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Stefan Perini

Auf der Suche nach neuen Gleichgewichten: Wirtschaftspolitik in Südtirol

1. Einleitung

Die Volkswirtschaft ist ein komplexes Fachgebiet. Komplex deshalb, weil in irgendeiner Form alles mit allem zusammenhängt. Entsprechend schwierig ist es, das Geschehen auf die wirtschaftspolitisch relevanten Fakten einzugrenzen. Wirtschaftspolitische Wirkungen gehen von Maßnahmen aus, die in anderen Sachgebieten (man denke an die Raumordnung, ans Bildungswesen usw.), auf anderer Ebene (auf der europäischen oder der nationalen) oder zu früherer Zeit getroffen wurden (Investitionsprogramme, neue Bestimmungen am Arbeitsmarkt, die erst zeitverzögert greifen usw.).

Dieser Beitrag setzt sich das Ziel, die neuen Weichenstellungen der Südtiroler Wirtschaftspolitik seit der Wahl des neuen Landeshauptmanns Arno Kompatscher zu beschreiben, und zu erörtern, wie sich die Governance der Wirtschaftspolitik in Südtirol, auch im Zuge des verkündeten „neuen politischen Stils“ verändert hat. In diesem Beitrag geht es vor allem darum, die maßgebenden Weichenstellungen zu beleuchten und wirtschaftspolitisch zu deuten. Themen wie Raumordnung, Gesundheitsreform oder Verwaltungsinnovation werden nur gestreift, obwohl sie zweifelsfrei viele Schnittstellen zur Wirtschaftspolitik bieten.

Diese Abhandlung erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, sondern versucht, den Entwicklungsprozess der Südtiroler Wirtschaftspolitik in einer sehr delikaten Übergangsphase – nämlich jener von der „Ära Durnwalder“ zur „Ära Kompatscher“ – zu deuten. Interessant ist vor allem die Grundphilosophie, die den beiden wirtschaftspolitischen Ausrichtungen zugrundeliegt1.

Der vorliegende Beitrag wurde in den ersten Januartagen 2015 verfasst. Dies bietet den Vorteil, dass die Schwerpunkte des nationalen Stabilitätsgesetzes und des Landeshaushaltsvoranschlages 2015 – beide erst in den letzten Dezembertagen 2014 verabschiedet – in den Überlegungen eingearbeitet werden konnten. Das Abwarten auf diese programmatischen Dokumente dürfte sich insofern gelohnt haben, als dass sie den normativen und wirtschaftspolitischen Rahmen für das Jahr 2015 besser abzubilden vermögen.2

2. Die lokale Wirtschaftspolitik in der Ära Durnwalder

Die Wirtschaftspolitik in den letzten 20 Jahren ist weitgehend gleichzusetzen mit der Ära von Alt-Landeshauptmann Luis Durnwalder. Dementsprechend ist der Aufstieg Südtirols zu einer der reichsten Regionen Europas maßgeblich als politischer Erfolg einer Person wie Luis Durnwalder zu werten.

Heute zählt Südtirol zu den wohlhabendsten Regionen Europas. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf reiht sich die Provinz Bozen von den 272 Regionen der Europäischen Union an 20. Stelle (Eurostat Pressemitteilung 2014). Gleichsam wird der Provinz Bozen eine hohe Lebensqualität bescheinigt. In den Ende 2014 erschienenen nationalen Rankings reiht sich die Provinz Bozen an zweiter (Italia Oggi 2014) bzw. an zehnter Stelle (Il Sole24Ore 2014).

Grund für die langfristig überdurchschnittlich gute wirtschaftliche Entwicklung ist das Zusammenspiel mehrerer Faktoren (WIFO Wirtschaftsforschungsinstitut 2012). Die günstige geografische Lage Südtirols an den Hauptdurchzugsachsen mit entsprechend guter Erreichbarkeit, die Lage als Grenzgebiet, welche den Außenhandel begünstigt, die Zweisprachigkeit, welche für ausländische Unternehmen, die den italienischen Markt bearbeiten wollen, auch heute noch Hauptgrund für ihre Ansiedlung ist. Die intakte Landschaft, eine Raumentwicklung mit Maß, das starke Augenmerk für die Entwicklung von strukturschwachen Gebieten und für eine lückenlose Grundversorgung in der Peripherie sind die Basis für Lebensqualität und für die touristische Entwicklung. Die Wirtschaftsstruktur ist relativ ausgewogen, sowohl horizontal (betreffend die Verteilung nach Wirtschaftssektoren) als auch vertikal (Verteilung der Betriebsgrößen). Neben dem Export bringt der gut entwickelte Tourismus Kaufkraft ins Land und sorgt für Einkommen, die zwar vorwiegend im Haupterwerb erzielt werden, oftmals aber auch im Nebenerwerb (Ferienwohnungen, Saisonjobs, Aushilfsjobs). Der bis vor Ausbruch der Wirtschaftskrise 2008 gut dotierte Landeshaushalt bot Spielraum für ein massives Investitionsprogramm, vor allem im Bereich der öffentlichen Bauten aber auch im sozialen Wohnbau. Durch Ausreizen der verschiedenen Möglichkeiten zur Teilnahme an EU-Programmen (Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), Europäische Sozialfonds (ESF) konnte weitere Kaufkraft von außen ins Land geholt werden.

Die Governance der Wirtschaftspolitik in der Durnwalder-Ära war geprägt von der Suche nach dem größtmöglichen politischen Konsens in der Bevölkerung. Unpopuläre Entscheidungen wurden selten getroffen, den Belangen der Bevölkerung in der Peripherie (und der Landwirtschaft in besonderem Maße) wurde größte Aufmerksamkeit eingeräumt. Themen wie die kleinbetriebliche Wirtschaftsstruktur und die Nahversorgung waren in der Agenda nicht nur weit oben angesiedelt, sondern wurden auch mit Nachdruck weiterverfolgt, teilweise auch durch Regelungsinstrumente (eigene Handwerksordnung, eigene Handelsordnung). Begünstigend auf diese Art von Wirtschaftspolitik wirkte sich auch aus, dass eine wahre und vollständige Steuerautonomie nie angestrebt wurde. Es schien politisch opportun, eine Art Mischform aufrechtzuerhalten: Rom setzte die Steuern fest – Südtirol bekam über die Bestimmungen des Autonomiestatuts rund 90 Prozent des lokal generierten Steueraufkommens zurück.

Die Wirtschaftspolitik der Durnwalder-Ära hatte auch ihre Schattenseiten: Eine mitunter zügellose Landesförderpolitik richtete sich – so auch im Bereich der Wirtschaftsförderung – nach dem Gießkannenprinzip und war in erster Linie dafür ausgelegt, eine breite Akzeptanz in der Unternehmerschaft zu finden.

Durch den Umstand, dass die Entscheidungsbefugnis recht zentralistisch gehandhabt wurde, entwickelte sich mit der Zeit ein System, dem Demokratiedefizite nachgesagt und umgangssprachlich als „Bittstellerpolitik“ bezeichnet wurde.

In der Legislatur 2008–2013 mehrten sich die Zeichen, dass dieses festgefahrene System den neuen Herausforderungen (der neue rechtliche Rahmen in der EU und in Italien, Stabilitätspakt, Monitoring der Finanzgebarung und verstärkte Achtsamkeit des Rechnungshofs) nur mehr bedingt gewachsen ist und dass es dringend erneuerungsbedürftig ist.

3. Der Referenzrahmen für die lokale Wirtschafspolitik

3.1 Das europäische Umfeld

Südtirol ist Teil von Europa – und als solcher direkt involviert im fortschreitenden Integrationsprozess der Europäischen Union. Die europäische Integration mani­festiert sich durch die Produktion von Rechtsnormen (Verordnungen, Richtlinien) durch die Institutionen der EU, durch die wirtschafts- und geldpolitischen Weichenstellungen, aber auch durch das allgemeine wirtschaftliche konjunkturelle Umfeld im Euroraum.

Was den normativen Aspekt anbelangt ist erstaunlich, in welchem Ausmaß das nationale Rechtssystem heute von Normen durchdrungen ist, die in Brüssel bzw. Straßburg verabschiedet werden. Unionsrecht determiniert etwa 60 Prozent des Rechts der Mitgliedsstaaten. Im Bereich des Wirtschaftsrechts sind es sogar circa 80 Prozent (Obwexer 2014). Italien erkennt in Artikel 10 seiner Verfassung klar die internationalen Verpflichtungen und europäischen Vereinbarungen als Teil seiner Rechtssystems an. Für Südtirol bedeutet dies, dass der rechtliche (und mitunter auch operative) Handlungsspielraum, der durch das Autonomiestatut erkämpft wurde, immer stärker durch die Europäische Union und weniger durch Rom unterminiert wird. Als Beispiel sei das öffentliche Vergabewesen genannt, das im weiteren Sinne immerhin noch als Teil der Wirtschaftspolitik angesehen werden kann. Öffentliche Ausschreibungen können in Südtirol zwar durch ein eigenes Landesgesetz geregelt werden, müssen aber den Prinzipien entsprechen, die auf europäischer und nationaler Ebene definiert sind.

Der stärkste wirtschaftspolitische Eingriff der EU in die nationale Sphäre betrifft natürlich die Geldpolitik, die seit Einführung der Gemeinschaftswährung zentral von Brüssel aus gestaltet wird. Wirtschaftspolitisch gesehen ist der Eingriff in die nationale Souveränität bedeutend, zumal der Staat damit einen der beiden wirtschaftpolitischen Hebel (der andere ist die Fiskalpolitik) aus der Hand gibt. Heute bestimmt die Europäische Zentralbank (EZB) nicht nur den Referenzzinssatz, sondern greift auch auf unkonventionelle Maßnahmen der Geldpolitik zurück mit dem Ziel, die Konjunktur wieder anzuschieben. Aber auch Kontrollmechanismen des Bankensystems sind auf europäischer Ebene angesiedelt – man denke an die Kreditrichtlinie Basel III oder an die Stresstests für Großbanken.

Die wirtschaftspolitische Ausrichtung in Europa ist, gerade mit Überschwappen der US-Finanzkrise auf Europa Ende 2008, sehr stark auf die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte fokussiert. Viel strenger als früher wird von den Mitgliedsstaaten, auch angesichts des Drucks der Finanzmärkte, die Einhaltung der Stabilitätskriterien des Maastrichts-Vertrags (unter anderem die Neuverschuldungsquote von maximal 3 Prozent des BIP und die Staatsverschuldung von maximal 60 Prozent des BIP) eingefordert (Perini 2015). Die Wirtschaftspolitik in Europa folgt dem monetaristischen wirtschaftstheoretischen Denkansatz, der besagt, dass sich der Staat, insbesondere wenn er hoch verschuldet ist, auf die Kernaufgaben beschränken und das wirtschaftliche Geschehen der Privatwirtschaft überlassen soll: Eindämmung der öffentlichen Ausgaben, Austerität und Privatisierung sind die Maximen der Zeit.

3.2 Das nationale Umfeld

Innerhalb des Euroraums ist Italien Schlusslicht in Punkto Wirtschaftswachstum im letzten Jahrzehnt. Die Staatsverschulung Italiens übertrifft seit mindestens zwanzig Jahren 100 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts mit der negativen Perspektive, im Jahr 2014 die 130-Prozent-Marke zu überschreiten (International Monetary Fund 2014). Das Problem des italienischen Staatshaushalts ist weniger der Primärsaldo (Differenz zwischen Staatseinnahmen und Staatsausgaben), sondern die hohe Zinslast als Folge des angesammelten Schuldenbergs. Im Zuge der Wirtschaftskrise ist die Arbeitslosenrate in Italien bis zu Jahresende 2014 auf 12,9 Prozent geklettert – die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 42,0 Prozent (Eurostat Pressemitteilung 2015).

Vor dem Hintergrund dieses makroökonomischen Szenarios und angesichts des Drucks vonseiten der EU und der Finanzmärkte ist offensichtlich, dass der Staat alles daran setzen muss, die Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs zu bringen, den Staatshaushalt zu sanieren und die Arbeitslosigkeit einzudämmen. Dies mit dem mittelfristigen Ziel, die teilweise verlorene Wettbewerbsfähigkeit des nationalen Produktionssystems wiedergutzumachen.

Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte ist aktuell das wirtschaftspolitisch prägende Thema in Italien. Welch hohen Stellenwert dieser Aspekt einnimmt, ist dadurch verdeutlicht, dass die italienische Verfassung sogar dahingehend umgeändert wurde (Art. 97, Komma 1), und auf einmal eine ausgeglichene Finanzgebarung als das oberste Ziel der öffentlichen Verwaltung definiert ist.

Finanzmärkte und EU fordern von Italien vor allem eines: Reformen. Diese will Ministerpräsident Matteo Renzi – seit 22. Februar 2014 im Amt – auch umsetzen. Reformiert werden sollen das Wahlgesetz, der Arbeitsmarkt, die öffentliche Verwaltung – um nur die wichtigsten zu nennen. Die Arbeitsmarktreform ist bereits 2014 angelaufen. Noch vor Jahresende wurden die ersten beiden Durchführungsbestimmungen erlassen. Von den Finanzmärkten wurde die Wahl von Matteo Renzi zum neuen Regierungschef wohlwollend aufgenommen – man sagt ihm Entscheidungsfreude und Dynamik nach. Der Umstand, dass das Zinsdifferential zwischen italienischen und deutschen Staatsanleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren im Jahresverlauf 2014 wesentlich gesunken ist, eröffnet wieder Spielräume für die eine oder andere wirtschaftspolitische Maßnahme, ohne dass damit der Staatshaushalt weiter belastet würde. Wirtschaftspolitisch erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang der seit 1. Mai 2014 gültige 80-Euro-Bonus für ArbeitnehmerInnen, der Bonus für Wiedergewinnungsarbeiten sowie verschiedene Maßnahmen zur Förderung der Liquidität für Unternehmen (schnellere Zahlung von Verbindlichkeiten der öffentlichen Verwaltung, Kompensationsmöglichkeiten von Forderungen mit Steuerschulden).

Das nationale Umfeld prägt zurzeit die volkswirtschaftliche Entwicklung Südtirols maßgeblich. Makroökonomisch gesehen ist Südtirol mit dem nationalen Markt mindestens gleich stark verflochten wie mit dem Ausland (astatinfo 2014). Es liegt auf der Hand, dass sich die schwache Nachfrage im italienischen Raum negativ auf die Umsatzentwicklung vieler Südtiroler Firmen auswirkt und die Entwicklung der gesamten Südtiroler Wirtschaft negativ beeinflusst.

Noch stärker als die Entwicklungen in der Privatwirtschaft färben die Sparmaßnahmen der italienischen Regierung auf die Situation der Lokalhaushalte ab. Der Staat fordert von den Regionen, insbesondere von jenen mit Sonderstatut, einen immer größeren Beitrag zur Sanierung des Staatshaushalts ein. Der Südtiroler Landeshaushalt wurde ab 2009 mehrere Male gekürzt. Durch die einseitigen Eingriffe des Staates in die Landesfinanzen sind Südtirol in den letzten Jahren immerhin rund 800 Millionen Euro abhandengekommen (Kompatscher 2014).

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass – vorbehaltlich der Sachbereiche, in denen Südtirol autonome Kompetenzen hat – die staatlichen haushaltstechnischen und wirtschaftspolitischen Maßnahmen voll greifen. Doch selbst in den Sachbereichen, die durch das Autonomiestatut der Region Trentino-Südtirol oder den beiden Provinzen Bozen und Trient überantwortet sind, ist der Handlungsspielraum durch die Schranke der Einhaltung von Verfassungsgesetzen, EU-Bestimmungen oder Reformgesetzen eingeschränkt (Sonderstatut 1972, insbesondere Art. 8, 9, 10).

4. Zur aktuellen Gestaltung der Wirtschaftspolitik in Südtirol

Die Übernahme der Wirtschaftsagenden durch den neuen Landeshauptmann Arno Kompatscher erfolgt fast zeitgleich mit Beginn des Jahres 2014. Mit Übernahme der Regierungsverantwortung übernimmt der neue Landeshauptmann im Wesentlichen ein Land, das europaweit sowohl in wirtschaftlicher Hinsicht als in Sachen Lebensqualität gut dasteht. Er übernimmt gleichzeitig aber auch eine Reihe von Baustellen, die zwar nicht wirtschaftspolitischer Natur sind, die aber nicht unerwähnt bleiben dürfen, zumal sie sich im Jahresverlauf als Bremsfaktor für die ordentliche politische Arbeit herausstellen werden.

4.1 Vererbte Baustellen

Politikerrenten: Die noch von der Vorgängerregierung getroffenen Entscheidungen betreffend die rentenmäßige Behandlung der AltmandatarInnen sorgte im Jahresverlauf 2014 für großen Unmut in der Bevölkerung („Wutbürgertum“).

Energiepolitik: Die Vorfälle rund um den SEL-Skandal machen deutlich, dass die Energiepolitik in Südtirol in eine Sackgasse geraten ist. Das Land wird im Jahresverlauf gleich auf mehreren Fronten aktiv. Zum einen durch die vereinbarte Übernahme der ENEL-Anteile an Südtiroler Großkraftwerden. Weiters werden zwischen SEL und Etschwerke Fusionsverhandlungen eingeleitet. Die Wasserableitung für Kleinkraftwerke wird auf eine neue gesetzliche Basis gestellt. Mit der Gesellschaft Eisackwerk werden Gespräche geführt, um eine außergerichtliche Einigung für angeblich widerrechtliche vergebene Konzessionen zu finden.

EU-Projekte: Die Europäische Kommission beanstandet Unregelmäßigkeiten in der Abwicklung von ESF-Projekten beim Land Südtirol. Diese betreffen sowohl die Verfahren für die Genehmigung als auch die Projektkontrolle und -abrechnung. Die Landesregierung stellt zwischenzeitlich die Zahlungen ein. Wirtschaftspolitisch ist dies insofern relevant, da es eine Reihe von Organisationen (darunter auch den Südtiroler Bauernbund, den Landesverband der Handwerker, aber auch Organisationen im sozialen Bereich wie den Katholischen Verband der Werktätigen) mit unbequemen Liquiditätsangelegenheiten sowie mit dem Risiko von Forderungsausfällen konfrontiert. Im Herbst 2014 wird ein Passus in das Omnibusgesetz eingebaut, wonach Projekte, die vollständig umgesetzt wurden, in vollem Umfang ausbezahlt werden. Der Fehlbetrag soll über den Landeshaushalt ausgeglichen werden.

4.2 Die neuen Weichenstellungen

Kompatscher stellt die Weichen für einen neuen politischen Stil, der sich entschieden von jenem des Vorgängers abgrenzen soll. Erklärtes Ziel ist es, behördliche Entscheidungsbefugnisse wieder stärker in die Hand der FunktionärInnen zu übertragen. Die Landesregierung will ihre aktive Rolle am lokalen Markt zurückfahren und sich in erster Linie auf die Rahmenbedingungen konzentrieren. Im Gegenzug zu besseren Rahmenbedingungen und steuerlichen Erleichterungen wird von den wirtschaftspolitischen AkteurInnen ein höheres Maß an Eigenverantwortung eingefordert. Der Diskussionsprozess mit den wirtschaftlichen Interessensvertretungen soll durchaus partizipativ erfolgen.

Als die wesentlichen wirtschaftspolitischen Weichenstellungen im Jahr 2014 können die folgenden gelten:

Wirtschaftspolitik als Chefsache: Es ist die erste und gleichzeitig wichtigste Weichenstellung. Landeshauptmann Arno Kompatscher übernimmt, im Unterschied zu seinem Vorgänger, die Wirtschaftsagenden selbst und erklärt damit Wirtschaft zur Chefsache. Neben den Zuständigkeiten über Industrie, Handel, Handwerk, Tourismus und Dienstleistungen übernimmt Kompatscher auch die wichtigen Sachbereiche Finanzen und Innovation. Damit verschafft er sich einen langen Hebel, um die Wirtschaftspolitik in erster Person zu gestalten.

Neuer politischer Stil: Landeshauptmann Kompatscher kündigt einen neuen politischen Stil an. Gesetzesvorschläge sollen partizipativ erarbeitet werden (sowohl mit der Opposition als auch mit den Sozialpartnern). Für gesellschaftspolitisch wichtige Entscheidungen sollen Instrumente der direkten Demokratie (Volksbefragungen) zum Einsatz kommen. Die Landesregierung soll nicht mehr Ansprechpartnerin für alle Belange sein. Den Führungskräften der öffentlichen Verwaltung soll mehr Verantwortung übertragen – dieselben aber auch stärker in die Pflicht genommen werden.

Eigenverantwortung: Ein bedeutender Ansatz, der dem Credo des neuen Landeshauptmanns entspricht, ist, von den MitbürgerInnen wieder mehr Eigenverantwortung einzufordern. Im Vergleich zur Durnwalder-Ära entspricht dies einer kopernikanischen Wende. Vom paternalistischen Prinzip Durnwalders, nach welchem das Land für alles sorgt, zurück zur Verantwortlichkeit des Einzelnen. Aus wirtschaftspolitischer Sicht bedeutet dies auch, dass sich die Politik aus Sphären zurückzieht, die nicht ihr unmittelbarer Wirkungsbereich sind. Kernaufgabe der Politik ist es, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit wirtschaftliche und soziale Akteure bestmöglich eigenverantwortlich handeln können (Perini 2014).

Landeshaushalt: Um den Landeshaushalt auf solide Beine zu stellen, werden Verhandlungen mit Rom geführt. Der sogenannte Sicherungspakt soll Südtirol Planungssicherheit garantieren. Südtirol soll ab 2014 weniger als in den Jahren zuvor an die Staatskassen zahlen und erhält zusätzlich die Sicherheit, dass die Regierung in Zukunft nicht mehr weitere Gelder einbehält. Die Landesregierung sieht dies durch die Umkehrung des Inkassoprinzips und durch die bilaterale Absicherung Italien–Österreich garantiert (Landespresseamt 2014).

Steuerliche Entlastung: Um die Konjunktur wieder anzukurbeln entscheidet man sich für steuerliche Entlastung. Die Entlastung betrifft in erster Linie die Unternehmen und wird im Wesentlichen über die IRAP (regionale Wertschöpfungssteuer) vorgenommen, die ab 2015 sogar auf 2,68 Prozent gesenkt wird. Das ist das niedrigste Niveau italienweit. Damit entsteht für den Landeshaushalt eine Mindereinnahme von 5 Millionen Euro. Des Weiteren gibt die Landesregierung jene massive IRAP-Entlastung, die die Regierung Renzi per Stabilitätsgesetz 2015 vorgenommen hat, zur Gänze an Südtirols Unternehmen weiter, was einem Verzicht auf nicht weniger als 88 Millionen Euro entsprechen soll (SWZ 2015). Bei der IRPEF (Einkommenssteuer der natürlichen Personen) wird die 2014 beschlossene No-Tax-Area im Jahr 2015 wirksam. Diese sieht die Befreiung vom regionalen IRPEF-Zuschlag für die ersten 20.000 Euro eines jeden Einkommens vor.

Weniger Beiträge: Im Gegenzug zur steuerlichen Entlastung wird das Volumen an Landesbeiträgen zurückgefahren. Als erstes trifft es die Wirtschaftssektoren Tourismus, Handwerk, Industrie, Handel und Dienstleistungen. Per Dekret wird die Annahme und die Behandlung von Beiträgen bis auf Widerruf ausgesetzt. Ab August 2014 werden einige Beitragsarten auch in der Landwirtschaft ausgesetzt.

Rotationsfond anstatt finanzielle Zuwendungen: Für Investitionen soll es in Zukunft in verstärktem Maße Zugang zu günstigeren Krediten geben und nicht Verlustbeiträge. Letztere sollen nicht mehr die Regel, sondern die Ausnahme sein. Im Jahresverlauf wird der Rotationsfond mehrmals mit Geldern der Region aufgestockt.

Schwerpunkt anstatt Gießkanne: Das Prinzip „Beiträge für alle“ soll der Schwerpunktförderung weichen. Unternehmen, die sich in den letzten Jahren gut entwickelt haben, sollen gefördert werden, wie auch solche, die Arbeitsplätze geschaffen haben.

Höhere Eigenbeteiligung: Bei öffentlichen Diensten wird von den NutzerInnen ein höherer Grad an Eigenbeteiligung an den Kosten eingefordert. Umgesetzt wird dies beispielsweise bei der Neumodulierung der Tarife für den Südtirol Pass.

Technologiepark: Der Technologiepark soll entstehen. Dies wurde im Einvernehmen mit den Wirtschaftsverbänden beschlossen. Im Unterschied zu den ursprünglichen Konzepten soll mehr Fläche für die Privatwirtschaft und weniger für die öffentlichen Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden. Die Umsetzung soll im März 2015 anlaufen.

Sonderbetriebe und Agenturen: Wirtschaftspolitisch relevant ist im August 2014 die Ankündigung, die vier Landesgesellschaften TIS (Innovation Park), SMG (Südtirol Marketing) und BLS (Business Location Südtirol Alto Adige) sowie den Handelskammer-Sonderbetrieb EOS (Export Organisation Südtirol) zu einer einzigen Landesgesellschaft zusammenschließen zu wollen. Der Umstand, dass diese Entscheidung im Einvernehmen mit den WirtschaftsvertreterInnen getroffen werden konnte, kann als wichtiger Mediationserfolg gewertet werden.

Ankurbelung der Bauwirtschaft: Die strategisch und konjunkturell wichtigen öffentlichen Investitionen werden nicht gekürzt, sondern zusätzlich forciert. Das Hoch- und Tiefbauprogramm für den Zeitraum 2015–2017 erhält noch zusätzliche Ressourcen. Neben dem Technologiepark stehen in der Landeshauptstadt weitere wichtige Investitionen an (z. B. Bahnhofsareal). Um die Sanierung alter Bausubstanz weiter voranzutreiben, gewährt die Landesregierung ab 1. Juli 2014 Vorschüsse der Absetzbeiträge für Sanierungen privater Wohnbauten (Landespresseamt 2014a). Gegen Jahresende gibt die Landesregierung zusammen mit dem Zusatzrentenfond Pensplan den Startschuss fürs Bausparen.

Neues Vergabegesetz: Südtirol soll ein eigenes Vergabegesetz für öffentliche Aufträge erhalten, das hieb- und stichfest die europäischen und nationalen Vorgaben erfüllt. Der Weg dorthin soll partizipativ unter Einbeziehung der Sozialpartner erfolgen. Inhaltlich sollen Qualität und kurze Verkehrswege stärkeres Gewicht erhalten. Der verwaltungstechnische Aufwand darf in Relation zur Auftragssumme nicht unangemessen sein. Noch vor Jahresende wurde das Grobgerüst des neuen Vergabegesetzes verabschiedet (Landespresseamt 2014b).

Förderung von Hochqualifizierten: Mit dem Ziel, der „Flucht der klugen Köpfe“ entgegenzuwirken und die niedrige Forschungs- und Entwicklungsquote in Südtirol zu steigern, übernimmt das Land bis maximal die Hälfte der Personalkosten für die Neuanstellung von Hochqualifizierten für maximal zwei Jahre. Als hochqualifiziert gilt dabei Personal mit einem Fachlaureat (oder Doktorat) in technisch-wissenschaftlichen Disziplinen (von der Architektur über Biologie, Biotechnologie und Chemie bis zu Informatik und Mathematik) und einer mindestens fünfjährigen Berufserfahrung (Landespresseamt 2014c).

4.3 Die wirtschaftspolitischen Impulse und ihre Wirkung

Die Erfahrung lehrt, dass ein abschließendes Urteil über die Wirtschaftsentwicklung erst mit Veröffentlichung der Daten aus der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung gefällt werden kann. Diese werden aber vom nationalen Statistikinstitut erst mit einem zeitlichen Verzug von rund drei Jahren veröffentlicht.

Allerdings lassen bereits die wirtschaftlichen Eckzahlen, die derzeit für das Jahr 2014 verfügbar sind, einige Schlüsse zu.

Südtirols Wirtschaft dürfte 2014 ein leichtes Wachstum erzielt haben, und zwar in einer Größenordnung von 0 bis +0,5 Prozentpunkten. Die Beschäftigungstendenz ist stabil bis leicht aufwärtsgerichtet und hält die Erwerbstätigenquote Südtirols auf hohem Niveau. Die Arbeitslosenrate beläuft sich zwischen 4,0 und 4,5 Prozent. Die Anzahl der Unternehmen ist leicht steigend. Die Exportwirtschaft bleibt mit einem Zuwachs von 4,3 Prozent in den ersten drei Quartalen 2014 wichtige Konjunkturstütze. Die touristischen Nächtigungen dürften 2014 mit einem leichten Minus von rund 2,0 Prozent zum Vorjahr schließen (AFI 2015). Das Baugewerbe ist nach wie vor angeschlagen, eine Trendumkehr bahnt sich allerdings immer stärker an. In der Kreditwirtschaft steht einer anhaltend positiven Entwicklung der Privatkredite eine schleppende Vergabe von Unternehmenskrediten gegenüber, allerdings mit abnehmender negativer Tendenz in der zweiten Jahreshälfte. Das Zinsniveau bleibt auch in Südtirol niedrig, auf einer Linie mit der europäischen Entwicklung. Die Inflationsrate bleibt in Südtirol einige Dezimalpunkte über jener auf europäischer und nationaler Ebene und jedenfalls im positiven Bereich. 2014 ist gekennzeichnet von einigen größeren Konkursen und Betriebskrisen (beispielhaft genannt seien Memc–Sun Edison oder Hoppe), die allerdings durch das gute Zusammenspiel zwischen Land und Sozialpartnern aufgefangen werden konnten.

Die Zeichen für die Südtiroler Wirtschaft im Jahr 2014 stehen auf Stabilität: Das ist das Gesamtbild, das sich aus der Zusammenschau der Faktoren ergibt. Es wäre aber unangemessen, daraus abzuleiten, dass die wirtschaftspolitischen Impulse, die von der neuen Landesregierung gesetzt worden sind, wirkungslos geblieben sind. Zum einen, weil die Südtiroler Wirtschaft eingebunden ist in ein komplexes nationales und internationales Umfeld, zum anderen weil wirtschaftspolitische Impulse erfahrungsgemäß erst zeitverzögert Wirkung zeigen.

5. Perspektiven

Die Wirtschaftspolitik von Landeshauptmann Arno Kompatscher in seinem ersten Amtsjahr 2014 birgt Licht- und Schattenseiten.

Lichtseiten: Was Landeshauptmann Arno Kompatscher als Hauptakteur der Süd­tiroler Wirtschaftspolitik mit Sicherheit positiv bescheinigt werden kann, ist ein hohes­ Maß an Kohärenz betreffend der Ausrichtung, die er bei Regierungsantritt angekündigt hat. So wurden auch die wesentlichen Prinzipien verfolgt bzw. entsprechende Vorhaben zumindest eingeleitet, die umgangssprachlich mit dem Begriff „Erneuerung“ in Verbindung gebracht werden.

Die Finanzregelung mit Rom ist ohne Diskussion eine der großen Errungenschaften im Jahr 2014. Halten die nachfolgenden nationalen Regierungen Wort, so dürfte tatsächlich die Finanzierung des Südtiroler Landeshaushalts auf eine neue Basis gestellt worden sein. Die Umkehrung des Inkassoprinzips ist eine Vorstufe für die Heimholung der Kompetenzen im Bereich der Steuereintreibung und -fahndung. Sie ist mitunter der verlängerte Gedanke der Eigenverantwortung – eine Eigenverantwortung, die in diesem Zusammenhang allerdings auch ihre unpopuläre Kehrseite hat.

Gut eingeleitet sind die Verhandlungen in Sachen Energiepolitik. Eine Lösungsfindung ist deshalb unabdingbar, da eventuelle Schadensersatzforderungen von Seiten Dritter ein gewaltiges Loch in den Landeshaushalt reißen würden, was nicht nur einen Vertrauensverlust in der Bevölkerung bewirken, sondern finanztechnisch über Jahre negativ nachwirken würde.

Der eingeschlagene Weg der steuerlichen Entlastungen vertraut auf das Prinzip, dass sich die für die öffentliche Hand entgangenen Steuereinnahmen in zusätzlichem Konsum oder Investitionen ausdrücken. Damit würde die Wirtschaft angekurbelt, was schließlich wieder höhere Steuereinnahmen bewirken würde. Allerdings unterstellt man diesbezüglich, dass der Multiplikatoreffekt in der Privatwirtschaft höher ausfällt als im öffentlichen Sektor, was zwar der Fall sein kann, aber nicht gezwungenermaßen sein muss.

Das Umschwenken auf die Schwerpunktförderung sowie auf den Rotationsfond als Hauptform für die Investitionsförderung ist positiv zu bewerten, vorausgesetzt, dieser Zugang bleibt für Kleinstbetriebe in Reichweite – andernfalls hätte das Vorhaben diskriminierenden Charakter.

Die Förderung der Anstellung von Hochqualifizierten, die Schaffung des Technologieparks, die Zusammenführung der vier wirtschaftspolitisch operativen Arme zu einer einzigen Landesgesellschaft sind mittelfristig richtige Entscheidungen unter der Voraussetzung, dass die Synergie-effekte bedeutend sind und die Organisationsdefizite aufgrund der vergrößerten gemeinschaftlichen Struktur nicht ins Gewicht fallen.

Schattenseiten: Die Schattenseiten oder – treffender ausgedrückt – die Risiken der neuen Ausrichtung der Wirtschaftspolitik sind allerdings nicht zu verkennen.

Eigeninitiative muss anspringen: Entsprechend der neuen Grundeinstellung soll die Wirtschaftspolitik in erster Linie die Rahmenbedingungen schaffen und sich nicht aktiv in den Markt einbringen. Die öffentliche Hand soll sich demzufolge aus Sphären zurückziehen, die der Privatwirtschaft vorbehalten sind. Das Problem: Das Angebot der öffentlichen Hand, diese Freiräume zu schaffen, muss aber auch von der Privatwirtschaft angenommen werden. Ist dies nicht der Fall, entsteht ein Vakuum an Verantwortlichkeit. Will heißen: Der Rückzug der öffentlichen Hand, gepaart mit steuerlichen Entlastungen verschiedenster Art bringt nichts, wenn Privatinitiative und Privatinvestitionen nicht wieder anspringen und neues Angebot schaffen.

Neuordnung der Gemeindenfinanzierung: Die Regelung der Gemeindefinanzierung ist schon heute nicht mehr zeitgemäß, noch bevor sie richtig zu greifen begonnen hat. Neue Kompetenzen für die Gemeinden einerseits, die neue GIS-Regelung (Gemeindeimmobiliensteuer), aber auch die fallweisen Einnahmen aus der Energie erfordern es, dieses Thema neu aufzurollen. Wird nicht korrekt kalibriert zwischen Gemeinden, die in der privilegierten Situation sind, über Eigeneinnahmen und Kompensationsgelder zu verfügen (Wasserkraftwerke, Wasserzins, Umweltgelder, Ausgleichzahlungen der Autobahn), und jenen, die keine Chance darauf haben, besteht das Risiko der Auseinanderentwicklung von Gemeinden und Bezirken innerhalb Südtirols. Das Gleichgewicht zwischen Stadt und Land würde ins Wanken kommen.

Welche Vision für die Landwirtschaft, welche für den Tourismus? Keine mutigen Schritte beobachtete man in der Landwirtschaft, so beispielsweise in Zusammenhang mit dem Pestizid-Referendum in Mals. Auch die Zukunft der Dachmarke Südtirol sollte, gerade im Hinblick auf immer stärkere grenzüberschreitende Zusammenarbeit (siehe die Zusammenarbeit zwischen Milchhof Sterzing und Tirol Milch) und vor dem Hintergrund globaler kontroverser Entwicklung wie dem TTIP-Abkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership) zwischen den USA und Europa, in einer nachhaltigen und vorausschauenden Perspektive neu bewertet werden. Im Tourismus ist die Finanzierung des Tourismusmarketings auf halber Strecke stehen geblieben. Zwar wurde die Ortstaxe eingeführt, eine ungeklärte Frage ist aber immer noch, wie der Eigenbeitrag der einzelnen Sektoren der Wirtschaft moduliert sein soll.

Konturen der zukünftigen Südtiroler Handelspolitik noch nicht erkennbar. Noch nicht ausreichend definiert ist eine wirtschaftspolitische Linie in Sachen Handelspolitik. Exemplarisch genannt sei die Angelegenheit rund um die Errichtung des zentrumsnahen Kaufhauses in der Bozner Südtiroler Straße („Benko-Einkaufszentrum“), wo die heiße Kartoffel vom Land an die Gemeinde abgeschoben wurde. Aber auch in Punkto Sonntagsöffnung im Einzelhandel hielten sich die Interventionen in Rom in Grenzen. Die Förderung der Aufrechterhaltung des einzigen Geschäfts in Dörfern mit mehr als 150 Einwohnern (jährlicher Beitrag bis zu 9.000 €) bzw. für die Neueröffnung eines Nahversorgers (einmaliger Beitrag bis zu 15.000 €) (Landespresseamt 2014d). ist als Maßnahme unzureichend, um sie als glaubwürdige Nahversorgungspolitik bewerten zu können.

Eine Politik für Großbetriebe: Obwohl die Schwerpunktförderung sowie die Förderung von Hochqualifizierten an sich auf den richtigen Weg führen, muss doch festgehalten werden, dass die derzeitige Wirtschaftspolitik eher auf die Bedürfnisse von größeren Betrieben zugeschnitten ist. Auch der Zugang zum Rotationsfond in Alternative zu den Verlustbeiträgen und die Koppelung der Schwerpunktförderungen an die Performance der Unternehmen in den letzten vier Jahren gehen tendenziell zum Nachteil von Kleinstbetrieben. Auch hier stellt sich die Frage nach der Vorbeugung von starken Ungleichgewichten.

Großer Landesbetrieb, quo vadis? Aus den vier relativ gut funktionierenden Sonderbetrieben, die in den Bereichen Export, Innovation, Tourismus und Ansiedlung tätig sind, wird ein einziger werden – so viel steht fest. Abgesehen von strategischen Entscheidungen, die Zielsetzung und Tätigkeit betreffen, sind keine Überlegungen zur Wahl der Rechtsform, des Führungspersonals, der personalrechtlichen und kollektivvertragliche Behandlung und Überführung des bestehenden Personals sowie zur optimalen Lösung in steuerlicher und verwaltungstechnischer Hinsicht bekannt. Das Risiko ist, dass die versprochenen Synergieeffekte bei genauerer Betrachtung geringer ausfallen als erwartet.

Zu viele Baustellen: Fatal könnte Landeshauptmann Arno Kompatscher die eigene Ambition sein, zu viel auf einmal angehen zu wollen. Neben den übernommenen Baustellen wurden 2014 weitere eröffnet, mit dem Risiko, dass die Qualität der Maßnahmen auf der Strecke bleibt.

6. Der Blick über 2015 hinaus: Auf der Suche nach neuen ­Gleichgewichten

Die Ära Durnwalder war wirtschaftspolitisch geprägt durch die Aufrechterhaltung eines sensiblen, „natürlichen Gleichgewichts“. Der Umstand, dass Südtirol über Jahrzehnte eine nahezu unveränderte und gleichzeitig ausgewogene Wirtschaftsstruktur aufrechterhalten konnte, ist hierfür geradezu symptomatisch. Maßnahmen wie das Gießkannenprinzip in der Förderungspolitik beziehungsweise die Pro-Kopf-Quote in der Gemeindefinanzierung waren Instrumente, um die öffentlichen Geldmittel flächendeckend breit zu streuen. Ein derartiger Mitteleinsatz entfachte zwar nicht die größte wirtschaftspolitische Schubkraft, bewahrte aber gleichzeitig das sensible Gleichgewicht zwischen Zentrum und Peripherie, großen und kleinen Unternehmen, traditionellen und hochtechnologischen Sektoren.

Durch die Weichenstellungen der von Landeshauptmann Kompatscher eingeleiteten neuen Wirtschaftspolitik wird dieses sich über Jahre eingependelte Gleichgewicht gleich mehrfach zerrüttet, allerdings mit dem volkwirtschaftlich durchaus nachvollziehbaren Hintergrund der Produktivitätssteigerung. Der eingeschlagene wirtschaftspolitische Kurs begünstigt tendenziell größere Betriebe bzw. solche mit hohen Personalkosten oder mit hohem Technologiegrad. Größere Investitionen sind in Zukunft vor allem in den Zentren, insbesondere in der Landeshauptstadt Bozen geplant (u. a. Bahnhofsareal, Technologiepark, Krankenhaus), während es in der Peripherie wohl auf mittlere Sicht kein groß angelegtes öffentliches Bauprogramm im Stile von Alt-Landeshauptmann Luis Durnwalder geben wird, auch weil diese Infrastrukturen bereits realisiert wurden (Vereins- und Kulturhäuser, Strukturen für die Bildung und für die Pflege). Die Herausforderung wird es sein, das System zu innovieren, ohne das sensible Gleichgewicht zwischen Groß und Klein, hochtechnologisch und traditionell, Zentrum und Peripherie überzustrapazieren. Nur wenn dies gelingt, kann Lebensqualität flächendeckend und für eine sehr breite Bevölkerungsschicht garantiert sowie die soziale Kohäsion in Südtirol aufrechterhalten werden.

Anmerkungen

1 Um der Philosophie der neuen Wirtschaftspolitik möglichst nahe zu kommen, greift der Autor größtenteils auf die Original-Aussendungen des Landespresseamtes zurück, vorzugsweise auf jene des letzten Quartals 2014.

2 Eine weitere Schwierigkeit für den Autor besteht darin, den Umsetzungsgrad von Maßnahmen richtig einzuordnen. Sehr viel ist heute Ankündigungspolitik. Schwierig ist es auseinanderzuhalten, inwiefern es sich nur um eine Idee, einen konkreten Gesetzesvorschlag oder um eine rechtsgültige Maßnahme handelt. Und auch in letzterem Falle kann man noch nicht davon ausgehen, dass entsprechende Durchführungsbestimmungen erlassen sind bzw. dass die finanzielle Dotierung bereitgestellt ist. Überdies mehren sich in den letzten Jahren die Fälle von Rechtsunsicherheit betreffend die Verfassungsmäßigkeit von Landesbestimmungen oder in Zuständigkeitsfragen, und zwar nicht allein mit dem nationalen Gesetzgeber, sondern auch mit der Europäischen Union.

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(02.02.2015).

Abstracts

Alla ricerca di nuovi equilibri:
la politica economica in Alto Adige

La politica economica del Presidente della Provincia Arno Kompatscher si differenzia in maniera netta da quella dei suoi predecessori: maggiore responsabilità personale, riduzione del carico fiscale, meno contributi, contributi specifici e non più a pioggia, sostegno alle imprese altamente qualificate, fondo di rotazione invece di contributi a fondo perduto, inversione del principio di incasso per quanto riguarda il finanziamento statale del bilancio provinciale, per menzionare solamente i capisaldi principali della nuova politica economica provinciale. Dal punto di vista dell’economia politica si tratta di aspetti da valutare positivamente in linea di principio, dato che le misure introdotte mirano, in maniera decisa, a un aumento della produttività del lavoro. Ciononostante esse mettono a repentaglio delicati equilibri che si sono instaurati nel corso di decenni e che hanno contribuito a caratterizzare la stabilità dell’economia altoatesina.

La sfida principale per il Presidente della Provincia è costituita dalla ricerca di nuovi equilibri: tra il centro e la periferia, tra le grandi e le piccole imprese, tra imprese altamente tecnologiche e tradizionali, tra l’economia privata e l’intervento pubblico. Soprattutto il rapporto tra la città e la periferia deve essere posto su di una nuova base. Oltre ai “cantieri” già avviati, nel 2014 ne sono stati aperti degli altri, con il rischio che venga meno la qualità delle misure adottate. Il limite del Presidente della Provincia Arno Kompatscher è quindi rappresentato dalla sua stessa ambizione, dalla sua stessa impazienza.

Looking for a new equilibrium:
the South Tyrolean economic policy

The economic policy of the President of the Province, Arno Kompatscher, clearly differs from the one undertaken by his predecessors: a greater personal responsibility, tax burden reduction, less subsidies, well-targeted subsidies and not to anybody the way it was before, support for highly qualified enterprises, a revolving fund instead of non-repayable subsidies, an inversion of the modality of the State’s financing of the provincial budget, just to mention the main strongholds of the new provincial economic policy. From the point of view of the political economy, these are aspects to be positively assessed in theory, since all measures that have so far been introduced aim in a decisive way to increase workforce productivity. Nonetheless, they jeopardize a sensitive equilibrium that has been settled along the course of decades and has contributed to the creation of the stability of South Tyrolean economy.

The central challenge for the President of the Province is represented by the search of a new equilibrium: between the center and the periphery, between big and small enterprises, between highly technological and traditional enterprises, between private economy and public intervention. Among them, the center-periphery relationship especially has to find a new stand. Besides the strategies already underway in 2014 others have been launched with the risk of reducing the quality of said measures. Arno Kompatscher’s limit, as President of the Province, is thus his own ambition, his own impatience.