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Guido Denicolò

Ethnische Besitzansprüche

Südtirols Autonomiestatut schiebt jeder „historischen Lösung“ der Toponomastikfrage einen Riegel vor

1. Zwischen deutschem und italienischem Nationalismus

Die sogenannte Toponomastik wird in der politischen Diskussion in Südtirol häufig als „immer noch offene“ Frage gehandelt, als eines der – wenigen – „autonomiepolitischen“ Probleme, die es angeblich „noch zu lösen“ gilt. Tatsächlich flackert diese Thematik in unregelmäßigen Abständen immer wieder auf, angestoßen aus meist gegensätzlichen Positionen und zu den unterschiedlichsten Anlässen. So eben auch, und mit einem bestimmten Nachdruck, im vergangenen Jahr 2009, als vor allem die Beschilderung der öffentlichen Wanderwege und Gebirgspfade Anlass für nachhaltige Auseinandersetzungen gab. Der Südtiroler Alpenverein (AVS), aber auch lokale Tourismusorganisationen verwenden dabei, wenngleich auf großzügige Weise öffentlich finanziert, zunehmend nur die deutsche Sprache und verletzen damit immer wieder den Grundsatz der Gleichstellung der zwei bzw. drei Landessprachen, und dies nicht nur in den – nach wie vor umstrittenen – Ortsbezeichnungen, sondern auch bezüglich vieler allgemein nützlicher Hinweise.

Kam früher die Einforderung der Zweisprachigkeit – vor allem gegenüber den staatlichen italienischen Verwaltungsbereichen – vornehmlich aus der deutschen Sprachgruppe, so sind es nun insbesondere die zur politischen und gesellschaftlichen Minderheit gewordenen italienischsprachigen Südtiroler, die immer wieder die Nichteinhaltung der Sprachengleichstellung durch die neuen „Herren im Lande“ beklagen. In diesem Zusammenhange spielt die Problematik der Mehrsprachigkeit der Ortsnamen eine besonders sensible Rolle.

Die meisten der heutigen italienischen Ortsnamen in Südtirol hat es bekanntlich zum Zeitpunkt der Angliederung des Landes an Italien nach dem Ersten Weltkrieg noch nicht gegeben, sie wurden erst zur Zeit des Faschismus auf der Basis der von dem – aus Rovereto stammenden – italienischen Nationalisten Ettore Tolomei (1865–1952) noch unter der österreichischen Herrschaft begonnenen Forschungen und Übersetzungen gesetzlich eingeführt und sind seither amtlich. In den Augen der deutschsprachigen Nationalisten handelt es sich um ein historisches Unrecht, das „nie und nimmer“ akzeptiert werden dürfe und so schnell wie möglich aus der Welt zu schaffen sei, wohingegen die Nationalisten in der italienischen Sprachgruppe die „Unverzichtbarkeit“ dieser Ortsnamen mit ihrem Heimat- und Bleiberecht in diesem Lande verknüpfen.

Handelt es sich nun hierbei wirklich um eine unter der dünnen Oberfläche der Zusammenlebensrhetorik schwelende Glut, die es ein für alle Mal zu löschen gilt, oder lediglich um von einigen isolierten Ethnopyromanen (mehr oder weniger brandstifterisch) gelegte Strohfeuer, die allerdings stets so schnell abbrennen, wie sie gezündet werden, und die wohl niemand ganz zu verhindern vermag? Mit anderen Worten: Verdient die „Toponomastik“ wirklich die politische und mediale Aufmerksamkeit, die man ihr immer wieder zuteil werden lässt, und die Anstrengung, mit der man anscheinend im laufenden Jahr diese Angelegenheit „endlich regeln“ möchte?

Gemeint ist vordergründig die geplante Verabschiedung eines eigenen Landesgesetzes über die amtlichen Ortsnamen in Südtirol, die neuerdings zu den vorrangigen Anliegen dieser Legislaturperiode erklärt worden ist. Dabei handelt es sich um eine Art „Dauerpriorität“, die nun bereits seit einigen Jahrzehnten auf der Tagesordnung steht, gab es doch kaum ein Regierungsprogramm der Südtiroler Volkspartei (SVP), welches nicht „endlich“ dieses – immer wieder als vordringlich deklarierte – Geschäft erledigen wollte. Umso erstaunlicher erscheint es, dass die SVP, mit ihrer seit jeher absoluten Mehrheit und unter den für sie oft sehr günstigen politischen Konstellationen in Rom, dieses Vorhaben trotzdem nie konkret angegangen ist und es im letzten Augenblick immer wieder auf die lange Bank geschoben, d.h. auf die jeweils nächste Landtagsperiode vertröstet hat. Könnte es also sein, dass selbst die SVP insgeheim darauf hoffte, das „Problem“ möchte und würde sich mit der Zeit sozusagen verflüchtigen und sich letztendlich in der allgemeinen Gewöhnung an den Alltag von Verwaltung und Wirtschaft auflösen?

Es mag durchaus zutreffen, dass hier die pragmatische Fraktion des lokalen Establishments auf die (still und unauffällig wachsende) normative Kraft des Faktischen gesetzt hat, gemäß dem konstituierenden Grundprinzip der „pax Durnwalder“, das da (in Anlehnung an Silvius Magnagos „Lei net rogln“) lautet: Nur nicht anrühren! In diesem Sinne entsprach die wiederholte Aufschiebung bzw. Verdrängung des Themas, wenn schon nicht einer klaren und bewussten Strategie, so doch wahrscheinlich einer zumindest oberflächlich verspürten Vorsicht gegenüber der Gefahr, dass gerade die „Lösung“ das Problem erst recht hervorbringen könnte, und zwar mit durchaus unerwünschten Auswirkungen. Man kann demnach davon ausgehen, dass die SVP die „Toponomastikfrage“ in Wirklichkeit nie angehen wollte und es auch heute am liebsten vermeiden möchte, dass diese für sie zu einem regelrechten politischen Entscheidungsnotstand wird.

Aber was den pragmatischen „Zauderern“ in allen Sprachgruppen als akzeptable Lösung durch die (allmähliche) Gewöhnung an den von der jahrelangen Alltagspraxis geschaffenen Status quo erscheinen mochte, erweckt stattdessen zusehends den Argwohn der jeweiligen „Puritaner“, denen – auf der deutschen Seite – die „Gefahr“ des sanften Vergessens eines „historischen Unrechts“, und damit des Verzichts auf dessen sogenannte „Wiedergutmachung“, vorschwebt und die – auf der italienischen Seite – eine immer weiter um sich greifende, schleichende ethnische Säuberung in der Ortsnamengebung zu beobachten glauben. Es ist augenscheinlich, dass die SVP in diesem Kontext progressiv die Kontrolle über die Situation, und nicht zuletzt auch über sich selbst, verloren hat.

Die „Toponomastik“ ist mittlerweile zum Gegenstand von unterschiedlichen, teils widersprüchlichen, insgesamt aber politisch weitgehend unkontrollierbaren Initiativen geworden, die außerhalb der Mehrheitspartei – und vielfach gegen sie – agieren, jedoch in sie hineinwirken und sie zum Teil regelrecht chaotisch vor sich hertreiben. Die SVP hat, um es kurz zu sagen, in dieser Angelegenheit augenscheinlich „keine Linie“ und schlingert dementsprechend ständig zwischen Improvisation, Provokation und Besänftigung. Dieser Zustand hat faktisch dazu geführt, dass sie gegenwärtig das „Problem“ weder – wie bisher – aufschieben, noch – wie sie immer wieder verlauten lässt – „endlich“ angehen kann. Auf der einen Seite will sie, als Gefangene ihrer eigenen Rhetorik, nicht offen vermitteln, was die meisten möglicherweise denken, nämlich, dass die „Toponomastik“ eigentlich gar kein Problem (mehr) darstellt, für das es sich den ethnischen Frieden und die einträgliche Propaganda vom weltweiten „Vorbildcharakter“ der Autonomie aufs Spiel zu setzen lohnt; auf der anderen Seite wissen ihre Verantwortlichen aber auch, dass diese Frage zurzeit politisch und rechtlich überhaupt nicht zufriedenstellend gelöst werden kann.

Wenn Themen wie die amtlichen Ortsnamen in mehrsprachigen Gebieten auf die Tagesordnung gesetzt werden, dann muss man in der Tat wissen, dass damit unausweichlich unterschiedliche und gegensätzliche Gefühle wachgerüttelt sowie komplizierte kollektive Rudelmechanismen – bis hin zu animalischen Revierkämpfen („von der Humanität durch Nationalität zur Bestialität“, Grillparzer) – ausgelöst werden, selbst bei Menschen, die sich unter normalen Umständen davon fernhalten würden. Durch ihre Ratlosigkeit und Unentschlossenheit hat die SVP das Problem der „Toponomastik“ dem politischen und rechtlichen Chaos überlassen, in welchem sich nun die unterschiedlichsten Initiativen, Provokationen und Improvisationen breitmachen und wodurch insgesamt ein teils geradezu skurriles, hoffnungsloses Klima der Konfusion und des Aneinander-Vorbeiredens entstehen konnte.

Es ist, vor allem 2009, eine ethnische Konfliktsituation gerade in einem Bereich entfacht worden, in welchem dauerhafte Lösungen hingegen entweder langsam heranwachsen müssen oder eben allein im Konsens gefunden werden können.

2. Politische, nicht historische Lösung

Die Vorschläge der einzelnen politischen Gruppierungen gehen stattdessen nach wie vor weit auseinander und polarisieren sich – auf der einen Seite – an der Forderung der italienischen Rechten nach absoluter Zweisprachigkeit durch die Beibehaltung ausnahmslos aller sogenannten „Tolomei’schen Ortsnamen“, die es nach ihrer Auffassung lediglich durch die im Autonomiestatut vorgesehene amtliche Festschreibung der ursprünglichen deutschen Toponyme zu ergänzen gelte, und – auf der anderen Seite – an der von den deutschen Rechtsparteien nachdrücklich vertretenen sogenannten „historischen Lösung“, wonach nur die bereits zum Zeitpunkt der Annexion vorhandenen, wenigen italienischen Ortsnamen beibehalten werden sollten.

Neben der zeitweilig ebenfalls von der deutschen nationalistischen Seite ins Gespräch gebrachten „Prozentlösung“, welche die Verwendung der italienischen Benennungen vom Anteil (20–25 Prozent) der Italiener in den jeweiligen Ortschaften abhängig machen möchte, versucht die SVP mit ihren bisher bekannten Lösungsansätzen gewissermaßen – aber weitgehend erfolglos – zu „vermitteln“. Demnach sollte ursprünglich die Makrotoponomastik – also die Bezeichnungen von Gemeinden, „größeren“ Ortschaften, Gebirgen, Tälern, Gewässern usw. – unmittelbar durch ein Landesgesetz festgeschrieben, die Regelung der Mikrotoponomastik – kleinere Ortschaften, Flurnamen usw. – jedoch an die Gemeinden übertragen werden. Diese Aufteilung würde allerdings die ethnopolitische Auseinandersetzung um die Ortsnamen ganz augenscheinlich nicht entschärfen, sondern ganz im Gegenteil metastasenähnlich auf jede einzelne der 116 Südtiroler Gemeinden ausweiten und somit geradezu vervielfachen. Die Liste der laut SVP direkt durch Landesgesetz zu bestimmenden zweisprachigen Ortsbezeichnungen – je nach Angaben zwischen 500 und 800 – würde allerdings an die 90 Prozent der politisch relevanten, weil sichtbaren, Ortsnamen umfassen und müsste dafür notgedrungen auf den Tolomei-Fundus zurückgreifen, was den Ethnofundamentalisten in der deutschen Sprachgruppe wiederum nicht entgehen konnte und auch entsprechend scharf kritisiert wird.

Etwas anders konzipiert ist der bisher von den Grünen vorgelegte Entwurf, der die Unterscheidung zwischen Makro- und Mikrotoponomastik ablehnt, stattdessen vom Begriff der Ortsnamen und geografischen oder topografischen Bezeichnungen „von öffentlicher Bedeutung“ ausgeht und ausschließlich diese zum Gegenstand der gesetzlichen Mehrsprachigkeitspflicht macht. Die Ortsnamengebung von öffentlicher Bedeutung, die demnach mehrsprachig zu sein hätte, umfasst nach diesem Vorschlag „die Gemeinden, die Fraktionen und die anderen gemeindlichen und übergemeindlichen territorialen Verwaltungseinheiten, die bewohnten Täler, die Pässe und die Gebirge, die öffentlichen Seen von touristischer oder landschaftlicher Bedeutung, die anderen öffentlichen Gewässer von gemeindlicher oder übergemeindlicher Bedeutung sowie die Benennungen und geografischen Bezeichnungen von kulturellen, gewerblichen, Erholungs-, sportlichen oder touristischen Zonen und Örtlichkeiten von öffentlicher Bedeutung“. Die Erfassung, die Dokumentation sowie die allfällige Anpassung bzw. Ergänzung der amtlichen Ortsnamen gemäß dieser Begriffsbestimmung sollte, nach Vorstellung der Grünen, einer (sprachgruppenmäßig) paritätisch zusammengesetzten Fachkommission übertragen werden.

Diese verschiedenen Lösungsansätze haben jedoch die Diskussion bisher nicht wesentlich entspannen bzw. versachlichen können. So reproduziert und reanimiert die gegenwärtige Toponomastikdiskussion weiterhin nichts anderes als die alten – gegensätzlichen (und gerade deshalb so ähnlichen) – ethnischen Besitzansprüche, die unter bestimmten Umständen das immer wieder propagierte Bild vom „Modell“ des Zusammenlebens in Südtirol lautstark widerlegen könnten. Letztendlich ist es jedoch die Schwierigkeit, bzw. der ideologische Unwille, die Wirklichkeit des mehrsprachigen Südtirol bis in ihre letzte Konsequenz zu akzeptieren, und zwar einschließlich des damit verbundenen Grundrechts einer jeden Sprachgruppe, das Land, in dem sie lebt, auf ihre eigene Art und Weise zu beschreiben und eventuell auch zu „benennen“. Dabei ist einmal mehr klar, dass die Lösung nur eine politische, niemals eine „historische“ – d.h. vergangenheitsbezogene (und letztendlich revanchistische) – sein kann.

In Wirklichkeit findet sich aber eine solche politische Lösung bereits im Autonomiestatut vorgezeichnet und ist nichts anderes als der Ausdruck des diesem zugrunde liegenden konstituierenden Kompromisses, ohne den es die Südtirolautonomie gar nicht geben würde. Dieser Ausgleich besteht im Wesentlichen darin, dass sich die beiden großen Sprachgruppen gegenseitig legitimieren und damit den im Autonomiestatut begründeten absolut gleichen „Anspruch auf das Land“, ohne jeglichen Erstgeburtsdünkel, anerkennen. Wenn also das Autonomiestatut (Artikel 8, Ziff. 2) dem Landesgesetzgeber die Befugnis erteilt, Gesetzesbestimmungen zur Ortsnamengebung zu erlassen, mit der ausdrücklichen „Verpflichtung zur Zweisprachigkeit im Gebiete der Provinz Bozen“ und ihn gleichzeitig (Artikel 101) ermächtigt, ausschließlich die deutschen Ortsnamen gesetzlich festzustellen, dann bedeutet dies – rechtlich und politisch – nichts anderes als die definitive Anerkennung und Festschreibung des Status quo wie er sich über die Jahrzehnte (und somit in einem gewissen Sinne ebenfalls „historisch“) in der gleichberechtigten Koexistenz der deutschen und italienischen Ortsnamen etabliert hat. Dabei spielt der – mehr oder weniger als recht- oder unrechtmäßig empfundene – Ursprung der italienischen Ortsnamen keine Rolle mehr, denn durch die (gerade im vergangenen Jahr so groß gefeierte) Annahme des Autonomiestatuts haben die deutschsprachige Bevölkerung und ihre politische Führung den Status quo in der Toponomastik als wesentlichen Aspekt dieses „Friedensvertrages“ zwischen den Sprachgruppen akzeptiert und bleiben daran auch gebunden. Die immer wieder lautstark geforderte – formelle – „Abschaffung der Tolomei-Dekrete“ könnte und würde diesbezüglich rechtlich (und politisch) überhaupt nichts ändern, denn die (rein geschichtlich) zwar von ihnen ausgegangene Situation der zweisprachigen Ortsnamen in Südtirol ist inzwischen durch das Autonomiestatut demokratisch und verfassungsrechtlich definitiv legitimiert und somit von ihnen entbunden.

Es ist also das Autonomiestatut selbst, das einer jeden „historischen Lösung“ definitiv den Riegel vorschiebt und sie in das Reich des ideologischen Wahns und der politischen Illusion verweist, und die SVP weiß sehr gut, dass das von ihr in der autonomiepolitischen Diskussion oft angerufene Prinzip pacta sunt servanda hier voll und ganz auch für sie gilt. Dabei besteht durchaus kein Zweifel, dass es sich um die von der SVP vielleicht am wenigsten geliebte Klausel des Autonomie-„Vertrages“ handelt. Dies erklärt auch weitgehend ihren über die Jahrzehnte praktizierten Versuch, das sprichwörtliche Gras darüber wachsen zu lassen und jede Möglichkeit zu vermeiden, darauf angesprochen zu werden oder diese Klausel gar förmlich honorieren zu müssen. Dafür war man bisher sogar bereit, den Preis des Verzichts auf die im Autonomiestatut (Artikel 101) vorgesehene gesetzliche Wiedereinführung der vom Faschismus gewaltsam eliminierten deutschen Ortsnamen zu zahlen.

Der Druck der deutschnationalen Gruppierungen (und ideologischen „Grundbesetzer“), denen diese explosive Thematik unvorsichtigerweise überlassen worden war, in der Hoffnung, diese würde sich irgendwann erübrigen oder beschwichtigen lassen, hat indes aber stetig zugenommen und gleichzeitig einen entsprechenden, unvermeidlichen Gegendruck in der italienischen Öffentlichkeit entstehen lassen, weshalb nun – wie erwähnt – die SVP zumindest erklärt hat, die „Angelegenheit“ doch noch gesetzlich regeln zu wollen.

Der rechtliche und politische Spielraum ist jedoch äußerst gering. Eine gesetzliche Regelung von oben herab, ohne vorherige ausreichende Vertrauensbildung unter den Sprachgruppen, die bisher durch die Politik des Verschweigens, Verdrängens und der (meist heimlich geschaffenen) vollendeten Tatsachen nicht hat erfolgen können, wird allerdings voraussichtlich das Problem und die damit zusammenhängende Empfindlichkeit innerhalb der verschiedenen Sprachgruppen erst richtig verschärfen und letztendlich selbst zur unmittelbaren Belastung für das ethnische Klima im Lande werden. Nichts fürchtet jedoch inzwischen das lokale Establishment, ganz auf Marketing bedacht („Südtirol in der Welt gut verkaufen“), mehr als den Imageschaden im In- und Ausland. Die SVP steckt in der Sackgasse und sie weiß es.

3. Verfassungsgerichtshof als Konfliktregelungsinstanz

Die von ihr zuletzt ins Auge gefassten gesetzgeberischen „Lösungsansätze“ scheinen eben gerade ein evidenter Ausdruck dieser Verlegenheit zu sein. Obwohl die Regelung der „Toponomastik“ – erneut – in die Koalitionsvereinbarung aufgenommen wurde, ist bereits jetzt klar, dass die entsprechende Gesetzesvorlage nicht von der Landesregierung kommen wird, da es dazu nicht einmal eine ausreichende Übereinstimmung mit dem italienischen Regierungspartner gibt, dessen geringe Repräsentativität unter den italienischsprachigen Südtirolern ohnehin keine ausreichende Verhandlungslegitimation begründet. Die Initiative wird demnach – wenn überhaupt – nicht von der institutionellen Seite kommen, sondern direkt von der SVP im Landtag eingebracht und somit als einseitig „deutscher“ Vorstoß empfunden werden.

Die bisher bekannten Ansätze lassen unterdessen deutlich den Versuch einer fragwürdigen Kombination von Handeln und Aufschieben erkennen, mit dem augenscheinlichen Ziel, erneut ein bisschen Zeit zu gewinnen. Das Zaubermittel soll ein reines „Verfahrensgesetz“ sein, mit welchem der Landesgesetzgeber zunächst nur regelt, wie die Sache weitgehend auf andere – Gemeinden, Fachkommissionen, Umfragen usw. – abgeschoben wird. Dazu kommt, dass jedes Landesgesetz zur Ortsnamengebung aber letztendlich an den bereits erwähnten verfassungsrechtlichen Vorgaben des Autonomiestatuts in Bezug auf die Verpflichtung zur Zweisprachigkeit der Ortsnamen gemessen werden wird. Eine Verletzung dieser Verpflichtung wird vor dem Verfassungsgerichtshof mit Sicherheit keine Nachsicht erfahren, ebenso wenig ihre Umgehung etwa durch die rein erfundene Unterscheidung zwischen Zweisprachigkeit und „Zweinamigkeit“ (denn was kann der Begriff von der Zweisprachigkeit der Ortsnamen anderes als „Zweinamigkeit“ bedeuten!). Und möglicherweise – ja sogar sehr wahrscheinlich – wird der Verfassungsgerichtshof am Ende sogar zur Feststellung gelangen, dass der Landesgesetzgeber in Sachen italienische Ortsnamen in Südtirol, zumindest sofern sie bei Inkrafttreten des Autonomiestatuts bereits gesetzlich verankert oder zumindest vorausgesetzt waren, überhaupt gar keine Zuständigkeit hat (vgl. Artikel 101 des Autonomiestatuts). Aber es kann durchaus sein, dass gerade ein solcher – höchst wahrscheinlicher – Ausgang der Geschichte „endlich“ die Lösung des Problems darstellt, mit der auch die SVP spekuliert, da sie dann den Schwarzen Peter ein für alle Mal los wäre.

Abstracts

Rivendicazioni etnico-territoriali
e il problema della toponomastica

La questione della toponomastica bilingue costituisce in Alto Adige un ricorrente motivo di conflitto politico ed etnico. I partiti politici, ma anche diversi gruppi della società civile, hanno recentemente riesumato questa tematica, soprattutto in relazione alla diffusa prassi di utilizzare, nella segnaletica apposta su tanti sentieri turistici e alpinistici della provincia, esclusivamente la lingua tedesca. La Südtiroler Volkspartei (Svp), al governo da decenni, ha perennemente cercato di non affrontare pubblicamente tale questione, ma si trova ora a subire la crescente pressione delle forze nazionalistiche presenti nel gruppo linguistico tedesco che intendono ottenere la cancellazione dei toponimi italiani introdotti dopo la prima guerra mondiale e da allora generalmente utilizzati. Ciò provoca a sua volta reazioni nazionalistiche nel gruppo linguistico italiano. Non si intravede la prospettiva di una soluzione consensuale.

Revendicaziuns etnich-teritoriales y
le problem dla toponomastica

La chestiun dla toponomastica te dui lingac rapresentëia te Südtirol na gauja che vëgn tres indô a löm por le conflit politich y etnich. I partis politics, mo inće de plü grups dla sozieté zivila, à da püch indô trat fora chësta tematica, dantadöt en relaziun ala pratica slariada fora da d’adorè, sön les tofles aposta sön n gröm de trus turistics y da munt dla provinzia, ma le lingaz todësch. La Südtiroler Volkspartei (SVP), da dezenns al govern, à tresfora porvè de n’afrontè nia publicamënter chësta chestiun, mo ara mëss śëgn subì la presciun tres plü sterscia dles forzes nazionalistiches presëntes tl grup linguistich todësch che ô arjunje la eliminazuin di toponims talians portà ite do la pröma vera dl monn y da ilò inant feter dagnora adorà. Chësc gaujëia da süa pert reaziuns nazionalistiches tl grup linguistich talian. An ne vëiga nia na soluziun tl consëns.

Ethno-Territorial Claims and
the Toponymy Problem

The question of bilingual place names is an ongoing source of political and ethnic contention in South Tyrol. Political parties, as well as also other civil society groups, have recently resuscitated this issue, especially regarding the pervasive practice of using only the German language on signs posted along many of the province’s hiking trails and climbing routes. The South Tyrolean People’s Party, or SVP, which has been governing for decades, has continually tried to avoid addressing this issue publicly. It is now facing increasing pressure from nationalist factions within the German-language group who want to eliminate the Italian toponyms introduced after the First World War, which have been commonly used since then. This, in turn, elicits nationalist reactions within the Italian-language group. There is no sign of a mutually agreeable solution in the near future.