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Günther Pallaver

Transformationsprozesse der
Südtiroler Autonomie 1972–2012

Konfliktlösungsmodell, Konkordanzdemokratie, Parteien

1. Einleitung

Ausgangspunkt dieses Beitrages ist das Jahr 1972, als das Zweite Autonomiestatut in Kraft trat. Es soll mit dem Jahr 2012 verglichen werden, um zu veri­fizieren, wie sich die Autonomie Südtirols, in erster Linie wie sich das Konflikt­lösungsmodell, das politische System und wie sich die Parteien als die zentralen politischen Akteure und das Parteiensystem in den letzten 40 Jahren entwickelt und verändert haben. Dabei wird von drei Thesen ausgegangen: Die erste These besagt, dass sich das dissoziative Konfliktlösungsmodell in Richtung assoziatives Konfliktlösungsmodell bewegt. Die zweite These geht davon aus, dass eine der Grundlogiken der Autonomie, nämlich die Inklusion aller Sprachgruppen in die Entscheidungsprozesse, Verschiebungen erfahren hat, die zu einer fortschreitenden Exklusion vor allem der italienischen Sprachgruppe geführt hat. Diese zunehmende Exklusion auf verschiedenen Ebenen stellt ein Spannungsfeld dar, welches das derzeit stabile politische System destabilisieren, ja im Extremfall auch sprengen könnte. Die dritte These bezieht sich auf das Verhältnis der Parteien zur Autonomie und geht davon aus, dass sich das Parteiensystem in dieser Hinsicht zentrifugal entwickelt und die positive Haltung zur Autonomie insgesamt abnimmt.

2. Vom dissoziativen zum assoziativen Konfliktlösungsmodell

2.1. Negativer Frieden

Südtirols erfolgreiches Konfliktmanagement beruht auf einer dissoziativen Lösung. Dieses Modell zielt auf die Herstellung des negativen Friedens ab, verstanden als Abwesenheit von personaler Gewalt. Es ist ein kalter Frieden, der die Konfliktparteien physisch trennt. Das Modell konkretisiert sich durch die Absteckung von Einflusssphären genauso wie durch die räumliche und soziale Trennung der Konfliktparteien (Galtung 1996, 1976).

Diese Trennung drückt sich institutionell und sozial aus und durchzieht das gesam­te politisch-administrative System mit seinen verästelten Subsystemen, maßgeblich getragen von den rein ethnisch organisierten Parteien, bis hinein in die Alltagswelt. Es gibt ein getrenntes Schul- und Bildungssystem, getrennte Kulturressorts, getrennte Kulturhäuser, Bibliotheken, Theater- und Sportvereine, getrennte Hilfsorganisationen und Rettungsdienste, die Medien berichten ethnisch getrennt, es herrscht eine ethnische Arbeitsteilung (Pallaver 2008). Der Sozialisationsprozess erfolgt nach Logiken der ethnischen Trennung, Kontakte und Kommunikation unter den Sprachgruppen sind auf ein Minimum reduziert (Pallaver 2010, 383), auch wenn die soziale Trennung der Sprachgruppen stark vom Bildungsgrad und Beruf abhängt und sich in den letzten Jahren einiges verändert.

Dieses dissoziative Konfliktlösungsmodell, 1948 mit dem Ersten Autonomiestatut eingeführt, mit dem Zweiten Autonomiestatut bestätigt, befindet sich vor allem seit der Streitbeilegungserklärung des Konflikts vor der UNO zwischen Österreich und Italien im Jahre 1992 in einem Transformationsprozess hin zu einem assoziativen Konfliktlösungsmodell. Dieses zielt auf die Herstellung eines positiven Friedens ab, verstanden als grundsätzliche Abwesenheit von struktureller Gewalt. Ziel ist die Integration ehemaliger Konfliktgegner und die Herausbildung eines neuen Akteurs aus den ehemaligen Konfliktparteien. Dieses Modell ist nicht mit Assimilation der Minderheit zu verwechseln, sondern mit Kooperation, bei der das Ethnische den Interessen untergeordnet ist.

Eine substantielle und freiwillige Kooperation wurde in jenem Moment möglich, als für die ethnische Minderheit Sicherheit für die weitere gesellschaftliche, ökonomische und kulturelle Entwicklung bestand und zwischen den Sprachgruppen Misstrauen abgebaut und Vertrauen aufgebaut wurde. Sicherheit und Vertrauen sind Kategorien, die eine zentrale Bedeutung für den Frieden und somit auch für den ethnischen Frieden haben. Sicherheit ist ein relativer Begriff, weil es keine absolute Sicherheit gibt, die idealtypisch einen Zustand beschreibt, der frei von Gefahr ist. In Anlehnung und Abwandlung der Theorie von David Mitrany (1943) kann Sicherheit im Sinne eines prozessorientierten Ansatzes betrachtet werden, der eine ständige Entwicklung hin zu einer funktionalen Integration fördert, mit der Einstellungsveränderungen einhergehen und die zu einer weitreichenden Interdependenz führt, deren Rücknahme nur mit großen Kosten verbunden ist (Rudolf 1995, 121–122). Sicherheitskonzepte sind dann erfolgreich, wenn Gefahren unterschiedlichster Art immer unwahrscheinlicher werden.

Für eine autochthone ethnische Minderheit bedeutet Frieden die Abwesenheit von Gefahren für die Existenz als Minderheit, was die Einhaltung der Minderheitenrechte voraussetzt sowie die Entfaltungsmöglichkeit in allen Lebensbereichen im angestammten Territorium, zu der auch die politische Entscheidungsautonomie gehört (allein oder mit anderen). Nach einem langen, auch mit Gewalt verbundenen Prozess nimmt heute die übergroße Mehrheit der Minderheit wahr, sich sowohl in einer rechtlichen als auch politischen Sicherheit zu befinden.

Die rechtliche Sicherheit besteht aus einem weitverzweigten Netzwerk von speziellen, verfassungsrechtlich innerstaatlichen und internationalen Normen (Wolff 2008, 347). Der juristische Fallschirm, mit dem Pariser Vertrag 1946 beginnend, der zugunsten der Südtiroler Minderheit aufgemacht wurde, ist heute äußerst umfangreich (Benedikter 2007, 90).

Neben dem sehr dichten juristischen Netzwerk gibt es für Südtirol auch eine breite politische Absicherung. Neben der Republik Österreich, insbesondere seit die Schutzmacht Südtirols im Jahre 1995 Mitglied der heutigen Europäischen Union geworden ist, bietet in erster Linie die Europäische Union diese Garantien. Der europäische Integrationsprozess hat den Nationalstaat zunehmend zurückgedrängt, dessen Zuständigkeiten an gemeinschaftliche Einrichtungen verlagert und zu einer immer dichteren Vernetzung der einzelnen Mitgliedstaaten geführt. Dieser Integrationsprozess hat die einzelnen Nationalstaaten nachhaltig beeinflusst und zu einer europäischen Verhandlungs- und Kompromisskultur geführt. Voraussetzung dafür ist auch das politische Vertrauen, das tragbare Kompromisse erst erlaubt (Gehler 2010) und auch auf die Lösung von ethnischen Konflikten eingewirkt hat (Palermo/Woelk 2008, 94–99; Toggenburg 2008).

Außerdem hat der europäische Integrationsprozess die Staatsgrenzen durch das Schengener Abkommen relativiert, dem Italien (1990) und Österreich (1995) beigetreten sind. Dadurch ist zwar die staatsrechtliche Grenze zwischen Südtirol (Italien) und Nordtirol (Österreich) geblieben, hat diese aber in der Alltagspraxis stark relativiert. Schließlich fördert der europäische Integrationsprozess auch die grenzüberschreitende Kooperation im Rahmen von Euro-Regionen, die unter anderem als friedensstiftende Initiative und Bausteine der europäischen Integration betrachtet werden (Wolff/Cordell 2011, 303). Die grenzüberschreitende Kooperation zwischen den drei Ländern Tirol, Südtirol und dem Trentino besteht seit über 15 Jahren (Engl/Zwilling 2008) und hat durch die Verordnung des Rates und des Europäischen Parlamentes zum Europäischen Verbund für territoriale Zusammenarbeit einen weiteren Anstoß erhalten (Verordnung EG 2006; Bußjäger et al. 2011).

All diese Sicherheitsnetze bilden die Voraussetzung für Vertrauen, das wiederum Voraussetzung für Kooperation ist. Nach Simmel ist Vertrauen „eine der wichtigsten synthetischen Kräfte innerhalb der Gesellschaft“ (Simmel 1992, 393). Umfragen belegen, dass es unter den ökonomischen und kulturellen Eliten der drei Sprachgruppen wie auch unter der Zivilgesellschaft Südtirols einen immer stär­keren Trend gibt, die soziale Distanz unter den Sprachgruppen als immer geringer einzustufen (Pallaver 2010, 387–390), wodurch gegenseitiges Vertrauen aufgebaut wird.

2.2. Die Rolle der Eliten

Bildete der europäische Integrationsprozess den Ausgangspunkt für die Herstellung von existentieller Sicherheit, so geht die Kooperation unter den Sprachgruppen parallel dazu auf die vielfältigen Interessen der politischen, ökonomischen und kulturellen Eliten zurück. Diese Kooperation wird umso intensiver, je mehr sie mit Prämien verbunden ist, wie dies Karl W. Deutsch theoretisiert hat (Deutsch 1972). Der hier verwendete Erklärungsansatz über die Rolle der Eliten geht davon aus, dass die Integration ein kontinuierlicher Interaktionsprozess ist, bei dem die entscheidenden politischen, ökonomischen, bürokratischen und kulturellen Eliten auf sich verändernde gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen reagieren, dabei neue Formen der Kooperation und neue Institutionen entwickeln, in denen eine kontinuierliche Interaktion zwischen Eliten und Bürgern stattfindet (Haller 2009, 62; allgemein Weber 1973).

Bei der Analyse der Rolle von Eliten, die beim Transformationsprozess des Konfliktlösungsmodells einen wesentlichen Beitrag geleistet haben bzw. nach wie vor leisten, sei in erster Linie auf die politischen, ökonomischen sowie intellektuellen Eliten verwiesen.

Politische Eliten. Als politische Eliten werden Inhaber von zentralen politischen Machtpositionen bezeichnet, zu denen in Südtirol sowohl die Landtagsabgeordneten und die Mitglieder der Landesregierung, die ParlamentarierInnen im italienischen Parlament und der jeweilige EU-Abgeordnete als auch die BürgermeisterInnen, zumindest jene der wichtigsten Städte des Landes, gezählt werden.

Auffällig ist, dass es fast zeitgleich mit der Streitbeilegungserklärung vor der UNO (1992) zu einem politischen Generationenwechsel kam. Innerhalb der deutschsprachigen politischen Eliten kam eine neue, stark pragmatisch und weniger ethnisch geprägte Elite an die Macht, die, ausgestattet mit einer Reihe von politischen und juristischen Sicherheiten für die Minderheit, in der Zwischenzeit fast tagtäglich die großen Vorzüge der Autonomie propagiert. Am Auf- und Ausbau der Autonomie haben auch eine Reihe von ItalienerInnen mitgewirkt, die sich deshalb mit dieser Autonomie ebenfalls stark identifizieren.

Der tagtägliche Umgang mit der anderen Sprachgruppe in der Legislative und Exekutive hat über die Jahre hinweg vor allem Vorurteile ab- und Vertrauen aufgebaut und dadurch erlaubt, gemeinsame Interessen jenseits der einzelnen Sprachgruppen zu verfolgen. Dasselbe Phänomen kann man in der öffentlichen Verwaltung feststellen. Trotz der immer stärker werdenden Identifizierung mit der Autonomie und der Intensivierung der Kooperation stellen die politischen Eliten das dissoziative Konfliktlösungsmodell aber nicht grundsätzlich in Frage. Das hat mehrere Gründe. Einmal, weil es bislang sehr erfolgreich war. Zweitens, weil die Parteien in ihren jeweiligen ethnisch definierten elektoralen Subarenen Wahlen gewinnen wollen und somit auf ethnozentrische Wählerschichten Rücksicht nehmen. Dennoch: Während man in der Vergangenheit bei der Kooperation dem Prinzip „So wenig wie möglich, so viel wie notwendig“ folgte, lautet es heute: „So viel wie möglich, ohne das System zu ändern“.

Ökonomische Eliten: Mit Verabschiedung des Zweiten Autonomiestatuts und dessen Implementierung erfolgte auch eine großzügige finanzielle Bedeckung der Autonomie. Das Land Südtirol ist aufgrund dieser großzügigen Finanzregelung im Langzeitdurchschnitt zu einem Netto-Empfänger geworden (Benedikter 2011, 341). Das Land kann über rund 90 Prozent des gesamten Staatssteueraufkommens in der Provinz und über zusätzliche Überweisungen seitens des Staates und somit über gut 100 Prozent des Steueraufkommens verfügen, das in Südtirol aufgebracht wird (Benedikter 2008). Wenngleich mit dem Mailänder Abkommen im Jahre 2010 im Rahmen der Reform zum italienischen Steuerföderalismus sich Südtirols Primär-Fiskalsaldo zugunsten des Zentralstaates leicht erhöhen wird, hat das Land seine Sonderrolle beibehalten können und wurde von den harten Sparplänen der italienischen Regierung in erträglichem Maße getroffen (Benedikter 2011, 356; Gonzato 2011).

Die ökonomischen Eliten profitieren von dieser Situation in ganz erheblichem Ausmaße. Der Zufluss öffentlicher Mittel fördert die Nachfrage der öffentlichen Körperschaften auf allen Ebenen und damit auch die lokale Wirtschaft. Die hohen Einnahmen ermöglichen es, öffentliche Investitionen zu tätigen, die das Wachstum stützen, Konjunkturschwankungen stabilisieren und größere Krisen in der Beschäftigung verhindern.

Südtirols Autonomie und ihre Regierung als große finanzielle Verteileragentur werden deshalb von den ökonomischen Eliten stark unterstützt. Dabei hat die Wirtschaft und mit ihr eine Reihe von autonomen Arbeitssektoren wie jene der Rechtsanwälte, Notare, Architekten, Wirtschaftsberater usw. seit jeher über die Sprachgrenzen hinweg kommuniziert und kooperiert. Dies gilt genauso für die großen Interessensverbände (Unternehmerverband, Industriellenverband usw.). Außerdem bestehen viele Querverbindungen zwischen politischen, ökonomischen und medialen Eliten.

Die ökonomischen sind den politischen Eliten bei der Kooperation und Integration der Sprachgruppen voraus, deren starke Abhängigkeit von der öffentlichen Hand als große Verteilungsagentur hindert aber die ökonomischen Eliten, den Integrationsprozess noch weiter zu forcieren.

Intellektuelle Eliten: Bei diesen handelt es sich um Personen, die an öffentlichen Diskussionen über wichtige soziale und politische Themen beteiligt sind und die im Wesentlichen den wissenschaftlichen, künstlerischen und literarischen Berufsgruppen angehören. Bei der Analyse, Kommentierung und Diskussion über soziale und politische Entwicklungen argumentieren sie auf der Grundlage universeller Werte wie Freiheit, Gleichheit, soziale Gerechtigkeit (Gramsci 1948; Charle 2001). Über öffentliche Aufmerksamkeit versuchen sie Einfluss auf die Mächtigen und deren Entscheidungen zu gewinnen (Boudon 2004).

Konkret begannen sich Intellektuelle aus dem katholischen und linken Lager vermehrt in den 60er-Jahren mit Fragen der Überwindung der ethnischen Trennung auseinanderzusetzen und versuchten sprachgruppenübergreifende Projekte zu initiieren (Langer 1996, 33). Die Triebfeder ihres Handels beruhte (und beruht) auf kosmopolitischen, friedensstiftenden und friedenserhaltenden Argumenten.

Obgleich der Bereich der Kultur und Bildung nach wie vor politisch getrennt verwaltet wird, gibt es in beiden Bereichen untrügliche Zeichen der Öffnung und Kooperation (Schüleraustausch, Zweitsprachenunterricht, Debatte und Schulprojekte zum zweisprachigen Unterricht, dreisprachige Universität, gemeinsames Bibliothekszentrum in Bozen usw.).

Der vertikalen ethnischen Kooperation in der Hochkultur (Pernthaler 2009) steht noch vielfach die horizontale Undurchlässigkeit in der Volkskultur gegenüber, wenngleich es auch hier immer öfters zur Kooperation zwischen den Sprachgruppen kommt (Jugendzentren, Straßentheater usw.).

Eine schon etwas längere Zeit zurückliegende Untersuchung über die Eliten Südtirols, die allerdings die einzige dieser Art ist (Niederfriniger/Kienzl 1996), kommt zum Ergebnis, dass die Wertvorstellungen der deutsch- und italienischsprachigen Eliten nicht allzu weit voneinander entfernt sind. Das betrifft die Selbsteinschätzung genauso wie die Einschätzung der Politik und die Zukunft des Landes.

2.3. Die Rolle der Zivilgesellschaft

Die Interessen „von oben“ werden immer mehr durch die Interessen „von unten“, durch jene der Zivilgesellschaft ergänzt. So bedeutend die Rolle der Eliten bei diesem Prozess der interethnischen Kooperation auch ist, so wäre ein schrittweiser Übergang zu einem assoziativen Konfliktlösungsmodell ohne die immer intensiver werdende Kooperation der Zivilgesellschaft nur schwer vorstellbar.

Unter Zivilgesellschaft wird ein Netzwerk basisorientierter Initiativen und Projekte verstanden, das für eine demokratische Gesellschaft charakteristisch ist. Die Zivilgesellschaft ist eine Art Gegenöffentlichkeit zur staatlich hergestellten und bedeutet das Ende des Monopols der politischen und gesellschaftlichen Ordnung (Gellner 1995, 63). Da der interethnische Dialog und die interethnische Kooperation nicht „von oben“, also von der Politik dekretiert werden können, bedarf es dazu des zivilgesellschaftlichen Engagements. Dieses Engagement entwickelt sich jenseits von Hierarchien und legitimiert sich „von unten“. Nicht erst Amitai Etzioni (1993) weist dabei auf die gemeinschaftsbildende Kraft zivilgesellschaftlicher Organisationen hin, die integrierend wirken, die Fähigkeit zum interkulturellen Dialog aufweisen und die „interkulturelle Öffnung“ vorantreiben.

Dieser Prozess der interethnischen Kooperation kann längs der Einstellung der Bevölkerung zum Zusammenleben unter den Sprachgruppen getestet werden, das sich in den letzten Jahren grundsätzlich verbessert hat, auch wenn hier stark differenziert werden muss (Giudiceandrea 2011; vgl. Atz in diesem Band).

Einen positiven Trend in Richtung Gemeinsamkeit und gemeinsame Identität weist auch die territoriale in Verbindung mit der ethnischen Zugehörigkeit auf, die bei den deutschsprachigen Südtirolern mit rund 90 Prozent sehr hoch liegt, bei den Italienern aber zunimmt und bei knapp 30 Prozent liegt (astat 2006, 158–159).

Die immer stärker werdende Identifizierung mit der Autonomie, mit dem Territorium und damit verbunden der Abbau der sozialen Distanz zwischen den Sprachgruppen, ist unter anderem Folge und zugleich Ursache für die Kooperation unter den Sprachgruppen. In der Zwischenzeit gibt es eine Reihe von Organisationen, Vereinen und interethnischen Initiativen, die von der Zivilgesellschaft initiiert und getragen werden. Die Kooperation unter den Sprachgruppen kann dabei unterteilt werden in: interethnische Öffnungen (z. B. Aufnahme von Kindern der anderen Sprachgruppe bei Kinderferien), interethnische Bündnisse/Kooperation (z. B. Klassenpartnerschaften, zweisprachige Fachhochschule für Medizinberufe), ethnische Indifferenz (z. B. Selbsthilfegruppen im sozialen Bereich, Vereinigungen, die mit dem „kranken“ Körper zu tun haben). Dazu kommen weitere basisdemokratische Bewegungen und Initiativen unterschiedlicher Art, die den sozialen, kulturellen und ökonomischen Bereich miteinschließen, aber auch den öffentlichen Sektor betreffen (z. B. Komitee für Chancengleichheit der Frauen) (Baur 1998, 287–302).

Aufgrund des Druckes „von unten“, also seitens der Zivilgesellschaft sind die politischen Eliten immer wieder gezwungen, das System langsam und schrittweise zu öffnen, wollen sie nicht elektoral bestraft werden.

Medien spielen im Integrationsprozess eine zentrale Rolle, da sie soziale Realitäten konstruieren und Öffentlichkeit schaffen. Massenmedien sind deshalb besonders angehalten, einen ständigen vertrauensbildenden Informationsprozess voranzutreiben, um öffentliches Vertrauen in die jeweils andere Sprachgruppe und in die gemeinsamen Institutionen herbeizuführen. Dazu wäre allerdings eine ungeteilte Öffentlichkeit notwendig, während in Südtirol diese weitgehend in Teilöffentlichkeiten zerfällt, zumal die Medien in Südtirol nur einsprachig erscheinen und tendenziell ethno-referenziell berichten (Vgl. Pallaver 2006).

Der Übergang von einem dissoziativen zu einem assoziativen Konfliktlösungsmodell geht Hand in Hand mit der „Territorialisierung“ der Autonomie, weg vom reinen Minderheitenschutz für die deutsche und ladinische Minderheit und hin zu einer territorial verstandenen Autonomie, an der alle Sprachgruppen teilhaben. Genauso wie das Territorium zum Ersatz für die großen Ideologien geworden ist, genauso befindet sich das Territorium in Südtirol auf dem Weg, das Ethnische zwar nicht zu ersetzen, aber etwas in die zweite Reihe abzudrängen (Palermo 1999). Je umfangreicher, intensiver, konsistenter, bedeutsamer und schneller solche Interaktionen zwischen den Sprachgruppen sind, umso mehr kommt es zu einer Verdichtung der Integration eines Territoriums (Deutsch 1972).

3. Konkordanzdemokratie

3.1. Fragmentierung und Machtteilung

Aufbauend auf der Logik eines dissoziativen Konfliktlösungsmodells, zugleich aber, um den zentrifugalen Tendenzen entgegenzuwirken, die unter den Sprachgruppen in Südtirol bestanden, wurde im Autonomiestatut von 1948 ein konkordanzdemokratisches Modell (consociational democracy) verrechtlicht, das den politischen Wettbewerb und das Mehrheitsprinzip reduzierte und auf die, wenn auch auf das Minimum zurückgefahrene Kooperation unter den Eliten setzte. Das entscheidende Spielfeld verlagerte sich mit dem Zweiten Autonomiestatut von der regionalen auf die Landesebene.

Das konkordanzdemokratische Modell hebt die in einer Konkurrenzdemokratie wesentliche Differenz zwischen Mehrheit und Minderheit teilweise auf, deren Eliten sich die Macht untereinander teilen (Pelinka 2003, Wolff 2008). Nicht der Wettbewerb steht im Mittelpunkt, sondern gegenseitige Garantien des Machtzugangs und der Machtausübung.

Wie in anderen stark fragmentierten Gesellschaften geht das Konzept von zwei Annahmen aus, die anhand der von Lijphart (1977, 1990, 2004) und Lehmbruch (1967) sowie anderen (Sisk 1996, Hartzell/Hoddie 2003, Reynal-Querol 2002, Wolff/Cordell 2011) beachteten Beispiele entwickelt worden sind. Diese beiden Annahmen heißen Fragmentierung und Machtteilung. Fragmentierung bedeutet, dass, wie im Fall Südtirols, die Gesellschaft in relativ klar abgegrenzte Subgesellschaften zerfällt, die sich ethnisch definieren und zwischen denen die Kommunikation reduziert ist. Die Machtteilung erfolgt nach bestimmten, im Vorhinein formell oder informell festgelegten Regeln unter den relevanten Gruppen.

Die Grundprinzipien dieser Machtteilung drücken sich in Südtirol auf vier Ebenen aus (Pallaver 2008, 303–304). 1. Beteiligung aller relevanten Sprachgruppen an der (Regierungs-)Macht auf den unterschiedlichsten Ebenen. Es handelt sich dabei um das Prinzip der Inklusion aller Sprachgruppen. 2. Entscheidungsautonomie der jeweiligen Sprachgruppen in Fragen, die nicht von gemeinsamem Interesse sind. Im Wesentlichen handelt es sich um den Gruppenschutz im Bereich von Kultur und Bildung. 3. Verhältnismäßige Vertretung der einzelnen Sprachgruppen in politischen Organisationen (über das Verhältniswahlsystem), bei Einstellungen im öffentlichen Dienst (ethnischer Proporz) und bei der Zuweisung von öffentlichen Mitteln. 4. Vetorecht der jeweiligen Sprachgruppe, wenn es um die Wahrung zentraler Interessen der Gruppe geht.

Diese vier Grundprinzipien, die direkt oder indirekt im Autonomiestatut verankert sind und somit eine starke rechtliche Verankerung aufweisen, haben sich im Laufe der letzten 40 Jahre entweder als stumpfe Waffe erwiesen (z. B. das Vetorecht), oder als Instrumente, die zwar nicht formal, aber in der politischen Wirklichkeit zum Teil starke Änderungen erfahren haben (z. B. die Inklusion der Sprachgruppen).

3.2. Inklusion vs. Exklusion

Beginnen wir beim Prinzip der maximalen Inklusion aller Sprachgruppen auf der Ebene der Entscheidungsfindungsprozesse. Bereits seit 1948 sind alle im Landtag vertretenen Sprachgruppen aufgrund ihrer numerischen Stärke auch proportional in der Landesregierung vertreten, im Zweiten Autonomiestatut sieht dies Art. 50 vor. Besondere Regeln gelten für die LadinerInnen als kleinste Sprachgruppe (siehe Perathoner in diesem Band). Dieses proportionale Regierungsprinzip setzt sich auf kommunaler Ebene und in allen öffentlichen Vertretungskörperschaften fort. Insgesamt handelt es sich um eine horizontale Machtteilung (Wolff 2008, 344). In der Praxis haben sich 1948 genauso wie 1972 die beiden katholischen Parteien, die Südtiroler Volkspartei (SVP) als Mehrheitspartei der ethnischen Minderheit und die italienische Democrazia Cristiana (DC) als Mehrheitspartei der Italiener, die Macht geteilt. Die SVP (Pallaver 2011a), obgleich seit 1948 mit der absoluten Mehrheit der Landtagssitze ausgestattet, kann aufgrund dieses Grundsatzes nicht alleine regieren.

Diese Logik setzt sich auch auf der Ebene der Beziehungen zwischen Land bzw. Region und Staat fort und drückt sich durch eine proportionale Besetzung der 6er-, 12er- und 137er-Kommission nach Sprachgruppen aus (sowie nach Staat und Land bzw. Region) (Palermo 2005). Allerdings teilen sich in diesen Fällen nur die beiden „großen“ Sprachgruppen das Vertretungsrecht, weil es keine besonderen Regeln der Einbindung für die LadinerInnen gibt.

Das Prinzip der Inklusion ist rein formal mit der Einbeziehung des proportionalen Anteils aller im Landtag vertretenen Sprachgruppen sowohl in Zeiten des Ersten wie auch des Zweiten Autonomiestatut immer problemlos umgesetzt worden. Eine Ausnahme bilden die LadinerInnen. Diese hatten im Ersten sowie im Zweiten Autonomiestatut das Recht, in der Landesregierung nur dann vertreten zu sein, wenn sie zwei Abgeordnete stellen. Dies haben die LadinerInnen mit wenigen Ausnahmen selten aus eigener Kraft geschafft. Erst die Reform des Statuts von 2001 hat dazu geführt, dass durch die Möglichkeit, Landesräte von außen zu nominieren, die LadinerInnen mit qualifizierten Mehrheiten in die Landesregierung aufgenommen werden können, auch wenn sie nur mit einem Abgeordneten vertreten sind (Toniatti 2005).

Als das Zweite Autonomiestatut in Kraft trat (1972), setzte sich die Landesregierung aus den beiden relevantesten Parteien der beiden großen Sprachgruppen zusammen. SVP und DC bildeten seit 1948 die tragende Achse der Koalition. 1973 wurde die Sozialistische Partei mit in die Landesregierung genommen. Diese Dreierkoalition, zwei (ethnisch getrennte) Zentrumsparteien (SVP und DC) und eine sozialdemokratische (PSDI)/sozialistische Partei (PSI), regierte bis zum Ende der Ersten Republik. Die Implosion des gesamtstaatlichen italienischen Parteiensystems hatte auch Auswirkungen auf das Parteiensystem Südtirols (Messner 2009) und damit auf die Zusammensetzung der Regierungskoalition. Dennoch besteht hinsichtlich der Südtiroler Landesregierung politische Kontinuität:1 Eine große deutschsprachige Zentrums- und ethnische Sammelpartei bildet mit italienischen Partnern eine Mitte-links-Regierung. 1973 waren dies SVP, DC und PSI, 2012 sind dies SVP und PD. Der Partito Democratico war aus der Fusion der sozialdemokratisierten Kommunistischen Partei und der Margherita als eine der Nachfolgeparteien der DC entstanden.

Trotz der scheinbaren Kontinuitäten ist es mit der Implosion des italienischen Parteiensystems aber dennoch zu einer tiefgreifenden politischen Zäsur gekommen, da die italienischen Regierungsparteien 40 Jahre nach Inkrafttreten des Zweiten Autonomiestatuts nicht mehr eine möglichst hohe Inklusion der italienischen Sprachgruppe in die zentralen politischen Entscheidungsebenen (Landesregierung, Gemeindeausschüsse) garantieren können.

Mit der tragenden Koalitionsachse SVP-DC war bis 1993 gewährleistet, dass die große Mehrheit der deutschen und italienischen Sprachgruppe in den zentralen Entscheidungsinstanzen vertreten war. 1973, ein Jahr nach Verabschiedung des Zweiten Autonomiestatuts, erreichten die Parteien der Regierungskoalition, SVP (56,42 Prozent), DC (14,08 Prozent) und PSI (5,64 Prozent), 76,2 Prozent aller abgegebenen Stimmen der im Landtag vertretenen Parteien. Die SVP repräsentierte mit 56,42 Prozent im Rahmen der im Landtag vertretenen deutschsprachigen Parteien rund 89 Prozent der deutschsprachigen WählerInnen. Die beiden Parteien DC und PSI vertraten ihre Sprachgruppe zu knapp 60 Prozent.

Mit dem Ende der DC und des PSI, und mit dem gleichzeitigen Aufstieg des MSI zuerst und von Alleanza Nazionale (AN) als dessen Nachfolgerin, hat sich in den 90er-Jahren ein tiefgreifender Bruch vollzogen. Der Umstand, dass sich eine Mehrheit der italienischen Sprachgruppe zuerst einer Anti-Autonomiepartei zuwandte, die sich allmählich zu einer Semi-Autonomiepartei entwickelte, führte dazu, dass die Mehrheit der italienischen Zivilgesellschaft nicht mehr adäquat in den zentralen Entscheidungsinstanzen vertreten war, weil die ideologische, vor allem aber die autonomiepolitische Distanz zwischen Volkspartei und MSI/AN zu groß war, um eine Koalition einzugehen (Pallaver 2008, 309, Pallaver 2007b).

Die italienischen Parteien sind zwar auf der Grundlage der Stärke der im Landtag präsenten italienischen Abgeordneten in der Landesregierung vertreten, diese vertreten aber nur mehr eine Minderheit der italienischen Zivilgesellschaft.

Bei den Landtagswahlen von 2008 erreichte die italienische Regierungspartei PD 6,0 Prozent, womit diese lediglich knapp 30 Prozent der italienischen Wäh­lerIn­nen vertritt (immer bezogen auf die im Landtag vertretenen Parteien). Das bedeutet, dass 70 Prozent der italienischen Zivilgesellschaft de facto nicht in die wichtigen Entscheidungsprozesse inkludiert sind. Deren Vertretung hat sich somit zwischen 1972 und 2012 halbiert.

Nicht so dramatische, aber in jedem Falle signifikante Änderungen hat es auch auf deutschsprachiger Seite gegeben. Die SVP ist längst nicht mehr die einzige deutschsprachige Partei im Landtag. Die ethnische Konkurrenz hat sie bei den Landtagswahlen 2008 auf 48,1 Prozent des Wählerkonsenses schrumpfen lassen. Im Vergleich zu allen anderen deutschsprachigen Parteien sowie zu jenen, die de facto oder zumindest dem Anspruch nach sprachgruppenübergreifende Parteien sind, vertritt heute die SVP nur noch maximal 65 Prozent der deutschsprachigen WählerInnen.2 1972 waren es noch knapp 90 Prozent gewesen, was einem Verlust von rund 25 Prozent entspricht.

Diese Asymmetrie hat zu einem Widerspruch zwischen dem Prinzip der maximalen Inklusion aller Sprachgruppen und dem Ausschluss der italienischen Mehrheit der Zivilgesellschaft geführt. Da aber das Autonomiemodell Südtirols auf dem Konsens und dem Kompromiss der Eliten aufbaut, droht mit dem Bruch der Kontinuität der Eliten innerhalb der italienischen Sprachgruppe das Konkordanzsystem in eine Krise zu geraten bzw. ist bereits dort angelangt, wenn vom disagio, vom Unbehagen innerhalb der italienischen Sprachgruppe gesprochen wird (vgl. Gatta 2010; Giudiceandrea 2006; Gallmetzer 1999). Dieser disagio rührt neben einer Reihe anderer Gründe in erster Linie daher, dass sich die italienische Sprachgruppe nicht ausreichend vertreten fühlt, sich von der politischen Partizipation ausgeschlossen sieht. Langfristig kann eine immer eklatanter werdende Exklusion nicht nur zu Spannungen führen, die das politische System destabilisieren, sondern dieses im Extremfall sogar sprengen, wenn als Reaktion die Ausgeschlossenen zu Maßnahmen der Blockade greifen (z. B. totale Weigerung der Teilnahme an der Regierungsverantwortung).

Außerdem ist im Autonomiestatut ein „Konstruktionsfehler“ vorhanden, der die Schutzbestimmungen der jeweiligen Gruppen wieder relativiert, ja geradezu aufheben kann. Betroffen sind hiervon die politische Exekutive, angefangen bei der Landesregierung bis hin zu den Gemeindeausschüssen.

In der Landesregierung gibt es keinen Sachbereich, der exklusiv einer Sprachgruppe zugeordnet ist. Man spricht zwar von der ausschließlichen Zuständigkeit der Sprachgruppen in Fragen von Bildung/Schule und Kultur, es gibt dazu auch nach Sprachgruppen getrennte Ressorts mit einem eigenen Landesrat, einer eigenen Landesrätin, aber die Entscheidungen in der Landesregierung werden nach dem Mehrheitsprinzip gefällt, nicht nach dem Konsensprinzip, das von der betroffenen Sprachgruppe vorgegeben wird.

Gemäß der Logik von Entscheidungsautonomie in Fragen, die für eine Sprachgruppe vital sind, müsste etwa die italienische Sprachgruppe das Recht besitzen, über ihr Schulmodell selbst zu entscheiden. In der politischen Praxis aber hängt sie von den Mehrheiten in der Landesregierung ab, im konkreten Falle von der Südtiroler Volkspartei. So verlangte die italienische Sprachgruppe jahrelang die Einführung des sogenannten „Immersionsunterrichts“ für die italienische Sprachgruppe, aber die Mehrheitspartei SVP lehnt(e) dieses Modell aus wenig nachvollziehbaren Gründen ab. Weil die SVP ein solches System für die eigene Schule ablehnt(e), räumt(e) sie dieses Recht auch der anderen Sprachgruppe nicht ein. Jüngstes Beispiel ist die Mehrheitsentscheidung zur Einführung der Fünf-Tage-Woche an Südtirols Schulen. Die deutschsprachige Mehrheit hat die italienischsprachige Minderheit überstimmt (stol 2012), anstatt jeder Sprachgruppe freie Entscheidungsbefugnis einzuräumen.

Das, was zum Austritt der SVP aus der Regionalregierung in den 50er-Jahren geführt hat, weil die italienischen Mehrheitsparteien die Autonomie durch Mehrheitsentscheidungen blockiert haben, wiederholt sich nun auf Landesebene spiegelverkehrt.

Ein weiteres Instrument der Konkordanzdemokratie und zum Schutz der jeweiligen Sprachgruppen hat sich als völlig stumpf herausgestellt. Wenn nämlich angenommen wird, dass ein Gesetzesvorschlag die Gleichheit der Rechte zwischen den BürgerInnen verschiedener Sprachgruppen oder deren kulturelle Eigenart verletzt, so kann die Mehrheit der Abgeordneten einer Sprachgruppe die Abstimmung nach Sprachgruppen verlangen (Art. 56, Zweites Autonomiestatut). Dazu bedarf es allerdings einer qualifizierten Mehrheit. Die wenigen Male, bei denen beispielsweise die italienische Sprachgruppe im Landtag dieses Instrument einsetzen wollte, scheiterte diese, weil aufgrund der ideologischen Distanz unter den italienischen Parteien eine qualifizierte Mehrheit bislang noch nie zustande kam. Eine Ausnahme gab es bei den LadinerInnen.

3.3. Ethnischer Proporz

Schließlich kommen wir zum ethnischen Proporz, der als eine der tragenden Säulen der Konkordanzdemokratie angesehen wird (Peterlini 1980; Poggeschi 2005). Dieser sieht vor, dass alle öffentlichen Stellen im Verhältnis der Stärke der Sprachgruppen bei der jeweils letzten Volkszählung verteilt werden. Er wird aber auch bei der Zusammensetzung der örtlichen Organe öffentlicher Körperschaften, bei der Verwaltung von Haushaltsmitteln des Landes, im Fürsorgebereich und im Sozial- und Kulturwesen sowie bei der Vergabe von materiellen Ressourcen insgesamt angewandt, beispielsweise bei den Studienstipendien oder den Volkswohnbauten. Neben der Legislative, in der die Sprachgruppen aufgrund des Wahlergebnisses vertreten sind, dehnt sich der Proporz somit auch auf Exekutive (Verwaltung), aber auch auf die Judikative aus, wo der Justizapparat in seiner personellen Zusammensetzung ebenfalls dem ethnischen Proporz unterliegt (Denicolò 2010). Der ethnische Proporz wird auch bei der Zusammensetzung sämtlicher Kommissionen öffent­lichen Rechts berücksichtigt: beginnend bei den Gesetzgebungskommissionen des Südtiroler Landtages über die Bezirksgemeinschaften, Gemeinden und Stadtviertelräte bis hin zu den Verwaltungsräten der öffentlichen Betriebe.

Der Wettbewerb zwischen den Sprachgruppen wird dadurch zum Wettbewerb innerhalb der jeweiligen Sprachgruppe, damit sich soziale Konflikte nicht in ethnische transformieren können. Die Verteilungsregeln der Ressourcen sind in einem agreement unter den Eliten festgesetzt worden. Wollte man diese Verteilungsregeln ändern, müsste der „Vertrag“ unter den Sprachgruppen geändert werden, dem wiederum alle zustimmen müssten. Der ethnische Proporz setzt das „Leistungsprinzip“ zwar nicht innerhalb der jeweiligen Sprachgruppe, wohl aber zwischen den Sprachgruppen außer Kraft. Nicht die Qualifikation, sondern die ethnische Zugehörigkeit entscheidet vielfach über Lebens- und Karrierechancen.

Während der ethnische Proporz auf Landesebene bereits mit dem Ersten Autonomiestatut zum Tragen gekommen war, bezog das Zweite Autonomiestatut mit dem „Proporzdekret“ von 1976 den staatlichen und halbstaatlichen Bereich mit ein. Bei Inkrafttreten des Zweiten Autonomiestatuts waren rund 85 Prozent der öffentlichen und halböffentlichen staatlichen Stellen mit Italienern besetzt, heute ist das Verhältnis im Wesentlichen ausgeglichen (Benedikter 1980, 5).

Der ethnische Proporz gilt als positive Diskriminierung (affirmative action), wobei sich seine ursprüngliche „Friedensfunktion“ zum Teil bewährt, aber auch neue Probleme und Konflikte hervorgerufen hat. Die numerisch größte Sprachgruppe profitiert vom ethnischen Proporz in zweifacher Hinsicht: je größer die Sprachgruppe, desto größer die zur Verfügung stehenden Ressourcen und desto größer die beruflichen Aufstiegschancen, zumal die Spitzenpositionen in der Landes- und Staatsverwaltung, in den Körperschaften öffentlichen Rechts usw. nicht „konsularisch“, sondern „monokratisch“ sind. Das hat zur Folge, dass die ItalienerInnen als zweitstärkste Sprachgruppe tendenziell, zumindest auf Landesebene, immer nur die StellvertreterInnen der Deutschen sind. Die ladinische Sprachgruppe ist aufgrund ihrer numerischen Kleinheit von Haus aus stark benachteiligt (Vgl. Dall’Ò 2006).3

Wie sehr sich das ethnische Proporzsystem im Laufe der letzten 40 Jahre geändert hat, lässt sich an seiner praktischen Anwendung ablesen. So war der ethnische Proporz in seiner Anfangsphase an die ethnische Zusammensetzung des Landtages gebunden. Heute ist der ethnische Proporz an die allgemeine Volkszählung und an die Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung gekoppelt. Früher gab es einen starren Proporz, heute wird der sogenannte flexible Proporz angewandt, indem im Sinne eines Kreditsystems Stellen einer Sprachgruppe vorgestreckt und später wieder zurückgegeben werden (Pallaver 2007, 312–316). Wie wir sehen, hat die Einsicht in soziale Notwendigkeiten, hervorgerufen durch gesellschaftliche Änderungen und Transformationsprozesse der letzten Jahrzehnte, die politischen Eliten gezwungen, den ethnischen Proporz in seiner statischen Anwendung zu flexibilisieren. Dies alles verringert, löst aber nicht die soziale Durchlässigkeit des Systems nach oben. Sollen etwa Partizipation und Inklusion nicht nur politisch, sondern auch sozial im Sinne von Lebenschancen gesehen werden, so muss der Proporz auf mehreren Ebenen flexibilisiert und letztlich überwunden werden. Vor allem auf der obersten Führungsebene im Sinne des vertikalen Proporzes müsste die Durchlässigkeit des Systems viel größer sein, müssten deshalb wieder meritorische Kriterien zur Geltung kommen, wenn die anderen Voraussetzungen gegeben sind, in erster Linie die Zweisprachigkeit.4

Der Januskopf des Proporzes pendelt ständig zwischen Befriedung und Konflikt und hat in den vergangenen Jahrzehnten nicht selten für ethnische Auseinandersetzungen gesorgt, während er heute im Wesentlichen auch von den ItalienerInnen akzeptiert wird. Dennoch kann der ethnische Proporz wegen der genannten Gründe nur ein Instrument des Übergangs sein.

4. Die Transformation der Parteien und des Parteiensystems

4.1. Parteien

Parteien sind die zentralen Akteure in der politischen Arena und strukturieren den politischen Markt. Sie üben eine gatekeeper-Funktion aus, da sie die in der Gesellschaft vorhandenen Interessen bündeln (Easton 1965), rekrutieren politisches Personal und legitimieren politische Macht (Della Porta 2001). Sie treten als Mediatoren zwischen den öffentlichen Institutionen und der Zivilgesellschaft auf, zwischen Staat (Regionen, Provinzen, Gemeinden) und BürgerInnen. Für die Demokratie sind sie konstitutiv, kein politisches System funktioniert ohne Parteien.

Parteien haben demnach auch in Südtirols Autonomiefragen eine zentrale Rolle gespielt, wobei das zentrale Merkmal der Südtiroler Parteien deren ethnischer Charakter ist. Längs der ethnischen Konfliktlinie haben sich seit Anbeginn deutsche, italienische und ladinische Parteien konstituiert, relativ spät gab es auch Versuche, interethnische Parteien zu bilden. Neben dem ethnischen cleavage fällt noch eine Besonderheit ins Auge, die sich zwischen 1973 und 2012 ergeben hat. Bei Verabschiedung des Zweiten Autonomiestatuts im Jahre 1972 und anschließend bei den Landtagswahlen von 1973 kandidierten Parteien, die es heute mit Ausnahme der SVP nicht mehr gibt. Entweder haben sich diese Parteien de facto aufgelöst, wie die SPS oder die SFP, oder sie haben Namen und Identität geändert, fusioniert und/oder sich aufgelöst. Das gilt für die DC oder den PCI, die heute beide im Rahmen von Nachfolgeparteien fusioniert haben. Das gilt auch für den MSI, der sich nach seiner Umbenennung in Alleanza Nazionale (1995) mit der neuen Partei Forza Italia zum PdL zusammengeschlossen hat (2009). Die einzige Partei, die 1945 gegründet worden ist, seit 1948 im Südtiroler Landtag vertreten ist und auch heute noch denselben Namen trägt, ist die SVP (Pallaver 2005, 2006a, 2011).

In diesem Kapitel wird der Frage nachgegangen, wie sich die Parteien und das Parteiensystem im Laufe der letzten 40 Jahre im Rahmen des Zweiten Autonomiestatuts geändert haben. Dabei können nur einige wenige, wenn auch wichtige Punkte analysiert werden. Analysiert werden sollen die Transformationsprozesse unter den Gesichtspunkten der Ideologie, des Territoriums, der Ethnizität / Interethnizität, der Identität sowie das Parteiensystem insgesamt.

4.2. Ideologische Dimension

Südtirols Parteien widerspiegeln die ideologischen Positionen der verschiedenen Parteienfamilien auf gesamtstaatlicher und somit auf europäischer Ebene. Auf der Links-rechts-Achse befanden sich 1973 links von der Mitte die Kommunistische Partei, Mitte-links die beiden deutschsprachigen Sozialdemokratischen Parteien (SPS und SFP) sowie die italienischen Sozialisten und Sozialdemokraten. In der Mitte befanden sich die beiden relevantesten Parteien der beiden „großen“ Sprachgruppen, die SVP und die DC. Ganz rechts befand sich der Movimento Sociale Italiano.

Tab. 1 Vergleich der Wahlergebnisse bei den Landtagswahlen 1973–2008 nach ­ideologischen Polen

Links

Mitte-links

Mitte

Mitte-rechts

Rechts

1973

PCI/KPI

SPS, SFP,
PSI, PSDI

SVP, DC

MSI-DN

Prozent

Anzahl Mandate (34)

5,7

2

15,9

6

70,4

25

4,00

1

2008

PD, Grüne/Verdi/Verc

SVP

UfS/BU, STF,
F, LN, PdL

Unitalia

Prozent

Anzahl Mandate (35)

11,8

4

48,1

18

31,9

12

1,9

1

Differenz 1993 – 2008

–5,7

–2

–14,1

–2

–22,3

–7

+31,9

+12

–2,1

–/+ 0

Quelle: Eigene Berechnung auf Grundlage der amtlichen Wahlergebnisse 1973 und 2008.

Abkürzungsverzeichnis: DC: Democrazia Cristiana; MSI-DN: Movimento Sociale Italiano-Destra Nazionale; F: Die Freiheitlichen; PCI/KPI: Partito Comunista Italiano/Kommunistische Partei Italiens; PD: Partito Democratico; PdL: Popolo della Libertà; PSDI: Partito Socialdemocratico Italiano; PSI: Partito Socialista Italiano; SFP: Soziale Fortschrittspartei; SPS: Sozialdemokratische Partei Südtirols; STF: Süd-Tiroler Freiheit; SVP: Südtiroler Volkspartei; UfS: Union für Südtirol (ab 2011 BU-Bürgerunion).

2012 (basierend auf den Landtagswahlen 2008) präsentiert sich uns ein völlig anderes Bild. Die SVP bekennt sich zur politischen Mitte, die Freiheitlichen, die Süd-Tiroler Freiheit, die Union für Südtirol, der Popolo della Libertà (PdL) und die Lega zählen zum Mitte-rechts-Lager, Unitalia kann als rechte Partei eingestuft werden, die Grünen/Verdi/Vërc und der Partito Demokratico/Demokratische Partei (PD) zählen zum Mitte-links-Lager (Vgl. Pallaver 2007b).

Diese Zuordnung stößt bei einigen Parteien auf Probleme. Die SVP definiert sich als Sammelpartei und steht für die Inklusion aller Bürger und Bürgerinnen einer ethnischen Minderheit, die unabhängig von ihrer Ideologie als politisches Primat den Schutz und die Entwicklung der eigenen Ethnie haben. So bekennt sich die Volkspartei zwar zu den christlichen Grundwerten, ist aber auch offen für liberale und sozialdemokratische Kräfte (Südtiroler Volkspartei 1993). Die SVP deckt somit vom eigenen Anspruch her die politische Mitte, den Mitte-rechts- und den Mitte-links-Flügel innerhalb der deutschsprachigen WählerInnenschaft ab.

Die Süd-Tiroler Freiheit präsentiert sich in ihrer Selbstdefinierung als ideologisch offen und ersetzt die Ideologie mit der Selbstbestimmung. Dennoch kann die Süd-Tiroler Freiheit aufgrund ihrer Politik zum Mitte-rechts-Lager gezählt werden, wobei die Grenze zwischen „links“ und „rechts“ im Sinne von Norberto Bobbio längs des Prinzips der Gleichheit markiert wird (Bobbio 1982).

Wenn wir die Ergebnisse der Landtagswahlen von 1973 und 2008 vergleichen, können wir sehen, in welche Richtung sich Südtirols Parteien bewegt haben. 1973 vertraten die Zentrumsparteien (SVP, DC) noch insgesamt 70,4 Prozent der WählerInnen und stellten 25 von 34 Mandaten (73,5 Prozent). 2008 ist der Konsens für die politische Mitte von zwei Parteien auf eine Partei (SVP) zurückgegangen. Den jetzt nur mehr 48,1 Prozent der Volkspartei entsprechen 18 Mandate (51,4 Prozent), was einem Verlust von 22,3 Prozent und von 7 Mandaten entspricht.

1973 befand sich am linken Flügel die Kommunistische Partei, heute deckt keine Partei im Landtag dieses Lager mehr ab. 1973 bevölkerten noch vier Parteien das Mitte-links-Lager (SPS, SFP, PSDI, PSI), 2008 waren es nur mehr zwei (PD, Grüne/Verdi/Verc). 1973 erzielten die vier Parteien ein Gesamtergebnis von 15,9 Prozent und sechs Mandate, 2008 waren es 11,8 Prozent mit insgesamt vier Mandaten. Innerhalb dieser Zeitspanne gab es einen Verlust von 4,1 Prozent und zwei Mandaten.

Ein Mitte-rechts-Lager gab es 1973 nicht, 2008 bestand es aus fünf Parteien (Union für Südtirol ab 2011 Bürgerunion, Süd-Tiroler Freiheit, Lega Nord, Die Freiheitlichen, Popolo della Libertà) und kam auf 31,9 Prozent und 12 Mandate. Der große Wahlsieg der Freiheitlichen von 2008 mit 14,3 Prozent hat ganz wesentlich dazu beigetragen. Der Transformationsprozess des neofaschistischen MSI, 1973 mit 4,0 Prozent und einem Mandat im Landtag vertreten, hin zu Mitte-rechts-Positionen hat dazu geführt, dass das rechte Lager nur noch mit Unitalia als MSI-Abspaltung vertreten ist, 1,9 Prozent bedeutete ein Restmandat.

Diese elektorale Entwicklung zwischen 1973 und 2008 zeigt auf, dass die politische Mitte stark an Konsens verloren hat, das Mitte-links-Lager geschwächt worden und das rechte und das linke Lager so gut wie ausgehöhlt worden ist, dafür aber das Mitte-rechts-Lager stark zugelegt hat. Das bedeutet, dass sich das Wählerverhalten der SüdtirolerInnen innerhalb von 40 Jahren eindeutig nach rechts verschoben hat.

4.3 Ethnische/interethnische und territoriale Dimension

Ethnische Parteien werden vielfach als ethnic entrepreneurs bezeichnet (Türsan 1998), deren primäre Charakteristik im Versuch besteht, ethnisch-territoriale und/oder regional konzentrierte Gruppen zu vertreten, die von sich behaupten, eine spezifische soziale Kategorie mit einer ebenfalls spezifischen und einzigartigen Identität zu sein. In Anlehnung an Tronconi werden hier jene Parteien als ethnisch bezeichnet, die zwei zentrale Charakteristika aufweisen: das Gefühl der Zugehörigkeit und der Solidarität gegenüber einer Gemeinschaft, die durch bestimmte kulturelle Grenzen, in erster Linie durch die Sprache, gekennzeichnet ist und sich als Ethnos versteht. Als zweites Element gilt die territoriale Konzentration auf sub­staat­licher Ebene (Tronconi 2009, 27; vgl. auch Pallaver 2011, 266).

Solche ethnische Parteien dominieren das Südtiroler Parteiensystem, zumal Südtirols Gesellschaft von einer tiefgreifenden ethnischen Bruchlinie gekennzeichnet ist, die alle anderen cleavages überlagert.

Tab. 2 Ethnoregionale Parteien in Südtirol

Regionale Konzentration

Ja

Nein

Ethnizität

Ja

1973

SVP, SPS, SFP

2008/2012

Südtiroler Volkspartei, Freiheitliche,
Süd-Tiroler Freiheit, Union für Südtirol,
Lega Nord, Unitalia

Ethnizität

Nein

1973

1973

DC, PCI, PSI, PSDI, MSI-DN

2008/2012

Grüne/Verdi/Verc

2008/2012

Popolo della Libertà,

Partito Democratico/Demokratische Partei

Quelle: Pallaver 2009, 248, und eigene Ergänzungen.

Wie aus Tab. 2 ersichtlich wird, hat sich die Anzahl der ethnischen Parteien seit 1973 verdoppelt, nämlich von drei auf sechs. Umgekehrt haben sich gesamtstaatlichen Parteien mehr als halbiert, von fünf im Jahre 1973 auf zwei im Jahre 2008. Die Entwicklung lief zwischen regionalen und gesamtstaatlichen Parteien somit genau umgekehrt proportional.

1973 gab es noch keine interethnische Partei, 2008 ist diese Kategorie mit den Grünen/Verdi/Vërc vertreten (Atz 2007). Als solche werden Parteien bezeichnet, die alle Sprachgruppen mit einbeziehen, somit von der Inklusion, nicht von der Exklusion der „anderen“ ausgehen. Ihre interne und externe Kommunikation erfolgt in allen Landessprachen, ihre Organisation ist interethnisch, also nicht nach Sprachgruppen getrennt, ihre WählerInnen kommen aus allen ethnischen Gruppen und ihr Gesellschaftsmodell ist nicht jenes der Separation der ethnischen Gruppen, sondern deren Integration (Pallaver 2010).

Linear mit der ethnischen und interethnischen ist die territoriale Dimension verbunden. In Südtirol agieren zwei Typen von Parteien, gesamtstaatliche sowie regionale Parteien. Regionale Parteien sind das Produkt von Zentrum-Peripherie-Konflikten, die vielfach auf die Entwicklungen der Nationsbildung zurückgehen (Lipset/Rokkan 1967; Rokkan/Urwin 1982).

1973 befanden sich neben fünf gesamtstaatlichen Parteien (DC, PCI, PSI, PSDI, MSI) drei regionale Parteien im Südtiroler Landtag (SVP, SPS, SFP). Die gesamtstaatlichen Parteien mit einem WählerInnenkonsens von 32,9 Prozent waren italienische Parteien, die regionalen Parteien mit 63,3 Prozent vertraten nur die deutschsprachige Bevölkerung. 40 Jahre später sind im Südtiroler Landtag von den insgesamt neun Parteien sieben als regionale Parteien einzustufen. Neben der SVP sind dies die Union für Südtirol, die Süd-Tiroler Freiheit, die Freiheitlichen, Unitalia, die Lega Nord und die Grünen/Verdi/Vërc, die mit den gesamtstaatlichen Grünen nur in einer losen Konföderation stehen. Es fällt auf, dass sich unter diesen sieben vier deutschsprachige Parteien befinden, zwei Parteien, nämlich Unitalia und die Lega Nord, sind italienische Parteien, wobei sich die Lega Nord nicht nur in Südtirol, sondern in ganz Norditalien dem politischen Wettbewerb stellt. Die Grünen/Verdi/Vërc betrachten sich hingegen als interethnische Partei. Im Südtiroler Landtag sind nur noch zwei gesamtstaatliche Parteien übrig geblieben, nämlich der PD und der PdL. Den regionalen Parteien mit 79,4 Prozent (1973: 63,3 Prozent) stehen die gesamtstaatlichen mit 14,3 Prozent gegenüber (1973: 32,9 Prozent).

Ohne auf die näheren Gründe für diesen Territorialisierungsprozess einzugehen (Vgl. Pallaver 2007a; 2011, 263 – 265; Diamanti 2009), kann festgestellt werden, dass sich diesem Prozess auch die gesamtstaatlichen Parteien Südtirols nicht ganz entziehen konnten, sodass die zentralen politischen Akteure heute insgesamt einen wichtigen Beitrag für die Konstruktion der Südtiroler Identität leisten.

4.4 Die Dimension der Identität

Lieven De Winter (1998, 204–247) hat innerhalb der Familie der ethnoregionalen Parteien unterschiedliche Parteitypen ausgemacht, die er aufgrund ihrer politischen Zielsetzung unterscheidet. Es handelt sich dabei um protektionistische, autonomistische, national-föderalistische, irredentistische Unabhängigkeitsparteien.

Bei der entsprechenden Zuordnung der aktuell im Südtiroler Landtag vertretenen ethnoregionalen Parteien lassen sich relativ klare Unterscheidungen vornehmen. Die SVP gilt als klassische Autonomistenpartei. Diese Parteien akzeptieren eine Machtteilung zwischen ihrer Region und dem Zentralstaat unter der Voraussetzung, dass sie anders als andere territoriale Körperschaften innerhalb des Staates behandelt werden. Mit der endgültigen Verwirklichung des Zweiten Autonomiestatuts und der Abgabe der Streitbeilegungserklärung (1992) hat sich die SVP von einer rein autonomistischen zu einer Partei entwickelt, die national-föderalistische Tendenzen aufweist, sich also auf gesamtstaatlicher Ebene für eine Föderalisierung Italiens einsetzt, punktuell auch immer wieder mit indipendistischen Gedanken flirtet (Vgl. Willeit 1991).

Während 1973 mit SVP, SPS und SFP autonomistische Parteien im Landtag vertreten waren, hat sich dieses Bild mit den Wahlen von 2008 stark geändert.

Die Freiheitlichen, die Union für Südtirol und die Süd-Tiroler Freiheit können als Unabhängigkeitsparteien bzw. irredentistische Parteien bezeichnet werden. Die Freiheitlichen betrachten die Autonomie als Ausgangspunkt, um im Einvernehmen mit allen drei Sprachgruppen im Lande einen Freistaat Südtirol zu verwirklichen. Sie fallen somit in die Kategorie der Unabhängigkeitsparteien. Die Union für Südtirol, heute Bürgerunion, setzt sich für die Selbstbestimmung Südtirols und das Recht auf Sezession ein, die Freiheit Südtirols und die Einheit Tirols. Insofern kann sie als sezessionistische Partei angesehen werden, da eine Wiedervereinigung Tirols auch eine Wiedervereinigung mit Österreich nach sich ziehen würde. Die Süd-Tiroler Freiheit strebt grundsätzlich eine Wiedervereinigung mit Österreich an und ist somit als irredentistische Partei zu definieren (Vgl. Pallaver 2011, 271–272).

Unter den italienischen Parteien hat die Lega Nord schon mehrere, allerdings unterschiedliche Positionen eingenommen. In Südtirol hat sich die Lega Nord im Wahlkampf 2008 für die Verwirklichung der Freistaatsstaat-Idee stark gemacht, sodass sie nur auf Südtirol bezogen als Unabhängigkeitspartei einzustufen ist.

Die italienische Partei Unitalia kann hingegen als irredentistische Partei mit umgekehrten Vorzeichen bezeichnet werden. Sie fordert eine Rückkehr Südtirols zu Italien im politischen Sinne (L’Alto Adige all’Italia, l’Italia agli italiani) und fordert den Schutz des Staates für die diskriminierten ItalienerInnen in Südtirol (zu den einzelnen Positionen vgl. Pallaver 2011, 271–272).

4.5. Änderungen des Parteiensystems

Ein Parteiensystem ist das System jener Beziehungen, die aus dem Parteienwettbewerb resultieren. Die Parteien sind die zentralen Akteure in diesem Wettbewerb, der durch die politischen Institutionen strukturiert und vom Verhalten der WählerInnen geprägt wird (Vgl. Sartori 1976, 1982).

Nach Sartori können wir unterschiedliche Mehrparteiensysteme bestimmen. Dabei geht er nicht von der Anzahl der relevanten Parteien aus, um das Parteiensystem zu definieren, sondern von den Polen, den eigentlichen Angelpunkten des Parteiensystems. Wenn deshalb von bipolar gesprochen wird, wird darunter ein Parteiensystem verstanden, das sich auf zwei Pole gründet, die sich auch aus mehreren Parteien zusammensetzen können. In einem solchen Falle hat das Parteiensystem kein Zentrum, basiert also nicht auf einem zentralen Pol. Multipolar bedeutet, dass das Parteiensystem auf mehr als zwei Polen basiert. In diesem Falle hat das Parteiensystem auch ein Zentrum (Sartori 1976).

Ein gemäßigtes Mehrparteiensystem besteht laut Sartori dann, wenn die Anzahl der relevanten Parteien nicht höher als fünf ist und Koalitionen an der Regierung sind. Die Struktur des Systems ist bipolar mit zwei Koalitionen, die untereinander im Wettbewerb stehen und sich in Richtung Zentrum bewegen, um die WechselwählerInnen zu erobern.

Beim polarisierten Pluralismus handelt es sich laut Sartori um ein Parteiensystem mit mehr als fünf Parteien. Dieses Parteiensystem ist durch die Präsenz von Antisystemparteien gekennzeichnet, die das demokratische Wettbewerbssystem ablehnen. Dieses ist durch zwei entgegengesetzte Oppositionspole gekennzeichnet, die sich gegenseitig ausschließen. Das Zentrum ist besetzt und das System ideologisch polarisiert und somit durch eine große ideologische Distanz zwischen den extremen Polen gekennzeichnet. Außerdem herrscht eine zentrifugale Dynamik.

Wenn sich ein politisches System zentrifugal entwickelt, so kann behauptet werden, dass die Polarisierung gegenüber der Depolarisierung überwiegt. Das System ist von einer extremen Politik geprägt. Wenn das System zentripetal ist, ist es hingegen durch eine gemäßigte Politik charakterisiert (ebda).

4.6. Polarisiertes Mehrparteiensystem

Um definieren zu können, ob Südtirols Parteiensystem in die Kategorie eines gemäßigten oder eines polarisierten Mehrparteiensystems fällt, müssen wir die Anzahl der Pole feststellen sowie deren ideologische Distanz. In Abweichung zu Sartori ziehen wir anstatt der ideologischen Distanz die Nähe bzw. die Entfernung der Parteien zur Autonomie als Gradmesser der Polarität heran. Dabei unterscheiden wir zwischen Autonomieparteien, Semi-Autonomieparteien und Anti-Autonomieparteien (Pallaver 2010a).

Unter Autonomieparteien sind Parteien zu verstehen, die im Sinne der Typologisierung De Winters für die Autonomie ihrer Region eintreten. Dazu zählten 1973 alle Parteien außer der MSI, der als Anti-Autonomiepartei eingestuft werden kann, weil die neofaschistische Partei die Autonomie rundweg ablehnte. Ein Blick in den Landtag des Jahres 2012 belegt, dass sich dies seit damals radikal geändert hat. Zu den Autonomieparteien können die SVP gezählt werden, die Demokratische Partei PD sowie die Grünen/Verdi/Vërc. Diese unterscheiden sich von den beiden anderen Parteien dadurch, dass sie das politische System reformieren, die dissoziative durch eine assoziative Konfliktlösung ersetzen wollen. Tendenziell spricht sich auch der PD dafür aus, wenngleich weit verhaltener als die Grünen/Verdi/Vërc. Insgesamt gibt es aber für diese drei Parteien keine Alternative zur Autonomie.

Eine solche Alternative gibt es allerdings sehr wohl für eine Reihe anderer Parteien. Für die Union für Südtirol (Bürgerunion) (mehr), für die Freiheitlichen (weniger) und für die Lega Nord bleibt die Forderung nach Selbstbestimmung bis hin zu einem Freistaat eine konkrete Alternative zur Autonomie. Autonomie bedeutet für diese Parteien Ja, aber. Ja zur Autonomie, auch zum Erfolg der Autonomie, aber nur als Ausgangspunkt für eine sezessionistische Lösung. Sie können deshalb als Semi-Autonomieparteien bezeichnet werden. Das gilt auch für die Union für Südtirol/Bürgerunion nach dem Austritt der Gruppe, die später die Süd-Tiroler Freiheit gegründet hat, wenngleich von einigen ExponentInnen der Partei in letzter Zeit in der Autonomie keine Garantie mehr für das Überleben der Sprachgruppe gesehen wird (Pallaver 2011, 277). Dieselben Argumente gelten für die italienische Partei PdL. Diese akzeptiert zwar die Autonomie, bevorzugt aber als Schutzmachtträger den Staat. Deshalb wird auch immer wieder das Eingreifen des Staates in Südtirol-Angelegenheiten und das Ende des Autonomieausbaus verlangt, das laut Meinung dieser Parteien zulasten der in der Provinz Bozen lebenden ItalienerInnen geht. Im Gegensatz dazu lehnt Unitalia die Autonomie in ihrer aktuellen Ausgestaltung ab, weil sie nach Auffassung der Partei die ItalienerInnen diskriminiert. Der Pdl kann als Semi-Autonomiepartei, Unitalia als Anti-Autonomiepartei eingestuft werden. Als Anti-Autonomiepartei unter den deutschen Parteien befindet sich die Süd-Tiroler Freiheit, da das Überleben der SüdtirolerInnen für diese Partei an die Selbstbestimmung gebunden ist (ebda).

Wenn wir also nicht von der ideologischen Distanz zwischen den einzelnen Parteien, sondern von der Distanz bzw. von der Nähe zur Autonomie ausgehen, so können wir für das Jahr 1973 von einem gemäßigten Mehrparteiensystem sprechen, immerhin summierten die Autonomieparteien 92 Prozent der Stimmen. 40 Jahre später müssen wir von einem polarisierten Mehrparteiensystem sprechen. An den extremen anti-autonomiepolitischen Polen finden wir auf italienischer Seite Unitalia, auf deutscher Seite die Süd-Tiroler Freiheit. Die Union für Südtirol/Bürgerunion und die Freiheitlichen sowie die Lega Nord als auch der PDL können als Semi-Autonomieparteien eingestuft werden, weil es für diese Parteien Alternativen zur Autonomie gibt. Die Autonomie ist lediglich das kleinere Übel.

Die Autonomie- und Autonomiereformparteien gehören dem Mitte-links-Lager, die Anti- und Semi-Autonomieparteien gehören dem Mitte-rechts-Lager an. Das war bei Inkrafttreten des Zweiten Autonomiestatuts so, das ist 40 Jahre später ebenfalls noch so. Alle Blöcke bestehen aus Parteien aller Sprachgruppen. Die Semi- und Anti-Autonomieparteien lehnen die Autonomie gänzlich oder partiell je nach ethnischer Zugehörigkeit aus entgegengesetzten Gründen ab oder orientieren sich an anderen Lösungen.

Die Konstellation Mitte-links/Pro-Autonomie versus Mitte-rechts/Anti- oder Semi-Autonomie entspricht der gesamten Geschichte der Autonomie.

Nach den Landtagswahlen 2008 präsentiert sich folgendes Bild: Als Autonomieparteien gelten neben der SVP die Demokratische Partei und die Grünen/Verdi/Vërc. Das bedeutet, dass die Parteien des Zentrums, unabhängig von ihrer ethnischen Zuordnung, innerhalb von 40 Jahren 32,2 Prozent ihres Stimmenanteils, also ein Drittel, verloren haben. Die deutschsprachigen Autonomieparteien haben 15,2 Prozent eingebüßt, die italienischsprachigen mit 22,9 Prozent noch wesentlich mehr.

Während es 1973 keine Semi-Autonomieparteien gab, hat deren Präsenz 2008 mit 24,9 Prozent stark zugenommen. Bei den deutschsprachigen Parteien (F, UfS/BU) waren es gerade einmal doppelt so viele Stimmen wie beim PdL auf italienischsprachiger Seite. Das, was die Autonomieparteien in den letzten 40 Jahren an Konsens verloren haben, ist zu den Semi-Autonomieparteien abgewandert.

Tab. 3 Zentrifugales Wahlverhalten (Angaben in Prozent der gültigen Stimmen)

Italienische Parteien

Interethnische

Parteien

Deutsche Parteien

Jahr

Anti-Autonomie­parteien

Semi-Autonomie­parteien

Autonomieparteien

Semi-Autonomie­parteien

Anti-Autonomie­parteien

1973

MSI-DN

4,0 %

DC, PCI, PSI, PSDI

28,9 %

Summe

(92,1%)

SVP, SPS, SFP

63,3 %

Autonomieparteien: 92,1 %

Anti-Autonomieparteien: 4,0 %

Semi-Autonomieparteien: –

2008

Unitalia, LN

4,0

PdL

8,3

PD

6,0 %

Grüne

5,8%

Summe

(59,9%)

SVP

48,1%

F, UfS/BU

16,6

STF

4,9

Differenz

+/– 0 %

+ 8,3 %

– 22,9 %

(32,2 %)

– 15,2 %

+ 16,6 %

+ 4,9 %

Autonomieparteien: 59,9 %

Anti-Autonomieparteien: 8,9 %

Semi-Autonomieparteien: 24,9 %

Quelle: Eigene Berechnungen. Diesen liegen die Ergebnisse der Landtagswahlen 1973 und 2008 zugrunde. Allerdings wurden jene Parteien, die kandidiert, aber den Einzug in den Landtag nicht geschafft haben, als für das Parteiensystem nicht relevante Parteien nicht berücksichtigt. Deshalb ergeben die Prozentsätze auch nicht den Wert 100.

Abkürzungen: DC: Democrazia Cristiana; F: Die Freiheitlichen; LN: Lega Nord; MSI-DN: Movimento Sociale Italiano-Destra Nazionale, PCI: Partito Comunista Italiano; PD: Partito Democratico; Pdl: Popolo della Libertà; PSDI: Partito Social­democratico Italiano; PSI: Partito Socialista Italiano, STF: Süd-Tiroler Freiheit; UfS/BU: Union für Südtirol/Bürgerunion.

Alle Semi- bzw. Anti-Autonomieparteien befinden sich rechts der politischen Mitte und reichen bis zur Partei Unitalia. Dabei gibt es eine Polarisierung zwischen den deutsch- und italienischsprachigen Parteien, da die deutschsprachigen Parteien als Ziel die Selbstbestimmung und Loslösung von Italien haben, die italienischen Parteien hingegen eine stärkere bis ausschließliche Präsenz des italienischen Staates einfordern.

Zählen wir die Prozentsätze der Anti- und Semi-Autonomieparteien zusammen und lassen auch die Sprachgruppe der Parteien unberücksichtigt, so kommen wir auf 33,8 Prozent. Ein Drittel der WählerInnnen, die von den Landtagsparteien repräsentiert werden, weisen somit im Verhältnis zur Autonomie eine zentrifugale Tendenz auf. 1973 identifizierten sich über die Parteien 90 Prozent der WählerInnen vorbehaltlos mit der Autonomie, 40 Jahre später ist diese Identifizierung auf 60 Prozent zurückgegangen.

5. Resümee

Ausgangspunkt dieses Beitrages waren drei Thesen. Die erste These ging davon aus, dass sich das dissoziative Konfliktlösungsmodell in Richtung assoziatives Konfliktlösungsmodell bewegt. Wie aus den Ausführungen nachvollzogen werden kann, lässt sich in den letzten Jahren, insbesondere ab der Streitbeilegungserklärung vor der UNO (1992), ein solcher Prozess feststellen. Dieser Übergang, der die ethnische Trennung durchlässiger hat werden lassen, hängt vor allem damit zusammen, dass sich die deutsch- und ladinischsprachige Minderheit rechtlich und politisch abgesichert fühlt. Der europäische Integrationsprozess hat dazu die grundlegenden Rahmenbedingungen geschaffen. Eine wichtige Rolle bei dieser Öffnung der Sprachgruppen haben die politischen, ökonomischen und intellektuellen Eliten gespielt, die abgestuft intensiv diesen Integrationsprozess fördern, sowie die Zivilgesellschaft. Eliten und Zivilgesellschaft wirken unterschiedlich auf diesen „Territorialisierungsprozess“ ein, der das Primat des Ethnos zwar noch lange nicht beseitigt, aber dem Demos eine neue Schubkraft verliehen hat.

Mit der zweiten These sollte belegt werden, dass das politische System Südtirols, das der Konkordanzdemokratie (consociational democracy) entspricht und auf der Grundlogik der maximalen Inklusion aller Sprachgruppen in die Entscheidungsfindungsprozesse aufbaut, Defizite aufweist. Tatsächlich lässt sich nachweisen, dass es Systembrüche gibt. So hat die italienische Sprachgruppe zwar nicht formal, aber in der sozialen Wirklichkeit politische Repräsentativität verloren, da die an der Regierung befindlichen Parteien im Gegensatz zu 1972 nicht mehr die Mehrheit der Zivilgesellschaft vertreten. Aber auch der ethnische Proporz, der im Sinne der affirmative action eingeführt wurde, zugleich auch verhindern sollte, dass soziale Konflikte in nationale transformiert werden, versperrt den Angehörigen der kleineren Sprachgruppen soziale Aufstiegschancen. Andere Instrumente, wie das Vetorecht der einzelnen Sprachgruppen, haben sich als stumpf erwiesen, während die Autonomie der Entscheidungsfindung der einzelnen Sprachgruppen durch das Mehrheitsprinzip auf Regierungsebene wieder durchbrochen werden kann und auch wird. Die zunehmende Exklusion von ItalienerInnen, aber auch von LadinerInnen auf den verschiedenen politischen Ebenen stellt ein Spannungsfeld dar, welches das heute stabile politische System destabilisieren, im Extremfall auch blockieren kann.

Die dritte These bezieht sich auf das Verhältnis der Parteien zur Autonomie und geht davon aus, dass sich die Parteien und das Parteiensystem autonomiepolitisch zentrifugal entwickeln. Auffällig ist, dass von den Parteien, die 1972 das Zweite Autonomiestatut aus der Taufe gehoben haben, nur noch die SVP existiert, während alle anderen entweder untergegangen sind, den Parteinamen gewechselt oder fusioniert haben. Was die ideologische Dimension betrifft, so haben die Zentrumsparteien starke Verluste hinnehmen müssen, während seit 1972 vor allem die Mitte-rechts-Parteien ihren WählerInnenkonsens vergrößern konnten. Südtirol hat sich in diesen letzten 40 Jahren politisch eindeutig nach rechts verschoben.

Dies kommt auch in der politischen Haltung zur Autonomie zum Ausdruck. Während sich die Parteien bei den Landtagswahlen 1973 sprachgruppenübergreifend zu 90 Prozent mit der Autonomie identifiziert haben, liegt dieser Anteil heute nur noch bei rund 60 Prozent. Anti-, in erster Linie aber vor allem Semi-Autonomieparteien befinden sich seit den Landtagswahlen von 2008 im Aufwind. Das Parteiensystem entwickelt sich (immer mit Bezug auf die Autonomie) zentrifugal.

Einen einheitlichen, ausschließlich negativen Trend lässt sich in der politischen Entwicklung Südtirols aber dennoch nicht feststellen. So entspricht etwa die Aufweichung der Logik ethnischer Trennung nicht automatisch einer zunehmenden Identifizierung mit der Autonomie. Im Gegenteil, eine solche nimmt ab.

Die aufgezeigten Defizite weisen jedenfalls recht deutlich auf eine Reihe von negativen Tendenzen hin, die es rechtzeitig zu korrigieren gilt.

Anmerkungen

1 Eine institutionelle Besonderheit aus der Zeit des Ersten Autonomiestatuts hat sich mit Inkrafttreten des Zweiten Autonomiestatuts von 1972 nicht mehr wiederholt. Denn vom März 1969 bis zum Mai 1970 waren die italienischen Landesräte nur aufgrund des ethnischen Vertretungsrechts in der Landesregierung, nicht aufgrund eines politischen Koalitionsprogramms. Die den italienischen Landesräten zugewiesenen Kompetenzen wurden in dieser Phase vom Landeshauptmann und verschiedenen deutschsprachigen Landesräten wahrgenommen, diese aber für die italienischen Landesräte bereit gehalten. Die einjährige politische Krise führte dazu, dass Landeshauptmann Silvius Magnago in der Legislaturperiode 1968–1973 zwei Regierungen bilden musste (Vgl. Regionalrat Trentino-Südtirol 2011, 367–371)

2 Wegen mangelnder Daten lässt sich nicht genau feststellen, wie viele deutschsprachige WählerInnen beispielsweise die Grünen/Verdi/Vërc oder die Lega Nord gewählt haben.

3 Der ethnische Proporz kann Verteilungskonflikte rechtlich kanalisieren, aber er kann auch neue Konflikte hervorrufen, wenn etwa Personen nur wegen ihrer Sprachgruppe von Ressourcen ausgeschlossen werden. Ist einmal die Symmetrie unter den Sprachgruppen gefunden worden, sollte der ethnische Proporz grundsätzlich dem Kriterium des Meritums weichen. Nach einer gewissen Zeit, z. B. nach fünf oder zehn Jahren, könnte man eine Proporz-Verifizierung durchführen. Ist es in dieser Zeit zu Asymmetrien gekommen, könnte das alte Regelwerk transitorisch wieder angewandt werden, um einen neuen Ausgleich herbeizuführen.

4 Eng mit der Durchlässigkeit nach oben ist der sogenannte „freiwillige Proporz“ verbunden, wie er etwa in der Schweiz zur Anwendung kommt. Dieses Modell sollte in Südtirol noch viel konsequenter angewandt werden, in erster Linie bei der Besetzung der Organe der örtlichen öffentlichen Körperschaften. So sieht etwa das Autonomiestatut vor, dass die Landesregierung in der Stärke der im Landtag vertretenen Sprachgruppen zusammengesetzt sein muss (Art. 50,2). Die Betonung liegt beim Wort „muss“. Das bedeutet, dass die verhältnismäßige Vertretung der Sprachgruppen nicht unterschritten werden darf. Niemand verbietet aber der Mehrheit – aus welchen Gründen auch immer – einen zusätzlichen Exponenten oder eine zusätzliche Exponentin einer Sprachgruppe in die Landesregierung zu kooptieren, weil niemand verbieten kann, den Proporz nach oben hin freiwillig zu ändern, also die politische Vertretung einer Sprachgruppe zu vergrößern, um Asymmetrien auszugleichen und um das Prinzip der maximalen Einbindung aller Sprachgruppen zu garantieren. Der Rückgang der italienischen Bevölkerung in den Gemeinden der Südtiroler Peripherie hat dazu geführt, dass in vielen Gemeinderäten und Gemeindeausschüssen keine Vertretung der italienischen Sprachgruppe mehr vorhanden ist. Gerade auf dieser Ebene müsste der freiwillige Proporz zur Anwendung kommen, um der italienischen Sprachgruppe, die es aus eigener Kraft nicht mehr schafft, in den zentralen Entscheidungsgremien vertreten zu sein, eine solche Präsenz zu ermöglichen. Eine Präsenz, die nicht durch den Verzicht einer Sprachgruppe herbeigeführt wird, sondern durch die personelle Aufstockung der jeweiligen Gremien (Vgl. Pallaver 2007).

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Abstracts

Processi di trasformazione
dell
’Autonomia altoatesina 1972 - 2012

Il sistema politico altoatesino tra il 1972 ed il 2012 si è trasformato in maniera durevole. Il modello dissociativo di risoluzione dei conflitti viene sempre più spesso messo in discussione da settori della società civile. Il modello della “consociational democracy” che prevede la separazione dei gruppi linguistici alla base e la cooperazione delle elite al vertice, ha subito dei danni. Il principio della massima inclusione di tutti i gruppi linguistici a livello di esecutivo non può più essere garantito. Inoltre il principio del consenso a livello degli esecutivi viene ripetutamente infranto de facto attraverso decisioni prese a maggioranza. La proporzionale etnica viene sempre più criticata perché contraria al principio del merito e nella sua applicazione verticale va a detrimento del gruppo linguistico italiano. Il diritto di veto dei gruppi linguistici era sin dall’inizio uno strumento non utilizzabile. A ciò si aggiunge il fatto che anche i partiti ed il sistema dei partiti si sono trasformati in maniera profonda. Dei partiti che nel 1972 hanno preso parte al battesimo del secondo Statuto d’Autonomia, solo uno è sopravvissuto sino ad ora, la cui identificazione con l’autonomia negli ultimi 40 anni è notevolmente diminuita.

Prozesc de trasformaziun dl’autonomia
de Südtirol 1972–2012

Danter le 1972 y le 2012 s’à le sistem politich de Südtirol mudé te na manira che à albü süa faziun tl tëmp. Le model dissoziatif por la soluziun di conflić vëgn tres plü gonot metü en dübe da n valgönes perts dla sozieté zivila. Le model dla consociational democracy, che vëiga danfora la despartiziun di grups linguistics sciöche basa y la cooperaziun dles elites söinsom, à albü rotöres. Le prinzip dl’intlujiun mascimala de düć i grups linguistics tl esecutif ne po nia plü gnì garantida. Implü vëgn le prinzip dl consens tl esecutif de fat tres indô trat sotissura da dezijiuns tutes a maioranza. Le proporz etnich vëgn tres plü critiché, deache al va cuntra le prinzip dla prestaziun y penalisëia tl’aplicaziun verticala le grup linguistich talian. Le dërt de veto di grups linguistics é daimpröma insö stè n stromënt da ne podëi nia adorè. Laprò s’à inće i partis y le sistem di partis mudé cotan. Di partis che à tignì a bato le Secundo Statut d’Autonomia dl 1972, n’él ma stè un su che à suravit. Inće süa identificaziun cun l’autonomia é dassënn jüda zoruch di ultims 40 agn.

A Transformation of Autonomy in South Tyrol from 1972 to 2012

The political system in South Tyrol has undergone enduring change between 1972 and 2012. Segments of civil society have increasingly called the dissociative conflict-resolution model into question. The model of consociational democracy, which provides for the separation of linguistic groups at the base and the cooperation of elites at the top, suffered fractures. The principle of maximum inclusion of all language groups at the executive level cannot be guaranteed. In addition, de facto majority decisions have again and again undermined the consensus principle at the executive level. Proportional representation for ethnic groups is increasingly being criticised because it contradicts the achievement principle and discriminates against the Italian-speaking population in the vertical application. The veto power of the language groups was a useless instrument from the outset. In addition, the parties and the party system have undergone profound change. Only one of the parties that launched the Second Autonomy Statute in 1972 has survived to the present day, and that party’s identification with autonomy has decreased significantly over the last forty years.