Harald Prosch
Die Position der Südtiroler Volkspartei (SVP) zur Integration ausländischer StaatsbürgerInnen
1. Einleitung
Durch die zunehmende Zahl der ausländischen StaatsbürgerInnen in Südtirol seit den 1990er-Jahren haben die Themen Migration und Integration auch für die politischen AkteurInnen in Südtirol an Relevanz und Aktualität gewonnen. Das spezielle Forschungsinteresse dieses Artikels stellt dabei der Umgang der Südtiroler Volkspartei (SVP) als Sammelpartei der autochthonen Minderheiten der deutschen und ladinischen Sprachgruppe mit den „neuen“, migrationsbedingten Minderheiten in Südtirol dar. Der starke Fokus der Partei auf den Faktor Ethnizität und ihre interne Heterogenität sind weitere Faktoren, welche es von Interesse erscheinen lassen, die politische Position der SVP zur Integration ausländischer StaatsbürgerInnen in Südtirol zu untersuchen.
Nach einer kurzen Einleitung über die Geschichte der Migration in Südtirol und die SVP wird der theoretische Rahmen zum Thema Integration dargestellt. Das Integrationskonzept von Ager/Strang sowie die Integrationsmodelle nach Castles dienen dabei als Kategorien für den empirischen Teil des Artikels. In diesem werden das SVP-Positionspapier „Fordern und Fördern“ (SVP 2010), das Südtiroler Integrationsgesetz (Landesgesetz 2011), das SVP-Wahlprogramm aus dem Jahr 2013 (SVP 2013) sowie das Koalitionsabkommen zwischen der SVP und dem Partito Democratico (PD) vom Dezember 2013 (Koalitionsabkommen 2013) inhaltsanalytisch untersucht. Zusätzlich zur Dokumentenanalyse wurden Interviews mit ExpertInnen geführt, welche ebenfalls in die Analyse einfließen. Abschließend wird versucht, die Frage nach der politischen Positionierung der Südtiroler Volkspartei zur Integration ausländischer StaatsbürgerInnen zu beantworten.
2. Migration und die Südtiroler Volkspartei
2.1. Migration in Südtirol
Die Geschichte der deutsch- und ladinischsprachigen Bevölkerung Südtirols war bis in die 1990er-Jahre mit wenigen Ausnahmen von Auswanderung geprägt. Hinzu kamen innerstaatliche Migrationsströme nach Südtirol nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Durch die Veränderung der geopolitischen Situation in Europa mit dem Fall der Berliner Mauer und den Jugoslawienkriegen kam es dazu, dass erstmals mehr Menschen nach Südtirol einwanderten, als im Gegenzug das Land verließen. (vgl. Girardi 2011, 78–80). Seit 2003 nehmen die Migrationsströme aus allen geografischen Herkunftsregionen weltweit zu (vgl. Medda-Windischer/Girardi 2011, 17–18). Mit Ende des Jahres 2012 waren circa 42.500 ausländische StaatsbürgerInnen in Südtirol ansässig. Das entspricht einem Anteil von 8,3 Prozent an der Gesamtbevölkerung Südtirols (vgl. Astat 2013, 2–3). Ein Drittel der ausländischen StaatsbürgerInnen in Südtirol stammt aus einem EU-Mitgliedsstaat, ein weiteres Drittel der Menschen kommt aus einem europäischen Land, welches nicht der Europäischen Union angehört. Das dritte Drittel bilden Menschen asiatischer (16,5 %) und afrikanischer Herkunft (12,7 %) (vgl. Astat 2012, 9–11).
2.2. Die Südtiroler Volkspartei
Die Südtiroler Volkspartei ist nach ihrer Selbstdefinition die Sammelpartei aller deutsch- und ladinischsprachigen SüdtirolerInnen und kann als ethnoregionale Partei klassifiziert werden. Der Politikwissenschaftler Günther Pallaver bezeichnet die SVP als „moderne, christlichsozial-konservative Partei, die […] nach links blickt“ (2007, 634). Seit ihrer Gründung im Jahre 1945 nimmt die SVP eine „hegemoniale Stellung“ (2007, 629) im politischen System Südtirols ein, was sich darin manifestiert, dass die Partei bis zu den Südtiroler Landtagswahlen im Jahr 2013 die absolute Mehrheit an Stimmen und Mandaten erreicht hat.1 Ihr Anspruch, die deutsche und ladinische Volksgruppe zu vertreten, macht sie zu einer Sammelpartei, in der die Ethnizität den gemeinsamen, verbindenden Faktor darstellt (vgl. Pallaver 2007, 629–637).
3. Integration
3.1. Inhaltliche Dimension des Integrationsbegriffes
Unter „Integration“ (lateinisch für Einbeziehung) wird allgemein die „Entstehung oder Herstellung einer Einheit oder Ganzheit aus einzelnen Elementen“ (Nohlen 2010, 412) verstanden. In einem weiteren Schritt kann man zwischen der Ebene der Systemintegration und jener der Sozialintegration unterscheiden. Bei der Systemintegration geht es um die Einbindung von Personen oder Gruppen in das institutionelle Grundgefüge, bei der Sozialintegration um die Einbindung individueller AkteurInnen in die Gesellschaft (vgl. Fassmann 2006, 226; Esser 2001, 1). Fassmann betont zudem, dass ZuwandererInnen aufgrund des Wechsels ihres Wohnsitzes „immer Teil einer aufnehmenden Gesellschaft, aber auch, oder noch immer, auch der Herkunftsgesellschaft“ (2006, 227) seien.
Stephen Castles beschreibt mehrere Modelle von Integration und unterscheidet dabei zwischen „differenzieller Exklusion“, „Assimilation“ und „Multikulturalismus“/„Pluralismus“ (vgl. Castles 2000, 134). Der Autor betont, dass auch Übergangsformen zwischen den Modellen möglich seien.
a) Differenzielle Exklusion
In diesem Modell nach Castles haben MigrantInnen Zugang zu bestimmten gesellschaftlichen Bereichen wie beispielsweise dem Arbeitsmarkt, bleiben jedoch von anderen gesellschaftlichen Bereichen wie dem Gesundheitssystem, der Staatsbürgerschaft und der politischen Partizipation ausgeschlossen. MigrantInnen werden zu ethnischen Minderheiten und bleiben von einer vollständigen gesellschaftlichen Partizipation ausgeschlossen.
Das Modell der differenziellen Exklusion findet man häufig in Ländern, wo das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Nation mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe verbunden wird. Diese Länder sind laut Castles oftmals nicht gewillt, MigrantInnen und deren Nachkommen als Mitglieder ihrer Gesellschaft zu akzeptieren. Sie sehen die Akzeptanz einer neuen sprachlichen und kulturellen Vielfalt als Bedrohung für die nationale Kultur an. MigrantInnen werden als temporäres Phänomen angesehen, ihre Ansiedelung wird durch strenge Vorschriften bezüglich des Wohnsitzes und des Familiennachzugs erschwert (vgl. Castles 2000, 135–136).
b) Assimilation
Beim Modell der Assimilation handelt es sich um einen einseitigen Prozess der Anpassung vonseiten der MigrantInnen an die Aufnahmegesellschaft. Dabei wird von den MigrantInnen erwartet, dass sie ihre eigenen sprachlichen, sozialen und kulturellen Eigenheiten aufgeben. Am Ende sind sie von der Mehrheitsgesellschaft nicht mehr zu unterscheiden. Wenngleich Anpassung einen graduellen Prozess darstellt, bleibt das Ziel die vollständige Übernahme der dominanten Aufnahmekultur. Staaten, in denen man assimilatorische Züge beobachten kann, definieren ihr Zugehörigkeitsgefühl sowohl über die Mitgliedschaft in der politischen Gemeinschaft als auch über das Teilen einer gemeinsamen Kultur (vgl. Castles 2000, 137–138).
c) Multikulturalismus oder Pluralismus
Ein ethnokultureller Pluralismus ist laut Castles durch die Akzeptanz der MigrantInnen als ethnischer Gemeinschaft und Rücksicht auf deren Sprache und Kultur gekennzeichnet. In einem pluralistischen Modell sollten gleiche Rechte für alle Menschen in allen Bereichen der Gesellschaft vorherrschen. Die MigrantInnen müssen ihre Diversität nicht aufgeben, allerdings wird eine Übereinkunft über wesentliche gesellschaftliche Werte erwartet. Dieses Modell findet sich in den „klassischen“ Einwanderungsländern USA, Kanada und Australien (vgl. Castles 2000, 139–140).
3.2. Analytische Dimension des Integrationsbegriffes
Der Begriff „Integration“ wird mit verschiedensten Bedeutungen verwendet. Alastair Ager und Alison Strang unternehmen in ihrer Studie den Versuch, einen konzeptionellen Rahmen zu Integration zu entwickeln. Dieser Rahmen enthält zehn Kernbereiche, welche normative Verständnisse des Begriffes reflektieren und einen potenziellen Analyserahmen für die gesellschaftliche Realität darstellen sollen. Die zehn Bereiche sind in die vier Kategorien unterteilt: erstens, Kennzeichen und Mittel (dazu zählen Beschäftigung, Wohnen, Bildung, Gesundheit); zweitens, soziale Beziehungen (Rechte, StaatsbürgerInnenschaft); drittens, Unterstützer (soziale Bindungen, soziale Brücken, soziale Anbindung) und viertens, Grundlagen von Integration (Spache und kulturelles Wissen, Sicherheit und Stabilität) (vgl. Ager/Strang 2008, 170).
Die Bereiche Beschäftigung, Wohnen, Bildung und Gesundheit gelten laut Ager/Strang (2008, 173) als wesentliche Bestandteile für eine erfolgreiche Integration. Die Bereiche StaatsbürgerInnenschaft und Rechte für MigrantInnen stellen für die AutorInnen notwendige Grundlagen für ein Verständnis von Integration dar (vgl. Ager/Strang 2008, 173). Den sozialen Beziehungen kommt eine wesentliche Vermittlerrolle im Integrationsprozess zu. Sie stehen zwischen formalen Prinzipien wie der StaatsbürgerInnenschaft und den Rechten von MigrantInnen einerseits und dem Einfluss von Faktoren wie Beschäftigung, Wohnen, Bildung und Gesundheit andererseits. Die sozialen Beziehungen stellen ebenfalls einen Faktor für das Konzept der Integration als beidseitigem Prozess dar (vgl. Ager/Strang 2008, 177–181). Inklusion und Exklusion handeln auch vom Umgang mit Barrieren, die einer Integration im Weg stehen und die ökonomische und soziale Partizipation in die Gesellschaft hemmen. Ager/Strang definieren die Bereiche Sprache und kulturelles Wissen sowie Sicherheit als Felder, wo solche potenziellen Barrieren bestehen. Zu diesen zählen beispielsweise das Fehlen sprachlicher und kultureller Kompetenzen, Angst und Instabilität (vgl. Ager/Strang 2008, 181–184).
3.3. Politische Parteien und Migration/Integration
In den Publikationen zu Migrationspolitiken spielen politische Parteien trotz ihrer zentralen Rolle im gesellschaftlichen und politischen Prozess meist nur eine geringe Rolle. Triadafilopoulos/Zaslove (2006) glauben, dass die These des sogenannten hidden consensus damit zu tun haben könnte, verstanden als ein „versteckter Konsens“ zwischen den Mitte-links- und Mitte-rechts-Parteien, nach dem die Beteiligten es bevorzugen würden, das Thema Migration in verschiedene Unterbereiche aufzuteilen und sich mit den jeweils betroffenen AkteurInnen abseits jeder Öffentlichkeit zu verständigen. Gründe dafür sind laut den Autoren das Interesse der Massenparteien, die eigenen Wählerschaften und parteiinterne Fraktionen nicht gegen sich aufzubringen, rassistische Tendenzen innerhalb der Bevölkerung zu umgehen und ihr Bemühen, die relativ liberalen Positionen zum Thema Einwanderung trotz einer mehrheitlich negativen Einstellung der Bevölkerung gegenüber MigrantInnen aufrechtzuerhalten. Eine Ausnahme stellen in dieser Hinsicht radikale Mitte-rechts-Parteien dar, welche Einwanderung als zentrales Element ihrer ideologischen Überlegungen und ihrer Wahlkämpfe präsentieren (vgl. Triadafilopoulos/Zaslove 2006, 171).
3.4. Nationale Minderheiten und Migration in Südtirol
Roberta Medda-Windischer stellt in ihrem Artikel „Diversity Management ‚neuer Minderheiten‘ in Alto Adige/Südtirol“ die Frage, ob der Schutz der autochthonen Minderheiten die Entstehung einer pluralistischen und toleranten Gesellschaft fördert oder eher hemmt (vgl. Medda-Windischer 2011, 19). Die Autorin bezeichnet die Haltung der SVP gegenüber Migration und der damit einhergehenden Vielfalt als „defensiv“ (2011, 21) und begründet dies mit der wesentlichen Zielsetzung der Partei, dem Schutz und der Förderung der deutschen und ladinischen Minderheit. Medda-Windischer konstatiert, dass Fragen bezüglich der Identität sowie möglicher Konflikte durch die entstehende Diversität „vorzugsweise der italienischen Gemeinschaft“ (2011, 28) überlassen werden. Gleichzeitig erkennt die Autorin aber auch Anzeichen dafür, dass innerhalb der deutschen Sprachgruppe und der SVP diesbezüglich ein Umdenken stattfindet und es erste Anzeichen einer Annäherung zwischen den „alten“, traditionellen, und den „neuen“ Minderheiten in Südtirol gebe (vgl. Medda-Windischer 2011, 31).
Lorenzo Piccoli stellt die Identität von nationalen Minderheiten und die Integration von MigrantInnen in einen Zusammenhang und vergleicht Südtirol und Quebec. Piccoli kommt für das Fallbeispiel Südtirol zum Schluss, dass die politischen Eliten im offiziellen Diskurs eine Bereitschaft zu einem beidseitigen, multikulturellen Inklusionsprozess vertreten, unter der Oberfläche aber nationalistische Interessen zur Bewahrung einer bestimmten Kultur und Identität dominant seien (vgl. Piccoli 2013, 16). In Bezug auf die politischen Maßnahmen schlussfolgert der Autor, dass sich die politischen Eliten Südtirols im Gegensatz zu jenen in Quebec nicht unter Druck fühlen würden, dass die Sprache der Minderheit an Bedeutung verlieren oder gar verschwinden könne. Die These, wonach die SVP praktische Maßnahmen treffe, um MigrantInnen entweder in die eigene Sprachgruppe zu assimilieren oder zu marginalisieren, lässt sich nach Piccoli nicht bejahen. Er schreibt, dass es weder eine einseitige Assimilierung noch eine beidseitige multikulturelle Inklusion der MigrantInnen in die Aufnahmegesellschaft gebe. Die fragmentierte und unvollständige Debatte über das Südtiroler Integrationsgesetz im Jahre 2011 hat laut Piccoli (2013, 21) gezeigt, dass es Ängste gebe, eine Art Büchse der Pandora zu öffnen, welche die ethnischen Spannungen zwischen den gesellschaftlichen Gruppen verstärken könnte.
4. Inhaltsanalyse und Vergleich
4.1. Qualitative Inhaltsanalyse des SVP-Positionspapiers „Fordern und Fördern“
Das Positionspapier „Fordern und Fördern“ aus dem Jahre 2010 ist die einzige gesamtparteiliche Stellungnahme der SVP zum Umgang mit Migration und der Integration ausländischer StaatsbürgerInnen. Das Papier wurde von der parteiinternen „Antragsgruppe Integration“ sowie dem Sozialpartnerforum der Partei ausgearbeitet. Der Antragsgruppe gehörten unter anderem Magdalena Amhof sowie Philipp Achammer2 an. Achammer (2013, 45) betont, dass die Gruppe mit der Ausarbeitung dieses Positionspapiers versucht habe, das „sehr gefühlte und sehr emotionale Thema“ der Migration und Integration wieder auf eine Vernunftebene zurückzuführen.
Mit der Methode der inhaltlichen Strukturierung, einer Unterform der qualitativen Inhaltsanalyse, soll im Folgenden das SVP-Positionspapier analysiert werden. Die zehn Kernbereiche des Analyserahmens von Ager/Strang dienen dabei als Kategorien für die Analyse. Von Interesse erscheint dabei, auf welche Kernbereiche die SVP in ihrem Positionspapier eingeht und welchen Stellenwert sie ihnen beimisst. Das Ziel der Analyse ist es, die Position der Partei im Umgang mit der Integration ausländischer StaatsbürgerInnen zu charakterisieren.
In einer rein quantitativen Analyse fällt auf, dass am meisten Textstellen des Positionspapiers unter die Bereiche kulturelles Wissen, Sprache und Beschäftigung fallen. Das lässt vorläufig den Schluss zu, dass diese Bereiche für die Südtiroler Volkspartei wichtige Komponenten für eine Integration ausländischer StaatsbürgerInnen darstellen. Im Bereich der Kultur werden besonders die Rechtstaatlichkeit, die Verfassung sowie die Traditionen und gelebten Grundwerte häufig betont. Im Bereich der Sprache wird immer wieder deren wichtige Funktion für die Integration betont und auf die Notwendigkeit des Erlernens für die gesamte Familie verwiesen. Beschäftigung und die damit verbundene ökonomische Unabhängigkeit sowie der Kontakt mit Menschen der Aufnahmegesellschaft werden ebenfalls als wesentlicher Bestandteil für eine Integration von MigrantInnen festgemacht.
Die Bildung der MigrantInnen nimmt für die SVP ebenfalls einen wichtigen Stellenwert ein. Vor allem die Selbstständigkeit der MigrantInnen werde durch Bildung erhöht. Auch die Bereiche soziale Bindungen und soziale Beziehungen spielen für die Integration nach Meinung der SVP eine Rolle. Im ersten Bereich will die SVP durch eine räumliche Verteilung der MigrantInnen verhindern, dass sogenannte Gettos und Parallelgesellschaften entstehen. Im letzteren Bereich betont die SVP, dass Integration ein beidseitiger Prozess sei, der Chancen biete, aber auch der Regeln und Grenzen bedürfe. Unter den Kategorien soziale Brücken und soziale Anbindung finden sich Textstellen, in denen die SVP auf die verschiedenen Bereiche eingeht, wo Integration stattfindet und stattfinden kann, bzw. auf die daran beteiligten Institutionen.
Auffallend ist die Tatsache, dass die Bereiche Gesundheit und Wohnen im Positionspapier nie vorkommen. Es ist öfter von Bereichen die Rede, wo Leistungen von den MigrantInnen gefordert werden (Sprache, neue Kultur, Beschäftigung), als von Leistungen, die von der Aufnahmegesellschaft für die MigrantInnen erbracht werden müssten (Gesundheit, Wohnen). Es scheint, als überwiege bei der SVP das Fordern gegenüber dem Fördern der MigrantInnen.
4.2. Qualitative Inhaltsanalyse des Integrationsgesetzes
Der Entwurf für das Südtiroler Integrationsgesetz (Landesgesetz 2011) wurde vom damals zuständigen Landesrat Roberto Bizzo (PD) in die SVP-geführte Südtiroler Landesregierung eingebracht. Dort wurde es abgeändert und überarbeitet. In vielen Teilen wurde das Gesetz „stark verschlankt, einige Passagen wurden vollkommen gestrichen“, bestätigt Achammer (2013, 500–501). Im Herbst 2011 wurde es vom Südtiroler Landtag beschlossen. Das Südtiroler Integrationsgesetz soll durch eine strukturierte Inhaltsanalyse ebenfalls mit dem Analyserahmen von Ager/Strang verglichen werden. Dabei soll analysiert werden, welche Kernbereiche im Gesetz angesprochen werden und welchen Stellenwert sie im Gesetz einnehmen.
Diese quantitative Beschreibung des Materials zeigt, dass Textpassagen über Rechte und Pflichten der MigrantInnen deutlich am öftesten im Gesetzestext vorkommen. Mit großem Abstand folgen Passagen zu den Verbindungen zwischen MigrantInnen und staatlichen Institutionen sowie zur Bildung. Im Bereich der Rechte und Pflichten werden häufig die Gleichheit aller BürgerInnen und deren Anerkennung, unabhängig von Ethnie, Sprache, Kultur und Religion, genannt. Nicht-EU-BürgerInnen haben Anrecht auf staatliche Grundleistungen, alle Leistungen darüber hinaus erfordern einen fünfjährigen, ununterbrochenen Wohnsitz und Aufenthalt in Südtirol. Auch für die Familienzusammenführung müssen bestimmte Voraussetzungen gegeben sein. Durch diese Einschränkungen unterscheidet sich das Integrationsgesetz deutlich vom theoretischen Rahmen von Ager/Strang, wo gleiche Bedingungen in der Gesetzgebung für alle Menschen gefordert werden.
Die Beziehungen zwischen MigrantInnen und staatlichen Institutionen sollen durch interkulturelle Mediation verbessert werden, der Landesbeirat für Einwanderung soll Gesetzesvorschläge für den Bereich Integration anregen. Am Arbeitsmarkt sind Maßnahmen für den Abbau von Barrieren aller Art vorgesehen. Im Bereich der Bildung sollen die Sprachkompetenzen ausländischer Kinder und der Jugendlichen gefördert werden, ohne jedoch sie von den einheimischen Kindern zu trennen. Zudem sollen berufliche Weiterbildungen und Umschulungen für ausländische BürgerInnen organisiert werden.
Im Bereich Gesundheit wird häufig auf den gleichberechtigten Zugang ausländischer BürgerInnen zu medizinischer Behandlung und Vorsorge hingewiesen. Das Land will MigrantInnen über die Dienste informieren, es sind aber keine Maßnahmen für den Abbau sprachlicher Barrieren zwischen PatientInnen und ÄrztInnen sowie zur Überwindung kultur- und geschlechterspezifischer Differenzen in der medizinischen Behandlung vorgesehen.
Im Gesetz werden im Bereich soziale Brücken die sprachliche und kulturelle Integration ausländischer BürgerInnen sowie deren Beteiligung am gesellschaftlichen Leben als Ziele genannt. Auch die Bedeutung von Vereinen und sozialen Einrichtungen für die Integration ausländischer BürgerInnen wird hervorgehoben. MigrantInnen sollen in das soziale Gefüge eingegliedert werden, um Gettobildungen zu vermeiden. Im Bereich Wohnen unterstützt das Land Südtirol die MigrantInnen beim Zugang zu Unterkünften. Bestimmte Leistungen im Wohnbau sind wiederrum an Ansässigkeit und Arbeitsplatz geknüpft.
Im Bereich Sprache und kulturelles Wissen werden im Gesetz die Sprachkompetenzen in den drei Landessprachen Deutsch, Italienisch und Ladinisch als wesentlich erachtet. Zudem werden grundrechtliche, menschenrechtliche und demokratische Prinzipien als Basis der Aufnahmegesellschaft definiert. Der Prozess des gegenseitigen Kennenlernens zwischen MigrantInnen und Menschen der Aufnahmegesellschaft wird im Gesetz ebenfalls genannt. Im Bereich soziale Beziehungen wird Integration im Gesetz als beidseitiger Prozess des Austausches und Dialogs definiert, mit Rechten und Pflichten für ausländische BürgerInnen.
Als Fazit kann man festhalten, dass sich im Integrationsgesetz viele Passagen zu den Rechten und Pflichten der MigrantInnen, welche in etwa ausgeglichen sind, sowie über den Zugang von MigrantInnen zu staatlichen Institutionen finden. Diese beiden Bereiche lassen sich eher durch gesetzliche Bestimmungen regeln als beispielsweise sprachliches und kulturelles Wissen, Beschäftigung oder innerethnische Beziehungen von MigrantInnen. Diese Schlussfolgerung passt auch zum Eindruck, dass mit dem Integrationsgesetz ein grundsätzlicher Rahmen geschaffen wurde, dessen Regelungen auf die staatliche und europäische Gesetzgebung abgestimmt sind. In Bereichen, wo es beispielsweise um das alltägliche Zusammenleben zwischen Menschen der Aufnahmegesellschaft und der aufzunehmenden Gesellschaft geht, wirkt das Gesetz dagegen inhaltsleerer. Innerhalb der SVP hat sich anscheinend jene Gruppierung durchgesetzt, welche dafür plädiert hat, sich beim Integrationsgesetz nicht auf eine klare Position festzulegen. Die Ablehnung eines liberalen Entwurfes für das Integrationsgesetz des Partito Democratico durch die SVP einerseits sowie die Zugeständnisse der SVP an die Freiheitlichen andererseits bestätigen die Aussage Pallavers (2013, 91–93), dass sich die SVP nicht dem Vorwurf einer „zu offenen Integrationspolitik“ aussetzen wollte.
4.3. Qualitative Analyse des SVP-Landtagswahlprogramms
Im Wahlprogramm der SVP zu den Landtagswahlen 2013 findet sich ein kurzer Abschnitt zum Thema „Einheimische und Zuwanderer“. Darin betont die SVP, dass ihre Haltung in dieser Hinsicht von „christlichen und humanistischen Grundwerten, von Eigenverantwortung und Toleranz“ (SVP 2013, 19) geprägt sei. Die Partei trete für die Würde des einzelnen Menschen, für Solidarität und gegen Fremdenhass ein. Sie verwehre sich gegen eine „unkontrollierte Zuwanderung“ (SVP 2013, 20), diese solle sich nach dem Bedarf an Arbeitskräften im Land richten. Zudem werden getreu der Leitlinie des Positionspapiers „Fordern und Fördern“ Rechte und Pflichten für MigrantInnen aufgelistet. Die SVP investiere in sprachliche Integrationsmaßnahmen und erwarte im Gegenzug von den MigrantInnen „die Bereitschaft zur Integration sowie den Respekt vor Verfassung, Rechtsstaat und lokalen Sitten“ (SVP 2013, 20). Die Partei halte an der Bestimmung von fünf Jahren Ansässigkeit als Voraussetzung für finanzielle Zusatzleistungen vonseiten des Landes fest, um eine Zuwanderung in das Sozialsystem zu vermeiden (vgl. SVP 2013, 20).
Als Fazit kann man festhalten, dass im Abschnitt über „Einheimische und Zuwanderer“ im Wahlprogramm der SVP die Pflichten gegenüber den Rechten für MigrantInnen überwiegen.
4.4. Qualitative Analyse des Koalitionsabkommens von SVP und PD
Im Koalitionsabkommen zur Bildung der Südtiroler Landesregierung zwischen der SVP und dem PD für die Legislaturperiode 2013–2018 gibt es einen Abschnitt zum Thema „Neue MitbürgerInnen“. Darin findet sich unter anderem, dass im Rahmen der Zuwanderung „vorrangig Arbeitskräfte aus EU-Ländern“ (Koalitionsabkommen 2013, 10) berücksichtigt werden sollen. Das Prinzip des „Wahrens von Rechten und Pflichten“ (Koalitionsabkommen 2013, 10) gilt als Leitlinie bei der Integration von MigrantInnen. Dieses Prinzip ist dasselbe wie jenes im Positionspapier der SVP. Der Schlüssel zur Integration liege laut den VerfasserInnen des Koalitionsabkommens in der Sprachenkenntnis: ZuwandererInnen sollten möglichst beide großen Landessprachen beherrschen, dazu solle das Angebot an Sprachvermittlung- und Sprachförderung ausgebaut, die Rolle der Sprachzentren und Kulturvermittler in Kindergärten und Schulen unterstützt werden. In der Bedeutung der Sprache für die Integration können Parallelen zum Positionspapier der SVP gezogen werden. Neu hingegen ist die Forderung aus dem Koalitionsabkommen, dass bestimmte Unterstützungsleistungen vom „Einsatz […] beim Erlernen der Landessprachen“ (Koalitionsabkommen 2013, 10) abhängig gemacht werden sollen. Dagegen ist keine Rede von Ansässigkeit als Bedingung für finanzielle Grundleistungen für MigrantInnen. Auffallend ist auch die Textpassage, in welcher der Beitrag der MigrantInnen „zur Entwicklung der Gemeinschaft“ (Koalitionsabkommen 2013, 11) unterstrichen wird, was eine „verstärkte Identifikation mit der neuen Heimat“ (Koalitionsabkommen 2013, 11) bewirke. Die gesellschaftliche Partizipation der MigrantInnen solle gefördert werden ebenso wie Vereine und Arbeitsplatz als Orte des Austauschs und der Begegnung (vgl. Koalitionsabkommen 2013, 10–11).
4.5. Vergleich SVP-Positionspapier „Fordern und Fördern“ – Integrationsgesetz –
SVP-Wahlprogramm
Unter dem Vorbehalt, dass das Integrationsgesetz im Gegensatz zum Positionspapier und Wahlprogramm der SVP nicht nur der Partei alleine zugeschrieben werden kann, sondern auch von der politischen Opposition im Landtag mitbeeinflusst wurde, soll ein Vergleich der drei Dokumente vorgenommen werden.
SVP-Positionspapier „Fordern und Fördern“
Die Haltung der SVP in Bezug auf die Integration von MigrantInnen im Positionspapier erscheint auf den ersten Blick durchaus als liberal und offen. Integration wird als beidseitiger Prozess formuliert, welcher die MigrantInnen, aber auch die Aufnahmegesellschaft und die Politik in die Pflicht nehme. Verschiedene Bereiche von Integration wie Sprache, Bildung, Arbeit und Partizipation in Vereinen werden angesprochen. Auf den zweiten Blick fällt ins Auge, dass im Positionspapier öfter von Bereichen die Rede ist, in denen eine Leistung von den MigrantInnen gefordert wird (Bereiche Sprache, Kultur, Beschäftigung) als von den Bereichen, in welchen Leistungen der Aufnahmegesellschaft zugunsten der MigrantInnen erbracht werden müssten (Bereiche Gesundheit, Wohnen).
Es entsteht der Eindruck, dass es im Papier vordergründig darum geht, wie die Aufnahmegesellschaft am besten mit den Themen Einwanderung und Integration von MigrantInnen zurechtkommen kann.
Integrationsgesetz
Im Integrationsgesetz werden den MigrantInnen im Vergleich zum Positionspapier vermehrt Rechte zugestanden, allerdings gibt es auch sehr restriktive Regelungen, welche die formale Gleichberechtigung zwischen Einheimischen und MigrantInnen konterkarieren.
Laut Achammer (2013, 90) sollte das Positionspapier von der „grundsätzlichen politischen Ausrichtung die Basis für das Integrationsgesetz darstellen“. Die Migrationsexpertin Sonja Cimadom hat den Eindruck, dass sich die beiden Dokumente ähneln, was zum Beispiel den Stellenwert der Bereiche Sprache und Bildung für die Integration anbelangt. Es seien „vielleicht die Prioritäten unterschiedlich gesetzt“ (Cimadom 2013, 513). Als Unterschied macht Cimadom (2013, 516) aus, dass im Positionspapier ihrer Meinung nach manche Punkte „sozialer formuliert“ sind als im Integrationsgesetz.
SVP-Wahlprogramm
Im Abschnitt „Einheimische und Zuwanderer“ im Programm der SVP für die Landtagswahlen 2013 werden wie im Positionspapier der Partei das Prinzip „Fordern und Fördern“ sowie die „christlichen Grundwerte“ betont. Dabei überwiegen die Pflichten der MigrantInnen gegenüber ihren Rechten, besonders sticht die Betonung der fünfjährigen Ansässigkeitsklausel als Voraussetzung für finanzielle Zusatzleistungen vonseiten des Landes ins Auge.
5. Politische Positionierung der SVP zur Integration ausländischer StaatsbürgerInnen
Um eine Antwort auf die Frage nach der politischen Positionierung der SVP zur Integration ausländischer StaatsbürgerInnen zu geben, stelle ich die Position(en) der Partei anhand von mehreren Unterbereichen dar. Zuerst werde ich auf die Bedeutung des Faktors „Ethnizität“ für den Umgang der Partei mit der Integration ausländischer StaatsbürgerInnen eingehen. Anschließend soll der Umgang der SVP als selbstdefinierte Minderheitenpartei mit neuen, migrationsbedingten Minderheiten betrachtet werden. In einem weiteren Schritt liegt der Fokus auf dem Faktor der SVP als Sammelpartei und ihrem Umgang in dieser Thematik. Danach sollen die These des hidden consensus mit Bezug auf das Verhalten der Partei im Umgang mit der Integration von ausländischen StaatsbürgerInnen überprüft und eine Einordung in die Integrationsmodelle nach Castles vorgenommen werden. Den Abschluss bilden ein persönliches Fazit sowie der Ausblick auf künftige Entwicklungen in der Partei zu dieser Thematik.
5.1. Die Ethnizität der SVP und ihr Umgang mit Integration von ausländischen StaatsbürgerInnen
Auf die Frage, welche Rolle Ethnizität für die SVP im Umgang mit der Integration von MigrantInnen spielt, geben einige Passagen im Positionspapier der Partei einen ersten Einblick. Beispielsweise spricht sich die SVP „klar für die Integration ausländischer MitbürgerInnen auch in die deutsche und ladinische Sprachgruppe aus“ (SVP 2010, 2). Zudem fordert sie, dass bezüglich des Integrationsabkommens in Südtirol „die deutsche Sprache der italienischen gleichgestellt wird“ (SVP 2010, 3). Im Integrationsgesetz wird im Gegensatz dazu eine „Förderung der Sprachkompetenzen in allen drei Landessprachen“ (Landesgesetz zur Integration ausländischer Bürgerinnen und Bürger 2011, 3) betont.
Achammer erklärt, dass die Kenntnis einer der drei Landessprachen Voraussetzung für eine Integration sei, betont aber gleichzeitig, es sei „wirklich wichtig, dass Integration auch in die deutsche Sprachgruppe stattfindet“ (2013, 282–283). Nicht aufgrund der drohenden Verkleinerung der deutschen Sprachgruppe, sondern damit nicht nur „ein Teil der Einheimischen […] diesen Anteil dieses beidseitigen Prozesses (der Integration, Anm. H.P.) übernehmen, sondern alle“ (2013, 289 – 290). Deshalb müsse laut Achammer die Integration „gleichermaßen in alle Sprachgruppen“ geschehen (2013, 290), was zur Folge hätte, dass „sicherlich mehr Integration in der deutschen Schule stattfinden muss“ (2013, 292–293). Achammer ist der Ansicht, „wenn die Integrationsarbeit so weiterläuft wie bisher, […] die italienische Sprachgruppe sehr stark zunimmt oder […] verhältnismäßig stärker (wird)“, (2013, 342–344) und gesteht ein, die SVP hätte „einfach zu wenig Integrationsarbeit betrieben in vergangener Zeit“ (2013, 346–347).
Die Wissenschaftlerin Verena Wisthaler vom Institut für Minderheitenrechte (EURAC) glaubt, dass in der SVP „ein bisschen noch immer die Angst vorherrscht, dass sich die MigrantInnen, wenn sie […] zu viel in die italienischen Vereine und in die italienischen Schulen gehen, […] sie sich dann mit 18 Jahren oder nach einer bestimmten Zeit der italienischen Sprachgruppe zugehörig erklären“ (2013, 24–26). Wisthaler erkennt in der SVP eine Sichtweise, „dass man die Migranten nicht nur den Italienern überlassen kann“ (2013, 109–110). Dieser Haltung schließt sich auch Pallaver an. Seiner Meinung nach ist die Volkspartei „nicht daran interessiert, dass die italienische Sprachgruppe zunimmt“ (2013, 123–124). Pallaver glaubt, dass die SVP die MigrantInnen integrieren will, diese sollten dafür aber „nicht zur italienischsprachigen Seite, sondern zur deutschsprachigen Seite blicken“ (2013, 128–129).
Die Ethnizität spielt für die SVP bei der Integration von MigrantInnen eine Rolle, darin sind sich die ExpertInnen Wisthaler und Pallaver einig. Die Aussagen Achammers lassen darauf schließen, dass die SVP ein Interesse daran hat, die MigrantInnen in die deutsche Sprachgruppe zu integrieren. Der Grund dafür ist die sonstige Verschiebung des Proporzes zugunsten der italienischen Sprachgruppe. Die SVP begreift sich als Partei der deutschen und ladinischen Sprachgruppe in Südtirol und diese ethnische Konnotation zeigt sich auch in ihrem Umgang mit der Integration von MigrantInnen. Das Fehlen einer sprachgruppenübergreifenden Identität wirkt sich „auch auf die Eingliederung von Migranten aus“ (Wisthaler 2013, 290–291).
5.2. Die SVP als Minderheitenpartei und ihr Umgang mit „neuen“ Minderheiten
Achammer stimmt der These Medda-Windischers zu, wonach die SVP grundsätzlich eine „defensive Haltung“ zur Integration ausländischer StaatsbürgerInnen einnehme. Diese defensive Haltung ergibt sich laut Achammer aus dem „Selbstverständnis als Minderheit“ (2013, 393–394). Riccardo Dello Sbarba, Abgeordneter der Grünen im Südtiroler Landtag ist hingegen der Auffassung, dass sich die Angehörigen der deutschen und ladinischen Sprachgruppen in Südtirol „nicht mehr als bedrohte Minderheit fühlen“ (2013, 75–76). Nicht anders sei es seiner Meinung nach zu erklären, dass die deutsche Sprachgruppe im Gegensatz zu Sprachminderheiten in anderen Ländern nicht versucht habe, die MigrantInnen in die eigene Gruppe zu integrieren, sondern sich „gegen die Ausländer gewehrt“ habe (2013, 62). Südtirol sei damit „eine Ausnahme, und das ist schon bezeichnend für die Situation“ (Dello Sbarba 2013, 66).
Wisthaler stellt die These infrage, nach welcher der defensive Umgang der SVP mit der Integration von MigrantInnen mit dem eigenen Status als Minderheitenpartei gerechtfertigt werden kann. Eine Minderheit, welche selbst Unterdrückung erfahren hat, könne auch offener gegenüber anderen Minderheiten sein (vgl. Wisthaler 2013, 366–368). Gleichzeitig nimmt die Autorin aber auch Anzeichen eines Wandels innerhalb der SVP bezüglich des eigenen Selbstverständnisses als Minderheitenpartei und des Umgangs mit MigrantInnen wahr. Als symbolisches Zeichen einer Öffnung gegenüber MigrantInnen wertet Wisthaler das Erscheinen eines interkulturellen Kochbuchs in deutscher Sprache mit Rezepten aus Herkunftsländern von MigrantInnen, die in Südtirol wohnen. Als Mitherausgeberin des Buches fungiert SVP-Mandatarin Martha Stocker, welche laut Wisthaler exemplarisch für jene Gruppierung innerhalb der Partei steht, die den Schutz der eigenen Minderheit als primäres Ziel ansieht. Die Tatsache, dass genau Stocker einen Schritt auf die MigrantInnen zu macht, sieht Wisthaler (2013, 30–32) als Anzeichen für diesen Wandel.
Für eine Öffnung der Partei gegenüber MigrantInnen plädiert auch Achammer. Er geht noch einen Schritt weiter und spricht das Thema der Partizipation von MigrantInnen in der Volkspartei an. Es gebe Interesse von MigrantInnen, in der SVP mitzuarbeiten. Wenn man die Zielsetzungen und den Schutz der deutschen und ladinischen Minderheit mittrage, dann sei jeder in der Partei „sehr willkommen“ (Achammer 2013, 411–412). Achammer gesteht aber ein, dass das Thema innerhalb der Partei auch „sehr delikat“ (2013, 413) sei.
Zusammenfassend kann man sagen, dass das Selbstverständnis als eigene Minderheit die Haltung der Volkspartei noch immer prägt, sie aber nicht davon abhält, im Bereich der Integration von MigrantInnen einen Wandel hin zu einer aktiveren, engagierteren Haltung einzuleiten.
5.3. Die SVP als Sammelpartei und ihr Umgang mit der Integration ausländischer StaatsbürgerInnen
Achammer sagt in Bezug auf das SVP-Positionspapier „Fordern und Fördern“, man habe versucht, möglichst alle Interessensgruppen innerhalb der Partei, im Besonderen jedoch die Sozialpartner, den Wirtschafts- und Arbeitnehmerflügel und die Landwirtschaft einzubinden. Die gemeinsame Basis für das Positionspapier sei die christlich-soziale Ausrichtung gewesen. Das Positionspapier sei eine „Grundposition, die jetzt sicherlich Parteilinie ist und auch gilt“ (2013, 249). Das unterscheide dieses Papier von anderen, restriktiveren Positionspapieren von SVP-PolitikerInnen in den Jahren zuvor, welche laut Achammer nicht als „Gesamtposition der Partei“ (2013, 228) bezeichnet werden konnten.3
Wisthaler glaubt nicht, dass es innerhalb der SVP noch „extreme feindliche Kräfte“ gegenüber Ausländern gebe wie noch vor ein paar Jahren (2013, 113–114). Sie ist allerdings der Meinung, dass es innerhalb der Partei unterschiedliche Auffassungen vom Umgang mit dem Thema Integration von MigrantInnen gibt. Sie glaubt, dass eine Gruppierung junger SVP-PolitikerInnen um Achammer, Amhof, Dejaco und Hoffmann das Positionspapier „Fordern und Fördern“ ausgearbeitet habe und dahinter stehe, während andere in der Partei es abgesegnet hätten nach dem Motto: „Es stört mich nicht, aber es ist jetzt nicht meine Meinung“ (Wisthaler 2013, 176–177).
Pallaver vertritt die Meinung, dass es innerhalb der Volkspartei sehr wohl unterschiedliche Positionen zur Integration von MigrantInnen gebe. Als Beispiel führt er „sehr nationale bis nationalistische Positionen“ (2013, 45) in der SVP, wie sie die „Arbeitsgruppe Heimat“ vertrete, an, Positionen, die sich von jenen der Wirtschaftsseite deutlich unterscheiden. Pallaver glaubt, dass dieser nationale Flügel „sporadisch, aber immer wieder, vor allem intern“ (2013, 49) Druck auf die Partei ausübe, was verschiedene Themenfelder im Bereich der Integration von MigrantInnen anbelangt. Noch seien diesem Druck laut Pallaver „nicht alle Tore geöffnet“ (2013, 60), es gebe auch Gegendruck und innerhalb der Partei werde nach einem Kompromiss gesucht. Derzeit sei der verbale Radikalismus gegenüber MigrantInnen in der Partei „relativ auf der unteren Ebene angesiedelt“ (2013, 62).
5.4. Die SVP und die These des hidden consensus
Der These des hidden consensus zufolge vermeiden politische Parteien im Umgang mit der Integration von MigrantInnen eine klare politische Positionierung, um parteiinterne Fraktionen und die eigene Wählerschaft nicht gegen sich aufzubringen und trotz Vorbehalten in der Bevölkerung ihre relativ liberale Position in der Thematik aufrechtzuerhalten. Diese These lässt sich im Fall der Südtiroler Volkspartei belegen.
Achammer ist der Meinung, das Positionspapier der SVP sei „eine klare politische Differenzierung gegenüber anderen Parteien“ (2013, 96). Pallaver dagegen erklärt, dass die SVP seiner Meinung nach eine klare Positionierung in dieser Thematik vermeide. Deshalb treffe die These des hidden consensus „eindeutig“ (2013, 179) auch auf die SVP zu. Laut Pallaver wird versucht, einen Grundkonsens innerhalb der Partei zu finden und dabei die internen Fraktionen „nicht zu brüskieren“ (2013, 181). Deshalb gehe die SVP in dieser Hinsicht „eher pragmatisch vor, weniger ideologisch“ (2013, 184). Die SVP müsse die Bedürfnisse der eigenen Wählerschaft berücksichtigen, laut Pallaver mache sie das „sehr gedämpft […] und ein bisschen durch die Hintertür“ (2013, 26). Auch Wisthaler schätzt den täglichen Umgang der SVP mit der Integration von MigrantInnen als „nach wie vor relativ pragmatisch“ (2013, 204) ein.
Obwohl sich die SVP mit dem Positionspapier von den anderen politischen Parteien abgegrenzt hat, vermeidet sie eine klare Position zur Integration von MigrantInnen. Das wird auch beim Integrationsgesetz deutlich, das laut Achammer schon „im Vorhinein als Rahmen ausgerichtet war, der dann auch mit Durchführungsmaßnahmen ausgefüllt werden soll“ (2013, 485–486). Wisthaler glaubt, dass die SVP das Integrationsgesetz inhaltlich so offen gehalten habe, um „nicht zu viel die Gemüter auf diesem Feld zu erhitzen“ (2013, 144–145). Dieses Vorgehen der Volkspartei steht exemplarisch für die These des hidden consensus.
5.5. Einordnung der Position der SVP in die Integrationsmodelle nach Castles
Auf der Grundlage der Analyse des Materials kann man die Politik der SVP im Umgang mit MigrantInnen am ehesten in das Modell der „differenziellen Exklusion/differenziellen Inklusion“ einordnen. Aufgrund der Tatsache, dass die Argumente von Castles sehr verallgemeinernd ausgedrückt sind, fallen lediglich einige Ansätze der Politik der SVP unter dieses Modell.
Wie im Modell von Castles beschrieben, sollen MigrantInnen nach dem Willen der SVP Zugang zu bestimmten gesellschaftlichen Bereichen wie zum Beispiel zum Arbeitsmarkt, zur Bildung und zum Gesundheitssystem haben. Dagegen sollen sie nur erschwert Zugang zu finanziellen Leistungen über Grundleistungen hinaus sowie zur politischen Partizipation erlangen. Zudem befürwortet die SVP ebenso wie in Castles’ Modell restriktive Regelungen bezüglich des Familiennachzugs. In Südtirol ist zudem das Merkmal des Zugehörigkeitsgefühls zu einer bestimmten ethnischen Gruppe, insbesondere was die deutsche Sprachgruppe und damit auch die SVP anbelangt, erfüllt – laut Castles tritt das Modell der „differenziellen Exklusion/differenziellen Inklusion“ häufig in Ländern auf, wo diese Bedingung gegeben ist. Laut dem Autor erfüllen vor allem „neue“ Einwanderungsländer dieses Modell und würden eine ambivalente Haltung einnehmen. Einerseits sehen sie MigrantInnen als billige Arbeitskräfte an, andererseits entwickle sich nur langsam ein Verständnis als Einwanderungsland. Vor allem diesen letzten Satz würde ich in Hinblick auf die SVP und Südtirol im Allgemeinen als zutreffend bezeichnen.
Andererseits stimmt die Politik der SVP nicht in allen Bereichen mit diesem Modell überein. MigrantInnen bleiben in Südtirol nicht von Gesundheitsleistungen ausgeschlossen, wie es im Modell von Castles der Fall ist. Dazu gibt es laut Positionspapier der SVP und dem Integrationsgesetz Bemühungen, damit MigrantInnen vollständig am gesellschaftlichen Leben partizipieren können.
6. Fazit und Ausblick
Generell sei die SVP laut Wisthaler dafür, „MigrantInnen zu integrieren und in die Gesellschaft aufzunehmen“ (2013, 20–21), wenn die geltenden Regeln eingehalten würden. Wisthaler glaubt, dass sich in der Partei die Ansicht durchgesetzt habe, dass Migration ein Phänomen sei, das man „aktiv […] gestalten“ muss (2013, 120). Cimadom glaubt, die SVP habe in Bezug auf die Integration von MigrantInnen grundsätzlich einen „realistischen Blick auf die Sache, die Menschen sind hier und bleiben hier“ (2013, 132). In Bezug auf das Integrationsverständnis der Partei glaubt Cimadom, dass „momentan eher von Anpassung gesprochen wird, mit dem wohlwollenden Blick, ‚Ich meine Integration schon als Beidseitiges und so‘“ (2013, 158). Der Stellenwert, den die SVP dem Thema zuweist, lässt sich laut Cimadom an den im Integrationsgesetz dafür zur Verfügung gestellten finanziellen Mitteln abmessen. Das Thema sei für die Partei wichtig, „aber es sollte irgendwie gratis, […] von alleine funktionieren“ (2013, 171).
Dello Sbarba erklärt, die SVP habe in Bezug auf die Integration von MigrantInnen „zu spät reagiert“ (2013, 123). Die SVP hätte sich in diesem Bereich nur bewegt, weil sie Stimmen an die Freiheitlichen verloren habe. Pallaver hat den Eindruck, dass die SVP sich in Bezug auf die Integration von MigrantInnen „relativ gemäßigt“ (2013, 14) verhalte, wenngleich auf der unteren Ebene schon „gewisse Vorbehalte“ (2013, 15–16) vorhanden seien. Die SVP verhalte sich in dieser Thematik „auf zweiter Ebene“ (2013, 24), weil ihr laut Pallaver bewusst sei, dass sie die Themenführerschaft in dieser Frage nicht übernehmen könne. Pallaver stimmt der Eigendefinition der SVP zu, dass sie eine „vernünftige Ausländerpolitik“ (2013, 36) betreibe.
Sowohl Pallaver als auch Wisthaler erklären, dass die Position der SVP zur Integration von MigrantInnen aus dem Jahre 2013 nicht mit jener aus dem Jahre 2008 zu vergleichen sei. Damals hätte die SVP laut Pallaver versucht, eine ähnlich restriktive Position im Umgang mit MigrantInnen einzunehmen wie die Freiheitlichen. Das hätte sich aus mehreren Gründen nicht bewährt, deshalb habe sich die SVP auf diese „definitive Position des Pragmatismus“ (Pallaver 2013, 196–197) zurückgezogen. Die SVP sei laut Pallaver somit „keine explizit ausländerfeindliche Partei“ (2013, 199). Wisthaler glaubt, dass die SVP in dieser Thematik seit den Landtagswahlen 2008 einen Wandel durchgemacht habe, der auch noch nicht abgeschlossen sei. Sie ist jedoch weiterhin der Meinung, dass innerhalb der Partei noch nicht „die kongruente Haltung“ (2013, 70; Hervorhebung im Original, Anm.) in dieser Thematik gefunden wurde.
Diese Aussage von Wisthaler, dass es innerhalb der SVP einen Wandel hin zu einem aktiveren Umgang mit der Integration von MigrantInnen gibt, jedoch nach wie vor keine parteiübergreifende kongruente und eindeutige politische Positionierung zu erkennen sei, kann als Fazit für diesen Artikel dienen. Dazu kommen der innerparteiliche Pragmatismus und die Tatsache, dass die Position der SVP keinesfalls „in Stein gemeißelt“, sondern sehr wandlungsfähig erscheint.
Mit Achammer und Amhof haben bei den Landtagswahlen im Herbst 2013 auch zwei VerfasserInnen des SVP-Positionspapiers den Einzug in den Südtiroler Landtag geschafft.
Achammer wird in der neuen Landesregierung unter anderem auch das Ressort für Integration innehaben, welches zuletzt in Händen des Koalitionspartner Partito Democratico war. Durch die Entscheidung der SVP, dieses Ressort selbst zu bekleiden, weist die Partei der Thematik einen höheren Stellenwert zu. Damit könnte sich auch der Wandel der Partei hin zu einem aktiveren Umgang mit MigrantInnen in Zukunft fortsetzen.
Anmerkungen
1 Bei den Landtagswahlen 2013 verlor die SVP erstmals seit dem Jahr 1948 die absolute Mehrheit an Mandaten im Südtiroler Landtag.
2 Achammer war von 2009 bis 2013 Parteisekretär der SVP. Das Interview mit ihm wurde noch in dieser Funktion geführt. In der Legislaturperiode 2013–2018 sitzt Achammer ebenso wie Amhof für die SVP im Südtiroler Landtag. Achammer ist zudem Landesrat für deutsche Schule und Kultur und führt unter anderem auch das Ressort „Integration“.
3 Die SVP-MandatarInnen Franz Pahl, Martina Ladurner, Hanspeter Munter und Seppl Lamprecht verfassten im Jahr 2008 eine Grundsatzschrift zum Thema Einwanderung, in der sie vor allem die schwierige Integration muslimischer MigrantInnen betonen. Wisthaler hatte unter anderem deshalb die Politik der SVP im Bereich der Migration und Integration als Mischung von „extreme segregration and assimilation measures“ (Wisthaler 2008, 5) beschrieben.
Literaturverzeichnis
Primärquellen
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Cimadom, Sonja (2013). Expertinneninterview (26.3.2013)
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Wisthaler, Verena (2013). Expertinneninterview (5.4.2013)
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Abstracts
La posizione della Südtiroler Volkspartei sull’integrazione degli immigrati
Nell’articolo viene analizzata la posizione della Südtiroler Volkspartei in merito all’integrazione degli immigrati in Alto Adige. I documenti presi in esame sono la dichiarazione della Volkspartei su questo argomento (2010), la legge provinciale sull’integrazione (2011), il programma del partito per le elezioni 2013 nonché il programma di coalizione Volkspartei/Partito democratico per la legislatura 2013-2018. I metodi adottati sono l’analisi qualitativa e le interviste con esperti. Il risultato dell’analisi evidenzia che la Südtiroler Volkspartei evita di prendere una posizione esplicita sul tema dell’integrazione degli immigrati. Negli ultimi anni si notano un’inversione di tendenza ed un’intensificazione delle attività in questo campo da parte della Volkspartei. Con Philipp Achammer, nuovo assessore per l’integrazione nel governo provinciale, questo cambiamento a favore dell’integrazione e contro l’esclusione potrebbe accentuarsi ulteriormente.
La posizion dla Südtiroler Volkspartei n cont dla integrazion de zitadins da oradecà
L cuntribut se dà ju cun la posizion dla Südtiroler Volkspartei (SVP) n cont dla integrazion de zitadins da oradecà. Per chësc fin vëniel analisà i cuntenuc dla plata dla SVP “Fordern und Fördern” (2010), la lege de integrazion de Südtirol, l program dla veles 2013 dla SVP, sciche nce l cuntrat de coalizion danter SVP y PD (2013). Leprò vëniel nce interpretà ntervistes a esperc. Daujin ala posizion politica di partic fovel de nteres nce fatores sciche etnizità y l cumpurtamënt a livel de partit dla mendranzes autoctones cun la mendranzes “nueves”. Sciche resultat possen dì che l partit schiva na posizion tlera te chësta tematica, nce ajache tl partit iel posizions defrëntes n cont dla integrazion de zitadins da oradecà. Ma l ie da udëi na tendënza tl partit de vieres de na politica de integrazion plu ativa, n chësc cont dëssa de plu migranc unì integrei tla grupa de rujeneda tudëscia y ladina. Cun la sëurantëuta dl ressort “integrazion” da pert dl mandatar Philipp Achammer tla jonta provinziela nueva pudëssa l mudamënt de vieres de n cumpurtamënt plu atif n cont dla integrazion de migranc jì inant tl daunì.
The integration policy of the South Tyrolean People’s Party
This article deals with the integration policy of the South Tyrolean People’s Party (SVP). The key documents used for the analysis are the official statement of the party on integration policy (2010), the integration law (2011) and the party program presented in the course of the regional elections in 2013. The methods applied are qualitative content analysis and expert interviews. The paper resumes arguing that the South Tyrolean People’s Party tries to avoid taking a clear stance on this question. Some groups within the party show a tendency towards a more active integration policy. The SVP-integration officer, Philipp Achammer, who has been newly introduced, indicates the party’s willingness to preserve this growing activity also in the future.