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Karl Hinterwaldner

Im Namen der Sad

In the name of SAD

Abstract The so-called Sad-affair has permanently shaken up South Tyrol’s governing ­party SVP. And this is not the end of the story. Politics and democracy have been affected ­because the affair revealed a frightening moral picture: instead of working for the general public, male decision-makers preferred to engage in lobbying – linked to their own advancement.

Behind the affair lies a multi-million-business deal, wherein the transport company Sad wanted to get the biggest slice of the cake with the help of aggressive lobbying. Although this ultimately failed, investigation files and wiretap protocols revealed the hard bargaining that went on behind the scenes.

The affair clearly reveals that influential SVP male decision-makers placed themselves at the service of Sad and its boss Ingemar Gatterer. This brings a new dimension to lobbying in South Tyrol: it is no longer a matter of balancing interests, something the SVP has tried to achieve up to now, but of asserting private interests at the highest level. And this was done in a clumsy and brutish manner.

1. Einleitung

Die Sad war einst „das“ Synonym für den öffentlichen Linienbusdienst in Südtirol. Das Transportunternehmen, 1927 als Società Automobilistica Dolomiti (Sad) in ­Padua gegründet, ging Ende der Siebzigerjahre in Südtiroler Hände über. Aufgabe der Sad war es stets, den öffentlichen Personennahverkehr zu gewährleisten.

Das hat sich inzwischen geändert: Das Transportunternehmen hat im ersten Halbjahr 2022 sämtliche Konzessionen für Überlandbusse in Südtirol verloren. Damit einher ging der Verlust seines guten Namens. Viele Menschen denken beim Wort „Sad“ inzwischen eher an Abhörprotokolle, mitgeschnittene Telefonate oder den Niedergang der Südtiroler Volkspartei (SVP).

Die sogenannte Sad-Affäre hat Südtirols Regierungspartei nachhaltig erschüttert. Und nicht nur sie. Politik und Demokratie insgesamt nehmen Schaden an ihr, denn die Affäre legt ein erschreckendes Sittenbild offen: Statt für die Allgemeinheit zu arbeiten, haben männliche Entscheidungsträger lieber Lobbyarbeit betrieben – verbunden mit dem eigenen Fortkommen.

Dass es Lobbyarbeit in der Politik gibt, ist nichts Neues. Aber in der Sad-Affäre wurde erstmals in Südtirol greifbar, wie sie funktioniert und welche Methoden eingesetzt werden: Unternehmer und Politiker arbeiteten Hand in Hand, nach dem ­Motto: Gemeinsam werden wir das schon hinkriegen.

Probleme eines privaten Busunternehmens versuchte man unbürokratisch und schnell aus der Welt zu schaffen, mit vertraulichen Telefongesprächen und Treffen in Hinterzimmern. Dabei gab es keinen großen Masterplan, sondern eine erstaunlich brachiale und plumpe Vorgehensweise. Das drücken auch die Sprache und der Ton aus, die die Protagonisten verwendeten.

Viele Menschen in Südtirol reagierten entsetzt nach Bekanntwerden der Affäre. Sie konnten nicht fassen, dass führende Männer der Regierungspartei sich dermaßen offen für die Anliegen eines privaten Busunternehmens wie der Sad zeigten. Solch ein Verhalten lässt das Vertrauen von Menschen in die demokratischen Institutionen insgesamt bröckeln. Immer zahlreicher bleiben sie Wahlen fern, das gemeinsame Fundament – die res publica – bricht zunehmend weg.

Menschen merken schnell, wenn nicht mehr das Gemeinwesen im Mittelpunkt des Interesses steht, sondern der Vorteil für einige Wenige. Doch beleuchten wir den Kern der Sache – die Lobbyarbeit und wie sie funktioniert – genauer.

2. Die Interessen

In der Sad-Affäre geht es im Kern um ein Millionen-Business. Im April 2018 startet die Landesregierung die „Ausschreibung zur Vergabe der außerstädtischen Linienverkehrsdienste mit Autobussen“. Wer die Ausschreibung gewinnt, darf in Südtirol zehn Jahre lang die Überlandbusse betreiben. Die von der Landesregierung dafür in Aussicht gestellte Summe beläuft sich auf rund 960 Millionen Euro.

Bis dahin wird der Dienst von zwei Akteuren gewährleistet: Den größten Teil der Linien betreibt die Sad Nahverkehr AG. Sie gehört dem Pfalzner Busunternehmer Ingemar Gatterer zu zwei Dritteln und dem Bozner Immobilienmogul Pietro Tosolini (1932 – 2022) zu einem Drittel.

Einen kleineren Teil der Linien hat das Konsortium Libus inne. Mitglieder des Konsortiums sind 19 Südtiroler Busunternehmen, darunter mehrere von Ingemar Gatterer und seinem Vater Josef Gatterer. Präsident des Konsortiums ist aber ­Markus Silbernagl, ein erfolgreicher Busunternehmer aus Kastelruth. Seine Simobil GmbH ist ebenfalls Teil von Libus.

Markus Silbernagl und Ingemar Gatterer sitzen zwar im selben Boot, sind zugleich aber scharfe Konkurrenten. Beide Unternehmer streben nach oben, möchten ihre Betriebe ausbauen. Das Konkurrenzverhältnis spiegelt sich auch in den politischen Verbindungen wider.

Ingemar Gatterer pflegt mit Luis Durnwalder (SVP) schon lange ein enges ­Verhältnis. Als das Medienhaus Athesia 2012 eine Negativkampagne gegen den ­da­maligen Landeshauptmann fährt, geht Gatterer in die Offensive. Er droht der Athesia offen mit wirtschaftlichen Konsequenzen wie dem Boykott von Werbeschaltungen.

Nachdem Durnwalder 2014 als Landeshauptmann abgedankt hat, holt ihn Gatterer 2016 als Berater zur Sad. Durnwalder lässt sich seine Dienste (offiziell läuft die Beratertätigkeit von 2016 bis 2020) mit rund 90.000 Euro pro Jahr vergelten.

Gemeinsam arbeiten Gatterer und Durnwalder daran, die Interessen der Sad durchzusetzen. Gatterer sagt laut Abhörprotokollen der Staatsanwaltschaft: Thomas Widmann (SVP) würde alles tun, um Landesrat zu werden; übernähme er den Verkehr, würde das die Probleme zwischen der Sad und dem Land in 30 Minuten lösen. Durnwalder meint, das wäre optimal, denn Widmann habe er unter Kontrolle.

Markus Silbernagl steht dem Durnwalder-Nachfolger Arno Kompatscher (SVP) nahe. Bevor Kompatscher Landeshauptmann wird, leitet er neun Jahre lang die Seis-Seiser-Alm-Umlaufbahn AG. Die Familie Silbernagl ist zugleich eine der größten Aktionärinnen der Bahn.

Nachdem die erste Ausschreibung im Juli 2018 geplatzt ist, telefoniert der Vater von Markus Silbernagl mit mehreren Personen. Er teilt ihnen mit, dass er mit Leuten aus dem Umfeld von Arno Kompatscher gesprochen habe. Demnach sei der Landes­hauptmann dafür, dass Silbernagl neue Linien erhalte. Auch das steht in den Abhörprotokollen der Staatsanwaltschaft zu lesen.

Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen auf, nachdem die Landesregierung die erste Ausschreibung „im Selbstschutzwege“ bei einer Sondersitzung am Vormittag des 6. Juli 2018 annulliert hatte. Und zwar weil Details der Ausschreibung an die Öffentlichkeit gelangt waren, die eine reguläre Abwicklung der Ausschreibung möglicherweise gefährdet hätten. Diese Ermittlungen und vor allem die Protokolle und Mitschnitte von abgehörten Telefonaten maßgeblicher Akteure lösten letztendlich die Sad-Affäre aus.

Im Duell zwischen Luis Durnwalder und Arno Kompatscher gibt es zudem eine persönliche Komponente. Durnwalder hält nicht allzu viel von seinem Nachfolger Kompatscher – und umgekehrt. Als Durnwalder das Zepter 2014 an Kompatscher übergab, war klar: Das war nicht der Nachfolger, den er sich gewünscht hat. ­Kompatscher strahlte nicht so hell, wie Durnwalder es für nötig befand, um in seine Umlaufbahn wechseln zu dürfen.

Auch Kompatscher machte sofort klar, dass er mit dem Alten brechen würde. Er ließ das Büro seines Vorgängers ausräumen und neu einrichten. Durnwalders Dienstwagen kam auf der Versteigerungsplattform Ebay unter den Hammer. Auch Durnwalders Rat wollte Kompatscher nicht annehmen. Das Signal: Nun bricht eine neue Zeitrechnung an.

Durnwalder hat das nie verwunden. Und so scharten sich um ihn immer mehr Gleichgesinnte, die wie er nicht einverstanden waren mit der Politik seines Nach­folgers. Im Laufe der Zeit entstanden innerhalb der SVP zwei Lager: eines pro ­Kompatscher und das andere contra Kompatscher.

3. Die Akteure

Der Ermittlungsakt zur Sad-Affäre und die Abhörprotokolle zeigen die Bruchlinien zwischen den beiden Lagern auf. Die Staatsanwaltschaft Bozen hatte Ermittlungen aufgenommen, nachdem die erste Ausschreibung zur Vergabe der außerstädtischen Linienbusdienste geplatzt war. Sie hat akribisch gearbeitet, mehr als 5.000 Seiten an Material zusammengetragen. Ziel der Ermittlungen war es nachzuweisen, dass es bei der Annullierung der Ausschreibung nicht mit rechten Dingen zugegangen sei.

Politisch aufschlussreich sind vor allem die abgehörten Telefonate. Sie bieten ­einen Blick in die Gedankenwelt wichtiger Leute in Südtirol. Darunter beinahe ­ausschließlich Männer in gehobener Stellung: Politiker, Unternehmer, Manager, ­Beamte.

Über Luis Durnwalder (* 1941) haben wir eingangs schon einiges gehört. Der Altlandeshauptmann und Sad-Berater macht in den Abhörprotokollen keine gute Figur. Sie dokumentieren, dass Durnwalder im Hintergrund daran arbeitet, dass nach der Landtagswahl 2018 ein der Sad genehmer Mann Landesrat für Mobilität wird.

Am besten fänden er und Sad-Chef Gatterer den ehemaligen Mobilitätslandesrat Thomas Widmann. Aber wenn es der nicht wird, käme auch ein Lega-Exponent wie Massimo Bessone dafür infrage. Durnwalder sagt zu Gatterer in einem Telefon­gespräch, er habe Bessone geraten, sich nicht von der SVP über den Tisch ziehen zu lassen. Es ist eine paradoxe Situation: Einer der ehemals höchsten Exponenten der Partei gibt dem politischen Gegner Lega Ratschläge, wie der SVP am besten beizukommen sei.

Um zu verhindern, dass die Abhörprotokolle veröffentlicht werden, ruft Durnwalder Anfang 2022 die oberste Datenschutzbehörde (Garante della Privacy) in Rom an. Letztlich ohne Erfolg. Nach der Veröffentlichung der Protokolle, zuerst im Wochenmagazin „ff“, dann im Buch „Freunde im Edelweiß“ gerät er SVP-intern unter Druck, kann sich aber halten. Auch weil er keine Ämter oder Funktionen mehr innehat.

Luis Durnwalders Schützling Ingemar Gatterer (* 1975) war einst Obmann der SVP in Pfalzen. Der Sohn des Busunternehmers Josef Gatterer wird 2018 medial als „Südtiroler Trump“ betitelt: furchtlos, erfolgreich, cholerisch.

Er steht im Zentrum der Affäre, möchte noch mehr Macht und Einfluss für seine Busunternehmen, vor allem die Sad, erreichen. In den abgehörten Gesprächen lästert er über vertrottelte SVP-Abgeordnete oder unfähige Landesbeamte. Geschickt setzt er seinen Berater Luis Durnwalder ein, um einen privilegierten Zugang zu maßgeblichen Personen an den Schalthebeln der Macht zu bekommen.

An Ingemar Gatterers Seite treu ergeben wirkt Mariano Vettori (* 1948). Der Anwalt aus Bozen ist Sad-Generaldirektor und pflegt eine brachiale Sprache. Zugleich ist er ein listiger Fuchs, der seine zahlreichen Kontakte spielen lässt, um die Sache im Sinne seines Chefs zu beeinflussen.

Am Ende werden die Ermittlungen gegen Ingemar Gatterer und Mariano Vettori zwar eingestellt; trotzdem sind sie und die Sad die großen Verlierer. Die Konzessionen für die Überlandbusse sichert sich die Konkurrenz.

Ingemars Vater Josef Gatterer (* 1944) bringt die Ermittlungen im Juli 2018 ins Rollen. Er schreibt eine E-Mail an den Landeshauptmann, mehrere Beamte und Medien. Darin bemängelt er das unkorrekte Vorgehen der SVP in Sachen Ausschreibung. Da die Mail auch Details zum Vergabeprozess enthält, lässt die Landesregierung die Ausschreibung tags darauf annullieren.

Josef Gatterer war selbst 15 Jahre lang SVP-Bürgermeister in Pfalzen: von 2005 bis 2020. Was er nicht weiß, als er die Mail verschickt: Damit rettet er die Sad-Konkurrenten Libus und Konsortium der Südtiroler Mietwagenunternehmer (KSM). Denn wäre die Ausschreibung nicht annulliert worden, wären sie vermutlich wegen fehlender Voraussetzungen ausgeschlossen worden.

Ein weiterer Protagonist in der Affäre ist Thomas Widmann (* 1959). Der SVP-Politiker sagt im November 2018 im Telefongespräch mit Ingemar Gatterer, Südtirol habe noch nie einen so schwachen Landeshauptmann gehabt wie Kompatscher. Das hält Widmann nicht davon ab, sich einige Monate später in das Team von Kompatscher als Sanitätslandesrat einzureihen. Als der Druck im März 2022 zu groß wird, entzieht Kompatscher Widmann die Agenden als Landesrat – und übernimmt fortan selbst die Agenden des Sanitätslandesrates. Widmann bleibt für die SVP im Landtag und fällt immer wieder mit Querschüssen gegen die eigene Partei auf.

Christoph Perathoner (* 1973), ist lange Zeit ein aufstrebender Stern in der SVP, aber parteiintern letztlich glücklos. 2009 unterliegt er bei der Kandidatur für das EU-Parlament Herbert Dorfmann. Als es 2013 um einen Sitz in der Abgeordnetenkammer in Rom und 2018 um einen Sitz im Landtag geht, versperrt ihm Daniel ­Alfreider die Tür. Die beiden Ladiner können einander nicht leiden, das äußert ­Perathoner gegenüber Ingemar Gatterer in harschen Worten am Telefon. Perathoner war lange im Verwaltungsrat der Sad, mehr als zehn Jahre ihr Präsident. Nach einem Wutausbruch Gatterers gegen die Landesregierung gibt er das Amt 2018 auf. Die Affäre und seine Ausfälle gegen Alfreider zwingen ihn letztlich auch dazu, das Amt als Obmann des SVP-Bezirks Bozen aufzugeben.

Ebenfalls im Anti-Kompatscher-Lager anzutreffen sind Meinhard Durnwalder (* 1976), SVP-Senator in Rom, und Hans Berger (* 1947), Ex-SVP-Senator und Vorgänger Meinhard Durnwalders in Rom. Die beiden Männer stehen der Sad – und wie sie sagen, auch allen anderen Konzessionären sowie dem Land Südtirol – in einer heiklen Mehrwertsteuer-Sache zur Seite. Sie wirken in Rom auf die Spitze der Agentur für Einnahmen ein, um sie von einer allzu großen Steuerforderung abzubringen.

In den abgehörten Telefonaten hört es sich so an, als ob Berger und Meinhard Durnwalder in Rom hauptsächlich für die Sad laufen. Beide bestreiten das energisch: Ihr Einsatz habe stets dem öffentlichen Interesse gedient. SVP-intern unter Druck gerät Meinhard Durnwalder auch deswegen, weil er sich am Telefon sehr ­kritisch gegenüber Kompatscher äußert. Auch das relativiert er später. Meinhard Durnwalder gilt in der SVP als einer der größten Gegenspieler des Landeshauptmannes.

Zu den Gegnern Kompatschers zählt auch Michl Ebner (* 1952), Präsident der Handelskammer und Direktor der Unternehmensgruppe Athesia. Er ist Ende 2018 mit Ingemar Gatterer in Kontakt, weil dieser den Flughafen Bozen kaufen möchte. An seiner Seite hätte Gatterer gerne die Handelskammer. Ebner überlegt zwar, doch der Deal kommt letztlich nicht zustande. Michl Ebner und sein Bruder Toni Ebner (* 1957, Chefredakteur des Tagblatts „Dolomiten“) kontrollieren mit ihren Familien die Mehrheit der Athesia.

Die beiden gelten als scharfe Gegenspieler des Landeshauptmannes. Das liegt einerseits an unterschiedlichen politischen Ansichten: Die Ebners mögen es eher konservativ, Kompatscher eher progressiv. Und andererseits an wirtschaftlichen Interessen: Die Ebners verfolgen knallhart ihre Agenda; das kam etwa zum Tragen bei der Übernahme der ehemaligen Landesgesellschaft Brennercom durch die Athesia; oder im Gletscherskigebiet Schnalstal, das zur Gruppe gehört und das diese aus­bauen möchte. Kompatscher hält dagegen, will den Ebners das Feld nicht kampflos überlassen.

Mitten drin im Schlamassel steckt auch Philipp Achammer (* 1985). Der SVP-Obmann und Landesrat spielt in den Protokollen zwar keinen aktiven Part, bekleckert sich bei der Aufarbeitung der Affäre aber nicht mit Ruhm. Achammer zögert und zaudert, schiebt Entscheidungen immer wieder auf die lange Bank. Damit bringt er sich selbst in die Bredouille und scheint zeitweise einer der vehementesten Gegner des Landeshauptmannes zu sein. Dabei trauen dessen Gegner Achammer gar nicht zu, Landeshauptmann zu werden. Er habe dazu nicht das notwendige Format, sagt zum Beispiel Luis Durnwalder an einer Stelle in den abgehörten Telefongesprächen.

Das konkurrierende Lager in der Affäre wird vom Landeshauptmann angeführt. Arno Kompatscher (* 1971) regiert Südtirol seit 2014. Auch gegen ihn wird in der Sad-Affäre ermittelt, vor allem wegen seiner Verbindung zu Markus Silbernagl. Letztlich können Kompatscher aber keine Verfehlungen nachgewiesen werden. In der Archivierungsverfügung des Gerichts vom Dezember 2021 heißt es, Kompatschers Ziel sei es nicht gewesen, das Konsortium Libus und damit auch Silbernagl zu bevorteilen. Vielmehr habe er danach gestrebt, kleine lokale Unternehmer an der Ausschreibung teilhaben zu lassen. Dies sei ein berechtigtes öffentliches Anliegen.

Einer, der Kompatscher als Jurist, Berater und Parteifreund eng zur Seite steht, ist Karl Zeller (* 1961), langjähriger Parlamentarier für die SVP, zuletzt Vizeobmann der Partei. Er ist der Anwalt von Arno Kompatscher im Sad-Verfahren und kommt in den Abhörprotokollen nicht vor; er wird aber innerhalb der eigenen Partei verdächtigt, die Protokolle an die Öffentlichkeit durchgesteckt zu haben. Zeller bestreitet das, sieht sich zu Unrecht beschuldigt. Trotzdem muss er am Ende seinen Posten als Vizeobmann räumen.

Mitten drin in der Sad-Affäre steckt Gert Lanz (* 1971), vormaliger Chef des Landesverbands der Handwerker, Unternehmer und seit Herbst 2018 für die SVP im Landtag. Er war mit seinem Betrieb Lanz Metall in eine finanzielle Schieflage geraten, das weiß Ingemar Gatterer auszunutzen.

Gatterer bietet Lanz einen Deal an, mit dem er seinen Betrieb retten könnte. Denn die Sad braucht eine Halle für ihre Busse, jene von Lanz würde sich dafür eignen. Allerd­ings komme der Deal nur zustande, wenn es keine Inhouse-Lösung für die Überlandbusse gebe. Das sagt Gatterer zu Lanz am Telefon. Denn wenn das Land mit einer eigenen Gesellschaft – also Inhouse – die Busse betreibe, wäre die Sad draußen. Und bräuchte damit auch keine Halle in Toblach mehr, wo Lanz seinen Betrieb hat.

Gatterer legt Lanz nahe, im Landtag Stimmung gegen eine Inhouse-Lösung zu machen. Lanz, inzwischen zum SVP-Fraktionssprecher im Landtag aufgestiegen, verhandelt lange mit Gatterer. Schließlich lässt er den Deal platzen. In der SVP-Landtagsfraktion kommt sein Verhalten nach Bekanntwerden der Affäre nicht gut an. Lanz verliert seinen Posten als Fraktionssprecher an Arbeitnehmerchefin Magdalena Amhof.

Daniel Alfreider (* 1981), sitzt von 2013 bis 2018 für die SVP in der Abgeordnetenkammer in Rom. Bei der Landtagswahl 2018 wird er gewählt und in der Folge Landesrat für Mobilität. Das haben Ingemar Gatterer und seine Freunde aus der SVP lange zu verhindern versucht – letztlich vergeblich. Er kommt in den Abhörprotokollen nur am Rande vor.

Dabei ist Alfreider selbst kein Kind von Traurigkeit. Wegen der Projektierung und des Baus von mehreren Almhütten ermittelte die Staatsanwalt Bozen monatelang gegen ihn. Das Hauptverfahren vor Gericht endet 2021 nicht mit einem Freispruch, sondern wegen Verjährung und Geringfügigkeit der Straftaten.

Strafrechtlich bleiben die Ermittlungen in der Sad-Affäre überschaubar. In ein Hauptverfahren müssen am Ende zwei Personen (gegen alle anderen werden die Ermittlungen eingestellt): Busunternehmer Markus Silbernagl (* 1975) und Günther Burger (* 1970), von 2016 bis 2019 Direktor der Landesabteilung Mobilität, danach Ressortdirektor unter Sanitätslandesrat Thomas Widmann (und später unter Arno Kompatscher). Ihnen wird von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, die Ausschreibung gestört zu haben. Beide betrachten sich als unschuldig.

4. Die Lobbies

Die Sad-Affäre macht greifbar, wie Lobbyismus funktioniert: Interessierte Kreise, Unternehmen, Verbände oder Organisationen pflegen einen direkten und persönlichen Draht zu Menschen an den Schalthebeln der Macht. Diese versuchen, deren Anliegen auf den Ebenen von Politik und Verwaltung durchzusetzen. Und zwar ganz unbürokratisch mittels Telefonanrufen oder plumpen Interventionen in Hinterzimmern.

Ein Beispiel: Kurz vor Ende der „Ausschreibung zur Vergabe der außerstädtischen Linienverkehrsdienste mit Autobussen“ im Juli 2018 kommen beim Konsor­tium Libus und beim KSM Zweifel auf. Sie betreffen das Ren-Register (Registro Elettronico Nazionale Transporto Persone). Es geht um die Frage, ob es für die Teilnahme an der Ausschreibung eine Eintragung ins Ren brauche. Darüber herrscht auch Unsicherheit beim Land.

Vier Tage vor der Abgabefrist schickt der Busunternehmer Markus Silbernagl eine Whatsapp-Nachricht an Günther Burger, Direktor der Landesabteilung für Mobilität. Eine „Rücknahme des Bando“, heißt es darin, sei die „sichere Variante“ für die Provinz.

Burger setzt sich mit Gianluca Nettis in Verbindung. Dieser ist bei der Vergabeagentur des Landes für die Bus-Ausschreibung zuständig. Burger regt in der Mail an Nettis an, die Ausschreibung zu ändern – und gegebenenfalls eine Fristverlängerung in Erwägung zu ziehen. Nettis lehnt beides ab: Konsortien müssten genauso wie die einzelnen Busunternehmen ins Ren eingetragen sein. Und eine Verlängerung der Fristen komme auch nicht infrage, schreibt Nettis am 4. Juli 2018.

Damit sind Libus und KSM aus dem Rennen. Denn beide Konsortien verfügen nicht über die für die Ausschreibung erforderliche Eintragung in das Ren-Register.

Am frühen Morgen des 5. Juli 2018 schreibt Markus Silbernagl an Landeshauptmann Arno Kompatscher. Er bittet um einen Termin um 8:15 Uhr desselben Tages. Der Termin kommt nicht zustande. Silbernagl und Kompatscher telefonieren kurz miteinander, nach den Auswertungen der Ermittler insgesamt zweieinhalb Minuten lang. Es scheint nichts zu nützen. Das Land will an der Ausschreibung festhalten.

Die Wende kommt um 14:56 Uhr desselben Tages: Zu diesem Zeitpunkt geht die oben zitierte Mail von Josef Gatterer ein. Im Anhang findet sich die interne Mail von Günther Burger an Gianluca Nettis. Die Mail war zuvor von einer Landesbeamtin an Sad-Chef Ingemar Gatterer übergeben worden. Sie ist mit ihm befreundet. Das hilft dem Unternehmer meistens weiter – dokumentiert in den Abhörprotokollen.

In diesem Fall bewirkt die Veröffentlichung der Mail das Gegenteil von dem, was die Gatterers beabsichtigten: Die Landesregierung annulliert tags darauf die Ausschreibung: Amtsgeheimnis und Wettbewerbsprinzip seien verletzt worden.

Das Vergabeverfahren wird zwei Jahre später neu gestartet – am Ende geht die Sad dabei leer aus. Gewinner sind mehrere lokale Busunternehmen, darunter auch Silbernagls Simobil.

Ein anderes Beispiel, wie Lobbismus in Südtirol funktioniert, ist der Anruf des frisch gewählten SVP-Landtagsabgeordneten Thomas Widmann bei Ingemar Gatterer im November 2018. Nach einer Kompatscher-Schelte fragt Widmann den Sad-Chef, ob dieser einem befreundeten Busunternehmer die eine oder andere Buslinie übertragen könne. Damit könne der Busunternehmer zeigen, dass er nicht vom KSM abhängig sei.

Ingemar Gatterer antwortet, das sei durchaus möglich. Allerdings müsse sich der Busunternehmer entscheiden, mit wem er gehe: mit dem KSM oder mit der Sad. Beides zugleich sei nicht möglich. Widmann und Gatterer sind zuversichtlich. Gemeinsam mit dem Busunternehmer werde man eine Lösung für das Problem finden.

Die Menschen in Südtirol sind von diesem Treiben wenig begeistert – gerade dann, wenn es wie in diesem Fall öffentlich wird. Dabei sind sie einiges gewohnt. Die SVP ist seit mehr als 70 Jahren an der Macht, immer wieder wurde sie in dieser langen Zeit von internen Grabenkämpfen, größeren und kleineren Skandalen gebeutelt.

Seit Ausbruch der Sad-Affäre scheint die Partei aber nicht mehr zur Ruhe zu kommen. Eine Affäre jagt die nächste, das macht selbst den größten SVP-Fans zu schaffen. Viele haben den Eindruck, dass die Partei nur noch Politik mache für die Großmächte Bauernschaft und Tourismus; die einst starke Arbeitnehmerschaft ist praktisch kaum noch präsent; und das liberale Element, verkörpert vom Landeshauptmann, sei ein Minderheitenprogramm.

5. Die Lager

Die Südtiroler Volkspartei ist, wie wir gehört haben, in zwei Lager gespalten. Wer diesen Lagern angehört und wie man sie benennen könnte, war lange Zeit unklar. Kämpfen hier die Liberalen gegen die Konservativen in der Partei gegeneinander? Oder die Leute aus dem Westen gegen jene aus dem Osten?

Die Sad-Affäre und ihre Folgen legen eine einfachere Deutung der Dinge nahe: Auf der einen Seite haben wir den Landeshauptmann und jene, die zu ihm stehen. Und auf der anderen Seiten formieren sich seine Gegnerschaft und jene, die ihr näher stehen als dem Landeshauptmann.

Arno Kompatscher ist seit 2014 im Amt. Den Wahlkampf im Jahr zuvor führte er mit dem Anspruch, Vertrauen in die Politik zurückgewinnen zu wollen. Erneuerung, Transparenz, Teamgeist – das waren seine Schlagworte. Den Landtag wollte er wieder aufwerten, gemeinsame Lösungen in den Vordergrund stellen.

Das ist lange her. Im Land, aber auch in der eigenen Partei verliert er seit Anbeginn beständig an Zuspruch. Erreichte er bei der Landtagswahl 2013 noch rund 81.000 Stimmen, waren es fünf Jahre später 68.000.

Noch schlechter läuft es für Kompatscher in der Landtagsfraktion. Wenn es hart auf hart geht, kann er dort nur auf vier Abgeordnete zählen, die fest zu ihm stehen: die Landesräte Daniel Alfreider und Arnold Schuler sowie Gert Lanz und Helmut Tauber.

Die restlichen zehn der fünfzehn SVP-Abgeordneten begleiten Arno Kompatscher mit wohlwollender Skepsis – die einen mehr, die anderen weniger. Warum? An seiner „Außenpolitik“ liegt es nicht. Das sagt selbst seine Gegnerschaft.

Er sei diplomatisch und charismatisch, habe ein tolles Auftreten, verhandle stets mit Umsicht und Bedacht. Souveräne Auftritte in Rom, Wien und Brüssel zeugen davon. Gelobt wird etwa das von ihm ausverhandelte Finanzabkommen mit Rom. Nach außen, heißt es, biete er das Bild eines modernen, aufgeschlossenen und um Nachhaltigkeit bemühten Südtirol.

Und nach innen? Da wird es kompliziert. Kompatscher ist kein Politprofi im ­Stile eines Luis Durnwalder, der gleichsam hemdsärmlig, pragmatisch und volksnah gewesen ist. Kompatscher gibt den kühlen Manager, der mit Sachverstand und Detail­wissen punktet. Manchem ist das zu besserwisserisch.

Geschätzt wird an ihm, dass er das öffentliche Interesse sehr stark im Blick hat. Privatinteressen einzelner Betriebe oder Personen sind ihm in den meisten Fällen suspekt. Daher rührt beispielsweise seine Abneigung gegen die Athesia und die ­Familie Ebner. Das führt umgekehrt dazu, dass die Ebners über ihre Medien (meist über das Tagblatt „Dolomiten“) einen strammen Anti-Kompatscher-Kurs fahren. Zugleich verstehen sie es, Kompatschers Gegner regelmäßig und gezielt in Szene zu setzen. Das macht den Landeshauptmann mürbe.

Einige von Kompatschers parteiinternen Gegnern kennen wir aus der Sad-Af­färe: Sie reichen von Luis Durnwalder über seinen Neffen Meinhard Durnwalder, ­Thomas Widmann bis hin zu Christoph Perathoner. Dazu gesellen sich Kaliber wie Europaparlamentarier Herbert Dorfmann oder Landesrätin Waltraud Deeg. Auch die Arbeitnehmer-Vertreter/-innen Magdalena Amhof und Helmuth Renzler beäugen Kompatscher skeptisch, gleichwie die Bauernfraktion rund um Franz Locher, ­Manfred Vallazza und Sepp Noggler. Sogar Parteiobmann Philipp Achammer, der es stets allen recht machen will und auf Harmonie bedacht ist, blickt mit Verdruss auf den Landeshauptmann.

Als Schwäche wird Kompatscher zudem seine mangelnde Teambildung ausgelegt. Selbst enge Vertraute in der Partei verstehen Kompatscher manchmal nicht; etwa dann, wenn er wieder einmal zu einem „unverständlichen Alleingang“ ansetzt oder sich „beratungsresistent zeigt“. In seinen Jahren als Landeshauptmann ist er auch deshalb in nahezu allen Gremien, denen er angehört, in die Minderheit geraten. Eine Hausmacht, auf die er bauen könnte, existiert in der SVP nicht. Als Gründe für die fehlende Hausmacht werden sein Misstrauen und die Leute genannt, die er um sich geschart hat: Vielfach handle es sich dabei um Jasager und Karrieristen.

Gar einige in der SVP haben daher die Nase von Kompatscher und seinen Leuten gehörig voll. Trotzdem will er im Herbst 2023 ein drittes Mal kandidieren. Er hat nach langem Zögern Anfang Dezember 2022 seine Bereitschaft dazu bekundet. Und auch seine Gegner sind mittlerweile zur Einsicht gelangt: Ohne Kompatscher verliert die SVP dermaßen viele Stimmen, dass gar mache Abgeordnete riskieren, nicht wiedergewählt zu werden.

Die Probleme in der Partei sind damit aber nicht gelöst. Im Gegenteil. Bleibt der Anteil der Kompatscher-Leute nach der Landtagswahl 2023 im Hohen Haus und in der Partei ähnlich gering wie bisher, kommt es erneut zu einer Pattstellung, die nicht nur die SVP, sondern das ganze Land lähmt.

Eine solche Lähmung möchte Kompatscher unbedingt verhindern, indem er möglichst vielen seiner Getreuen in den Landtag verhilft. Ob ihm das gelingen wird?

6. Die Medien

Das Medienhaus Athesia möchte Arno Kompatscher auf jeden Fall die Tour vermasseln. Die Ebner-Brüder halten wie oben dargelegt wenig vom Landeshauptmann. Das brachten sie über ihre Medien schon früh zum Ausdruck.

Als Kompatscher im Sommer 2019 gegenüber verschiedenen Medien seine Skepsis gegenüber dem damaligen Innenminister Matteo Salvini (Lega) äußert, wird er in den „Dolomiten“ abgekanzelt: Salvini als „Hassprediger mit Rosenkranz“ zu bezeichnen, wie es der Landeshauptmann getan habe, gehe weit über das vernünftige Maß der politischen Dialektik hinaus. Vor allem, wenn man „selbst mit dieser Partei mehrfach in Koalitionen regiert“. Daher, so das Blatt, solle Kompatscher davon absehen, ohne Absprache mit der eigenen Partei anderen öffentlich die Leviten zu lesen. Denn damit setze er „Land und Leute wegen seiner eigenen Befindlichkeit Gefahren“ aus.

Das ist harter Tobak. Im Herbst 2019 wurde öffentlich, dass die Gegnerschaft innerhalb der SVP wächst – vor allem auf der Führungsebene. Dort halten gar einige den Landeshauptmann wahlweise für „einen schwierigen Charakter“, „schwach“ oder „arrogant“.

In den Abhörprotokollen zur Sad-Affäre kann man diese Einschätzungen nachlesen. So sagte etwa der Pusterer Bezirksobmann und Senator Meinhard Durnwalder an einer Stelle, ein wenig Schuld am Niedergang der SVP trage auch Kompatscher – dieser habe keinen Charakter. „Keinen Charakter“, präzisierte Durnwalder im ­Dezember 2021, „werde ich nicht gesagt haben. Was ich meine, ist, dass er halt öfter ein bisschen energischer auftreten müsste wie früher der Luis, auch den Beamten gegenüber.“

Meinhard Durnwalder meint mit „dem Luis“ seinen Onkel Luis Durnwalder. Der hat als Landeshauptmann zwar ähnlich wie Kompatscher heftige Kämpfe mit den Ebner-Brüdern ausgefochten. Doch Luis Durnwalder verstand es, immer wieder einzulenken. Er arrangierte sich mit ihnen, bevor der Konflikt gefährlich wurde.

Nicht so Kompatscher. Er hat gleich nach seiner Wahl 2013 seine völlige Unabhängigkeit unterstrichen: Eine Vorzugsschiene für die Athesia komme für ihn nicht infrage.

Damit waren die Fronten klar. Was die Athesia von gewöhnlichen Unternehmen unterscheidet, ist ihr Einfluss auf Politik, Wirtschaft und Verwaltung. Die Unternehmensgruppe beherrscht zum einen drei Viertel der Medienlandschaft in Südtirol. Zum anderen versteht es Athesia-Chef Michl Ebner als Präsident der Handelskammer die Wirtschaft in seinem Sinne zu prägen.

Die Sad-Affäre war für die Athesia in dem Sinne kontraproduktiv. Denn hier machten ausgerechnet ihre „Lieblinge“ eine schlechte Figur. Also war die Marschrichtung von Beginn an eine andere: In ihren Medien wurde nicht der Inhalt der Protokolle thematisiert, sondern es wurde bezweifelt, dass diese überhaupt veröffentlicht werden dürfen.

Die „Dolomiten“ haben außerdem intensiv nach dem Informanten gefahndet: Wer hat die brisanten Protokolle an die „ff“ und die Autoren des Buchs „Freunde im Edelweiß“ weitergegeben?

Die „Neue Südtiroler Tageszeitung“ und das Portal „Salto.bz“ übernahmen in der medialen Schlacht um die Deutungshoheit in der SVP meist die Sichtweise der Kompatscher-Fraktion. Der Landeshauptmann, liest man dort, mache seine Arbeit „super“, er gehöre zu den „vielen Anständigen im Edelweiß“. Gerade so, als ob diejenigen, die nicht mit Kompatscher können, unanständig wären.

Die politische Opposition im Landtag beklagte das Schwarz-Weiß-Denken in den genannten Medien bitter: Alles andere rundherum werde ignoriert – auch die Arbeit der politischen Minderheit. Sie gestalte sich damit noch mühseliger als sie ohnehin schon ist.

7. Die Folgen

Die SVP ist eine Sammelpartei, die den Widerspruch verinnerlicht hat. Das war bereits bei ihrer Gründung im fernen Jahr 1945 der Fall, als „Geher“ und „Bleiber“ sich zusammengetan hatten. Dabei waren die Wunden der Option damals längst nicht ausgeheilt, sie hatte Ortsgemeinschaften, Freundeskreise, Familien und selbst Ehen entzweit. Trotzdem schaffte die Partei den schier unmöglichen Spagat, dem sie später selbst mit dem Motto „In Vielfalt geeint“ einen Namen gab.

Die Partei hat seit Anbeginn viele Krisen und Skandale durchlebt – und überlebt. Das hat sie bisher nie kaputt gemacht, aber in der Regel geschwächt. Kam sie 1948 noch auf 67 Prozent der Stimmen, waren es 2018 noch 42 Prozent. Das ist zwar ein Minus von 25 Prozentpunkten. Doch im Vergleich zu anderen Parteien in Italien und Europa kann sie ihrem Anspruch, eine Volkspartei zu sein, immer noch gerecht werden.

Das wird bei der Landtagswahl 2023 aller Voraussicht nach nicht anders sein. Die SVP dürfte sich wieder zusammenraufen und gemeinsam in die Wahlschlacht ziehen. Die Fähigkeit sich immer wieder neu zu erfinden, zeichnete die Partei bereits in der Vergangenheit aus. Es ist also davon auszugehen, dass sie auch bei der nächsten Wahl einen relativ großen Zuspruch erhalten und mit Regierungsaufgaben betraut werden wird.

Nichtsdestotrotz hat die Sad-Affäre die Partei insgesamt geschwächt. In der öffentlichen Wahrnehmung hat vor allem die Gegnerschaft zum Landeshauptmann schlecht abgeschnitten. Sie stand da als Gruppierung, die einerseits öffentliche Aufträge in Kuhhandel-Manier durchführt. Zugleich bot sie in den abgehörten Telefongesprächen ein jämmerliches Bild: Parteifreunde wurden mit harten Worten bedacht, die Interessen von mächtigen Unternehmern mit den eigenen verschränkt.

Parteiobmann Achammer hat es in der Folge nicht geschafft, die Machenschaften klar aufzuarbeiten. Ihn zeichnet zwar ein großes Vermittlungstalent aus, nicht aber große Führungsstärke. Das zeigte sich in der Sad-Affäre deutlich. Zwar mussten Widmann, Perathoner, Lanz und Zeller ihre Posten räumen, doch ansonsten blieb alles beim Alten. Inhaltlich blieben die Gegensätze aufrecht, Achammer hat ihre Aufarbeitung auf die lange Bank geschoben. Das schwächt seine Position innerhalb der Partei, vor allem bei der vielzitierten Basis.

Doch auch Landeshauptmann Kompatscher geht lädiert aus der Affäre hervor. Er hat dem Treiben seiner Parteifreunde monatelang tatenlos zugesehen, schob die Verantwortung dafür auf die Partei: Sie solle doch bitteschön aktiv werden. Der öster­reichische Politikwissenschaftler Peter Filzmaier bewertete dies als „Führungsschwäche“. Ein solches Urteil ist freilich Gift für einen Landeshauptmann.

So schwelten die Differenzen zwischen den Lagern in der SVP weiter – auch noch, nachdem Arno Kompatscher im Dezember 2022 angekündigt hat, für eine dritte Amtszeit zur Verfügung zu stehen. Sie würde von 2023 bis 2028 reichen und sollte, aus Kompatschers Sicht, sein Wirken abrunden.

Um seine Projekte weiterzubringen, braucht er jedoch Handlungsstärke und Koopera­tion innerhalb der Partei. Sonst läuft die SVP – und mit ihr das ganze Land – Gefahr, in dem politischen Stillstand zu verharren, von dem das Jahr 2022 geprägt war. Dem Jahr nach der Sad-Affäre.

8. Resümee: Neue Dimension des Lobbyismus

Der Begriff Lobbyismus kommt aus dem Englischen und meint eine Interessenvertretung in Politik und Gesellschaft. Lobbies, sprich Interessengruppen, versuchen, vor allem durch persönliche Kontakte die Legislative oder die Exekutive in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Lobbyiert wird seit Jahrhunderten in den Vorzimmern der Herrschaft oder in den Vorhallen des Parlaments. Das war im von der SVP regierten Südtirol nicht ­anders. Mit dem Unterschied, dass die Partei seit jeher möglichst vielen Lobbies den Zugang zur Macht gewährte. Dies führte lange zu einem Ausgleich der Inte­ressen.

In den vergangenen Jahren ist es allerdings zu einem Ungleichgewicht gekommen. Während Gruppen wie die Arbeitnehmerschaft oder die Frauen zunehmend an Einfluss verloren, konnten Gruppen wie die Bauernschaft oder die Tourismusbranche ihren Einfluss ausbauen. So entsteht mittlerweile vielfach der Eindruck, dass sich die SVP vorwiegend um die Interessen der letztgenannten Gruppen kümmere.

Die Sad-Affäre verschärfte diesen Eindruck noch: Sie zeigte auf, dass sich einflussreiche Personen in der Partei aktiv und skrupellos für die Interessen des privaten Transportunternehmens Sad einsetzten. Und zwar in einer Art und Weise, die selbst Parteileuten, die einiges gewöhnt sind, die Sprache verschlug.

Dazu beigetragen haben Sätze über Menschen der eigenen Partei, die frei von Anstand und Moral sind. Oder auch Aussagen über die eigene Partei, die an der ­Loyalität dieser Männer mit der eigenen Partei zweifeln lassen. So sagte beispielsweise Sad-Chef Gatterer zu seinem Berater, Altlandeshauptmann Durnwalder, dazu, wer Mobilitätslandesrat werden sollte: „Mir gehen beide gut, die Lega und der ­Widmann. Nur nicht der Alfreider, der Affe.“ Und Durnwalder antwortete: „Wobei ich sage: Mit dem Alfreider, wirst du sehen, werden wir schon auch fertig.“

Das ist eine neue Dimension des Lobbyismus in Südtirol: Es geht nicht mehr um einen Ausgleich der Interessen, sondern um die Durchsetzung ganz bestimmter privater Einzelinteressen auf höchster Ebene. Und zwar auf eine plumpe und brachiale Art und Weise.

Das verstärkt in der Bevölkerung den Eindruck, dass die SVP immer mehr zu einer Vertretung von einflussreichen Lobbies und gut betuchten Leuten wird. Damit einher geht der Niedergang von Gewerkschaften und Arbeitnehmerschaft. Sie schaffen es nicht mehr, sich in der Partei Gehör zu verschaffen. Dabei ist das nur ein ­gesamtgesellschaftliches Abbild: Gewerkschaften und Arbeitnehmerschaft verlieren seit Jahrzehnten an Einfluss, den öffentlichen Diskurs in Südtirol prägen inzwischen andere: etwa Bauernbund, Hoteliers- und Gastwirteverband, Handelskammer oder Unternehmerverband. Sie betreiben konsequente Lobbyarbeit – und haben damit Erfolg.

Das setzt die SVP zunehmend unter Druck. Die Frage ist: Hat sie noch einmal die Kraft, einen Ausgleich der Interessen zu finden? Oder wandelt sie sich endgültig zur Klientelpartei für einige wenige Gruppen? Die Landtagswahl im Herbst 2023 wird einen ersten Hinweis darauf geben.

Literaturverzeichnis

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