/Südtirol tra specialità e solida­rietà, in: Woelk, Jens (Hg.). Federalismo fiscale tra differenziazione e solidarietà (EURAC book 55), Bozen: EURAC, 96–115

WIFO/IRE (2001). Einnahmen und Ausgaben des Staates in Südtirol, Handelskammer Bozen

WIFO/IRE (2008). Wirtschaftsstandort Südtirol, Handelskammer Bozen

WIFO/IRE (2009). Öffentliche Einnahmen und Ausgaben in Südtirol – Jahre 1996–2007, Handelskammer Bozen

Abstracts

Le finanze dell’Alto Adige: inizia
il periodo di magra?

Con l’inizio del 2010 sono entrati in vigore il nuovo accordo sul finanziamento della Regione Trentino-Alto Adige e delle Province di Trento e Bolzano. In sostanza il sistema vigente dal 1990, basato sulla compartecipazione degli enti autonomi al gettito locale delle imposte erariali, è stato confermato e completato, apportando alcuni tagli a favore del bilancio dello stato e attribuendo alle due Province autonome nuovi compiti e responsabilità di spesa. Di conseguenza il volume dei bilanci provinciali nel 2010 e nel 2011 ha subito una leggera flessione, pur consolidandosi ad alto livello. L’autore parte da un’analisi dei dati dei “Conti Pubblici Territoriali” delle Regioni, che confermano la posizione di vantaggio relativo della due Province autonome, soffermandosi su alcuni effetti centrali che tali flussi finanziari comportano per le finanze pubbliche ed il sistema economico locale. Infine valuta le possibile conseguenze dell’“Accordo di Milano” del 30-11-2009 e trae alcune conclusioni, rassicuranti per la popolazione del Sudtirolo ma critiche se considerate sullo sfondo della necessità di razionalizzare la spesa pubblica italiana.

Les finanzes de Südtirol: mëtel śëgn man i agn
dles vaces megres?

Cun le mëteman dl 2010 él jü en forza l’acordanza nöia sön le finanziamënt dla Regiun Trentino-Südtirol y dles Provinzies de Trënt y de Balsan. En sostanza él gnü confermè y completè le sistem dl 1990, basè sön la compartezipaziun di ënć autonoms ales entrades locales tres les cutes erariales, taian val’ entrada a bëgn dl bilanz statal y ti assegnan ales döes provinzies autonomes compić nüs y responsabilitês de spëisa. De conseguënza é le volum di bilanc provinziai gnü n pü’ mënder, mo al s’à impò consolidé sön n livel alt.

L’autur pëia ia da n’analisa di dać di „Cunć Publics Teritoriai“ dles regiuns, che confermëia la posiziun de vantaje relatif dles döes provinzies autonomes, analisan plü avisa n valgügn di efeć zentrai che chisc flusc finanziars à sön les finanzes publiches y sön le sistem economich local. Ala fin valutëia l’autur les conseguënzes che l’„Acordanza de Milan“ di 30-11-2009 podess avëi y röia a n valgönes contlujiuns che po de un n vers i jì bun ala popolaziun de Südtirol, mo ché é critiches sc’an ćiara ala nezescité de razionalisé la spëisa publica taliana.

South Tyrol’s Finances:
Are the Lean Years Beginning Now?

In 2010, a new regulation of the financing of the Region Trentino-Alto Adige/Südtirol and the Provinces of Trent and Bozen came into force. The system applied since 1990, which is based on the participation of the autonomous provinces to the state’s tax revenues collected on their territories, has been substantially confirmed and completed, although the provinces did have to accept some cuts on their revenues and to shoulder new responsibilities for public expenditures. Hence, the total volume of the provincial budget in 2010 and 2011 has been slightly reduced but substantially consolidated on a high level. But what does it mean for South Tyrol’s economy and population to enjoy a “primary fiscal balance” that is close to zero? Which perspectives of development of its financial revenues does the Autonomous Province of Bozen face with the new system agreed upon in Milan on November 30th, 2009? The author starts from an analysis of the statistical data regarding Italy’s regional public spending, which fully confirms the advantageous position of the two autonomous provinces in comparison with regions having ordinary status.