Jens Woelk
Die Ladiner/-innen: Minderheit in der Minderheit?
The Ladins: A “Minority within a Minority”?
Abstract For the Ladins, the second autonomy statute means a clear improvement in their rights, especially in South Tyrol, but also a continuation and deepening of the division of the traditional settlement areas in the three provinces of South Tyrol, Trentino and Belluno. Subsequent developments were all positive for the Ladins in South Tyrol following their emancipation as the third language group. However, they also led to further differentiation and consolidated the tripartite division.
This article examines the situation under international law as well as the constitutional implementation in the various phases. Which rights do the Ladins have - in South Tyrol and in the other two provinces? Which rights have been added, expanded and consolidated?
The focus is on the legal guarantees in South Tyrol; however, the article also considers the situation in the neighbouring autonomous province of Trento and in the province of Belluno, as well as possibilities for closer cooperation between the different parts of Ladinia.
1. Einleitung
„Die Ladiner/-innen: Minderheit in der Minderheit“: Am Ende der Überschrift erscheint wenigstens ein Fragezeichen angebracht. Seit einem Jahrhundert dauert die während des Faschismus eingeführte (administrative) Dreiteilung der ladinischen Gebiete an. Daher ist die Überschrift vor allem Ausdruck einer Südtiroler Sicht der Dinge: Die deutschsprachige Bevölkerung Südtirols ist in Italien eine (Sprach-)Minderheit, aber in der autonomen Provinz Bozen-Südtirol die Mehrheit. Eine solche Situation zur Garantie der Rechte einer Minderheit zu nutzen, ist der Grundgedanke territorialer Autonomie – im Allgemeinen sowie des Gruber-Degasperi Abkommens im Besonderen. Mit gestalterischer Innovation wurden die Grundprinzipien des bilateralen Abkommens zwischen Italien und Österreich endlich im „Zweiten“ Autonomiestatut effektiv innerstaatlich umgesetzt.1 Davon konnte auch die kleine ladinische Minderheit profitieren.
Das Zweite Autonomiestatut war ein Ergebnis geschickter Verhandlungen, eine Reaktion und ein Kompromiss nach den Protesten der deutschsprachigen Südtiroler/-innen und der Intervention Österreichs. Eindeutig steht daher, wie bereits im Gruber-Degasperi Abkommen, die Lösung des Konflikts zwischen Italien und deutschsprachigen Südtiroler/-innen im Mittelpunkt. Diese Lösung beinhaltet weitreichende Garantien von Minderheitenrechten sowie territoriale Autonomie. Im Zentrum stehen dabei die beiden autonomen Provinzen,2 die sogar über ausschließliche Gesetzgebungskompetenzen verfügen und deren jeweilige Rechtsordnung sich von jener der anderen Provinz unterscheidet; wenigstens der Eindruck von Kontinuität soll sowohl durch das gemeinsame, regionale Autonomiestatut, als auch durch das Fortbestehen der Region als Institution vermittelt werden.
Für die Ladiner/-innen bringt die Zäsur des Zweiten Autonomiestatuts eine deutliche Verbesserung ihrer Rechte, insbesondere in Südtirol. Sie bedeutet aber auch die Fortsetzung und Vertiefung der Dreiteilung Ladiniens, aufgrund jeweils unterschiedlicher Garantien in den drei Provinzen Südtirol, Trentino und Belluno (dabei hat bekanntlich weder Belluno einen Sonderstatus, noch die Region Venetien, der diese Provinz angehört). Die nachfolgenden Entwicklungen – Streitbeilegungserklärung und Notenwechsel sowie das Verfassungsgesetz Nr. 1/2017 („Ladinergesetz“) – waren allesamt positiv für die Ladiner/-innen in Südtirol, haben aber gleichzeitig zu weiterer Differenzierung geführt und die Dreiteilung konsolidiert.
Daher erscheint der Titel „Minderheit in der Minderheit“ aus Südtiroler Perspektive richtig: neben der deutschsprachigen Bevölkerungsmehrheit, die zu den Sprachminderheiten in Italien zählt, leben in Südtirol auch die Ladiner/-innen, als zahlenmäßig deutlich kleinere und insgesamt kleinste Gruppe, und sowohl eine italienische Sprachgruppe, die Teil der Mehrheitsbevölkerung des Staates ist, als auch zahlreiche andere, z. B. Zugewanderte. Nach der anfänglichen Fokussierung auf den Konflikt zwischen deutschsprachigen Südtirolern und Südtirolerinnen und dem italienischsprachigen Staat, sind im institutionellen System der Konkordanzdemokratie (Power Sharing) des Zweiten Autonomiestatuts nunmehr drei Sprachgruppen rechtlich anerkannt: neben der deutschen und der italienischen Sprachgruppe ausdrücklich auch die Ladiner/-innen.
In diesem Beitrag werden zunächst die Ausgangssituation und die völkerrechtliche Lage der Ladiner/-innen in den verschiedenen Phasen der Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg beleuchtet, bevor jeweils auf die verfassungsrechtliche Umsetzung eingegangen wird. Welche Rechte haben die Ladiner/-innen – in Südtirol und in den anderen beiden Provinzen? Welche Rechte der Ladiner/-innen sind hinzugekommen, erweitert und konsolidiert worden? Und wie konnte dies erreicht werden, obwohl die Ladiner/-innen eine „Minderheit in der Minderheit“ sind und – anders als die deutschsprachigen Südtiroler/-innen – keinen „kin State“ haben, also keinen Bezugsstaat.
Mit der Streitbeilegungserklärung, welche die Umsetzung des Zweiten Autonomiestatuts bescheinigt, erscheint die „Südtirolfrage“ (der Konflikt zwischen Österreich und Italien) – zumindest vorerst – gelöst (Clementi/Woelk 2003): ein gewisser „Autonomie-acquis“ (Besitzstand oder Schutzniveau) wurde darin verbindlich festgelegt und auf dieser Grundlage konnte die Autonomie dynamisch weiterentwickelt werden. Gibt es daneben oder darüber hinaus noch eine „ladinische Frage“, als eigenständiges Problem? Und wie ist die Dreiteilung Ladiniens heute zu bewerten?
Der Schwerpunkt dieses Beitrages liegt auf der Rechtslage und den Garantien in der autonomen Provinz Bozen-Südtirol und deren Entwicklung; die rechtliche Situation der Ladiner/-innen in der autonomen Nachbarprovinz Trento sowie in der Provinz Belluno soll jedoch ebenso in den Blick genommen werden wie Möglichkeiten engerer Kooperation zwischen den verschiedenen Teilen Ladiniens.
2. Nacht: Ausgangslage und Trauma
Seit 1511 und bis zum Ersten Weltkrieg waren die Ladiner/-innen in Tirol unter Österreich-Ungarn in diesen Tälern vereint (Perathoner 1998). Nach der Annexion ihrer Gebiete durch Italien,3 versammelten sich am 5. Mai 1920 die Vertreter/-innen der fünf ladinischen Täler in Gröden, um gegen die Verweigerung der Selbstbestimmung zu protestieren und die Anerkennung als eigene Volksgruppe zu fordern. Zunächst schien die Regierung auf ihre Forderungen einzugehen. So konnten sich die Einwohner/-innen bei der Volkszählung von 1921 als Ladiner/-innen bezeichnen. Nach dem Marsch auf Rom 1922 und der faschistischen Machtübernahme änderte sich dies und das faschistische Regime beginnt mit seiner Assimilierungspolitik gegenüber der deutschsprachigen und ladinischen Minderheiten. Das Siedlungsgebiet der Ladiner/-innen wird auf drei verschiedene Verwaltungsgebiete aufgeteilt: 1923 wird die Provinz Trient gebildet und die drei Gemeinden Cortina d’Ampezzo, Col und Fodom/Buchenstein werden abgespalten und der Provinz Belluno zugeordnet. 1927 wird dann die Provinz Bozen eingerichtet, die das Grödner- und Gadertal einschließt, während das Fassatal weiterhin beim Trentino bleibt. Die in Trentino-Südtirol lebenden Ladiner/-innen finden sich seither in zwei unterschiedlichen Provinzen wieder, wenn auch im Einklang mit bestehenden kirchlichen Grenzen (Marcantoni 2006).
Im Jahre 1939 werden die ladinischen Täler jenem Gebiet zugeordnet, das vom Hitler-Mussolini-Abkommen zur Option bestimmt war. Die Ladiner/-innen mussten sich zwischen der italienischen und der deutschen Staatsangehörigkeit mit Umsiedlung ins „Reich“ entscheiden: für das „Reich“ optierten in Gröden 81 % der Bevölkerung, im Gadertal 31,7 %, in Buchenstein mit Colle S. Lucia 18 % und in Ampezzo 4 %. Obwohl das Fassatal nicht zum Optionsgebiet zählt, optieren auch hier an die 300 Menschen. Von den 7.027 Ladiner/-innen, die insgesamt für das Deutsche Reich optierten, siedeln aber wegen der Kriegsumstände nur 2.000 tatsächlich um (Union Generela 2022; Moroder 2016).
Bis heute ist das ladinische Siedlungsgebiet in drei verschiedene Provinzen unterteilt: Bozen (Gadertal und Grödnertal), Trient (Fassatal) und Belluno (Fodom, Col und Anpezo). In der Provinz Bozen macht sie laut Volkszählung 2011 4,53 % der Bevölkerung aus (20.126 Personen), in der Provinz Trient 3,5 % (18.550 Personen, davon knapp 8.100 im Fassatal; die Angabe über die Zugehörigkeit zu einer Minderheit ist im Trentino freiwillig und anonym). In der Region Venetien ist keine Zugehörigkeitserklärung vorgesehen, weshalb keine offiziellen Daten von der Volkszählung vorliegen; Schätzungen gehen von ca. 3.500 Sprechern und Sprecherinnen des Ladinischen in Buchenstein, Colle Santa Lucia und Ampezzo aus (Hack 2016, 34).
Nach dem Zweiten Weltkrieg entstehen einige ladinische Vereine mit dem Ziel, die sprachliche, kulturelle und soziale Einheit der Dolomitenladiner/-innen geltend zu machen, unter ihnen die Union Generela di Ladins dla Dolomites. Im Juli 1946 organisiert die Zent Ladina Dolomites auf dem Sellajoch eine historische Großkundgebung zur ladinischen Einheit, an der mehr als 3.000 Menschen aus allen ladinischen Tälern teilnehmen. Die Vereine in den einzelnen ladinischen Tälern vereinen sich noch in den späten 1950er Jahren unter einem Dachverband, der Union Generela di Ladins dla Dolomites zur Vertretung ladinischer Interessen und der ladinischen Vereine, zur Förderung des kulturellen Erbes, Brauchtums und der ladinischen Sprache sowie der Zusammenarbeit zwischen allen Dolomitenladinern und Ladinerinnen (Union Generela 2022; Moroder 2016).
3. Die Ladiner/-innen in der Entwicklung der Südtiroler Autonomie
3.1 Dämmerung: Gruber-Degasperi Abkommen und Erstes Autonomiestatut
Das Umdenken gegenüber den von der faschistischen Assimilationspolitik betroffenen Minderheiten drückte sich bereits in den Diskussionen der verfassungsgebenden Versammlung aus. Als deren Ergebnis bekennt sich die demokratische Republik Italien in den Grundprinzipien der Verfassung von 1948 zum Minderheitenschutz; zentrale Vorschrift ist Art. 6 itVerf: „Die Republik schützt die Sprachminderheiten durch besondere Vorschriften“.
Trotzdem werden die Ladiner/-innen wenige Monate vorher weder im bilateralen Gruber-Degasperi Abkommen noch im Pariser Vertrag erwähnt. Nach dem Verständnis der italienischen Seite waren die Ladiner/-innen nicht als (Sprach-)Minderheit zu qualifizieren, da Ladinisch in Fortwirkung der faschistischen Betrachtungsweise lediglich als ein italienischer Dialekt angesehen und daher als nicht besonders schützenswert betrachtet wurde; Versuche von österreichischer Seite, die Ladiner dennoch einzubeziehen, schlugen fehl (Complojer 2021, 199). Das Fortbestehen der Dreiteilung Ladiniens steht so in deutlichem Gegensatz zur Umlegung einiger Gemeinden mit deutschsprachiger Bevölkerungsmehrheit aus der Provinz Trient nach Südtirol, welche bereits im Gruber-Degasperi-Abkommen (Art. 2) vereinbart war und schließlich durch Art. 3 Autonomiestatut (ASt 1948) umgesetzt wurde.
Die völkerrechtliche Grundlage der Autonomie als Instrument des Minderheitenschutzes gilt daher nur für die deutsche Sprachgruppe in Südtirol. Im Autonomiestatut für die Region Trentino-Südtirol, welches Italiens verfassungsgebende Versammlung 1948 zur Umsetzung der durch das Gruber-Degasperi-Abkommen und den Pariser Vertrag übernommenen internationalen Verpflichtungen verabschiedete, kommt dies durch entsprechende Garantien zum Ausdruck.
Überraschenderweise wird jedoch auch die „ladinische Bevölkerung“ in Art. 87 genannt und auf diese Weise rechtlich anerkannt,4 gewissermaßen im Schatten der deutschen Minderheit. Dies schließt eine Garantie des Ladinisch-Unterrichts in den Grundschulen der Gemeinden ein, in denen Ladinisch gesprochen wird. Darüber hinaus sind „Provinzen und Gemeinden zur Achtung von, Ortsnamengebung, Kultur und Traditionen der ladinischen Bevölkerungen (sic!) verpflichtet“. Dieser Mindestschutz für die Ladiner/-innen wird 1951 durch die wichtige Klarstellung in einer Durchführungsbestimmung zum Autonomiestatut ergänzt, dass zu den Sprachgruppen neben der deutschen und der italienischen auch die ladinische Sprachgruppe zählt.5
3.2 Morgenrot: Paket und Zweites Autonomiestatut (1972)
Nach den Protesten der deutschsprachigen Südtiroler/-innen, den Attentaten und der Intervention Österreichs enthält das „Paket“ als politische Kompromisslösung gewissermaßen die neuen Durchführungsnormen zum Pariser Vertrag und verleiht diesem damit erst seine konkrete Gestalt. Das Paket enthält auch Maßnahmen zugunsten der Ladiner/-innen, obwohl diese im Pariser Vertrag nicht erwähnt wurden. Bereits in der 19er Kommission (1961 – 1964) hatte mit Franz Prugger (Democrazia Cristiana und damaliger Präsident der Union Generela) ein Vertreter der Ladiner/-innen Südtirols mitgewirkt, der jedoch keine Vorbehalte zu den Ergebnissen der Kommission äußerte (Perathoner 2005, 77).
Über die politische Annahme des Pakets stimmte dann die SVP-Landesversammlung in Vertretung der zwei Minderheiten Südtirols ab, was mit Blick auf die politische Landschaft von 1969 auch gerechtfertigt war: Alle deutschsprachigen Landtagsabgeordneten und der einzige ladinischsprachige Abgeordnete, Franz Demetz, gehörten der SVP an. Bei zwei Versammlungen in Corvara und in St. Ulrich (am 26. Oktober und am 12. November 1969) hatten aber auch ladinische Vertreter der Democrazia Cristiana (Christdemokraten) für die Paketannahme gestimmt. Sie vereinten damals immerhin ein gutes Drittel der Stimmen der Ladiner/-innen auf sich, und wenige Jahre später immerhin noch 20 % (Haller 2021, 135).
Der Schutz der ladinischsprachigen Minderheit (in Südtirol) ergibt sich aus den Paketmaßnahmen Nr. 37, 41, 42, 69, 91, 92 und 93 sowie indirekt durch die Maßnahme Nr. 1 (Schutz der örtlichen Sprachminderheiten als nationales Interesse), aufgrund der Verwendung von „Sprachminderheiten“ in der Pluralform. Allerdings gründet sich nur die Maßnahme Nr. 91, die das Recht der Ladiner/-innen „auf Vertretung im Landtag, im Regionalrat und in den Organen der lokalen öffentlichen Körperschaften“ verankert, auf die im Pariser Vertrag garantierte Autonomie (Punkt 2). Alle anderen Paketmaßnahmen zugunsten der Ladiner/-innen sind also nicht vom Pariser Vertrag gedeckt, da dieser die Ladiner/-innen nicht erwähnt. Italien nahm die ergänzende Einbeziehung der Ladiner/-innen aber widerspruchslos hin und begründete damit eine konsensuale, vom Vertrag abweichende spätere Praxis, in welcher der eigentliche Rechtsgrund für die völkerrechtliche Verankerung des Schutzes der Ladiner/-innen zu sehen ist (Haller 2021, 179). Dazu kommt, dass bereits im Ersten Autonomiestatut Normen zum Schutz der Ladiner enthalten waren (Art. 87), also im ersten Umsetzungsakt der Pariser Vertrags. Allerdings sind die völkerrechtliche Verankerung und die daraus ableitbare Schutzfunktion Österreichs auf die in Südtirol lebenden Ladiner/-innen beschränkt, da sich weder der Pariser Vertrag noch das Paket auf das Trentino oder gar auf die Provinz Belluno beziehen (Hilpold/Perathoner 2006; Haller 2021, 180).
Die Südtiroler Territorialautonomie kommt der gesamten Bevölkerung zugute, auch wenn ihre Begründung im Minderheitenschutz liegt. Allen Teilen der Bevölkerung steht insoweit ein Teilhaberecht zu, im Gegensatz zur Personalautonomie, welche lediglich von der Minderheit ausgeübt wird (Calliari 1991, 100, m. w. N.). Die Territorialautonomie ist allerdings sowohl mit Elementen der Personal- bzw. Kulturautonomie der Sprachgruppen als auch mit Individualrechten der Minderheitenangehörigen kombiniert, welche bezüglich der deutschen und der ladinischen Sprachgruppe vor allem dem Minderheitenschutz dienen (Haller 2020, 72). Das auf dem „Paket“ beruhende, institutionelle System der autonomen Provinz Bozen (und teilweise der Region) gründet sich dazu auf die Prinzipien von Anerkennung und Autonomie der Sprachgruppen sowie deren Rechtspersönlichkeit (Maines 2005).
Im Rahmen der politischen Rechte sind – (nur) in Südtirol – Sonderregelungen für die Zusammensetzung der Gremien nach Sprachgruppen auf regionaler Ebene (Art. 30, 36 und 62), Landesebene (Art. 49, 50 und 62) und kommunaler Ebene (Art. 61 und 62) vorgesehen sowie die Möglichkeit einer nach Sprachgruppen getrennten Abstimmung im Landtag (Art. 56), als Schutzmechanismus gegen das Überstimmt-werden in wichtigen Fragen. Dies ist durch eine eventuelle Verfassungsbeschwerde der Sprachgruppe abgesichert (Artikel 56 Absatz 2) (Toniatti 2011).
Die Ladiner/-innen haben eine garantierte Vertretung im Südtiroler Landtag (Artikel 48 Absatz 2 ASt) (Toniatti 1995). Die Bedeutung der Gruppe als solche geht so weit, dass sie das Recht der Gruppe auf eigenständige politische Vertretung auf ethnischer Grundlage einschließt, oder zumindest das Verbot für den Gesetzgeber, ihre politische Vertretung durch Wahlgesetzgebung unmöglich zu machen. Dieses Verbot ist eine Folge des Urteils Nr. 356/1998 des italienischen Verfassungsgerichtshofes (itVerfGH), in dem ein Regionalgesetz von Trentino-Südtirol als verfassungswidrig verworfen wurde, das die Einführung einer 5 %-Schwelle (für die Provinz Trient) und einer Schwelle in Höhe des natürlichen Quotienten (für die Provinz Bozen) vorsah (Frosini 1998; Toniatti 1999): beide Schwellen hätten de facto die Möglichkeit einer eigenständigen Vertretung einer „ethnischen“ ladinischen Liste im Regionalrat verhindert (wegen des geringen Bevölkerungsanteils der Ladiner/-innen gegenüber der gesamten, wahlberechtigten Bevölkerung).
Diese besondere Ausformung der Institutionen, die auf rechtlicher Anerkennung einer Vertretung durch (Sprach-)Gruppen beruht (Maines 2005), wirkt sich zudem auf zahlreiche Aspekte des täglichen Lebens aus, darunter den Zugang zum öffentlichen Dienst (Proporzsystem), das Schulsystem und die Regelung des Sprachgebrauchs in den Beziehungen zur öffentlichen Verwaltung.
So sehen die Artikel 89 und 111 ASt über die personelle Besetzung der staatlichen Ämter in der Provinz Bozen die Gewährleistung des „ethnischen Proporzes“ vor, d.h. die Verteilung von Planstellen (und Ressourcen für Kultur im Verhältnis zur demographischen Stärke der drei Sprachgruppen, wie sie sich aus den Erhebungen bei der offiziellen Volkszählung ergibt; Bewerber/-innen müssen mit einer individuellen Zugehörigkeits- oder Zuordnungserklärung die Übereinstimmung mit der ausgeschriebenen Stelle nachweisen.
Bekanntermaßen ist das Schulsystem in Südtirol nach Schulen in italienischer und deutscher Sprache getrennt, so dass für jede/n das Recht auf Unterricht in der Muttersprache gewährleistet ist (Art. 19 ASt). Allerdings ist Unterricht in der zweiten Sprache ebenfalls Pflicht (Italienisch in deutschsprachigen Schulen und Deutsch in italienischen Schulen); dieser muss von muttersprachlichen Lehrern und Lehrerinnen erteilt werden. Im Unterschied dazu werden in den ladinischen Schulen hingegen Italienisch, Deutsch und Ladinisch zu gleichen Teilen unterrichtet: Im Laufe der Schulausbildung nimmt dabei die Zahl der Unterrichtsstunden in Ladinisch ab und der Sachunterricht in Italienisch und Deutsch zu: Artikel 19 sieht vor, dass in den Kindergärten zunächst in der ladinischen Sprache unterrichtet wird; diese wird jedoch ab der Grundschule schrittweise durch einen jeweils gleichen Anteil von Unterricht in Deutsch und Italienisch ersetzt (mit Alphabetisierung in diesen beiden Sprachen und zwei Stunden Ladinisch pro Woche). Die ladinischen Schulen sind organisatorisch von den deutschen und italienischen Schulen getrennt und werden von der ladinischen Sprachgruppe eigenständig verwaltet (Verra 2011). Die Differenzierung zwischen Sprachgruppen ermöglicht also aufgrund der unterschiedlichen Situation und der Anwendung des Territorialprinzips unterschiedliche Schulmodelle innerhalb derselben Provinz: in den ladinischen Tälern bedeutet dies eine paritätische, zweisprachige Schule in weitestgehender Autonomie und Eigenverantwortung der ladinischen Sprachgruppe.
Jede/r Bürger/-in hat in Südtirol das Recht, im Verkehr mit der öffentlichen Verwaltung und den Justizbehörden Italienisch oder Deutsch zu verwenden; die Verwaltung ist verpflichtet, in der gewünschten Sprache zu antworten (Art. 100 ASt). Entsprechend dem Grundsatz in Art. 99 ASt, welcher die öffentliche Verwaltung zur Zweisprachigkeit verpflichtet, werden Verwaltungsverfahren sowohl in italienischer als auch in deutscher Sprache durchgeführt, ohne dass Dolmetscher eingesetzt werden müssten. Ein Recht auf den Gebrauch des Ladinischen ist dagegen nicht im Statut verankert. Für die Ladiner/-innen sind nur Rechte auf Förderung von Initiativen und Tätigkeiten in den Bereichen Kultur, Presse und Freizeitgestaltung bzw. auf Wahrung von Ortsnamen und Traditionen normiert (Art. 102 ASt). Ein ausdrückliches Recht auf die Verwendung des Ladinischen wurde aber mit der Durchführungsbestimmung zum Sprachgebrauch eingeführt (Art. 32 D.P.R. Nr. 574/1988); es ist auf die ladinischen Ortschaften beschränkt.
In Bezug auf die Ortsnamengebung sieht das Autonomiestatut (Art. 8 Nr. 2) auf der Grundlage des Gruber-Degasperi-Abkommens die Zweisprachigkeit auf dem Gebiet der Autonomen Provinz Bozen vor, die in den ladinischen Ortschaften wiederum zur Dreisprachigkeit wird. Es gibt darüber hinaus Sonderbestimmungen zugunsten der deutschen und ladinischen Sprachgruppe in Bezug auf Medien und Kommunikation.
3.3 Im Schlaglicht: Streitbeilegung und Notenwechsel
Die definitive Absicherung dieses „Besitzstandes“ der Autonomie erfolgte im Jahr 1992 durch den Notenwechsel im Rahmen der Streitbeilegung (Obwexer 2018). Mit der Übermittlung der Liste aller Paketdurchführungsmaßnahmen an Österreich bestätigte Italien zunächst erneut die völkerrechtliche Relevanz jener Teile der Paket-Autonomie, die auf den Pariser Vertrag zurückgeführt werden können. Die Liste umfasst aber auch die im Autonomiestatut und mit Durchführungsbestimmungen umgesetzten Paketmaßnahmen zugunsten der Ladiner/-innen (vgl. Videsott 2017) sowie weitere, nicht im Paket verankerte Bereiche (z. B. Kompetenzen für Sport und Freizeit, Berufsausbildung sowie die Errichtung einer Außenstelle des Oberlandes- und des Jugendgerichts). Dies erhöht die völkerrechtliche Relevanz dieser Liste wesentlich (bezüglich der Maßnahmen für die Ladiner/-innen) bzw. begründet sie überhaupt erst (bezüglich von nicht im Paket verankerten Bereichen). Während die völkerrechtliche Verankerung des Schutzes der Ladiner/-innen bis 1992 zumindest fraglich war, wirkt diese spätere Übereinkunft vertragsgestaltend: Entgegen dem Vertragswortlaut umfasst der Besitzstand des völkerrechtlichen Minderheitenschutzsystems von nun an auch – im Paket vereinbarte, von Italien umgesetzte und an Österreich übermittelte – Schutzmaßnahmen zugunsten der in Südtirol lebenden Ladiner/-innen. Die Übereinkunft dehnt sogar das Recht der deutschsprachigen Minderheit auf Mitwirkung bei Änderungen des Schutzsystems (nunmehr als Konsensprinzip verstanden) auf die Ladiner/-innen aus (Haller 2021, 189); eine zusätzliche Garantie ihres unterschiedlichen Schulsystems.
3.4 Im Gegenlicht: Verfassungsreform (2001) und Ladiner/-innen-Verfassungsgesetz (2017)
Die Verfassungsreform zur Neuregelung der Beziehungen zwischen Staat und Regionen (sog. Reform des V. Titels der italienischen Verfassung, VerfG Nr. 3/2001) betraf die autonomen Regionen zwar nicht unmittelbar, das begleitende Verfassungsgesetz Nr. 2/2001 brachte jedoch auch für diese einige Neuerungen, die teilweise auch die Ladiner/-innen betreffen. So steht den Ladiner/-innen nun auch in Abweichung vom Proporz ein Sitz in der Regionalregierung zu; in der Südtiroler Landesregierung kann der ladinischen Sprachgruppe ein Sitz gewährt werden.6
Mit dem vom SVP Abgeordneten Daniel Alfreider eingebrachten Verfassungsgesetz (VerfG) Nr. 1/2017 wurde das Autonomiestatut erneut geändert,7 mit dem Ziel, den Schutz der ladinischsprachigen Minderheit weiter auszubauen und Beteiligungs- und Vertretungsrechte der ladinischen Sprachgruppe an die Garantien der beiden anderen Sprachgruppen anzupassen (vgl. Zeller 2018, 476 ff.).8 Nach dem Verfassungsgesetz sind sowohl im Regionalrat als auch in den Landtagen von Südtirol und Trient Sondersitzungen möglich, u. a. „zur Behandlung der Rechte der ladinischen Sprachminderheit“.9 Sofern ein/e Ladiner/-in der Südtiroler Landesregierung angehört, stellen die Ladiner/-innen auch einen von nunmehr drei Stellvertretungen des Landeshauptmanns.10 Geändert wurde auch die Bestimmung über die Vertretung der Sprachgruppen in öffentlichen Körperschaften von Landesbedeutung, wonach nun zwei Vizepräsidenten/-Präsidentinnen „anderen Sprachgruppen als jener des Präsidenten angehören“ müssen;11 überdies steht in Bezirksgemeinschaften mit Gemeinden mit ladinischer Bevölkerungsmehrheit das Amt des/der Vizepräsidenten/Vizepräsidentin der ladinischen Sprachgruppe zu, wenn nicht bereits der Präsident Ladiner ist.12
Die Gleichstellung der Ladiner/-innen mit den anderen beiden, „großen“ Sprachgruppen in Südtirol erstreckt sich nun auch auf die sog. Haushaltsgarantie (Art. 84 Ast): „auf Antrag einer Mehrheit einer Sprachgruppe“ ist über die einzelnen Haushaltskapitel „nach Sprachgruppen gesondert“ abzustimmen (Abs. 2).13 Das Verfassungsgesetz dehnt auch den Anwendungsbereich des ethnischen Proporzes weiter auf Angehörige der ladinischen Sprachgruppe aus: dies gilt sowohl für die Unversetzbarkeit, die vorher nur zugunsten deutschsprachiger Bediensteter garantiert war,14 als auch für den Justizbereich.15 Die Gleichstellung betrifft auch die Zusammensetzung derjenigen Sektionen des Staatsrats, die in zweiter Instanz über Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Bozen befinden: statt eines einer Richters/Richterin der deutschen Sprachgruppe kann dort nun auch ein der ladinischen Sprachgruppe angehörender Richter/-in vertreten sein.16
Wichtig ist auch die Öffnung der Zwölfer-Kommission, in der nach der neuen Formulierung drei Mitglieder vertreten sind, die der deutschen oder der ladinischen Sprachgruppe angehören,17 wobei der Staat ein Mitglied der Sechser-Kommission ernennt, das der deutschen oder der ladinischen Sprachgruppe angehört, und auch „die Mehrheit der Landtagsabgeordneten der deutschen oder der italienischen Sprachgruppe auf die Namhaftmachung eines eigenen Vertreters zugunsten eines Mitglieds der ladinischen Sprachgruppe verzichten“ kann.18
Zwar stärken diese Änderungen die Rechte der Ladiner/-innen, teilweise beschränkt dies jedoch im Paket verankerte Rechte der deutschsprachigen Minderheit. Deshalb waren die Änderungen des VerfG Nr. 1/2017 Gegenstand eines Briefwechsels zwischen dem österreichischen Bundeskanzler Christian Kern und dem italienischen Ministerpräsident Paolo Gentiloni, mit dem das vereinbarte Schutzniveau von 1992 in diesem Teilbereich entsprechend und einvernehmlich geändert wurde, unter Beachtung der zur Herstellung des Einvernehmens mit Österreich erforderlichen völkerrechtlichen Verfahren (Haller 2021, 462). Die Ausdehnung der Rechte der Ladiner auf Kosten der anderen Minderheit (der deutschsprachigen) ist daher insoweit völkerrechtskonform, da sie sowohl mit Zustimmung der Vertreter der zwei Minderheiten als auch Österreichs erfolgte (Haller 2021, 467).
4. Schattenspiele? Die Südtiroler Ladiner/-innen als Mitspieler/-innen im konkordanzdemokratischen System
Im Laufe der Autonomieentwicklung sind die Ladiner/-innen zu (fast) gleichberechtigten Mitspielern/Mitspielerinnen im konkordanzdemokratischen System Südtirols geworden. Nach dem Power-Sharing-Modell von Arend Lijphard haben sie in ihren Tälern weitgehende Autonomie in den für sie wichtige Fragen (Schule, Kultur, …), ihre verhältnismäßige Vertretung ist ebenso garantiert (Proporz) wie die Einbeziehung in eine große Koalition aller Gruppen und Vetorechte, sowohl institutionell wie über die parteipolitische Vertretung.
Über viele Jahrzehnte garantierte das Wählerverhalten eine eindeutige und geschlossene politische Vertretung der Minderheiten. Die überwältigende Mehrheit der deutschsprachigen Minderheit und eine klare Mehrheit der ladinischsprachigen Minderheit wurde stets von der Südtiroler Volkspartei (SVP) vertreten, die damit als Sammelpartei beider Minderheiten auftrat. Von 1948 bis 1968 erzielte die SVP bei den Landtagswahlen stets Ergebnisse von über 60 % (aller Wähler/-innen) und war zudem bis 1964 – und erneut 1968 – die einzige Minderheitenpartei im Landtag. Seit 1973 sind dagegen stets deutsch- und teilweise auch ladinischsprachige Abgeordnete von Oppositionsparteien vertreten. Immerhin noch bis 2003 erreichte die SVP absolute Stimmenmehrheiten (Haller 2021, 422, und Perathoner 2005, 76–84).
Innerhalb der SVP, die sich in ihrem Statut als „Sammelpartei der deutsch- und ladinischsprachigen Südtirolerinnen und Südtiroler aller sozialen Schichten“ bezeichnet, bilden die SVP-Ortsausschüsse in den beiden ladinischen Gebieten eigene SVP-Gebietsausschüsse (das Gadertal innerhalb des SVP-Bezirkes Pustertal und Gröden innerhalb des SVP-Bezirkes Bozen Stadt und Land). Verschiedene statutarische Sonderbestimmungen (Art. 121 bis 126) garantieren einen „ladinischen SVP-Verbindungsausschuss“ (der beiden Gebietsausschüsse) sowie einen ladinischen Obmann-Stellvertreter/eine ladinische Obmannstellvertreterin; die „SVP Ladina“ ist eigenständiges Parteiorgan (SVP Ladina 2022).
Aufgrund ihrer geringen Größe erhält die ladinischsprachige Minderheit meist nur ihren garantierten Sitz im Landtag (Art. 48 Abs. 2 ASt). Allerdings besteht eine gewisse politische Vielfalt: In zwei Legislaturperioden (1993 – 2003) war die ladinische Partei Ladins im Landtag vertreten. In den ladinischen Gemeinden erreichte das Bündnis BürgerUnion – Ladins Dolomites – Wir Südtiroler bei der Landtagswahl 2013 einen hohen Stimmenanteil von 10,1 %. Die Liste Ladins, eine politische Bewegung zum Schutz, zur Aufwertung und zur Entwicklung der Ladiner/-innen in Kooperation mit den anderen Sprachgruppen, kann bis dahin wohl auch als eine relevante Minderheitenpartei der Südtiroler Ladiner/-innen angesehen werden; allerdings trat sie seit 2018 nicht mehr bei Landtagswahlen an (Haller 2021, 435).
Neben der Vertretung der Bürger/-innen stellt sich aber auch die Frage einer politischen Vertretung der Minderheiten gegenüber dem Staat bei Änderungen, welche ihre völkerrechtlich garantierten Schutzrechte betreffen. Im Normalfall nehmen voneinander unabhängige Minderheiten ihre Rechte getrennt wahr. In Südtirol stellt sich wegen der parteipolitischen Situation die Frage, ob deutschsprachige Südtiroler/-innen und Ladiner/-innen ihre politischen Teilhaberechte gemeinsam oder getrennt ausüben. In der Praxis zwischen Italien und Österreich wurde das Einvernehmen der Minderheiten nicht getrennt betrachtet. Eine Ausnahme ist der o. g. Briefwechsel von 2017, in dem es jedoch spezifisch um die Rechte der ladinischen Sprachgruppe in Südtirol ging. Aus praktischen Gründen ist eine getrennte Ausübung schwierig, da die Änderungen das Autonomiestatut und die Verhandlungen damit einen einheitlichen Gegenstand betreffen. Zudem müssten zwei Minderheiten voneinander abgegrenzt werden, die beide überwiegend in der SVP politisch organisiert sind. Auch würde eine getrennte Vertretung letztlich ein (völkerrechtliches) Vetorecht der Ladiner/-innen hinsichtlich aller Änderungen bedeuten, was angesichts des geringen Bevölkerungsanteils der Ladiner/-innen kritisiert werden könnte (Haller 2021, 426).
Um die Meinungsvielfalt innerhalb der ladinischen Gruppe besser abzubilden, könnte man zukünftig an eine Erweiterung ihrer als relevant erachteten Vertreter/-innen denken, z. B. durch Einbeziehung von nicht in den Landtag gewählten ladinischen Kandidaten und Kandidatinnen mit relevanter Zustimmung in den ladinischen Gemeinden, oder der (ladinischen) Bürgermeister/-innen der ladinischen Gemeinden (Vorbild dafür könnte die Paketmaßnahme Nr. 137 sein, nach der das ladinische Mitglied der 137er-Kommission vom Landtag auf der Grundlage eines Dreiervorschlages der Bürgermeister/-innen ernannt wird; Haller 2021, 444).
5. Licht und Schatten: Die Ladiner/-innen im Trentino und in Venetien
Nach Art. 102 ASt hat „die ladinische Bevölkerung das Recht auf die Aufwertung ihrer eigenen Initiativen und Aktivitäten in den Bereichen Kultur, Presse und Freizeitgestaltung sowie auf die Wahrung ihrer Namensgebung und Traditionen. In den Schulen der Gemeinden der Provinz Trient, in denen Ladinisch gesprochen wird, garantieren spezielle Landesgesetze den Unterricht der ladinischen Sprache und Kultur“. Die Vorschrift garantiert allen Ladiner/-innen in der Region besonderen Schutz; konkret wird danach unterschieden, ob es sich um ladinische Bevölkerung handelt, die in der autonomen Provinz Trient oder in Südtirol ansässig ist.
Das Verfassungsgesetz Nr. 2/2001 stärkte auch die politische Vertretung und Beteiligung der ladinischen Sprachminderheit im Trentino: Im Trentiner Landtag wird sie durch einen dem Fassatal vorbehaltenen Sitz gewährleistet (Art. 48 Abs. 3 ASt); in diesem Gebiet ist ein Wahlkreis eingerichtet, der mit dem Siedlungsgebiet der ladinischen Sprachgruppe übereinstimmt und so die Wahl eines ladinischen Vertreters/einer ladinischen Vertreterin erleichtert. Ein vorheriger Versuch, einen garantierten Sitz in ähnlicher Weise wie in Südtirol vorzusehen, war vom Verfassungsgerichtshof für verfassungswidrig erklärt worden (Urteil 233/1994), weil die Bestimmung in einem Regionalgesetz enthalten war, obwohl für eine Abweichung vom Grundsatz der Wahlgleichheit ein Verfassungsrang der Rechtsquelle nötig gewesen wäre (Toniatti 1995).
Durch die Verabschiedung des Verfassungsgesetzes Nr. 1/2017 wurde in der Autonomen Provinz Trient überdies der „Comun General de Fascia“ als eine den ladinischen Gemeinden des Fassatals übergeordnete Körperschaft anerkannt (ihr Gebiet entspricht dem ladinischen Wahlkreis); dem Comun General sollen von der autonomen Provinz Kompetenzen übertragen werden (letzter Absatz von Art. 102 n. F. ASt). Es besteht eine eigene ladinische Schule einschließlich einer eigenständigen Schulverwaltung (Florian 2011). Darüber hinaus werden in Artikel 102 (nach der Änderung durch das Verfassungsgesetz Nr. 2/2001) die in der Provinz Trient ansässigen Fersentaler und zimbrischen Gemeinschaften ausdrücklich erwähnt, denen die gleichen Rechte wie der ladinischen Bevölkerung zuerkannt werden, also die Garantie des Unterrichts der deutschen Sprache und Kultur in den Schulen der Gemeinden, in denen zimbrisch oder fersentalerisch gesprochen wird.
Zur Umsetzung der kurzen Bestimmungen im Autonomiestatut wurden bereits im Jahre 1993 „Durchführungsbestimmungen zum Sonderstatut der Region Trentino-Südtirol zum Schutz der ladinischen, Fersentaler und zimbrischen Bevölkerung in der Provinz Trient“ erlassen.19 Überdies hat die Provinz Trient den Schutz der drei Sprachminderheiten mit eigenen Gesetzen geregelt: Zunächst mit Provinzgesetz Nr. 4/1999 („Normen zum Schutz der sprachlichen Minderheiten in der Provinz Trient“, inzwischen aufgehoben), später mit dem Provinzgesetz Nr. 6/2008 („Regeln für den Schutz und die Förderung lokaler sprachlicher Minderheiten“) (Penasa 2009; Toniatti 2011; Penasa 2012; Woelk/Guella/Penasa 2014). Dieses innovative und umfassende Gesetz enthält gemeinsame Grundsätze und Bestimmungen für alle drei in der autonomen Provinz Trient ansässigen Sprachminderheiten – Ladiner, Fersentaler und Zimbern. Es regelt deren Rechte sowie Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten, getrennte und gemeinsame Institutionen, welche der „Wahrung, Aufwertung und Entwicklung der Identität der ladinischen, Fersentaler und zimbrischen Bevölkerung in Bezug auf ihre ethnischen, kulturellen und sprachlichen Merkmale“ dienen (Titel I). Es folgen Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung der Sprache (Titel II), Maßnahmen zur wirtschaftlichen und finanziellen Unterstützung (Titel III) sowie – in getrennten Teilen – besondere Bestimmungen zum Schutz der ladinischen Sprachgruppe (Titel IV) und der deutschsprachigen Minderheiten (Titel V).
Die wichtigsten Vorschriften betreffen die Vertretung (Art. 8 ff.), die Förderung (Art. 11), die finanzielle Unterstützung (Art. 22 ff.), die Kulturinstitute (Art. 12 ff.), den offiziellen Sprachgebrauch (Art. 16 ff.) und den „bevorzugten“ Zugang zum lokalen öffentlichen Dienst für Sprecher/-innen von Minderheitensprachen (Art. 29 und 32), Ortsnamengebung und Straßennamen (Art. 19, 20, 27, 28, 33, 34) und die Einrichtung einer unabhängigen, dreiköpfigen Garantiebehörde (Art. 10). Dieses Gesetz unterscheidet bei Institutionen und Verfahren zur Vertretung und Beteiligung der Gruppen entsprechend der unterschiedlichen Bevölkerungszahl und Situation der einzelnen Gruppen.
Während die Vertretung der Gruppen im Wesentlichen über die Organe der kommunalen Selbstverwaltung organisiert ist, wurden bereits in früheren Jahren durch Provinzgesetze drei eigenständige Kulturinstitute gegründet: das „Ladinische Kulturinstitut“, das Fersentaler-Institut und das Zimbrische Institut.20 Als kulturelle Zentren der jeweiligen Gruppe spielen sie eine wichtige Rolle in der Praxis.
„Unter Beachtung der Grundsätze der Subsidiarität und der Autonomie der in der Region anerkannten Sprachgruppen“ ergänzt die Region Trentino-Südtirol mit eigenen Rechtsvorschriften (Regionalgesetz Nr. 3/2018) die Regelungen der beiden autonomen Provinzen zum Schutz und zur Förderung der zimbrischen, Fersentaler und ladinischen Sprachminderheiten.
Im Regionalstatut Venetiens finden sich keine Bestimmungen über den Sprachgebrauch oder die Verwendung des Ladinischen im Schul- und Unterrichtswesen. Nach dem Regionalgesetz Nr. 73/1994 hat die Region Venetien die Aufgabe, die ethnischen und sprachlichen Minderheiten in ihrem Gebiet zu fördern, insbesondere durch finanzielle Unterstützung ihrer kulturellen Aktivitäten. Das Gesetz erkennt die ladinisch-dolomitische Gemeinschaft sowie die kleinen deutschsprachigen Gemeinschaften als Minderheiten an; letztere sind nur in zwei Gemeinden ansässig. Das staatliche Gesetz Nr. 482/1999 „zum Schutz der historischen Sprachminderheiten“ ist zwar daneben anwendbar, verweist aber für den Schulbereich auf die jeweiligen Gemeinden und entsprechende Nachfrage seitens der Eltern. Es gibt unterschiedliche Angebote in den Grund- und Mittelschulen, die teilweise vom ladinischen Kulturinstitut „Cesa de Jan“ unterstützt und koordiniert werden. Schwierig ist auch die Finanzierung, da sich 70 % aller Gemeinden in Belluno als „ladinische Gemeinde“ definiert haben, um an entsprechende Zuschüsse für kulturelle Aktivitäten und Initiativen zu kommen (Art. 3, Regionalgesetz 73/1994) (Detomas 2005, 189). Daher bleibt die Lage der Ladiner/-innen in der Provinz Belluno schwierig, insbesondere fehlen im Schulbereich ausgebildete Lehrer/-innen sowie geeignetes Unterrichtsmaterial.
6. Enrosadira? Perspektiven einer kulturellen Einheit Ladiniens
Die historischen Unterschiede haben im geltenden Sonderstatut für beide autonome Provinzen zu unterschiedlichen Formen des Minderheitenschutzes geführt.
In Südtirol gewährleisten spezifische, im ganzen Gebiet geltende Bestimmungen das Zusammenleben der drei offiziellen Sprachgruppen (Deutsche, Italiener, Ladiner), welche die jeweiligen Gruppen bzw. ihre Angehörigen nach dem Personalprinzip geltend machen; für die Südtiroler Ladiner/-innen gelten zudem eigene Sonderregeln in den ladinischen Gemeinden (etwa zu Schule und Dreisprachigkeit). Diese gebietsbezogene Regelung ähnelt der Lage in der Autonomen Provinz Trient, in welcher der Schutz und die Förderung der drei historischen Sprachminderheiten (Ladiner, Fersentaler, Zimbern) hauptsächlich auf deren Siedlungsgebiete begrenzt ist und sich in besonderen Regeln für die jeweilige Gruppe ausdrückt.
In den Beratungen über eine Reform des Autonomiestatuts, die in Südtirol und im Trentino zwischen 2016 und 2018 getrennt und in unterschiedlichen Verfahren stattgefunden haben, haben sowohl der Südtiroler Autonomiekonvent als auch die Trentiner Consulta über die Ladiner/-innen und deren Lage diskutiert.
Der Südtiroler Autonomiekonvent der 33 hat zur Lage der Ladiner/-innen relativ wenige Vorschläge für Änderungen des Autonomiestatuts eingebracht:21 „Der Konvent der 33 hat die Organe des Landes nicht diskutiert. Aus diesem Umstand lässt sich ableiten, dass es nicht für notwendig erachtet wurde, sie zu reformieren, ausgenommen hinsichtlich der Erfordernisse eines umfassenderen Schutzes der ladinischen Sprachgruppe“ (Konvent 2017, 14). Übereinstimmend soll die ladinische Sprachgruppe in jenen Bereichen aufgewertet werden, in welchen eine direkte Vertretung der Ladiner aufgrund der zahlenmäßigen Stärke nicht möglich ist (Konvent 2017, 28). Konkret schlug der Südtiroler Autonomiekonvent dazu folgende Änderungen am Autonomiestatut vor:
Dreisprachigkeit in den ladinischen Ortschaften, also die Gleichstellung der ladinischen Sprache mit der deutschen Sprache und der italienischen Sprache;
Verwaltungsgerichtsbarkeit: ein/e Richter/-in des Verwaltungsgerichts Bozen soll der ladinischen Sprachgruppe angehören;
Vertretung der ladinischen Sprachgruppe in den paritätischen Kommissionen (Art. 107 ASt;
eine eigene Sonderkommission mit einem/r Vertreter/-in der ladinischen Sprachgruppe für die sog. Haushaltsgarantie (den Fall der nach Sprachgruppen getrennten Abstimmung nach Art. 84 ASt.
Diese decken sich großteils mit den durch das Verfassungsgesetz Nr. 1/2017 tatsächlich umgesetzten Änderungen des Autonomiestatuts (mit der wichtigen Ausnahme des/r ladinischen Richters/Richterin am Verwaltungsgericht Bozen). Dagegen wurde im Autonomiekonvent keine Übereinstimmung erzielt, „vom ethnischen Proporz zugunsten der ladinischen Sprachgruppe abzuweichen, eine ladinische Einheitssprache einzuführen, den Unterricht in ladinischer Sprache über die ladinischen Ortschaften hinaus vorzusehen oder das Recht auf den Gebrauch der ladinischen Sprache“ auszuweiten, insbesondere über die ladinischen Ortschaften hinaus und insgesamt vor den Gerichtsbehörden. Konsensfähig war dagegen „die Förderung einer gemeinsamen Plattform für alle Mitglieder der Gemeinschaft der Dolomitenladiner“ und „ein besonderes Interesse für Maßnahmen (…), die darauf abzielen, die Ladiner der Gemeinden Buchenstein/Fodom, Verseil/Col und Hayden/Anpezo/Ampëz zu fördern“ (Konvent 2017, 28).
Die Trentiner Consulta zur Reform des Autonomiestatuts hat sich in ihren Vorschlägen zur Reform des Sonderstatuts allgemein für eine größere Sichtbarkeit der Anerkennung der Sprachminderheiten sowie eine organische Regelung ihrer Rechte ausgesprochen. Im Gegensatz zum geltenden Sonderstatut (Art. 102 und 15 Abs. 3 ASt) sollen die einschlägigen Bestimmungen in einen besonderen Abschnitt aufgenommen werden, in dem die wesentlichen Grundsätze der Autonomie enthalten sind (Consulta 2018).
Ein weiterer Vorschlag betrifft die Anerkennung der sprachlichen und kulturellen Einheit Ladiniens. „1.3. Zur Stärkung der kulturellen Einheit der ladinischen Bevölkerung, deren Siedlungsgebiet sich auf beide Autonomen Provinzen erstreckt, sollte im Sonderstatut eine „ladinische Kulturgemeinschaft“ auf Regionalebene als Ausdruck eines gemeinsamen historischen, kulturellen und sprachlichen Erbes anerkannt werden.“ Die Trentiner Consulta spricht sich in ihrem Abschlussdokument zunächst dafür aus, im Sonderstatut einen ausdrücklichen Verweis auf das gemeinsame Sprach- und Kulturerbe der „dolomitenladinischen Gemeinschaft“ aufzunehmen, „die in den Tälern rund um den Sellastock auf dem Gebiet dreier verschiedener Provinzen (Bozen, Trient und Belluno) angesiedelt ist, in welchen die ladinische Sprache in den lokalen, historisch gewachsenen Sprachvarietäten zum Ausdruck kommt“. Außerdem wird vorgeschlagen, „im Hinblick auf die Stärkung der Einheit der Ladiner auch Formen der landes- und regionenübergreifenden Zusammenarbeit“ vorzusehen – vor allem im Bereich von Bildung, Kultur und Sprache. Konkret schlägt die Consulta vor, der ladinischen Bevölkerung zusätzliche Möglichkeiten der Beteiligung zu eröffnen, ohne den derzeitigen institutionellen Aufbau der beiden autonomen Provinzen anzutasten. Dazu soll „auf Regionalebene ein ‚Rat der dolomitenladinischen Kulturgemeinschaft‘ errichtet werden, in dem alle ladinischen Talschaften in einem einzigen beratenden Organ vereint und vertreten sind“ (3.4; Consulta 2018).
Das Thema der ladinischen Kultureinheit wird also sowohl im Abschlussdokument des Südtiroler Autonomiekonvents (Mehrheitsdokument) angesprochen als auch in jenem der Trentiner Consulta. Beide sprechen sich für eine Stärkung der ladinischen kulturellen Einheit und Sprache aus sowie dafür, durch Instrumente der kulturellen Autonomie und der Zusammenarbeit und Konsultation die Provinzgrenzen und damit die Zersplitterung der ladinischen Bevölkerung zu überwinden. Dazu sind für alle Ladiner/-innen Möglichkeiten der Vertretung, Interaktion und Zusammenarbeit zu schaffen. Solche Formen ließen sich auch ergänzend zum bestehenden institutionellen Gefüge realisieren, beispielsweise durch ein institutionelles Netzwerk der drei Kulturinstitute, übergreifende Foren und in Formen der Kulturautonomie.
Wie realistisch ein solches Szenario ist, müssen allerdings die Ladiner/-innen selbst beantworten. Ein Beispiel für die Schwierigkeiten, die insgesamt etwa 30.000 Dolomitenladiner/-innen kulturell stärker anzunähern, stellt das Projekt SPELL (Servisc de Planificazion y Elaborazion dl Lingaz Ladin) dar. Statt eine der ladinischen Idiome zu einer Standardsprache zu erklären, versuchten die Kulturinstitute in den 1990er Jahren auf Anregung des Vereins Union Generela eine Kompromisssprache zu erarbeiten, welche die gemeinsamen Merkmale aller Talschaftsidiome zusammenfasst. In ihr sollten sich alle Sprecher/-innen des Ladinischen wiedererkennen können, ohne auf ihre eigene Identität verzichten zu müssen (SPELL 2001, 15; Videsott 2010). Einheitliche Normen und Regeln für den ganzen ladinischen Sprachraum hätten auch einen großen Vorteil für die Nutzung als Amtssprache und in den Schulen bedeutet; es wurden eine Grammatik und ein Wörterbuch sowie ein Pädagogisches Glossar erarbeitet. Streitigkeiten führten jedoch 2003 zum Abbruch des Projekts und zur Schließung des Sprachbüros seitens der Union Generela. Vorausgegangen war ein Beschluss der Südtiroler Landesregierung (Nr. 210 vom 27. Januar 2003), mit dem auf Vorschlag des damaligen ladinischen Landesrates Florian Mussner, Grödnerisch und Gadertalerisch als offizielle Varianten des Ladinischen in Südtirol anerkannt wurden. Dies entspricht zwar der Südtiroler Lage, Entwicklung und Logik, führte jedoch zu heftiger Kritik (Chiocchetti 2007, 286) und schließlich zur Resignation der Befürworter/-innen einer Standardvariante. Es wirft die Frage auf, wie realistisch eine kulturelle Zusammenarbeit im gesamten dolomiten-ladinischen Sprach- und Kulturraum ist und sein kann.
Eine Initiative zur Verschiebung der Grenzen im ladinischen Kulturraum verdient Erwähnung: Ende Oktober 2007 wurde in den Gemeinden der Provinz Belluno (Cortina d’Ampezzo, Fodom/Livinallongo del Col di Lana und Col/Colle Santa Lucia) ein Referendum für eine Verlegung aus der Region Venetien in die autonome Provinz Bozen-Südtirol durchgeführt. Entsprechend Art. 132 itVerf kann eine solche Umgliederung nach Anhörung der Regionalräte erfolgen, wenn sich eine Mehrheit der betroffenen Bevölkerungen in einem Referendum dafür ausspricht. Im konkreten Fall waren dies fast 79 % der abgegebenen Stimmen, bei einer Beteiligung von 71 %. Vor dem Referendum war eine heftige Debatte über die Folgen entbrannt, von der Frage der völkerrechtlichen Verankerung der Südtirolautonomie (und ihrer Grenzen) bis hin zu Fragen der Finanzierung sowie Kritik daran, dass die Initiative nur dazu diene, in den Genuss der Rechte und der finanziellen Ressourcen zu kommen, die den Südtiroler Ladiner/-innen im Rahmen der Südtiroler Autonomie garantiert sind. Das Innenministerium hat nie einen Verfassungsgesetzentwurf zur Umgliederung vorgelegt. Der itVerfGH betonte zunächst im Urteil Nr. 334/2004 den konsultativen Charakter eines solchen Referendums, das Ermessen des staatlichen Gesetzgebers und die Bedeutung der Stellungsnahmen der jeweiligen Regionalräte für die Entscheidung über eine Umgliederung. Ein Rekurs der Gemeinde Livinallongo del Col di Lana gegen die Untätigkeit des Innenministeriums und des Gesetzgebers wurde vom itVerfGH als unzulässig verworfen (Beschluss Nr. 264 vom 7. Juli 2010), da der Gemeinde sowohl die Zuständigkeit fehle in einem Organstreitverfahren aufzutreten als auch diejenige, zeitlich nach dem gemeindlichen Referendum (und außerhalb ihrer Zuständigkeit) liegende Verfahrensschritte zu rügen.
Nach dem Scheitern dieser Initiative von unten zur territorialen Umgliederung, bleibt pragmatisch die Alternative, über die bestehenden Verwaltungsgrenzen hinweg stärker zusammenzuarbeiten. Insbesondere die schon bestehende Lia di Comuns Ladins, eine Vereinigung der 19 Gemeinden um den Sellastock, könnte stärker als bisher für eine Koordinierung und Zusammenarbeit der ladinischen Gemeinden genutzt werden.
7. Schlussfolgerungen
Für die Ladiner/-innen zeigt sich eine positive Gesamtentwicklung, die sich völkerrechtlich von der Anerkennung ihrer Rechte im „Paket“ bis zum Notenwechsel von 1992 zieht, in dem das zu diesem Zeitpunkt bestehende Schutzniveau verbrieft wurde, einschließlich der Rechte der Ladiner/-innen. In den persönlichen Geltungsbereich des Schutzsystems sind neben der deutschsprachigen Minderheit nunmehr auch die Südtiroler Ladiner/-innen eingeschlossen. Innerstaatlich wurden umfassende Rechte der Ladiner/-innen entsprechend vor allem im Zweiten Autonomiestatut verankert und in zwei Reformen des Statuts erweitert (VerfG Nr. 2/2001 und VerfG Nr. 1/2017).
Die Lage der Ladiner/-innen hat sich also deutlich verbessert, vor allem in Südtirol, wo die ladinische Minderheit aus dem Schatten der deutschsprachigen Südtiroler/-innen heraustreten und ihre eigenen Rechte als dritte Sprachgruppe stärken konnte, auch über Gröden und das Gadertal hinaus. Zudem darf das Schutzniveau nur im politischen Konsens beider Minderheiten Südtirols – und nach Zustimmung Österreichs – geändert werden. Auch wenn die Ladiner/-innen selbst keinen „kin State“ haben, werden sie nun ebenfalls von der Schutzfunktion Österreichs umfasst (Hilpold/Perathoner 2006). Während in den 1970er Jahren mitunter von einem Adoptionsverhältnis zur deutschsprachigen Minderheit gesprochen wurde (Pan, 1971, 132 f.), ist die ladinische Eigenständigkeit heute zu Recht unbestritten (Hilpold 2005, 25 f.). Dies gilt jedenfalls institutionell, als Sprachgruppe, mit nur wenigen Ausnahmen. Ihre politische Vertretung bleibt jedoch über die Sammelpartei weiterhin eng mit jener der deutschen Sprachgruppe verknüpft; über besondere Satzungsvorschriften ist ihre Vertretung auch in der Partei garantiert („SVP Ladina“). Trotz des Territorialprinzips hinsichtlich der Geltung von Sondervorschriften zum Schutz und zur Förderung von ladinischer Sprache und Kultur, gehören die beiden ladinischen Täler allerdings zu verschiedenen Bezirksgemeinschaften (Gröden zur Bezirksgemeinschaft Salten-Schlern, das Gadertal zur Bezirksgemeinschaft Pustertal).
Im Trentino bildet dagegen das Territorialprinzip die Grundlage detaillierter und differenzierter Regelungen im Provinzgesetz Nr. 6/2008, für die Ladiner/-innen und die beiden deutschsprachigen Minderheiten sowie ihre jeweiligen Gebiete. Es wurde für die Ladiner/-innen im Fassatal durch das Verfassungsgesetz Nr. 1/2017 weiter gestärkt, da trotz der allgemeinen Krise der Talgemeinschaften im Trentino die ladinischen Gemeinden im nunmehr verfassungsrechtlich anerkannten „Comun General de Fascia“ als übergemeindliche Körperschaft zusammengefasst wurden. Dieser sollen von der autonomen Provinz eigene Kompetenzen übertragen werden. Dieser Prozess hat noch nicht begonnen und wirft schwierige rechtliche Fragen auf, eröffnet aber vor allem interessante Perspektiven für eine gemeinsame wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung des ladinischen Gebiets im Trentino.
Aufgrund deutlich weniger Rechte (und finanzieller Möglichkeiten) ist die Lage der Ladiner/-innen in der Provinz Belluno, außerhalb des Geltungsbereichs des Autonomiestatuts, schwierig.
Verfassungsrechtlich sind die durch die Dreiteilung Ladiniens fortbestehenden starken rechtlichen Unterschiede innerhalb derselben Sprachgruppe eine logische Folge (oder ein Kollateralschaden?) der Kombination des Territorialprinzips und des Grundsatzes der Differenzierung, welche im italienischen System zu einem asymmetrischen Schutz der Minderheiten führt. Diese Asymmetrie muss immer wieder kritisch betrachtet und hinterfragt werden, vor allem in Bezug auf das heikle und niemals stabile Verhältnis zwischen Minderheitenschutz und Gleichheitsgrundsatz. Eine Verletzung des letzteren kann darin bestehen, dass die Anwendung des Territorialprinzips (in Verbindung mit der Sonderautonomie der Region Trentino-Südtirol und dem dortigen höheren Schutzniveau der Ladiner/-innen) zu einer Diskriminierung zwischen Personen führen würde, die derselben sprachlichen Minderheit angehören, ohne dass diese gerechtfertigt werden kann.
Die ladinische Frage ist damit für Südtirol wohl gelöst, insgesamt gesehen aber weiter offen. Es hängt insoweit vor allem von den Ladinern und Ladinerinnen selbst ab, wie stark eine – mögliche – Zusammenarbeit im Sinne kultureller und sprachlicher Einheit aller Ladiner/-innen über die Landes- und Provinzgrenzen hinweg betrieben werden soll. Das – mutige – Motto „Stärke durch Wandel“ könnte auch für die Ladiner/-innen Ansporn sein, sich stärker als bisher für die kulturelle Einheit einzusetzen.
Anmerkungen
2 Die Begriffe „Land“ und „autonome Provinz“ werden unterschiedslos als Synonyme verwendet.
3 Art. 27 Abkommen des Vertrags von Saint Germain, 10. September 1919.
5 Art. 69 D.P.R. vom 30. Juni 1951, Nr. 574.
6 Art. 36 Abs. 3 ASt n.F. und Art. 50 Abs. 3 ASt n.F. (Art. 4 Abs. 1 lit. d VerfG Nr. 2/2001)
10 Art. 50 Abs. 1 und 2 ASt n.F. (Art. 3 VerfG Nr. 1/2017).
11 Art. 62 Abs. 2 ASt n.F. (Art. 4 VerfG Nr. 1/2017).
12 Art. 62 Abs. 3 ASt n.F. (Art. 4 VerfG Nr. 1/2017).
14 Art. 89 Abs. 6 ASt n.F. (Art. 6 lit. A VerfG Nr. 1/2017)
17 Art. 107 Abs. 1 ASt (n.F. Art. 9 lit. a VerfG Nr. 1/2017).
18 Art. 107 Abs. 2ASt. (n.F. Art. 9 lit. bVerfG Nr. 1/2017).
19 Gesetzesdekret Nr. 592/1993 (zuletzt geändert durch das Gesetzesdekret Nr. 262/2010).
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