Sandra Müller/Sieglinde Rosenberger
Nach der „Asylkrise“ 2015
Die österreichische Asyl- und Grenzmanagementpolitik
After the Asylum Crisis 2015: Austrian Asylum and Border Management Policy
Abstract This article analyzes the Austrian political debates and measures taken that emerged as responses to the so-called refugee crisis during the summer of 2015. The short “welcome phase” of refugees in September 2015 was followed by restrictions in asylum politics. Both national and European debates focused on the need for more effective and efficient border management and the externalization of the “refugee problem”. Austria became a key player in not only introducing restrictive measures at the national level but also advocating for restrictive refugee policies at the EU level. In the Justice and Home Affairs Council, Austrian representatives took the initiative by bringing in policy proposals to find common and restrictive solutions. Not all proposals found the needed support of other member states; consequently, some Austrian measures taken have not been in accordance with the EU and, instead, have been implemented through bi- and multinational cooperation with other states. Two types of measures can be distinguished: those that deflect the potential arrival of refugees from Austria and those that aim to reduce the number of positive asylum decisions in the country. To these ends, Austria extended its border management by building a fence at the border with Slovenia in Spielfeld and introducing an asylum ceiling, among other measures. At the same time, Austria became involved in the securitization of the borders of other European states by supporting them financially and with personnel. Some of those measures took place within Frontex missions and others have been initiated by Austria itself. This article is based on reports of human rights organizations and NGOs dealing with asylum in Austria and Europe, legal texts, official national and EU documents, scientific literature and media articles.
1. Einleitung
Das Jahr 2015 ist durch eine hohe Flüchtlingszuwanderung und den daraus resultierenden politischen Spannungen gekennzeichnet. Österreich gehört zu den am stärksten geforderten Ländern Europas und fungierte sowohl als Aufnahme- als auch Transitland – fast 600.000 Menschen reisten durch, knapp 90.000 stellten einen Asylantrag (vgl. BMI 2016a, 3; MSNO 2016a).
Auf die kurze Phase der Willkommenskultur im September 2015 folgte ein gesellschaftlicher Stimmungswechsel begleitet von asylpolitischen Restriktionen. Sowohl die nationalen als auch die europäischen Debatten konzentrieren sich auf Forderungen nach effektivem und effizientem Grenzmanagement und der Externalisierung des „Flüchtlingsproblems“. Das Grenzmanagement wurde ausgebaut, ein Zaun am Grenzübergang Spielfeld errichtet und Österreich beteiligt sich personell und finanziell an der Grenzsicherung anderer Länder. Einige Aktivitäten finden im Rahmen von Frontex-Einsätzen, andere im Alleingang statt. Zwei Arten von Maßnahmen dominieren: Maßnahmen, die Menschen davon abhalten sollen nach Österreich zu kommen; und Maßnahmen, die die Zahl positiver Asylbescheide reduzieren sollen.
Österreich übernahm eine Vorreiterrolle bei restriktiven nationalstaatlichen Maßnahmen und wurde auch zum Fürsprecher einer restriktiveren europäischen Flüchtlingspolitik. Im europäischen Rat für Justiz und Inneres ergriffen die österreichischen Repräsentantinnen und Repräsentanten die Initiative und präsentierten mehr oder weniger ausgereifte Ansätze als gemeinsame Antworten auf Flucht und Asyl (vgl. Europäische Union 2016).
In diesem Artikel untersuchen wir die politischen Debatten und die Maßnahmen, die in Reaktion auf den Sommer 2015 ergriffen wurden mit dem Ziel, ein „Déjà-vu“ des vergangenen Jahres zu verhindern, das heißt, die Zuwanderung von Flüchtlingen zu kontrollieren und zu begrenzen. Manche dieser Maßnahmen wurden in Übereinstimmung mit der EU, andere in Widerspruch zu EU-Recht, jedoch in bilateralen Kooperationen gesetzt. Hinsichtlich der Daten basiert der Beitrag auf Berichten von Menschenrechtsorganisationen und NGOs zur Asylsituation in Österreich und Europa, auf Gesetzestexten, offiziellen Dokumenten, wissenschaftlicher Literatur und Medienberichten.
Im Folgenden skizzieren wir die Situation im Sommer 2015 und benennen die institutionellen, politischen und gesellschaftlichen Probleme der Krise.
2. Die Krise des Asylsystems im Sommer 2015
Seit Beginn 2015 stiegen die Asylantragszahlen und erreichten im Sommer ihren vorläufigen Höhepunkt. Von knapp 600.000 durchreisenden Menschen stellten rund 90.000 einen Asylantrag in Österreich. Im Jahr 2014 waren es hingegen knapp 30.000 Anträge (vgl. BMI 2016a, 3; MSNO 2016a). Die hohe Zahl an Asylanträgen und Unstimmigkeiten im Asylsystem führten zu gravierenden Engpässen in der Unterbringung und Versorgung. Politische, gesellschaftliche und rechtliche Problemherde kollidierten und mündeten in der Folge in einer restriktiveren Asylpolitik.
Zu den institutionell bedingten Ursachen der Unterbringungskrise zählt das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2015 (Bundesgesetzblatt I Nr. 70/2015),1 das die Bestimmungen zur Aufnahme- und Unterbringungssituation von Asylsuchenden verschärfte. Komplexe Verfahrensschritte und zu wenige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bundesamt für Asylwesen (BFA) standen einer raschen und effizienten Bearbeitung der Asylanträge im Weg (vgl. Mouzourakis/Sheridan 2015, 9–10; UNHCR 2016, 7).
Ein weiterer, die Unterbringungskrise verschärfender Faktor war, dass der Großteil der Bundesländer ihrer Verpflichtung zur Unterbringung von Asylwerberinnen und Asylwerbern seit Jahren nicht ausreichend nachkam. 2004 wurde zwischen dem Bund und Ländern die Grundversorgungsvereinbarung Art. 15 a B-VG beschlossen. Ein wichtiger Teil dieser Vereinbarung ist die Quotenregelung, die besagt, dass jedes Bundesland, entsprechend der Wohnbevölkerung, Asylwerberinnen und Asylwerber unterzubringen hat. Die Kosten werden dabei zu 60 Prozent vom Bund und zu 40 Prozent von den Ländern übernommen. Die Leistungen der Grundversorgung beinhalten eine Unterbringung meist in einer organisierten Unterkunft, Verpflegung, Krankenversicherung sowie auch einige Extrazuwendungen wie ein Taschengeld in Höhe von 40€ oder Bekleidungshilfe von 150€. Handelt sich um privat wohnende Personen, so beträgt der Mietzuschuss für Alleinlebende 150€ (Familien 300€) und Verpflegungsgeld 215€ pro Person/Monat (Minderjährige 100€) (vgl. AsylKoordinaten 2015, 1–3). Seit Mitte 2014 kam es jedoch immer wieder zu Quoten-Nichterfüllungen und bis Juni 2015 beherbergten nur 683 von insgesamt 2.100 Gemeinden Asylwerberinnen und Asylwerber. Im Sommer 2015 verschärfte sich die Situation. Amnesty International dokumentierte insbesondere die Überbelegung und prekäre Unterbringung im Erstaufnahmelager Traiskirchen (vgl. AI 2015, 3–4; FRA 2015c, 8). Die Quotenkonflikte betreffen jedoch nicht nur Bund und Länder, sondern auch die Gemeinden. Bemühungen der Länder, Unterkünfte zu schaffen, wurden in manchen Gemeinden durch Proteste verzögert oder verhindert (vgl. Haselbacher/Rosenberger 2016).
Vor dem Hintergrund dieser Situation verabschiedete der Nationalrat im September 2015 das Bundesverfassungsgesetz zur Unterbringung und Aufteilung von hilfs- und schutzbedürftigen Fremden (Bundesgesetzblatt I Nr. 120/2015). Dieses Gesetz ermöglicht dem Bund, Unterkünfte in bundeseigenen Immobilien auch gegen den Willen einer Gemeinde zu betreiben. Das Gesetz strebt eine fairere Verteilung und Entlastung der vorhandenen Unterkünfte an und sollte folglich auch eine Verbesserung für Asylwerberinnen und Asylwerber schaffen. So wurde unter anderem der Tagessatz pro Asylwerberin und Asylwerber erhöht. In der Praxis hielt die prekäre Unterbringungssituation aber an und die politische Antwort darauf war eine Neuausrichtung der Asylpolitik. Die Bundesregierung bewegte sich weg vom Versuch des fairen Verteilens und Unterbringens hin zum Limitieren und Stoppen von Flüchtlingen.
3. Viele Forderungen und ambivalente Handlungen auf der EU-Ebene
Die Flüchtlingssituation im Jahr 2015 brachte mehrere Schwachpunkte des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) zum Vorschein. Fehlende Solidarität und nur eine bedingte gesetzliche Harmonisierung zeigen einen sehr unterschiedlichen Umgang mit der Asylsituation. Österreichische Politikerinnen und Politiker forderten immer wieder eine gerechte, ausgeglichene Verteilung der Flüchtlinge auf dem EU-Territorium. Als diese Forderungen aber Forderungen blieben, verlagerte sich die Positionierung weg von einem Verteilungsmechanismus hin zu Abschottung und Verhinderung des Grenzübertritts weiterer Flüchtlinge (vgl. Wagner 2016). Es lassen sich zwei Bearbeitungsmechanismen des Asylproblems erkennen: (1) Beteiligung an EU-Maßnahmen und der Versuch, die EU zu möglichst restriktivem Vorgehen zu mobilisieren; (2) Bilaterale und multilaterale Übereinkünfte, oft auch mit Nicht-EU-Staaten, um für Flüchtlinge die Reise nach Österreich zu blockieren. Beide Wege sind durch das politische Ziel nach restriktiven Maßnahmen und Auslagerungsprozessen gekennzeichnet.
Die Errichtung von sogenannten Hotspots und der damit verbundenen Umverteilungsabsicht (Relocation) wurde im September 2015 auf zwei Ratssitzungen beschlossen.2 Österreich verpflichtete sich 1.953 Personen aus Griechenland und Italien aufzunehmen. Allerdings sind zahlreiche Staaten, so auch Österreich, dieser Verpflichtung nicht oder nur unzureichend nachgekommen.3 Dies obwohl die Idee der Hotspots und der Umverteilung auf die österreichische Save Lives-Initiative zurückgeht. Österreich ist hingegen bezüglich Aufbau und Aufrechterhaltung der Hotspots zielstrebig und entsendete 100 Experten und bot Soldaten für die Unterstützung in Griechenland an (vgl. BMI 2016c, 3; BMLVS 2016, 2; Die Presse 2015).
Des Weiteren wurde im März 2016 das EU-Türkei-Abkommen beschlossen, das den Charakter eines teilweisen „Resettlement“-Programms aufweist. Das Abkommen basiert auf zwei Schritten, zum einen auf Rückstellungen von Flüchtlingen von den griechischen Inseln in die Türkei und zum anderen auf der Aufnahme anerkannter syrischer Flüchtlinge aus der Türkei durch die EU-Staaten. Doch ähnlich wie bei der Umverteilung aus den Hotspots, wurden bis lang nur wenige, oder keine Flüchtlinge durch die EU-Staaten aufgenommen. Österreich hat zwar innerhalb von Resettlement-Programmen4 syrische Flüchtlinge aufgenommen, jedoch nicht im Rahmen dieses Abkommens. Nicht nur die mangelnde Bereitschaft der Staaten sich an der Umverteilung zu beteiligen, sondern auch die angespannte politische Lage in der Türkei stellen das Abkommen zunehmend in Frage. Die letzten Monate waren durch immer wiederkehrende Aushandlungsprozesse zwischen der EU und der Türkei gekennzeichnet. Diese betrafen sowohl die Konditionen des Abkommens als auch das Fortbestehen des Abkommens an sich. Aktuell droht die Türkei mit der Aufkündigung des Abkommens bis Jahresende, während Österreich sich beim Eintreten dieses Falles für eine Streichung jeglicher finanziellen Leistungen für Flüchtlinge in der Türkei ausspricht (Die Presse 2016a; Die Presse 2016b; EC 2016). Es ist aber auch wichtig zu betonen, so wenig die Umverteilung funktioniert, so effektiv ist die Zurückhaltung von Flüchtlingen in der Türkei. Bereits kurz nach Inkrafttretens des Abkommens im März 2016 erreichten nur noch 100 Flüchtlinge täglich die griechischen Inseln, im Vergleich zu Jänner und Februar 2016, wo es noch bis zu 3000 täglich waren (Salzburger Nachrichten 2016). Ein Scheitern des Flüchtlingsabkommens wäre also nicht nur ein Scheitern eines weiteren Umverteilungsmechanismus, sondern hätte einerseits starke Konsequenzen für die in der Türkei untergebrachten und dort zu versorgenden Flüchtlinge. Anderseits auch für Europa, denn in der Türkei befinden sich knapp 3 Millionen Flüchtlinge, die (noch) im Rahmen dieses Abkommens an der Weiterreise nach Europa gehindert werden.
Der Außenminister hat im Juni 2016 bei der Ratssitzung für auswärtige Angelegenheiten der EU das neue „EU-Flüchtlingskonzept“ vorgestellt. Es ist ein Konzept, das mit weiterer Umverteilung nichts mehr zu tun hat, sondern die Externalisierung des Flüchtlingsproblems an die EU-Außengrenzen bzw. außerhalb Europas adressiert. Auch Rückführungen sollten bereits an der EU-Außengrenzen erfolgen. Solange es allerdings keine europäische Lösung gäbe, verkündete der Außenminister, würde Österreich weiterhin auf nationale Maßnahmen sowie auf bilaterale Kooperationsmöglichkeiten mit anderen Staaten setzen (vgl. EU 2016).
Österreich schloss sich nicht nur in den Debatten, sondern auch über Kooperationen den ost- und südosteuropäischen Staaten an und schuf ein eigenes Netzwerk von Kooperationen und Unterstützung (vgl. Metzger 2016; Mouzourakis/Taylor 2016, 26–27). So war im März 2016 Österreich die treibende Kraft, zusammen mit den Balkanstaaten, bei der Schließung der mazedonisch-griechischen Grenze. Griechenland war bei den vorhergehenden Verhandlungen nicht eingeladen, war aber von den Konsequenzen der Entscheidung stark betroffen. Denn es kommen einerseits weiterhin Flüchtlinge in Griechenland an, die nun nicht mehr weiterreisen können, und andererseits findet keine effektive Umverteilung im Rahmen des Hotspot-Ansatzes statt. Für diese Politik wurde Österreich von Deutschland kritisiert (vgl. Bewader/Leubecher 2016; Trauner 2016, 320–321). Diese Kooperationen mit den süd-/osteuropäischen Ländern betreffen besonders die Zusammenarbeit bei der Grenzsicherung und beinhalten neben Kontrollen auch die finanzielle und personelle Unterstützung bei der Errichtung von Zäunen sowie bei Grenzschließungen. Die Effektivität dieser Maßnahmen spiegelt sich in den deutlich niedrigeren Antragszahlen zum Vorjahr wider – seit 1.1.2016 bis 30.9.2016 waren es 34.657 Anträge, von denen 19.695 zum Asylverfahren zugelassen wurden. Außerdem ist seit der Schließung der Balkanroute kein Flüchtling mehr über Spielfeld eingereist und die Notquartiere stehen leer (vgl. Bewader/Leubecher 2016; BMI 2016d,3; Holzer et al. 2016; Knapp 2015, 14; Metzger 2016).
Österreich beschränkt sich bei Maßnahmen nicht auf Europa. Während die Entwicklungshilfe 2014 gekürzt wurde, soll diese bis 2021 verdoppelt werden. Es handelt sich dabei aber nicht nur um Entwicklungshilfe im herkömmlichen Sinne, sondern es sollen auch Flüchtlingslager vor Ort finanziell unterstützt werden (vgl. Der Standard 2016a). Zusätzlich wurde durch Werbekampagnen in den Herkunftsländern wie Afghanistan der Versuch unternommen, potenzielle Asylsuchende von der Reise nach Österreich abzuhalten (vgl. BMI 2016b).
Politikerinnen und Politiker wurden nicht müde, ein Scheitern der EU-Asylpolitik zu konstatieren. Ambivalente Forderungen, Problembefunde und Lösungsperspektiven dominieren das Szenario. So drängt die Bundespolitik auf die Einhaltung des Dublin-Abkommens, setzte dieses aber zeitweilig selbst außer Kraft, indem zahlreiche Flüchtlinge ohne Registrierung weiterziehen konnten. Österreich hat damit genau das gemacht, was es kritisiert hat, nämlich eine unzureichende Registrierung von Flüchtlingen und hat damit die Verantwortung auf andere Staaten übertragen. Gleichzeitig wird, wenn es um Rückstellungsanträge geht, versucht die Dublin-Verordnung konsequent anzuwenden (vgl. Bewader/Leubecher 2016).
Ein einheitliches europaweites Asylsystem gilt als Basis für eine faire Verteilung der Flüchtlinge in den Mitgliedstaaten. Gleichzeitig spielen die nationalen Asylsysteme bei der Wahl des Asyllandes durch Flüchtlinge eine Rolle (Noll 2002, 311). Die Obergrenzenbestimmung und die Möglichkeit der Notverordnung können als Widerspruch zur Europäisierung insofern verstanden werden, als Österreich damit nicht nur seine Attraktivität als Zielland senkt, sondern Asylverfahren jenseits der Obergrenze unmöglich macht. In Folge dessen wird die Verantwortung auf anderen EU-Staaten weitergereicht.
4.Nationale Maßnahmen: Restriktionen, Kontrollen, Rückführungen
Nicht zuletzt als Legitimation für restriktive Schritte wird in der politischen Debatte immer wieder ein Bild der Überforderung und der Angst gezeichnet. So spricht Außenminister Sebastian Kurz vom „zu großen Zustrom“ und „zu hohen Zahlen“, denen Österreich ausgesetzt sei und die Aufgabe der Integration nicht mehr füllen könne (vgl. EU 2016).
4.1 Restriktive gesetzliche Reformen
Als Konsequenz des Scheiterns der europäischen Ebene hat die österreichische Regierung neue Gesetze und Maßnahmen beschlossen, die den Zutritt limitieren bzw. verhindern sollen.
Ende April 2016 wurde im Nationalrat für die Reform dreier Gesetze gestimmt: Änderung des Asylgesetzes 2005, des Fremdenpolizeigesetzes 2005 und des BFA-Verfahrensgesetzes. Dabei beinhaltet die Änderung des Asylgesetzes 2005 Erneuerungen mit weitreichenden Konsequenzen, die im Folgenden skizziert werden.
Die Asylgesetzesreform beinhaltet die Möglichkeit, Asyl auf Zeit einzuführen, das heißt, den Asylstatus auf drei Jahre zu beschränken. Falls sich die Situation im Herkunftsland verbessert haben sollte, verlieren Asylberechtigte ihren Flüchtlingsstatus und können in ihr Herkunftsland zurückgeschickt werden (AIDA 2016, 5). Das Gesetz bringt auch Veränderungen für die Familienzusammenführung (Antrag innerhalb von drei Monaten, ansonsten müssen ökonomische Voraussetzungen wie Krankenversicherung und gewisse Einkünfte vorhanden sein).
Im Jänner 2016 beschloss der Asylgipfel eine Asyl-Obergrenze, wonach nur einer bestimmten Anzahl von Flüchtlingen gestattet ist, einen Asylantrag zu stellen. Das entspricht für das Jahr 2016 insgesamt 37.500 Anträgen, wobei maximal 80 Asylanträge pro Tag gestellt werden dürfen. Des Weiteren dürfen 3.200 Personen pro Tag durch Österreich durchreisen. Diese Zahl soll in den kommenden drei Jahren konstant abnehmen und würde sich 2019 auf 25.000 Anträge belaufen (BKA 2016, 1–2). Die Asylgesetzesreform ermöglicht, eine Notverordnung zu erlassen und auf dieser Grundlage Asylanträge an der Grenze abzuweisen. Die Notverordnung tritt ein, wenn das Bundesinnenministerium beschließt, dass eine bestimmte Anzahl von geflüchteten Menschen eine Gefahr für die nationale oder öffentliche Sicherheit darstellt. Die Obergrenze ist dafür ein Richtwert.
4.2 Kontrollierte Grenzen
Grenzkontrollen gewinnen wieder an Bedeutung. Dies spiegelt sich zum einen in steigenden Ausgaben der EU bei der Sicherung der Außengrenzen, aber auch in der Umgestaltung von Frontex, jetzt European Border und Coast Guard Agency, wider (vgl. Verordnung (EU) 2016/1624). In Österreich wurde das Grenzmanagement ausgebaut. In Spielfeld, dem größten Grenzübergang mit Slowenien, wurde zusätzlich zu einer stadionartigen Konstruktion, die unkontrollierte und unstrukturierte Einreisen unmöglich machen sollte, ein Zaun errichtet. Weitere Konstruktionen wurden für die deutsch-österreichischen Grenzen sowie am Brenner gefordert. Weiters wird die Polizei zahlenmäßig an den Grenzen aufgestockt und durch das Bundesheer unterstützt (vgl. FRA 2015a, 8; Kopeinig 2016).
Österreich ist auch an den Grenzen anderer Staaten aktiv geworden und hat sich an mehreren Frontex-Einsätzen mit Polizei und Bundesheer beteiligt. Gleichzeitig wurden Kooperationsmaßnahmen bezüglich des Grenzschutzes mit anderen Staaten beschlossen (vgl. Frontex 2015; ORF 2016)
In der Nacht vom 4. zum 5. September 2015 veränderte sich – kurzfristig und kurzzeitig – der politische Umgang mit Flüchtlingen. Kanzlerin Merkel und Kanzler Faymann öffneten die Grenzen für in Ungarn festsitzende Flüchtlinge. Entgegen den in der Dublin-Verordnung festgeschriebenen Grundsätzen verzichtete man weitestgehend auf Kontrollen und Registrierung von Flüchtlingen. Somit wurde die Dublin-Verordnung faktisch außer Kraft gesetzt. Für dieses Vorgehen gab es keine Rechtsgrundlage, viel mehr ist die Grenzöffnung und die damit einhergegangenen Maßnahmen als Reaktion auf eine unvorhergesehene Situation zu verstehen und diente der Verhältnismäßigkeit, um eine humanitäre Krise zu verhindern (vgl. Kálnoky 2015).
Mitte September 2015 führten zuerst Deutschland und dann Österreich wieder Grenzkontrollen ein. Was rechtlich eine Unterbrechung des Schengen-Abkommens darstellt, hatte in der Praxis für die durchreisenden Flüchtlinge keine großen Auswirkungen. Denn viele Länder kontrollierten und registrierten weiterhin nicht. Auch Österreich brachte Flüchtlinge mit Bussen direkt, teils ohne Kontrollen, an die deutsch-österreichische Grenze. Nicht nur logistisch, sondern auch hinsichtlich der Unterbringung reagierte man auf durchreisende Flüchtlinge, in dem in Grenzregionen Transitunterkünfte errichtet wurden (vgl. FRA 2015b, 6: Mouzourakis/Sheridan 2015, 22; Bewader/Leubecher 2016).
Die EU-Kommission genehmigte wiederholt die Aussetzung des Schengen-Abkommens. Anfangs betraf dies die Grenzen zu Italien, Ungarn, Slowenien und der Slowakei. Die Verlängerung von Mai bis November 2016 galt nur noch für Ungarn und Slowenien. Bereits bevor die EU-Kommission eine Zustimmung für die Verlängerung erteilte, begann Österreich mit dem Ausbau von Kontrollen am Brennerpass und plante diesen nach dem Vorbild des Grenzübergangs in Spielfeld, einschließlich der Errichtung eines Zauns, zu gestalten. Als Konsequenz reichte Italien eine Beschwerde bei der Kommission ein. Dieser wurde stattgegeben und Österreich weitere Kontrollen am Brenner untersagt. Die Begründung: die Grenzübertritte seien stark zurückgegangen und folglich wären Grenzkontrollen nicht gerechtfertigt (vgl. EC 2015; Kopeinig 2016; Schlamp 2016).
Der Brenner war 2015 eine Hauptroute für Flüchtlinge nach Mittel- und Nordeuropa. Er diente sowohl als Einreisemöglichkeit nach Österreich als auch als direkter Weg nach Deutschland. Viele Flüchtlinge sind weder in Italien noch in Österreich registriert worden. Daher sorgten weniger strenge Kontrollen gleichermaßen wie auch Pläne für strengere Kontrollen (inklusive der Möglichkeit des direkten Zurückschickens von Flüchtlingen nach Italien) immer wieder für Diskussionen zwischen Italien, Österreich und Deutschland. Um dem Problem entgegen zu wirken, wurde eine trilaterale Polizeistreife eingeführt (Hengst 2015), die allerdings im Sommer 2015 nicht den gewünschten Effekt zeigte. Was folgte, waren Schengen-Unterbrechungen und die Forderung nach intensiviertem Grenzmanagement (vgl. Schlamp 2016).
In Europa hat sich im vergangenen Jahr eine Entwicklung gezeigt, die physische Barrieren in Form von Zäunen als legitim erachtet. Auch die österreichische Bundesregierung ließ einen Zaun am Grenzübergang Spielfeld errichten. Die Reaktionen auf den Grenzzaun waren kontrovers. Während Steiermarks Landeshauptmann die Maßnahme als „ersten Schritt“ im Kontinuum einer Reihe von Grenzkontrollinitiativen bezeichnete, lehnten Amnesty International und die Grünen dies ab. So sprach die EU-Abgeordnete Ulrike Lunacek von „Orbánisierung der ÖVP“ (Der Standard 2015). Der Bundeskanzler, der anfangs entschieden dagegen war, änderte seine Meinung und sprach vom „Türl mit Seitenteilen“ (vgl. ORF 2015). Kritik gab es auch von Anrainerinnen und Anrainern, die sich dem Zaunbau entlang ihres Grundstückes widersetzen und so schließlich Lücken im Grenzzaun verursachten (vgl. Holzer et al. 2016; Metzger 2015).
Die Grenze ist nicht nur eine Kontrollstelle, sondern dient als Filter für ankommende Flüchtlinge. Bereits 2015 wies Österreich Flüchtlinge, die falsche Angaben machten oder nicht in Österreich, sondern in Deutschland oder Schweden um Asyl ansuchen wollten, an der Grenze ab (vgl. FRA 2015c, 2).
4.3 Forcierte Abschiebepolitik
Neben der Intensivierung von Grenzkontrollen wird auch die Abschiebepolitik sowohl auf der nationalstaatlichen als auch der europäischen Ebene aufgewertet. So wurde die European Border and Coast Guard Agency eingerichtet, die als Folgeprojekt von Frontex verstanden werden kann und mit zahlreichen zusätzlichen Befugnissen und Rechten ausgestattet ist. Österreich entsendet 34 Personen in die neue Agentur, die insgesamt aus 1500 Grenzbeamtinnen und Grenzbeamten sowie weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bestehen wird. Aufgabe dieser Agentur ist unter anderem die Unterstützung bei Abschiebungen. Diese kann dann auch in Nicht-EU Staaten tätig werden, wenn Unterstützung auf Grund von hohen Flüchtlingszahlen als notwendig erachtet wird (vgl. Verordnung (EU) 2016/1624).
Österreich beabsichtigt in den kommenden drei Jahren 50.000 Menschen abzuschieben (vgl. MSNO 2016b). Nach den vorliegenden Zahlen (Tabelle 1) würde Österreich dieses Ziel aber nicht erreichen und hat daher einige Maßnahme ergriffen, um Abschiebungen und freiwillige Ausreisen zu beschleunigen. Dazu gehört eine erweiterte Liste der „sicheren Herkunftsstaaten“, an die ein „10-Tage-Schnellverfahren“ gekoppelt sein kann. Weitere Maßnahmen sind der Ausbau von Rückkehrberatungen und finanzielle Unterstützung für freiwillige Ausreisen. Dabei gilt je schneller der Entschluss zur freiwilligen Ausreise gefasst wird, desto höher ist die Unterstützung. Gleichzeitig fordert Österreich auf EU-Ebene weitere Rückübernahmeabkommen mit Afghanistan, Algerien und Marokko (vgl. MSNO 2016b). Im Oktober 2016 befürwortete der Innenminister eine Gesetzesinitiative, durch die den im Land lebenden Personen mit einem negativen Asylbescheid die Grundversorgung gestrichen werden sollte bzw. diese mit Haft- und Geldstrafen bedroht werden (vgl. Der Standard 2016b).
Österreich gehörte 2015 mit 15.594 Anfragen zu den Spitzenreitern bei der Anwendung der Dublin-Verordnung. Hauptrücknahmeländer waren Ungarn, Italien und Bulgarien. Für 2016 ist die Zahl der Anfragen bislang noch unbekannt, jedoch erfolgten bis Juni 2016 insgesamt 554 Dublin-Überstellungen. Die Zahlen verdeutlichen die Ineffizienz des Dublin-Vorgehens (weniger als 10 % der angefragten Überstellungen, nämlich 1.378, fanden im Jahre 2015 statt (vgl. Mouzourakis/Sheridan 2015, 9; MSNO 2016b)). Im Gegensatz zu Deutschland hat Österreich die Dublin-Abschiebungen für syrische Flüchtlinge im Jahre 2015 nicht ausgesetzt, sondern diese zu einem übergeordneten Ziel erklärt. Das führte dazu, dass die Bearbeitung neuer Asylanträge zeitweise ausgesetzt wurde und der Fokus auf der Bearbeitung von Dublin-Fällen und deren Abschiebungen lag. Faktisch fanden diese Abschiebungen aber nicht statt, das heißt, die nationalstaatliche Grenz- und Asylpolitik scheiterte (vgl. Trauner 2016). Nach Ungarn konnten auf der Grundlage einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs keine Rückführungen durchgeführt werden, da eine Gefahr des Refoulements bestand. Diese „Schein-Dublin-Behandlung“ führte andererseits jedoch zur Verzögerung der regulären Asylverfahren (vgl. Mouzourakis/Sheridan, 16).
5. Schlussfolgerungen und Ausblick
Österreich hat im Jahre 2015 – umgelegt auf die Bevölkerung – sehr viele Flüchtlinge aufgenommen. Seither aber zählt es zu den striktesten Aufnahmeländern Europas. Dies ist Resultat gesetzlicher Reformen des Asylsystems seit dem Sommer 2015. Der asylpolitische Kurs lautet seither, konsequent zu versuchen, Flüchtlinge von der Einreise abzuhalten bzw. deren Aufenthaltsdauer zu limitieren. Restriktionen bei der Anzahl aufzunehmender Personen, sowie die Erweiterung der Liste der „sicheren Herkunftsländer“ schränken die Möglichkeit eines ordentlichen Asylverfahrens zunehmend ein.
Auf europäischer Ebene war die Forderung nach einer einheitlichen „europäischen Lösung“ durch viele Staaten, einschließlich Österreichs, groß. Die Idee der Hotspots und der Umverteilungsmechanismus wurden von einer Mehrheit der Länder begrüßt. Doch die Umsetzung ist schleppend und unzureichend. Zahlreiche Staaten haben noch keine oder nur wenige Flüchtlinge aufgenommen. Mittlerweile geht auch die EU vom Versuch der fairen Verteilung weg zu einer Politik der Externalisierung und stärkeren Grenzsicherung. Österreich macht sich für eine Flüchtlingspolitik nach „australischem Modell“ stark.
Im Zuge der Flüchtlingssituation in Europa wurde der Versuch unternommen, Verantwortung auszulagern. Die Entwicklung geht in Richtung Abschottung und Verhinderung der Weiterreise nach Mittel- und Nordeuropa. Durch diese Politik werden die Staaten an den Außengrenzen unverhältnismäßig stark belastet (Dublin-Verordnung, Hotspots-Regelung, Grenzschließungen entlang der Balkanroute). Die Weiterreise von Flüchtlingen wird so verhindert (vgl. Trauner 2016, 319–321). Österreich ist geographisch begünstigt und profitiert durch diese Maßnahmen, das heißt, deutlich weniger Flüchtlinge als 2015 kamen ins Land. Folglich ist Österreich ein starker Verfechter dieser Maßnahmen, ungeachtet der Konsequenzen für Flüchtlinge und andere Staaten. Die kommenden Monate werden zeigen, ob Flüchtlinge überhaupt noch Zutritt und die Möglichkeit haben werden, in Österreich um Schutz anzusuchen.
Anmerkungen
1 In Kraft seit 20.07.15.
2 14.09.15 (Council Decision 2015/1523); 21.09.15 (Council Decision 2015/1601).
3 Ungarn und Österreich haben bislang (Oktober 2016) keine konkreten Angaben zur Umsetzung gemacht.
4 Humanitäres Aufnahmeprogramm (HAP) I und II.
Literaturverzeichnis
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Tabelle 1: Abschiebungen/freiwillige Ausreisen 2015 und 2016
Abschiebungen insgesamt |
„Freiwillige“* Ausreisen |
Erzwungene Ausreisen | |
2015 |
8.365 |
5.087 |
3.278 |
2016** |
7.826 |
4.515 |
3.311 |
* Es ist davon auszugehen, dass auf die Personen auch Druck ausgeübt bzw. mit Sanktionen gedroht wird (vgl. MSNO2016b)
** bis 30.09.16.
Quelle: Kurier 2016; MSNO 2016b, eigene Darstellung.