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Karl Hinterwaldner

Ein System zerbricht

Südtirol und der SEL-Skandal

1. Ein Erfolgsmodell dankt ab

Südtirol, das Erfolgsmodell, Südtirol, die Insel der Seligen, Südtirol, das Paradies. Es gibt kaum einen Superlativ, der nicht für das Land zwischen Brenner und Salurn, Reschen und Winnebach angewendet wird. Etwas mehr als 500.000 Menschen leben hier, der Wohlstand ist an jedem Landhaus, an jedem Forstweg und sogar an jeder Mülldeponie ersichtlich.

In allen anderen Regionen Italiens sank das Bruttoinlandsprodukt von 2007 bis 2011, nicht so in Südtirol: Hier stieg es auf 36.600 Euro pro Kopf sogar noch leicht an, wie das staatliche Statistikinstitut Istat im November 2012 errechnet hat; damit gehört Südtirol zu den reichsten Regionen Europas. Landeshauptmann Luis Durnwalder wertete das als klares Zeichen dafür, dass – Zitat Durnwalder – „der richtige Weg eingeschlagen worden“ sei.

Durnwalder, Jahrgang 1941, steht für wirtschaftlichen Aufschwung, für eine pragmatische Politik, für hemdsärmeliges Verwalten; nach seinem Selbstverständnis kam mit seinem Amtsantritt im Jahr 1989 der Wohlstand ins Land. Sein Vorgänger Silvius Magnago (1914–2010) hatte Südtirol die Autonomie gebracht, Durnwalder füllte sie mit Leben – und mit viel Geld. Manchmal hatte man sogar den Eindruck, dass alles, was Durnwalder anfasste, sich wie bei König Midas in Gold verwandelte.

Mit Durnwalder hielt aber auch ein System Einzug, dessen unschöne Fratze im Zuge des SEL-Skandals zum Vorschein kam: Wichtige Schaltstellen in Politik und Verwaltung wurden mit Freunden anstatt mit Fachleuten besetzt, wer etwas dagegen sagte, um den konnte es ganz schnell einsam werden.

Die Landesenergiegesellschaft SEL wurde 1998 gegründet, sie sollte einmal den Reichtum an Wasserkraft, den das Land hat, unter ihrem Dach vereinen. Nach einem Stotterstart gelang es der SEL nach und nach, sich Anteile an den großen Wasserkraftwerken von Enel und Edison zu sichern. Den größten Erfolg verbuchte die SEL Ende 2010, als sie als klare Siegerin des Wettbewerbs um die großen Enel-Kraftwerke hervorging. Doch im Sommer 2012 konnte der leitende Oberstaatsanwalt Guido Rispoli nachweisen, dass der Wettbewerb getürkt gewesen war. SEL-Generaldirektor Maximilian Rainer und Energielandesrat Michl Laimer hatten Unterlagen der SEL nachgebessert – zum Schaden der anderen Teilnehmer am Wettbewerb.

Zudem geriet die SEL-Spitze rund um Maximilian Rainer, Präsident Klaus Stocker und den Aufsichtsratsvorsitzenden Franz Pircher in den Sog eines Skandals, der in Mittewald, einer Fraktion der Gemeinde Franzensfeste im Eisacktal, spielt: Dort hatte die SEL den Kauf eines Wasserkraftwerkes verschmäht. Einige Wochen später kaufte es dann eine Studienfreundin von Rainer für die Stein an Stein Italia GmbH. Pircher und der Bruder von Klaus Stocker leisteten Bürgschaften für das Kraftwerk, schließlich mussten Rainer, Stocker und Pircher von ihren Posten in der SEL zurücktreten.

2. Chefsache

Klaus Stocker und Franz Pircher saßen nicht von ungefähr an den Schaltstellen der SEL. Beide gehören zu den besten Freunden von Luis Durnwalder, er hatte sie bei der SEL platziert, nicht weil sie die Besten für den Job streichen, sondern weil sie am besten für das System waren.

Durnwalder duldet neben sich nur solche Leute, die für ihn sind, Gegner versteht er stets schachmatt zu setzen. Wer etwas von ihm will, muss zur frühmorgendlichen Audienz. Der Landeshauptmann empfängt ab 6 Uhr früh in seinem Amtssitz in Bozen, dabei macht er keinen Unterschied, ob es sich um einen Bürgermeister handelt, der für eine neue Feuerwehrhalle eintritt, oder einen Bürger, der mit seinem Nachbarn wegen der Höhe der Grenzmauer streitet. Das schafft Volksnähe, viele SüdtirolerInnen liebten und lieben ihn dafür. Durnwalder baut damit eine Art „Feudalsystem“ auf, eine Bittgangdemokratie, die nahezu alles möglich macht – und zugleich nahezu alles verhindern kann. Wenn Durnwalder es will, ermöglicht er Vorhaben, die auf Verwaltungsebene nur schwer durchgehen würden. Gesetze, die ständig mehr Interpretationsspielraum zulassen, machen es ihm immer leichter.

Wer es mit Durnwalder kann und wer ihm wohlwollend gesinnt ist, für den öffnet sich die Schatzkiste der Autonomie. Er braucht sich keine Sorgen mehr über seine Zukunft zu machen. Das System ist so ausgeklügelt, dass es auch durch das Auftreten von Fehlern kaum beeinträchtigt wird. Andere Systemträger sind Willens und in der Lage, diese Fehler unmittelbar und ohne weiteres Nachforschen zu beheben. Denn das System erstreckt sich über die Südtiroler Volkspartei (SVP), die dieses Land seit 1948 stets mit der Mehrheit der Mandate regierte, über Verbände und Institutionen bis hinunter zu Vereinen und Pfarrgemeinderäten. Überall haben Durnwalder und seine Systemträger Leute platziert, auf die er sich mehr oder weniger verlassen kann. Wer in diesem System etwas werden möchte, braucht also Durnwalders Segen; ohne diesen müht man sich meist vergeblich für einen Platz an der Sonne.

Ein Jahr vor seinem definitiven Abtritt im Herbst 2013 steht Luis Durnwalder allerdings ziemlich nackt da: Zum einen hatte er es verabsäumt, einen Nachfolger für die Landeshauptmannschaft aufzubauen. Dies führte zu großen Spannungen innerhalb der SVP. Und zum anderen machten seine Vasallen und Freunde an der Spitze der Landesenergiegesellschaft SEL seinem würdigen Abschied von der Politik einen kräftigen Strich durch die Rechnung. Ihr Handeln macht ersichtlich, wie korrumpierbar das System bereits geworden ist. Es wurde deutlich, wie Durnwalders Günstlinge hinter der schönen Fassade in die eigene Tasche wirtschaften. Durnwalder selbst ließ sie gewähren – ob er wusste, was sie taten? Geahnt haben dürfte er es auf jeden Fall, schließlich verweist er ständig darauf, dass der Strom – wie auch sonst alle wichtigen Dinge im Land – Chefsache ist.

Chefsache heißt auch, dass alle wichtigen Positionen in und rund um die Landesenergiegesellschaft SEL entweder mit Durnwalders engsten Vertrauten oder mit willfährigen Vasallen besetzt sind.

3. Die engsten Vertrauten

Klaus Stocker, Jahrgang 1949. Er ist ein typisches Kind des Systems. Der Mann aus dem Dorf Aldein im Südtiroler Unterland ist ähnlich bodenständig wie Durnwalder, ihn kennzeichnet eine gewisse Portion Bauernschläue gepaart mit pragmatischem Handeln. Stocker ist mit Durnwalder eng befreundet, die beiden spielen oft und gerne miteinander Karten. Das spülte Stocker an die Spitze des SVP-Bezirks Unterland, dessen Bezirksobmann er jahrelang war. Durnwalder und Stocker teilen die Passion der Jagd, der eine ist oberster politischer Verantwortlicher für diesen Bereich, der andere Landesjägermeister. Mit solcherlei Meriten ausgestattet, war es nur eine Frage der Zeit, bis Klaus Stocker eine verantwortungsvolle Aufgabe zugeteilt bekommen würde: 1999 wurde er Verwaltungsrat der SEL, 2002 deren mächtiger Präsident. Die Landesenergiegesellschaft war damals im Aufbau begriffen, und Stocker konnte seinen Drang nach Bedeutung ausleben: Im Laufe der Jahre übernahm er eine Fülle von Posten und Positionen, die wie selbstverständlich separat gehandelt und bezahlt wurden. Nebenbei ließ Stocker die Gehaltsabrechnungen der SEL vom Lohnbüro seines Bruders machen.

Seine Rolle im SEL-Skandal bleibt nebulös: Sein Bruder Rudolf Stocker übernahm im März 2007 eine Bürgschaft in Höhe von 450.000 Euro für ein Kraftwerk der Stein an Stein Italia GmbH in Mittewald. Das Kraftwerk war Ende 2006 von der SEL verschmäht worden, weil der Verkaufspreis angeblich zu hoch lag. Klaus Stocker war bei der entsprechenden Verwaltungsratssitzung der SEL AG dabei und machte keine Einwände gegen den Nichtankauf. Das Kraftwerk in Mittewald wird kurze Zeit später von der Firma Stein an Stein Italia GmbH angekauft, deren Geschäftsführerin eine Studienfreundin von SEL-Generaldirektor Maximilian Rainer ist.

Franz Pircher, Jahrgang 1947. Er ist möglicherweise der engste Vertraute von Luis Durnwalder, der in seiner Funktion als Landeshauptmann einmal pro Jahr in die Ferne reist, um Projekte im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit des Landes zu begutachten. Neben ein paar Spitzenbeamten stets mit dabei (auf eigene Rechnung, wie er immer wieder beteuerte): Franz Pircher. Der Pusterer Wirtschaftsberater machte wann immer möglich Stimmung für seinen Freund und Herrn. Einige Jahre lang stand er an der Spitze des SVP-Bezirks Pustertal, eine Position, die er wegen seines vorlauten Auftretens und seiner oft unbeherrschten Art räumen musste. Der passionierte Jäger stand von Anfang an dem Aufsichtsrat der Landesenergiegesellschaft vor.

Er war wie Stocker bei der Verwaltungsratssitzung im November 2006 dabei, auf der der Ankauf des Kraftwerkes in Mittewald abgelehnt wurde. Auch von ihm kam kein Einwand zum Nichtkauf des Kraftwerkes. Stattdessen stieg Franz Pircher über die EVB Energie Verwaltungs- und Beteiligungsgesellschaft mbH im Juli 2007 selbst bei diesem Kraftwerk ein. Dies bestätigte kurioserweise sein Freund, der Landeshauptmann. Gegenüber dem Tagblatt „Dolomiten“ erklärte Luis Durnwalder im Herbst 2011, Pircher sei mit 20.000 Euro bei EVB eingestiegen. Diese Summe habe Pircher laut Durnwalder „sogar in der Steuererklärung“ angeführt.

Luis Durnwalder war wie immer bestens informiert darüber, was im Land passiert. Nur bei Pirchers Verhandlungen für ein Durchfahrtsrecht für das Mittewalder Kraftwerk, bei dem Durnwalder dabei war, will er nicht mitbekommen haben, was da eigentlich gespielt wurde. Er verteidigt sein angebliches Nichtwissen damit, dass er um Rat gefragt wurde und diesen gegeben habe, wie es tagtäglich Dutzende Male passiere. Der frühere Chefredakteur des Wochenmagazins „ff“, Hans Karl Peterlini, schrieb dazu in der „Tiroler Tageszeitung“: „Das klang in etwa so wie seinerzeit, als Außenminister Kreisky den Attentäter Klotz empfing und ins Protokoll schreiben ließ, es sei um die Finanzierung der Schützen gegangen.“

Maximilian Rainer, Jahrgang 1961. Er kann ruhigen Gewissens als das Hirn hinter den zweifelhaften Operationen rund um die SEL bezeichnet werden. Rainer stand der Landesenergiegesellschaft von Anfang an als Generaldirektor vor, dazu machte ihn sein Vorgesetzter, Energielandesrat Michl Laimer. Bald nach Laimers fulminantem Aufstieg zum Landesrat im Jahr 1994 wurde Maximilian Rainer dessen Ressortdirektor und damit dessen rechte Hand. Auch privat sind die beiden Männer seitdem befreundet, im Jahr 2000 gründeten sie zusammen mit einem Mailänder Wirtschaftsprüfer sogar ein Unternehmen – das allerdings nie aktiv wurde.

Maximilian Rainer fiel immer wieder durch sein privatwirtschaftliches Engagement auf: Er beteiligte sich an Wasserkraftwerken in Pfitsch im Wipptal, die er später an seinen Bruder Alexander Rainer weitergab. Weder die SEL noch die Landesregierung nahmen daran Anstoß, obwohl diese Beteiligungen eigentlich einen Interessenkonflikt mit seinem Hauptberuf darstellten. Erst seine Beteiligung über eine Studienfreundin (Rainer hatte in Wien Kulturtechnik und Wasserwirtschaft studiert) an einem Kraftwerk in Mittewald machte die Öffentlichkeit hellhörig, zumal die SEL AG den Kauf desselben Kraftwerkes vorher abgelehnt hatte.

Nach den Erkenntnissen der Bozner Staatsanwaltschaft habe Rainer den Verwaltungsrat der SEL bewusst falsch informiert, damit das Kraftwerk von der Stein an Stein Italia GmbH angekauft werden konnte. Die gehört Rainers Studienfreundin Petra Windt, die Anteile davon an die EVB Energie Verwaltungs- und Beteiligungsgesellschaft mbH verkaufte, hinter der wiederum Franz Pircher steht.

Die SEL beurlaubte Rainer im Herbst 2011, ein halbes Jahr später folgte die Entlassung. Im Zuge der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft kam zudem heraus, dass Rainer sich von SEL-Präsident Klaus Stocker 2008 das Gehalt auf rund 8.000 Euro netto pro Monat verdoppeln ließ. Zudem ließ sich Rainer eine Beteiligung am Gewinn vor Steuern der SEL festschreiben: Bei Erreichen der vom Verwaltungsrat vorgegebenen Ziele sollte es 1 Prozent sein, bei Nichterreichen immerhin noch 0,75 Prozent.

Michl Laimer, Jahrgang 1965. Nach seinem Jurastudium in Innsbruck und einem kurzen Gastspiel in der Landesverwaltung wurde er im Herbst 1993 für die SVP in den Landtag gewählt. Wenige Monate später machte ihn Landeshauptmann Luis Durnwalder zum Landesrat für Wasserwirtschaft und Energie. Es ist eine Blitzkarriere, die der damals noch nicht 30 Jahre alte Laimer hinlegte. Er galt von Anfang an als Durnwalders treuester Diener und erledigte alles, was sein Herr ihm auferlegte, ohne zu murren.

Laimer war ein Glückskind: Im Jahr 2000 willigte der Staat nach zähen Verhandlungen der SVP ein, eine Durchführungsbestimmung von 1977 neu zu formulieren. Diese hatte festgelegt, dass die Zuständigkeiten für die Produktion von Strom vom Staat auf die Provinzen Bozen und Trient übergehen. Davon ausgenommen waren die Großkraftwerke. Diese Ausnahme fiel im Jahr 2000 und plötzlich war das Land Südtirol für die großen Wasserableitungen zuständig, die bisher die Kraftwerke von Enel und Edison antrieben. Ab sofort war es Michl Laimer, der sich – in enger Abstimmung mit Durnwalder – um die großen Wasserkraftwerke und damit um das lukrative Energiegeschäft zu kümmern hatte.

Jahrelang hatte Südtirol um die Energie gerungen, in den 60er-Jahren waren Bomben gegen die Ausbeutung der Wasserkraft durch die Staatskonzerne Enel und Edison gezündet worden. Die Autonomieväter Silvius Magnago und Alfons Benedikter hatten sich darum bemüht, Durnwalder wollte sie jetzt, Ende der 90er-Jahre, nicht mehr loslassen. Also musste Laimer die Energie vor Gemeinden und privaten Interessenten schützen, das Land allein sollte den Reichtum bekommen und sonst niemand. So wird aus dem Monopol des Staates ein Monopol des Landes, sorgfältig behütet und stur gegen alle Einwände verteidigt.

Das führte dazu, dass die Landesenergiegesellschaft die Konzessionen der scheidenden Konzessionäre Enel und Edison übernehmen musste – koste es, was es wolle. Um das sicherzustellen, besserten Laimer und Rainer während des laufenden Wettbewerbs im Frühjahr 2006 die Umweltpläne der SEL nach. Als der Skandal aufflog, war die Bestürzung groß: Wie konnte Laimer das nur tun? Oder um es mit den Worten von Durnwalder zu sagen: „Der Laimer ist ein Esel.“ Er selbst verteidigt sich damit, alles nur „zum Wohle des Landes“ getan und nicht in die eigene Tasche gewirtschaftet zu haben.

4. Verlust an Konsens

Ist das alles wirklich zum Wohle des Landes? Oder ist es zum Wohle eines Systems, das alles an sich reißt und jeden kontrollieren möchte? Doch das System Südtirol ist an seine Grenzen gestoßen, das wird spätestens mit dem unfreiwilligen Rücktritt Laimers zuerst als Landesrat (im Mai 2012) und dann als Landtagsabgeordneter (im Oktober 2012) deutlich. Was Anfang der 90er-Jahre der christdemokratischen DC in Italien widerfahren war – in Südtirol musste damals der italienische Landeshauptmannstellvertreter Remo Ferretti das Feld räumen –, könnte nun auch der Südtiroler Volkspartei blühen. Die Partei Durnwalders und Laimers ist seit über 60 Jahren ununterbrochen an der Macht. Es gab zwar immer wieder kleinere Affären und Skandale (siehe den Beitrag von Judith Innerhofer in diesem Band), doch insgesamt darf sich die SVP im Vergleich zu anderen Regierungsparteien in Europa einer weißen Weste rühmen. Das jedenfalls ist die gängige Auffassung im Volk, sonst hätte es der Partei längst das Vertrauen entzogen.

Wenn man genauer hingeschaut hat, konnte man das langsame Verludern von Politik und Verwaltung schon lange beobachten: Belege dafür sind erstens Gesetze, die für bestimmte Personen und Lobbys maßgeschneidert verabschiedet worden sind: So genehmigte der Landtag zum Beispiel ein eigenes Gesetz für Christian Egartner, um dessen Verbleib für die SVP im Landtag zu sichern; er hatte bei den Wahlen 2008 eine Funktion in einer Firma innegehabt, die ihn laut Wahlgesetz für den Landtag unwählbar gemacht hatte.

Belege sind zweitens auch gewisse Transaktionen des Landes, die vor allem ein Geschäft für Private waren: So verkaufte das Land das Thermenhotel in Meran für 30,6 Millionen Euro an eine Bietergemeinschaft unter Federführung des Medienkonzerns Athesia; gebaut hatte das Land das Thermenhotel für weit über 50 Millionen Euro. Das trübte zunehmend das Bild von einer sauberen und anständigen Partei, die ursprünglich nur dem Überleben der geschundenen deutschen und ladinischen Minderheit verpflichtet war.

Solange sich weite Teile der Bevölkerung mit der SVP identifizieren konnten, stellten die Affären und Skandale kein Problem für sie dar. Die breite Öffentlichkeit verzieh wohlwollend alle Unzulänglichkeiten, schließlich stand man gemeinsam für ein höheres Ziel ein: Die Autonomie musste verteidigt und ausgebaut werden, dafür war es nötig „zusammenzuhalten“, auch wenn das nicht immer einfach war.

Mit dem Beginn der Ära Luis Durnwalder, der niemals ein Parteimensch war, begann der Konsens zu bröckeln. Links und rechts der SVP wuchsen die Oppositionsparteien an, während die Regierungspartei stetig an Zustimmung verlor. Bei den Landtagswahlen 2008 konnte sie mit 48 Prozent der Stimmen und 18 von 35 Sitzen im Landtag gerade noch die Mehrheit halten, bei den Landtagswahlen 2013 werden ihr in Umfragen 40 Prozent und weniger vorausgesagt. Stark im Kommen sind dagegen die Freiheitlichen, die auf die 30 Prozent zusteuern. Sie stellen für viele BürgerInnen die schlüssige Antwort auf Landeszentralismus, Postenschacher und Freunderlwirtschaft dar. Damit gehen die Freiheitlichen seit jeher auf Stimmenfang, der SEL-Skandal hat diesen populistischen Schlagworten Namen und Gesichter gegeben.

Im SEL-Skandal zeigen sich die Unzulänglichkeiten des Systems Südtirol, in dem jeder jeden kennt und in dem die Grenzen zwischen Politik und Verwaltung zunehmend verschwimmen. Der Politiker Laimer besserte an einem Karfreitag des Jahres 2006 mit dem Verwalter Rainer die Umweltpläne der SEL nach. Ende 2009 sprach derselbe Politiker Laimer die meisten Konzessionen der großen Wasserkraftwerke in Südtirol der SEL zu – weil sie die besten Umweltpläne vorgelegt habe. Auf Bildern sieht man Laimer mit den Umweltplänen der SEL wedeln, ganze Bücher sind es, jene der Konkurrenten bestehen nur aus ein paar dürren Seiten. Später senkte Laimer die Auflagen der Umweltpläne drastisch, um die landeseigene SEL nicht um die Gewinne zu bringen.

Das alles geschah mit einer Selbstverständlichkeit, die nur jene an den Tag legen, die sich für allmächtig und unverwundbar halten. Im Falle des Kraftwerkes St. Anton bei Bozen hebelte Laimer die Entscheidung seiner Ämter gar aus, nicht der Private Hellmuth Frasnelli habe das beste Projekt dafür vorgelegt, sondern die SEL. Dafür ließ sich Laimer von Rainer Argumente zusammenstellen, die für die SEL sprachen. Als Frasnelli gegen die Entscheidung klagte, mimte Landesrat Laimer den Unschuldigen und versuchte seinen Beamten den schwarzen Peter zuzuschieben.

Sogar den Wassernutzungsplan hat Maximilian Rainer für Michl Laimer umgeschrieben. Am oberen Eisack sollte eigentlich ein großes Kraftwerk der SEL entstehen, doch Umweltschützer und Anwohner sträubten sich: Der Eisack müsse hier geschützt werden, er sei schon genug verbaut. Die Landesregierung lenkte 2007 ein, der Eisack zwischen Sterzing und Franzensfeste wurde unter Schutz gestellt. Damit wurde das SEL-Kraftwerk unmöglich gemacht. Allerdings beschloss die Landesregierung die endgültige Fassung des Wassernutzungsplanes erst im April 2010. Und dort gab es plötzlich eine Ausnahme: Zwischen dem Maulser Bach und dem Stausee Franzensfeste dürfen kleine und mittlere Wasserkraftwerke errichtet werden – nur keine großen. Das SEL-Kraftwerk blieb damit ausgeschlossen, aber dem Ausbau des Kraftwerkes der Stein an Stein Italia GmbH wurde damit die letzte verschlossene Tür geöffnet. Treibende Kräfte für die Ausnahme waren SEL-Generaldirektor Maximilian Rainer und Energielandesrat Michl Laimer. Rainer fügte die Ausnahme handschriftlich in den Wassernutzungsplan ein, Laimer brachte sie – gegen alle Widerstände vonseiten der zuständigen Beamten – auf den behördlichen Weg und ließ sie schließlich von der Landesregierung bestätigen.

Hier wird klar, dass es keine Trennlinie mehr gibt zwischen Politik und Verwaltung; dass die Politik nach eigenem Gutdünken verwaltet, auch abseits der Regeln und Gesetze; dass die Politik nicht einmal mehr erkennt, dass sie im Unrecht ist. Sie begründet ihr Engagement an allen Fronten mit „Landesinteresse“ und merkt nicht, dass es sich um „Landeszentralismus“ handelt, um ein Monopol, in dem keine Regeln mehr zu gelten scheinen. Sie werden außer Kraft gesetzt, um dem Landesinteresse gerecht zu werden. Wobei das Landesinteresse verschwimmt zwischen dem echten Interesse der Menschen im Land, dem Interesse der regierenden Partei und dem Interesse jenes Machtkartells, das sich rund um Landeshauptmann Luis Durnwalder gebildet hat.

Mit diesem Selbstverständnis ausgestattet, vergab die Landesregierung mit der einen Hand die Konzessionen für Wasserkraftwerke und mit der anderen Hand nahm sie über die landeseigene SEL AG dieselben Konzessionen und wandelte sie in bare Münze um. Das soll ein Interessenkonflikt sein? Nie im Leben, wiederholten Durnwalder und Laimer gebetsmühlenartig, man könne klar zwischen dem einen und dem anderen trennen. In dieser Aussage äußert sich auch eine Überheblichkeit, die darin besteht zu glauben, man könne den Menschen alles erzählen, die verstehen das ohnehin nicht.

Solange die SVP und das Land praktisch eins waren, hat dies funktioniert. Die Menschen drückten ein oder zwei Augen zu, nur um des „Zusammenhalten“ willen. Das war für die geschundene deutsche und ladinische Minderheit immer zentral: zusammenhalten gegen Trient, zusammenhalten gegen Rom, zusammenhalten gegen Brüssel. Nur damit könne die Minderheit überleben, appellierte die SVP an die Menschen, auch wenn sie noch so klein und schwach sein mag. Doch dieser Konsens bröckelt zusehends, und damit auch das blinde Vertrauen in die Politik.

Als Abgeordnete der Opposition im Landtag wissen wollten, was eigentlich in den Verträgen mit den Energieriesen Enel und Edison drinnen stehe, flüchtete sich das Machtkartell in Ausreden: Das müsse geheim bleiben, da Enel und Edison an der Börse quotiert sind und Verträge mit solchen Unternehmen einer Verschwiegenheitsklausel unterliegen. Die Grünen ließen sich damit nicht abspeisen und klagten bei Gericht. Das gab ihnen recht. Es sei sogar die Pflicht der Abgeordneten, befand das Gericht, Verträge von öffentlichen Gesellschaften zu kontrollieren.

Enel und Edison haben mit der SEL Gesellschaften gegründet, die den Energieriesen weiterhin eine Beteiligung an den Südtiroler Kraftwerken sichern. Statt die Etschwerke der Städte Bozen und Meran oder die Gemeinden zum Zug kommen zu lassen, paktierte das Land lieber mit den eigentlich verhassten Kolonialisten von einst. Um deren Klagen abzuwenden, argumentierten Durnwalder und Laimer. Das ist zwar gelungen, dafür aber klagen nun die lokalen Energieproduzenten.

Im Herbst 2012 musste schließlich ein „Sonderbeauftragter“ eingesetzt werden, der die Mitwerber besänftigen und die Strompolitik des Landes neu ordnen soll. Das offenbart eindrucksvoll, dass die bisherigen Macher mit ihrem Latein am Ende sind. Das System greift nicht mehr, weil immer mehr Akteure sich außerhalb davon bewegen und – noch ärger – das System mit allen Mitteln bekämpfen. Es greift nicht mehr, weil die Staatsanwaltschaft genauer hinschaut als noch vor einigen Jahren und Dinge ans Tageslicht bringt, die die zunehmend sensible Öffentlichkeit schockieren. Es greift nicht mehr, weil das Geld im Landeshaushalt zu schrumpfen beginnt und nicht mehr alle Interessen befriedigt werden können.

Das viele Geld aus Rom bringt Südtirol Wohlstand, mit dem Geld ist es für Luis Durnwalder einfach zu regieren. Wer nicht jeden Cent zweimal umdrehen muss, kann Projekte finanzieren, die für einen öffentlichen Haushalt eigentlich zu teuer wären. Er kann Dinge fördern, die es eigentlich nicht braucht. Und er kann Beiträge mit der Gießkanne verteilen, in deren Genuss Tausende von Menschen kommen – beispielsweise die rund 20.000 Landwirte in Südtirol, die eine wichtige Säule der Macht für Durnwalder und die SVP sind. Wird das Geld jedoch weniger, muss gekürzt werden; die Säulen der Macht geraten ins Wanken.

Jetzt wird es schwieriger zu regieren, das Geld wird weniger, die Zahl der nicht Befriedigten und Enttäuschten steigt. Das treibt sie zu anderen Parteien, die sich im Jahr der Landtagswahlen 2013 wenig vorbereitet auf die Bereitschaft vieler Menschen zum Wechsel zeigen.

Literaturverzeichnis

Franceschini, Christoph (2009). Mittewalder Mosaik, in: Die neue Südtiroler Tageszeitung, 22. Oktober 2009

Hinterwaldner, Karl (2009). Fatale Außenwirkung, in: ff – Das Südtiroler Wochenmagazin, 22. Oktober 2009

Hinterwaldner, Karl (2010). Der Stromkrimi, in: ff – Das Südtiroler Wochenmagazin, 4. Februar 2010

Hinterwaldner, Karl (2011). Rainers Geschäfte, in: ff – Das Südtiroler Wochenmagazin, 25. August 2011

Hinterwaldner, Karl (2012). Rainers Ausnahme, in: ff – Das Südtiroler Wochenmagazin, 22. November 2012

Hinterwaldner, Karl (2012). Michl, der Berater, in: ff – Das Südtiroler Wochenmagazin, 6. Dezember 2012

Landespresseamt, LH Durnwalder zu Mittewald-Mittagessen: „Verleumderische Unterstellungen“, 8. November 2011

Landespresseamt, Südtirols BIP pro Kopf staatsweit Nr. 1: „Gehen den richtigen Weg“, 23. November 2012

Larcher, Markus/Hinterwaldner, Karl (2012). Architekt des Untergangs, in: ff – Das Südtiroler Wochenmagazin, 22. November 2012

Peterlini, Hans Karl (2012). Paradies im Sündenfall, in: Tiroler Tageszeitung, 16. November 2012

Rohrer, Josef (2003). Gier nach weißem Gold, in: ff – Das Südtiroler Wochenmagazin, 9. Oktober 2003

Unternehmensregister der Handelskammer, Auszüge über Maximilian Rainer, Michl Laimer, Klaus Stocker, Franz Pircher, Dezember 2012

Varesco, Barbara/Costiuc, Roberta (2011). „… möglichst positiv erledigen!!!“, in: Dolomiten, 12. November 2011

Abstracts

Un sistema che va in pezzi:
l’Alto Adige e lo scandalo Sel

L’Alto Adige è un modello di successo, ma non solo. La provincia tra il Brennero e Salorno – che da oltre 60 anni è governata dallo stesso partito, la Südtiroler Volkspartei (Svp) – sta vivendo il peggiore scandalo del dopoguerra: al centro dello scandalo c’è la società energetica provinciale Sel. I vertici della società, strettamente legati al Presidente della Provincia, hanno evidentemente imbrogliato ed esercitato illecite pressioni. In combutta con l’assessore provinciale competente per il settore energetico la società ha inficiato, in primo luogo, gli esiti delle gare d’appal­to aggiudicandosi così le maggiori centrali idroelettriche della provincia. In secondo luogo, i vertici della società hanno curato i propri interessi e si sono appropriati di una centrale idroelettrica in Val di Vizze, arrecando danno, secondo la procura della Repubblica, alla stessa Sel. In seguito a questo scandalo i vertici della Sel e l’assessore hanno dovuto rassegnare le dimissioni ed il Presidente della Provincia da allora risulta indagato. Nemmeno la Svp viene risparmiata dalle conseguenze: prima delle elezioni del 2013 il partito perde ulteriormente consensi, i sondaggi vedono il partito, che governava con una maggioranza assoluta, attestato intorno al 40 per cento e spesso anche al di sotto.

N sistem va en tòć: Südtirol y le scandal dla SEL

Südtirol é n model de suzès – mo nia ma. La Provinzia danter le Prener y Salurn, che vëgn manajada da passa 60 agn incà dal medem partì, la Südtiroler Volkspartei (SVP), vir le scandal plü pesoch da do la vera incà: Tl zënter dl scandal él la sozieté energetica provinziala SEL. Al pê che la direziun, liada tóch al Presidënt dla Junta Provinziala, ais ingianè y sburlé. En colaboraziun cun l’assessur por la energia àra imprömadedöt deformè concursc y ti à insciö surandè ala SEL les gran zentrales idroeletriches dla provinzia. Sciöche secundo àra ćiarè de so bëgn y s’à consintì la zentrala idroeletrica dl Wipptal – aladô dla magistratöra a dann dla SEL. Porvia de chësc scandal mëss la direziun dla SEL y l’assessur por la energia dè les dimisciuns. Da ilò inant é le Presidënt dla Junta Provinziala sot acüsa. Les conseguënzes ne manćia gnanca por la SVP: ara perd inant crëta dan les lîtes provinziales dl 2013, aladô dles inrescides fates röia le partì che â n iade la maioranza assoluta al 40 porcënt y dessot.

A system falling to pieces: South Tyrol
and the SEL scandal

South Tyrol’s story is not exclusively one of success. The province, which lies between Brennero (Brenner) and Salorno (Salurns), has been governed by the same party – the South Tyrolean People’s Party or Südtiroler Volkspartei (SVP) – for over sixty years. This province is now living through its worst scandal since the end of World War II, at the centre of which lies the local energy company, SEL. The top managers of this company, who are intimately connected to the local government leader himself, have clearly been involved in cases of deception and coercion.

Firstly, the company, which works in league with the province’s energy sector assessor, has distorted the results of tenders and thus awarded itself contracts for the major hydroelectric plants in the province. Secondly, the managers at SEL have prioritised their own interests and embezzled at a hydroelectric plant in Val di Vizze (Pfitschtal) Valley, which is, according to the Italian public prosecutor’s office, to the detriment of the company.

In the wake of this scandal, the management at SEL and the energy ­sector’s assessor have been forced to resign. Not even the SVP has been spared from the consequences of the scandal, and the leader of the local government has henceforth been held responsible. Prior to the 2013 ­elections, the party lost further public support. The polls have predicted that the SVP, which has been governing with an absolute majority, will receive 40 per cent of the votes, at the most.