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Roland Benedikter

Das Südtirol-Modell in der internationalen politikwissenschaftlichen Diskussion*

1. Die Schwerpunktverlagerung der internationalen Diskussion
seit den 1990er-Jahren

Es sind meiner Beobachtung nach hauptsächlich zwei Politikbereiche, in deren Rahmen das Südtirol-Modell heute international akademisch diskutiert wird: Ethnopolitiken (ethnopolitics) und kontextuelle Politiken (contextual politics). Ethnopolitiken sind Politiken, die durch ethnische Zugehörigkeit, Kultur, Religion und Sprache und die daraus resultierenden Beziehungen und Konflikte zwischen Volksgruppen geprägt sind. Kontextuelle Politiken sind Politiken, bei denen Faktoren aus dem vorpolitischen, vornormativen und vorinstitutionellen Feld wie Kultur, Ideengeschichte und Ideologien, Psychologie – vor allem Kultur- und Sozialpsychologie –, Weltanschauungen und Philosophien, Geschichte, Geografie, Demografie sowie Technologie außergewöhnlich stark in das Politische hineinwirken und nicht nur seine Gesamtausrichtung, sondern auch seine Einzelentscheidungen beeinflussen.

Beide Bereiche betrachten in ihrer disziplinären Tendenz heute im angloamerikanischen Raum politische Entwicklung vorwiegend „nach innen“, das heißt bezogen auf Gesellschaftsentwicklungen auf der Stadt-, Gemeinde-, Provinz- oder Staats­ebene, weniger als meta- oder zwischenstaatliche Dimension „großer“ Politik. Der Schwerpunkt liegt meist auf der Transformation westlicher „offener“ Gesellschaften durch Migration, Hybridisierung der Kulturen und Religionen im Rahmen der Globalisierung und auf entsprechenden Empfehlungen für eine friedliche Entwicklung. Auch werden historische, „klassische“ Fälle von Ethno- und Kontextpolitiken (wie zum Beispiel Nordirland oder Katalonien) analysiert und Perspektiven für ihre Weiterentwicklung aufgezeigt. Was aber meist fehlt, ist die vergleichende Fruchtbarmachung der Erkenntnisse aus solchen Fällen für aktuelle Problemzonen und Anwendungsfälle weltweit.

Beide Bereiche sind institutionell und disziplinär unterschiedlich etabliert. Während Ethnopolitik seit den 1970er-Jahren und dem damaligen Beginn eines „globalen Bewusstseins“ nach und nach ein „klassischer“ Bereich der politikwissenschaftlichen Forschung geworden ist, zu dem international vergleichsweise viele – kleine – Universitätszentren mit allerdings ausnahmslos starkem Spezialisierungs- und Nischencharakter bestehen, sind kontextuelle Politikfaktoren im interdisziplinären Überschneidungsbereich zwischen Politikwissenschaften, Soziologie und Kulturanalyse angesiedelt, wobei es sich vorwiegend nur Elite-Universitäten wie Harvard, Stanford, Oxford, Melbourne oder Santa Barbara leisten können, eigene Zentren zu unterhalten. Im deutschen Sprachraum sind sowohl Ethnopolitik wie kontextuelle Politik bislang in den institutionalisierten Politikwissenschaften als eigenständige Fachbereiche noch deutlich unterrepräsentiert.

Mit der Konzentration des Diskussionsschwerpunktes über Südtirol in den Bereichen Ethnopolitiken und kontextuelle Politiken hat sich seit Ende der 1990er-Jahre eine bedeutungsvolle Verschiebung im Vergleich zum Diskussionsschwerpunkt der 1970er- bis 1990er-Jahre vollzogen, als Südtirol primär im Zusammenhang mit nationalstaatlichen Fragen und zwischenstaatlichen Konflikten diskutiert wurde – und damit vorwiegend im Politikbereich „Internationale Beziehungen“ angesiedelt war. Diese Verschiebung hat mehrere Gründe. Zum einen entspricht sie der Entwicklung des Südtirol-Modells selbst und ist u.a. eine Folge der Streitbeilegungserklärung zwischen Österreich und Italien 1991. Sie entspricht andererseits aber auch der internationalen politischen und institutionellen Entwicklung, in der nationalstaatliche zunehmend durch sub- und transnationale Problemsichtweisen ersetzt werden. Konflikte zwischen Nationalstaaten werden immer stärker durch sub- oder metanationale Organisationen, Institutionen oder Mechanismen geregelt (in der westlichen Hemisphäre allerdings mit Ausnahme der USA, dem „letzten Nationalstaat“). Schließlich hat drittens die „postmoderne“ Paradigmenentwicklung in den universitären Politikwissenschaften selbst dazu geführt, dass „kleine“ Mikro- und Mesostudien mit stark empirischem Charakter Vorrang vor „großen“ Inbeziehungsetzungen haben, denen im Allgemeinen im Gefolge richtungsweisender Werke wie etwa Jean-François Lyotards „Das postmoderne Wissen“ (1979) und vor allem „Der Widerstreit“ (1982) insbesondere in Europa ein spekulativer Geruch anhängt (in England mit der Ausnahme des auf „Ganzheit“ ausgerichteten Spezialisierungsbereichs „world systems analysis“, der seinerseits allerdings wenig vergleichende Paradigmenarbeit an einzelnen Beispielfällen betreibt, sondern eher „kybernetisch“ operiert).

Mit der Überführung der Diskussion des Südtirol-Modells von der „großen“ Dimension internationaler Beziehungen in zwei spezialisierte Teilbereiche der internationalen Politikwissenschaften ist in der angloamerikanischen Welt eine Verschiebung der Diskussion um Südtirol als internationalen politischen „Fall“ zu einer Diskussion des „Südtirol-Modells“ in seinen verschiedenen institutionellen, normativen und Verfahrensgesichtspunkten erfolgt. Damit erfolgte auch eine Verlagerung der Debatte von politikwissenschaftlichen Außen- auf eher juridische Innengesichtspunkte. Diese Tendenz war bereits Mitte der 1990er-Jahre im Zug der allgemeinen internationalen Entwicklung von Kollektivrechten zu Individualrechten absehbar; sie beschleunigte die „Ent-Nationalstaatlichung“ und „Ent-Ethnisierung“ der internationalen Debatte. Damit schien die Bedeutung ethnisch und kulturell motivierter zwischenstaatlicher Konfliktlösungsmodelle wie Südtirol zu sinken beziehungsweise zu einem Sonderfall mit eher temporärem Wert reduziert zu werden, der durch die größere Entwicklung schließlich überholt werden würde.

Interessanterweise antizipierten die damals entstehenden Wissenschaftseinrichtungen Südtirols, unter anderem die Europäische Akademie Bozen, Aspekte dieser Entwicklung, indem sie jene Fachbereiche, die Minderheitenschutz und regionalen Autonomien gewidmet wurden, von Anfang an fast ausschließlich den Rechtswissenschaften anvertraute und Politikwissenschaften und Soziologie faktisch nicht berücksichtigten. Ich erinnere mich daran, wie in der Anfangsphase 1994 der Politikwissenschaftler Marwan Kreidie von der angesehenen School of Politics der Villanova University Philadelphia und Beauftragter der Stadt Philadelphia für interkulturelle Beziehungen, zum Studium des Südtirol-Modells an die Europäische Akademie kam, aber bald enttäuscht wieder abzog, da er die – damals allerdings noch kaum entfalteten – Forschungsschwerpunkte als zu juridisch und zu wenig politikwissenschaftlich erlebte. Das soll keine Kritik sein, sondern ist zunächst die Feststellung einer Tatsache. Inzwischen bestehen an der Europäischen Akademie die international rezipierten Arbeiten von Thomas Benedikter (2009, 2009a), zum Teil auch von Jens Woelk, Francesco Palermo und Joseph Marko (2008) in englischer Sprache, die meist im Überschneidungsfeld zwischen Rechts- und Politikwissenschaften angesiedelt sind, regional komparativ vorgehen und als vorbildlich für eine spezialisierte, interdisziplinäre Fall- und Anwendungsforschung zum Modell Südtirol gelten können.

An der Freien Universität Bozen wurden in der Gründungsphase ebenfalls keine Politikwissenschaften eingerichtet. Einzelne Lehrveranstaltungen zu politischen Themen setzten sich nicht mit dem Südtirol-Modell als solchem und seiner potenziell internationalen Vorbild- und Anregungswirkung sowie umgekehrt mit möglichen Lehren für Südtirol aus anderen, vergleichbaren Fällen auseinander. Die Nichtberücksichtigung akademischer Politikwissenschaften und die Nichtbearbeitung beziehungsweise Nichtvertretung des Südtirol-Modells auf internationaler akademischer Ebene hatte verschiedene Gründe. Darunter war die Nähe renommierter politikwissenschaftlicher Einrichtungen in Trient und Innsbruck, aber auch die parteiübergreifende Sorge von Teilen der politischen Entscheidungsträger, mit der Hervorhebung einer – bereits bestehenden – Modellrolle Südtirols in der in­ternatio­nalen Diskussion könne das Bemühen um „dynamische Autonomie“ un­terhöhlt werden, weil damit indirekt behauptet werde, der Idealzustand sei bereits erreicht.

Zusammengenommen führten diese durchaus sehr verschiedenen – und zum Teil einander widersprechenden – Faktoren dazu, dass die internationale Debatte über das Südtirol-Modell seit den 1980er-Jahren trotz vielfältiger Bemühungen stetig abnahm, bis sie heute zumindest in der angloamerikanischen Welt eine Art Tiefpunkt erreicht hat.

2. Geschichte einer Debatte: Phasen, Personen, Ansätze

Die Entwicklung, die dazu geführt hat, kann man in mehrere Phasen einteilen. Im Wesentlichen kann man seit dem zweiten Autonomiestatut von 1972, als das heutige Südtirol-Modell grundgelegt wurde, drei Phasen der internationalen Diskussion unterscheiden:

Eine erste bestand seit den 1970er-Jahren bis zur weltpolitischen Wende 1989 / 1991. Sie wurde dominiert durch den Vorrang der Konflikttheorie zwischen Nationalstaaten sowie durch den Bereich internationale Beziehungen. Antony Alcock­ (1936–2006) beherrschte in dieser Zeit mit seinen monolithischen Standardpublikationen die angloamerikanische und internationale Diskussion über das Südtirol-Modell. Dabei trug er – in zum Teil enger Zusammenarbeit mit der Süd­tiroler Landesregierung – weniger zur vergleichenden Diskussion, als vielmehr zum Bekanntheitsgrad in der akademischen und intellektuellen Welt bei. Alcocks Ansatz war vorwiegend historisch und staatsorientiert (vgl. Alcock 1970; 1979; 2000).

Seit Anfang der 1990er-Jahre entfaltete sich eine zweite Phase der Diskussion über das Südtirol-Modell, gekennzeichnet durch die zunehmende Ergänzung des nationalstaatlichen und konflikttheoretischen Ansatzes um ethnopolitische, multikulturelle und linksemanzipative Ansätze, die Südtirol als Modell „transnationaler Demokratie“ zu profilieren versuchten. Ein dominierender Name dieser Komplementärbewegung zu Alcock war Alexander Langer (1946–1995), zum Beispiel in seinem 13 Jahre lang monatlich in Frankfurt am Main publizierten „Brief aus Italien“. Vor allem aber entstanden einige breit rezipierte avantgardistische Signal-Publikationen zur Zukunft transnationaler Demokratie in Europa, in denen Südtirol überproportional stark präsent war: so unter anderem das Buch „Transnationale Demokratie“ (Erne u. a. 1995). Darin wurde das Südtirol-Modell als experimenteller Vorbild- und Probefall für eine europäisch und international zukunftsweisende Demokratieentwicklung zur Diskussion gestellt.

Schließlich folgte eine dritte Phase seit Ende der 1990er-Jahre, verstärkt und beschleunigt durch den 11. September 2001 und seine folgenden Erschütterungen. Diese Phase, die bis heute anhält, ist dadurch gekennzeichnet, dass Anzahl und Intensität der Publikationen und Debatten im Vergleich zu den Zeiten Alcocks und Langers schrittweise zurückgingen. In dieser Phase wurde – und wird – das Südtirol-Modell zusehends aus dem im Rahmen der Globalisierung und ihrer „Verkleinerung der Welt“ besonders bedeutsamen Bereich internationaler Politikbeziehungen in die ethnopolitische und „kontextuelle“ Politikebene hineinspezialisiert und damit „verkleinert“.

Insgesamt kann man sagen, dass die Bedeutung des Südtirol-Modells in der internationalen politikwissenschaftlichen Diskussion seit 1989 in zwei großen Schüben abnahm, die der weltpolitischen Entwicklung mit ihrer Schwerpunktverlagerung vom „Kleinen“ in das „Große“ entsprachen: in einem ersten Schub 1989 / 1991 und in einem zweiten Schub seit dem 11. September 2001. Seit dem Tod von Langer 1995 und dem von Alcock 2006 ist, wie von aufmerksamen Beobachtern nicht anders erwartet, vor allem die aktualitätsorientierte Präsenz Südtirols in der politischen Diskussion des angloamerikanischen Raums stark zurückgegangen. Es erfolgte insgesamt eine Marginalisierung und Spezialisierung der Debatte um Südtirol insbesondere auf akademischer Ebene. Die weiterhin vorhandene Präsenz Südtirols in Einzelpublikationen oder in allgemeinen englischsprachigen Standardwerken wie etwa der Encyclopedia Britannica kann eine vertiefte internationale akademische Diskussion nicht ersetzen.

In den vergangenen Jahren wurde das Südtirol-Modell zwar immer wieder in der angloamerikanischen akademischen Welt diskutiert, jedoch meist nur punktuell und eklektisch. Der Fokus lag dabei vorwiegend auf inneren Problemen des Zusammenlebens, des „ethnoregionalen Protests“, der „wettstreitenden Identitäten“, der Entstehung und Veränderung „kultureller Narrative“, der „ethnischen Demokratie“, der „Ethnotherapie der Kulturen“, der „Minderheitensprachen“ und der Multikulturalität, also auf gesellschaftspolitischen Spezialisierungssegmenten und auf einer soziopolitischen „Innenperspektive“, weit weniger auf einer Verortung innerhalb internationaler politischer Konstellationen und Mechanismen. Letzteres Feld wurde fast gänzlich den Rechtswissenschaften überlassen – das heißt einer insgesamt in disziplinärer Natur und Kompetenzzentrum eher status-quo-orientierten denn dynamischen Betrachtungsweise. In komparativer politikwissenschaftlicher Perspektive ist das Südtirol-Modell daher gegenüber anderen Autonomiemodellen inzwischen stark in den Hintergrund getreten. Während auf der Ebene internationaler Konfliktlösung vergleichend vor allem die Beispiele von Grönland und den Färöern (Dänemark), der Ålandinseln (Finnland), der Azoren und Madeiras (Portugal), Kataloniens (Spanien) und der Krim (Urkaine) herangezogen werden, ist das Südtirol-Modell meist nur in Sammelüberblicken präsent. Auch wenn es institutionelle Ausnahmen gibt – so versucht zum Beispiel das European Centre for Minority Issues (ECMI) in Flensburg, das Südtirol-Modell auf der internationalen Bühne präsent zu halten –, so gibt es doch heute keinen größeren Forschungsschwerpunkt in der angloamerikanischen akademischen Welt dazu.

Das ist ein starker Gegensatz zu früheren Jahrzehnten, als das Südtirol-Modell als zentrales Fallbeispiel für den Aufbau einer transnationalen Europäischen Union mittels regionaler Kulturen, aber auch ganz grundsätzlich als Beispiel für Probleme „großer“ internationaler politischer Dogmatik – u.a. die Wilson-Doktrin und ihre weltpolitischen Folgen – diskutiert wurde. Die meisten von uns kennen noch den Atlas der Weltkonflikte von Anfang der 1980er-Jahre, wo Südtirol als internationales Modell sowohl für gelingenden Regionalismus als auch für die Gefahren des Irredentismus angeführt wurde. Südtirol wurde aber bereits vorher auch in Zusammenhang mit gewissen makrostrukturorientierten Vorläufern einer modern ausdifferenzierten offenen Gesellschaft genannt, so u.a. mit der politisch liberalen Konzeption des österreichischen Philosophen und Sozialreformers Rudolf Steiner (1861–1925). Steiner forderte bekanntlich bereits am Ende des Zweiten Weltkrieges im Zug der damals von ihm mit inaugurierten „Dreigliederungsbewegung“ – einer frühen politischen Ausdifferenzierungsströmung der Moderne des 20. Jahrhunderts, die sich als Alternative sowohl zu Räterepublik und Ständestaat wie auch zu den aufkommenden rechten Bewegungen verstand – für das zwischen Polen und Deutschland umstrittene pluriethnische Oberschlesien 1921 (also sieben Jahre vor der Erbauung des Siegesdenkmals in Bozen) relativ genau dasjenige, was später in der Südtirol-Autonomie erfolgreich umgesetzt wurde:

„Hier kämpfen zwei Kulturen, zwei Volksindividualitäten, die einander durchdringen, um die Möglichkeit, sich auszuleben. Schulwesen und richterliche Rechtsprechung sind die wichtigsten Punkte, die zu Reibungen Anlass geben. Nur durch die Befreiung des Geisteslebens können […] diese brennenden Fragen gelöst werden. Nebeneinander werden sich dann die zwei Kulturen […] entsprechend ihren Lebenskräften entwickeln können, ohne dass die eine eine Vergewaltigung durch die andere zu befürchten hat und ohne dass der politische Staat für die eine oder die andere Partei ergreift. Nicht nur eigene Bildungsanstalten, sondern eigene Verwaltungskörperschaften für das Kulturleben wird jede Nationalität errichten, sodass Reibungen ausgeschlossen sind“ (Steiner 1921).

In Südtirol hat die Autonomiegesetzgebung seit Anfang der 1970er-Jahre in ziemlich genauer Übereinstimmung mit diesem Leitbild in vielen Bereichen solche doppelten Verwaltungskörperschaften geschaffen – vor allem im Kultur- und Bildungsbereich. Wichtig ist: Steiner betrachtete eine solche Einrichtung nicht nur als „ethnopolitischen“ oder „kontextuellen“ Politikbeitrag zur Schlichtung regionaler Konflikte, sondern als einen primären politischen Grundsatzbeitrag zu einer neuen Makroordnung in den Nachfolgestaaten des Habsburgerreiches und darüber hinaus in der entstehenden europäischen und Weltgesellschaft insgesamt, deren grundlegendes Kennzeichen eine konstitutive „Plurikulturalität“ bei allmählicher Auflösung nationalstaatlicher Grenzen sein werde. Solche Inbeziehungsetzungen des Südtirol-Modells auf „große“ politische und ideengeschichtliche Richtungsströmungen des 20. Jahrhunderts gäbe es in der Geschichte des 20. Jahrhunderts mehrere; sie nach der weltpolitischen Wende der Jahre 1989 / 1991 neu einzubeziehen und sowohl vergleichend nach außen wie auch für die Debatte über die innere Weiterentwicklung Südtirols selbst neu fruchtbar zu machen, wurde aber bislang sowohl von der historischen wie von der politologischen Forschung weitgehend verabsäumt.

3. Beispiele einer sich häufenden „Abwesenheit“ des ­Südtirol-Modells aus der internationalen Diskussion

Was sind die Folgen der heutigen Unterrepräsentation des Südtirol-Modells in der internationalen akademischen Welt? Was zeigt ein kurzer Überblick über die wesentlichen Orte, wo sich die Diskussion abspielt, darunter vor allem Forschungszentren, wissenschaftliche Fachzeitschriften und Kongresse?

In wichtigen Forschungszentren und wissenschaftlichen Fachzeitschriften des angloamerikanischen Raums ist Südtirol mittlerweile im Vergleich zu den Jahrzehnten vorhergehender Präsenz deutlich unterrepräsentiert. So zum Beispiel am Centre for International Crisis Management and Conflict Resolution (ICMCR) der Universität Nottingham oder am Centre for Ethno-Political Studies (EXCEPS) der Universität Exeter, beide in England. Die Publikationen von „Ethnopolitics“ und des daran angeschlossenen Internet-Wissenschaftlernetzes „Ethnopolitics“1 enthalten das Südtirol-Modell im Allgemeinen als ein Beispiel unter mehreren in Überblickszusammenfassungen und Sammlungen, aber kaum mehr als eigenständiges Thema. Das Südtirol-Modell ist auch in den meisten Standardwerken der Politikwissenschaften im angloamerikanischen Bereich nicht mehr oder ungenügend enthalten. So ist es weder in den aktuellen Ausgaben des „Oxford Handbook for Contextual Political Analysis“ noch im „Oxford Concise Dictionary of Politics“ als eigenständiger Eintrag enthalten.

Ähnlich steht es bei großen Kongressen. Beispiele aus jüngster Zeit sind, um nur einige aus den Jahren 2007 bis 2010 zu nennen: „Ethnicity in Today’s Europe“ an der Stanford University 2007; „Demos or Ethnos? Multiethnic Societies as Challenges to Liberal Democracy“ der Naumann-Stiftung und des European Centre for Minority Issues in Hamburg 2009; „Kosovo: From one Protectorate to Another“ 2010 an der University of Quebec at Montreal; oder„Ethno-Politics and Intervention in a Globalized World. A Multi-Disciplinary Conference Exploring the Role of Ethnicity and Nationalism in the 21st Century“ 2010 an der Universität Exeter. Auf keinem dieser Kongresse spielte das Südtirol-Modell trotz bester Anknüpfungsmöglichkeiten eine größere Rolle.

Damit soll keineswegs gesagt sein, dass Südtirol immer und überall in eigenständiger oder gar exklusiver Aufmachung präsent sein muss. Aber die im Vergleich zu den 1980er- und 1990er-Jahren weitgehend fehlende Diskussion um eine avantgardistische Anregungsrolle – wie sie zum Beispiel die oben erwähnte Langer-Debatte um „Transnationale Demokratie für Europa“ in den 1990er-Jahren anregte, aber wie sie von den 1970er- bis 1990er-Jahren auch in international stark rezipierten US-Fachpublikationen wie „Foreign Affairs“ mehr oder weniger regelmäßig präsent war – muss ein Grund zum Nachdenken sein.

Vor allem fehlen größere Anwendungsstudien auf aktuelle politische Kernfälle der internationalen Diskussion. So war Südtirol zum Beispiel im Jahr 2009 kein nennenswertes Thema in den Fragen Kosovo, Tibet oder Tschetschenien – allesamt potenzielle Vergleichsfälle, die monatelang im Mittelpunkt der internationalen Aufmerksamkeit standen. Mit dem Rückgang der konkreten Anwendungs- und Anregungsstudien geht der aktualitätsbezogene Aspekt der Debatte um das Südtirol-Modell verloren, und damit ein wichtiges Zentrum des internationalen Interesses – möglicherweise umgekehrt aber auch der Gegenwartsaspekt dieses Modells an sich.

Um keine Missverständnisse hervorzurufen: Selbstverständlich gibt es nach wie vor herausragende Autoren und Institutionen, die Südtirol im internationalen Bewusstsein präsent halten. Sie sind keineswegs weniger wichtig als Alcock oder Langer. Darunter sind die Werke von Rolf Steininger (2003) und Gerald Steinacher (2006) – zwei der wenigen, die das Südtirol-Modell im englischen Sprachraum mit aktuellen Publikationen in führenden Verlagen und im Rahmen von Forschungsprofessuren bekannt machen, in ihrem Fall in erster Linie in historischer Betrachtung, und weniger vergleichend zu aktuellen Gegenwartsanforderungen. Auch die zwei Fachbereiche zu Minderheitenrechten und Föderalismus- und Regionalismusstudien an der Europäischen Akademie Bozen, die beide vorwiegend juridisch ausgerichtet sind, betreiben in Anbetracht ihrer verfügbaren Ressourcen eine über die Grenzen hinaus viel beachtete Arbeit. Sie diskutieren das Südtirol-Modell im Zeichen einer gegenwartsorientierten Rechts- und Institutioneneinrichtung. Unter anderem arbeitet der Dalai Lama – im Zeichen der Tibet-Frage – eng mit ihnen zusammen und hat auch aus diesem Grund Südtirol mehrfach besucht.

Dazu kommen regional vergleichsweise konkurrenzlose Arbeiten von politischen Journalisten, Historikern und Sozialwissenschaftlern, aber auch von Studierenden auf nationaler und österreichischer Ebene, die die Südtiroler partei- und trendpolitische Szene und die „innertirolerische“ Entwicklung zu beobachten, zu verstehen und zu analysieren suchen. Der Südtiroler Stefano Recchia aus Dietenheim arbeitet an führenden Universitäten der USA zum Thema „Institutionelles Design in tief gespaltenen Gesellschaften“. Im Rahmen von Diplomarbeiten und Dissertationen an den Universitäten Österreichs und Italiens werden regelmäßig bemerkenswerte Ergebnisse erzielt. Leider werden die meisten dieser Arbeiten aber nicht international rezipiert, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil sie meist nicht in englischer Sprache verfügbar sind.

Nicht zu vergessen sind darüber hinaus auch die Beiträge kritisch-unabhängiger Medien und Verlage, die alle eine kaum zu überschätzende Arbeit im vorpolitisch-kontextuellen Politikfeld angewandter Gegenwartsanalyse und Selbstreflexion des Südtirol-Modells leisten. Manche von ihnen entfalten auch eine gewisse internationale Wirkung, wie zum Beispiel die regelmäßige ausführliche Rezeption von Beiträgen in den „Kulturelementen“ (herausgegeben von der Distel-Vereinigung Bozen) im deutschen Sprachraum (darunter FAZ und Die Zeit) zeigt.

Die Lage ist also keineswegs so trist, wie sie aussieht; Wissen und Diskussionsmaterial wird ständig in erheblichem Umfang produziert. Doch trotz all der angeführten Verdienste aus dem intellektuellen Feld, die zum heutigen Zeitpunkt noch kaum in ihrer eigentlichen langfristigen Bedeutung einschätzbar sind, ist damit eine eingehende, internationale politikwissenschaftliche Auseinandersetzung nicht zu ersetzen und auch nicht zu leisten. Historische Aufbereitung und empirisch-juridische Rekonstruktion sind zwar ebenso wie Selbstreflexion unverzichtbare Bestandteile des notwendigen Ganzen wissenschaftlicher Begleitung und können durch keine andere Wissenschaft ersetzt werden. Sie sind aber nicht gleichbedeutend mit politischem Vergleich und Beitrag zu politischen Entwicklungs- und Lösungsdiskussionen in der internationalen politischen Debatte.

Zusammenfassend können wir sagen: Im Rahmen der Schwerpunktverlagerung der internationalen Diskussion vom Bereich „internationale Beziehungen“ und „Globalpolitik“ in den Bereich von „Ethnopolitiken“ und „kontextueller Politikfaktoren“ erfolgte einerseits eine „Normalisierung“ der Diskussion um Südtirol und das Südtirol-Modell. Andererseits erfolgte auch eine „Ver-Nischung“, Verengung und Verkleinerung beziehungsweise Regionalisierung der Debatte. Damit droht das Südtirol-Modell aus der tatsächlich relevanten internationalen Diskussion zu verschwinden, beziehungsweise erstens auf einen vergleichsweise exotischen Spezialfall sowie zweitens auf die „innere“ Dimension multikulturellen Zusammenlebens reduziert zu werden. Dies ist eine generelle Beobachtung, die natürlich keine Vollständigkeit beansprucht und Ausnahmen zulässt, ja von solchen in durchaus erheblicher Zahl aktiv ausgeht.

Dabei häufen sich ironischerweise gerade in dieser Situation weltweit die vergleichbaren „großen“ Anwendungsfälle – man denke an Tschetschenien, Kosovo (die serbische und Roma-Minderheit im Innern des nun autonomen Staates), Tibet, Teile des Irak (Kirkuk, Mossul), die Kurdenfrage in der Türkei und in den angrenzenden Staaten (vgl. Benedikter 2004).

Was wir in dieser Lage zur Revitalisierung der Debatte benötigten, wäre einerseits im Bereich kontextueller Politikanalyse selbst weniger ein reines „Anwendungsinteresse“, als vielmehr eine offen-kritische Grundlagendebatte: die Ergänzung von juridischer Modelldiskussion durch eine stärkere politologische Qualitätsdiskussion und die Ergänzung der heute vorwiegend im Raum stehenden institutionell-normativen Aspekte um die Einbeziehung von Elementen politischer Ontologie. Was wir andererseits benötigten, wäre die Nutzung von Ethnopolitik zur Restitution des Grundlagencharakters des Südtirol-Modells in der „großen“ Debatte internationaler Beziehungen. Dies nach Möglichkeit mit den Schwerpunkten auf Konfliktregelung und Demokratisierung – statt sie, wie in den vergangenen Jahren, relativ einseitig zum „Verkleinerungsglas“ lokaler Spezialisierungsdiskussionen abdriften zu lassen.

4. Ein Beispiel für die Neubelebungschancen des Südtirol-Modells: Die neue angloamerikanische Debatte um Ethnopolitik

Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass nach 1989 / 1991 – das heißt etwa zeitgleich mit der Streitbeilegungserklärung und der Eröffnung der „dynamischen Autonomie“ – einerseits zunächst eine offenbare Delokalisierung und Entethnisierung zugunsten größerer Beziehungszusammenhänge, fast parallel dazu aber auch eine Intensivierung ethnopolitischer Konflikte auf internationaler Ebene erfolgte. Grund für Letzteres war u.a. die fortschreitende Ersetzung ideologischer durch ethnische und religiöse Motivationen. Der 11. September 2001 machte die „kontextuelle“ und – im erweiterten Sinn – kulturelle Motivation politischer Konflikte im 21. Jahrhundert ein weiteres Mal deutlich und verankerte sie erneut im internationalen Bewusstsein. Beides gemeinsam führte zunächst in einer ersten Phase zur Schaffung neuer akademischer Nischenbereiche der politikwissenschaftlichen Forschung: „Ethnopolitik“ und „kontextuelle Politik“, die von den Bereichen „internationale Politik“ und „Globalpolitik“ abgetrennt wurden beziehungsweise in ihnen keine größere Rolle mehr spielten. Aber spätestens seit 2008 ist im Rahmen einer zweiten Phase nunmehr der umgekehrte Trend zu beobachten: Ethnopolitik wird als ein neuer Schlüsselbereich von internationalen Beziehungen und Globalpolitik postuliert. Die Chance, die sich daraus für die Zukunft der Debatte um Südtirol in der Welt ergibt, ist einmalig. Sie sollte nicht versäumt werden. Worum geht es?

In der März / April-Ausgabe 2008 der Zeischrift „Foreign Affairs“ erschien ein Titelartikel von Jerry Z. Muller, einem Geschichtsprofessor der Katholischen Universität Washington DC. Er wurde unmittelbar nach seinem Erscheinen, ähnlich wie im Sommer 1993 Samuel P. Huntingtons „Kampf der Kulturen“, als „neuer Artikel x“ für die „postnationale und Nach-Bush-Epoche“ gefeiert; und er ist bis heute der in der angloamerikanischen Welt meistrezipierte Einzelbeitrag seit einem Jahrzehnt. Der Titel des Beitrags war: „Us and Them. The Enduring Power of Ethnic Nationalism“ (2008) („Wir und sie. Die fortdauernde Kraft ethnischer Nationalismen“). Mullers Artikel schloss als einer der ersten in der angloamerikanischen Welt Ethnopolitik, kontextuelle Politikfaktoren und „große“ Weltpolitik einschließlich internationaler Beziehungen wieder zusammen; und er verband diese auch mit aktuellen Konfliktfällen wie Tschetschenien und Kosovo. Das war ein wichtiger Schritt, der sich seit damals dahingehend auswirkt, dass die bisherige Marginalisierung von „Ethnopolitik“ und „kontextueller Politik“ aufgebrochen wird und dass beide als Teile der „großen“ Politik der Obama-Epoche anerkannt werden. Er eröffnet damit auch der Diskussion des Modells Südtirol als zuletzt unterrepräsentiertem Teil innerhalb von „Ethnopolitik“ und „kontextueller Politik“ neue Chancen der „großen“ inter­na­tionalen Präsenz – auch wenn Muller dieses Modell mit keinem Wort erwähnte.

Was wir heute als allgemeinen Trend in der angloamerikanischen Politikdebatte beobachten, ist eine Zunahme von ethnischen, kulturellen und Minderheiten-Bedeutungsdimensionen für die Post-Unitarismus-Ära nach Bush und für das Politische der Ära Barack Obama. Das zeigt nicht nur der Aufstieg von „Ethno-Counselling“ und „Ethno-Therapien“ auf psychologischem, kulturpolitischem und kulturanthropologischem Gebiet auf beiden Seiten des Atlantiks – wobei die Entstehung von akademischen und institutionellen Zentren in den USA vor dem Hintergrund des dort ausdrücklicher als in Europa herrschenden zivilisatorischen Individualitäts- und Gleichheitsprinzips zweifellos bemerkenswerter ist.

Die Zunahme der kulturpsychologischen Bedeutung von Ethno- und Kontextpolitiken zeigt auch die wachsende Sensibilität der USA für Gruppendifferenzierung insgesamt. Sie beruht auf einer Grundsatzbeobachtung, die sich bereits seit Jahrzehnten vorbereitete: dem Aufstieg von Ethnopolitik und kontextueller Politik zur „großen“ Gesellschafts- und Globalpolitik. Zu Recht stellten bereits Anfang der 1980er-Jahre M. Kidron und R. Segal (1981) zu diesem sich schon damals ankündigenden Themenkomplex wichtige Überlegungen an, die dann mit der weltpolitischen Wende 1989 / 1991 ihren Durchbruch erzielten.

Die rasch wachsende Multiplizität von international aufsehenerregenden Fällen – neben der Kurdenfrage und Tibet auch Tschetschenien, Kosovo und zahlreiche Gebiete in Osteuropa, Asien und Afrika – ist den neueren US-Politikwissenschaften nicht verborgen geblieben. Doch wurden sie unter Huntington noch auf einen „Kampf der Zivilisationen“ reduziert, der die Verhältnisse mittels Typologisierung stark vereinfachte, letztlich auf eine Wiederholung großer polarer Ordnungen reduzierte und dabei tendenziell reduktionistisch vorging, so wird der Blick seit einigen Jahren differenzierter. Es ist heute bereits Standardmeinung, dass die Bedeutungszunahme von Fällen ethnischer und kontextueller Politiken ursächlich zusammenhängt mit

a) der Langzeitwirkung der Aufhebung der weltpolitischen Polarisierung 1989 / 1991,

b) der Tendenz zu Regionalisierung und Denzentralisierung,

c) der technologischen Modernisierung und der damit verbundenen Tendenz zu Deregulierung,

d) Migration und demografischer Entwicklung.

Insgesamt kann man sagen, dass der gegenwärtig in der angloamerikanischen Welt akademisch meistdiskutierte Beziehungsbereich der Einflussnahme von kontextuellen und vorpolitischen auf institutionalisierte und normative Politiken das Feld der Ethnopolitiken ist – dasjenige, was Jerry Z. Muller „the enduring power of ethnic nationalism“ genannt hat. Dieses Feld werde seiner Meinung nach das 21. Jahrhundert mehr kennzeichnen als jede andere Form von Subpolitik. Mit dieser Meinung hat Muller 2008 einen allgemeinen Trend der Aufwertung in Gang gesetzt, der bis heute anhält.

5. Mullers Argumentation für einen zeitgemäßen „großen“ Umgang mit Ethnopolitiken – und die Folgen

Muller weist zunächst darauf hin, dass die USA als die „klassische“ Immigrationsnation auf der Grundlage ihrer konstitutiven Verbindung des Gleichheits- mit dem Individualitätsprinzip ethnische Individualinklusion betreiben, und gerade nicht ethnische Gruppendifferenzierung. Das heißt: In den USA – und tendenziell im angloamerikanischen Raum insgesamt – gilt das Prinzip einer „ethnisch neutralen“ Gesellschaft. Es bedeutet: Alle sollen gleich und frei sein, es zählt nur, was der Einzelne tut. Daher bleibt kein Raum für die Institutionalisierung von Gruppendifferenzen. Die Gleichheit von Individuen steht im Zentrum des gesellschaftspolitischen Paradigmas; ethnische Gruppendifferenzierung auf politischer und gesellschaftlicher Ebene ist hier geradezu das Gegenbild dessen, was sein soll, und wird tunlichst vermieden, ja aktiv bekämpft. Aufgrund dieses programmatisch „anti-ethnischen“ Charakters ihrer Nation, den sie unbewusst auf den Rest der Welt projizieren, haben US-Analytiker grundsätzlich Schwierigkeiten, mit ethnischen Konflikten in einer systemischen und strukturalen Weise umzugehen. Andererseits führt die dadurch hervorgerufene, geradezu programmatische Nichtbearbeitung der Probleme ethnischer Gruppenbildung in den USA dazu, dass sich gerade in dieser Gleichheits- und Individualitätsgesellschaft ethnische Ghettos bilden und in allen größeren Ballungsräumen die Regel sind.

In dieser Konstellation ist dasjenige, so Muller, was sich heute als neuer zentraler Trend zeigt, gerade die weltweite Zunahme von Ethnopolitiken zu Schlüsselbestandteilen der Weltpolitik. Das zeigen die inneren Probleme Chinas, das zeigt die „ethnische Demokratie“ Israels, das zeigen Tibet, viele Gesellschaften Afrikas, Tschetschenien und viele andere Fälle. „Politiken der Identität“ sind dasjenige, was laut Muller seit der weltpolitischen Wende 1989 / 1991 die „Politiken der Ideologien“ abgelöst hat; sie sind der Trend, der sich seit dem 11. September 2001 nicht mehr nur regional, sondern global zu bestimmendem Einfluss aufschwingt – sei es als Katalysator der Entwicklung, sei es als deren Ausdruck.

Mullers Folgerung ist, dass die USA lernen müssen, mit Ethnopolitiken umzugehen, und sie nicht länger bloß als Gegenbild zu einem aufgeklärten Kosmopolitismus ansehen können. Das gilt sowohl für die angloamerikanische Politik wie für ihre Politikwissenschaften.

Damit gibt Muller der Theorie des „Kampfes der Zivilisationen“ seines Lehrers Samuel P. Huntington eine überraschende, aber folgenreiche „Wende ins Detail“: Nicht länger die Charakteristik von acht großen zivilisatorischen Blöcken und ihre kulturelle Konfrontation ist der zentrale Aspekt der Weltpolitik des 21. Jahrhunderts, sondern es bestehen im Grunde ebenso viele faktische und potenzielle Konfliktherde, wie sich Überlagerungspunkte zwischen Ethnien und Kulturen auf lokalen, regionalen, nationalen und internationalen Ebenen weltweit finden. Sie alle haben das Potenzial, „große“ Konflikte heraufzubeschwören oder als deren „Vermittler“, „Inkorporation“ oder „Stellvertreter“ zu fungieren. Da sie alle ethnische und kontextuelle Politikdimensionen im Zentrum tragen, welche ihrer Natur nach niemals allgemein, sondern stets spezifisch sind, ist jeder Fall anders gelagert. Daher gibt es bei Muller kein eindeutiges Handlungskonzept mehr wie noch bei Huntington, sondern nur die Verständnisbildung für jeden einzelnen Fall. Dabei kann und sollte jedoch durchaus auf „Erfahrungsmodelle“ zurückgegriffen werden, die aber nur als Anregung dienen können und die nicht aus den USA, sondern vorwiegend aus Europa kommen müssten, da im Gegensatz zu den USA in Europa eine lange Geschichte ethnopolitischer Konflikte und Differenzierung besteht.

Um seine Argumentation zu unterstreichen, nimmt Muller eine ausführliche Untersuchung des Werdegangs dessen vor, was er den „typischen Modernisierungs-Ethnonationalismus“ der Epoche der Entstehung der europäischen Nationalstaaten nennt. Dabei sieht Muller Ethnopolitik nicht als marginalen, regionalen oder lokalen Teilbereich der politischen Entwicklung des 19. und 20. Jahrhunderts an, sondern umgekehrt als grundlegend und konstitutiv für alle „großen“ politischen Entwicklungen der Moderne. Der moderne Nationalstaat an sich korrespondiere mit „ethnischer Reinheit“, die nur mittels „Entmischung“ beziehungsweise „ethnischer Disaggregation“ erreicht werden konnte.

Aufbauend auf seinen Beobachtungen mit der Folgerung, dass „ethnische Disaggregation“ künftig in breiter Weise auch für die Entwicklungsstaaten relevant werde, kommt Muller schließlich auf den entscheidenden Punkt seiner Analyse zu sprechen: auf die möglichen Lösungsmuster für die ethnischen Konflikte der Zukunft.

Hier zeigt sich eine folgenschwere Paradoxie in seiner Argumentation: Obwohl er hervorhebt, dass die US-Analyse und angloamerikanische Handlungstendenz stets zu einer „undifferenzierten Vereinheitlichung“ neigt, weil sie dies vor dem Hintergrund ihres eigenen Zivilisationsmodells nicht anders gewohnt ist, und eingefordert hatte, dass es um Modelle einer differenzierteren Lösungsfindung gehe, fällt er in seinen Schlussfolgerungen doch wieder genau in das „amerikanische“ Prinzip der Vereinheitlichung durch Separation zurück. Die beste Lösung ethnischer Konflikte insbesondere dort, wo verschiedene Ethnien „durchmischt auf engem Raum“ leben, sei, so Muller, in den allermeisten Fällen deren „saubere Trennung“, wenn nötig durch die „Überführung“ einzelner Ethnien in angrenzende Nationalstaaten derselben Ethnie, oder aber durch die Gründung neuer Teilstaaten mittels Aufsplitterung bestehender „Aggregate“. Dafür nimmt Muller sogar ethnische Säuberungen in Kauf, die „letztlich in langfristiger Perspektive manchmal das kleinere Übel sind“. Muller dazu:

„Partition may thus be the most humane lasting solution to such intense communal conflicts. It inevitably creates new flows of refugees, but at least it deals with the problem at issue. The challenge for the international community in such cases is to separate communities in the most humane manner possible: by aiding in transport, assuring citizenship rights in the new homeland, and providing financial aid for resettlement and economic absorption. The bill for all of this will be huge, but it will rarely be greater than the material costs of interjecting and maintaining a foreign military presence large enough to pacify the rival ethnic combatants or the moral cost of doing nothing.“ (Muller 2008).

Ein Beispiel für ein passables Vorgehen war laut anderen Statements Mullers zum Beispiel die Abspaltung Kosovos von Serbien und seine Verwandlung in einen neuen, eigenständigen Staat im Februar 2008.

6. Zum Potenzial produktiver Kritik an Mullers Ansatz mithilfe des Südtirol-Modells

Betrachten wir Jerry Z. Mullers Beitrag aus der Sicht der internationalen Diskussionsfähigkeit des Südtirol-Modells in der Gegenwart. Welches Grundsatzpotenzial hätte eine produktive Kritik von Mullers Ansatz mithilfe des Südtirol-Modells?

Mullers Beitrag ist vor allem zweierlei: erstens ein symptomatisches Beispiel für die „großen“ Diskussionsanlässe in der Gegenwart, um das Südtirol-Modell international wieder stärker sichtbar zu machen – und zwar ohne seine prinzipielle Entwicklungsoffenheit sowie seine inneren Unfertigkeiten zu verschweigen. Er ist aber zugleich auch ein symptomatisches Beispiel für die Möglichkeiten, um sowohl im angloamerikanischen Raum wie in Zentraleuropa auf eine wieder stärkere akademisch anerkannte disziplinäre Eingliederung von Kulturfaktoren, welche an der Grundlage der meisten zeitgenössischen Ethnopolitiken stehen, in die anerkannte universitäre Politikanalyse hinzuwirken. Inwiefern ist dies der Fall?

Abgesehen vom impliziten Zynismus Mullers ist bereits auf den ersten Blick symptomatisch auffallend, dass Muller in seinen Ausführungen das Rad sozusagen auf der Grundlage des „alten“ US-amerikanischen Denkens Huntington’scher Prägung neu erfindet: dass er weder das Modell ethnischer Konfliktlösung Südtirols noch (neben den Katalanen, Flamen und Schotten) mehrere andere heute einschlägige Modelle Europas zur Lösung von Konflikten erwähnt, die im spezifischen Spannungsfeld zwischen Politik, Kultur und Ethnie stehen, und auch keine der entsprechenden neueren Forschungen zu Anwendungsfällen einarbeitet. Das steht in klarem Gegensatz zu seinen eigenen Ansichten und Forderungen nach vertiefter Einbeziehung europäischer Erfahrungsmodelle, und es verzerrt seine Schlussfol­gerung. Ohne Kenntnis entsprechender systemischer Lösungsmodelle – wie eben des Südtirol-Modells –, die ohne ethnische Disaggregation oder „Partionierung“ und auch ohne ethnische Säuberung auskommen, sondern das Verschiedene durch Kollektiv-Strukturierung auf demselben Raum geordnet koexistieren lassen, sind entsprechende komplexere (und weniger „schmerzhafte“, um den zentralen zynischen Begriff Mullers heranzuziehen) Lösungen nicht ins Auge zu fassen. Der entsprechende blinde Fleck ist nicht Muller allein eigen, sondern ein allgemeines Kennzeichen der angloamerikanisch dominierten Gegenwartsdiskussion. Er kommt bei Muller nur im Sinn einer historischen Symptomatologie besonders klar zum Ausdruck.

Zweitens ist unmittelbar klar, dass Muller den Mechanismus Samuel P. Huntingtons wiederholt, die Strategien des 20. Jahrhunderts in das 21. Jahrhundert zu projizieren. Das ist der Grund, warum Muller trotz seiner scheinbaren Kritik in Wirklichkeit noch immer in den Kategorien des Imperativs von Wilsons „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ denkt. Dieses wird heute in der Tat, wie er selbst feststellt, nur mehr weitgehend von nationalstaatlichen Akteuren wie dem „letzten Nationalstaat“ USA sowie von regressiven irredentistischen Bewegungen favorisiert. Doch es ist letztlich der Grund dafür, warum Muller Separation, Vertreibung und ethnische Säuberung – zum Beispiel im Fall Kosovo – letztlich befürwortet, „um das Problem ein für allemal dauerhaft zu lösen“. Diese Lösung steht jedoch – gerade in ihrer theoretischen Distanzierung – an der Grenze zu Inhumanität, wenn nicht bereits jenseits derselben.

Doch die multikulturelle Realität des 21. Jahrhunderts erfordert, ganz im Gegensatz zu Mullers „Antworten“, die bei genauerem Hinsehen verbrecherische Maßnahmen wie Vertreibung beziehungsweise „Entheimatung“ von Bevölkerungsteilen und ethnische Vereinheitlichung von Räumen im Zeichen der „Entmischung“ befürworten, eine räumlich gruppenhaft, darunter auch ethnisch, ausdifferenzierte Lösungsfindung ohne Separation. Das ist komplizierter, aber zum Beispiel auf dem Balkan, wo zahlreiche Ethnien, Sprachen, Kulturen auf engstem Raum zusammenleben, nicht anders möglich, will man die Aufsplitterung in eine Myriade von an sich nicht lebensfähigen Staaten und normativen Einheiten verhindern, die dann noch dazu dauerhaft zueinander im Gegensatz stehen würden (ähnlich wie heute Serbien und das von ihm losgesagte Kosovo). Gewiss ist es in manchen Fällen sinnvoll, Abtrennungslösungen zu diskutieren (Tschetschenien, Tibet), im Allgemeinen sollten heute jedoch bei Überwindung nationalstaatlicher Grenzen komplexere Lösungen gefunden werden. Für diese komplexeren Lösungen aber kann das Südtirol-Modell eine Ermöglichungs- und Vermittlungsrolle, nämlich die Rolle der gesellschaftlichen und sozialen Verankerung von normativen und juridischen Lösungen zu kulturell und lebensweltlich anerkannten Lebensformen vermitteln. Die Überführung von normativen politischen und institutionellen Lösungen in praktizierte und dabei auch ständig im Fluss befindliche Lebensformen ist eine wesentliche Aufgabe der Kulturpsychologie sowie der im weitesten Sinne „kontextuellen Politikfaktoren“ für das 21. Jahrhundert. Südtirol kann dafür sowohl in Errungenschaften wie Versäumnissen Vorbild sein.

Diese Vorbild- und Beispielrolle ist vor allem deshalb wichtig, weil Mullers implizit weiterwirkendes „Paradigma der Trennung“, das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“, nur scheinbar kontextuelle und kulturpsychologische Faktoren (die „Willensbildung des Volkes“) berücksichtigt, in Wirklichkeit aber diese politisch instrumentalisiert. Der Unterschied zwischen kontextuellen und kulturpsychologischen Faktoren im 21. Jahrhundert und deren Gebrauch im 20. Jahrhundert ist also zusammenfassend, dass das nationalistische 20. Jahrhundert, wie stets, zu „Unitarismen“ neigte und Ethnizität und Kulturpsychologie zu fast ausschließlich normativ und unitarisch ausgerichteten Politiken umwandelte (wie Muller selbst feststellt). Demgegenüber sucht das seiner Tendenz nach transnationale 21. Jahrhundert komplexere und offenere Lösungen, in denen sich normative und kontextuelle Politikebene begegnen und ineinander abbilden. Im 20. Jahrhundert sollten institutionalisierte und kontextuelle Politikdimension eins sein, sie sollten miteinander verschmelzen. Dagegen ist die entsprechende Grundhaltung im 21. Jahrhundert – auf der Grundlage der europäischen Erfahrungen der Beziehung zwischen individueller und kollektiver Ausdifferenzierung – diejenige einer nur auf vorgängiger Ausdifferenzierung beruhenden „freien“ Integration (vgl. Heinrichs 2005). Sie setzt kontextuelle, einschließlich ethnische Faktoren als von den institutionalisierten Normen wenigstens bis zu einem gewissen Grad aktiv und bewusst eigenständige gesellschaftliche Dimensionen voraus. Der Idealfall ist hier: Im gesamtpolitischen Prozess werden im vor- und protopolitischen Feld kontextuelle Faktoren wie Kultur, Religion, Psychologie oder Medien zu freien politischen Willensbildungsprozessen konzentriert, welche sich dann institutionell abspiegeln. In Südtirol war dies zumindest bis zu einem gewissen Grad historisch der Fall.

Natürlich ist diese Freiheit tagespolitisch nie davor gefeit, immer wieder in politi­sche Bahnen gelenkt, teilweise auch politisch manipuliert zu werden. Im Wesent­lichen widerstehen die Ethno- und Kontextelemente des Politischen im 21. Jahrhundert jedoch ihrer partei- und tagespolitischen Vereinnahmung. Nicht um Verschmelzung, sondern um Ausdifferenzierung, Parallelität und systemische Mehrdimensionalität zwischen Politik und kontextuellen Faktoren mit dem Ziel einer möglichst ausdifferenzierten Gesamtinklusion geht es. „Inklusion“ kann aus dieser Sicht nicht mit „Unitarismus“ gleichgesetzt werden. Ganz im Gegenteil: Inklusion ist geradezu das „Andere“ des Unitarismus. Inklusion ist im Sinn des Südtirol-Modells die meta- und postnationale Pluralitätsvariante jenes Unitarismus, der nationalstaatlich-vereinheitlichend für Raumgebilde „gleichmachend“ sein wollte. Dieser Ansatz ist überholt – auch wenn er bis heute wie bei Jerry Z. Muller in immer­ neuen Varianten auftritt. Doch genau damit ist der Unterschied zwischen einem­ progressiven Ansatz – wie der Berücksichtigung ethnischer und kulturpsychologischer Faktoren in einem „Mehrschichtenmodell“ wie Südtirol mit seiner systemischen Verdreifachung des Kulturlebens – und einem ethnopolitisch „vereinheitlichenden“ „Reinigungsansatz“ wie dem Jerry Z. Mullers verdeutlicht.

7. Ein Prinzipienstreit: Diachrone Exklusion versus synchrone Inklusion

Zusammenfassend kann man sagen: Mullers Lösungsansatz beruht auf dem alten Mechanismus der „Vereinfachung“ mittels diachroner Exklusion. Diachron bedeutet: Zunächst herrscht Vermischung, dann erfolgt Separation, anschließend herrscht Klarheit. Das Südtirol-Modell – und weitere metastaatliche Ansätze Europas zu Variablen und Spielarten „transnationaler Demokratie“ – dagegen beruht auf „komplexer“ Inklusion auf der Grundlage von synchroner Differenzierung und Mehrfachschichtung. „Synchron“ bedeutet: Es geht nicht um eine Lösung von einem Vorher zu einem Nachher, sondern um eine Regelung dessen, was ist, unter Einschluss seiner vielen beteiligten Seiten. Damit ist ein Prinzipienstreit gekennzeichnet: ein grundlegender Unterschied in der Herangehensweise, nicht nur in den Details der Handhabung. Dies ist der Unterschied zwischen Mullers Ansatz und dem Südtirol-Modell: Letzteres propagiert Inklusion nicht auf der Grundlage von Unitarismus, sondern nur auf der Grundlage systemisch-normativer Ausdifferenzierung.

Das bedeutet: Der entscheidende Unterschied hinsichtlich realpolitischer Lösungen der zunehmenden „ethnischen Nationalismen“ (Jerry Z. Muller) sind nicht mehr Fragen der „Entmischung“ zum Zweck der Nationalstaatlichkeit, sondern Fragen der Koexistenz unter institutioneller, normativer und kultureller Ausdifferenzierung und unter Überschreitung nationalstaatlicher Grenzen. Diese Koexistenz muss – im Gegensatz zu Mullers Vertreibungsmentalität unter den diachronen Gesichtspunkten einer konsequentialistischen Ethik – in einem im Idealfall synchron ausdifferenzierten Gesellschaftsorganismus einen dezidiert systemischen und ethischen Prinzipien-Charakter tragen (Sandel 2009).

Mullers Monodisziplinarität dagegen praktiziert – in zunächst durchaus produktiver Absicht – das alte Denken Huntington’scher Prägung, welches kulturelle Faktoren mittels politischen Interessendenkens begriff und sie in traditionalistischer Weise kulturpolitisch „regelte“, um sie für machtpolitische Zwecke zu benutzen.

Ironischerweise ist dies den meisten Autoren, die an dieses – für die Bush-Ära kennzeichnende – Denken anschließen, ein „tiefenambivalentes“ (Baumann 2005) Erbe des Einflusses postmarxistischer Denkansätze auf die bürgerlichen Theoriebildungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Diese übernahmen den vergleichsweise primitiven dialektischen Ansatz von Unterbau und Überbau in seiner progressiven materialistischen Variante, ohne deren antihumanistischen Aspekt zu durchschauen.

Doch zur Anschauung und Lösung der neuen Fälle „ethnischer Nationalismen“ im 21. Jahrhundert ist ein komplexitätsfähigeres Instrumentarium nötig – wobei „ethnischer Nationalismus“ im Übrigen, was heute damit verhandelt wird, bereits an sich ein falscher Begriff ist. Denn es sind in den meisten Fällen eben nicht „Nationalismen“, sondern ihrem Charakter nach grenzübergreifende und eben nicht staatskonforme Kulturfragen, welche die ethnischen Fragen dominieren. Muller ist aber nur fähig, Kultur und Ethnie unter nationalen Gesichtspunkten zu denken – typisch für das zeitgenössische US-amerikanische Denken auch noch der meisten Strategen unter Barack Obama, obwohl mit Letzterem eine kultur- und sozialpolitische Differenzierungsbewegung eingesetzt hat, die beispiellos in der neueren Geschichte der USA ist (Benedikter 2010).

Muller übersieht mit seinem typisch „hierarchischen“ Ansatz des Denkens in „binären Oppositionen“ (Derrida 2004), der sein gesamtes Papier durchzieht, dass in den meisten neuartigen Fällen ethnischer Spannungen nicht Fragen der Diachronie, sondern Fragen der möglichen Synchronie des Verschiedenen, ja fundamental Inkommensurablen ohne Separation, „Entmischung“ oder „Säuberung“ gestellt werden. Ohne Separation auszukommen, ist die progressive Herausforderung. Damit ist die Notwendigkeit der Überwindung jenes traditionellen Entweder-oder, zu dem Mullers Lösungsentwurf noch eindeutig gehört, durch ein strukturiertes, systemisches Sowohl-als-auch in den Raum gestellt – also in gewisser Weise der Schritt von politischen Strategien, die dem modernen Denken angehören, in solche, die dem „postmodernen“ Denken angehören (Lyotard 19822). Auch wenn dieses postmoderne Denken selbst den Schritt in die Inklusion noch nicht ausreichend zu vollziehen weiß und ganz auf Multiplikation, Ausdifferenzierung, Rehabilitierung des Inkommensurablen und Pluralisierung setzt, ist es doch ein Schritt über die „teilenden“ Machtstrategien herkömmlicher Art hinaus.

Doch das Prinzip „Inklusion mittels Differenzierung“ ist offenbar bei führenden US-Strategen noch nicht angekommen, jedenfalls nicht im Hinblick auf ihre Modellbildungen. Während Fragen des „ethnischen Nationalismus“ weltweit aufbrechen und vielfach zu „post-nationaler“ (Habermas 2006) Manifestation kommen, muss das politische Denken maßgeblicher Kreise der USA erst noch den Schritt von der modernen Eindimensionalität hin zu einer angewandten Multidimensionalität tun – das heißt den Schritt von Gleichmacherei hin zur Anerkennung der Produktivität des Inkommensurablen auch im Hinblick auf kollektive Suborganismen von Gesellschaft. Zu erkennen, dass Letztere die Friedensfähigkeit steigert und im Prinzip von größerer Kreativität ist, sofern das (politische und kulturpsychologische) Denken in binären Oppositionen zum ausdifferenzierten Denken des Gleichzeitigen, und von Diachronizität hin zu Synchronizität voranschreitet, steht bei Muller noch aus. Doch erst wenn Muller erkennt, dass sich die heutige Konstellation bereits von sich aus auf eine solche „postmoderne“ Inklusion hinbewegt, wird er Modelle konkreter ethnischer Konfliktlösung Europas verstehen und in seine Strategien einbeziehen können, wie er es sich wünscht.

Und an dieser Stelle tritt das Modell Südtirol in das Zentrum des Interesses. Südtirol wäre meines Erachtens gerade in der heutigen Konstellation ein idealer Beitrag Europas aus dem Gesichtspunkt territorial „geschichteter“ Demokratisierung für die Erkenntnisanforderungen, die bei Muller erscheinen. Die „synchron verdreifachte“ politische Realität Südtirols aufgrund kultureller und ethnischer Anforderungen ohne Teilung oder Vertreibung kann nach wie vor für zahlreiche andere weltweit aufbrechende Fälle Anregung und Vorbild sein. Die Suche Mullers nach vorbildlichen europäischen Lösungsfindungen für die sich häufenden Notwendigkeiten von Gruppen-Ausdifferenzierung beziehungsweise normativ geregelter „synchroner Multiplizität“ auf ein und demselben Territorium stellt die Frage nach den Erfahrungen Südtirols neu in den Raum. Die Diskussion des „Modells Südtirol“ kann verhindern, dass im kommenden Jahrzehnt ein immer größerer Bruch zwischen Gruppen im Innern vormals „unitarischer“ Nationalstaaten sowie eine immer stärkere Vervielfältigung und Zersplitterung der Staatenlandschaft nach außen stattfindet – so wie es zuletzt beispielhaft im Kosovo der Fall war.

An diesem Fall zeigt sich meines Erachtens eine dreifache Lehre für die künftige Handhabung des Politischen im Verhältnis zum globalen Aufstieg kontextueller Politikfaktoren: 1. Abtrennung ist nicht immer die beste Lösung; 2. die Einführung von Subautonomien ist auch bei Abtrennungslösungen meist eine Zusatzanforderung im Hinblick auf langfristige Befriedung; 3. gerade in ethnopolitisch sensiblen Gebieten ist innere Ausdifferenzierung und institutionalisierte Wahrung von Geltungsgrenzen zwischen Systemlogiken das wichtigste progressive Prinzip. Staat (Politiksphäre), Ethnie und Kultur (Kultursphäre), Wirtschaft (sozio-ökonomische Sphäre) und Religion (ethische und Letztbegründungssphäre) (Opielka 20063) müssen im Bereich ethnopolitisch dominierter Gebiete voneinander emanzipiert und als vier gleichberechtigte, durch Geltungsgrenzen vor wechselseitigem Einfluss geschützte Felder anerkannt und implementiert werden – damit eine synchrone Ausdifferenzierung des Gesellschaftsgebildes erfolgen kann.

Das bedeutet insgesamt, dass die Weiterentwicklung des Kosovo nicht wie bei Muller in einer weiteren „Entmischung“ bestehen sollte (die jederzeit droht, wenn die ethnischen Konflikte mangels Verarbeitung der Vergangenheit wieder aufbrechen), sondern in der Beibehaltung der inneren ethnischen, sprachlichen und kulturellen Vielfalt. Diese ist aus staatlichem Gesichtspunkt unter dem Gleichheitsprinzip zu behandeln (alle ethnischen und kulturellen Bräuche und Traditionen sind im Prinzip gleichwertig, keine wird gegenüber den anderen bevorzugt) – aber mit gleichzeitiger Berücksichtigung der kollektiven ethnischen Dimension als eigenständiger Struktur-Dimension, nämlich als territoriale – nicht ethnische – Subautonomie für die vor Ort vermischt lebenden Ethnien. Es geht also zusammenfassend im Kosovo nun um eine angewandte Mehrdimensionalität und „Schachtelung“ der Ordnungsstruktur, nicht um eine weitere wechselseitige „Integration“ der Sphären in einen „nationalen“ ethnopolitischen Unitarismus wie bei Muller. Südtirol kann dafür Anregung und Vorbild sein – und einen gegenüber Muller sinnvolleren Weg aufzeigen.

8. Exkurs: Die Wendung nach innen. Die wachsende Bedeutung ­kontextueller Politikfaktoren für Südtirol selbst

Zusammenfassend kann man sagen, dass Mullers Beitrag insgesamt ein klarer Hinweis auf die neue weltweite Bedeutung von Ethnopolitiken ist. Aber er versäumt eine positive Antwort auf diese Herausforderung. Er wiederholt stattdessen nur den Huntington’schen Ansatz des „divide et impera“ und der typologisch gerechtfertigten „ethnischen Säuberung“ (auch wenn Muller diesen Begriff insgesamt für seinen eigenen Ansatz vermeidet, läuft seine „Lösungsperspektive“ doch deutlich darauf hinaus). Mullers Versäumnis, die Schwächen und Defizite seines Ansatzes aufgrund ihrer zivilisationsbedingten US-Herkunft, sind offenbar – beispielhaft für einen dunklen Fleck in der aktuellen internationalen Diskussion. Sie sind symptomatisch für ähnliche Fälle, die für eine größere US-Tendenz zum Reduktionismus stehen (Benedikter 2010a). Eben darin bezeichnen sie zugleich die Chance des Südtirol-Modells auf Rückkehr in die internationale Diskussion, „die zählt“.

Zentral zu beachten ist bei alledem allerdings auch, dass dasjenige, was an dieser Stelle über den Aufstieg „kontextueller“ Politikfaktoren zu weltpolitischer Bedeutung gesagt wurde, nicht nur „nach außen“ gibt, sondern auch „nach innen“: dass nämlich die Südtirol-Autonomie selbst zunehmend von kontextuellen Politikfaktoren abhängig wird. Die Südtirol-Autonomie selbst wird in ihrem heutigen „reifen“ Stadium zusehends von kulturpsychologischen Stimmungen und innerer Kultivierung des Dialogs abhängig – als prä- und protopolitischen Fermentierungselementen institutioneller und normativer Strukturentwicklungen.

So wies kürzlich eine Autorengruppe um den Innsbrucker Politologen Günther Pallaver meines Erachtens zu Recht darauf hin, dass die Südtiroler Autonomieregelung normativ zwar auf festem Fundament steht und dass dieses normative Fundament auch bereits mehrfach reformiert wurde, wodurch es sich der Realität immer wieder neu anpassen konnte. Die „Hardware“ ist also relativ solide gegeben. Jedoch fehlt bis heute noch immer die volle kulturpsychologische Akzeptanz insbesondere bei Teilen der italienischen Bevölkerung, was laut Alessandra Zendron damit zu tun hat, dass eine Art „Verfassungsdiskussion“ zwischen den drei Ethnien Südtirols über die eigenständige Südtiroler Autonomieregelung nie stattgefunden hat. Damit fehlt ein wesentliches Element sozialer und kultureller Akzeptanz-, Inklusions- und Beteiligungsarbeit auf der eigentlich „kontextuellen“ beziehungsweise „kulturellen“ Ebene – nämlich eine angemessene Methode, mit kontextuellen Politikfaktoren auch kontextuell umzugehen. Was also fehlt, jedenfalls unterentwickelt scheint, ist die politische „Software“.

Daraus ergibt sich für Pallaver die Schlussfolgerung, dass die Zukunft des Südtirol-Modells weniger von normativen – das heißt zum Beispiel juridischen – Faktoren abhängig sein wird, als vielmehr von kontextuellen Politikfaktoren: von Maßnahmen kultur- und sozialpsychologischer Inklusion. Das Fazit der Autorengruppe lautet: Wir benötigen in der heutigen Entwicklungsphase eher kulturelle Inklu­sions­maßnahmen als juridische Elemente der Strukturverbesserung und der nor­mativen Reformen, damit das Südtirol-Modell weiterhin ein europaweites Vorbildmodell ethnischer Konfliktlösung und „geschichteter“ (Benedikter 2004, 2005) Autonomisierung und Demokratisierung bleibt (vgl. Pallaver 2009). Mit anderen Worten: Nur wenn „nach innen“ kontextuelle Politikfaktoren zur anerkannten Praxis eines erweitert aufgefassten Politischen werden, kann das Südtirol-Modell „nach außen“, das heißt „in der Welt“, eine glaubwürdige, kontextuell inklusive Alter­native zum „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ bleiben – welches sich in der globalisierten Welt mit ihrer immer stärkeren wechselseitigen Durchdringung von politischen und kulturellen Realitäten immer weniger als sinnvoll erweist, weil es eine kulturell, wirtschaftlich, religiös und ethnisch geschlossene Gemeinschaft voraussetzen muss, um zu funktionieren, oder aber die von Muller tragischerweise favorisierte „Säuberung“, um eine solche imaginäre Geschlossenheit zu erreichen.

9. Fazit

Wie könnte ein Fazit der hier versammelten Beobachtungen lauten? Ein Fazit, das zum heutigen Tag ausdrücklich keinen Endpunkt, sondern einen Ausgangspunkt markierte? Vielleicht so:

Die Verlagerung des Schwerpunkts der internationalen Diskussion um das Südtirol-Modell von der zwischenstaatlichen und globalpolitischen Debatte zur Diskussion im Rahmen von Ethnopolitiken und kontextuellen Politiken ist eine relativ neue Entwicklung seit Ende der 1990er-Jahre. Sie ist heute zumindest potenziell wieder in Umkehr begriffen. Das zeigt unter anderem das Beispiel Jerry Z. Mullers, das für eine Trendwende hin zur Aufwertung ethnopolitischer und kontextueller Politikfaktoren zur „großen“ Politik in den angloamerikanischen Politikwissenschaften steht. Damit ergeben sich für die seit Jahren stagnierende Rezeption und Diskussion des Südtirol-Modells auf internationaler Ebene in politikwissenschaftlicher ebenso wie in politischer Hinsicht neue Chancen. Diese Chancen sollten genützt werden, um das Südtirol-Modell international präsent zu halten, aber auch, um seine Offenheit für Anregungen zur inneren Weiterentwicklung von außen aufrechtzuerhalten.

Ich möchte dieses Fazit in den folgenden vier Einzelthesen zusammenfassen:

1. Durch den Aufstieg von Ethnopolitik und kontextueller Politik zu akademisch anerkannten Feldern politischer Theorie und Praxis seit den 1990er-Jahren wurde das Südtirol-Modell auf Spezialbereiche der Diskussion eingeengt. Doch seit einigen Jahren erfolgt eine Trendwende im Sinn einer makropolitischen Erweiterung dieser Politikfelder, die es zumindest potenziell wieder an Attraktivität gewinnen lässt.

2. Für die angloamerikanische Welt, insbesondere die US-Politikwissenschaften und -Strategen, ist es besonders wichtig, Modelle ethnischer Konfliktschlichtung durch territoriale Autonomisierung und ethnische Repräsentation wie das Südtirol-Modell zu verstehen, da ihr eigenes Kultur- und zivilisationspolitisches Modell demjenigen einer ethnisch-kulturellen Ausdifferenzierung auf der juridisch-normativen Systemebene genau entgegengesetzt ist, wie der Signalartikel von Jerry Z. Muller vom März-April 2008 gezeigt hat. Es geht in den kommenden Jahren verstärkt darum, an konkreten Fallbeispielen der internationalen Diskussion aufzuzeigen, wie Modelle territorialer Autonomien und ethnischer Repräsentation im Zeitalter sich häufender „ethnischer Nationalismen“ (Muller) für weltweite Konfliktlösungsstrategien fruchtbar gemacht werden können.

3. Südtirol ist dafür meines Erachtens insgesamt auch unter den heutigen „reifen“ Bedingungen der Diskussion weiterhin ein gutes, wenn auch (vielleicht notwendigerweise) unvollständiges, in Teilen auch nicht widerspruchsfreies Beispiel für die mehrdimensionale „Schachtelkonstruktion“ eines ausdifferenzierten gesellschaftlichen Gebildes, das seinen Erfolg der lokalen Geschichte, der Vernunft auf allen beteiligten Seiten und einer Verkettung insgesamt günstiger historischer Umstände der Nachkriegsentwicklung verdankt. Obwohl manche internationale Beobachter nach wie vor behaupten, Südtirol sei ein Beleg für die Vermischung, ja Verquickung von Politik, Ethnizität und Kultur und also für eine latent „unitarische“, ja „apartheidähnliche“ Gesellschaft, welche Kollektivrechte vor Individualrechten überbetone und daher die Moderne noch nicht vollgültig vollzogen habe (Carlà 2007), so ist bei genauer Betrachtung genau das Gegenteil der Fall. Denn Ausdifferenzierung als grundlegendes Kennzeichen „reifer“ Modernität (Habermas 1990) ist hier in mancherlei Hinsicht in höherer Komplexitätsform geleistet als in „herkömmlichen“ nationalen Gesellschaften: Politisch-juridisch und ökonomisch sind alle Bürger „ethnieneutral“ gleich (Gleichheitsprinzip als Individualprinzip). Kulturell kommt – von diesem Gleichheitsprinzip im Prinzip getrennt als eigene Dimension – eine kollektive, ethnisch motivierte Dimension dazu (Differenzprinzip als Gruppenprinzip): drei parallele Kultur- und Schulministerien, die ethnisch-kulturell angordnet sind, jedoch bei Gleichheit der freien Zugehörigkeitswahl aller Bürgerinnen und Bürger (wiederum „ethnieneutral“). Und die religiöse Dimension ist von alledem noch einmal strikt getrennt. Sie betrifft weder die individuelle Gleichheit aller Bürgerinnen und Bürger auf dem Territorium, weil diese von der Religion unabhängig ist; noch die ethnisch-kulturell motivierten Gruppenrechte, die von ihr ebenfalls nicht berührt werden: Man kann Christ, Buddhist oder Moslem usw. sein, sich aber davon unabhängig und nach völlig eigenem Gutdünken einer der normativ repräsentierten Kultur- und Sprachgruppen zugehörig erklären. Insgesamt ergibt sich eine komplexe Mehrdimensionalität, in der sich Individualität und Kollektivität gegenseitig in verschiedenen Dimensionen durchdringen, bereichern und ergänzen, niemals aber einander ersetzen.

4. Der Schritt über die „Alcock-Phase“ der Diskussion des Südtirol-Modells hinaus besteht darin, dass es nicht mehr einfach als Modell propagiert, sondern auch – in Chancen und Grenzen – kritisch in Beziehung gesetzt wird zu den sich mittlerweile vermehrenden Ansätzen ethno-politischer Strukturierungsversuche von Gemeinschaften und Gesellschaften weltweit, aber auch mit seinen eigenen inneren Kontextualisierungsversuchen. Denn der Unterschied zu den 1990er-Jahren besteht darin, dass bis etwa zur Streitbeilegungserklärung Südtirol ein weitgehend konkurrenzloses Beispiel war, dass sich inzwischen aber aufgrund der rapiden Vermehrung ethnischer und „ethnonationaler“ Konflikte und entsprechender Ausdifferenzierungsversuche auf globaler Ebene zahlreiche weitere Modelle entwickelt haben, die in ihrer Diskussionsfähigkeit in gewisser Weise „in Konkurrenz“ zu Südtirol stehen und auch seine Begrenzung als Vorbild direkt und indirekt herausarbeiten. Nur eine Strategie der Wechselbeziehung zwischen Weitergabe des Südtirol-Modells nach außen zur Anregung und Hilfe bei der Lösung anderer Konflikte bei gleichzeitiger Weiterentwicklung nach innen durch Einbeziehung der Erfahrungen anderer Anwendungsfälle wird künftig die sich ergebenden Möglichkeiten voll ausschöpfen können und daher sinnvoll sein.

10. Vorschläge zur Verbesserung der Lage

Was bedeutet das, wenn wir auf die kommenden Jahre vorausschauen? Und wie können wir als Südtiroler Politikwissenschaftler und Politikwissenschaftlerinnen auf eine Verbesserung der bestehenden Lage hinwirken?

Der Aufstieg von „Ethnopolitik“ und „kontextueller Politik“ zu neuen Zentren von internationalen Beziehungen und Globalpolitik, den Muller 2008 zu Recht konstatiert hat und seitdem richtungsweisend in ihrer disziplinären akademischen „Abbildung“ fördert, bedeutet eine Chance für die Diskussion des Südtirol-Modells sowohl nach außen wie nach innen. Sie bedeutet einerseits eine Chance der positiven internationalen Präsenz sowohl für Südtirol wie für Italien, Österreich und die EU im Sinn einer Selbstdarstellung, Verbindungsschaffung und eines freundschaftlichen Beitrags für das gemeinsame Wohl im internationalen politischen Bewusstsein. Sie ist aber andererseits auch für die innere Weiterentwicklung Südtirols selbst mittels kritischer Rückmeldung von außen wichtig. Diese „Rückmeldung“ halte ich langfristig im Hinblick auf das Bewusstsein der neuen Generationen Südtirols für ebenso wichtig wie die „Außenwirkung“ als Trägerin einer positiven Botschaft. Denn dieses Bewusstsein eben der neuen Generationen wird letztlich alle Bereiche beeinflussen, wenn nicht bestimmen: Wirtschaft, Politik, Rechtsbereich und Rechtsverständnis, Kultur, wahrscheinlich auch Zivilreligion beziehungsweise politische Letztbegründungsdimension, das heißt die kulturpsychologisch „real“, wenn auch meist unbewusst praktizierten Wertestrukturen im Land.

Ich meine: Südtirol sollte für Kernländer der EU wie für Österreich und Italien insgesamt als ein brauchbares Vorzeigebeispiel unter mehreren wichtiger werden, als es heute ist. Und es sollte mittels dieser Länder auch – immer im Rahmen und im Bewusstsein seiner begrenzten Möglichkeiten, seines Legitimationsrahmens und seiner Geltungsbezüge, die nicht unterschätzt, aber auch nicht überschätzt werden sollten – im Prinzip zu einem Puzzlestein unter mehreren einer künftig verstärkten Ausstrahlung der EU auf die internationale Entwicklung werden, so wie sie heute praktisch einstimmig weltweit eingefordert wird.

Aber bis dahin ist es, wie es scheint, noch ein gutes Stück Weges. Für die kommenden Jahre brauchen wir konkrete Anregungen, wie die Präsenz des Südtirol-Modells in der internationalen Diskussion institutionell verbessert werden kann. Dies gilt insbesondere für die angloamerikanische Welt, welche die politische und politikwissenschaftliche Diskussion nach wie vor quantitativ (darunter rezeptionsstatistisch) dominiert. Ich schlage in diesem Zusammenhang Folgendes vor:

Was einerseits mit relativ geringem Aufwand möglich wäre, ist die Aktivierung zivilgesellschaftlicher Netzwerke wie zum Beispiel „Ecolnet“ (2010b, 26) und ihrer internationalen Verbindungen, definiert als gemeinsames wissenschaftliches Projekt. Da die meisten dieser Netzwerke mittlerweile eng mit der Wissenschaft vernetzt sind, würden sich politische und politikwissenschaftliche Impulse fast automatisch einstellen. Das könnte einen wertvollen „Basis-Effekt“ ergeben. Dazu wäre möglicherweise die Einrichtung eines runden Tisches der zivilgesellschaftlichen Initiativen Südtirols gemeinsam mit bestehenden Wissenschaftseinrichtungen und zuständigen Landesämtern sinnvoll.

Was darüber hinaus zur Belebung der Diskussion im engeren wissenschaftlichen Sinne möglich – und meines Erachtens auch nötig – wäre, ist die Einrichtung nicht nur von vorwiegend „nach innen“ gerichteten politikwissenschaftlichen Lehrstühlen an der Freien Universität Bozen zur Begleitung der inneren Entwicklung, also von primär „innenorientierten“ Politikwissenschaften, wie das heute geplant und zum Teil auch bereits vollzogen wird. Sondern nötig wäre – dazu komplementär – die Errichtung einiger vom Land Südtirol, beziehungsweise vom Land Süd­tirol in Zusammenarbeit mit anderen hiesigen gemeinnützigen Körperschaften, getra­genen Stiftungs- beziehungsweise Forschungslehrstühle an international herausragenden Universitäten vor allem in der angloamerikanischen Welt. Diese sollten in ihrem Kern der Wachhaltung und Verlebendigung der internationalen Diskussion über Südtirol und des Südtirol-Modells in der Welt dienen. Der dadurch mittelfristig zu gewinnende, im Gegensatz zu medialen Einzelberichten überproportional „vertiefte“ Renommee-, Akzeptanz- und Bekanntheitsgrad des Südtirol-Modells in der Welt wäre kaum zu beziffern. Er wird aber in Südtirol selbst derzeit noch unterschätzt und daher auch noch nicht der Herausforderung der Aufgabe angemessen gefördert.

Dazu ein Beispiel: Die medialen Berichte über Südtirol auf der internationalen Ebene werden zurzeit vor allem von touristischen Botschaften dominiert – mit vielen Vorteilen. Unter den Nachteilen aber ist, dass touristische Werbebotschaften laut neuerer Medienforschung nur relativ kurzfristig wirksam sind, nur zu wenig vertiefter Auseinandersetzung führen und meist auch nur kurzfristig im Gedächtnis bleiben. Die Südtiroler Marketinggesellschaft SMG erhält laut offiziellen Angaben zum Stand Mai 2008 bis Mai 2009 (SMG 2009) pro Jahr neun Millionen Euro Landesförderung für Marketingaktivitäten – mutmaßlich unter Ausschluss der Gehälter der 45 Mitarbeiter. Bereits ein Dreiunddreißigstel (drei Prozent) dieser Summe würde genügen, um einen langfristig wirksamen Forschungs- und Diskussionslehrstuhl zum Modell Südtirol samt voller Ausstattung – einschließlich Sekretariat und Assistenztätigkeit – an international strategisch ausschlaggebenden Orten der angloamerikanischen oder zentraleuropäischen Welt für ein volles Jahr zu finanzieren. Dabei könnten zusätzlich Kooperations-Finanzierungsmodelle mit den Gast-Universitäten angestrebt werden, was die Kosten für das Land Südtirol und die beteiligten Sponsoren weiter senken würde.

Derartige Stiftungslehrstühle zu Südtirol auf internationaler Ebene könnten außerdem schnell und juridisch einfach nach dem Vorbild der Länder Liechtenstein oder Katalonien eingerichtet werden. Diese betreiben das Prinzip der öffentlich geförderten Stiftungs- und Forschungsprofessuren zu ihren eigenen politischen Modellen „nach außen“ seit Jahren erfolgreich – und haben damit nachweislich Erfolg. Beide waren in den vergangenen Jahren in der internationalen akademischen und intellektuellen Diskussion weit präsenter als das Modell Südtirol. Aber hat Südtirol überhaupt die Möglichkeiten, in ähnlicher Weise seine eigenen Modellideen in die akademische Diskussion auf internationaler Ebene einzubringen?

Die Antwort lautet: Ja. Südtirol hat mit dem neuen Wissenschafts- und Forschungsgesetz 14 / 2006 (Durchführungsverordnung 2006) ein aktives Instrument zur Schaffung von entsprechenden Stiftungs- beziehungsweise Forschungslehrstühlen, das nicht nur „nach innen“, sondern – wenn auch äußerst sparsam und kostengenau – in strategisch bedeutenden Fällen auch nach außen angewandt werden sollte. Obwohl die entsprechenden Gelder bislang rein juridisch offenbar nur im Lande, nicht aber im Ausland angewendet werden dürfen, ließen sich doch erfahrungsgemäß problemlos europarechtlich einwandfreie Lösungen finden, mittels „innerer“ Finanzierung „äußere“ Stiftungs- und Forschungslehrstühle mittel- bis langfristig zu betreiben.

Das Interesse führender Universitäten und Denkfabriken (Think tanks) des angloamerikanischen Raums daran ist meiner Erfahrung nach jedenfalls – gerade in Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007 bis 2009 – mehr denn je aktiv gegeben. Private Förderer vor Ort, aber auch überregional, wären dazu zu finden und einzubeziehen, sodass solche Lehrstühle eine privat-öffentliche Kooperation sein sollten, mit starkem Akzent auf dem, was im angloamerikanischen Raum der „öffentliche Intellektuelle“ (the public intellectual) genannt wird, also auf der breitenwirksamen Beeinflussung und Ausstrahlung wissenschaftlich einwandfreier Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen.

Letzteres würde allerdings voraussetzen, dass die – in wesentlichen Teilen unbewusste – doppelte Angst, dass sich Politikwissenschaften oder politische Soziologie einerseits von innen oder von außen in die Südtirol-Politik „einmischen“ oder gar die Grundlagen der Autonomie „wissenschaftlich infrage stellen“ könnten (Angst der autonomiefreundlichen Rechten) oder andererseits zu bloß unkritischen Propagatoren und Werbeträgern des bestehenden Modells verkümmern könnten (Angst der autonomiekritischen Rechten), als definitiv unbegründet erkannt wird. Sie sollte meiner Meinung nach in den kommenden Jahren von der politischen Klasse unseres Landes vonseiten aller Sprachgruppen und Lager endgültig als unbegründet ad acta gelegt werden.

11. Ausblick: Einladung zur Mitarbeit

Ausgehend vom vorliegenden Eröffnungsartikel zu dieser Thematik soll in „Politika“ künftig eine eigene Rubrik entstehen, in der jedes Jahr die Inhalte der wichtigsten internationalen Debatten über Südtirol gesammelt, zusammengefasst und kritisch aufbereitet werden. Zur Zusammenarbeit an dieser Rubrik möchte ich hiermit alle Leserinnen und Leser herzlich einladen – darunter insbesondere all jene, die akademisch oder angewandt im Bereich der Politikwissenschaften oder der Diskussion des Südtirol-Modells in der Welt tätig sind oder sich in irgendeiner Weise dafür interessieren. Selbstverständlich sind auch – und gerade – widersprechende Meinungen zum vorliegenden Beitrag im Sinn der Diskussionsanregung willkommen. Bitte wenden Sie sich für Kontakt und Information jederzeit an mich, ich werde für diese Rubrik zuständig sein. Außerdem sind ab sofort „Stages“ und „Visiting Fellowships“ von einigen Wochen bis zu einem Jahr von in Südtirol ansässigen Wissenschaftlern zu Südtirol-Themen in einem sehr breiten, interdisziplinären Spektrum mittels Landesförderungen bei mir an der University of California at Santa Barbara oder an der Stanford University möglich.

Anmerkungen

* Der vorliegende Essay beruht auf einem Vortrag, den ich in den Jahren 2009 und 2010 u.a. in Bozen, Stanford und Santa Barbara gehalten habe. Der Beitrag beansprucht in keiner Weise Vollständigkeit, sondern versucht nur holzschnittartig und im Sinn einer offenen Gesprächsanregung, einen Trend in der heutigen Diskussion um das Südtirol-Modell in der angloamerikanischen Welt zu verdeutlichen und einige Lösungsansätze herauszuarbeiten. Der Essay wurde von der Redaktion eigenständig gekürzt und wird hier nur teilweise abgedruckt, da er die redaktionell festgelegte Länge überschritt. Der vollständige Beitrag wird an anderer Stelle publiziert.

1 Siehe: Specialist Group Ethnopolitics. In: www.ethnopolitics.org / home.htm (15.2.2010)

2 Jean-François Lyotards Buch „Der Widerstreit“ (1982) ist aus meiner Sicht das wichtigste Werk politischer Theorie der „Postmoderne“. Es wurde aber bis heute für den „synchronen“ Umgang mit Ethnien und Ethnopolitiken unter Bedingungen „tiefer Inkommensurabilität“ (Lyotard) noch nicht ausreichend rezipiert.

3 Einteilung der typologischen Systemlogiken nach Opielka (2006). Opielka greift dabei – wie auch sein Lehrer Johannes Heinrichs – maßgeblich auf die Gesellschaftstheorie Rudolf Steiners (1861–1925) zurück, den ich eingangs (Kapitel II) bereits erwähnt habe. Steiner hat bereits am Ende des Ersten Weltkrieges 1919–1921 ähnliche Gedanken als „soziale Dreigliederung“ vertreten und diese dem „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ Wilsons entgegengestellt, das er für multikulturelle Gebiete für einen gefährlichen Irrweg und für eine falsche, rückwärts gewandte Idee hielt. Seit den 1990er-Jahren häufen sich die Versuche, die damit angelegte multidimensionale und synchron pluralistische Denkweise als Alternative zur traditionellen politischen Moderne historisch zu rekonstruieren, um sie zeitgemäß zu erneuern.

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Abstracts

Il modello sudtirolese nel dibattito internazionale delle scienze politiche

Negli anni Ottanta e Novanta del secolo scorso, il modello sudtirolese di autonomia e autogoverno era l’esempio più citato di come i conflitti etnici e le questioni riguardanti le minoranze potevano essere risolti nel contesto europeo. Anche partendo da importanti conflitti in altri luoghi del mondo gli si è spesso prestata attenzione. Tuttavia negli ultimi decenni è constatabile uno spostamento nella discussione sul modello sudtirolese. Se in passato si citava il Sudtirolo partendo da questioni riguardanti gli stati nazionali e i conflitti tra stati, il dibattito si è ora ritirato nella nicchia delle politiche etniche e contestuali. Con ciò è avvenuta una marginalizzazione: soprattutto nel dibattito politico del mondo anglosassone la presenza del modello sudtirolese ha perso d’importanza, sia sotto il profilo della qualità che della quantità. Il presente contributo ripercorre a mano di alcuni esempi questo spostamento del baricentro della discussione per dare, sulla base di ciò, impulsi a rafforzare la presenza del modello sudtirolese nella discussione internazionale.

Le model Südtirol tla discusciun internazionala
dla sciënza politica

Le model Südtirol sciöche motif por l’autonomia y l’autoaministraziun valô ti agn Otanta y Nonanta sciöche ejëmpl dominënt por superè i conflić etnics y les domandes sön les mendranzes a livel europeich. Plü y plü àl indere inće ciafè importanza pro conflić importanć a livel mondial. Ti dezenns passà pol indere gnì constatè che la discusciun sön le carater ejemplar s’à spostè. Sce Südtirol gnô n iade tut ca dantadöt en relaziun a chestiuns a livel nazional y te discusciuns sön conflić danter de plü stać, spo é śëgn la discusciun gnüda metüda tl piz di etnopolitics y de politiches contestuales. La conseguënza é stada chëra che la chestiun é gnüda marginalisada: La presënza dl model Südtirol à pordü importanza tla discusciun politica dantadöt tl monn de lingaz inglesc sides por ći che reverda la cualité co inće la cuantité. Chësc contribut laôra sö, sön la basa de ejëmpli chiris fora, sciöche al é gnü spostè le barizënter dla discusciun y al dà impulsc de sciöche al po gnì miorè la presënza dl model Südtirol tla discusciun internazionala.

The Model of South Tyrol in the Discussion of the International Political Sciences

The model of autonomy and self-governance of the Autonomous Province of South Tyrol was discussed in the 1980s and 1990s as a leading example of how to deal with ethnic conflicts and minority issues on a European and – repeatedly, and on important occasions – on a worldwide level. In the last decades, though, the discussion about this model has shifted from the broad field of international relations and global politics to discussions within the highly specialized niche fields of ethnopolitics and contextual politics. This shift has caused a marginalization, i.e. a reduction in the quantity and quality of the presence of the South Tyrol model, in the political debate of the English-speaking world. This article discusses selected aspects of this shift, illustrates some consequences, and tries to provide some ideas for how to improve the situation.