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Wolfgang Mayr

Bauernland in Bauernhand

Südtirol, der Hinterhof des Bauernbundes

Farmers’ land in farmers’ hands

South Tyrol, the backyard of the Farmers’ Union

Abstract With more than 21,000 member companies and more than 40,000 individual members, the Südtiroler Bauernbund SBB (Farmers’ Union), is a considerable political power as this contribution will argue. It is an example of the amalgamation of association and political power. Almost a third of the municipal councilors belong to the SBB, as do eight of the 35 members of the provincial council. And the former SBB director Luis Durnwalder headed the Province government as governor for 25 years. The SBB also recommends four SVP ­candidates for the provincial council election with its own primaries. In recent months, the SBB attacked the South Tyrolean government with its campaign against the wolf, putting the government under strong pressure. The SBB also drew red lines in politics, against the bed stop-initiative of the province government, against the increase of the municipal real estate tax – GIS – for the “holiday-on-the-farm”-tourism, and against the upgrading of the railway line between Bozen and Meran.

1. Einleitung

Der Südtiroler Bauernbund (SBB) ist ein institutioneller Machtfaktor. Dem Bauernbund gehören mehr als 21.000 Betriebe an, zwei Drittel davon werden von Neben­erwerbsbauern bewirtschaftet. Mehr als 40.000 Mitglieder in 156 Ortsgruppen ­machen die Größe des Bauernbundes aus. Eine Groß-Macht, vertreten in allen Gemeinden. Deshalb ist es auch kein Zufall, dass Bauernbund-Mitglieder fast ein Drittel der Gemeinde-Referenten und -Referentinnen stellen. Zum Vergleich: Der bäuerliche Anteil an der Bevölkerung – geschätzt auf Grundlage der SBB-Daten (Südtiroler Landesverwaltung 2022; Istituto Nazionale di Statistica Juli 2022) – beträgt mehr als sieben Prozent (Südtiroler Bauernbund 2023).

Eine doch zahlenmäßige Minderheit, die aber straff kapillar organisiert ist und kompakt auftritt. Das ist kein Wunderwerk. Den Bauernbund gibt es seit 1904, ein organisiertes Rückgrat des ländlichen Raumes. Der SBB steht für Tradition und war über lange Zeit auch das Reservoir für Feuerwehren und Musikkapellen. Der Bauernstand weist auch deshalb eine besondere Stärke auf, weil er Bewahrer der Südtiroler Identität ist, wie dessen Obmann Leo Tiefenthaler erklärt (Mayr 2022a).

Der Bauernbund holt sich über drei unterschiedliche Mitgliedschaften seinen Anhang. Erst- und Zweitmitglieder mit gleichen Rechten und Pflichten, die alle Dienstleistungen – und die sind vielfältig auf hohem Niveau wie Unfallversicherung und Rechtsschutzversicherung – des SBB in Anspruch nehmen können. Hinzu kommen noch die Fördermitglieder. Mehr als 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt der SBB in seinen Büros in Bozen, Schlanders, Meran, Neumarkt, Sterzing und Bruneck. Ein Röntgenbild, aufgeschlüsselt auf der Homepage1 des SBB.

Der SBB ist ein Planet für sich, mit der Bauernjugend, den Bäuerinnen, den Senioren und Seniorinnen, den Gärtnern und Gärtnerinnen plus Notstandsfonds und Verein Freiwillige Arbeitseinsätze.

Mitgliedsbetriebe und Mitglieder sind flächendeckend organisiert, ein unglaublich dichtes Netzwerk auf Orts-, Bezirks- und Landesebene. Getragen von 1.200 Funktionärinnen und Funktionären. Dieses Netzwerk schweißt Tal- und Bergbauern und -bäuerinnen zusammen, ganz kleine, kleine und mittelgroße Betriebe. Der SBB, ein Sammelverbund wie die Sammelpartei Südtiroler Volkspartei (SVP). Laut ­Tiefenthaler gibt es ganz in diesem Sinne eine verbindende Partnerschaft zwischen den Berg- und Talbauern. So zeigten sich die Obstbauern solidarisch mit den Bergbauern, indem Fördermittel zugunsten der Berglandwirtschaft umverteilt wurden. Auf diese Weise, sagt Obmann Tiefenthaler (Mayr 2022a), wird das Netzwerk gestärkt.

2. Planet Bauernbund

Die Mitgliedsbetriebe und die Mitglieder des Bauernbundes2 sind im eigenen „Landtag“ vertreten, in der SBB-Landesversammlung. Das bäuerliche Parlament. Es entscheidet wesentliche Angelegenheiten, wählt den/die Landesobmann/frau, die Stell­ver­treter/-innen sowie die Vertretung Ladiniens und der Bergbauern und Bergbäuerinnen. Ein weiteres Gremium ist der Landesbauernrat, er trifft die agrarpolitischen Grundsatzentscheidungen. Das Präsidium führt die Amtsgeschäfte und vertritt den Bauernbund nach außen. In den Gemeinden koordinieren die Ortsbauernräte die bäuerliche Politik.

Der Bauernbund, ein eigenständiges Gestirn im Polit-System. Der „Heimatroman“ in Folgen der Wochenzeitung FF bringt es in der Folge „Der Wiederholungstäter“ ironisch, aber deshalb nicht weniger realistisch, auf den Punkt. In Bozen, findet der Heimatdichter, zeichnete sich nach den Gemeindewahlen „eine Dreier­koalition ab mit SVP, SBB und irgendeiner italienischen Partei“ (Adorf 2022). Der Bauernbund, nicht nur die wirkmächtigste Interessenorganisation, sondern auch eine Partei, in Koalition mit der SVP. Eine satirische, aber doch treffende Analyse.

Seine bäuerliche Interessenvertretung und seinen Anspruch auf Teilhabe beschreibt der SBB unmissverständlich: „Die Interessenvertretung auf politischer Ebene erfolgt durch die Entsendung von Vertretern des Bauernbundes in die gesetz­gebenden Organe auf Gemeinde-, Bezirks-, Landes-, Staats- und EU-Ebene“.3 Sehr selbstbewusst. Klarer und mit einem Höchstmaß an Selbstverständlichkeit kann ein Anspruch auf umfassende Teilhabe wohl nicht formuliert werden.

Der personifizierte Anspruch auf diese Teilhabe ist Siegfried Rinner, seit 2006 Direktor des Bauernbundes. Unter seiner Regie hat der SBB seine machtpolitische Stellung ausgebaut. Eine Kaderschmiede für starke Männer und Frauen in der SVP war der Bauernbund seit jeher. Rinner steht auch dem nicht unbedeutenden 33-köpfigen SVP-Landwirtschaftsausschuss vor. Vertreten sind darin die wichtigsten landwirtschaftliche Verbände, SVP-Obmann Philipp Achammer, Landeshauptmann Arno Kompatscher, Europaparlamentarier Herbert Dorfmann, Senator Meinhard Durnwalder, Kammerabgeordneter Manfred Schullian, Landesrätin Maria Hochgruber-­Kuenzer, Landesrat Arnold Schuler sowie die Landtagsabgeordneten Franz Locher, Manfred Vallazza und Josef Noggler.

Politisch ist Rinner im Gemeinderat in Kaltern aktiv. Landeshauptmann Kompatscher versuchte Rinner für eine Landtagskandidatur 2018 zu gewinnen, der wenig interessiert abwinkte (Hinterwaldner 2017). Es war ein Versuch Kompatschers, Rinner an seiner Seite zu haben, als Alliierten, nicht als möglichen Gegenspieler. Rinner zählt zur Front seiner Gegenspieler.

3. Bäuerliche Polit-Phalanx

Eine ganze Reihe von Mandataren und Mandatarinnen setzt die SBB-Wünsche in praktische Politik um. Herbert Dorfmann als SVP-Abgeordneter im Europaparlament, Senator Meinhard Durnwalder, Obmann des starken SVP-Bezirks Pustertal wie auch der SVP-Kammerabgeordnete Manfred Schullian im italienischen Parlament.

Die bäuerliche Stärke ist im Landtag unübersehbar und deshalb auch entsprechend spürbar. Eine regelrechte landwirtschaftliche Phalanx sorgt für eine konsequente bäuerliche Interessenvertretung. Sechs der 15 SVP-Abgeordneten verstehen sich als Vertretung des Bauernstandes: Landesrätin Maria Hochgruber-Kunzer, Franz Locher, Manfred Vallazza und Josef Noggler. In einem Naheverhältnis zu dieser Gruppe gehört der ehemalige Gesundheitslandesrat Thomas Widmann. Landesrat Arnold Schuler – nicht der Wunsch-Kandidat des SBB – gilt beim SBB als wenig verlässlich. Obstbauer Schuler kennt die Branche und die Wünsche, sieht sich aber nicht als Erfüllungsgehilfe.

Zwei weitere Bauern sitzen noch im Landtag. Für die Freiheitlichen Andreas Leiter-Reber und für die „Perspektive für Südtirol“, Peter Faistenauer.

Acht „bäuerliche“ Mandatare auf insgesamt 35. Eine nicht zu unterschätzende, dann und wann gar dominierende Kraft. Zu spüren in der Raumordnung, in der Landwirtschaft, im Tourismus.

Beispiel 1: Für die Raumordnung ist Maria Hochgruber-Kuenzer ­zuständig, ­direkt aus den Reihen der Bäuerinnen. Sie setzte den Widerstand des Bauernbundes gegen – wenn auch nur moderate – Einschränkungen der Ausbaumöglichkeiten der Bauernhöfe im landwirtschaftlichen Grün in entsprechende raumordnerische Regeln um.

Genauer: Außerhalb der zu ziehenden Siedlungsgrenzen dürfen laut der neuen Raumordnung – für Konflikte ist vorgesorgt – Bauern ihre Höfe ausbauen. Maximal um 1.500 Kubikmeter und innerhalb dieser Größenordnung laut Landesrat Schuler (Mayr 2022b) ohne Einschränkung der Nutzung.

4. Effizienter Lobbyismus

Beispiel 2: Für die gewünschten und eingeforderten Sonder- und Ausnahmeregelungen – nicht nur in der Raumordnung – sorgen die beiden SBB-Mandatare in der SVP-Fraktion, Franz Locher und Manfred Vallazza. Locher ist Präsident des 2. Gesetzgebungsausschusses, sein Stellvertreter ist Manfred Vallazza. Dieser Ausschuss behandelt die Bereiche Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Umweltschutz, Raumordnung, öffentliche Gewässer und Energie. Beide, Locher und Vallazza, lenken und steuern gezielt die gesetzgeberische Tätigkeit. Vier der insgesamt acht Ausschuss-Mitglieder sind Bauern, neben Locher und Vallazza Leiter-Reber und Faistenauer.

Das dritte Beispiel bäuerlicher Durchschlagskraft ist der Kampf gegen den Bettenstopp. Den von Landesrat Schuler und Landeshauptmann Kompatscher angestrebten Bettenstopp als angedachtes Instrument der touristischen Steuerung lehnte der Bauernbund strikt ab. Obwohl es schon eine Sonderregelung für die bäuerlichen Pensionen und Ferienwohnungen gebe, wunderte sich der heftig attackierte Landesrat Schuler. Die Südtiroler Wirtschaftszeitung kommentierte den erzielten Kompromiss als einen „Deckel mit Loch“ (Pfeifer 2021).

Locher versuchte im Gesetzgebungsausschuss die „Urlaub auf dem Bauernhof“-Betriebe von jeglicher Beschränkung zu befreien. Für die bäuerlichen Pensionen sollten überhaupt keine Bettenobergrenzen gelten. Es war ein Versuch, trotz bereits geltender Ausnahmeregelung noch weitere Lockerungen zu erreichen. Der Eindruck entstand, die Bauern-Mandatare seien Verteidiger von Privilegien.

Zu diesem Schluss kommt der grüne Landtagsabgeordnete Riccardo Dello Sbarba in seinem Minderheitenbericht (Dello Sbarba 2022) zur Arbeit des 2. Gesetzgebungskommission. Der „Bauernaufstand“ gegen den Bettenstopp ist für Dello Sbarba „nicht nur ein politischer Fall, er schadet auch der Wirtschaft und der Umwelt“. Der von Landesrat Schuler vorgelegte Gesetzentwurf zum Bettenstopp samt Bettenobergrenze wurde im Gesetzgebungsausschuss in sein glattes Gegenteil umgeschrieben. Kein Bettenstopp für die „Urlaub auf dem Bauernhof“-Betriebe. Die entsprechende Abänderung brachte Leiter-Reber von den Freiheitlichen ein, mit Unterstützung der beiden SVP-Bauern Locher und Vallazza sowie Bauer Nr. 4 Faistenauer. Sie setzten sich gegen die restlichen SVP-Vertreter Gerd Lanz und Helmut Tauber, den Grünen Riccardo Dello Sbarba und Sandro Repetto vom Partito Democratico durch. Ausschlaggebend für die Annahme des freiheitlichen Antrags war die Stimme des Ausschuss-Vorsitzenden Locher.

Laut Dello Sbarba handelte es sich um „ein Vorgehen, das eindeutig einer genau abgestimmten Regie folgte“. Mit der Abänderung des Gesetzentwurfs, der abgestimmt war zwischen Maria Hochgruber-Kuenzer, Arnold Schuler und Landeshauptmann Kompatscher, versenkten die Bauern kurzerhand das Ansinnen Bettenstopp (Dello Sbarba 2022; Mayr 2022b).

Für den kritischen Beobachter Dello Sbarba war diese Aktion die direkte ­Folge der Auseinandersetzungen und der erbitterten internen SVP-Kämpfe. Die ­Kompatscher-Gegner setzen ihren Streit im 2. Gesetzgebungsausschuss fort, „die Abstimmung über die Tourismusbranche […] ist eine Fortsetzung dieses Kampfes mit anderen Mitteln und auf anderen Ebenen“. Dello Sbarba spricht von einem ausgeklügelten und mehrstufigen Vorgehen (Dello Sbarba 2022)

Beim Urlaub auf dem Bauernhof sollen neben den Betrieben mit einer Fläche zwischen 1,5 und sechs Hektar oder fünf Kühen auch die Betriebe der Marke „Roter Hahn“ ausgenommen werden: Diese stellen alleine 1.600 der insgesamt 2.900 Betriebe dar, die Urlaub auf dem Bauernhof anbieten. Letztlich wird die Zahl der Betriebe, für die die Obergrenze gilt, nur einen sehr geringen Prozentsatz darstellen.

Im Plenum des Landtages wurde Ende Juli 2022 der bäuerliche Vorstoß für noch weitergehende Sonderregelungen gestoppt. Die Volksvertreter/-innen widersetzten sich dem im Gesetzgebungsausschuss durchgedruckten Antrag auf völlige Aufhebung eines Bettenstopps für touristische bäuerliche Betriebe (Mayr 2022b; Kofler 2022; Südtiroler Wirtschaftszeitung 2022a).

Den Urlaub auf dem Bauernhof, ein sinnvoller Nebenerwerb für bäuerliche Familien auf 1.600 Bergbauern-, Obst- und Weinbauernhöfen, lobt der Bauernbund als authentisch und hochwertig. Jeder zehnte Südtirol-Tourist verbringt seinen Urlaub auf dem Bauernhof. Das Konzept ist äußerst erfolgreich und wurde deshalb auch von der Süddeutschen Zeitung (2019) analysiert. Die Süddeutsche Zeitung listete eine ganze Reihe von touristischen Bauernhöfen auf, die mit einem Bauernhof aber nichts mehr zu tun haben. 160 solcher Bauernhöfe sind eigentlich Hotels, Designerbauernhöfe schreibt die SZ (Süddeutsche Zeitung 2019), sie nutzen diese touristische Sonderreglung.

Bäuerliches Lobbying lässt sich nicht auf den Gesetzgebungsausschuss eingrenzen. Es reicht weiter darüber hinaus. Jüngstes Beispiel ist die Gemeindeimmobiliensteuer GIS auf die „Urlaub auf dem Bauernhof“-Betriebe. Der Hoteliers- und Gastwirteverband HGV war über diese bäuerliche Konkurrenz nicht begeistert, noch viel weniger über die Sonderregelungen aller Art. Mit dieser Sonderregelung versuchte der Rat der Gemeinden aufzuräumen. Der Rat drängte darauf, die Gemeindeimmobiliensteuer für Urlaub auf den Bauernhof zu erhöhen. So sollten Gemeinden die GIS von 0,2 auf 0,56 Prozent erhöhen können, wenn Wohnraum touristisch vermietet wird.

SVP-Bauer Locher wies den Rat der Gemeinden zurecht. Die Bauernhöfe sind laut Locher benachteiligt, weil sie sich abgelegen auf dem Land befinden. Außerdem halte sich die Touristenschar in Grenzen. Lochers Aufbegehren zeigte sofort Wirkung. Die SVP-Fraktion sprach sich gegen eine GIS-Erhöhung aus, obwohl das Geld dringend benötigt wird (Südtiroler Wirtschaftszeitung 2022b).

Allergisch reagierte der Bauernbund mit einer Breitseite (Christanell 2022) auf die jüngsten Bahnpläne. Die Bahnlinie Bozen-Meran soll zweigleisig ausgebaut und begradigt werden. Ein dringliches Projekt, nicht aber für die betroffenen Bauern, die für den Ausbau der Bahnstrecke Grund und Boden abtreten werden müssen. Nach Gesprächen mit dem Bahnbetreiber RFI (Rete Ferroviaria Italiana) stellte der Bozner Bezirksmann des Bauernbundes, Oswald Karbon, auf Rai Südtirol (Rai Tagesschau 2022a) klar, er werde genau aufpassen, dass es bei den Enteignungen korrekt und zu einem fairen Preis zugeht. So als ob Enteignungen in Südtirol unkorrekt und die Enteignungspreise unfair seien.

5. Den Wolf schießen, den Kompatscher jagen

Seit Monaten betreibt der Bauernbund in Abstimmung mit dem Medienunternehmen Athesia eine landesweite Kampagne, mit der Bär und Wolf als der Tod der Berglandwirtschaft hochgeschrieben werden. Nicht die EU-Agrarpolitik und ihre Förderung der Agrarkonzerne, nicht der Markt und die unverschämt niedrigen Preise würgen die Berglandwirtschaft ab, nein Bär und Wolf. Jungbauern fürchten um ihre Zukunft, schlug die Südtiroler Bauernjugend Mitte Oktober 2022 mit einem „Positionspapier“ Alarm (Südtiroler Bauernjugend 2022).

2018 wurden 18 Wölfe in Südtirol gezählt, 2019 waren es 35, die meisten davon Einzeltiere. 2022 lag die geschätzte Zahl zwischen 17 und 35 Wölfen. Mit der ständig steigenden Anzahl der Wölfe werden auch mehr Nutztiere gerissen, bestätigt und bedauert Landesrat Schuler (Mayr 2022b).

Die gefährdete Zukunft in Zahlen gepresst: Jährlich steigt die Anzahl der Wolfsrisse. 22 Wölfe rissen im Jahr 2020 Nutztiere im Wert von fast 18.000 Euro. 2021 betrug die Vergütung des Landes bereits 54.000, 2022 kletterte die Auszahlungssumme auf mehr als 127.000 Euro (Mayr 2022b).

Südtirols Nutztier-Population, Rinder, Schafe und Ziegen, beträgt mehr als 96.000 Stück. 500 werden von Wölfen gerissen. 2.000 bis 2.500 Tiere fehlen beim Alm­abtrieb, werden Opfer von Unfällen und anderen Unglücken, listet Landesrat Schuler (Mayr 2022b) auf Nachfrage auf.

Ein unorthodoxer Vergleich: Auf Südtirols waldnahen Wiesen werden im Mai–Juni bei der Mahd zahlreiche Rehkitze getötet, schreibt die Münchner Initiative Kitzrettung (Meier 2019). In Zusammenarbeit mit der Forstverwaltung und den Bauern stöbert diese Initiative – wie andere auch – per Drohne versteckte Kitze in den Wiesen auf. Landesweit konnten damit immerhin mehr als 1.300 Kitze gerettet werden. Die Zahl der getöteten Rehkitze liegt nicht vor. Der Tiroler Jagdverband (Lettl 2022) weist darauf hin, dass in Österreich bei der Mahd jährlich 25.000 Kitze getötet werden.

Wegen der wachsenden Wolfspopulation stieg das Land Südtirol aus den europäischen Projekten Ursus und WolfAlps aus. Der Landtag verabschiedete ein Gesetz zur „Entnahme“ von „auffällig“ gewordenen Wölfen. Unter Umständen kann der Landeshauptmann zum Töten eines Tiers ermächtigen. Das Gesetz enthält aber eine staatlich vorgegebene Sicherheitsplanke: Ein Abschuss ist nur nach einem entsprechenden positiven Gutachten des zuständigen „Höheren Instituts für Umweltschutz und Forschung“, Istituto Protezione Ambientale, ISPRA (AW 2022) des Umwelt­ministeriums möglich. Weil staatliche Kompetenz. Der Bauernbund kritisierte es als ein zahnloses Landesgesetz.

Die Klage der italienischen Regierung gegen das Landesgesetz wies das Verfassungsgericht zurück. Das Gericht erkennt an, zitiert die Wochenzeitung FF das Urteil, dass der Schutz der Berglandwirtschaft gleich wichtig sei wie der Umweltschutz, begrüßte Landesrat Arnold Schuler (Hz 2021; Mayr 2022b) die höchstrichterliche Entscheidung. Das Verfassungsgericht wies in seinem Urteil aber nachdrücklich darauf hin, dass sich das Land an die europäische Habitat-Richtline zu halten habe, andere Möglichkeiten wie den Herdenschutz ergreifen, das bindende ISPRA-Gutachten einholen müsse. Der Handlungsspielraum des Landes ist somit gering.

Tatsächliche beantragte das Land bei der Ispra schon dreimal, Problem-Raub­tiere abschießen zu dürfen. Das ISPRA lehnte unmissverständlich ab: Die EU-Richt­linien zu Flora und Habitat verlangen, dass zunächst Maßnahmen zum Schutz der Herden umgesetzt werden. Landesregierung und Landesverwaltung setzen auch ­deshalb auf Herdenschutz (Dall’O 2022). Die Wochenzeitung FF zitierte Günther ­Unterthiner (Dall’O 2022), Direktor der Abteilung Forstwirtschaft, laut dem Süd­tirol auf diesem Gebiet alles andere als vorbildlich ist.

Die Zustimmung zum Herdenschutz hält sich in überschaubaren Grenzen. Seit 2018 finanziert das Land den Ankauf von Herdenschutzzäunen, acht Euro gibt es für den Laufmeter. Im ersten Jahr wurden 20 Ansuchen um Förderung gestellt, 2019 waren es nur noch vier. Der Kommentar der Wochenzeitung FF: „Herdenschutz ist in Südtirol noch immer verpönt. Der Wolf soll weg. Punkt“ (Werth 2020).

Die Landesverwaltung setzte über ihren Forstdienst zehn Maßnahmen zum Schutz von Herden um, Kosten: 350.000 Euro. In den vergangenen fünf Jahren zahlte das Land für insgesamt 30 Herdenschutz-Projekte zusätzlich 217.000 Euro aus (Mayr 2022b).

Landesrat Schuler (Mayr 2022b) zieht einen Vergleich, das Trentino unterstützt 90 Herdenschutzprojekte, Tirol stellte in den vergangenen zwei Jahren Schutz­projekten eine Million Euro zur Verfügung. Damit wurden mehr als 350 km Schutzzäune aufgezogen.

Die Behirtung von 500 Schafen im Schleiser Tal, besonders in der Nacht mit Schutz in Nachtpferchen hinter Elektrozäunen, wird wohl eine der wenigen Ausnahmen landesweit sein, würdigt die FF (2019) den Herdenschutz (Larcher 2019). Trotz der erstaunlichen Vorteile durch die ständige Behirtung, wie weniger Verletzungen durch Unglücke und Erkrankungen, die optimale Nutzung der Weidegebiete durch die mobile Zaunabgrenzung, usw. ist der Bauernbund davon wenig überzeugt.

Zurück zum Istituto Protezione Ambientale. Seine Genehmigung ist nicht verhandelbar, weil obligatorisch bindend. So bestätigte der Staatsrat ein Urteil des Verwaltungsgerichts Latium, das der autonomen Provinz Trient verbot, Problembären ohne Genehmigung durch die Umweltschutzbehörde abzuschießen (AW 2022). Diese Entscheidung gilt auch für den Wolf. Landesrat Schuler bedauert in der FF dieses Urteil, „es ist ein Rückschritt” (AW 2022).

Werden alle Auflagen eingehalten, Herdenschutzmaßnahmen und positives ISPRA-Gutachten, darf der Wolf oder der Bär geschossen werden. Aber weder vom Jagdaufseher noch vom Jäger, einzig und allein nur vom beauftragten Förster, betonte Direktor Unterthiner in der FF (Dall’O 2022). Und noch eine Klärung der komplexen Frage. Werden die erwähnten Abschuss-Vorgaben nicht eingehalten und der Abschuss wird freigegeben, ist ein Strafverfahren die Folge. Wer schießt, wird zur Rechenschaft gezogen, warnte PD-Senator Luigi Spagnolli (Dall’O 2022) vor der Schärfe der Gesetzgebung.

Keine Frage, manche Wölfe kommen dem Menschen gefährlich nahe. Keine Frage auch, dass niemand einen Wolf in unmittelbarer Nachbarschaft haben möchte. Sind sie aber tatsächlich die Ursache für den angeblichen Niedergang der Berglandwirtschaft? Im publizistischen Kampf gegen den Wolf kooperierte der Bauernbund mit der Lega. Letzthin wurde gar Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida von der politisch weit rechts angesiedelten Regierungspartei Fratelli d’Italia zum Bündnispartner, weil er bei einem Treffen mit der Bauernjugend angeblich drastische Maßnahmen versprochen hat (Rai Tagesschau 2022b). Eine mächtige Front aus Athesia, Lega, Fratelli d’Italia und Bauernbund schießt auf den Wolf – und auf Landeshauptmann Kompatscher.

In der Studie „Der Wolf in Südtirol“ aus dem Jahre 2017 stellte die Europäische Akademie (Favilli 2017) fest, dass die Hälfte der Befragten durchaus bereit ist, präventive Maßnahmen einzusetzen. Von dieser Studie zeigte sich der Bauernbund völlig unbeeindruckt. Die Geographie Südtirols eigne sich nur bedingt für Herdenschutzmaßnahmen.

6. Die SVP, am Gängelband des Bauernbundes

Der bedrohende Wolf führt zusammen, was eigentlich nicht zusammenpasst. Ein Vorurteil, das wie viele Vorurteile so nicht stimmt. Nach den Landtagswahlen 2018 zählte der Bauernbund zu einer der treibenden Kräfte, die die SVP zur Koalition mit der Lega drängte. Dieses Zusammenwachsen beschreibt der SBB euphorisch: „Diese neue Landesregierung enthält viel Landwirtschaft, inhaltlich und personell. Die landwirtschaftlichen Themen nehmen viel Raum ein“, so, als ob frühere Landes­regierungen die Landwirtschaft vernachlässigt hätten. Verantwortlich dafür ist laut digitalem „Landwirt“ der federführende mitverhandelnde Bauernbund-Direktor Siegfried Rinner, zitierte salto.bz den „Landwirt“ und den SBB (Gasser 2019).

Rinner würdigt sein eigenes Wirken, indem er daran erinnert, dass die Landwirtschaft in den Regierungserklärungen der vergangenen Amtsperioden höchstens am Rande vorkam: „Diesmal erkennt die Politik die besondere Rolle der Südtiroler Landwirtschaft und bäuerlichen Familien für das Land an. Wir werden darauf achten, dass die Maßnahmen auch umgesetzt werden“, zitiert der oben genannte „Landwirt“ den bäuerlichen Verhandler Rinner. Eine Aussage, die nicht nach einer verklausulierten Misstrauenserklärung klingt.

Die Zahlen sprechen allerdings eine völlig andere Sprache. Laut Obmann Tiefen­thaler schrumpfte die Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe im Zeitraum von 2000 bis 2010 um 13 Prozent. Staatsweit waren es 37 Prozent, belegte die offizielle staatliche Landwirtschaftszählung. Zehn Jahre später, 2020, machten laut Tiefen­thaler (Mayr 2022a) nur mehr 1,3 Prozent der bäuerlichen Betriebe dicht.

Rinner hegt und pflegte sein Misstrauen besonders jenen gegenüber, die Kritik am Bauernbund wagen. Ein Beispiel: SSB-Obmann Tiefenthaler warb in einem Interview mit Rai-Südtirol im Juli 2020 (Rai Tagesschau 2020a) dafür, dass die Covid-Tests der 16.000 Erntehelfer/-innen der Sanitätsbetrieb bezahlen soll und nicht die bäuerlichen Betriebe. Unterstützt wurde Tiefenthaler vom damaligen Gesundheitslandesrat Thomas Widmann, von Beruf Nebenerwerbsbauer, also auch selbst betroffen und ein SBB-Mandatar im Landtag.

Dagegen sprach sich in seiner Reaktion einen Tag später Landesrat Schuler im Rai-Morgengespräch (Rai Tagesschau 2020b) aus. Das Land werde nicht die Kosten in der Höhe von 1,5 Millionen Euro übernehmen, widersprach Schuler Tiefenthaler und Widmann und empfahl das Testen der Erntehelfer/-innen in ihren Heimat­ländern.

Als Landeshauptmann Kompatscher klarstellte, dass die öffentliche Hand keineswegs das Testen bezahlt, schlug der Bauernbund zurück. Obmann Tiefenthaler eher diplomatisch, orakelte von einer Falschmeldung von Rai-Südtirol, der Bauernbund habe nie die Bezahlung gefordert, sondern das sei ein Angebot des Sanitäts­betriebes gewesen (Franceschini 2020).

Direktor Rinner konnte in der Rubrik „Meine Meinung“ in der Tageszeitung Dolo­miten ordentlich zulangen. Unter dem Titel „Die Verantwortung der Medien“ warf Rinner der Rai eine Falschmeldung vor, „die wieder einmal Neid und Streit schürt, anstatt objektiv zu berichten […] Entscheiden in Zukunft die Internetschreiber und die RAI auch, wer das Krankenhaus oder die Krebs-OP selbst bezahlen muss?“, giftete der SBB-Direktor. Rinner empfahl all jenen, die sich über diese Helfer und die Kosten der Tests aufregen, dass sie „ruhig unter Agrijobs.it anmelden und arbeiten können, anstatt sich die Finger wund zu schreiben und das Maul zu zerreißen“ (Rinner 2020).

Christoph Franceschini benennt in seiner Kolumne „Mieses Bauern(bund)theater“ auf salto diese Auseinandersetzung als „Schmierentheater“, das deutlich mache, „dass Arroganz und Hochmut an der Spitze des Bauernbundes keine Grenzen kennen“ (Franceschini 2020).

Der Bauernbund ist stolz auf seine Tradition. Zu dieser zählt auch die politische Einflussnahme. Wohl kaum ein Wirtschaftsverband nutzt seine Kraft wie der Bauern­bund so ungeniert und auch so aggressiv. Der Bauernbund scheint tatsächlich der Maschinenraum der SVP zu sein, um die Wochenzeitung FF (Werth 2022) zu zitieren.

Der Bauernbund ist engagiert für seine Leute unterwegs, wie etwa für den Bozner Vizebürgermeister Luis Walcher. In Bozen stellen die Bauern ein Prozent der Bevölkerung, rechnet Tiefenthaler vor (Mayr 2022b) und trotzdem stellen sie den Vize-Bürgermeister. Der Vize-Bürgermeister will es jetzt wissen, er kandidiert für den Landtag im November 2023. Er wurde bei den Basiswahlen des SBB als Viertplatzierte gewählt. Walcher und seine mitgewählten Franz Locher, Maria Hochgruber-Kuenzer und Josef Noggler sind die bindenden SBB-Kandidaten auf der SVP-Landtagsliste (SBB 2023), werden vom Bauernbund getragen.

Wie auch Manfred Vallazza, der vom SBB verteidigt wird und sich nichts vorwerfen lassen will. Die Neue Südtiroler Tageszeitung zitierte Mitte August 2022 das entsprechende Urteil des Bozner Verwaltungsgerichts, laut dem Vallazza im Fall seiner Baulandfinanzierung der öffentlichen Hand einen finanziellen Schaden zugefügt haben soll (Oberhofer 2022). Verteidigt wird Vallazza auch von seinem Bauernbund-Kollegen Franz Locher, der beim „Treffpunkt Wirtschaft“ in Bad Schörgau Ende Juni 2022 meinte, er vertrete nicht das Gesetz, sondern die Bauern (Autonome Provinz Bozen – Südtirol 2022).

7. Die starken SBB-Männer

Die Verflechtung zwischen Bauernbund und SVP zählt zur politischen Tradition, liegt in deren Genen. Die folgende Auflistung wird deshalb wohl wenig überraschen.

1956 wird Hans Dietl, der Architekt des „Los von Trient“ und Verfechter einer weitreichenden Landesautonomie, Obmann des Bauernbundes. Er lässt die regio­nale Koalition mit der DC platzen, weil sich diese nicht um die Berglandwirtschaft scherte. Dietl ist allerdings eine Ausnahme in der Reihe der Bauernbund-Exponenten, seine politische Karriere endet mit dem Rauswurf aus der SVP, als er sich im italienischen Parlament gegen das „Südtirol-Paket“ aussprach.

1961 wird Heinold Steger SBB-Direktor, 1967 Landesrat für Landwirtschaft. Sein Nachfolger in der SBB-Direktion wird 1967 Luis Durnwalder, seit 1973 Landtagsabgeordneter und von 1989 bis 2014 Landeshauptmann. Vom Bauernbund-­Direktor zum allmächtigen und erfolgreichen Landeshauptmann, eine Art Personal­union, die aus dem Bauernbund mehr macht als nur ein Vorzimmer zur Macht im Land.

Auf Durnwalder folgt Berthold Pohl als Direktor. Er galt als ein harter Arbeiter, der Nägel mit Köpfen machte. Pohl baute den Bauernbund um, machte aus einem Traditionsverband eine schlagkräftige Interessenorganisation.

1991 löst Thomas Widmann Pohl als Direktor ab. Die SBB-Direktion wird zum Sprungbrett in die SVP. Widmann wird SVP-Landessekretär, dann Landesrat, dazwischen Landtags- und Regionalratspräsident, um dann 2022 über sein Netzwerk „Freunde im Edelweiß“ aus der Landesregierung zu stolpern. Seitdem profiliert er sich im Landtag als SVP fraktionsinterner Gegner des Landeshauptmannes.

1997 folgt auf Widmann Herbert Dorfmann, der sich dank der vielköpfigen Kraft des Bauernbundes und seines Umfeldes 2009 bei der SVP-Basiswahl um die Europaparlaments-Kandidatur gegen seinen Konkurrenten Christoph Perathoner durchsetzen konnte und seitdem Europaparlamentarier ist. Er sitzt über eine Listenverbindung mit Forza Italia im Europaparlament.

Dorfmann gilt als der Mann der kleinteiligen Südtiroler Landwirtschaft in Brüssel. Die niederländische NGO Corporate Europe Observatory warf 2021 in der FF (Hinterwaldner 2021) und auf Rai-Südtirol (Mayr 2021) hingegen Dorfmann vor, Fürsprecher der Agrar-Lobby zu sein, der industrialisierten Landwirtschaft. NGO-Sprecherin Nina Holland führt Buch, Dorfmann trifft sich öfters mit den Lobbyisten der Agrar-Lobby, so ihre Kritik, aber höchst selten mit den NGOs. Deshalb, schlussfolgerte der deutsche BUND Naturschutz (BUND 2022) in seiner Analyse schon 2012, „wer viel Fläche hat, bekommt viel Geld“, ist die Agrar-Industrie die Nutz­nießerin des millionenschweren EU-Landwirtschaftsbudgets und es sind nicht die bäuerlichen Familienbetriebe.

Der Wechsel vom Bauernbund zur SVP – manchmal auf Umwegen – findet weiterhin statt. Der bis Jänner 2023 amtierende Landessekretär der SVP, Stefan Premstaller, arbeitete als studierter Jurist in der Rechtsabteilung des Bauernbundes.

8. Südtirols Landwirtschaft – Subventionsnutznießerin

Diese personelle Verflechtung bleibt nicht folgenlos. Die Landwirtschaft ist seit 30 Jahren Nutznießerin von hohen Beiträgen, schlüsselte Sozialwissenschaftler Thomas Benedikter auf der Tagung „40 Jahre Paket-Autonomie“ der Südtiroler Gesellschaft für Politikwissenschaft und Eurac (2012) detailliert auf. So waren es im Landeshaushalt von 2012 89 Millionen Euro, 2020 insgesamt – also Land, Staat und EU – 260 Millionen Euro. 2022 Tendenz steigend, stellt Landesrat Schuler (Mayr 2022b) zufrieden fest.

Jährlich frisches Geld zugunsten der Landwirtschaft. Die Liste der öffentlichen Fördermaßnahmen reicht aber noch weiter und eine stark ermäßigte Steuer und ein verringerte Mehrwertsteuersatz begünstigen den Ankauf von Treibstoffen für landwirtschaftliche Maschinen.

Benedikter kommt zum Ergebnis, dass die Landwirtschaft von der öffentlichen Hand rundum betreut wird. Ähnlich formulierte es die „Südtiroler Wirtschafts­zeitung,“, […] unterm Strich noch stärker ins Gewicht fallen zuweilen die günstigen Steuerregeln, die für Bauern gelten“ (Weißensteiner 2021).

„Anderseits ist es augenscheinlich, dass es auch gar nicht wenige recht wohl­habende Bauern gibt, die sich ins Fäustchen lachen, weil sie mit Steuergeldern bedacht, aber vom Fiskus verschont werden,“ analysierte trocken die SWZ „Südtirols Bauern zwischen privilegiert und hilfsbedürftig“ (Weißensteiner 2021). So zahlen die Südtiroler Steuerzahler/-innen an die zwei Milliarden Euro an Einkommens­steuern, aber nur ein sehr geringer Teil davon entfällt auf die Bauern, erinnerte die SWZ (Weißensteiner 2021) an die fehlende Steuergerechtigkeit.

Die einstige Sammelpartei SVP von Silvius Magnago entwickelte sich in eine Partei der Wirtschafts-Akteure, der Bauern, Handwerker, Kaufleute und Hoteliers. Die Verbände nutzen die Partei für ihre Sonderinteressen, früher war es umgekehrt, lautete damals der Vorwurf. Die Partei hielt sich die Verbände. Im Fall des Bauernbundes wird das politische Agieren gekonnt ideologisch verbrämt. Die Landwirtschaft, Quelle für das Einkommen der bäuerlichen Familienbetriebe, die auch noch ökologisch unterwegs ist, gilt als Säule für den Erhalt der typischen Kulturlandschaft, das Markenzeichen der Südtiroler Identität.

Treffender formulierte es Thomas Benedikter in seinem Rückblick auf „40 Jahren Paket-Autonomie“: „Man hat […] den Eindruck, dass nicht so sehr Lobbyismus betrieben wird, sondern die Vertreter der Verbandsmacht an den Schalthebeln sitzen. Sie wechseln dann ab und zu wie mit einer Drehtür aus der aktiven Politik in die Verbandspolitik und wieder zurück“ (Benedikter 2012).

Dieses Agieren erklärt der Bauernbund wie folgt: „Wir müssen näher an die nichtbäuerliche Bevölkerung rücken und zeigen, was die Landwirtschaft für das ganze Land leistet, welche Rahmenbedingungen sie dafür aber braucht und die Landwirtschaft besser erklären“ (Neue Südtiroler Tageszeitung 2018).

9. Fazit

Man muss anerkennen, dass der Bauernbund das Leitmotiv „gemeinsam sind wir stark“ in alltagstaugliche Realität umsetzt. Er schaffte es, den übergroßen Teil der bäuerlichen Betriebe als Mitglieder zu organisieren. Noch erfolgreicher ist der Bauern­bund beim Sammeln von Einzel-Mitgliedern, die weit über den engeren bäuer­lichen Kreis hinausreichen. Die Interessenvertretung SBB überzeugt auch als höchst professioneller Dienstleistungsbetrieb nicht-bäuerliche Bürger/-innen.4

Nicht von ungefähr sind die „bäuerlichen“ Wähler/-innen in den Gemeinden und im Landtag stimmen- und entscheidungsstark vertreten.

Der SBB ist der stärkste Wirtschaftsverband, der der SVP seine Kandidaten und  Kandidatinnen für die Landtagswahlen aufdrückt. Bei seinen „Basiswahlen“ im Dezember 2022 bestimmten die SBB-Mitglieder/-innen vier Kandidaten und Kandidatinnen für die Landtagswahlen im Herbst 2023 (SBB 2023). Dieses SBB-Quartett wird von der Regierungspartei SVP auf die Landtagsliste bindend aufgenommen. Ein Höchstmaß an Verquickung von Interessenverband und Regierungspartei ­(Luther 2023). Gleichzeitig garantiert der Bauernbund der SVP ein sattes Stimmenpolster.

Diese Verquickung ermöglicht einen effizienten SBB-Lobbyismus, der der Politik oft den Takt vorgibt. In den Gemeindestuben, im Landtag, in der Landesregierung. Als besonders eklatant beklagt der Grüne Riccardo Dello Sbarba die systemische Einflussnahme der wirtschaftspolitischen Mächte auf die Arbeit des 2. Gesetz­gebungsausschusses des Landtages. Der Einfluss gehe so weit, „dass die Rechts­expert/-innen der Verbände Gesetze mitschreiben“ (Luther 2023). 

Ist die Politik also in der Geiselhaft des SBB? Paul Köllensperger vom Team K beschreibt auf Rai Südtirol wegen der Rund-Um-Präsenz der Wirtschaftsverbände die SVP als Partei der Bauern, Handwerker, Hoteliers und Industriellen (Rai Tagesschau 2022c).

Die Aktivitäten der bäuerlichen Abgeordneten im 2. Gesetzgebungsausschusses des Landtages, im Landtag und in der SVP-Fraktion erhärten die Ergebnisse der Analyse – die Politik, genauer die SVP, ein Vorhof des SBB.

Anmerkungen

1 „Südtiroler Bauernbund: Der Verband für über 18.700 Mitglieder”, siehe sbb.it.

2 „Südtiroler Bauernbund: Der Verband für über 18.700 Mitglieder”, siehe sbb.it.

3 Siehe sbb.it.

4 Siehe sbb.it.

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