Ferdinand Karlhofer
Die Tiroler Landtagswahl 20131
1. Rückblende: die Landtagswahl 2008 und ihre Folgen
Im Rückblick auf das vergangene Vierteljahrhundert sind Landtagswahlen in Tirol alles andere als von Berechenbarkeit und Kontinuität geprägt gewesen. Einen schockartigen Bruch hatte bereits die Wahl 1989 dargestellt, als – nach dem Abgang von Eduard Wallnöfer – die Volkspartei mit einem Verlust von 16 Prozentpunkten ihre Zweidrittelmehrheit im Landtag verlor und fortan mit einem Überhang von nur mehr einem Mandat regieren musste.
Bei der Wahl 1999 (im Jahr davor war per Änderung der Landesverfassung das Proporzsystem für die Regierungsbildung abgeschafft worden) ging erstmals auch die Mandatsmehrheit verloren; die ÖVP bildete eine Koalition mit der SPÖ, ebenso in der darauf folgenden Periode. Obwohl nach der Wahl 2003 wieder mit absoluter Mehrheit ausgestattet, verlor der neue VP-Obmann Herwig van Staa sukzessive an Popularität. Der Geschäftsführer der Partei beklagte nach der Wahl 2008 resümierend, dass sich das öffentliche Meinungsbild van Staas vom ursprünglichen positiven Macherimage als vormaliger Innsbrucker Bürgermeister im Verlauf der Legislaturperiode mehr und mehr zum Negativen gewandelt habe (Rauch 2009, 67).
Vor dem Hintergrund deutlich nach unten zeigender Umfragewerte des Parteichefs wurde die schon bald nach der Wahl virulent gewordene und emotional geführte Kontroverse rund um das Thema Agrargemeinschaften nicht nur ein alles überlagerndes Streitthema zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien; auch die Debatten innerhalb der ÖVP waren alles andere als von Einheitlichkeit getragen. Die Linie des Bauernbunds, wonach die aus Gemeindegut hervorgegangenen Agrargemeinschaften nicht wirklich ein Problem seien und allfällige Missstände rasch ausgeräumt würden, wurde von der Parteiführung anfangs mitgetragen. Mit zunehmendem Druck der Opposition und laufender medialer Berichterstattung sah sie sich aber schließlich dem Vorwurf ausgesetzt, die Lösung des Problems nicht wirklich mit der gebotenen Entschlossenheit anzugehen. Als innerparteilicher Kritiker des unter sinkenden Sympathiewerten leidenden Parteichefs meldete sich mit zunehmender Schärfe der Präsident der Arbeiterkammer (AK) Präsident Fritz Dinkhauser zu Wort. Nicht zum ersten Mal: Schon 2002, nach der Ablöse Wendelin Weingartners als Parteiobmann, mit dem er immer wieder in Konflikt geraten war (gipfelnd im Vorwurf, Weingartner fehle „das Herz für die Menschen“), hatte Dinkhauser die Gründung einer eigenen Partei in den Raum gestellt, nach Konzessionen seitens Nachfolger van Staa davon aber Abstand genommen. Neuerlich in scharfem Ton meldete Dinkhauser sich dann mit Näherrücken des Termins für die Landtagswahl 2008 zu Wort. Schon Mitte 2007 hatte er die Gründung einer „Bürgerbewegung“ angedeutet, um, wie er sich ausdrückte, der „erstarrten, reformunwilligen ÖVP“ die Mehrheit zu sichern. In den Monaten vor der Wahl knüpfte Dinkhauser ein Abgehen von diesem Plan ultimativ an die – zu diesem Zeitpunkt in der Partei wenig Rückhalt findende – Bedingung, dass anstelle van Staas der Obmann des Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerbundes (AAB) Günther Platter als Spitzenkandidat in die Wahl gehe. Schlussendlich trat der sich aus seiner Zeit als AK-Präsident breiter Bekanntheit und beachtlicher Sympathiewerte erfreuende Parteirebell mit seiner Liste Fritz an. Das Ergebnis von 18,4 Prozent der Stimmen überraschte in dieser Höhe und machte die neue Liste auf Anhieb zur zweitstärksten Kraft im Landtag. Überraschend war aber auch, dass die ÖVP zwar wie erwartet hohe Verluste verbuchte, die SPÖ und die Grünen relativ gesehen aber noch stärkere Einbußen zu verzeichnen hatten: Laut SORA-Wählerstromanalyse wechselten 7.000 ÖVP-Wähler zur neuen Liste, von den Grünen waren es 8.000, von der SPÖ sogar 9.000; weitaus am meisten ihrer Stimmen, nämlich 30.000, bezog die neue Liste aber von ehemaligen Nichtwählern (SORA 2013).
Das paradoxe Ergebnis dieser Wahl war also, dass die von der ÖVP abgespaltene Liste ihr erklärtes Ziel, nämlich van Staa aus dem Amt zu hebeln, erreichte, dabei aber weniger der Mutterpartei als ausgerechnet Parteien, die mit dem Duell zwischen Amtsinhaber und Herausforderer in keiner Weise etwas zu tun hatten, schadete. Groß war letztendlich dann die Enttäuschung Dinkhausers, dass der designierte neue Landeshauptmann Günther Platter, immerhin sein Wunschkandidat, die Bildung einer Koalition mit der erfolgreichen Liste nicht in Betracht zog (Dinkhauser 2013, 38–39). Überhaupt wurde – schon allein im Hinblick auf die verhärtete Frontstellung zum Bauernbund, namentlich dessen Obmann Anton Steixner – eine Wiedereingliederung Dinkhausers und seiner Liste in die Partei nicht ins Auge gefasst.
2. 2013: Ausgangslage und neuerliche Zuspitzung
Resümierend zur Landtagswahl vom 8. Juni 2008 ist festzuhalten, dass sie zu tiefgreifenden Verwerfungen in der politischen Landschaft Tirols führte, die in zweierlei Hinsicht auch die Wahl von 2013 beeinflussen sollten: Erstens umfasste der Landtag nun zunächst fünf, nach Abspaltung zweier Abgeordneter, darunter Fritz Gurgiser, von der Liste Fritz sogar sechs Klubs. Zweitens hatten die Erweiterung des Parteienspektrums und die Verschiebungen im Kräfteverhältnis nachhaltige Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Regierung und Opposition. Die in der Periode 2003 – 2008 auf lediglich sieben Mandate beschränkte Opposition war nun auf 15 Mandate (von 36) angewachsen, was allein schon in quantitativer Hinsicht die parlamentarische Kontrolle nachhaltig veränderte. In keiner der Perioden davor waren die Kontrollinstrumente der Opposition – das Spektrum umfasste unter anderem dringliche Anfragen, die Erteilung von Prüfaufträgen an den Landesrechnungshof, die Einberufung von Sonderlandtagen und auch ein Misstrauensvotum gegen ein Regierungsmitglied – so umfassend wahrgenommen worden. Und in keiner der Perioden davor hatte eine Tiroler Landesregierung sich einer so angriffigen und immer wieder auch geschlossen agierenden Opposition gegenüber gesehen. Die Beziehungen zueinander waren konfliktgeladen, nicht selten auch offen feindselig, in demokratiepolitischer Hinsicht aber jedenfalls Ausdruck eines lebendigen Parlamentarismus.
Für die Landtagswahl 2013 zeichnete sich ein dem Wahlgang 2008 frappant ähnliches Muster der Auseinandersetzung ab: Wieder war die Wahl von VP-internen Querelen geprägt; es gab Kritik an der Amtsführung des Parteichefs, dem mit Blick auf durchgängig schlechte Umfragewerte der Vorwurf gemacht wurde, es versäumt zu haben, einen nachhaltigen Amtsbonus aufzubauen. Als Hypothek erwies sich auch der Stil, mit dem 2008 die Regierungsbildung erfolgt war, im Zuge derer überraschend zwei populäre Landesrätinnen gegen ihren Willen und ihre Erwartung nicht berücksichtigt wurden: Elisabeth Zanon (die sich, laut Umfragen beliebteste Politikerin im Land, unmittelbar nach der Wahl als chancenreiche Anwärterin für die Nachfolge van Staas gesehen hatte) sowie Anna Hosp, ehemalige Hauptgeschäftsführerin der Landespartei und zuletzt als Landesrätin mit Schlüsselagenden wie Personal, Raumordnung und Gemeindeangelegenheiten betraut, überdies in der Wahl 2008 als Spitzenkandidatin im Bezirk Reutte überdurchschnittlich erfolgreich.2 Um Letztere, so wurde schon Mitte 2012 kolportiert, begann sich eine Gruppe prominenter Exponenten der Partei zu formieren, in der Absicht, mit einer eigenen Liste – nachgerade ein Déjà-vu zu 2008 – den amtierenden Parteichef und Landeshauptmann zu Fall zu bringen. Diverse Medienberichte wurden von den Betroffenen vorerst aber weder bestätigt noch dementiert. Schlagartig öffentlich wurden die innerparteilichen Spannungen rund um die Gemeinderats- und Bürgermeisterwahl in der Landeshauptstadt Innsbruck. Seit 1994 der damalige ÖVP-Bürgermeister von seinem mit eigener Liste – „Für Innsbruck“ – antretenden innerparteilichen Herausforderer Herwig van Staa aus dem Amt gehebelt worden war, hatte dieser es bis zu seiner Wahl zum Landeshauptmann (2002) innegehabt. Die Mutterpartei ÖVP spielte im Stadtparlament eine Randrolle. Van Staas Nachfolgerin Hilde Zach hielt das Amt bis 2010 und übergab an Christine Oppitz-Plörer. Letztere stellte sich 2012 der – nach einer Novelle des Innsbrucker Stadtrechts erstmals durchgeführten – Direktwahl und sah sich dabei unerwartet einem Überraschungskandidaten aus den Reihen der ÖVP (Christoph Platzgummer) gegenüber. Die Wahlauseinandersetzung war begleitet von heftigem Schlagabtausch3, in der Stichwahl obsiegte schließlich die Amtsinhaberin. Als Konsequenz wurde die ÖVP erstmals nicht mit einem Ressort in der Stadtregierung betraut, vielmehr bildete Für Innsbruck eine Arbeitsgemeinschaft mit Grünen und SPÖ.
Ihren Höhepunkt erreichte die Kontroverse schließlich bei der Landtagswahl im darauf folgenden Jahr, bei der Oppitz-Plörer neben Anna Hosp als Mitbegründerin einer gegen Landeshauptmann und VP-Parteichef Günther Platter antretenden Liste „Vorwärts Tirol“ auftrat. Als Reaktion darauf wurden sie gemeinsam mit anderen Proponenten der Liste aus der ÖVP ausgeschlossen (was seinerzeit, sei an dieser Stelle angemerkt, bei van Staa – der 1994 in Innsbruck mit eigener Liste gegen den VP-Bürgermeister antrat – nicht der Fall gewesen war).
3. Die Wahl: Ergebnisse und Wählerströme
Nachdem, mit Blick auf die seit einem Jahr gelb-grün-rot regierte Landeshauptstadt, erstmals in der Geschichte des Landes eine Dreierkoalition ohne Beteiligung der ÖVP als mögliche (wenn auch wenig realistische) Variante für die nächste Landesregierung ins Spiel gebracht worden war, änderte die ÖVP kurzfristig ihre Wahlkampfstrategie und warb fortan mit der Warnung „Wir oder das Chaos“. Unberührt vom tatsächlichen Rückhalt Platters in der Partei, verstärkte die ausgegebene Parole die Sorge, dass am Ende tatsächlich eine Landesregierung ohne Beteiligung der ÖVP zustande kommen könnte; das erklärt wohl zum Gutteil die große Zahl an Bürgermeistern, die der Aufforderung, dem Personenkomitee des Spitzenkandidaten beizutreten, Folge leisteten.
Das Konzept ging insofern auf, als die ÖVP mit einem Rückgang von 40,5 auf 39,4 Prozent weniger als in den Umfragen prognostiziert verlor, während Vorwärts Tirol zwar auf Anhieb 9,5 Prozent erzielte, damit aber doch deutlich unter dem noch wenige Wochen vor dem Wahltag für möglich gehaltenen Ergebnis zwischen 15 bis 20 Prozent blieb.
In Bezug gesetzt zur Geschichte der Landtagswahlen seit 1945 markieren die Wahlen von 2008 und 2013 – ebenso wie 1989 – bemerkenswerte Zäsuren: 2008, unter van Staa, fiel die Partei von rund 50 auf nur mehr knapp über 40 Prozent Stimmenanteil; 2013, unter Platter, konnte die Partei diesen Verlust nicht nur nicht wettmachen, sondern büßte ein weiteres Mal Stimmenanteile ein und liegt nun unter 40 Prozent (siehe Tabelle 1). Von einer absoluten Mandatsmehrheit im Landtag ist die ÖVP heute weiter entfernt denn je. Und wie die Wahlergebnisse zeigen, durchläuft Tirols Parteienlandschaft, ablesbar am Pedersen-Index4, einen fortdauernden beschleunigten Wandel, was sich stärker als je zuvor in den Werten für die letzten beiden Wahlen mit ihren massiven Verschiebungen der Stimmenanteile ausdrückt.
Besonders markant heben sich die Wählerprofile der Listen Fritz und Vorwärts Tirol ab. Deren größte Gemeinsamkeit liegt zunächst darin, dass es sich in beiden Fällen um Abspaltungen von der Tiroler Volkspartei handelt. Motor und zentrale Leitfiguren waren hier wie dort in der Parteihierarchie maßgebliche Exponenten gewesen. In beiden Fällen waren die Initiatoren bemüht, Mitstreiter aus anderen Lagern zu gewinnen, mit einer allerdings durchgängig deutlichen Mehrheit von Exponenten mit ÖVP-Hintergrund: Vier von den sieben 2008 in den Landtag einziehenden Abgeordneten der Liste Fritz (Dinkhauser eingerechnet) waren dem AAB angehörende Funktionäre der AK Tirol. Das Faktum, dass von den vier seit 2013 im Landtag vertretenen Abgeordneten der Liste Vorwärts Tirol drei aus den Reihen der ÖVP kommen, wird allenfalls dadurch verstellt, dass der Spitzenkandidat und nunmehrige Klubobmann ehemaliger Landesrat für die SPÖ ist und erst 2012, also vergleichsweise knapp vor der Wahl, aus der Partei ausgetreten ist.
Ein gänzlich anderes Bild als die politische Herkunft der Abgeordneten der beiden Listen liefert der Blick auf die Herkunft der jeweiligen Wählerschaft. Sowohl für die Wahl 2008 als auch für 2013 zeigen die Wählerstromanalysen, dass die gewonnenen Wählerstimmen alles andere als überwiegend von der ÖVP stammen (siehe Tabelle 2). Die Liste Fritz holte sich von allen Parteien die meisten Stimmen von der SPÖ und den Grünen (16 bzw. 14 Prozent), von der ÖVP dagegen lediglich 12 Prozent. Am bemerkenswertesten freilich ist der Umstand, dass mehr als die Hälfte (53 Prozent) aus dem Segment der Nichtwähler kamen. 2013 ist die Zusammensetzung naturgemäß deutlich anders: Zum einen gibt es – bei in Summe stark gesunkenem Stimmenanteil – erstmals eine Behalterate (Wähler, die auch 2008 für die Liste gestimmt hatten), die mit 46 Prozent am höchsten ausfällt; von den konkurrierenden Parteien traf es diesmal relativ am stärksten mit 22 Prozent die ÖVP.
Die Zusammensetzung der Wählerschaft von Vorwärts Tirol zeigt sich im Vergleich dazu markant anders: Abgesehen von den 21 Prozent, die beim letzten Mal Liste Fritz gewählt hatten, sticht am stärksten der hohe Anteil ehemaliger ÖVP-Wähler ins Auge. Mit 42 Prozent ist der Wert hier wesentlich höher als der aller anderen Parteien, ein Indikator für die ÖVP-Affinität dieser Liste. Vorwärts Tirol hatte im Wahlkampf – deutlicher als 2008 Dinkhauser, dessen Wahlkampf mit seinem AK-Hintergrund stärker sozialpolitisch konnotiert war (und damit auch bei SPÖ-Wählern punktete) – klargemacht, dass sie gegen den Amtsinhaber antrat und nicht gegen die ÖVP als Partei.5 Auffallend am Rande ist bei Vorwärts Tirol der mit nur vier Prozent eklatant niedrige Anteil ehemaliger SPÖ-Wähler – die vormalige Parteizugehörigkeit ausgerechnet des Spitzenkandidaten von Vorwärts hatte faktisch keinen sich in Stimmengewinnen niederschlagenden Effekt.
4. Tirols Parteiensystem im Umbruch
Der dynamische Wandel der Parteienlandschaft findet seinen Niederschlag auch in der Mandatsstärke der im Tiroler Landtag vertretenen Parteien (siehe Abbildung 1). In einer ersten Phase ist dieser Prozess wenig spektakulär verlaufen, inner- und zwischenparteiliche Konflikte wurden auf vergleichsweise geringer Intensitätsstufe ausgetragen. Die Hegemonie der ÖVP schien in einer Weise intakt geblieben zu sein, dass die Feststellung, der politische Wettbewerb in Tirol sei mit Blick auf die Marginalisierung der anderen Parteien in vieler Hinsicht zuvorderst eine innerparteiliche Angelegenheit der Volkspartei, durchaus nicht übertrieben war (Karlhofer 2004, 45). Seit den beiden Landtagswahlen 2008 und 2013 gilt das so nicht mehr. Im Landtag sind sechs Fraktionen vertreten (eine Zahl, bundesweit anzutreffen nur in Kärnten), eine siebte Liste (der BürgerKlub um Gurgiser) verfehlte zuletzt die Fünf-Prozent-Hürde nur knapp.
Abbildung 1: Mandatsstärke der im Tiroler Landtag vertretenen Parteien 1984–2013
Quelle: Amtliche Verlautbarungen (http://wahlen.tirol.gv.at/)
Zwei Aspekte verdienen in diesem Zusammenhang eine nähere Betrachtung: a) In welcher Weise haben sich die Beziehungen zwischen Opposition und Regierung verändert? b) Wie stabil sind die einzelnen Parteien, und wie stabil ist das Parteiensystem insgesamt?
a) Aufwertung der Opposition
Von einem „Mangel an Opposition“ (Pelinka 2004, 13–15), wie noch nach der Landtagswahl 2003 zu registrieren, kann seit 2008 keine Rede mehr sein. Die Beziehungen zwischen Opposition und Regierung im Landtag haben sich markant verändert:
Die Opposition verfügt seither über eine Gesamtgröße, die es – anders als in der Vergangenheit – möglich macht, sämtliche in der Geschäftsordnung vorgesehenen Kontrollinstrumente zu nutzen;
die Breite der Opposition mit vier Klubs erzeugt eine Art Profilierungsdruck untereinander, was sich in einer deutlichen Zunahme der parlamentarischen Initiativen widerspiegelt;
um die Hürde für die Inanspruchnahme einzelner Kontrollinstrumente nehmen zu können, ist die Bildung von Allianzen unabdingbar – mit der Bildung der gemeinsamen Plattform TOP6 nach der Wahl 2013 haben sich die vier Oppositionsparteien ein Instrument für die Koordinierung der Vorgangsweise bei bestimmten Fragen geschaffen; insbesondere gemeinsame Pressekonferenzen erzielen breite mediale Aufmerksamkeit.
b) Zur Stabilität der Parteien
Bei der Analyse des Tiroler Parteiensystems in seiner aktuellen Konfiguration ist vor allem zu beachten, dass zwei von ihnen – Fritz und Vorwärts Tirol – eine erst sehr kurze Geschichte aufweisen und sich daher die Frage erhebt, inwieweit sie in der Lage sind, Strukturen aufzubauen, die ihren Bestand auf Dauer sichern. Von den etablierten Parteien finden sich die SPÖ und die Grünen mit dem Wechsel von der Regierung in die Opposition und umgekehrt in einer neuen Rolle wieder, mit Rückwirkungen unvermeidlich auch auf das Binnenleben der Parteien. Bei der FPÖ sind, abgesehen von personellen Rochaden im Gefolge von Landtags- und Nationalratswahl, keine bemerkenswerten Veränderungen zu registrieren. Anders verhält es sich bei der ÖVP, jener Partei, von der zwei der Fraktionen im Landtag sich abgespalten haben und bei der sich daher vor allem die Frage nach ihrer Integrationsfähigkeit stellt. Diese Frage ist Thema des abschließenden Kapitels dieses Beitrags.
FRITZ: Die Liste Fritz, 2008 mit sieben Mandaten in den Landtag eingezogen und nun auf zwei geschrumpft, verfügt damit gerade noch über (den in Tirol niedrig angesetzten) Klubstatus und kann – mit der damit verbundenen Klubförderung – ihre parlamentarische Tätigkeit in vollem Umfang wahrnehmen. Als kleinste Fraktion ist sie aber bei der Wahrnehmung von Minderheitenrechten fast ausnahmslos auf gemeinsames Vorgehen mit anderen Parteien angewiesen. 2008 ohne Verankerung in den Gemeinden angetreten, hat die Partei es nicht geschafft, für die Kommunalwahlen 2010 ihr Ziel eines nachholenden Aufbaus regionaler und kommunaler Strukturen mit Kandidatur in 50 Gemeinden (Ernst 2009, 76) einzulösen, und ist damit in der „Fläche“ kaum präsent. Kommt es mit der zum Jahresende 2013 gestarteten Novellierung des Flurverfassungsgesetzes zu einer zufriedenstellenden Lösung des Streitthemas Agrargemeinschaften, kommt der Liste ein Thema abhanden, mit dem sie sich als Oppositionspartei in der vergangenen Periode am meisten profiliert hatte.
Vorwärts Tirol: Mit ihrer kurzfristigen Kandidatur bei der Wahl 2013 war die Partei eine, wie oben geschildert, ernsthafte Herausforderung für den amtierenden Landeshauptmann. Nachdem die Partei dann aber schlussendlich schlechter als erwartet abgeschnitten hatte, folgte ein Szenario, wie bei Parteien mit weniger Mandaten als Anwärtern häufig zu beobachten ist. Im Streit um einen Mandatsverzicht verselbständigten sich die vier Klubmitglieder von der Partei. Folge der Trennung war, dass die Partei keinen Anspruch auf Parteienförderung anmelden konnte und die Kontrahenten nach der Rückforderung eines Darlehens durch einen Sponsor gegeneinander prozessierten. Bei nicht abzusehendem Ausgang des Zivilverfahrens bestrebt, finanzielle Haftungen größeren Umfangs zu vermeiden, gaben Parteivorsitzende Anna Hosp und Hans Lindenberger auf einem „Einigungsparteitag“ am 14.12.2013 ihren Rückzug aus dem Parteivorstand bekannt, Letzterer allerdings ohne Verzicht auf die Funktion des Klubobmanns. Die kurze Geschichte von Vorwärts Tirol ist von bizarren wechselseitigen Vorwürfen rund um Eitelkeit und Intrigen durchzogen.7 Politisches Profil ist wenig erkennbar, die Verankerung in der Hochburg Bezirk Reutte ist durch den Austritt Hosps nicht mehr gegeben. Nach dem Rückzug von Hosp und Oppitz-Plörer, beide offene Gegner von Platter, ist mit Blick auf den parteipolitischen Hintergrund von drei der vier Abgeordneten ein Brückenschlag zur ÖVP denkbar.
SPÖ: 2008 am stärksten von Abgängen in Richtung Liste Fritz betroffen, schaffte die SPÖ – jedenfalls den Umfragen zufolge – es nicht, im Laufe der Periode dieses historische Tief zu überwinden, und verlor 2013 weitere fast zwei Prozentpunkte. Obwohl Koalitionspartner, war es ihr nicht gelungen, das von politischen Gegnern und auch in den Medien immer wieder bemühte Bild vom „Ministranten“ der großen Regierungspartei loszuwerden. Das Einschwenken auf die Linie der Opposition auf dem kurz vor dem Wahltermin abgehaltenen Sonderlandtag zum Thema Agrargemeinschaften trug vermutlich wesentlich dazu bei, dass sie für die ÖVP nicht mehr als Koalitionspartner in Betracht kam und die Entscheidung schlussendlich zugunsten der Grünen ausfiel. Der Wechsel von der Regierungs- auf die Oppositionsbank machte finanzielle Engpässe ebenso wie inhaltliche Profilschwächen sichtbar. 2013 wurde eine zehnköpfige Arbeitsgruppe mit dem Auftrag, eine umfangreiche Parteireform auszuarbeiten, gebildet, Abschluss des Berichts und Beschluss über die Parteireform auf einem Landesparteitag sind für 2014 vorgesehen.8 Für die Oppositionsarbeit im Landtag mit ihrem Hintergrund als einzige Partei mit Regierungserfahrung ist die SPÖ ein wichtiger Player. Zugleich wäre sie, würde die schwarz-grüne Koalition vorzeitig scheitern, vermutlich wieder ein logischer Kandidat als Regierungspartner.
Die Grünen: Ungeachtet ihrer mehr als ein Vierteljahrhundert langen Geschichte liegt die Stärke der Grünen nach wie vor in den Städten, insbesondere dem Ballungsraum Innsbruck und Umgebung. In Innsbruck drittstärkste Partei und dort seit 2012 in Koalition mit Für Innsbruck und SPÖ, bei der Landtagswahl 2013 sogar stärkste Partei, sind die Grünen deutlich weniger mit internen Spannungen konfrontiert als die oben beschriebenen Parteien. Die Tiroler Grünen sind nicht die einzige an einer Landesregierung beteiligte Landesgruppe ihrer Partei; Beteiligungen gibt es mittlerweile – zum Teil schon seit längerer Zeit – auch in Oberösterreich, Wien, Kärnten und Salzburg. Mit der Übernahme sensibler Agenden, insbesondere Umwelt, Naturschutz und Verkehr, in Tirol allesamt besonders anfällig für die Zuspitzung von Interessenkonflikten, steht das politische Handeln hier immer in einem Spannungsfeld zwischen programmatischem Anspruch (verbunden mit Erwartungen der Parteibasis) und dem Zwang zu pragmatischer Realpolitik. Für ein Land wie Tirol ist die erstmalige Regierungsbeteiligung der Grünen (die Beteiligung 1994–1999 erfolgte seinerzeit unter anderen Prämissen) ohne Frage innovativ, zugleich aber auch mit der Unsicherheit unvermittelter Eskalation behaftet.
5. Reale Stärke und Perspektiven der Volkspartei
Die Tiroler Volkspartei hat mit den Landtagswahlen von 2008 und 2013, nach letzterer nun unter 40 Prozent liegend, ein Allzeittief erreicht. Nicht zwingend aber tangiert das die Mobilisierungsfähigkeit und das machtpolitische Netzwerk, auf das die Stärke einer Partei sich gründet, in gleichem Maße. Zwei Indikatoren für eine bis auf Weiteres gegebene Dominanz der VP in Tirols politischer Landschaft sind hier von besonderem Belang:
Reformresistenz der Bünde: Die Tiroler Volkspartei hat in den vergangenen 25 Jahren eine Entwicklung durchlaufen, in der besonders unter Weingartner eine Vielzahl an Initiativen gesetzt wurde, die Gewichte in der Partei gerade an neuralgischen Stellen zu verschieben und die Organisation neu aufzustellen.9 „Wir Tiroler“ war das für Außenstehende sichtbarste Produkt politischen Marketings; offene Vorwahlen und Personalisierung des Wahlrechts (Stichwort Direktstimme) flankierten eine Strategie, mit der der Begriff „Partei“ in der politischen Kommunikation so weit wie möglich ausgeblendet werden sollte.
In einer Partei aber, in der die maßgeblichen Kräfte, nämlich die Bünde, eigene Rechtspersönlichkeit haben und sich eigene Statuten geben – mit anderen Worten rechtlich völlig unabhängig von der Zentralgewalt der Parteileitung sind – müssen Vorstöße dieser Art unvermeidlich als Versuch der Schmälerung ihres Einflusses gewertet werden. Von der alten Konvention, wonach Landtagsmandate und Regierungssitze nach einem mit den Bünden auszuhandelnden Schlüssel zu besetzen sind, wollten diese nicht abweichen. Und sie tun das auch nicht: Im 2013 gewählten Landtag sind 15 der 16 VP-Mandatare bündisch zugeordnet, in der Regierung sind es fünf der sechs von ihr gestellten Mitglieder. Und was vor 20 Jahren im VP-Landtagsklub üblich war, nämlich dass die Abgeordneten sich getrennt nach ihrer bündischen Zugehörigkeit im Plenarsaal gruppierten (Nick 1993, 201), ist heute noch Praxis in der Partei, wenn auch, geschuldet der insgesamt deutlich kleineren Zahl, nicht gänzlich ohne räumliche Trennung: Eine durchgängige Reihe bildet laut Sitzplan aber weiterhin der Bauernbund.
Seit jeher wachen die Bünde eifersüchtig darüber, dass die von ihnen erwartete Quote berücksichtigt wird. Dass in der aktuellen Regierungsriege (inklusive Landeshauptmann) drei dem AAB zuzurechnen sind, ist fast als Revolution zu werten, war doch bis in jüngste Zeit herauf die Rangfolge immer 1. Bauernbund, 2. Wirtschaftsbund und 3. AAB gewesen (der AAB bescheidet sich im Gegenzug im Landtag nun mit drei Mandaten, je sechs stellen die beiden anderen Bünde). Entscheidend ist aber vor allem, dass mit der Präsenz der Bünde im Landtag eine enge Verschränkung mit der Interessenausrichtung der großen Kammern einhergeht; in allen dreien verfügen in Tirol die VP-Bünde über absolute Mehrheiten.
Verankerung der Partei in Wirtschaft und Gesellschaft: Parteien sind Gatekeeper für eine Vielzahl von Ämtern und Schaltstellen. Je ausgewogener das Stärkeverhältnis zwischen den Parteien, umso mehr sind Besetzungen Ergebnis von Verhandlungen. Dominante Parteien dagegen haben in dieser Hinsicht praktisch ein Beinahmonopol bei der Kontrolle von Verwaltung, Aufsichtsräten und Vorständen landeseigener und landesnaher Gesellschaften. Nun ist es zwar keine neue Erkenntnis, dass eine Personalauswahl für solche staatsnahen Unternehmen nach parteipolitischen Gesichtspunkten der Fachkompetenz eher nicht förderlich ist.10 Praktiziert wird sie dessen ungeachtet in Tirol so wie auch in den anderen Ländern und bundesweit.11
Die Verankerung der Tiroler Volkspartei reicht abseits staatsnaher Unternehmen bis weit in die freie Wirtschaft und die Gesellschaft hinein. Wie wirksam über dieses Linkage Netzwerke aktiviert werden können, zeigt das Beispiel der – von der Volkspartei nicht von ungefähr so gut wie exklusiv genutzten – Mobilisierung von Prominenz in Form von „Personenkomitees“. Das bei der Landtagswahl 2013 für Günter Platter gebildete Komitee umfasste nach Angaben der Partei mehr als 1.000 Unterstützer, darunter zahlreiche bekannte Namen aus Wirtschaft, Sport, Kultur und anderen Bereichen. Auch die Präsidenten aller drei großen Kammern traten dem Komitee bei. Abgesehen vom Aufgebot an Opinion Leadern und Prominenz liefert der Rückgriff auf diese Ergänzung zum regulären Wahlkampfbudget schon allein in finanzieller Hinsicht einen beträchtlichen – unter dem Gesichtspunkt der Transparenz allerdings nicht unproblematischen12 – Wettbewerbsvorteil.
Weiterer Vorteil der ÖVP: Sie ist nach wie vor die einzige im Land flächendeckend präsente Partei mit Ortsorganisationen in allen Gemeinden und verfügt mit ihrer bündischen Gliederung vielerorts sogar über ein mehrfaches Organisationsnetz, während die anderen Parteien meist große weiße Flecken auf ihrer politische Karte aufweisen. In kritischen Momenten, und die Landtagswahl 2013 war unübersehbar ein solcher, sind Loyalitätsbekundungen, intaktes Parteimanagement vorausgesetzt, unmittelbar und „vor Ort“ aktivierbar.
Was Tirols größte Partei aber von denen in anderen Bundesländern unterscheidet, ist ihre nachgerade inhärente, bis in die Gründungsphase der Partei zurückzuverfolgende Anfälligkeit für zentrifugale Tendenzen und Abspaltungen. Hatten sich in der Vergangenheit solche Listen aber über kurz oder lang wieder aufgelöst oder waren in die Partei reintegriert worden (etwa der AAB, der bei der Landtagswahl 1953 mit eigener Liste angetreten war), so sind die Freisetzungen der jüngeren Zeit irreversibel (Liste Fritz) oder zumindest schwierig (Vorwärts Tirol). Abzulesen ist die signifikant nachlassende Integrationskraft der VP besonders auch auf kommunaler Ebene. Die Volkspartei reklamiert zwar mehr als drei Viertel aller Bürgermeister für sich; abzulesen an den Listennamen, unter denen diese antreten, ist das aber keineswegs durchgängig. Seit Einführung der Bürgermeister-Direktwahl 1992 in Verbindung mit dem – für Tirol spezifischen – Listenkoppeln ist in vielen Gemeinden eine Eigendynamik zu beobachten, die sich darin äußert, dass Bürgermeister sich als allenfalls ÖVP-nah oder überhaupt als unabhängig begreifen.13
Einen verstärkenden Effekt hat in diesem Zusammenhang der Bruch der Partei mit Für Innsbruck. Bei regulärem Ablauf der Perioden von Landtag und Innsbrucker Gemeinderat finden für beide Körperschaften die nächsten Wahlen zeitgleich im Jahr 2018 statt – eine Herausforderung für die ÖVP, den Riss durch die Partei bis dahin zu überwinden.
Tabelle 1: Landtagswahlen 1945–2013 – Kräftekonfiguration der Parteien und Volatilität der Wählerschaft
Jahr |
ÖVP |
SPÖ |
FPÖ |
Grüne |
Fritz |
Vorwärts Tirol |
Sonstige |
Pedersen-Index |
1945 |
69,8 % |
28,0 % |
– |
– |
– |
– |
– | |
1949 |
56,4 % |
24,0 % |
17,4 % |
– |
– |
– |
2,2 % |
9,8 |
1953 |
57,7 % |
27,4 % |
13,3 % |
– |
– |
– |
1,6 % |
4,4 |
1957 |
59,3 % |
31,0 % |
8,5 % |
– |
– |
– |
1,2 % |
5,0 |
1961 |
59,6 % |
30,1 % |
9,1 % |
– |
– |
– |
1,2 % |
0,9 |
1965 |
63,5 % |
30,5 % |
6,0 % |
– |
– |
– |
0,0 % |
3,7 |
1970 |
60,5 % |
33,5 % |
5,7 % |
– |
– |
– |
0,3 % |
3,2 |
1975 |
61,1 % |
32,4 % |
5,9 % |
– |
– |
– |
0,6 % |
1,0 |
1979 |
62,8 % |
29,3 % |
6,8 % |
– |
– |
– |
1,1 % |
2,9 |
1984 |
64,6 % |
25,2 % |
6,0 % |
– |
– |
– |
4,2 % |
3,4 |
1989 |
48,7 % |
22,8 % |
15,6 % |
8,3 % |
– |
– |
4,6 % |
18,1 |
1994 |
47,3 % |
19,8 % |
16,1 % |
10,7 % |
– |
– |
6,1 % |
5,4 |
1999 |
47,2 % |
21,8 % |
19,6 % |
8,0 % |
– |
– |
3,4 % |
4,3 |
2003 |
49,9 % |
25,9 % |
8,0 % |
15,5 % |
– |
– |
0,7 % |
14,8 |
2008 |
40,5 % |
15,5 % |
12,4 % |
10,7 % |
18,4 % |
– |
2,5 % |
23,7 |
2013 |
39,4 % |
13,7 % |
9,3 % |
12,6 % |
5,6 % |
9,5 % |
9,9 % |
21,3 |
Quelle: Amtliche Verlautbarungen (http://wahlen.tirol.gv.at/); eigene Berechnungen
Tabelle 2: Zusammensetzung der Wählerschaft der Listen Fritz und Vorwärts Tirol*
Wähleranteile |
Fritz 2008 |
Fritz 2013 |
Vorwärts Tirol 2013 |
ÖVP |
12 % |
22 % |
42 % |
Fritz |
0 % |
46 % |
21 % |
SPÖ |
16 % |
5 % |
4 % |
Grüne |
14 % |
7 % |
8 % |
FPÖ |
5 % |
10 % |
6 % |
Sonstige |
0 % |
3 % |
2 % |
Nichtwähler |
53 % |
7 % |
16 % |
Gesamt |
100 % |
100 % |
**99 %** |
* Wählerströme in Bezug zur jeweils vorangegangenen Landtagswahl
** Rundungsfehler
Quellen: SORA, Landtagswahl Tirol 2008 (www.sora.at/themen/wahlverhalten/wahlanalysen/ltw-tir08.html); SORA/ISA, Wahlanalyse Landtagswahl Tirol 2013 (www.sora.at/themen/wahlverhalten/wahlanalysen/ltw-tir13.html)
Anmerkungen
1 Dieser Beitrag stützt sich auf Analysen des Autors zur Landtagswahl 2008 (Karlhofer 2009), zur Bilanz der Legislaturperiode 2008–2013 (Karlhofer 2013) und zur Landtagswahl 2013 (Karlhofer 2014); Kapitel 4 und 5 sind mit geringfügigen Änderungen bzw. Aktualisierungen aus dem zuletzt erschienenen Beitrag übernommen. Soweit andere Publikationen herangezogen werden, sind sie im Text sowie im Literaturverzeichnis angeführt.
2 Siehe dazu die Medienberichte in Radio Tirol Abendinformation, 22.7.2008; Der Standard, 23.7.2008, 8; Kronen Zeitung, 23.7.2008, 16.
3 Oppitz-Plörer bezichtigte in diesem Zusammenhang Parteiobmann Platter der „Günstlingswirtschaft“ (Die Presse, 14.5.2012, 4).
4 Der Pedersen-Index ist eine Messgröße für Veränderungen im Wahlverhalten und den damit verbundenen Auswirkungen auf das Kräfteverhältnis der Parteien. Der Index ist ein – im Grunde simples, dabei aber sehr effektives – Verfahren zur Erfassung der Wählerdynamik: Es werden die Verluste und Gewinne aller Parteien (ungeachtet von Plus und Minus) gegenüber der vorangegangenen Wahl addiert und durch zwei geteilt. Der sich daraus ergebende Wert berücksichtigt nicht (kann auch nicht berücksichtigen), wie die Wählerwanderungen zwischen einzelnen Parteien aussehen, vermittelt aber eine Vorstellung über das Parteiensystem insgesamt – ein niedriger Wert indiziert Stabilität, je höher der Wert, umso mehr spiegeln sich darin Dynamik und Wandel. Mit anderen Worten: Die mit dem Index gemessene Volatilität macht Zäsuren und Bruchstellen sichtbar, gibt Auskunft darüber, ob und in welchem Ausmaß an Stärke gewinnende und verlierende Parteien zur Neuausrichtung des Parteiensystems insgesamt beitragen.
5 Deutlicher Indikator dafür, dass das von vielen Wählern auch so verstanden wurde, ist das weit überdurchschnittliche Ergebnis (33,3 Prozent) von Vorwärts Tirol im Bezirk Reutte, dem Heimatbezirk von Anna Hosp – die ÖVP fiel hier von 55,8 auf 37,2 Prozent Stimmenanteil.
6 TOP steht für „Die Tiroler Opposition“, wird von den vier beteiligten Parteien als „gemeinsame Geburt“ bezeichnet und „soll drei bis vier Mal im Jahr einberufen werden, um bestimmte wichtige Themen zu fokussieren“ (SPÖ-Abgeordnete Elisabeth Blanik, zitiert nach Gerhard Pirkner, „Aus 4 mach 1. Opposition fühlt sich ,Top‘“, Dolomitenstadt, 19.8.2013).
7 Reinhard Fellner, „Lindenberger scheiterte mit Vorwärts-Klage gegen Hosp“, Tiroler Tageszeitung, 29.10.2013.
8 „Es soll ohne Tabus diskutiert werden, über Köpfe, über Positionen und über Inhalte“ (Parteivorsitzender Gerhard Reheis, zitiert nach Anita Heubacher, „Reheis installiert Reform-Gruppe, Chef nicht dabei“, Tiroler Tageszeitung, 2.10.2013). Die konfliktanfällige Suche nach neuen Strukturen führte unmittelbar nach Vorlage des ersten Zwischenberichts zum Eklat: Eine darin enthaltene Klausel, wonach Bürgermeister von Gemeinden ab 3.000 Einwohnern fortan kein Landtagsmandat mehr einnehmen sollen, hätte ausgerechnet die erfolgreichste Kommunalpolitikerin der Partei, die Bürgermeisterin von Lienz, zum Verlassen des Landesparlaments gezwungen (Tiroler Tageszeitung, 3.12.2013).
9 Die Reorganisierung und Straffung des Parteiapparats durch Helmut Krieghofer, von 1991 bis 2000 Hauptgeschäftsführer der Partei, unterstützt durch Politikberater Rainer Nick, war notwendig und im Sinne einer Professionalisierung des Parteimanagements auch erfolgreich. Der Versuch, die VP stärker als Wähler- denn als Mitgliederpartei zu positionieren, stieß allerdings auf Kritik. So warnte Robert Fiala, als langjähriger Parteisekretär Vorgänger Krieghofers, in einem Interview davor, dass mit dem Wegfallen „einer dichten bis auf die Ortsebene hinabreichenden Mitgliederorganisation die historisch gewachsene Partei als solche kaum Überlebenschancen habe, weil das Gefühl der Zusammengehörigkeit verloren gehe“ (zitiert nach Gehler 2004, 261).
10 Einen ausführlichen Problemaufriss dazu liefert Kruse (2008).
11 Abgewichen von diesem Muster sind erstmals die Tiroler Grünen, die im Gefolge der Regierungsbildung für ein ihnen „zustehendes“ TIWAG-Aufsichtsratsmandat eine Expertin ohne Parteizugehörigkeit namhaft machten.
12 Seitens des Rechnungshofs werden Personenkomitees wegen der fehlenden Kontrollmöglichkeiten als mögliche „Wahlkampf-Blackbox“ zur Umgehung der gesetzlichen Deckelung der Wahlkampfkosten kritisiert. Komitees dieser Art geben – unabhängig vom regulären Wahlkampfbudget – teilweise höhere Beträge für Inserate aus, als andere Parteien insgesamt zur Verfügung haben. Die Liste Fritz etwa inserierte bei der Wahl 2013 für 120.000 Euro als Partei, die Inseratenwerbung des Komitees für Platter belief sich, zusätzlich zur Werbung der Partei, auf 131.000 Euro (APA, 9.7.2013).
13 Ausführlich dazu siehe das Länderprofil für Tirol von Karlhofer (2013a).
Literaturverzeichnis
Dinkhauser, Fritz (2013). Vom Umbruch zum Aufbruch, in: Karlhofer, Ferdinand/Pallaver, Günther (Hg.). Politik in Tirol. Jahrbuch 2013, Innsbruck/Wien/Bozen: Studienverlag, 38–43
Ernst, Bernhard (2009). FritzSplitter, in: Karlhofer, Ferdinand/Pallaver, Günther (Hg.). Politik in Tirol. Jahrbuch 2009, Innsbruck/Wien/Bozen: Studienverlag, 72–77
Gehler, Michael (2004). Aufbrüche zur Postmoderne. Die Amtszeit von Tirols Landeshauptmann Wendelin Weingartner 1993–2002, in: Karlhofer, Ferdinand/Pelinka, Anton (Hg.). Politik in Tirol, Innsbruck/Wien/Bozen: Studienverlag, 245–276
Karlhofer, Ferdinand (2004). Das Parteiensystem, in: Karlhofer, Ferdinand/Pelinka, Anton (Hg.). Politik in Tirol, Innsbruck/Wien/Bozen: Studienverlag, 27–48
Karlhofer, Ferdinand (2009). Zeitenwende oder Zwischenspiel? Die Landtagswahl 2008 und die Folgen, in: Karlhofer, Ferdinand/Pallaver, Günther (Hg.). Politik in Tirol. Jahrbuch 2009, Innsbruck/Wien/Bozen: Studienverlag, 9–26
Karlhofer, Ferdinand (2013). Bruch, Kontinuität und neue Dynamik, in: Karlhofer, Ferdinand/Pallaver, Günther (Hg.). Politik in Tirol. Jahrbuch 2013, Innsbruck/Wien/Bozen: Studienverlag, 11–28
Karlhofer, Ferdinand (2013a). Tirol, in: Karlhofer, Ferdinand/Pallaver, Günther (Hg.). Gemeindewahlen in Österreich im Bundesländervergleich, Innsbruck/Wien/Bozen: Studienverlag, 129–148
Karlhofer, Ferdinand (2014). Abschied von der Dominanz. Fragmentierung der Volkspartei und neue Konturen im Parteiensystem, in: Karlhofer, Ferdinand/Pallaver, Günther (Hg.). Politik in Tirol. Jahrbuch 2009, Innsbruck/Wien/Bozen: Studienverlag, 9–33
Kruse, Jörn (2008). Parteien-Monopol und Dezentralisierung des demokratischen Staates, in: Vollmer, Uwe (Hg.). Ökonomische Analyse politischer Institutionen, Berlin: Duncker & Humblot, 41–47
Nick, Rainer (1993). Die Tiroler Demokratie, in: Weingartner, Wendelin (Hg.). Nachdenken über Tirol, Innsbruck: Haymon, 200–204
Pelinka, Anton (2004). Das Regierungssystem, Karlhofer, Ferdinand/Pelinka, Anton (Hg.). Politik in Tirol, Innsbruck/Wien/Bozen: Studienverlag, 9–26
Rauch, Hannes, Der Tiroler Weg, in: Karlhofer, Ferdinand/Pallaver, Günther (Hg.). Politik in Tirol. Jahrbuch 2009, Innsbruck/Wien/Bozen: Studienverlag, 67–72
SORA, Landtagswahl Tirol 2008. www.sora.at/themen/wahlverhalten/wahlanalysen/ltw-tir08.html (6.2.2014)
SORA/ISA, Landtagswahl Tirol 2013. www.sora.at/themen/wahlverhalten/wahlanalysen/ltw-tir13.html (6.2.2014)
Abstracts
Le elezioni provinciali tirolesi del 2013
In occasione delle elezioni provinciali tirolesi del 2013 la Tiroler Volkspartei ha registrato il livello dei consensi più basso di tutti i tempi, meno del 40 per cento. I retroscena e gli eventi antecedenti che hanno portato a questo risultato sono molto simili a quelli che hanno caratterizzato le elezioni del 2008: anche allora alcuni conflitti interni avevano portato alla spaccatura di una lista della Volkspartei.
Con queste due tornate elettorali è cambiato il panorama partitico e la Tvp ha perduto il suo predominio decennale. Il presente contributo si occupa dei risultati e delle correnti di voti ed, in particolare, del declino della forza aggregativa della Volkspartei.
La veles dl Cunsëi dl raion Tirol 2013
Pra la veles dl Cunsëi dl raion Tirol dl 2013 à la Tiroler Volkspartei da mustré su l cunsëns plu bas da for cun manco dl 40 %. L dovia y la storia danora de chisc evënc ie bëndebò daujin a chëla dla veles dl 2008: nce ntlëuta ova cunflic interns purtà pro che na lista se ova spartì dala lista dla Volkspartei. Cun chësta doi veles se à mudà l mond di partic y la TVP à perdù si preduminanza che durova da dejeneies. L cuntribut se dà ju cun i resultac y l muvimënt dla ujes y n chësc cont dantaldut cun la forza integrativa che se à smendrà da pert dla Volkspartei.
2013 Tyrolean state election
With the state election on 28 April 2013 the Tyrolean People’s Party fell to an all-time low of less than 40 percent. The background of this result closely resembled the 2008 election when, like now, internal rivalry in the People’s Party led to a split. The outcome of these elections has changed the political constellation, with the People’s Party losing much of its decades-long predominance. The article gives an analysis of results and voter shifts in the 2013 election, with a focus on the reasons for the declining cohesion of the People’s Party.