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Stefan Perini

Südtirols Arbeitnehmer/-innen und die Corona-Krise

Die Corona-Pandemie ist ein großer Stresstest für Südtirol. Bleibt 2020 ein Ausnahmejahr oder wird es ein Wendejahr?

South Tyrol’s workers and the Corona crisis

The Corona pandemic is a big stress test for South Tyrol. Will 2020 remain an exceptional year or will it be a turning point?

Abstract In 2020, the course of the pandemic determined the economic and social rhythm of South Tyrol. When we look back and see the final result, this “rollercoaster ride” led to ­seven “relatively normal” and five “very restrictive” months, with consequent sacrifices and implications in every aspect of our lives.

The notion of lockdown will very often be associated with the concept of standstill. However, to consider 2020 as a standstill year would be wrong. The situation is quite the opposite: 2020 was probably one of the most dynamic and creative years of the last decade. What happened was a huge process of “creative destruction”, as termed by the innovation theorist Joseph Alois Schumpeter. In this sense, the Corona pandemic was also a test for the flexibility not only of companies and organizations, but also of employees.

1. Der Pandemie-Verlauf 1

Ziemlich unbeachtet von der weltweiten Aufmerksamkeit war im Spätherbst 2019 in der chinesischen Provinz Wuhan ein Virus mutiert und auf den Menschen übergesprungen. Die neuartige Lungenkrankheit wurde von der weltweiten Gesundheitsbehörde WHO (World Health Organisation) eine Zeitlang unterschätzt. Erst am 11. März 2020 erklärte die Organisation die bis dahin schon weit verbreitete Krankheit zur weltweiten Pandemie. Von Italien ausgehend breitete sich die Pandemie in der zweiten Februarhälfte in rasantem Tempo aus, was zuerst zur Schließung von fünf italienischen Provinzen und mit 10. März zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit im gesamten italienischen Staatsgebiet – dem sogenannten ersten Lockdown – führte. Anfangs dachte man, die Angelegenheit wäre nach einigen Wochen vom Tisch. Im Rückblick betrachtet sollte sich dies als dramatische Fehleinschätzung herausstellen. Der Pandemieverlauf sollte nämlich noch das gesamte Jahr 2020 entscheidend prägen.

Der erste harte Lockdown endete Mitte Mai, überschattet von den Polemiken einer regionalen Differenzierung der Lockerungen – Stichwort „Südtiroler Weg“. In den warmen Monaten flachte die Ansteckungswelle deutlich ab, weshalb man von einem fast normalen Sommer 2020 sprechen kann. Dies färbte positiv auf Tourismus und Handel ab. Mitte September nahmen Schulen wieder regulär ihren Unterricht in Anwesenheit auf. Doch die für Schüler/-innen wiedergefundene Normalität sollte nicht allzu lange andauern. Eine von den Virologen bereits vorhergesehene zweite Ansteckungswelle nahm ab Mitte Oktober einen schwereren Verlauf als ursprünglich angenommen, was die politischen Entscheidungsträger/-innen dazu veranlasste, einen zweiten, diesmal allerdings etwas sanfteren Lockdown zu verhängen. Schmackhaft gemacht wurde dies der Bevölkerung mit der Aussicht, gegen Jahresende ein „halbwegs normales Weihnachten“ erleben zu dürfen. Selbst dieser zweite Lockdown sollte sich allerdings über das Jahr hinausziehen – erst mit 8. Jänner 2021 wurden wieder erste Lockerungen zugelassen.

Rückblickend betrachtet bestimmte der Pandemieverlauf im Jahr 2020 den Takt von Südtirols Wirtschaft und gesellschaftlichem Leben. Auf etwas mehr als zwei „normale“ Monate folgte zwischen 10. März und Mitte Mai eine Zeit sehr starker Einschränkungen der persönlichen Bewegungsfreiheit und des wirtschaftlichen Lebens. Bis Mitte Oktober konnte man wieder von einer Zeit annähernder Normalität sprechen. Die letzten zweieinhalb Jahresmonate waren wieder von stärkeren Einschränkungen gekennzeichnet. Diese betrafen allerdings fast ausschließlich das Gastgewerbe, die Freizeit-, Kultur- und Veranstaltungsbranche und Teile des Handels. Diese Achterbahnfahrt ergibt, im Rückblick und in Summe betrachtet, sieben „relativ normale“ und fünf „sehr eingeschränkte“ Monate mit entsprechenden Entbehrungen und Auswirkungen auf alle Lebensbereiche.

2. Die Auswirkungen von Covid-19 auf das gesellschaftliche Leben

Die Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit schränkten in erster Linie und unmittelbar die kleinen und selbstverständlichen Dinge des täglichen Lebens ein. Menschen funktionierten nach der „AHA-Formel“: Abstand halten, Hygiene, Atemschutz tragen. Dabei waren die ersten Tage des Lockdowns im März 2020 noch von einer gewissen Leichtigkeit gekennzeichnet. In den sozialen Medien kursierten Videoaufnahmen von Personen, die auf dem Balkon musizierten oder vergnügt mit den Kindern spielten. Erst auf mittlere Sicht sollten sich die Einschränkung der Bewegungsfreiheit als eine harte Belastungsprobe herausstellen.

Auf die anfängliche kollektive Leichtigkeit folgte die große allgemeine Gereiztheit. Besonders schwer wog im ersten Lockdown das Gebot, sich nicht mehr als 200 Metern von der eigenen Wohnung zu entfernen. Ausnahmen waren nur aus Arbeits- oder Gesundheitsgründen gestattet bzw. um die Grundversorgung zu gewährleisten. Diese Ausnahmen mussten mit Eigenerklärungen belegt werden. Doch selbst im Zuge schrittweiser Lockerungen blieben das Verbot von größeren Men­schen­an­samm­lun­­gen und das Gebot der sozialen Distanzierung aufrecht, was zwangsläufig zur Einschränkung sozialer Kontakte und in den schwerwiegenden Fällen zu Vereinsamung führte. Besonders betroffen waren kranke Menschen und Senior/-innen. Einige Familien mussten die bittere Erfahrung machen, sterbende Familienange­hörige in den letzten Stunden nicht begleiten zu können – Begräbnisse durften nicht stattfinden und wenn, dann nur im engsten familiären Kreis. Sozialdienste und Psycholog/-innen meldeten im Lockdown eine Zunahme von Fällen häuslicher Gewalt, insbesondere an Frauen, von psychischen Problemen bedingt durch den Mangel an Freizeitmöglichkeiten und den Verlust von Alltagsstrukturen. Alkoholsucht und Drogenkonsum nahmen tendenziell zu. Der Lockdown belastete einmal mehr Frauen, die sich im Spagat zwischen Homeoffice, Fernunterricht, Kinderbetreuung und Hausarbeit sehr oft in die traditionellen Rollenbilder zurückgedrängt sahen.

In welche Richtung die Wünsche der Arbeitnehmer/-innen gehen, zeigt eindrücklich die Winterausgabe 2020/2021 des AFI-Barometers (die Befragung erfolgte in der ersten Dezemberhälfte 2020, siehe Abbildung 7). Südtirols Arbeitnehmer/-innen wurden gefragt, was die drei Dinge seien, auf die sie sich am meisten freuen, wenn Covid-19 einmal vorbei sein wird, aber auch, ob und wie stark sie denn die aktuelle Situation belaste. Jede zweite Person fühlte sich von der aktuellen Pandemie (Stand: Dezember 2020) psychisch belastet (20 Prozent „sehr“ und 30 Prozent „eher“). 26 Prozent der Südtiroler Arbeitnehmer/-innen haben die finanzielle Situation als belastend wahrgenommen (16 Prozent „sehr“, zehn Prozent „eher“). Kurzum: Die Covid-19-Pandemie belastete Südtirols Familien schwerer psychisch als finanziell (AFI 2021).

Abb. 1: Covid-19: Wie stark belastet Sie denn persönlich die derzeitige Situation? Und ­finanziell?

Quelle: AFI-Barometer 2020.12

3. Die Auswirkungen von Covid-19 auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt

Ab dem 25. März 2020 wurden sowohl die Wirtschaft als auch das gesellschaftliche Leben auf Minimalbetrieb heruntergefahren. Dieser shutdown betraf alle Wirtschaftstätigkeiten, die nicht als systemrelevant galten. Die Arbeitnehmer/-innen aus nicht-systemrelevanten Branchen mussten über Nacht auf den Homeoffice-Not­modus umsatteln. Wo Homeoffice nicht als alternative Arbeitsform eingesetzt werden konnte, galt es, Zeitausgleich zu nehmen, Überstunden abzubauen oder Resturlaub aufzubrauchen. In Anbetracht der Schnelligkeit der Umstellung hat Homeoffice besser funktioniert als ursprünglich gedacht. Gleichzeitig traten aber auch die Grenzen dieser Arbeitsform ans Licht: Koordinierungsschwierigkeiten, erschwerter Infor­mations­fluss, fehlende Weiterentwicklung, mangelnder sozialer Kontakt, Isola­tion, Hyper­konnektivität, Erreichbarkeit rund um die Uhr, geringe oder fehlende digitale Kompetenzen vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die unzureichende Ausstattung mit Laptops und Geräten in den Betrieben sowie in der öffentlichen Verwaltung. Dies umso mehr, wenn Homeoffice als ausschließliche Arbeitsform betrieben wurde.

Doch zurück zu den Auswirkungen der Pandemie: Grundsätzlich seien zwei Dinge angemerkt. Erstens, der wirtschaftliche Einbruch korrelierte stark mit dem Pandemieverlauf. Je härter der Lockdown, desto einschneidender der wirtschaftliche Einbruch. Zweitens, die Corona-Einschränkungen trafen die verschiedenen Wirtschaftsbereiche in unterschiedlichem Maß. Deshalb ist Differenzierung, nicht Pauschalisierung das Gebot der Stunde. Das gilt nicht nur für die Unternehmen, sondern auch für die lohnabhängig Beschäftigten. Die Folgen der Krise variieren sehr stark nach Wirtschaftssektor und nach der vertraglichen Situation der Person.

2019 waren in Südtirol im Jahresschnitt 214.472 Personen lohnabhängig beschäftigt. 2020 war die Jahres-Durchschnittszahl auf 207.045 gesunken (–7.427; – 3,5 Prozent). Blickt man dorthin, wo die Corona-Krise Arbeitsplätze gekostet hat, so blieben in der Gesamtbetrachtung 2020 nur Baugewerbe (+180 Arbeitsplätze; +1,0 Prozent) und der öffentliche Sektor (+172; +0,3 Prozent) davon verschont. Geringfügige Abstriche mussten Landwirtschaft (–83; – 0,8 Prozent), verarbeitendes Gewerbe (– 69; – 0,2 Prozent) und Handel (– 99; – 0,3 Prozent) hinnehmen. Bereits stärker fielen sie für die privaten Dienstleistungen (– 790; – 2,0 Prozent) aus. Am deutlichsten ist der Verlust von Arbeitsplätzen im Gastgewerbe (– 6.737; – 22,4 Prozent). In keinem der Wirtschaftssektoren trifft die Krise die Festangestellten (+ 3.067 Arbeitsplätze; – 2,0 Prozent – Stichwort: Entlassungsstopp), sondern in erster Linie befristet Beschäftigte (– 10.494; – 17,6 Prozent), insbesondere die Saisonangestellten im Gastgewerbe, im Handel und in der Kultur-, Sport- und Freizeitbranche. Der Beschäftigungsrückgang trifft zudem im Verhältnis viel stärker Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft (– 3.707; – 12,0 Prozent) als italienische Staatsbürger/-innen (– 3.720; – 2,0 Prozent) (Autonome Provinz Bozen – Südtirol 2020).

Im Rückblick zeigt sich aber auch: Arbeitsmarkt und Wirtschaft erholen sich schnell, wenn die Einschränkungen wieder aufgehoben werden. Dies unterscheidet die Covid-19-Krise auch von früheren Wirtschaftskrisen oder von kriegerischen Ereignissen. Die Produktionskapazitäten sind heute noch intakt und das System kann relativ schnell wieder hochgefahren werden, vorausgesetzt, die Unternehmenslandschaft wird nicht ausgedünnt.

4. Maßnahmen zur Abfederung der Krise

Den politischen Entscheidungsträger/-innen ist zugute zu halten, dass sie während der Zuspitzung der ersten Pandemie-Welle unmittelbar und entschlossen gehandelt haben mit dem Ziel, den Brandherd einzugrenzen und die Pandemie unter Kontrolle zu bringen. Zeitgleich mit den Einschränkungen der Bewegungsfreiheit wurden Maßnahmen zur Abfederung der wirtschaftlichen Auswirkungen eingeführt. Der Grundsatz lautete: Wer unverschuldet in die Krise geraten ist, soll nicht um seinen Brotberuf bangen müssen. Die Politik sah sich veranlasst, den Fortbestand der Unternehmen sicherzustellen, Arbeitsplätze zu sichern und die Einkommensgrundlage zu garantieren (AFI 2020b). Ein Kündigungsverbot sollte sicherstellen, dass es nicht zu Massenentlassungen kommt. Die Lohnausgleichskasse wurde sowohl im Anwendungsbereich als auch in der zeitlichen Wirksamkeit gestreckt (AFI 2020a).

Mit Einführung des generellen Grunds „Covid-19“ wurde die präventive und sozial­partnerschaftliche Kontrolle für die Beanspruchung der Lohnausgleichskasse ausgesetzt. Das Arbeitslosengeld (NASPI) wurde zeitlich gestreckt: Eine erste wichtige Verlängerung wurde zunächst im „Dekret Neustart“ (Decreto rilancio) und dann im Augustdekret vorgesehen. Die zeitliche Streckung war wegen der Zuspitzung der Corona-Pandemie notwendig geworden.

Arbeitgeber/-innen wurden Liquiditätsspritzen, die Stundung von Darlehen, Kreditgarantien über die Stärkung der Garantiegenossenschaften und Verlustbeiträge in Aussicht gestellt. Personen, die von den Abfederungsmaßnahmen ausgeschlossen wurden, erhielten Einmalzahlungen von 600 Euro (z. B. für Mitarbeiter/-innen im Bereich Tourismus und Kultur, Landwirte und Freiberufler/-innen). Im Herbst haben das Dekret Nr. 137/2020 (Decreto Ristori) sowie die darauffolgenden Dekrete dieser Reihe zusätzliche Einmalzahlungen (zwischen 800 Euro bis 1.000 Euro, je nach Kategorie) für Arbeitnehmer/-innern in den Bereichen Tourismus, Badeeinrichtungen, Unterhaltung, für Gelegenheitsarbeiter/-innen, Heimarbeiter/-innen und gelegentlich Selbstständige sowie für Mitarbeiter/-innen im Sportbereich vorgesehen.

Eingeführt hat der italienische Staat auch das sogenannte Noteinkommen (Reddito di emergenza), und zwar zugunsten von Haushalten, die sich aufgrund der epidemiologischen Notlage in Schwierigkeiten befinden. In der Folge wurde mit dem Gesetzesdekret Nr. 104 vom 14. August 2020 die Möglichkeit eingeführt, eine zusätzliche Monats-Tranche an Noteinkommen zu beantragen. Das Gesetzesdekret Nr. 137 vom 28. Oktober 2020 sah dann zwei weitere Tranchen für die Monate Novem­ber und Dezember 2020 vor. Anspruchsberechtigt sind Familien (und nicht die einzelne Person) mit geringem Einkommen und Vermögen, welche andere Abfederungs­maßnahmen aus dem Raster fallen. Zum Beispiel hatte eine Familie mit zwei Erwachsenen und zwei minderjährigen Kindern Anspruch auf eine Monatsrate von 720 Euro. Für Härtefälle wurden Lebensmittelgutscheine eingeführt, die auf Gemeindeebene zugewiesen und von den Sozialsprengeln verteilt wurden.

Darüber hinaus hatten das Kündigungsverbot bis zum 31. März 2021 sowie die zeitliche Ausdehnung der Wochen der Lohnausgleichkasse sicherlich einen beruhigenden Einfluss auf die Beschäftigungssituation auf gesamtstaatlicher Ebene.

Die Südtiroler Maßnahmen bauten auf den gesamtstaatlichen auf und ergänzten diese. So wurden die Abfederungsmaßnahmen des territorialen bilateralen Solidaritätsfonds dank eines Rahmenabkommens zwischen Land und Sozialpartnern auch auf Betriebe mit weniger als sechs Beschäftigten ausgedehnt und der Anwendungsbereich auf Lehrlinge jeder Art ausgeweitet. Der italienische Staat hat die dafür notwendigen Mittel an den bilateralen Solidaritätsfonds bereitgestellt, damit die finanzielle Abdeckung gegeben ist, und das Land Südtirol hat zusätzliche 20 Millionen Euro eingezahlt.

Des Weiteren wurden die Maßnahmen der lokalen sozialen Absicherung gestärkt: Wohngeld, Mietbeiträge, Mindestsicherung. Die Kontrolltätigkeit der öffentlichen Verwaltung wurden zeitweilig ausgesetzt (z. B. bei der Pflegeeinstufung). Die Bezahlung von Landes- und Gemeindegebühren wurde ausgesetzt.

Im Rückblick betrachtet wurde eine große kollektive „Beruhigungspille“ verabreicht, um Panik und Hysterie in der Bevölkerung zu vermeiden. Rasche Entscheidungen waren angesagt und die Politik lieferte bereitwillig. Das auf diese Weise verabreichte Helikoptergeld stellte nicht den Anspruch, eine hohe Treffsicherheit zu garantieren.

Die Sommerwelle 2020 des AFI-Barometers beschäftigte sich mit der Frage, wie Südtirols Arbeitnehmer/-innen den ersten Lockdown erlebt haben. Nach Aussage von 96 Prozent der Befragten hat Covid-19 den beruflichen Alltag in irgendeiner Form verändert, lediglich für vier Prozent nicht. 43 Prozent haben Resturlaub aufgebraucht oder neuen Urlaub nehmen müssen, 25 Prozent Überstunden abgebaut, 29 Prozent wurden in den Lohnausgleich überstellt (mit Spitzen im Handel und im Verarbeitenden Gewerbe). Fasst man diese drei Kategorien zusammen, kommt man zum Schluss: Für 58 Prozent war der Lockdown gleichbedeutend mit einem „zeitlich begrenzten Arbeitsausfall“. Am anderen Extrem stehen 32 Prozent der Befragten, die angeben, sie hätten „mehr Arbeit gehabt als vor der Krise“. Für 39 Prozent stand der erste Lockdown in Zusammenhang mit einer Änderung der Arbeitsweise: Vier von zehn Arbeitnehmer/-innen konnten im Homeoffice weiterarbeiten (mit Spitzen im öffentlichen Sektor, im verarbeitenden Gewerbe und in den privaten Dienstleistungen) (AFI 2020e).

Abb. 2: Folgen der Covid-19-Krise für Arbeitnehmer/-innen (in Prozent)

Quelle: AFI-Barometer 2020.06

5. „Blinde Flecken“ – unzureichend geschützte Kategorien

Die Maßnahmen von Staat und Land haben tausenden von Südtiroler Arbeit­neh­mer/-innen in der Notstandsphase Sozialleistungen mit dem Ziel garantiert, ihr Einkommen zu sichern. Nichtsdestotrotz gab es zahlreiche Kategorien, die vom bestehenden Netz der sozialen Sicherung entweder gar nicht oder nur in unzureichendem Maß aufgefangen wurden. So betrachtet hat die Corona-Krise die bekannten Probleme der prekären Beschäftigung noch deutlicher ans Licht geführt. Diese Schwachstellen hatten den lokalen Arbeitsmarkt und das italienische Wohlfahrtssystem mit seinem sehr komplexen, heterogenen und fragmentierten System sozialer Leistungen bereits vor „Corona“ belastet.

In eine erste Risikogruppe fallen all jene, die bei Ausbruch des gesundheitlichen Notstandes nicht beschäftigt waren: Personen auf Arbeitssuche oder in Erwartung, von früheren Arbeitgeber/-innen wieder zur Saisonarbeit bestellt zu werden; Personen mit sehr fragmentierten beruflichen Laufbahnen und meist kurzen Arbeitsverhältnissen. Diese Personen hatten bereits vor der Krise einen prekären Stand am Arbeitsmarkt bzw. deren Lage hat sich durch den Notstand noch weiter verschärft.

Zur zweiten Risikogruppe gehören die Arbeitslosen: Zwar hatte eine Maßnahme im Dekret „Neustart“ die Dauer der Auszahlung der Arbeitslosengelder „NASPI“ und „DIS-COLL“ (die Arbeitslosenunterstützung für Projektmitarbeiter/-innen) verlängert. Doch Menschen, die im Lockdown arbeitslos waren, hatten auch nach Ablauf des verlängerten Arbeitslosengeldes kaum eine Möglichkeit, eine neue Beschäftigung zu finden.

Auch die Leiharbeiter/-innen fielen in die gefährdeten Kategorien. Sie hatten nur Zugang zu den Abfederungsmaßnahmen, wenn sie vor der Aussetzung bzw. Reduzierung der Arbeitstätigkeit ein Arbeitsverhältnis vorweisen konnten. War der/die Leiharbeiter/-in hingegen bei Ausbruch des Notstandes unbeschäftigt und somit zeitweise nicht tätig, hatte er/sie mit dem Argument, dass kein Lohnverlust vorläge, keinen Anspruch auf Lohnergänzungsmaßnahmen.

Um Menschen mit befristeten Arbeitsverträgen unter die Arme zu greifen, hat das Dekret „Neustart“ Unternehmen bei der Anwendung von qualitativ angemessenen Flexibilitätsformen unterstützt. So wurde die Erneuerung oder Verlängerung von befristeten Verträgen, die am 23. Februar bestanden, vorübergehend bis zum 30. August 2020 ohne Sachgrund ermöglicht. Zwar handelte es sich dabei um eine nützliche Maßnahme – dennoch hatten die auf Zeit beschäftigten Arbeit­neh­mer/-innen nach diesem Stichtag kaum die Möglichkeit, einen weiteren befristeten oder sogar unbefristeten Vertrag zu erhalten.

Junge Menschen waren einem erhöhten Risiko ausgesetzt, da sie genau in jenen Branchen stark vertreten sind, die über Monate ihre Tätigkeit einstellen mussten. Außerdem beziehen sie aufgrund des geringen Dienstalters und der fragmentierten Laufbahnen niedrigere Löhne und verfügen in der Regel über geringe Ersparnisse.

Viele Frauen, die Arbeit und Kinderbetreuung während der monatelangen Schließung der Schulen nicht vereinbaren konnten, drohten aus dem Arbeitsmarkt auszuscheiden. Insbesondere liefen weniger qualifizierte Arbeitnehmerinnen oder solche, die in Krisensektoren tätig oder mit prekären Vertragsformen angestellt waren Gefahr, einen überdurchschnittlich hohen Preis zu zahlen.

Auch Familien mit nur einem Einkommen waren in einer kritischen Lage. Eine solche konnte sich auch sehr schnell zuspitzen, wenn Kinder zu versorgen waren bzw. wenn die gesamte Last auf eine einzelne alleinerziehende Person fiel (AFI 2020f; 2020g).

Die Rückmeldungen von Dienststellen im sozialen Bereich und karitativen Einrichtungen wie Caritas, Vinzenzgemeinschaft oder Mieterschutz bestätigen eine Zunahme der Härtefälle.

Fazit: Momentan übertünchen zwar Kündigungsschutz, Lohnausgleichskasse und Arbeitslosenunterstützung gravierendere Entwicklungen. Doch das Risiko der Spaltung der Gesellschaft ist konkret. Die Bruchlinie eines zweigeteilten Arbeitsmarkts, welcher zwischen „geschützten“ Arbeitnehmer/-innen und solchen mit ­geringem Schutz trennt, wird deutlicher. Darüber hinaus gibt es noch eine dritte Gruppe, die nicht in Arbeit steht (Arbeitslose und Nicht-Erwerbstätige), welche zah­len­mäßig wächst. Es zeichnet sich ab, dass die Corona-Krise eine Verschärfung der Ungleichheit, der Armut und eine Zunahme von Arbeitsplatzinstabilität zurücklässt.

6. Gewinner/-innen und Verlierer/-innen

Die Corona-Krise hat Unternehmen und Wirtschaftszweige in Südtirol unterschiedlich hart getroffen. Einige Wirtschaftsbereiche sogar besonders hart, andere arbeiteten annähernd im Normalmodus, bei anderen wiederum herrschte regelrechte Goldgräberstimmung.

Zu den Umsatzgewinner/-innen in der Corona-Krise zählten Lebensmitteleinzelhandel, Online- und Versandhandel, Hauszulieferung, Softwarehersteller und -händler, Streamingdienste, Onlinemedien, Hersteller/-innen und Vertreiber/-innen von Desinfektionsmitteln, Hygieneartikeln und Schutzausrüstung sowie allgemein Reinigungs- und Desinfektionsfirmen. Diese haben sich an der Covid-19-Pandemie eine goldene Nase verdient. Die Verlierer/-innen im Jahr 2020 waren zweifelsfrei das Gastgewerbe, die Reisebranche, Eventdienstleister/-innen, Veranstalter/-innen, die Kultur-, Sport- und Freizeitwirtschaft (AFI 2020d).

Diese Entwicklungen färbten im Guten wie im Schlechten auf die entsprechenden Belegschaften ab.

Als Gewinner/-innen kann man jene Arbeitnehmer/-innen bezeichnen, die durch die Corona-Krise sogar mehr Arbeit hatten als im Normalbetrieb: Angestellte und Arbeiter/-innen in systemrelevanten oder Boombranchen. Zu einer zweiten Gruppe zählen jene, für die sich durch Corona nur wenig geändert hat. Hier hinein fällt, wer in der öffentlichen Verwaltung oder in der Landwirtschaft arbeitet. Vertretbare finanzielle Abstriche dürften Lohnabhängige aus dem Verarbeitenden Gewerbe oder dem Baugewerbe hingenommen haben. Am stärksten in Mitleidenschaft gezogen wurden Mitarbeitende im Gastgewerbe, prekär Beschäftigte im Allgemeinen sowie Personen mit Migrationshintergrund.

7. Die Rolle der Sozialpartner

Der gesundheitliche Notstand hat auch die Sozialpartner (Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften) überaus durchschnittlich beansprucht. Die Mitglieder verlangten nach Information, Unterstützung und Beratung. Vor dem Hintergrund der Flut an Ministerialdekreten, NISF-Rundschreiben, Verordnungen sowie der Schwierigkeit für die Mitarbeitenden, sich selbst ständig auf den neuesten Wissensstand zu bringen, war dies kein leichtes Unterfangen. Man bedenke, dass kein Parteienverkehr möglich war und selbst Patronate und Steuerbeihilfszentren einen Teil der Belegschaft im Homeoffice hatten.

Neben der Rolle als Dienstleister/-in nahmen Gewerkschaften und Arbeitgeber/-innenverbände auch die wichtige Funktion als entsprechende Interessenvertretung wahr. Ob Konsultationen zu den Lockerungen, Abfederungsmaßnahmen oder Sicher­heitsprotokolle – der Prozess der Entscheidungsfindung im Onlinemodus war alles andere als leicht. Die Gewerkschaften forderten vor allem Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten (Schutzausrüstung, Masken, Trennwände) und beklagten die schleppende Auszahlung sowie die ungenügende Reichweite von sozialen Hilfsmaßnahmen (z. B. für Saisonarbeitskräfte). Die Arbeitgeber/-innenseite drängte auf Locke­rungen, Wiedereröffnungen und Umsatzausgleichsmaßnahmen. Vor allem im vierten Quartal 2020 wurde der Ton von Seiten der Vertretungen von Gastge­werbe und Handel gegenüber der Südtiroler Landesregierung rauer, bis hin zur ­offenen Konfrontation, als es um die Öffnung der Skigebiete in der Wintersaison bzw. um das Weihnachtsgeschäft ging – siehe hds versus Landeshauptmann Arno Kompatscher und Landesrat Philipp Achammer. Offensichtlich sah sich jeder in der Not­situation veranlasst, im Sinne der eigenen Klientel zu agieren.

Wieder mehr Vertrauen in Gewerkschaften

In der schwierigen Zeit des Lockdowns waren Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen rund um die Uhr im Einsatz, um Jobs zu sichern, soziale Abfederung zu garan­tieren und den Menschen mit Information und Beratung zur Seite zu stehen. Diese Bemühungen sind offensichtlich auf fruchtbaren Boden gefallen. In der Herbst­befragung 2020 des AFI-Barometers wollte das Institut von den Interviewten wissen, von welchen Organisationen Südtirols Arbeitnehmer/-innen ihre Interessen am besten vertreten sehen. Heute sehen diese von den Gewerkschaften ihre Interessen deutlich stärker vertreten, als dies noch vor fünf Jahren der Fall war (die Gewerkschaften holen 19 Prozentpunkte auf und klettern von Platz fünf auf Platz zwei) (AFI 2020h).

Abb. 3: Wie stark verteidigen diese Organisationen heute die Interessen der Arbeitnehmer/-innen (in Prozent)?

Quelle: AFI-Barometer 2020.09

8. Die Rolle von Forschung und Statistik

Ein ungewöhnliches Jahr war 2020 auch für die lokalen Statistik- und Forschungsinstitute, die dazu angehalten waren, einen guten Teil der Jahresprogrammierung umzustellen. Noch zu Jahresbeginn 2020 prognostizierten die Institute für die Südtiroler Wirtschaft für das angefangene Jahr eine mäßige Wirtschaftsentwicklung. Das ASTAT hatte keine Prognose gestellt, das WIFO schätzte +1,4 Prozent, das AFI +1,0 Prozent. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und der Voll­beschäftigung war der Fachkräftemangel das dominierende Thema in Land. Die Landesabteilung Arbeit wollte zu Jahresbeginn eine Arbeitskräftelücke von 50.000 Personen für die Südtiroler Wirtschaft bis zum Jahr 2040 errechnet haben. Die Situation sollte sich in den Folgemonaten radikal ändern. Mit Ausbruch der Pandemie revidierten ASTAT und WIFO ihre BIP-Prognosen in mehreren Schritten nach unten, das ASTAT zuletzt im Oktober 2020 (auf zwischen – 7,2 und – 11,3 Prozent) (ASTAT 2020), das WIFO zuletzt im Dezember (auf – 10,0 Prozent) (Handelskammer Bozen 2020). Das AFI hatte im Frühjahr die Grundsatzentscheidung getroffen, erst im Spätherbst eine Prognose zu stellen. Im November 2020 prognostizierte das AFI für Südtirol im Jahr 2020 eine BIP-Entwicklung von – 6,5 Prozent (AFI 2020h). Schwierig war auch die Einschätzung der Entwicklung der Arbeitslosenzahlen. Im Frühjahr kam von Seiten der Abteilung Arbeit die Einschätzung, im September sei unter Umständen „kein Arbeitsplatz mehr sicher“ – eine Einschätzung, die glücklicherweise durch die Streckung der Lohnausgleichskasse nicht eintreffen sollte. Ebenfalls sollte sich die Prognose des geschäftsführenden Leiters der Abteilung bezüglich der Arbeitslosenrate (zwischen sechs und neun Prozent) nicht bewahrheiten. Im April 2020 schlug das AFI als gemeinschaftliches Projekt vor, einen Krisen­monitor zu entwickeln (AFI 2020c), um den Verlauf der Krise und die Wirksamkeit der Gegensteuerungsmaßnahmen besser einschätzen zu können. Im Juli 2020 fiel im Landesstatistikkomitee die Entscheidung, unter der Federführung des ASTAT eine Covid-19-Internetseite einzurichten, welche auf die Homepages der einzelnen Institute und Produkte verweist. Im gesamten Jahresverlauf wurden sowohl Ergebnisse aus Umfragen als auch aus Analysen von Verwaltungsdaten vorgestellt. Diese sollten allerdings nie zu einer gemeinschaftlichen Synthese zusammenfinden und einem gemeinsamen Bewertungsprozess unterzogen werden.

9. Eine vorläufige Bilanz 2020

Bildlich ausgedrückt lässt sich das Jahr 2020 für die Südtiroler Wirtschaft mit einer Achterbahnfahrt vergleichen. Aus Arbeitnehmer/-innensicht und in Summe aller Monate betrachtet sind die Einschnitte verträglich: Die Zahl der Arbeitnehmer/-innen ist im Jahresschnitt um etwas mehr als 7.000 Personen zurückgegangen – das entspricht – 3,5 Prozent zu 2019 (Autonome Provinz Bozen – Südtirol 2020). Dass der Rückgang nicht stärker ausgefallen ist, ist den gesetzlichen Interventionen (Kündigungsverbot) und den Abfederungsmaßnahmen (Lohnausgleichskasse) geschuldet. Die Verlierer/-innen der Krise sind in erster Linie Saisonarbeiter/-innen und prekär Beschäftigte, welche um – 17,6 Prozent abgenommen haben, in zweiter Linie Per­sonen mit ausländischer Staatsbürgerschaft (– 12,0 Prozent). Im Wesentlichen hat Südtirol einen Teil an Arbeitslosigkeit exportiert. Nicht zuletzt, Niedrigqualifizierte und Jugendliche. Die Einkommensverluste konzentrierten sich jedenfalls auf die neuen Arbeitslosen, sprich auf die weniger geschützten Kategorien. Personen, die in den Lohnausgleich überstellt wurden, konnten immerhin mit maximal 80 Prozent des Lohns, gedeckelt auf ca. 1.200 Euro pro Monat rechnen. Die eingeschränkten Konsummöglichkeiten führen dazu, dass Arbeitnehmer/-innen, die ununterbrochen unter Vertrag standen, unter Umständen mit ihrem Einkommen sogar leichter bis ans Monatsende kamen als vor der Pandemie.

10. Kritik am Krisenmanagement

Krisenmanagement ist keine leichte Aufgabe – man fährt auf Sicht. Deshalb ist es auch vermessen, im Nachhinein zu urteilen, wissend, welche Ereignisse tatsächlich eingetroffen sind. Dennoch ist es wichtig, einige kritische Bemerkungen in Bezug auf das Krisenmanagement anzubringen.

Stichwort Kommunikation: Von vielen Seiten beanstandet wurde der Umstand, dass von den politischen Entscheidungsträger/-innen nicht immer klar vermittelt werden konnte, welche Regeln nun zu beachten seien. Stichwort Nachvollziehbarkeit: Nicht alle Einschränkungen waren für die Bürger/-innen nachvollziehbar. Stichwort Rechtssicherheit: Einen Höhepunkt erlebte die unzureichende Rechtssicherheit, als nicht klar war, ob die Polizeikräfte nach gesamtstaatlichen oder lokalen Regeln überwachen und strafen sollten. Stichwort Geradlinigkeit: Die Südtiroler Landes­regierung fuhr einen Zick-Zack-Kurs, weil sich Neuansteckungszahlen und Umfeld-Bedingungen stets anders entwickelten als angenommen und weil Interessengruppen fleißig mitbestimmten.

Von Arbeitgeber/-innenseite wurde beanstandet, dass die Verlustbeiträge bei wei­tem nicht die Umsatzeinbußen deckten. Von Arbeitnehmer/-innenseite wurde be­anstandet, dass auf Ankündigungen die Umsetzung nur selten zeitnah folgte. Konkret sichtbar wurde die Fehlanpassung zwischen Ankündigung und Umsetzung in der Auszahlung der Gelder der Lohnausgleichskasse von Seiten des Nationalen Fürsorge­instituts NISF (INPS). Die Trägheit des Staats in der Umsetzung der Entscheidungen nagt an der Glaubwürdigkeit desselben. Bereits zu Beginn der Pandemie hätte ein Krisen-Monitoring implementiert werden sollen, welches den Pandemieverlauf zahlenmäßig abbildet und als Entscheidungsgrundlage fungiert, um entsprechend wirtschaftspolitisch gegenzusteuern.

Die Qualität der politischen Entscheidungen hat sich im Zeitverlauf verschlechtert. Während in der ersten Phase ganz klar der gesundheitliche Notstand im Vordergrund stand, verstanden viele in der zweiten Jahreshälfte nicht mehr genau, bis zu welchem Punkt die Entscheidungen von Interessensverbänden, Medien, Virolog/-innen oder Politiker/-innen getroffen wurden.

Die zweite Infektionswelle wurde unterschätzt. Sie wurde von Fachleuten zwar angekündigt, dass sie aber mit einer solchen Wucht und Geschwindigkeit kommen würde, hat auch die namhaftesten internationalen Expert/-innen überrascht. Heli­koptergeld dürfte in der ersten Phase gerechtfertigt gewesen sein, zumal des psychologisch beruhigenden Effekts, weniger aber im zweiten Lockdown. Eine Diskussion über höhere Treffsicherheit der eingesetzten Finanzmittel hat in der zweiten Phase nicht stattgefunden.

Die größte Kritik gilt natürlich der Bevölkerung selbst, bzw. jenem Teil, der durch unverantwortliches Handeln die Verbreitung des Virus gefördert hat, anstatt die Ansteckungswelle zu stoppen.

11. Ausblick auf 2021

Die Entwicklung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt im Jahr 2021 ist sehr stark an den weiteren Pandemieverlauf gekoppelt. Die Perspektive ist, dass durch das Zusammenspiel von Herdenimmunität und Durchimpfung (vor allem der Risikogruppen) die gesundheitliche Notlage schrittweise unter Kontrolle gebracht werden kann. Nach heutigem Wissensstand dürfte mit dem Ansteigen der Temperaturen im Frühsommer das Schlimmste überstanden sein, zumindest so weit, dass das normale Wirtschaftsleben wiederaufgenommen werden kann. Auch ist anzunehmen, dass es selbst im Fall einer dritten Pandemiewelle keine ähnlich einschneidenden Einschränkungen auferlegt werden wie dies im ersten Lockdown der Fall war. Mit Blick auf die bröckelnde Wirtschaft ist dies immer weniger vertretbar (BIP-Rückgang, Schuldenlast für nachkommende Generationen). Die Entwicklung in Südtirol hängt nach wie vor stark von den Entscheidungen auf gesamtstaatlicher Ebene ab. So ist bereits jetzt absehbar, dass die italienische Regierung (welche auch immer diese sein mag) den Notstand bis Ende Juli 2021 ausdehnt. Die nationalen Gewerkschaften werden darauf drängen, das Kündigungsverbot ebenfalls bis Auslaufen des Notstands zu verlängern. Das ist auch der Grund, warum es bis dahin zu keiner Kündigungswelle kommen wird. Selbst bei teilweiser Lockerung des Kündigungsverbots wird die italienische Regierung alles daransetzen, die Beschäftigung zu stützen. Am wahrscheinlichsten ist eine Befreiung der Sozialabgaben für Unternehmen.

Die wirtschaftliche Erholung dürfte regional differenziert ausfallen. Die Konjunkturzyklen dürften asynchron laufen, nicht nur zwischen Südtirol und Italien, sondern auch international. Überhaupt wird man 2021 auf internationaler Ebene erleben, dass sich das Stadium der Erholung zeitlich unterscheidet. So findet sich ­China zu Jahresbeginn 2021 bereits im Aufschwung, während den USA das Schlimmste der Pandemiewelle noch bevorsteht. Die wirtschaftspolitische Kosten-­Nutzen-Abwägung wird darin bestehen, zwischen Schutz vor Erwerbslosigkeit und Verarmung auf der einen Seite und Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und soliden öffentlichen Haushalten auf der anderen zu balancieren. Neben der Abfederung der Negativwirkungen wird man einen gewissen Grad an Transformation zulassen müssen. Dies birgt die Schwierigkeit, den idealen Zeitpunkt zu bestimmen, wann man mit dem Zurückfahren der Schutzmechanismen beginnt. Ob ein „Südtiroler Weg“ auch bei der Lohnausgleichskasse und beim Kündigungsverbot denkbar ist?

Unabhängig von der aktuellen, von der Pandemie bedingten Lage, ist es sinnvoll, dass Südtirol die aktive Arbeitsmarktpolitik stärkt. Die Voraussetzungen hierfür hat die Südtiroler Landesregierung bereits im Laufe des Jahres 2020 geschaffen. Die Stärkung der aktiven Arbeitsmarktpolitik ist nicht nur dem Pandemieverlauf geschuldet, sondern stellt, bedingt durch den demografischen Wandel und die Anforderungen der neuen Arbeitswelt, eine langfristige Herausforderung dar.

Ende 2021 wird die Corona-Pandemie Geschichte sein. Das Land wird zwar keine Massenarbeitslosigkeit erleben, aber wesentlich stärker verschuldet und in seiner Wettbewerbsfähigkeit geschwächt sein. Wie die Rückzahlung der Schuldenlast sozial gerecht abgewickelt und gleichzeitig internationale Wettbewerbsfähigkeit wiederaufgebaut werden kann, das ist die zentrale Frage der nächsten Jahre.

12. Lehren aus der Corona-Krise

Vieles hat Corona in nur sehr kurzer Zeit verändert: Grundeinstellungen, Kon­sumgewohnheiten, Arbeitsweisen, Formen der Organisation, Prioritäten. Geschärft wurde der Blick für die systemrelevanten Berufe. Denken wir an die „Helden des Alltags“, die im Kampf gegen die Pandemie an vorderster Front standen. Im Rückblick betrachtet war es wohl die beste Imageoffensive für das reformgebeutelte Südtiroler Gesundheitswesen. Die Diskussion um die Auflassung der Kleinkrankenhäuser dürfte für geraume Zeit vom Tisch sein. Als unentbehrlich wurden Sozial- und Pflegeberufe erkannt. Die ständige Berichterstattung hat den Blick auf Arbeitsbedingungen und Belastungsfaktoren in diesen Branchen geschärft. Gestiegen ist das Ansehen von Lehrer/-innen. Die Bedeutung von Präsenzunterricht ist nunmehr unumstritten. Kinderbetreuung wird als systemrelevant betrachtet, weil sie Müttern (und Vätern) ermöglicht, beruflich tätig zu sein. Kann dies ein Vorbote für ein verbrieftes Recht auf Kinderbetreuung sein?

Entdeckt wurden die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der Digitalisierung. Homeoffice hat in kürzester Zeit in den Haushalten Einzug gefunden – doch Homeoffice und Homeschooling bei gleichzeitiger Ausgangsbeschränkung, das funktioniert nicht. Webinare und Onlinesitzungen bieten Alternativen, um Zeit und Dienstreisen einzusparen, ersetzen aber nicht den persönlichen Kontakt. Der Mensch ist eben ein soziales Wesen. Homeoffice funktioniert, aber nicht überall und als Fünf-Tage-Lösung: Ein Betrieb lässt sich nicht weiterentwickeln, wenn alle Mitarbeiter/-innen im Homeoffice sind.

Neu aufgewertet wurde die Familie. Sie gibt Halt, wenn die Zeiten schwierig sind und sie schenkt viele Freuden. Neu geschätzt wurde die Notwendigkeit sozialer Kontakte, von Freunden und Verwandten. Nicht umsonst ist „einfach mal wegfahren“ und „Freunde treffen“ eines von drei Dingen, auf die sich Südtirols Arbeit­nehmer/-innen freuen, wenn Corona einmal vorbei ist.

Verändert hat sich das Konsumverhalten: Zulieferung, Online-Käufe und Nutzung von Streamingdiensten wurden zum Standard. Der Lockdown hat den Wohnungsmarkt verändert. Das Homeoffice erfordert ein abgegrenztes Arbeitszimmer; Balkon und Terrasse stehen im Trend, „Hotel-Feeling in die Wohnung bringen“ wurde Mode.

Gestärkt wurde – hoffentlich – das Systemdenken der gesellschaftlichen Akteur/-innen: dass und wie alles zusammenhängt. Wer Frauenerwerbstätigkeit fördern will, muss Kinderbetreuung sicherstellen, Mensadienste anbieten, öffentlichen Transport garantieren, über Sensibilisierungsaktionen Väter in die Pflicht nehmen. Funktioniert nur ein Glied nicht, funktionieren Frauenerwerbstätigkeit und Gleichberechtigung nicht.

Aufgewertet wurde die Rolle des Staats und der Europäischen Union als letzte Instanzen zur Bewältigung von Krisen. Selbst Kreise, die eher den Rückzug des Staats von der Wirtschaft forderten, riefen in der Corona-Pandemie nach der öffentlichen Hand. Wichtig ist diesbezüglich, dass jene, die heute die Hand nach Finanzierungen und nach Hilfe ausstrecken, nicht morgen wieder den Staat anfeinden, wenn es darum geht, die Schuldenlast sozial gerecht abzuwickeln.

Der Lockdown wird sehr oft mit dem Bild des Stillstands verbunden. Doch 2020 als Jahr des Stillstands zu betrachten, das wäre falsch. Das Gegenteil ist der Fall: 2020 war wohl eines der dynamischsten und kreativsten Jahre der letzten Jahrzehnte. Was da stattgefunden hat, war ein gewaltiger Prozess „schöpferischer Zerstörung“ im Sinn des Innovationstheoretikers Joseph Alois Schumpeter. Die Innovativen unter den Unternehmer/-innen überdachten ihr Geschäftsmodell, suchten neue Geschäftsfelder, experimentieren mit neuen Arbeitsmodellen, hielten Ausschau nach neuen Märkten und testeten neue Vertriebskanäle. In kurzer Zeit fand ein Digitalisierungsschub in ungeahntem Ausmaß statt. Dieser Strukturwandel vollzog sich schleichend, unabhängig von Kündigungsverbot und Lohnausgleich. In der Unmöglichkeit, externe Flexibilität wirken zu lassen, hat innere Flexibilität (innerhalb der Organisation) gewirkt. Corona hat in diesem Sinne auch als Probebank für die Anpassungsfähigkeit von Unternehmen und Organisationen, aber auch der Arbeit­neh­mer/-innen gewirkt. Durch den optimalen Einsatz von Mensch, Technologie und Organisation könnte Südtirol jenen Produktivitätsschub erhalten, den es für die nachhaltige Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des Landes braucht – mit weniger Personalbedarf.

Abb. 4: Zahl Arbeitnehmer/-innen nach Monaten (Jahr 2020, Veränderung zum Vorjahr in Prozent)

Quelle: Beobachtungsstelle für den Arbeitsmarkt, Auswertung AFI

Abb. 5: Zahl Arbeitnehmer/-innen nach Wirtschaftssektor (Jahr 2020, Veränderung zum Vorjahr in Prozent)

Quelle: Beobachtungsstelle für den Arbeitsmarkt, Auswertung AFI

Abb. 6: Zahl Arbeitnehmer/-innen nach Staatsbürgerschaft und Vertragssituation (Jahr 2020, Veränderung zum Vorjahr in Prozent)

Quelle: Beobachtungsstelle für den Arbeitsmarkt, Auswertung AFI

Abb. 7: Auf was sich Südtirols Arbeitnehmer/-innen freuen

Quelle: AFI-Barometer 2020.12

Anmerkungen

1 Mein Dank geht an Silvia Vogliotti und Tobias Hölbling für die Unterstützung in der Recherche und das Endlektorat.

Literaturverzeichnis

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Autonome Provinz Bozen-Südtirol (2020), Arbeitsmarktbericht Südtirol. Mai – Oktober 2020, Nr. 2, www.provinz.bz.it/arbeit-wirtschaft/arbeit/statistik/arbeitsmarktberichte.asp (08.02.2021)

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