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Hans Heiss

Im Jahr des Heiles: Zum Ausklang des
Tirol-Jubiläums 1809 – 20091

1. Einleitung

Das Jubiläumsjahr 2009 ist Geschichte (Dolomiten und Alto Adige, 22.2.2010). Wohl kaum jemand, der nicht erleichtert darüber wäre, dass die unablässige Serie an Festen, Veranstaltungen und Kundgebungen vorüber ist. Bereits Ende August 2009 äußerte Robert Weißensteiner, Chefredakteur der Südtiroler Wirtschaftszeitung, seinen Überdruss in einem drastischen Kommentar: „Jetzt sind zwei Drittel des Gedenkjahres vorbei, und der große Festumzug in Innsbruck steht uns noch bevor­. Ich persönlich habe schon jetzt die Schnauze voll davon und obendrein den Eindruck, dass es anderen interessierten, weltoffenen und durchaus Hofer-empfänglichen Südtirolern ähnlich geht. Das beste Gericht schmeckt nicht mehr, wenn es einem ständig aufgetischt wird“ (Weißensteiner 2009). Das Urteil des scharfzüngigen SWZ-Chefs traf exakt die Stimmungslage vieler Bürger der drei Länder.

Während nach anderen Großereignissen, wie Olympiaden, Weltmeisterschaften oder Expos oft das Bedauern darüber überwiegt, dass eine Phase großer Ereignisse und Emotionen unwiderruflich vorbei ist, dass das Hochgefühl von Gemeinschaft, Entrückung und Verzückung verflogen ist, bleiben vom Tiroler Gedenkjahr zwar einzelne Glanzlichter in Erinnerung, aufs Ganze besehen aber überwiegt ein diffuser, oft schaler Nachgeschmack verpasster Chancen, ja sogar ein Völlegefühl nach einem patriotischen Degustationsmenü von verwirrender Gangfolge. Denn ein Kardinalproblem des Jubeljahrs war die fehlende Dramaturgie bei einem Programm-Überangebot. Zwar gab es einen Beginn, einen Höhepunkt und ein Finale des Bicentenaire, dazwischen aber ballte sich eine unübersehbare Fülle an Veranstaltungen, die in bunter Folge, oft ohne Bezug aufeinander abliefen und vor allem eines demonstrierten – hektischen Aktionismus der Beteiligten. Zudem bewies Tirols Gedenkjahr einen bemerkenswerten Jahreszyklus, dauerte es doch nicht 12, sondern 14 Monate, da es vom 1. Jänner 2009 bis zum 20. Februar 2010 währte.

Der Landesfestzug in Innsbruck vom 20. September 2009 war der konkurrenzlose Höhepunkt, der vielen Erwartungen gerecht wurde und die Erlebnisintensität des Bicentenaire eindrucksvoll bündelte. In der Folge aber sank das Spannungspegel rasch ab, Nord- und Osttirol, Südtirol und auch das Trentino wandten sich wieder erleichtert der Normalität und den Herausforderungen des Alltags zu.

2009 war aber in jedem Falle, wie alle bisherigen Tiroler Jubiläumsjahre, ein bemerkenswertes Intervall. Wie in Vergangenheit bildete es eine Mischung aus Selbstinszenierung und Selbstreflexion. Die Edition des 21. Jahrhunderts beeindruckte vor allem aber durch einen enthemmten Aktivismus, der 1909, 1934, 1959 und 1984 in dieser Form nicht denkbar war (vgl. Heiss 2009, 129–151; Weber/Span 2009, 503–524). Die ungleich stärkeren medialen Plattformen von 2009 mit ihrem Aufgebot an Printmedien, TV-Sendern und Internetauftritten katapultierten die Einzelevents in breiteste öffentliche Rezeption.

Zugleich bot 2009 Gelegenheit zur politischen Repräsentation, zu handfesten Konflikten und zur Neukonzeption von Regionalpolitik. Dabei entzog es sich immer wieder Planungs- und Gestaltungswünschen von Politik und Gesellschaft. Ablauf und Grundstimmung zeigten keinen linearen, dramaturgisch durchgestylten Charakter, sondern verliefen sprunghaft und diskontinuierlich, geprägt von Auseinandersetzungen und Widerspruch, von Höhepunkten, Erfolgen und Flopps. Das Jubiläum spielte auf der Ebene von Politik, Gesellschaft und Kultur; es entfaltete in den einzelnen Ländern Tirol, Südtirol und Trentino eine je unterschiedliche Dynamik. Zudem befanden sich die drei Länder 2009 in einem Nachwahljahr, in dem sich die politischen Gewichte stark verändert zeigten. Die unübersehbare Erosion der Volksparteien und ihrer Verbündeten, die bei den Landtagswahlen im Frühsommer und Herbst 2008 stattgefunden hatte, sorgte in ihren Nachwehen in Nord- und Südtirol für erhebliche Orientierungsprobleme, sodass die Regierungsmehrheit die Sinn- und Deutungsangebote des Jubiläumsjahrs gerne zur Standortbestimmung und Profilierung nutzte.

Dieser Beitrag liefert einen vorläufigen Überblick zum Ablauf des Tiroler Bicentenaire. Obwohl noch flüchtig und fragmentarisch, greift er einige Grundtendenzen auf kultureller und politischer Ebene auf. Er verortet das Erlebte, Geleistete und Misslungene im längerfristigen politischen Prozess und im tieferen gesellschaftlichen und kulturellen Wandel.

„Geschichte trifft Zukunft“ lautete das Motto des Anniversars, das den Wert und die Fülle historischer Tradition betonte und zugleich in die Offenheit des 21. Jahrhunderts vorauswies. Die Erinnerung an Anno Neun sollte als Treibsatz wirken, um die Länder nördlich und südlich des Brenners in die Zukunft zu befördern. Die Devise vergaß allerdings – bewusst oder unbewusst - die aktuelle Gegenwart, die denn auch ihren Gestaltungsanspruch drastisch anmeldete. Die Bruchlinien und Verwerfungen der Aktualität, die ungelösten Fragen der Tagespolitik zwangen daher dem Jubiläum ihren Rhythmus auf und setzten die Steuerungsversuche der Politik unter erheblichen Druck.

Das Jubiläum stellte auch eindrücklich klar, wie sehr Erinnerungs- und Gedächtnispolitik inzwischen Kernelemente auch von regionalen politischen Kulturen bilden. Politisches Handeln ist ohne ständige Selbstvergewisserung im historischen Rückgriff kaum mehr denkbar. In der Ära der Globalisierung mit ihrem Überschuss an Risiken und Zukunftsperspektiven greift nationale und regionale Politik verstärkt nach Möglichkeiten geschichtlicher Verankerung. Diese Bemühungen zeigten sich auf europäischer Ebene 2009 vor allem im Hinblick auf den 20 Jahre zurück liegenden Mauerfall, dessen Zäsur zahllose Veranstaltungen betonten. Die Retrospektion und Reflexion auf dieses säkulare Ereignis trug jedoch nicht sonderlich weit: Inmitten der größten Weltwirtschaftskrise seit Jahrzehnten und der Herausforderung des Klimawandels klang die feierliche Beschwörung des großen Durchbruchs von 1989 seltsam dünn und gewann nur bescheidene Orientierungsfunktionen (vgl. Ross 2009).

Das Tiroler Bicentenaire von 2009 verfehlte in ähnlicher Weise die hoch gesteckten Erwartungen. Orientierende und erhellende Ausblicke in die Zukunft traten kaum in den Vordergrund, der hingegen von reaktionären, konservativen und partikularistischen Zielutopien beherrscht wurde: Parolen wie „Los von Rom“ oder „Selbstbestimmung jetzt!“ zündeten unter weiten Südtiroler Bevölkerungsgruppen, die in solchen Bannformeln den Wunsch nach sicherem Abstand vom italienischen Nationalstaat und vom „Mahlstrom“ der Globalisierung aufgegriffen sahen.

2. Kulturpolitik: Reflexives Hofer-Retro

Die wissenschaftlich-kulturellen Erträge des Jubiläumsjahrs waren beachtlich und standen im Zeichen einer grundlegenden Hofer-Revision.2 Erstmals bei einem Jubiläum wurde der Helden-Mythos einer grundlegenden, auch von politischer Seite gewünschten Inspektion unterzogen und dabei die Figur Hofers in den Mittelpunkt gerückt. Buchpublikationen und Ausstellungsprojekte operierten rekonstruktiv und dekonstruktiv zugleich, Biografie, Gestalt und Mythos des Sandwirts wurden in ihre Bestandteile zerlegt, die Bruchstücke teilweise zu verblüffenden Collagen montiert, vielfach aber auch neu und effektvoll rekonstruiert. Der Hofer-Mythos durchlief lange, reflexive Schleifen, die die Figur sampelten und ihren historischen Widerhall in Fragmenten rückkoppelten.

Bezeichnend für den Trend waren Titel von Ausstellungen und Theaterstücken, die unter Labels wie „Hofer wanted“ (Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum) oder „Hofer reloaded“ liefen. Ein auf den ersten Blick wenig devoter Umgang mit dem Sandwirt und seinem Mythos, der nach vielen Jahrzehnten der Verklärung jedoch überfällig war, zumal er keinen Denkmalsturz nach sich zog.

Im Mittelpunkt stand die Genese von Mythen, wobei sich der Zentralort der Hofer-Memoria, der „Sandwirt“ in St. Leonhard im Passeiertal, besonders weit vor wagte. Seine neue, von Josef Rohrer konzipierte und von Museumsvorstand unter Albin Pixner getragene Dauerausstellung „Hofer & Helden“, pünktlich zum 20. Februar 2009 eröffnet, verfolgte einfühlsam den Aufstieg Hofers zum Helden und setzte ihn in Zusammenhang mit anderen Leitfiguren ähnlichen oder größeren Kalibers (vgl. Larcher 8/2008). Auch die von Paul Rösch und Thomas Ohnewein betreute Ausstellung im nahen Touriseum in Meran („Der mit dem Bart“) umkreiste süffisant die Formen touristischer Vermarktung (vgl. Touriseum 2009), während sich das Landesmuseum Schloss Tirol als dritte Ausstellungsstätte im Hofer-Homeland rund um Meran den Mythos bewusst vom Leib hielt. Seine Sonderschau „Für Freiheit, Wahrheit und Recht“ widmete sich zwei Anti-Figuren Hofers, die 1809 nicht zur vertieften Identifikation mit Tirol gefunden hatten, sondern wenig später aus dem Land gingen: Jakob Philipp Fallmerayer und Joseph Ennemoser (vgl. Hastaba/De Rachewiltz 2009). Der Orientalist und der Arzt repräsentierten zwei ­liberale Hofer-Antipoden, die als herausragende Wissenschaftler und politische Intellek­tuelle in Bayern und im Rheinland reüssierten und Tirol trotz mancher Heimkehr-Wünsche seither mit erheblicher Skepsis gegenüber standen.

Schloss Tirol war auch der organisatorische Träger der am 8. Mai 2009 eröffneten Landesausstellung 2009, für die als grandioser Austragungsort die seit 2005 neu zugängliche Franzensfeste im Wipptal adaptiert wurde. Unter dem Motto „Labyrinth::Freiheit“ distanzierte sich die Landesausstellung 2009 bewusst von einer­ historischen Interpretation, sondern griff das Thema ‚Freiheit‘ unter aktuellen Blickpunkten und mit künstlerischen Schwerpunkten auf. „Freiheit“ und ihre Begrenzungen als Möglichkeitsform des 21. Jahrhunderts, interpretiert über die Zentralbegriffe Gesellschaft, Sprache, Mobilität, Gefangenschaft, Grenzen, Bildung/Wissenschaft und Religion.

Die in den Kasematten und Außenräumen der Franzensfeste wirkungsvolle Inszenierung (Gestaltung Paul Thuille und Christian Schwienbacher, Kuratoren: Bernhard Kathan, Hanskarl Peterlini, Marion Piffer Damiani) überzeugte durch große Spannungsbögen, sichtbar war aber auch der Abstand zu wirklich brisanten Freiheitsfragen auf regionaler Ebene, so zur Freiheit im Übergang der Kulturen oder nach dem Verhältnis zwischen Freiheit und Politik (vgl. Gurschler 2009). Ängstlichkeit und Selbstverhaltung blieben latent spürbar, wohl auch eine Nachwirkung der „Froschaffäre“ um ein Kunstwerk von Martin Kippenberger von 2008, die im südlichen Tirol ein restauratives Rollback und schmerzliche Stimmenverluste für die Landesrätin für Kultur gebracht hatte.3 Heinrich Schwazer, Chefredakteur der „Neuen Südtiroler Tageszeitung“ spürte dem resignativen Gestus der LA 2009 eindringlich nach: „Das Grundgefühl der Ausstellung ist Ermüdung. Freiheit als Utopie und Erlösungsversprechen? Das war einmal. Die Erwartungen und Ideale einer um Freiheit kämpfenden Moderne scheinen sich zu Beginn des neuen Jahrtausends im abgeklärten Begnügen mit bürokratischen Freiheiten aufgelöst zu haben. Es ist ein ziemlich düsterer Befund, den die Ausstellung zur Lage der Freiheit stellt“ (Schwazer 2009).

Das Theater registrierte im Jubiläumsjahr überschäumende Produktivität. Ein 2007/08 ausgeschriebener Wettbewerb des Südtiroler Theaterverbands animierte zahlreiche AutorInnen, sodass ab Februar 2009 ein halbes Dutzend Stücke vor einer Inszenierung stand.4 Nach dem Opener von Christine Plieger mit einem Monolog von Hofer-Gattin Anna Ladurner („Fein hätten wir’s haben können“, Regie Ingrid Porzner) in der Brixner Kleinkunstbühne „Dekadenz“ rollte ab Juni 2009 ein beachtlicher Theater-Reigen. Das Siegerstück von Hermann Staffler „Die Tagträumer“ (Regie: Torsten Schilling) entfesselte in Lana als absurder Slapstick Traumen und Tabus Tirols in messerscharfen Sprachfetzen, wobei die Schauspieler zwischen robotartigen Abläufen und genau gezirkeltem Interplay changierten. Sterzing und Mühlbach waren zwei weitere Spielorte, wo Stücke wie „Freiheitskrampf“ von Günther Vanzo (Regie: Monika Leitner-Bonell) historische Versatzstücke in anarchischer Spielfreude als Theater im Theater neu aufmischten.

In Nordtirol stellten die Tiroler Volksschauspiele mit der von Felix Mitterer geschriebenen „Trilogie der Gewalt“ im Raum Telfs die Macht- und Ohnmachtsfantasien von Einzeltätern zwischen Erhebung und Gegenwart in den Mittelpunkt, besonders effektvoll in dem Monolog des Metzgers Klaus über „1809 – Mein bestes Jahr“: „Den Mulitreiber ham’s in Mantua derschossen. Jetz isch er a Held. A guater Lapp war er. Mehr it.“ Der Metzger und Kriegsprofiteur Klaus, perfekt gespielt von Markus Plattner, wirkte wie der „Herr Karl“ von Anno Neun, in einem bös-blutrünstigen Schlachtfest des Gedenkens (vgl. Seyr 2009).

Wer sich hingegen an einem authentischen Klassiker des 19. Jahrhunderts delektieren wollte, besuchte die Tiroler Volkschauspiele in Algund, wo das riesenhafte Hofer-Tableau von Karl Felix Wolff, „Tirol 1809“ ablief, mit einem Großaufgebot von über 300 Schauspielern und dramaturgischen Effekten, inszeniert von Erich Innerebner, der nach 1959 und 1984 bereits zum dritten Mal die 850.000 € teure Produktion inszenierte. Hier, vor den Toren Merans und des Passeiertals, wurde die Wucht des rituellen Tirol-Dramas spürbar, jenes Vibrieren von Opfer und Gemeinschaft, das Teile der Südtiroler Gesellschaft immer wieder einholt. Das große Offertorium von Algund reproduzierten im Kleinformat Gemeinden wie Olang im Pustertal, wo sich Peter Sigmayr, der „Tharerwirt von Olang“ für den greisen Vater zum Opfer darbrachte, in emotionaler Hingabe gespielt von der Heimatbühne Olang, die jeden Anflug von distanzierter Reflexion von vorneherein ausschloss. Wohltuend daher, dass das Theater an der Etsch in Neumarkt in der letzten Inszenierung des Gedenkjahres Ende Jänner 2010 in „Regen übers Land“ von Hanskarl Peterlini die obsessive Monomanie des Opferdiskurses zu Grabe trug, mit einem Stück, das die in kleinen Völkern wühlende Identitätsbesessenheit als sinnlosen und dennoch kaum ausweichlichen Irrgang vorführte (vgl. Kronbichler 2010).

Die Geschichtswissenschaften entfalteten zeitgerecht zum Erinnerungsjahr 2009 hohe Produktivität, die die Barriere zu einer verbreiterten Geschichtskultur aber nur selten überwand (Neue Südtiroler Tageszeitung, 21.2.2010). Lang erwartet war die neue Biographie des Sandwirts, die der junge Südtiroler Andreas Oberhofer erarbeitet hatte. Quellennah und handwerklich sorgfältig erstellt, bot sie eine sozialhistorische Verortung Hofers in seinem familiären und ländlichen Umfeld, mit akribischer Bewertung der zeitgenössischen Rahmen- und Handlungsbedingungen (vgl. Oberhofer 2009). Oberhofers Hofer-Biografie schloss an seinen 2008 erschienenen Quellenband „Weltbild eines Helden“ an und setzte im September 2009 den Schluss-Stein des Publikationsreigens, in dem die Neuauflage des bereits 1984 erschienenen Bandes von Meinrad Pizzinini oder der Überblick von Michael Forcher durch Lesbarkeit und Ausstattung bestachen (vgl. Pizzinini 2008; Forcher 2008), während wissenschaftliche Sammelbände wie „Abschied vom Freiheitskampf?“ in zahlreichen Einzelbeiträgen umfassende Revisionsbewegungen vornahmen (vgl. Mazohl/Mertelseder 2009; Mertelseder et. al. 2009).

Auch im Trentino dokumentierten einige Neuerscheinungen über die insurrezione von 1809 das neu erwachte und politisch entfachte Interesse der südlichsten „Hofer-Landes“ (vgl. Riccadonna 2009; Faustini 2009). Die italienische Sprachgruppe in Südtirol nahm am Hofer-Revival nur geringen Anteil, obwohl ein durchaus achtbares und gelungenes Bemühen um Vermittlung feststellbar war. Eine umfassende didaktische Aufbereitung Hofers5 und eine glänzende Kurzdarstellung des Historikers Carlo Romeo zu Mensch und Mythos unter dem Titel „Andreas 4ever?“ (Romeo 2009).6 erzielten jedoch keine Tiefenwirkung (vgl. Heiss 2009, 69–72). Immerhin wurden Vorträge zu Anno Neun von italienischem Publikum rege besucht, auch fand das Talmuseum Passeier lebhaften Anklang, sodass zumindest die völlige Absenz der Italiener Südtirols von 1984 überwunden wurde.

Unbestrittenes Opus Magnum des Gedenkjahres war der monumentale Band „Revolte in der Region“, erarbeitet im Auftrag des Landes Tirol durch den 1976 geborenen Martin Paul Schennach (Schennach 2009). Darin verknüpfte der am Tiroler Landesarchiv in Innsbruck tätige Schennach frühneuzeitliche Protestforschung, Militär- und Rechtsgeschichte zu einer niveauvollen, glänzend geschriebenen Grundlage, die einen breit gefächerten Quellenbestand auswertete und bisherige Einschätzungen einer durchgreifenden Revision unterzog. Die Darstellung wird die Einschätzung der Erhebung fundamental verändern und sichert dem Fallbeispiel Tirol zugleich breitere Aufmerksamkeit der europäischen Geschichtswissenschaften.

Eine leicht schwebende Brücke zwischen Geschichte und Popularisierung schlugen das Südtiroler Duo Norbert Parschalk und Jochen Gasser, die pünktlich zum Geburtstag Andrä Hofers am 22. November 2008 eine seiner Vita und Heroisierung gewidmete „illustrierte Geschichte“ vorstellten (Gasser/Parschalk 2008). Das Comic-Format führte im Schnelldurchgang durch die Lebensgeschichte Hofers, der als leicht verlorener und verwirrter Heros auftritt, seiner steten Suche nach Anerkennung und Alkoholika ausgeliefert. Ein sympathisch menschelnder Held, dem Illustrator Jochen Gasser zu unverwechselbarem Profil verhalf, während Historiker Norbert Parschalk der Bildgeschichte eine trittsichere Faktenbasis unterlegte.

3. Triumph des Lokalismus: 2009 als Zelebration der kleinen Räume

Von großen Medien und öffentlicher Rezeption wenig beachtet, bot das Gedenkjahr 2009 den kleinen Gemeinschaften der Länder Tirol, Südtirol und Trentino eine besondere Chance der Selbstaufwertung und -zelebration.

Die Bedeutung der kleinen Einheiten zeigt sich bei einem kurzen Blick auf jüngste Entwicklungen in Gesellschaft und Politik. Das Lokale und die örtliche Lebenssphäre haben in Nord- und Südtirol ebenso wie im Trentino unterhalb der gleichfalls aufgewerteten Ebenen von Land und Region in den letzten 20 Jahren an Bedeutung sprunghaft gewonnen, ganz im Einklang mit den Trends in ganz Europa, zumal in Nachbarräumen wie Oberitalien und Süddeutschland.

Small communities sind wichtiger denn je: Im Tiroler Raum beweisen neben den Gemeinden Talschaften und Bezirke, örtliche Vereine kultureller und ehrenamtlicher Natur wie Musikkapellen, Feuerwehren und Schützen eine beeindruckende, stetig neu befeuerte Vitalität. Die kleinen Räume werden durch Traditionspflege und Kulturpraktiken markiert, zumal durch Dialekte, die zunehmend als regionale Umgangssprache dienen, auch um Talschaften und Bezirke deutlich voneinander abzugrenzen. Die Ebene der Nahräume erscheint als tragendes und wärmendes Netzwerk, das es Individuen und kleinen Gemeinschaften erlaubt, ihre Lebensvollzüge sinnvoll und berechenbar zu gestalten. Die Enge und Dichte kleiner Räume produzieren sozialen Sinn, in ihnen behaupten sich Eigenlogik und Selbstbestimmung gegen die Kräfte von Markt, Globalisierung und Migration.

Die Emphase für das Lokale ist längst keine Tiroler oder Trentiner Spezialität. Sie formiert sich überall in Europa zu erfolgreichen politischen Bewegungen – in Italien am wirkungsvollsten in Gestalt der Lega Nord, deren Konzept territorialer Bindung und Abwehr nach außen ein dauerhaftes Erfolgsmodell darstellt, weit über die politische Ebene hinaus (vgl. Passalacqua 2009). Im zentralen Alpenraum nördlich und südlich des Brenners gründet die wachsende Bedeutung des Lokalen auf säkularen Traditionen der Selbstverwaltung und -organisation. Gemeinschafts- und Vereinsleben haben sich in den letzten 20 Jahren deutlich aktiviert, wobei zugleich die Bindekraft informeller Kommunitäten gewachsen ist. Die Dauerkonjunktur des Lokalen wird flankiert und gestützt von den Medien, die mit Bezirksblättern, -redaktionen und Newsrooms seit ca. 1990 die örtliche Ebene verstärkt bedienen und deren Bedeutung damit noch weiter steigern – Facebook ist der Triumph des virtuellen Lokalismus.

Das Anniversar 2009 entband den Sog des Lokalen mit großer Kraft. Talschaften und Orte entwarfen vielfach Jahresprogramme, die mit größtem Engagement und Organisationsaufwand Kernthemen von Anno Neun (Landesfreiheit, Wehrhaftigkeit, Tiroler Leitkultur, Tradition) in örtliche Erinnerungskulturen und ihre Narrative einpassten und programmatisch umsetzten.

Unterhalb regional ausgerichteter Veranstaltungen von weiträumiger Ausstrahlung wie dem Landesfestzug oder großer Kulturprogramme wurde das örtliche Gedenken an 1809 neu gepflegt. Die zahllosen Orte der Erinnerung an 1809, die abseits der großen Sanktuarien wie Bergisel oder Passeier ihre Dignität bewahrt hatten, kamen im Gedenkjahr verstärkt zum Zuge, im Dienst von Traditionspflege und Selbstgefühl der örtlichen Gemeinschaften.7

Ein anschauliches Beispiel für das Netzwerk an Veranstaltungen bot etwa die Gemeinde Gsies im Südtiroler Hochpustertal. Das 2200 Einwohner zählende, an das Osttiroler Villgratental angrenzende Hochtal Gsies mit einem wirtschaftlichen Mix von intensiver Viehwirtschaft, relativ sanftem Alm- und Langlauftourismus und zahlreichen Pendlern ist die Heimat zweier beachtlicher Nebendarsteller von 1809: Des Kapuzinerpaters Joachim Haspinger, eines Weggefährten von Andre Hofer und des lokalen Schützenkommandanten Nikolaus Amhof. Haspinger war ein militanter Antreiber der Revolte, der Hofer noch zu einem letzten, verzweifelten Aufstand im November 1809 anstachelte. Während Hofer gefangen und in Mantua im Februar 1810 erschossen wurde, setzte sich Haspinger nach Österreich ab und begann ein zweites Leben als Weltgeistlicher in geachteter und wohl bestallter Position. Anders der Gsieser „Keilwirt“ Amhof, der sich gleichfalls zu einem letzten Aufstandsversuch bewegen ließ, aber von französischen Truppen arretiert und am 9. Januar 1810 unter brutalen Begleitumständen umgehend exekutiert wurde.8 Die beiden Figuren aus Gsies vereinen drei klassische Narrative von 1809: Militanz, Opfergeist und Fähigkeit zum Arrangement.

2009 suchten die Gemeinde und die Vereine von Gsies, vorab die örtlichen Schützen, die Erinnerung an die Leitfiguren für die Gegenwart fruchtbar zu machen. Das Festprogramm erwies sich als großer Kraftakt der Ortsgemeinde. Es umfasste 15 Punkte, die Erarbeitung eines Schulbuchs ebenso wie Begegnungen mit den Villgrater Nachbarn, die aufwühlende Inszenierung eines eigens geschriebenen Theaterstücks über den Kapuziner „Do Hospinga“, dem auch eine wissenschaftliche Publikation und eine Podiumsdiskussion gewidmet wurden (Schwarz/Burger 2009). Das Gsieser Jubiläumsjahr verklang am 200. Todestag von Nikolaus Amhof (9. 1. 2010) mit einer „Elefantenrunde“ regionaler Politiker, die Bilanz über das Jubiläum von 2009 zogen (Pustertaler Zeitung, 15.1.2010). Wie in Gsies nutzten zahlreiche kleine Gemeinschaften das Jahr 2009 als Generator sozialen Sinns, um den Zusammenhalt und das Eigene insgesamt zu stärken. In der Verbindung von Geschichte und Gegenwart rückte die Gemeinschaft in den Vordergrund, das emphatische Gefühl ihrer Dauer über Wandel und Umbruch der Zeiten hinweg. In solchen Akten der Selbstzelebration stiegen gewiss dankbare Genugtuung auf, das Gefühl von Kontinuität und harmonischem Einklangs blendete aber auch manchen Widerspruch aus.

Die Erinnerung an die Konflikte etwa, die die Diktaturen des 20. Jahrhunderts, die Option von 1939 und der Zweite Weltkrieg herauf beschworen hatten, blieben in einem Ort wie Gsies nicht einmal angedeutet. Die Tatsache, dass neben Haspinger und Amhof auch der Jesuit Johann Steinmair aus Gsies stammt, den die Nationalsozialisten 1945 verhafteten und hinrichteten, wurde als Erinnerungsimpuls nicht fruchtbar gemacht. Das Gedenken an Steinmair hätte eine Brücke ins 20. und 21. Jahrhundert schlagen und deren Herausforderungen zum Thema machen können.

4. Gezähmter Patriotismus: Politische Grundlinien der ­Gedächtnispolitik

Die politische Dramaturgie des Jubiläumsjahres folgte nach einem spannungsgeladenen Auftakt im Winter und im Frühjahr 2009 zunehmend routinierten Pfaden, die den Raum für politische Instrumentalisierung verengten. Vielfach geäußerte Befürchtungen der Vertreter der politischen Mehrheit und von Teilen der Öffentlichkeit, dass das Gedenkjahr in eine politisch unkontrollierbare Eskalation abgleiten könnte (vgl. Larcher 2008), wurden in seinem Verlauf letztlich entkräftet. Die von mancher Seite erwartete patriotische Großoffensive rollte zwar machtvoll an, lief sich dann aber in dem von der Regierungspolitik und den Medien taktisch geschickt gelegten Netz fest. Aber die Agenden der Patrioten bestimmten bis zum Finale am 20. Februar 2010 die Tagesordnung. Sie wurden im Gedenkjahr zwar mühsam pariert, bleiben aber weiterhin als Konfliktpotenzial virulent und werden in den kommenden Jahren immer wieder hervortreten.

Die Parteien der Rechten in Südtirol, vorab die „Süd-Tiroler Freiheit“, in geringerem Ausmaß die Union und die großen Sieger der Landtagswahl 2008, die „Freiheitlichen“, gingen mit der Absicht in das Gedenkjahr, es zur Inszenierung eigener politischer Ziele, zumal der Implementierung der Selbstbestimmung im Sinne einer Sezession von Italien zu nutzen. Mit dem Rückenwind der Wahlerfolge und beflügelt durch ein den „Patrioten“ gewogenes Klima, das Südtiroler Printmedien wie „Dolomiten“ und „ff – Südtiroler Wochenmagazin“ zunächst noch eifrig anheizten, schien die Rechnung aufzugehen. Auch die „Tiroler Tageszeitung“ rückte das Thema zu Jahresbeginn 2009 groß in den Mittelpunkt der Berichterstattung (Tiroler Tageszeitung, 5.1.2009). Eine im Auftrag des Nordtiroler Tagblatts lancierte Umfrage führte zum Befund, dass sich knapp 50% der Nordtiroler Befragten eine Einheit von Nord- und Südtirol wünschten: Das war Wasser auf die Mühlen der Patrioten, die alles daran setzten, das Thema Selbstbestimmung und Wiedervereinigung auf der Agenda des annus mirabilis zu halten.

Promotor einschlägiger Initiativen war vorab der „Südtiroler Schützenbund“, in dem der konziliante, aber oft führungsschwache Landeskommandant Paul Bacher unter dem Druck patriotischer Führungsoffiziere wie Bundesgeschäftsführer Elmar Thaler und einzelner Bezirksmajore den Kurs verschärfte (ff – Südtiroler Wochenmagazin, 4/2009).9 Die Schützen als wichtige Träger der Tradition von 1809 verfügten von Anfang an über einen strukturellen Heimvorteil, da ihre Präsenz in der Öffentlichkeit selbstverständlich erwartet und viel beachtet wurde. Ihre rituelle Choreografie in Tracht, Bewaffnung, Marschformation und wohldosierten Auftritten sorgte stets für erhöhte Aufmerksamkeit, zumal ihr kompakter Mannschaftskörper in einer individualisierten Gesellschaft sich keineswegs anachronistisch, sondern als antimoderne und dennoch hoch dynamische Phalanx der Traditionalisierung ausnahm.

Der Südtiroler Schützenbund bewies 2009 mehr denn je, dass er sich nicht als honoriger Traditionsverband begriff, sondern als politischer Akteur, getragen von einer Basis, deren Jugendlichkeit sich bereits am Altersdurchschnitt seiner Mitglieder (39 Jahre) ablesen ließ. Die Schützen nutzten die Spielräume symbolischer Politik­ geschickt aus, wurden aber in entscheidenden Momenten von der Realpolitik überspielt. Der Kampf um Symbole wurde 2009 mit vollem Einsatz geführt, ganz so, als würde das rituelle Drama mancher Theateraufführungen im vorpolitischen Raum fort gesetzt.

Die Südtiroler Linie symbolischer Los-von-Rom-Politik fand auf Seite der Nordtiroler Schützen aber nur geringen Anklang, wo man die seit Jahren stark politisierte Wende der Südtiroler Schützenbrüder nicht mittragen mochte. Der Tiroler Landeskommandant Otto von Sarnthein wusste sich auf persönlicher Ebene mit seinem Südtiroler Kollegen Bacher zwar in bestem Einvernehmen, nahm aber gleichwohl missbilligend zur Kenntnis, dass dem betulich-betagten Kameraden die Situation immer wieder zu entgleiten drohte. Dafür sorgte schon der junge Bundesgeschäftsführer Elmar Thaler, der mit immer neuen Aktionen seinen Chef, die Landesregierung und die Mehrheitspartei in Zugzwang brachte. Unter seinem Einfluss nahm sich der in früheren Jahren noch milde Bacher Anfang 2009 die SVP deutlich zur Brust: „Sie hat es verabsäumt, sich an den rechten, patriotischen Block zu halten. Anstatt, dass sie versucht hätte, mehr Fuß in den Kompanien zu fassen, hat sie die Schützen mehr oder weniger ausgegrenzt“ (ff – Südtiroler Wochenmagazin, 4/2009).

Die politische Mobilisierung der Schützen setzte bereits vor Beginn des Anniversars ein, am Abend des 8. November 2009, als in Bozen ein starkes Schützenaufgebot mit Fackeln bewehrt am Siegesdenkmal vorbei Richtung Landesgericht zog, wo es vor dem Gerichtsgebäude unter dramatischer Beleuchtung eine Kundgebung „Für Tirol – Gegen Faschismus“ abhielt. Der Protest richtete sich gegen die noch sichtbaren Wahrzeichen des faschistischen Regimes, vorab gegen das von Hans Piffrader geschaffene Großrelief mit dem „Duce“ hoch zu Ross. Der in seiner antifaschistischen Stoßrichtung durchaus nachvollziehbare Protest wurde aber durch den anti-italienischen Drall und die Botschaft „Los von Rom“ überlagert, so dass die Antifa-Kundgebung der Schützen unverkennbar auch sezessionistische und nationalistische Züge trug.

Der erfolgreiche Aufmarsch vom Spätherbst 2008 war die Ouvertüre für noch wirkungsvollere Aktionen, die bereits tief im Jubiläumsjahr stattfanden. Beflügelt vom Erfolg des Novemberzugs, rüstete der Südtiroler Schützenbund im Frühjahr zum Marsch auf ein weiteres Denkmal des italienischen Imperialismus, auf das Alpinidenkmal in Bruneck (Alto Adige, 26.4.2009). Das 1938 zum Gedenken an den Abessinienfeldzug errichtete, seither durch verschiedene Anschläge stark amputierte Monument eines schreitenden Alpino wurde vom Schützenbund als faschistisches Relikt (das es teilweise auch war) dingfest gemacht und durch einen Aufmarsch am 25. April in seiner totalitären Bedeutung stigmatisiert. Dass der Termin auf den italienischen Nationalfeiertag, den „Tag der Befreiung“ vom Faschismus und Nationalsozialismus gelegt wurde, entsprach der Absicht der Veranstalter: Die Schützen gedachten sich mit der Wahl dieses Zeitpunkts als in die Wolle gefärbte Antifaschisten zu präsentieren, um der italienischen Politik und Bevölkerung vorzuführen, dass sie endlich die bisher versäumte, gründliche Abrechnung mit dem Regime zu vollziehen habe.

Der Marsch auf Bruneck wirkte in gewisser Weise wie eine Paraphrase der unsäglich herablassenden Inschrift auf dem Siegesdenkmal in Bozen, die aus faschistischer Epoche stammte: „Hinc ceteros excoluimus lingua, legibus, artibus“ – „Von hier aus unterwiesen wir die Anderen in Sprache, Gesetz und Künsten“. Nicht „legibus et artibus“ versuchten die Schützen „den Italienern“ in Bozen den Antifaschismus einzubläuen, sondern „pedibus et armis“, mit Stiefeln und in Bewaffnung. Die volkspädagogische Botschaft für die Schützenaktivitäten in Bruneck und anderswo lautete: „Unser Marsch unterwies die Anderen mit Sprüchen, Füßen und Stutzen“.

Die römische Regierung steigerte den Effekt der Kundgebung, da sie den Kapuzinerplatz, den Standort des Monuments, mit großem Polizeiaufgebot sperrte und damit aus Schützen-Sicht die unverbesserliche, rechtsnationalistische Gesinnung des Staates unter Beweis stellte (vgl. Norbert Dall’O 18/2009).

Mit beiden Kundgebungen erreichte der Südtiroler Schützenbund den Gipfel seiner Popularität, zumal die deutschsprachigen Medien die Aktionen willig sekundierten und das meinungsführende Tagblatt ‚Dolomiten‘ durch ausführliche Berichterstattung und Bebilderung gewisse Sympathien erkennen ließ. Als „Eine überaus reizvolle Idee“ charakterisierte Norbert Dall’O, Chefredakteur des Wochenmagazins ff im März 2009 in einer Titelgeschichte vollmundig die Debatte um einen Freistaat Südtirol, als eine Chance, einem Staat zu entrinnen, der „seiner Probleme nicht mehr Herr wird, und einer blühenden, immer selbstbewussteren Provinz, die längst zum Musterknaben Europas aufgerückt und weltweit zum nachahmenswerten Modell geworden ist – und die jetzt Lust auf Mehr hat“ (Norbert Dall’O 12/2009). Pünktlich 200 Jahre nach der ersten Befreiung Tirols (April 1809) schien damit eine Grundlage gelegt für weitere Aktionen, die eine breite Öffentlichkeit erreichen und mobilisieren sollten.

Nach der erfolgreichen Eskalation drehte die Stimmung allerdings. Die zur selben Zeit getroffene skandalöse Aussage des Bozner Vizebürgermeisters Oswald Ellecosta, nicht der 25. April 1945, sondern viel eher der 8. September 1943 wäre ein Tag der Befreiung für die Südtiroler gewesen (Alto Adige, 26.4.2009; Neue Südtiroler Tageszeitung, 30.4./1./2.5.2009), entsetzte breite Teile der öffentlichen Meinung und war jener Zeitpunkt, mit dem ein entschiedenes Gegensteuern einsetzte.

Hatten noch im März 2009 in Südtirol die „Dolomiten“ und die Illustrierte ff die aufgeflammte Selbstbestimmungsdebatte wohlwollend registriert und sogar angefeuert, so steuerten beide Ende April um, ließen die Autonomie wieder hochleben, priesen das „Modell Südtirol“, den Frieden zwischen den Sprachgruppen im Lande und schwenkten auf eine kritische Berichterstattung über die Schützen um (vgl. Ebner 2009). Dasselbe Wochenmagazin ff, dessen Chefredakteur Ende März 2009 die Freistaats-Vision gepriesen hatte, warnte nur zwei Monate später in einer eindringlichen, von Günther Pallaver verfassten Cover-Story vor der „Nachtigall des Nationalismus“ und verwies darauf, mit dem Hurra-Geschrei um Freistaat und Los-von-Rom sei „eine Menge Porzellan zerschlagen worden“ (Pallaver 21/2009). Der Schlingerkurs des Wochenmagazins war bezeichnend für die Stimmung im Lande, die von Unsicherheit und Orientierungslosigkeit geprägt war.

Auch der im April neu gewählte SVP-Obmann Richard Theiner, für den noch Ende März die „Autonomie nicht den Endpunkt in der Entwicklung des Landes“ darstellte (Neue Südtiroler Tageszeitung, 25.3.2009), trat den geordneten Rückzug an. Dies wohl auch unter dem Eindruck römischen Drucks, da Außenminister (!) Franco Frattini gegen den neuen Separatismus mit Sanktionen drohte (vgl. Nindler 2009).

Der Nordtiroler Schützenbund war dem patriotischen Überschwang des Südens von Anfang an skeptisch begegnet: Landeskommandant Otto Graf Sarnthein lehnte eine politische Instrumentalisierung des Bicentenaire im Zeichen von Selbstbestimmung und „Los von Rom“ ab (Dolomiten, 14.8.2009). Er lag damit ganz auf der Linie von Landeshauptmann Platter, der entschiedener und offensiver als sein Südtiroler Kollege Durnwalder gegen solche Tendenzen zu Felde zog. Der Landeshauptmann und Landtagspräsident Dieter Steger traten erst Mitte Mai 2009 eine entschiedene Kehrtwende an und riefen die Befürworter von Sezession und Selbstbestimmung eindringlich zur Ordnung: „…niemand kann ernsthaft die Abspaltung von Italien fordern. Das hat nichts mit Heimatliebe zu tun. Das ist der falsche Weg“ (Tiroler Tageszeitung, 12.5.2009; Dolomiten, 11.5.2009). Diese Haltung entsprach auch den Intentionen der Kirchen in Nord- und Südtirol, die sich im Gedenkjahr immer wieder gegen einen ethnoregional verengten Tirolismus wandten. Der nach dem Tod seines Vorgängers Wilhelm Egger (1986 – 2008) neu konsekrierte Bischof von Bozen-Brixen, Karl Golser, erhob bald nach seiner Weihe am 8. März 2009 die Versöhnung zwischen den Sprachgruppen zum Leitwert, ebenso distanzierte sich sein Nordtiroler Amtsbruder Manfred Scheuer von allen Anwandlungen einer überzogenen Tirolität (Dolomiten, 21.2.2009).

Die Landeshauptleute des Bundeslandes Tirol, von Südtirol und dem Trentino hatten mit ihren Kulturreferenten auf Schloss Tirol am 21. Februar 2009 in einer gemeinsamen Sitzung der drei Landesregierungen den Beginn des Jubiläumsjahrs proklamiert (Dolomiten, 20.2.2009). Dabei stellte vorab Landeshauptmann Günther Platter die Stärkung der Europaregion Tirol in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Bereits am Vortag, beim offiziellen Auftakt mit der Kranzniederlegung auf dem Bergisel (Tiroler Tageszeitung, 21.2.2009), hielt Platter bei seiner Festrede im Congress Innsbruck fest: „Wir sind einer der spannendsten Kultur- und stärksten Wirtschaftsräume Europas. Schon vor 200 Jahren haben wir gezeigt, dass wir gemeinsam auch gegen eine Übermacht bestehen können“. Diesem historischen Szenario ließ Platter den Brückenschlag zur Aktualität folgen: „Wenn es uns gelingt, neben dem Brennerbasistunnel auch im Bereich der Energie und Ausbildung, im Technologietransfer und vielen anderen Politikfeldern die Zusammenarbeit zu intensivieren und sehr konkrete Fortschritte für die Menschen spürbar zu machen, wird dieses Thema auch von den Köpfen der Menschen wieder in ihre Herzen vordringen“ (Staud 2/2009, 11).

2009 stand mithin für die regierenden Landespolitiker im Zeichen einer Europäisierung Tirols, die die Landeshauptleute denn auch immer wieder betonten. Daher wurde auch das Trentino verstärkt eingebunden, wobei Landeshauptmann Lorenzo Dellai den Part gerne mitspielte. Die Vision einer „Europaregion Tirol“ wurde erneut in den Raum gestellt (Dolomiten, 23.2.2009; Alto Adige, 22.2.2009). Der Relaunch des Projekts Europa-Region war gedacht als Gegenmittel gegen die EU-Skepsis vieler Nordtiroler, aber auch zur Neupositionierung des zentralen Alpenraums mit dem Kernstück Nordtirol. Das durch seinen Nordtiroler Kollegen forcierte regionale Modell lag dem Südtiroler Landeshauptmann weniger am Herzen, da er die Europaregion nur lau mittrug. Der Sonderstatus Südtirols bedurfte aus seiner Sicht zwar in jedem Fall besserer Absicherung gegenüber dem Zentralstaat mit seiner südtirolskeptischen Mitte-rechts-Regierung, nicht aber eines zusätzlichen Überbaus. Dies galt auch für Dellai im Trentino, dessen specialità er selbst immer wieder hervorhob und auch durch seine eigene Partei, die Unione per il Trentino (UpT) unterstrich, während er die Pflege der Europaregion seinem Koalitionspartner und Rivalen, dem Landtagspräsidenten Giovanni Kessler, überließ. Kessler, Gastgeber des Dreierlandtags von Mezzocorona (29. Oktober 2009), nutzte das Forum, um das Projekt verstärkt zu lancieren. Unter seiner Ägide sollte der bisher im Zweijahresabstand tagende, weit gehend zur deklaratorischen Rednerbühne degradierte gemeinsame Landtag von Tirol, Südtirol und Trentino neue Bedeutung gewinnen und sich als Plattform einer erneuerten Europa-Region bewähren. In Mezzocorona wurde denn auch der künftige rechtliche Verbund einer Europa-Region samt rechtlichem Rahmen und künftigen Kooperationsperspektiven eingehend vorgestellt und im Plenum verabschiedet. Ob der Neustart der Europa-Region gelingt und konkrete Ergebnissen zeitigt, wird erst das Biennium 2010/2011 zeigen (Dolomiten, 24.12.2009).

In der Wiederaufnahme des Projekts Europa-Region gewann das Gedenkjahr-Motto „Geschichte trifft Zukunft“ einigen Realitätsgehalt. Im Trentino gab es neben ihren entschiedenen Promotoren wie Landtagspräsident Kessler und lauen Unterstützern wie Presidente Dellai aber auch verstärkt restaurative Tendenzen in Richtung einer konservativen, quasi freistaatlichen Region Großtirol. Vorab wirkte Kulturlandesrat Franco Panizza als Mentor einer restaurativen Beheimatung des Sandwirts und seines Mythos. Unter dem Motto „Hofer Trentino“ wollte der zur Autonomistenpartei PATT gehörige Panizza die Figur Hofers ins Pantheon der Trentiner Identität einführen, als personifizierten Ausdruck eines historisch be­ständi­gen Willens zur Selbstverwaltung (espressione di una volontà di autogoverno che qui c’è sempre stata) und Patron der Gemeinsamkeit der drei Länder.10 Daher förderte Panizza in seiner Provinz zahlreiche Initiativen eines Hofer-Revivals, so eine „Mostra su Andreas Hofer“ in Mori oder „Andreas Hofer a Cles e nelle Valli del Noce“ bis hin zur Benennung eines Platzes in der Gemeinde Ballino. Soviel­ unreflektierte Hofer-Verklärung, zu der die Trentiner Schützen inmitten der schweren Wirtschaftskrise zwei Millionen Euro für neue Trachten erhielten, fand nicht nur freudige Begeisterung. „Con Hofer e tirolesi serve più rigore storico“ (Rogger 2009, 15), wetterte der betagte, 90-jährige Monsignore Iginio Rogger, Doyen­ der Trentiner Geschichtswissenschaft und des katholischen Autonomiebewusstseins anlässlich der lectio magistralis, die wie alle Jahre am 18. August 2009 in Pieve Tesino dem Andenken an Alcide De Gasperi gewidmet war (vgl. Rogger 2009, 27–37).

Beifällig hingegen vermerkte Helmut Mader, 1994 bis 2008 Landtagspräsident des Bundeslandes Tirol, „Bemerkenswerte Zeichen neuer Tirolgesinnung im Trentino“ (Dolomiten, 2./3.1.2010), da die Platzbenennung in Ballino, wo Hofer 1785 bis 1788 bei einem Gastwirt gearbeitet hatte, den Sandwirt im Trentino neu beheimatet habe. Mader ortete in diesem Akt den erfreulichen Ausdruck eines von konservativen Werten getragenen Landesbewusstseins, das unter allen Sprachgruppen verankert worden sei.

Im Zeichen der vorab von Nordtirol und dem Trentino gewünschten Europa-Region und der von Durnwalder, seiner Partei und den Koalitionspartnern wieder zunehmend offensiv vertretenen Südtirol-Autonomie erschien der bis Mai 2009 aufgebrochene Selbstbestimmungsdiskurs den Landesregierungen zwar durchaus dafür geeignet, um eigene Positionen besser zu markieren, über die eigene Profilbildung hinaus aber sollte er keine weiteren Kreise ziehen.

Daher wurde ab Mai 2009 in Nord- und Südtirol die offiziöse Linie der Regierungspolitik wieder konsequenter durchgezogen, während die Spielräume für andere Positionen wieder deutlich verengt wurden.

Die aufgebrochene Selbstbestimmungsdebatte und die einsetzende Unruhe wurden auch auf römischer Ebene strategisch genutzt. Neben dem Drohgestus von Außenminister Frattini meldete sich auch Innenminister Roberto Maroni (Lega Nord) in Südtirol an und kündigte Ende Mai 2009 an, einen „Runden Tisch“ einrichten zu wollen, um die Gravamina Südtirols von den Parteien und wichtigen Verbänden wie den Schützen diskutieren zu lassen. Tatsächlich flog Minister Maroni dreimal in Bozen ein und nahm medienwirksam, eskortiert von seiner provinziellen Statthalterin Elena Artioli, Anliegen und Vorschläge zur Kenntnis, wobei er sich betont konziliant in Szene setzte. Sein Bozen-Auftritt diente freilich vorab der Annäherung zwischen der Südtiroler Volkspartei und der Lega Nord, die sich immer wieder als Regierungspartei anbot.

5. Landesfestzug 2009: Triumph modernisierter Tradition

Das von Platter anvisierte Konzept eines Gedenkjahres, in dem die historische Kommemoration der Erhebung von 1809 der Pflege von Traditionen und Landesidentität dienten (Dolomiten, 1./2.8.2009), aber auch als Zukunftsplattform für eine Europa-Region genutzt werden sollte, realisierte sich erfolgreich anlässlich des Landesfestzuges am 20. September 2009.

Die fünfte Landesfeier der Tiroler Erhebung seit 1909 fand 2009 unter einer rapide gewandelten Situation statt. Die globale Ära des frühen 21. Jahrhunderts färbte auch auf die Festivitäten des Gedenkjahres ab, das die Landesregierungen in Innsbruck und Bozen unter das vage Motto „Geschichte trifft Zukunft“ stellten. Mit einigem Recht: Die Zukunftsfrage stellte sich angesichts der größten Wirtschaftskrise seit 1945, der neuen politischen Krisenherde und des rapide voranschreitenden Klimawandels in aller Schärfe. Gaben kritische Jugendliche der Punk-Generation um 1980 die Parole no future aus, so gab es 2009 einen Überhang, ein too much an richtungsloser, unüberschaubarer Zukunft.

Neben dieser Entgrenzung und Öffnung der Perspektiven spielte aber vorab die Wiederkehr von Traditionen bei der 200-Jahr-Feier der Erhebung eine bedeutsame Rolle. Denn Jugendliche in Nord-, Ost- und Südtirol wenden sich seit gut einem Jahrzehnt verstärkt einem neuen Heimatbewusstsein zu und tragen Tracht mit einer begeisterten Hingabe, die frühere Generationen niemals aufgebracht hätten. Geschichte traf 2009 nicht nur Zukunft, sondern verwandelte sich in neue Traditionen, die dann im Internet und Facebook millionenfach reproduziert wurden. Globalisierung und Neuer Heimatsinn gingen Hand in Hand. Politisch zugespitzten Ausdruck gewann die Heimatoffensive in patriotischen Parteien Südtirols, die das Jubiläumsjahr für ihre Ziele zu nutzen suchten. „Los von Rom“ und „Freistaat Südtirol“ gingen den neuen Patrioten leicht von der Zunge.

Die Vorbereitungen zum Festzug von 2009 gerieten im Spannungsfeld von Europäisierung, Traditionsbildung und patriotischer Offensive zur schwierigen Gratwanderung.11 Der Chefkoordinator des Landesfestzugs, der frühere Nationalratspräsident Andreas Khol, setzte daher auf eine Verbindung von Tradition und Jugend (Tiroler Tageszeitung, 17.9.2009). Den Landesfestzug sollten zwar nur Traditions- und Schützenvereine begleiten, der Gefahr musealer Erstarrung wurde aber durch eine durchgreifende Verjüngung der Teilnehmer begegnet. Das Risiko patriotischer Vereinnahmung löste Polit-Fuchs Khol auf mehreren Ebenen (Dolomiten, 3.9.2009; Neue Südtiroler Tageszeitung, 15.9.2009). Die Forderung der Schützen nach einem Comeback der 1959 und 1984 umgetragenen Dornenkrone wurde zwar erfüllt, ihre provokative Anmutung aber geschickt entschärft. Nach einem Vorschlag der Künstlerin Margit Klammer sollte das eiserne Ungetüm im Festzug mit 2009 Rosen ummantelt werden (vgl. Klammer 36/2009). Politische Transparente zur Selbstbestimmung und „Los von Rom“ wurden den Schützen Südtirols zwar zugestanden, aber ihre Präsentation war nur im weiten Abstand voneinander gestattet. Trotz aller Prävention blieb die Sorge vor Entgleisungen im Festzug und unerwarteten Provokationen bis zum Festtag selbst, dem 20. September 2009, im Raum (Dolomiten, 5./6.9.2009).

Alle Sorgen aber verflogen am Umzugstag angesichts einer Festkulisse, in der traumhaftes Sommerwetter ein großes Publikum von ca. 70.000 Teilnehmern sichtlich animierte (Tiroler Tageszeitung, 21.9.2009; Dolomiten, 21.9.2009). Der von rund 26.000 Schützen, Musikanten, Volkstanzgruppen Korpsstudenten und Militäreinheiten besetzte Festzug lief trotz einiger Verspätungen wie am Schnürchen. Politische Provo-Transparente versackten im Meer der Teilnehmer, gezielte Unfreundlichkeiten wie der verweigerte Salut der Burggräfler Schützen vor der Ehrentribüne fielen auf die Provokateure zurück (Dolomiten, 13.10.2009). Sogar die in Rosen gehüllte Dornenkrone schwankte auf Schützen-Schultern versöhnlich durch Innsbrucks Straßen, wie eine alte Drag-Queen, die – auf jung geschminkt – nochmals alle Register der Verführung zieht. Die Ehrengäste, angeführt von Bundespräsident Heinz Fischer, Bundeskanzler Werner Faymann und den Landeshauptleuten Günther Platter, Luis Durnwalder und Lorenzo Dellai zogen anschließend hoch zufrieden Bilanz.

„Geschichte trifft neue Traditionen“ - so hätte das Motto des Landesfestzugs 2009 lauten können. In diesem, selbst gewählten Rahmen war der Umzug ein voller Erfolg, im Hinblick auf die Devise „Zukunft“ blieben freilich viele Fragen offen. Denn es war ein großes und dennoch enges Tirol, das am 20. September 2009 durch die Straßen Innsbrucks defilierte. Ein kompaktes Bild, das aber deshalb so geschlossen wirkte, weil es Vieles und Viele ausschloss (Schlosser 2009, 37 – 48).

Hätte man einige Schützenkompanien zugunsten von 100 Rollstuhlfahrern zu Hause gelassen, hätte man Vertreter sozialer Organisationen ins Boot genommen und wäre womöglich eine Abordnung von Migranten aus Albanien, der Türkei oder Pakistan zwischen den Volkstänzern mit spaziert, so wäre der Zug dem aktuellen Bild Tirols näher gekommen. Und hätte das Festkomitee für die dritte große Sprachgruppe Alttirols und der Europaregion, für die Italiener, Platz gefunden, so wäre das Bild des Landes zwar bunter und unruhiger, aber auch lebensnäher gewesen.

1909 – 2009: Die Edition 2009 bildete den wohl letzten Nachklang des Landesfestzugs vom Beginn des 20. Jahrhunderts. Denn 2034 werden die alten Bilder nicht mehr tragen, sondern neue Formen der Selbstrepräsentation dringend gefragt sein.

6. Finale Furioso: Doppelpass als Eigentor

Nach dem Landesfestzug schien in Politik und Kultur endlich Ruhe einzukehren. Die kulturellen Aktivitäten ebbten ab, auf der politischen Tagesordnung standen wieder vermehrt reale Probleme, wie die Bewältigung der anhaltenden Wirtschaftskrise, die Nordtirol während des Jahres 2009 mit 24.000 Arbeitslosen und das Trentino (20.000) weit mehr belastete als Südtirol, das mit 10.000 Erwerbslosen oder in Lohnausgleich befindlichen Personen vergleichsweise günstig dastand.

Die Rückkehr zum business as usual misslang jedoch gründlich. Nach der Eindämmung der Selbstbestimmungsdebatte brach zu Jahreswechsel 2009/10 der Streit um eine „doppelte Staatsbürgerschaft“ für die Südtiroler auf. Der Disput brachte die Mehrheitspartei SVP in schwere Turbulenzen, belastete ihr Verhältnis zu Wien und Innsbruck und wurde von der rechtspatriotischen Opposition weidlich ausgeschlachtet. Auslöser waren die seit Anfang 2009 einsetzenden Bemühungen der SVP-Kammerabgeordneten Siegfried Brugger und Karl Zeller, die österreichische Regierung dafür zu gewinnen, jenen Südtirolern, die in direkter Linie von einem österreichischen Staatsbürger abstammten, die Möglichkeit in Aussicht zu stellen, auch die österreichische Staatsbürgerschaft zu erwerben.

Eine solche Option erschien den Promotoren als eine ideale Morgengabe zum Jubiläumsjahr 2009 und hätte der Südtiroler Volkspartei die Möglichkeit gegeben, dem patriotischen Forderungskatalog nach Freistaat und Sezession eine konkrete Perspektive entgegen zu setzen: Keine Verschiebung von Staatsgrenzen also, dafür aber eine Naturalisierung der Südtiroler durch das „Vaterland Österreich“ in Form einer zumindest staatsbürgerrechtlichen Rückkehr ad patriam mithilfe eines zweiten Passes. Dem völkerrechtlich versierten Abgeordnetenduo Brugger-Zeller schien die Möglichkeit auch nicht unrealistisch, hatte Italien doch den auf kroatischem Gebiet im Adriaraum lebenden Bürgern italienischer Herkunft und Sprache diese Möglichkeit bereits seit 2006 konkret eröffnet, sodass von der römischen Regierung eigentlich keine Einwände zu befürchten waren. Dafür hegte aber Wien, wie erste Gespräche zeigten, schwere Bedenken gegen eine Doppelstaatsbürgerschaft für Südtiroler: Das österreichische Recht schloss – im Gegensatz zu andren EU-Staaten wie Italien – eine solche Variante grundsätzlich aus, um sich eine Flut von Anträgen aus den Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie zu ersparen, um durch eine Aufnahme zahlreicher Neu- und Wahlbürger politische Gewichtungen nicht zu verschieben und um seinen Neutralitätsstatus besser abzusichern.

So sehr daher Südtirol nach bewährter Diktion auch als „Herzensanliegen“ Wiens galt, so gering waren die Aussichten, mit dem Ansinnen durchzudringen. Dies zeigten erste, noch diskrete Fühlungnahmen während des Jubiläumsjahrs, an dessen Ende aber die Fäden der Diplomatie durch einen Vorstoß der Freiheitlichen Partei Österreichs mit ihrem Südtirolsprecher Werner Neubauer zerrissen, der die Forderung nach Doppelstaatsbürgerschaft öffentlich erhob und im Nationalrat einen entsprechenden Entschließungsantrag einbrachte (vgl. Nindler 2009).

Nun zeigten auch Brugger und Zeller Flagge und machten am 18. Dezember 2009 das Ersuchen öffentlich: „Es hätte einen symbolischen, historischen und kulturellen Wert für uns als Minderheit. Und man hätte das Wahlrecht – wenn genug Südtiroler die österreichische Staatsbürgerschaft beantragen, könnte sogar ein Südtiroler im Nationalrat sitzen“ (Dolomiten, 18.12.2009). Der ÖVP-Südtirolsprecher und Nationalrat Hermann Gahr, wiegelte umgehend ab: Für seine Regierung habe „die Verankerung der Schutzmachtfunktion Österreichs in der Verfassung“ Priorität (Tiroler Tageszeitung, 18.12.2009), nicht aber weiter gehende Forderungen. Da half es auch nicht, dass ein hochrangiger Vertreter des Partito Democratico, Gianclaudio Bressa, den Südtirolern beisprang und den Vorschlag für gut befand (Neue Südtiroler Tageszeitung, 18.12.2009).

Mit der Weihnachtspause 2009 endete die Schonzeit für den Vorschlag, zumal dann, als nacheinander der frühere Nationalratspräsident und Tirol-Mentor ­Andreas Khol, Alt-Vizekanzler Erhard Busek und schließlich Außenminister Spindelegger dem Ansinnen eine zumeist harte Abfuhr erteilten (ff – Südtiroler Wochenmagazin, 2/2010; Dolomiten, 12.2.2010). Die Rüge von Khol, Chefintendant des Landesfestzuges und Grand-Commis für Südtirolfragen, traf die SVP besonders schmerzlich: Der Vorschlag sei nicht abgesprochen und schade den Südti­rolern selbst: „Und wollen wir wirklich in Südtirol wieder Gräben aufreißen zwischen den Südtirolern, die Doppelstaatsbürger werden wollen und können, und solchen, die es nicht wollen oder können und den Italienern in Südtirol?“ (Neue Südtiroler Tageszeitung, 19.1.2010; Tiroler Tageszeitung, 15.1.2010) Die Abfuhr Khols traf die SVP-Promotoren umso überraschender, da man mit ihm im Vorfeld entsprechende Gespräche geführt hatte, an die er sich freilich nicht mehr erinnern mochte. Spindeleggers überaus reservierte Reaktion machte zugleich deutlich, dass nicht nur rechtliche Bedenken, sondern wohl auch diplomatische Interventionen des römischen Außenministeriums für eine zugeknöpfte Haltung sorgten. Ab Februar 2010 wurde die Frage wieder auf die lange Bank geschoben, durchaus im ­Sinne von Landeshauptmann Durnwalder, der zu erkennen gab, dass er von der „Operation Doppelpass“ herzlich wenig hielt (vgl. Franceschini 2010). Unter BürgerInnen Südtirols weckte die Frage geringe Emotionen, woran sich die wenig ausge­prägte Bindung an Österreich ebenso zeigte wie die Tatsache, dass andere Fragen wesentlich mehr Sorgen bereiten. Die deutschpatriotische Opposition kommentierte die Affäre als weiteres Beispiel für den Dilettantismus der SVP und ihre Unfähigkeit, eine konstruktive Annäherung an Österreich und schrittweise Ab­nabelung von Italien zu gestalten. Trotz des Flopps enthielt der Vorschlag aber gute Ansätze und verdiente nicht die generalisierte Medienschelte, mit der er überzogen wurde (vgl. Ebner 2010; Kronbichler 2010): Die Intention, mithilfe einer Dop­pelstaatsbürgerschaft die Grenzen zu verflüssigen, war sinnvoll, zumal dann, wenn sie vom ius sanguinis und dem Privileg für die „Alt-Südtiroler“ abgerückt wäre, um all jene in Betracht zu ziehen, die seit einer bestimmten Frist auf Südtirols Territo­rium lebten und zu Österreich eine bestimmte, kontinuierliche Beziehung unterhielten.

Die patriotische Front um Süd-Tiroler Freiheit, Freiheitliche Union und Schützen nutzte die Doppelpass-Debatte als willkommene Chance, um ihr im Mai 2009 gebremstes Agenda-Setting wieder aufzunehmen. In zahlreichen Diskussionsrunden, die vor allem in ländlichen Gemeinden zum Ende des Gedenkjahrs im Jänner/Februar 2010 veranstaltet wurden (Dolomiten, 16.2.2010), wurde das „Los-von-Rom“ erneut in Stellung gebracht und fand vor allem bei Jugendlichen starken Anklang. Dabei beeindruckte die tief sitzende Abneigung, oft sogar der Hass gegen Italien, zumal gegen die Berlusconi-Regierung und ihre nicht endenden Skandale, aber auch der autosuggestive Illusionismus, mit der sich viele Teilnehmer einredeten, dass Selbstbestimmung und Sezession bereits hinter der Haustür warteten. Der Push-Effekt eines ‚Los-von Rom‘ und der Pull-Effekt der Sehnsucht nach überschaubaren Verhältnissen ohne Globalisierung, Krise, Migration und in dichter Gemein­schaft bleiben in ihrer Wirkung intakt und wurden im Jubiläumsjahr neu angeheizt.

7. Fazit: Der blühende Rosenstrauch des Mythos

Das Jubiläumsjahr 2009 bot eine schier unüberschaubare Fülle politischer und kultureller Aktivitäten, die aber nicht in eine breite Diskussion über jene Zukunft mündeten, auf die Geschichte treffen sollte. Viele Themen wurden aufgegriffen, es erfolgte aber keine grundlegende Standortbestimmung über die Perspektiven, die Entwicklung und Kooperation der drei Länder. Das Defizit an konkreten und gemeinsamen Visionen bei einem massiven Mythen-Überhang war das fühlbarste Manko des Anniversars. Die „geistige Maschine“ (Landeshauptmann Durnwalder) wurde zwar angeworfen, lief aber oft in hochtourigem Leerlauf.

Der politische Ablauf des Gedenkjahrs verlief überwiegend zugunsten der offiziellen Politik und der Mehrheitsparteien. Sie drängten nach einigen Startschwierigkeiten die separatistischen Tendenzen der neuen und alten Patrioten samt deren Selbstbestimmungsoffensive zurück und inszenierten sich erfolgreich selbst. So versprach 2009 im Vorfeld zwar ein offenes Kräftemessen der politischen Akteure, das aber nur zu Beginn aufkam und politisch bald eingehegt wurde. Der Landesfestzug war im wahrsten Sinn des Wortes ein Parade-Beispiel für das gelungene und strategisch sorgfältige Containment der „Neuen Patrioten“ und den Triumph des landesoffiziellen Deutungsmusters: Tradition trifft Zukunft.

Bei der Zähmung der Patrioten war die Nordtiroler Haltung ausschlaggebend. Südtiroler Selbstbestimmungs-Flausen auch auf hoher SVP-Seite wurden von Platter, Khol und tutti quanti umgehend ausgetrieben und mit einer kräftigen Dosis von Realismus und konkretem Problembewusstsein bekämpft (vgl. Kronbichler 2009). Ihr Einfluss wog mehr als die vielen Stimmen der Vernunft in Südtirol selbst.

Eine zentrale Rolle kam dabei den katholischen Kirchen zu, deren Friedens- und Versöhnungsbotschaften besonders eindrücklich wirkten. Als Glücksfall erwies sich der neue, im März 2009 geweihte Bischof von Bozen-Brixen, Karl Golser, überwand er doch durch diplomatisches und entschiedenes Auftreten die oft allzu ängstliche Haltung seines Vorgängers Wilhelm Egger. Bemerkenswert etwa, wie Bischof Golser am 200. Todestag von Andreas Hofer (20. Februar 2010) nicht unter dem offiziellen Politik- und Schützen-Aufgebot am Exekutionsort Mantua zu finden war, sondern in Lichtenstern/Ritten, um des vor 55 Jahren in Nazi-Haft verstorbenen Eidverweigerers auf Adolf Hitler, des katholischen Jugendführers Josef Mayr-Nusser, zu gedenken (Dolomiten, 22.2.2010).

Letztlich siegten Pragmatismus, politische Vernunft und die Pflege des Dialogs über die starke Versuchung zu aggressivem Patriotismus.

In der Programmfülle, die kulturell oft beeindruckend und qualitativ hoch stehend war, mangelte es an konkreten Projekten, die über das Jubiläum hinaus Impulse für die Zusammenarbeit der drei Länder und ihre generelle Entwicklung geboten hätten. Eine „Vision Tirol“ war nur in Bruchstücken sichtbar, wohl aber zeigte sich der Wunsch nach Aufbrechen bekannter Muster. Träume von einem Freistaat und die Sehnsucht nach einer größeren, offenen Region mit weicheren Identitäten standen unverbunden nebeneinander.

Der Dialog zwischen Sprachgruppen trat in Südtirol 2009 auf der Stelle, die Italiener der Provinz Bozen wurden vom Jubiläum eher beunruhigt, als wirklich einbezogen. Ihre Abwesenheit bei zentralen Anlässen wie dem Landesfestzug und die geringe Zahl an Initiativen, die die Handschrift der italienischen Sprachgruppe trugen, waren augenfällig. Ihre Mitwirkung wäre nicht nur sinnvoll, sondern notwendig gewesen: Nicht zur Einbindung in die tirolische Traditions- und Erinnerungsgemeinschaft, sondern zu deren Auflockerung, zur Kreation von Übergängen, Dialogen, Alterität. Mit der Abwesenheit der Italiener vergaben die Sprachgruppen eine große Chance.

Der konservative Landesmythos von „Tirol“ als eines freien und besonderen, von „Großen Einzelnen“ getragenen Landes, das sich auch in den Katarakten der Globalisierung behaupten werde, ging aus dem Rosenbad der Veranstaltungen gestärkt hervor. Die fehlende Landeseinheit und die gewachsenen Differenzen zwischen Nord- und Osttirol, Südtirol und dem Trentino wurden durch den Verweis auf die geschwundene Bedeutung der Landesgrenzen und die Verheißung der Europa-Region Tirol überwölbt. Vieles aber blieb rhetorisch, die Bekenntnisse der Kooperation oft blut- und inhaltsleer.

Insgesamt aber war die Schubkraft des Mythos, der 2009 seine Wandlungsfähigkeit mehr denn je bewies, eindrucksvoll genug. Andre Hofer wurde zwar vom Sockel geholt, neben der fortdauernden Heroisierung des Sandwirts gab es ein ungeahntes Maß an Historisierung, Ironisierung und Kommerzialisierung, bis hin zu Südtirols Schwulen und Lesben, die augenzwinkernd verkündeten: „Ich bin Anders“. Die von dem deutschen Politikwissenschaftler Herfried Münkler erhobenen Grundanforderungen an politische Mythen, dass sie „narrative Variation, ikonische Verdichtung und rituelle Inszenierung“ (Münkler 2009, 14) zu leisten hätten, wurden 2009 dynamischer denn je umgesetzt. Hofer und Tirol wurden neu erzählt, in neue Bilder gegossen und auf großen Medienplattformen theatralisch inszeniert. Die Erzählung war überbordend und heterogen, sie wahrte aber dennoch ihren Kick und wurde von vielen rezipiert. Wer also das Verwelken des Mythos erhofft oder befürchtet hatte, wurde im abgelaufenen Jahr nachdrücklich enttäuscht. Seine Rosen blühen auch noch im 21. Jahrhundert.

Anmerkungen

1 Erweiterte und veränderte Fassung meines Aufsatzes: Die Rosen des Mythos. Eine Bilanz des Jubiläumsjahres 2009, in: Karlhofer, Ferdinand/Pallaver, Günther (Hg.) (2009). Politik in Tirol. Jahrbuch 2010, Innsbruck/Wien/Bozen: Studienverlag, 9 – 20.

2 Eindrücke aus dem Hofer-Land. Jubiläumsjahr: Theaterstücke, Ausstellungen, Bücher, Filme, Kompositionen, ja sogar T-Shirts zum Hofer-Jahr in Südtirol, in: Dolomiten, 24./25./26./27.12.2009, XII.

3 Die Bilanz der Landesrätin zum Gedenkjahr im Interview: „Das ärgert mich …!“, in: ff – Südtiroler Wochenmagazin, 38/2009, 37–41.

4 Vgl. das Sonderheft der Südtiroler Theaterzeitung 1 (2009), Gedenkjahr 1809 … es isch Zeit.

5 Andreas Hofer. Due secoli fra storia e mito, Sonderheft der Storia E 6 (2008), der didaktischen Zeitschrift des Italienischen Schulamts Bozen.

6 Von Carlo Romeo stammte auch eine vorzügliche, zweisprachige Neuausgabe des 1909-Skandalklassikers: Tirol ohne Maske: Romeo, Carlo (Hg.)/Techet, Carl (Schluiferer, Sepp) (2009). Tirolo senza maschera. Tirol ohne Maske, Bozen: Edition Raetia [nach der Ausgabe: Leipzig 191921].

7 Nur einige Beispiele lokaler Feiern: Schlüsselfigur an der Front im Süden. Kurtatsch: Buch über Hauptmann Josef Vigil Schweiggl vorgestellt, in: Dolomiten, 24.11.2099, 24; Gemeinsam in die Zukunft blicken. Gedenkjahr: Neues „Tiroler Platzl“ ist Marlings Beitrag zum Andreas-Hofer-Jahr, in: Dolomiten, 26.10.2009, 15.

8 Schützenkapelle Pichl/Schützenkompanie Pichl/Schützengilde Nikolaus Amhof (Hg.) (2009), Nikolaus Amhof. Keilwirt in Gsies, Brixen.

9 „Dornen im Fleisch“. Landesschützenchef Paul Bacher über „gesunden Patriotismus“, die Fehler der SVP, den Traum von der Landeseinheit und ungebührliche Einmischungen, in: ff – Südtiroler Wochenmagazin, 4/2009, 18–21.

10 Vgl. das Sonderheft: Provincia Autonoma di Trento (Hg.), Hofer Trentino, Supplemento a Il Trentino, 289/2009.

11 Offizielles Programm in einer Auflage von 160.000 Stück: 18.09.–20.09. Landesfesttage Innsbruck, Zeitungsbeilage der „Dolomiten“ und „Tiroler Tageszeitung“, September 2009.

Literaturverzeichnis

Aschbacher, Alexandra (2010). Der Europaflüsterer, in: ff – Südtiroler Wochenmagazin, 2/2010, 16–21

Aschbacher, Alexandra (2009). Dornen im Fleisch. Paul Bacher im Gespräch, in: ff – Südtiroler Wochenmagazin, 4/2009, 20

Dall’O, Norbert (2009). „Des gibs jo net!“, in: ff – Südtiroler Wochenmagazin 18/2009, 16–19

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Schwazer, Heinrich (2009). Ermüdete Freiheit, in: Neue Südtiroler Tageszeitung, 16./17.5.2009, 29

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Vahrner, Alois (2010). Nein zu Doppelstaatsbürgern, in: Tiroler Tageszeitung, 15.1.2010, 5

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Weber, Johannes/Span, Michael (2009). Rituale der Erinnerung. Die Gedächtnisfeiern 1959 und 1984 im Vergleich, in: Mazohl, Brigitte/Mertelseder, Bernhard (Hg.). Abschied vom Freiheitskampf? Tirol zwischen politischer Realität und Verklärung (Schlern-Schriften 346), Innsbruck: Universitätsverlag Wagner, 503–524

Weißensteiner, Robert (2009). Hofer und kein Ende, in: Südtiroler Wirtschaftszeitung, 28.8.2009, 1

Zeitungen und Zeitschriften

Das Gedenkjahr beginnt, in: Dolomiten, 20.2.2009, 17–19

Ein Wert, für Freiheit zu kämpfen, in: Dolomiten, 21.2.2009, 17

Hofer als Kick für stärkere Euregio, in: Dolomiten, 23.2.2009, 7

Alles fängt mit dem Zündeln an, in: Dolomiten, 11.5.2009, 5

Kein Platz für Ewig-Gestrige, in: Dolomiten, 1./2.8.2009, 13

Von Rücktritt keine Rede. Sarnthein: Liste Tirol will mich schwächen – Kein Druck aus Südtirol, in: Dolomiten, 14.8.2009, 17

Trittbrettfahrer lauern überall, in: Dolomiten, 3.9.2009, 15

Festumzug: 40.000 Besucher erwartet, in: Dolomiten, 5./6.9.2009, 17

Rosen statt Dornen für Tirol, in: Dolomiten, 21.9.2009, 1–8

Vorstoß: Vaterland auch im Pass, in: Dolomiten, 18.12.2009, 13

Euregio: Signale an Bevölkerung nötig, in: Dolomiten, 24.12.2009, 15

Tirol wieder zusammengewachsen, in: Dolomiten, 16.2.2010, 16

Tiroler Gedenkjahr ist zu Ende, in: Dolomiten, 22.2.2010

Nein zu sagen erfordert großen Mut, in: Dolomiten, 22.2.2010, 9

Liberi, uniti e contro i nuovi Napoleone, in: Alto Adige, 22.2.2009, 27

Schützen, una marcia blindata, in: Alto Adige, 26.4.2009

Ellecosta inadatto, deve dimettersi, in: Alto Adige, 26.4.2009

Durni striglia gli Schützen: basta tensioni, in: Alto Adige, 22.2.2010

Er wusste sich nicht zu helfen, in: Neue Südtiroler Tageszeitung, 21.2.2010

Entschuldigen oder zurücktreten, in: Neue Südtiroler Tageszeitung, 30.4./1./2.5.2009

Theiner für Selbstbestimmung, in: Neue Südtiroler Tageszeitung, 25.3.2009, 1f

Römische Schützenhilfe, in: Neue Südtiroler Tageszeitung, 18.12.2009, 5

49 % wollen Wiedervereinigung mit Südtirol, in: Tiroler Tageszeitung, 5.1.2009, 1–3

Ein Held und ein Mensch, der Fehler gemacht hat, in: Tiroler Tageszeitung, 21.2.2009, 2

So kann es in Südtirol nicht weitergehen, in: Tiroler Tageszeitung, 12.5.2009, 2

Dornenkrone brachte Klärung, in: Tiroler Tageszeitung, 17.9.2009, 2

100.000 feierten mit Tirol, in: Tiroler Tageszeitung, 21.9.2009, 1–5

Südtiroler wollen rot-weiß-roten Pass, in: Tiroler Tageszeitung, 18.12.2009, 6

Utopien von heute sind Realitäten von morgen, in: Pustertaler Zeitung, 15.1.2010, 8f

Abstracts

Nell’anno del Signore:
la chiusura della ricorrenza ­bicentenaria 1809–2009

Come già nel 1959 e nel 1984, anche il Bicentenario dell’insurrezione tirolese del 1809 nelle Province del Tirolo, della Provincia di Bolzano e di Trento è stato accompagnato da un ricco programma culturale e politico, che metteva sul piano anche le questioni dell’identità e delle scelte per il futuro. Quale ruolo e missione delle province e dei Länder nell’arco alpino centrale? Quale sarà il loro percorso politico, quali saranno le scelte da intraprendere a livello sociale e culturale? Queste tematiche nel 2009 sono state affrontate in modo controverso, a volte con forti contrasti e conflittualità. Nel Bicentenario riaffiorò il dibattito sull’autodeterminazione e l’unità delle province appartenenti al Tirolo storico, mentre la politica governativa puntò maggiormente sul rilancio dell’Euregio. Il programma culturale del Bicentenario era stracolmo di una serie di manifestazioni, in parte di qualità notevole e senza clichès folcloristici, ma purtroppo nell’assenza quasi totale del gruppo linguistico italiano della Provincia di Bolzano. Le questioni riguardanti il futuro e la cooperazione tra Tirolo e le Province di Bolzano e Trento furono toccate in modo parziale e frammentario, in un Giubileo che nonostante momenti forti e ben riusciti fu segnato da forti oscillazioni, all’insegna di un futuro ancora incerto.

Tl ann dl Signur: L’ann iubilar por i duicënt
agn 1809-2009 se stlüj jö

Sciöche al ê bele stè dai ultims iubileums dl 1959 y dl 1984, insciö s’à inće le 200ejim aniversar dla insureziun tiroleja dl 2009 dè jö cun la domanda dla identité te Süd- y Nordtirol sciöche inće tl Trentin: Ćiüna é pa la misciun di paîsc tl raiun zentral dles Alpes, olâ condüj pa so tru politich y so svilup economich, tan stabila é pa süa coejiun soziala, tan sterch y davert é pa so orizont cultural? Düć chisc argomënć é gnüs laurà sö dl 2009 te na manira controversa y pluralistica, datrai inće te na forma intravaiada. A livel politich s’à la discusciun rodè incër la domanda de autodeterminaziun y dla unité de Tirol, mo inće incër la elaboraziun dla autonomia ćina ala formaziun de na regiun europeica. Dal punt de odüda cultural àn albü na dërta flöm de manifestaziuns, che ê en pert de dër na bona cualité y portâ dant relativamënter püch clichés tradizionai. N gran manco à rapresentè la püćia partezipaziun da pert dl grup linguistich talian, che é gnü tochè ma püch dal iubileum. La domanda sön le dagnì y la cooperaziun danter le Tirol y les provinzies de Balsan y de Trënt é gnüda respognüda ma en pert, insciö che l’ann iubilar 2009 é gnü caraterisé dal passaje y dala malsegurëza. Le iubileum à portè a löm na “regiun en transiziun”, püch sigüda a livel politich y cruziada por n dagnì malsigü.

In the Year of Our Lord: at the Conclusion of
the Bicentennial Anniversary 1809-2009

Just as previous anniversaries have done, the 2009 bicentennial celebration of the Tyrolean uprising posed a number of questions about identity to the people of North Tyrol, South Tyrol, and Trentino: What is the mission of the central Alpine countries? Where is the political path and economic development leading? How solid is the social cohesion of the people? How consolidated and open are their cultural horizons? These issues took a controversial, pluralistic, and often confusing form in 2009. Politically, the debate revolved not only around the self-determination and national unity of Tyrol, but also around the expansion of autonomy towards a Euroregion. Culturally, the region experienced a flood of events that were, in part, of surprisingly high quality and relatively rarely reproduced traditional clichés. A key shortcoming, though, was the limited participation of the Italian-speaking population, who were only peripherally involved in the jubilee celebration. The issue of future cooperation between the provinces of Tyrol, South Tyrol and Trentino was addressed in an incomplete and fragmented way. The 2009 anniversary was thus marked by transition and uncertainty in the end. The bicentennial year revealed a region in transition: politically insecure and anxious about an uncertain future.