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Judith Innerhofer

Von Schwimmbädern, Freiern und
treuen Händen

Politische Skandale in Südtirol

1. Einleitung: Der Skandal

Der Skandal: Wie kaum ein zweiter Begriff hat er Südtirol und seine mediale Berichterstattung im vergangenen Jahr (2012) geprägt. Verantwortlich dafür war zweifelsohne das sukzessive Bekanntwerden der Vorgänge rund um die Südtiroler Elektrizitätsaktiengesellschaft SEL AG (siehe den Beitrag von Karl Hinterwaldner in diesem Band). Aber der Fall SEL ist keineswegs der erste und einzige Fall, der in der Öffentlichkeit des Landes mit dem Attribut „skandalös“ versehen wurde. Anhand verschiedener Beispiele aus den vergangenen Jahrzehnten – exemplarisch und ohne Anspruch auf Vollständigkeit – soll im Folgenden der Begriff Skandal selbst und sein konkretes Auftreten im Kontext der politischen Kultur und des politischen Systems in Südtirol untersucht werden.

Gerade im Umfeld von Macht im Allgemeinen und Regierungen im Speziellen prägten und prägen sogenannte Skandale und Affären unzählige Male öffentliche und mediale Debatten, nicht selten mit einschneidenden Konsequenzen für die involvierten politischen Eliten. Da hatte beispielsweise ein offenbar unrechtmäßiges Gerichtsverfahren, in dem der französische Artillerie-Hauptmann jüdischen Glaubens Alfred Dreyfus des Hochverrats verurteilt worden war, im Jahr 1894 die Kraft, ganz Frankreich in eine gesellschaftliche wie politische Krise zu stürzen. Die Spiegel-Affäre, ausgelöst durch den von der Politik gesteuerten Versuch, kritische Berichterstattung durch das Eingreifen von Polizei und Justiz zu untergraben, erfasste 1962 nicht nur bedeutende Teile der politischen Spitze Deutschlands, sie hat auch die öffentliche Meinung der Bundesrepublik nachhaltig geprägt. Auch der erste Rücktritt eines Präsidenten in der Geschichte der Vereinigten Staaten war die Konsequenz aus dem Watergate-Skandal von 1974, der als bislang größter Polit­skandal der USA in die Geschichtsbücher eingegangen ist. In Italien wurde der Begriff tangentopoli Anfang der 1990er-Jahre zum Synonym von Korruption, Vetternwirtschaft und maroden Machtstrukturen, zudem leistete dieser Skandal einen wesentlichen Beitrag zum Zusammenbruch des gesamten Parteiensystems sowie zum Ende der Ersten Republik.

Schon in der Geburtsstunde der Demokratie, im antiken Griechenland, scheinen Skandale ein nahezu genuiner Effekt der demokratischen Öffentlichkeit zu sein. So kam auch der Philosoph Aristoteles nicht um die Feststellung herum, dass der „skándalon“ – im ursprünglichen Wortsinn das Steckhölzchen im Schnappmechanismus einer Tierfalle – wesentlich sei für eine Gesellschaft, um ihre ethischen Maßstäbe immer wieder neu zu justieren. Eine solche Bewertung des Skandals zieht sich durch weite Teile der zeitgenössischen Politik-, Medien- und Sozialwissenschaft.

Ist dem tatsächlich so? Ist der Skandal, wie von Dario Fo kurz und bündig postuliert, die „Katharsis der bürgerlichen Gesellschaft“ (vgl. Fo 2006)? Oder hat er eine andere, vielleicht auch gar keine relevante Funktion? Und was überhaupt macht einen Skandal aus? Was ist der Skandal, vor allem jener im politischen Kontext?

Eine verbindliche Definition dessen, was ein Skandal ist, gibt es nicht, obwohl oder vielleicht gerade weil der Terminus in der Gegenwart ein ständig anzutreffender Alltagsbegriff ist. Kurz vorausgeschickt sei auch, dass weder die mediale Berichterstattung noch die Wissenschaft eine klare Trennlinie zu ziehen vermögen zwischen einem Skandal, einer Affäre oder zuweilen auch einem „Fall“ und einer „Causa“ (vgl. Hondrich 2002, Kepplinger 2005, Burkhard 2006, Kepplinger 2012). Den Skandal, als Terminus seit dem 16. Jahrhundert in der deutschen Sprache belegt, definiert der Duden heute als ein „Geschehnis, das Anstoß und Aufsehen erregt“. Ein solcher Vorgang kann freilich verschiedenster Natur sein. Es kann sich um eine erotische Begebenheit rund um eine prominente Persönlichkeit handeln, um Aufruhr im Kunstbetrieb oder um einen Vorfall in der Finanzwirtschaft. Es gibt Umweltskandale, Bauskandale, Medizinskandale und zahlreiche mehr. Um sie alle, wie auch den politischen Skandal, greifbar zu machen, bedienen sich wissenschaftliche Definitionen zumeist der grundlegenden Charakteristika und insbesondere der Voraussetzungen für das Zustandekommen eines Skandals (vgl. Ebbingshausen/Neckel 1998, Hondrich 2002, Bellers/Königsberg 2004, Burkhard 2006, Bergmann/Pörksen 2009, Kepplinger 2012).

In der kürzesten Variante lautet dies: Skandal ist, wenn es eine vermeintliche oder tatsächliche Normverletzung gibt, die enthüllt wird und zu öffentlicher Empörung führt.

2. Pluralismus als Motor

Diesem Ablauf folgte auch das erste und chronologisch älteste hier angeführte Beispiel eines Skandals in Südtirol: die sogenannte Schwimmbad-Affäre (vgl. Oberhofer 1993, Peterlini 1993). Der vermutete Missstand, der den Skandal im Jahr 1993 auslöste, bestand in Bauarbeiten in der Privatvilla von Landeshauptmann Luis Durnwalder, die 13 Jahre zuvor durchgeführt und zumindest teilweise über die Viehverwertungsgenossenschaft Vives abgerechnet worden sein sollen. Diese Genossenschaft erhielt selbst später den Ruf eines Skandalbetriebs, dessen chronische finanzielle Schieflage 1989 zur Insolvenz führte. Aber im Jahr 1980, zum Zeitpunkt der Bauarbeiten an Schwimmbad und Sanitäranlagen in der Villa von Luis Durnwalder, war dieser noch Landesrat für Landwirtschaft und damit zuständig für die Vives, die im selben Jahr auf seinen Vorschlag hin zudem hohe öffentliche Subventionen erhalten hatte.

Der Aufdecker der Schwimmbad-Affäre war der damalige Redakteur des Südtiroler Wochenmagazins „ff“, Arthur Oberhofer, dessen initiale Berichterstattung wiederum zu großem Aufruhr und zu Diskussionen in der Südtiroler Öffentlichkeit führte. Dabei folgt nicht auf jeden Skandal zwingend eine geschwächte Stellung der involvierten, für den Missstand verantwortlich gemachten Akteure, wie dieser Fall emblematisch zeigt: Luis Durnwalder, der angebliche „Täter“, konnte bei den nur ein halbes Jahr später stattfindenden Wahlen zum Südtiroler Landtag mehr als 80.000 Vorzugsstimmen für sich verbuchen und damit seine Position an der Spitze der Südtiroler Volkspartei und des Landes weiter festigen. Hingegen musste der damalige Chefredakteur der „ff“, Hans-Karl Peterlini, der die Berichterstattung des Magazins über den Fall bestärkte, nach der Archivierung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen aus Mangel an Beweisen seinen Posten räumen.

Dennoch: Im Unterschied zu vielen anderen von den Medien ausgerufenen Skandalen und Affären ist die Schwimmbad-Affäre einer breiteren Öffentlichkeit bis heute ein Begriff geblieben. Die besondere Rolle, die dieser Skandal in der Geschichte Südtirols seit 1945 einnimmt, gründet weniger in den unmittelbaren Konsequenzen für die Beteiligten. Vielmehr zeigt die Schwimmbad-Affäre so wie Skandale allgemein, wie es um das Verhältnis von Medien, Politik und Öffentlichkeit bestellt ist. In diesem Punkt ist sich die Skandalforschung fast durchwegs einig: Skandale können in ihrer Eigenschaft als kollektive Empörung nur dort entstehen, wo es freie Presse und verschiedene, miteinander konkurrierende politische Akteure gibt (vgl. Hondrich 2002, Burkhard 2006, Kepplinger 2012). Häufen sich Skandale, ist das also nicht zwingend als Zeichen für gestiegene Korruption oder für häufigeres Fehlverhalten zu werten, sondern mindestens ebenso ein Ausdruck von Pluralismus und einer offenen Gesellschaft.

Diese Annahme scheint sich im Blick auf Südtirol zu bestätigen. Bis in die 80er-Jahre finden sich nur spärlich mediale Diskussionen um politische Skandalfälle. Die Medienlandschaft bestand bis dahin primär aus den deutschsprachigen Printprodukten des Familienkonzerns Athesia, der wiederum eng an die regierende Volkspartei gekoppelt war und ist. Weder die Athesia-Medien noch die italienischsprachige Tageszeitung „Alto Adige“ betrieben jenen Enthüllungsjournalismus, der vermeintliche oder tatsächliche Vergehen aufdeckt und damit in den Augen der Öffentlichkeit zu Skandalen macht. In den Reihen der wenigen, meist kleineren kritischen Medien wie „Die Brücke“ oder der Hochschülerzeitung „skolast“ wiederum verstand man sich weder als klassische Enthüllungsjournalisten noch erreichten diese Informationsträger eine ausreichende LeserInnenschaft.

Der klassische Skandal ist also in die Logik der Massenmedien eingebettet. In diesen Kontext fügt sich die Funktion der freien Presse als „vierte Gewalt im Staat“ und als Wächter der Demokratie: Medien, so die Annahme, sind nötig, um politische Macht zu kontrollieren, zu kritisieren und um die Macht der informierten Öffentlichkeit aufrechtzuerhalten.

3. Privatsphäre und ethische Normen

Allerdings produziert der massenmediale Alltag auch die Gefahr einer „Skandal-Inflation“. Unter dem Druck von Auflagensteigerung konkurrieren Nachrichtenhäuser, und darunter in noch höherer Frequenz Boulevardformate, mit nahezu alltäglicher Skandal-Berichterstattung. Skandale und Affären sind in der medialen Tageslogik ein nicht mehr wegzudenkendes Mittel, um das mutmaßliche Interesse der LeserInnen zu wecken und Auflagen zu steigern. Diese allgemeine Tendenz muss nicht uneingeschränkt positive Folgen für Gesellschaft und Rechtsstaat nach sich ziehen, wie ein weiteres lokales Beispiel zeigt.

Im Frühjahr 2011 wurde in einigen Südtiroler Medien unter den Titeln „Sexgate“ und „Bozner Rubygate“ ausgiebig über einen mit Erotik verbundenen Skandal berichtet. Im Zentrum des Geschehens stand eine Frau aus Marokko, die in einer Wohnung in Bozen minderjährige Mädchen an Freier verkauft haben soll. In der medialen Logik hätte diese Enthüllung besonders große kollektive Empörung entfachen sollen, da es sich bei den mutmaßlichen Tätern zum Teil um prominente Bürger der Landeshauptstadt handelte und Spekulationen um weitere namhafte Involvierte nicht ausblieben (vgl. Innerhofer 2011, o.A. 2012a). Angesichts wenig stichhaltiger neuer Enthüllungen wurde es allerdings schon recht bald still um den Sittenskandal. Sechs der insgesamt 19 Beschuldigten stimmten einem gericht­lichen Vergleich (patteggiamento) zu, alle anderen wurden vor Gericht freigesprochen, da ihnen nicht nachgewiesen werden konnte, von der Minderjährigkeit der Mädchen gewusst zu haben.

Brisant ist dieses Beispiel nicht zuletzt aus Sicht der presserechtlichen Verpflichtung zum Persönlichkeitsschutz. Im Falle des „Bozner Rubygates“ waren es die italienische Tageszeitung „Alto Adige“ und die „Neue Südtiroler Tageszeitung“, die am selben Tag von bislang geheimen, seit Monaten laufenden Ermittlungen der Bozner Staatsanwaltschaft berichteten und den Fall somit publik machten. Aus Sicht der Justiz kann eine derartige Vorab-Enthüllung problematisch für weitere Recherchen sein. Problematisch ist ein Fall wie der Bozner Sittenskandal aber vor allem für die vermeintlich oder faktisch Involvierten. Die Veröffentlichung der Namen von acht Personen in diesem Kontext war heikel, da gegen sie zwar ermittelt wurde, aber keine Anzeige erhoben worden war.

Episoden aus dem Privatleben von Entscheidungsträgern lösen in Südtirol aber nur selten tatsächliche Skandale aus, ganz im Gegensatz zu den vielen Sex-Skandalen, die vor allem in angelsächsischen Ländern nahezu regelmäßig hohe Amtsträger zum Rücktritt zwingen, wie etwa den New Yorker Gouverneur Eliot Spitzer 2008, den nordirischen Premier Peter Robinson 2011, den US-Abgeordneten Anthony Weiner 2011 oder CIA-Chef David Petraeus im November 2012. Der Blick auf die Art der Normverletzung, der vom öffentlichen Kollektiv als skandalträchtig wahrgenommen wird, ist interessant, liefert er doch auch einen Lagebericht über ethische Werte und politische Kultur. Während etwa in Deutschland Aussagen, die eine mangelnde Distanz zum Nationalsozialismus erkennbar machen, regelmäßig von einer erregten Öffentlichkeit diskutiert werden und häufig auch größere Konsequenzen für die „Täter“ nach sich ziehen, offenbarten die Reaktionen auf den sogenannten Zigeuner-Sager von Roland Atz im Jahr 1993 ein differenziertes Bild von Südtirol. Atz, zum damaligen Zeitpunkt SVP-Verkehrsstadtrat in Bozen, hatte in einem Streitgespräch erklärt, „die Zigeuner gehören alle erschlagen und vergast“ (o.A. 1993). Obwohl der Politiker die Aussage nicht zurückzog, wurde er von Teilen seiner Partei wie auch von den WählerInnen gestützt und zog nach den nur wenige Wochen später stattfindenden Wahlen in den Südtiroler Landtag ein.

Für deutlich größere Aufregung sorgte 15 Jahre später dahingegen ein Kunstskandal, mit dem es das Land Südtirol bis in die internationale Berichterstattung schaffte und der sich auf die Politik ausweitete. Ins Rollen gebracht wurde die sogenannte Frosch-Affäre von 2008 (vgl. Unterkofler 2008) von der Sonntagszeitung Zett. Sie und in der Folge die gesamte Athesia-Verlagsgruppe verorteten bei der Eröffnung des neuen Museums für moderne Kunst in Bozen in einem Werk des deutschen Künstlers Martin Kippenberger – ein grüner Frosch am Kreuz mit ausgestreckter Zunge, der einen Bierkrug und ein Ei in den Händen hält – einen Angriff auf abendländische und vor allem auf christliche Werte. Hohe politische ExponentInnen stiegen in die moralische Empörung umgehend ein, Landeshauptmann Luis Durnwalder forderte die Entfernung des Kunstwerks und SVP-Politiker Franz Pahl trat für dieses „Anliegen“ sogar in den Hungerstreik, nachdem ihn unter anderem ein Brief des zu dieser Zeit in Brixen urlaubenden Papstes erreicht hatte, der den Frosch eine „Verletzung religiöser Gefühle“ nannte. Eine Leserbriefe-Schlacht ohnegleichen folgte, das empörte Meinungsklima nahm nicht selten hasserfüllte Züge an. Ob nun Resultat der massiven Athesia-Medienkampagne gegen das Kunstwerk oder Ausdruck der Südtiroler Volksmeinung, jedenfalls musste Kippenbergers Arbeit – ein Selbstportrait des Künstlers – nach einigen Monaten tatsächlich vom ursprünglichen Platz abgehängt und in den dritten Stock des Museums verlagert werden. Die Debatte hingegen hielt noch lange an. Im engeren Sinne ist die Frosch-Affäre zwar ein Kunstskandal. Weil die Auseinandersetzung aber besonders von politischen Vertre­terInnen angeheizt und von maßgeblichen politischen Exponenten eine Entfernung des Werks eingefordert wurde, weist dieser Skandal ebenso politische Aspekte auf.

4. Skandalisierende Eigendynamik

Eindeutig politischer Natur ist ein mutmaßlicher Missstand, der im vergangenen Jahr zumindest auf nationaler Ebene als skandalös empfunden wurde, in Südtirol selbst allerdings weit weniger Empörung ausgelöst hat. Im Zentrum der – noch nicht abgeschlossenen – Kontroverse steht der Sonderfonds, auf den der Südtiroler Landeshauptmann für diverse Spesen zurückgreifen kann (vgl. Larcher 2012, LPA 2012, Luizzi 2012, Pasqualetto 2012). Luis Durnwalder soll, so der Verdacht der noch laufenden Ermittlungen von Rechnungshof und Staatsanwaltschaft, diese öffentlichen Gelder in der Höhe von 72.000 Euro jährlich unzulässigerweise auch dazu genutzt haben, um Privatausgaben vorzufinanzieren.

Durnwalder, der die Korrektheit seines Handelns strikt verteidigte, trat umgehend in die Opferrolle, indem er den berichtenden Medien wiederholt vorwarf, sich gegen seine Person verschworen zu haben. Diese Reaktion entspricht einerseits einem skandaltypischen Verhalten von Beschuldigten. Interessant ist Durnwalders Gegenangriff allerdings aus einer spezifischen Südtiroler Perspektive, da sich die Verschwörungstheorie eben nicht primär gegen bekannterweise kritische Medien richtete, sondern gegen die traditionell SVP-nahen Athesia-Blätter, die schon in den Monaten zuvor mit einem ungewohnt scharfen Tonfall gegenüber Durnwalder für Aufsehen und Verwunderung gesorgt hatten.

Als Landeshauptmann gehört Luis Durnwalder eindeutig zu jenen politischen Spitzenakteuren, die medial immer wieder mit Skandalen und Affären in Verbindung gebracht worden sind. Ein weiteres Beispiel ist die sogenannte Sadobre-Affäre (vgl. Hinterwaldner 2011a, Vikoler 2006, E.B. 2006, o.A. 2006). Streitpunkt war Durnwalders Wählbarkeit bei den Landtagswahlen 2003, da er zu diesem Zeitpunkt auch Aufsichtsrat der Sadobre AG war. Einem Regionalgesetz zufolge können Personen, die Vorstandsmitglieder einer vom Land kontrollierten Gesellschaft wie der Sadobre sind, nicht in den Landtag gewählt werden. Das Justizverfahren nahm mehrere Wendungen und am Ende einen äußerst skurrilen Verlauf: Weil der Anwalt der Klägerseite den Termin am Kassationsgericht schlichtweg „verschlief“, war der Fall für Luis Durnwalder drei Jahre später endgültig erledigt. Noch vor dem endgültigen Urteil war zudem die sogenannte Lex Durnwalder verabschiedet worden, ein Regionalgesetz, das nachträglich die Wählbarkeit Durnwalders feststellen sollte. Diese Neuinterpretation des Wahlgesetzes wurde allerdings vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig annulliert. Die Frage nach der Wählbarkeit stellte sich in den darauffolgenden Jahren auch bei anderen Südtiroler Politikern (Dieter Steger, Christian Egartner, Barbara Repetto u. a.), die ihr Landtagsmandat zurücklegen mussten.

Zwei Parallelen gibt es zwischen der Sadobre-Affäre und der bereits angeführten Schwimmbad-Affäre: Beide wurden durch Berichte der Wochenzeitung „ff“ ins Rollen gebracht, und beide überstand Luis Durnwalder, ohne größeren Imageschaden zu nehmen. Letzteres gilt ebenso für das Beispiel Sonderfonds. Die öffentliche Erregung hielt sich in Grenzen. Dies zeigt, dass Skandalen eine von den Medien nicht steuerbare Eigendynamik zugrunde liegt: Ein (angeblicher) Missstand und seine Öffentlichmachung alleine machen noch keinen Skandal aus. Dieser entsteht erst dann, wenn eine Normverletzung den moralischen Bauch des Kollektivs trifft.

5. Reaktionen und Rücktrittskultur

Neben der Presse sind freilich politische Kontrahenten am stärksten daran interessiert, vermutete oder tatsächliche politische Skandale bekannt zu machen. Das erreichen sie unter anderem dadurch, dass sie selbst investigativ tätig werden und der Presse ihre Enthüllungen zuspielen. 2009 musste so der SVP-Politiker Franz Stockner als Stadtrat in Brixen zurücktreten, nachdem der Freiheitliche Gemeinderat Walter Blaas aufzeigen konnte, dass Stockner sein Amt für persönliche Interessen missbraucht hatte (vgl. Hinterwaldner 2009, doc 2009, Vikoler 2009, o.A. 2012b). Konkret hatte Stockner, der im folgenden Strafverfahren ebenso wie der Mitangeklagte, der ehemalige Präsident der Agronomenkammer Rudolph von Unterrichter, einem Vergleich von 18 Monaten bedingter Haft zustimmte, seine Position als Stadtrat für das private Bauwesen genutzt, um den Wert eines von seiner Schwiegertochter und der Frau von Baron von Unterrichter erworbenen Grundstückes um ein Vielfaches zu steigern. Der private Vorteil ging dabei auf Kosten der Gemeinde, die sich als Zivilpartei in das Verfahren mit einließ.

Doppelt interessant ist der Fall Stockner auch hinsichtlich der Frage nach der in Südtirol herrschenden Rücktrittskultur. Der Ruf nach personellen Konsequenzen ist zwar fest eingebunden in die mediale Logik des Skandals, in Südtirol allerdings sind Rücktritte wie jener Stockners bislang nur vereinzelte Ausnahmen. Auch Ex-Landesrat Michl Laimer (zum Fall SEL siehe den Beitrag von Karl Hinterwaldner) oder die ehemalige Meraner Stadträtin Heidi Siebenförcher, die noch zur Sprache kommen wird, legten ihr Amt erst nach langen Phasen der Dementis und Unschuldsbeteuerungen nieder, als die Indizien der Staatsanwaltschaft zunehmend stichhaltiger wurden. Eine fest verwurzelte politische Rücktrittskultur, wie sie etwa aus angelsächsischen Ländern oder Deutschland bekannt ist, scheint es in Südtirol demnach nicht zu geben. Bislang gilt hier offenbar: Erst wenn staatsanwaltschaftliche Ermittlungen zu einer Anklageerhebung führen beziehungsweise unwiderlegbar eindeutig zu werden drohen, wird der Rücktritt unabwendbar. In diesem Licht erscheint das Abtreten auch weniger als persönliche Konsequenz, sondern als unvermeidlicher Schritt aus Sicht einer um ihr WählerInnenimage besorgten Partei im Nacken. Rücktritt ist aber nicht gleichzusetzen mit Schuldeingeständnis. Auch Franz Stockner stritt die Vorwürfe bis zum Gerichtsvergleich stets ab. Die zweifelsohne am häufigsten wiederkehrende Reaktion von EntscheidungsträgerInnen ist der Versuch, den Skandal durch Dementis oder, wenn nicht anders möglich, durch das Herunterspielen des Fehlverhaltens, auszusitzen.

Erfolgreich ausgestanden hat auch SVP-Landesrat Hans Berger die sogenannte Treuhandaffäre im Sommer 2011 (vgl. Franceschini 2011; Hinterwaldner 2011b; Hinterwaldner 2011c). Damals wurde bekannt, dass Berger über eine Treuhandgesellschaft am Ankauf eines Kraftwerks in Sand in Taufers beteiligt gewesen war. Der Vorwurf des Amtsmissbrauchs in Hans Bergers Position als Landesrat wurde von der Staatsanwaltschaft zwar ebenso fallengelassen wie die Ermittlungen gegen vier weitere Personen, darunter den Bürgermeister von Sand in Taufers, Helmuth Innerbichler und dessen Bruder Oswald, wegen Verdachts auf Beihilfe. Lautstark hatten Opposition und Medien den Rücktritt Hans Bergers gefordert, eingegangen wurde darauf nicht.

Dennoch sorgte die Treuhandaffäre für eine intensive Debatte in Südtirol. Denn strafbar machte sich Hans Berger durch den verdeckten Kauf zwar nicht, aber offensichtlich sollte die Öffentlichkeit von seinen privaten Geschäften nichts mitbekommen. Ist ein solches Verhalten eines Politikers im Auftrag zum Wohle des Gemeinwesens moralisch vertretbar? Und in einem weiteren Sinn: Verlangt die Gesellschaft von gewählten VolksvertreterInnen lediglich fachliche Kompetenz – oder gibt es darüber hinaus auch Forderungen nach einer bestimmten „Integrität“? Hört die politische Moral mit dem Gesetz auf oder geht sie weiter? Der Wert solcher Debatten liegt auf der Hand, werden damit doch auch gesellschaftliche Normvorstellungen und der Grenzbereich zwischen Macht, öffentlichem Auftrag und Privatinteresse reflektiert und neu vermessen.

Die Treuhandaffäre rund um Hans Berger ging aber auch an der eigenen Partei nicht spurlos vorüber. Die öffentliche Diskussion war stark genug, um innerhalb der SVP Handlungsbedarf erkennen zu lassen. Auf diese Debatte hin (die durch fast zeitgleich bekannt werdende Treuhandverstrickungen verschiedener mit der Landesenergiegesellschaft SEL verbundenen Personen fraglos angeheizt wurde) verabschiedete der Landtag unter der SVP-Mehrheit ein von Opposition und Medien schon länger gefordertes Transparenzgesetz für Treuhandgesellschaften. Hier zeigt sich eine weitere demokratiepolitisch bedeutsame Funktion von Skandalen: Als inhaltliche Konsequenz tragen sie mitunter zur Schließung von Gesetzeslücken bei. Mit der parteipolitischen Reaktion einher gehen freilich auch Schritte, die vor allem der Schadensbegrenzung und der Rettung des in der Wählergunst angeschlagenen Parteiimages dienen sollen. Dazu gehört etwa der infolge der Berger-Affäre gefasste Beschluss der Volkspartei, die eigenen Abgeordneten fortan zu einer Ehrenerklärung in Sachen Offenlegung von Treuhandverträgen zu verpflichten.

6. Politik und Verwaltung als „Selbstbedienungsläden“

Neben Interessenkonflikten sind es vor allem die Privilegien von Politikern, ob mutmaßlich oder faktisch vorhanden, die als wiederkehrendes Motiv politischer Skandale zutage treten. So wurde unter dem Eindruck des nicht enden wollenden Skandals rund um die Landesenergiegesellschaft SEL das „System Südtirol“ zum geflügelten Wort, verbunden mit der Wahrnehmung der gut ausgestatteten öffentlichen Kassen als Selbstbedienungsladen für Mitglieder eines elitären, verschworenen Netzwerks. Damit einher geht ein demokratiepolitisch heikler Prozess: Je stärker sich die Wahrnehmung der politischen Eliten als Profiteure ihrer Macht in der Allgemeinheit ausbreitet, desto größer ist das Risiko des Vertrauensverlusts in die gewählten VolksvertreterInnen. Eine zu hohe Skandal-Frequenz stärkt daher womöglich nicht den Glauben an die selbstreinigende Kraft des politischen Systems, sondern schwächt ihn und verbreitet Politikverdrossenheit.

Eine solche „Seilschaft“, die im Laufe des Jahres 2012 als Nutznießer des Systems an den Pranger gestellt wurde, ist der Verein „Kaufleute Aktiv“, der in der Stadt Meran seit 1993 den jährlichen Weihnachtsmarkt veranstaltete (vgl. Dall’Ò 2012, Dall’Ò/Hinterwaldner 2012, Bertoldi 2012). Als wahrer Aufdecker inszenierte sich in diesem Skandal der später mit in das Ermittlungsregister der Staatsanwaltschaft eingetragene Thomas Sigmund, ein ehemaliger Mitarbeiter des Vereins. Aus der Untersuchungshaft in Tschechien, wo ihm andere Vergehen zur Last gelegt worden waren, warf er in zahlreichen an Presse und Opposition gerichteten Briefen den Mitgliedern von Kaufleute Aktiv, einen Zusammenschluss von Handelsunternehmern der Stadt Meran, eine wahre Flut an Vergehen vor. Der gesamte Fall ist komplex, bis heute scheinen die Tragweite und die involvierten Akteure nicht ganz aufgedeckt zu sein. In dem Verfahren geht es vor allem um Beiträge in der Höhe von über 400.000 Euro vonseiten der Gemeindeverwaltung, die der Verein zwischen 2006 und 2012 erhalten hatte. Mit diesen öffentlichen Geldern sollen die Mitglieder des Vereins, der als Rechtsform ohne Gewinnabsichten registriert wurde, laut ErmittlerInnen auch diverse Privatausgaben getätigt haben, zudem sollen sie über verschiedene Tricks unrechtmäßige private Gewinne eingenommen haben. Die Staatsanwaltschaft wirft den Unternehmern deshalb vor, als kriminelle Vereinigung gehandelt und die öffentliche Hand betrogen zu haben.

Parallel zu diesem Ermittlungsstrang finden sich auch zahlreiche nebulöse politi­sche Verstrickungen, die vor allem die Volkspartei der Stadt Meran betreffen. Offenkundig ist diese Dimension im Fall der ehemaligen SVP-Stadträtin Heidi Sieben­förcher, einst selbst Mitglied des Vereins, die im Zuge der Enthüllungen – und nach monatelang wiederholten Unschuldsbeteuerungen – schließlich doch zurücktreten musste, nachdem sie in das Ermittlungsregister der Staatsanwaltschaft eingetragen worden war. Daneben schweben seit Bekanntwerden der ersten Verdachtsmomente auch Vermutungen im Raum, dass Kaufleute Aktiv Wahlkämpfe verschiedener SVP-Exponenten illegal mitfinanziert haben soll.

Die Wahrnehmung der Öffentlichkeit, die politische Klasse verhalte sich wie ein Selbstbedienungsladen, wurde auch im Zuge der Avolio-Affäre genährt (vgl. Bertoldi 2011, Donatini 2011). Erste Vorwürfe gegenüber Giuseppe Avolio, damals Präsident der Etschwerke AG, waren Ende 2009 bekannt geworden. Avolio soll, so das Skandal-Motiv, private Ausgaben wie Hotel- und Restaurantrechnungen in der Höhe von 22.000 Euro als Repräsentationsspesen der AG angelastet haben, die zu je 50 Prozent im Besitz der Gemeinden Bozen und Meran ist. Später allerdings standen ihm die beiden Gemeinden Schadensersatz für seine Absetzung als Präsident der Energiegesellschaft zu. Avolio hat außerdem Klage gegen die Bürgermeister der beiden Gemeinden und gegen drei Rechnungshofrevisoren erhoben. Laut Giuseppe Avolio selbst stecke hinter den Vorwürfen politisches Kalkül, da er der „falschen“ Partei angehört.

Der bislang umfassendste politische Skandal in der Geschichte Italiens, bekannt unter dem Namen tangentopoli, hat vor rund 20 Jahren auch Südtirol erfasst (vgl. Visentini 1993; Bertoldi 2007). Im Zuge von mani pulite, den extensiven staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen rund um Korruption, illegale Parteienfinanzierung und Amtsmissbrauch, geriet der damalige Landeshauptmannstellvertreter Remo Ferretti (Democrazia Cristiana) ins Visier der Justiz. Konkret ging es um Schmiergeldzahlungen bei diversen öffentlichen Bauaufträgen und um damit einhergehende illegale Parteienfinanzierung.

Mitte Februar 1993, knapp drei Monate nach Bekanntwerden der Ermittlungen, trat Remo Ferretti unter dem Druck immer ausgedehnter werdender Vorwürfe als Landesrat sowie als Landeshauptmannstellvertreter zurück. Als sich ein halbes Jahr später zusätzlich der Verdacht auf Amtsmissbrauch erhärtete und eine Untersuchungshaft unmittelbar bevorstand, flüchtete Ferretti und konnte erst Monate später aufgespürt werden. Trotz Schuldspruchs im folgenden gerichtlichen Vergleich stritt Ferretti auch später alle Vorwürfe weiter ab. Die juristische Aufarbeitung des breit gefächerten Skandals, der neben Ferretti auch Politiker aus dem Trentino und verschiedene Unternehmer involviert sah, zog sich noch Jahre weiter hin. 2007 schließlich fiel der letzte Rechtsspruch, der Ferretti zu einer Schadensersatzzahlung von 460.000 Euro für Schmiergeld-Zahlungen beim Bau des Krankenhauses Meran verurteilte.

7. Täterprofile und Verantwortung

Wie bereits angeführt, engagieren sich auch politische Kontrahenten als Aufdecker von Skandalen. Zugleich wird der Begriff selbst in den Aussendungen und Stellungnahmen von Gegenparteien mit großer Frequenz verwendet. Das gilt in Südtirol vor allem für die deutschsprachigen rechtspopulistischen Oppositionsparteien, insbesondere für Freiheitliche und BürgerUnion. Ob Schulkalender, Südtirol-Pass, Zweitwohnungen oder Armutsstatistik, ein Abkommen zur Führung des Trinkwasserkraftwerkes in Schalders oder Schutzhüttenarchitektur, die Benennung einer Grundschule nach Alexander Langer oder die verspätete Aufforderung für die Zahlung der Autosteuer von 2009: Die Opposition prangert Skandale an. Freilich greift auch die Südtiroler Volkspartei gerne zum Skandal-Begriff, im vergangenen Jahr beispielsweise dann, wenn Vorgaben aus Rom auf Missfallen stoßen. Die inflationäre Verwendung des Begriffs unterstreicht erneut, dass die Aussage „Das ist ein Skandal!“ keineswegs ausreicht, um eine breite Öffentlichkeit zu empören, andernfalls wären meist mehrmals wöchentlich neue Skandalfälle zu untersuchen.

Der immer wieder in fragliches Licht gerückte Umgang politischer Mandatare mit ihrer geliehenen Macht steht besonders häufig im Zentrum jener vermeintlichen oder faktischen Missstände mit besonders hohem Skandalpotenzial. Sofern keine illegalen Handlungen nachweisbar sind, fallen die Konsequenzen in Südtirol für die – üblicherweise freilich jede Mitverantwortung dementierenden – PolitikerInnen aber in den meisten Fällen glimpflich aus. Rückblickend betrachtet, gilt dies auch für Thomas Widmann in der sogenannten Jellici-Affäre (vgl. LPA 2009, Hinterwaldner 2010). Dabei führte dieser Skandal im Jahr 2009 zum ersten Mal in der Geschichte des Südtiroler Landtages zu einem Misstrauensantrag gegen einen Landesrat. Das von den Freiheitlichen eingebrachte Votum wurde aber von der Mehrheit abgelehnt, die Thomas Widmann damit den Rücken stärkte.

Auslöser der gesamten Affäre war der damalige Direktor des Landesamtes für Nahverkehr Tristano Vicini, der mehrere Ungereimtheiten im Ressort für Mobilität zur Anzeige brachte, das Landesrat Widmann untersteht. Konkret ging es etwa um Unterschriften, die mit Widmanns Billigung von seinem Ressortdirektor Gianfranco Jellici gefälscht worden waren, außerdem um nicht mehr auffindbare Konzessionen sowie um die gegen Jellici erhobenen Vorwürfe des Amtsmissbrauchs und des Interessenkonflikts zwischen seinem Auftrag als Ressortdirektor und seinem Sitz im Verwaltungsrat eines Konzessionärs. Während Thomas Widmann an seinem Ressortdirektor festhielt, entließ er den „Aufdecker“ Tristano Vicini als Amtsdirektor. Später entschied der Arbeitsrichter, dass die Absetzung nicht rechtens war und Vicini wieder eingestellt werden sollte, wogegen das Land wiederum Berufung einlegte. Für die Beschuldigten, Jellici und Widmann, endete die gesamte Affäre nach gut drei Jahren glimpflich, die Ermittlungen und Gerichtsverfahren wurden, bis auf ein noch ausständiges Hauptverfahren gegen Jellici bezüglich Geldzahlungen an einen Konzessionär, eingestellt.

Eine weitere Landesgesellschaft, die KlimaHaus-Agentur, stand 2012 im Zentrum einer diffusen Affäre, die unter den Bezeichnungen Causa Lantschner oder KlimaHaus-Affäre bekannt wurde (vgl. Rizza 2011, Dall’Ò/Mayr 2012, o.A 2012 c). Höhepunkt war die vom Verwaltungsrat der Agentur im März 2012 beschlossene fristlose Entlassung des bisherigen Direktors Norbert Lantschner. Bereits zwei Monate zuvor war Lantschner suspendiert und mit einem Disziplinarverfahren behängt worden. Vorausgegangen waren diesen Schritten kritische Aussagen des zuvor stets hoch gelobten Agentur-Direktors, mit denen er Ende Dezember 2011 an die Öffentlichkeit getreten war. Lantschner hatte den Verwaltungsrat der Agentur scharf kritisiert, mangelnde Unterstützung beklagt und von großen Schwachstellen bei der geplanten Neustrukturierung gesprochen. Im Unterschied zu anderen Skandalen und Affären waren es hier also nicht die Medien selbst, die einen skandalösen Sachverhalt publik machten, sondern Norbert Lantschner, der mit seiner initialen Pressekonferenz die Öffentlichkeit aufgesucht hat.

Meist ist der Skandal umso größer, je prominenter und mächtiger die politischen Akteure sind, die in den Fall verwickelt sind. Das „Täterprofil“ wird in der Skandaltheorie zwar meist mit Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gleichgesetzt, die mit einer bekannt gewordenen Verletzung rechtlicher oder moralischer Normen die Empörung einer relevanten Masse anfachen. Ausnahmen wie die Avolio-Affäre zeigen aber, dass schon allein das kollektive Gefühl, durch Korruption und Vetternwirtschaft betrogen und bestohlen worden zu sein, hohes Skandalpotenzial besitzt.

Ganz ähnlich verhielt es sich im Fall des sogenannten Wobi-Skandals (vgl. Dall’Ò 2010, so 2011, Bertoldi 2013). Dessen Missetäter sind zwei zuvor weitgehend unbekannte Beamte des Wohnbauinstitutes (Wobi) sowie mehrere Unternehmer. Im Sommer 2010 wurden sie von der Staatsanwaltschaft verhaftet, der Vorwurf lautete auf Betrug, Bestechung unter erschwerenden Umständen und Erpressung im Amt. Weitere Mitarbeiter des öffentlichen Instituts wurden zeitweise vom Dienst suspendiert. Konkret sollen sich Stefano Grando, damals Abteilungsdirektor beim Mieterservice des Wobi, und Peter Kritzinger, zuständig für Instandhaltungen, bei der Vergabe von Bauaufträgen wiederholt von Unternehmern in Form von Barbeträgen, Geschenken und Reisen bestechen haben lassen. Für die öffentliche Hand war der Schaden umso größer, da die im Gegenzug ausgestellten Rechnungen teils stark überzogen gewesen sein sollen. Während Kritzinger mittlerweile einem gerichtlichen Vergleich zugestimmt hat, beginnt der Prozess gegen Grando, der alle Vorwürfe bestreitet, voraussichtlich im Sommer 2013.

Nach dem Bekanntwerden der Schmiergeld-Affäre geriet auch der Präsident des Wobi-Instituts, Konrad Pfitscher, in Sachen Interessenkonflikte und Postenschacher zunehmend in Bedrängnis. Denn laut einem 2009 verabschiedeten Landesgesetz, das ausdrücklich für diesbezügliche Transparenz sorgen sollte, darf eine Person maximal drei Verwaltungs- und/oder Aufsichtsratsposten von Körperschaften besetzen, die in die Zuständigkeit der Provinz Bozen fallen. Pfitscher allerdings hatte gleich neun Mandate in Verwaltungsräten inne. Ende Januar 2011 legte er fünf davon zurück.

Infolge der Wobi-Affäre stellte sich die Südtiroler Öffentlichkeit eine weitere skandaltypische, schwierige Frage: jene nach der politischen Verantwortung. Nicht die eigentlichen Täter selbst stehen dabei im Brennpunkt, sondern das politische Umfeld, das seine Kontrollaufgabe möglicherweise vernachlässigt hat. Auch auf dieser Ebene scheint sich Südtirols politische Kultur deutlich von jener in Deutschland zu unterscheiden. Dort wie auch in einigen anderen Ländern sind Sätze wie „Ich übernehme die politische Verantwortung“ keine Seltenheit. PolitikerInnen verlassen infolge eines in der Öffentlichkeit als Skandal wahrgenommenen Falls ihr Amt, obwohl sie in der Regel zugleich beteuern, von den Missständen nichts gewusst zu haben oder darin nicht verwickelt gewesen zu sein. In Südtirol scheint sich ein anderer Umgang durchgesetzt zu haben, den Landeshauptmann Luis Durnwalder treffend formulierte, als er im Zuge des SEL-Skandals zu seiner persönlichen Verantwortung gefragt wurde: „Wenn Sie Blödsinn machen, tritt auch nicht Ihr Chef zurück“ (D/lu/rc 2012). Der Vergleich hinkt freilich aus demokratie­politischer Perspektive: Die Macht eines Politikers/einer Politikerin ist ihm/ihr für eine bestimmte Zeit nur verliehen, ebenso ist mit ihr ein dezidierter Auftrag im Sinne des Gemeinwohls verbunden, während ein/eine Unternehmer/Unternehmerin grundsätzlich einzig sich selbst Rechenschaft schuldig ist, sofern er/sie sich im Rahmen der Legalität bewegt.

Fest eingebettet in die mediale Skandaldynamik ist auch der Aufruf zu persönlichen Konsequenzen an den erweiterten Kreis der politisch Verantwortlichen. Und fast ebenso stark eingebettet ist die Reaktion in Form der Bildung von Ausschüssen, die den Fall „restlos aufklären“ sollen, zumal dann, wenn kein singulärer Akteur diese Verantwortung auf sich nehmen will oder kann. Entsprechend wurde auch für den Wobi-Skandal wie für viele andere eine Untersuchungskommission im Landtag eingerichtet. Der Schlussbericht allerdings erfuhr heftige Kritik vonseiten der Opposition, die darin die Aufarbeitung der Rolle der Landesregierung und der Institutsführung vermisste.

8. Fazit

Auslöser, Dynamiken, das Ausmaß der Empörung oder Konsequenzen: Politische Skandale in Südtirol lassen sich nicht so einfach in ein einheitliches typologisches Raster zwängen. Obwohl die angeführten Beispiele keineswegs eine vollständige Südtiroler Skandalchronik darstellen, lassen sich doch einige Kernthesen ausmachen: Privilegien von PolitikerInnen, Interessenkonflikte und der Missbrauch der politischen Macht für Eigeninteressen sind, ob mutmaßlich oder faktisch, die häufigsten Skandalmotive in Südtirol. Persönliche Konsequenzen sind eher die Ausnahme denn die Regel, womit sich die politische Kultur Südtirols von Ländern wie Deutschland oder den USA stark unterscheidet. Auch inhaltliche Konsequenzen wie Gesetzesreformen sind bislang nur vereinzelt erfolgt. Die Beschuldigten sind oft, aber nicht ausschließlich, in der Öffentlichkeit bekannte Personen. Als Aufdecker wiederum wirken neben politischen Kontrahenten oder neben staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsdetails vor allem die Medien. Die Südtiroler Presselandschaft wiederum ist seit den 1980er-Jahren breiter geworden, was die wachsende Frequenz von Skandalen in Südtirol zumindest teilweise erklären dürfte.

Unter dem Strich ist der Skandal selbst weder gut noch schlecht. Seine positiven Eigenschaften beruhen auf verschiedenen Ebenen: Er ist Ausdruck von Pressefreiheit und Pluralismus, er zeigt, dass der Sphäre der Macht eine der öffentlichen Kontrolle gegenübersteht. Im besten Fall zieht der Skandal positive Konsequenzen nach sich, wie etwa die Schließung von Gesetzeslücken. Im schlechtesten Fall sorgt er dort, wo dieser in zu hoher Frequenz auftritt, für den Verlust des Vertrauens in die repräsentative Demokratie und für zunehmende Verdrossenheit gegenüber der Politik insgesamt.

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Abstracts

In merito a piscine, clientelismi e ­fiduciarie: scandali politici in Alto Adige

Il termine scandalo è la parola simbolo del 2012 in Alto Adige. La scelta è stata ovvia, in quanto l’anno scorso il termine è stato sempre presente nelle cronache mediatiche in seguito agli avvenimenti riguardanti la società energetica altoatesina Sel Spa. Ma anche indipendentemente da questo fatto gli scandali continuano a venire alla luce. Il presente contributo si riferisce ad avvenimenti verificatisi nel contesto politico e responsabili di aver scandalizzato l’opinione pubblica altoatesina nel corso degli ultimi vent’anni. Con l’ausilio di semplici esempi, il concetto quotidiano di scandalo politico viene sottoposto ad un’osservazione più attenta. A questo proposito vengono esplicitate le condizioni quadro per il suo nascere ed illustrate le sue caratteristiche ricorrenti. In questo senso si evidenziano le affinità e le differenze tra l’Alto Adige ed altre democrazie occidentali. Al centro dell’analisi vi è, infine, la domanda riguardo alla funzione dello scandalo. Ne emerge che questo non testimoni solamente i valori e le norme sociali, bensì ricopra anche un significato sotto il profilo politico-democratico.

De nodadoies, tlientelisms y crëtes: scandai politics
te Südtirol

La parora „scandal“ é la parolata dl ann 2012 te Südtirol. La lîta é da capì, dal momënt che chësta parora é gnüda adorada tresfora a livel mediatich porvia di fać sozedüs incër la sozieté dla forza eletrica südtiroleja SEL Spa. Mo inće apêr chësc caje él tres indô gnü a löm scandai. Chësc contribut fej referimënt a avenimënć sozedüs tl contest politich che à scandalisé l’opiniun publica de Südtirol ti ultimi vint agn.

Tres la presentaziun en cört de n valgügn ejëmpli de caji sozedüs, vëgn le conzet da vigni dé de scandal politich sotmetü a n’osservaziun plü daimprò. Te chësc contest vëgnel evidenzié les condiziuns de cornisc che l’à fat nasce y individué sües carateristiches costantes. Cun chësc vëgnel inće evidenzié ći che Südtirol à deboriada cun les atres democrazies ozidentales y ći che le desfarenziëia. Tl zënter él ala fin la domanda sön la funziun dl scandal. Al vëgn fora, che chësc ne testemoniëia nia ma valurs y normes soziales, mo à inće n’importanza dal punt d’odüda politich-democratich.

Of swimming pools, influence peddling, and trustees: Political scandals in ­South Tyrol

In South Tyrol, “scandal” is the 2012 word of the year. The choice is understandable given that the term has been ubiquitous in the media during the past year due to events related to SEL, South Tyrol’s energy company. But scandals have been coming to light fast and furious, even above and beyond this case. This paper is devoted to events in the political sphere that have scandalised the South Tyrolean people over the course of the past two decades. The political scandal, as is it commonly perceived, will be closely scrutinised with the help of simple case studies. In so doing, the overall context for their genesis and recurrent characteristics can be identified. The paper also shows similarities and differences between South Tyrol and other Western democracies. The closing focuses on the question, “What function does the scandal serve?” It turns out that the scandal not only testifies to social values and norms, but is also of political significance to democracy.