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Theresia Morandell

Stadt und Land im Verfassungsrecht

Eine Bestandsaufnahme

The Urban and the Rural in Constitutional Law

A Stocktaking Exercise

Abstract More than half of the world’s population live in urban areas and it is projected that by 2050, urban dwellers will account for two thirds of the total global population. Urbani­zation goes hand in hand with the depopulation of rural areas leading to new governance challenges for local governments in urban as well as rural contexts that call for adequate ­reflection in constitutional law. Building on a comparative study of 161 constitutional charters covering most world regions, this chapter explores the extent to which constitutions adapted to the current wave of urbanization. It reveals that first steps have been undertaken to ­differentiate between urban and rural local governance contexts, as well as to enhance ­balanced territorial development, the equitable distribution of financial resources, and local cooperation initiatives.

1. Die Urbanisierung als globales Phänomen mit Auswirkungen auf die Lokalverwaltung

Das 21. Jahrhundert ist das „Jahrhundert der Stadt“ (Peirce et al. 2009). Lag der Anteil der städtischen Bevölkerung im Jahr 1950 noch bei 30 Prozent, so lebt heute bereits mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten (55 Prozent) und laut Prognosen der Vereinten Nationen soll dieser Anteil bis ins Jahr 2050 auf zwei Drittel (68 Prozent) steigen (Vereinte Nationen 2019, 1 – 12). Gründe für zunehmende Urbanisierungstendenzen liegen in der Einverleibung ehemals ländlicher Gebiete durch sich räumlich ausbreitende Städte, aber auch in Migrationsbewegungen – sowohl internationale Migration als auch Binnenmigration von ländlichen in städtische Gebiete – sowie in generell höheren Geburten- als Sterberaten in städtischen Gebieten. Mit dem städtischen Wachstum geht damit auch ein kontinuierlicher Rückgang des Bevölkerungsanteils in ländlichen Gebieten einher (Vereinte Nationen 2019, 1 – 12).

Die Urbanisierung stellt einen der bedeutendsten demographischen Prozesse der Gegenwart dar (vgl. Vereinte Nationen 2019) und wirkt sich mitunter auch greifbar auf die Verwaltung von Städten und von ländlichen Gemeinden aus1 (Denters/Rose 2005, 1 – 11; Gibbins 2001, 167 – 68; Palermo/Kössler 2017, 282). Dieser Beitrag beleuchtet die mit dem städtischen Wachstum und der Entvölkerung ländlicher Gebiete einhergehenden Veränderungen im Verwaltungskontext von Gemeinden und geht dabei insbesondere der Frage nach, inwiefern sich das Phänomen der Urbanisierung auf Verfassungsebene widerspiegelt.

1.1 Herausforderungen für die Lokalverwaltung im Rahmen der ­Urbanisierung

Städte, vor allem Großstädte mit mehreren Millionen Einwohner/-innen, gelten auf dem nationalen wie auch auf dem internationalen Parkett als Brennpunkte der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Tätigkeit (Sassen 2013, 3 – 4). Die steigende Zahl von Bürger/-innen, die es in Großstädten zu versorgen gilt, stellt städtische Verwaltungen jedoch vor zahlreihe Herausforderungen. Dies gilt in Hinblick auf die Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen und von leistbarem Wohnraum, in Bezug auf den Umweltschutz und die reibungslose Funktion der städtischen Infrastruktur, sowie in Verbindung mit der Bekämpfung von sozialer Ungleichheit und städtischer Segregation (Eurostat 2016, 34; Risse et al. 2008, 14; Steytler 2005, 5). Städte wachsen zudem zunehmend physisch über ihre ursprünglichen Verwaltungsgrenzen hinaus und stellen gemeinsam mit ihren umliegenden Gemeinden funktionell eng verflochtene Ballungsräume dar. Da die rechtliche Anpassung territorialer Verwaltungsgrenzen dem städtischen Wachstum in Metropolregionen zumeist hinterherhinkt, weisen Ballungsräume häufig einen hohen Grad der institutionellen Fragmentierung auf (Kaufmann/Sager 2019, 67; Stren/Cameron 2005, 276), erstrecken sich also über das Zuständigkeitsgebiet mehrerer Lokalverwaltungen und setzen damit zwischengemeindliche Zusammenarbeit zur Ausarbeitung gesamtheitlicher Entwicklungspolitiken für die Metropolregion voraus.

Vor dem Hintergrund dieser städtischen Entwicklungschancen und -herausforderungen häufen sich die Forderungen städtischer Verwaltungen nach territorialer Reform sowie nach einer Stärkung der Verwaltungskompetenzen und Ressourcen für städtische Gemeinden (Clark/Moonen 2017, 30 – 32 und 231 – 33; Palermo/Kössler 2017, 294 – 95; Steytler 2009, 393 – 94). In einigen Kontexten wurden diese Forderungen nach einer Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen an die neue städtische Realität bereits in die Praxis umgesetzt, etwa durch die Einrichtung von Stadtstaaten und -regionen (z. B. Brüssel, Madrid, Wien, Moskau, St. Petersburg, Canberra, Berlin, Bremen und Hamburg), Stadtprovinzen (z. B. München und Frankfurt), ebenso wie durch die Schaffung von gemeindeübergreifenden, assoziativen Verwaltungsstrukturen intermediärer Ebene (z. B. die französischen métropoles und die italienischen città metropolitane) (Gibbins 2001, 164; Vandelli 2015, 343 – 44).

Abb. 1: Entwicklungstrends im Anteil der städtischen und ländlichen Bevölkerung weltweit

Quelle: Vereinte Nationen 2019, 26; eigene Auswertung

Mit 45 Prozent lebt auch im Jahrhundert der Stadt nach wie vor ein bedeutender Anteil der Weltbevölkerung in Kleinstädten von bis zu 50.000 Einwohner/-innen und in ländlichen Räumen (Vereinte Nationen 2019, 1 – 12). Die beiden demografischen Trends der Urbanisierung und der Bevölkerungsalterung zusammengenommen führen dazu, dass ländliche Gebiete in der Regel einen höheren Anteil älterer Menschen (über 65 Jahre) und ein geringeres Arbeitskräftepotenzial aufweisen als städtische Ballungsgebiete. Ländliche Gebiete sind damit generell durch eine schwächere Wirtschaftsleistung charakterisiert, ebenso wie durch größere Schwierigkeiten im Vergleich zu Städten, öffentliche Dienstleistungen für ihre Einwohner/-innen zu finanzieren. Sie sind daher zu einem stärkeren Ausmaß auf intergouvernementale Finanztransfers angewiesen (Fernández de Losada et al. 2017, 227; OECD 2006, 1). Dabei unterscheiden sich Kleinstädte und ländliche Gebiete jedoch häufig in Bezug auf ihre geografische Lage. Isolierte, abgelegene Territorien stehen ländlichen Siedlungen in unmittelbarer Umgebung von städtischen Ballungsräumen gegenüber. Letztere können durch ihre gute Anbindung an die städtischen Zentren von vielseitigeren Entwicklungsmöglichkeiten und einer höheren Wettbewerbsfähigkeit profitieren (Fernández de Losada et al. 2017, 285 – 86). Durch ihre guten Pendleranbindungen sind sie insbesondere in industrialisierten Staaten zunehmend Destination von Abwanderung aus den Stadtkernen (so-genannte „Rurbanisierung“) (Graziano 2021; OECD 2006, 46).

Die Prioritäten und Anliegen von Kleinstädten und ländlichen Gemeinden unterscheiden sich damit von jenen größerer städtischer Siedlungen und erfordern eigene Verwaltungs- und Entwicklungsansätze (Fernández de Losada et al. 2017, 227). Im Jahrhundert der Stadt, in dem sich die wirtschaftliche und politische Aufmerksamkeit zunehmend auf städtische Ballungsräume richtet, besteht das Potenzial für politische Unzufriedenheit unter den Bewohner/-innen ländlicher Gebiete. Um territorialen Konflikten vorzubeugen, gewinnen ortssensible Verwaltungsansätze und die Einbeziehung ländlicher Interessen in den Entscheidungsfindungsprozess zunehmend an Bedeutung (OECD 2019, 13; Rodríguez-Pose 2018).

Territoriale Reformen stellen auch im ländlichen Kontext ein beliebtes Instrument dar, um die rechtlichen Rahmenbedingungen an die veränderten Verwaltungsanforderungen im Rahmen der Urbanisierung anzupassen und die Erbringung hochwertiger öffentlicher Dienstleistungen trotz Tendenzen zur Entvölkerung des ländlichen Raums weiterhin sicherzustellen. Hier geht es vor allem um Gemeindefusionen und um Mechanismen der (mehr oder weniger institutionalisierten) zwischengemeindlichen Zusammenarbeit sowie um die Einrichtung von Kooperationsgebieten, Gemeindeverbänden oder Dachverbänden. Ziel ist es, Doppelarbeit zu vermeiden und die Ressourcenbelastung kleinerer und ländlicher Gemeinden zu reduzieren (OECD 2006, 6; Palermo/Kössler 2017, 309 – 14).

1.2 Urbanisierung und Gemeinden im Verfassungsrecht

Zusammenfassend lassen sich damit bereits unterschiedlichste Initiativen zur Anpassung rechtlicher Rahmenbedingungen an die sich verändernden Verwaltungsanforderungen an Gemeinden in sowohl städtischen als auch ländlichen Kontexten verzeichnen. Erkenntnisse zu solchen Anpassungsmaßnahmen liegen in der Fach­literatur bisher primär aufgrund von vergleichenden Studien und Fallbeispielen im Bereich des allgemeinen Rechts und den Sozialwissenschaften vor. Wenig Aufmerksamkeit wurde der Frage der Urbanisierung bisher im Bereich des Verfassungsrechts gewidmet (Hirschl 2020a, 9 – 10). Dabei wird der verfassungsrechtlichen Verankerung von Bestimmungen zur Lokalverwaltung generell ein hoher Stellenwert bei­gemessen, denn sie sichert die Existenz, Befugnisse und Ressourcen von Gemeinden innerhalb des politischen Systems eines Landes und schützt diese vor Eingriffen höherer Regierungsebenen in lokale Kompetenzbereiche (Bartole 2012, 616; Kapur 2008, 104 – 05; Steytler 2009, 410).2 Durch die Verankerungen von Bestimmungen zur Lokalverwaltung auf Verfassungsebene wird damit ein gesicherter Rechts­rahmen geschaffen, innerhalb dessen Gemeinden ihre Tätigkeiten ausüben können (Hirschl 2020b, 23; Kapur 2008, 104 – 05). So liegt zwar ein zunehmend breiter Wissenstand zum Status von Gemeinden im Verfassungsrecht vor. Bestimmungen zum Recht auf lokale Selbstverwaltung haben über die vergangene Jahrzehnte hinweg zunehmend Eingang in Verfassungstexte weltweit gefunden und regeln, in unterschiedlichem Maße, den institutionellen Aufbau von Lokalverwaltungen, deren Kompetenzen und Einnahmequellen, intergouvernementale Kooperationsmechanismen, sowie Kontrollmechanismen für höhere Regierungsebenen zur Überwachung der Gemeindetätigkeit (Palermo/Kössler 2017, 285 – 315).

In der Fachliteratur wurde bisher jedoch kaum der Frage nachgegangen, inwieweit Verfassungen eine differenzierte Perspektive auf Gemeinden auf Grundlage unterschiedlicher (städtischer bzw. ländlicher) territorialer Realitäten zulassen. Während vereinzelt Fallstudien (vgl. Massaro/Milczarek-Desai 2018; Richardson 2011) und eine breiter angelegte verfassungsvergleichende Studie (Hirschl 2020a; 2020b) zur (tendenziell schwachen) Stellung von Großstädten im Verfassungsrecht vorliegen, gibt es kaum Erkenntnisse zum Verfassungsstatus kleinerer Städte, ländlicher Gemeinden oder zu territorialen Differenzierungsansätzen zwischen unterschied­lichen Verwaltungskontexten entlang der Stadt-Land-Dimension. Hier knüpft der vorliegende Beitrag in den verbleibenden Abschnitten an und untersucht, inwieweit sich die Urbanisierung als globales Phänomen mit Auswirkungen auf die Verwaltung sowohl städtischer als auch ländlicher Gemeinden auf Verfassungsebene widerspiegelt.

2. Verfassungsbestimmungen zu Stadt, Land und Urbanisierungsfragen im internationalen Vergleich

Grundlage für die nachfolgenden Ausführungen bildet eine Inhaltsanalyse von 161 Verfassungstexten (big-c constitutions) weltweit. Die Verfassungsbestimmungen wurden im Rahmen eines induktiven Kodierungsprozesses daraufhin analysiert, ob und wie sie zwischen städtischen und ländlichen Kontexten differenzieren und welche Ansätze sie darüber hinaus im breiteren Sinne als Antwort auf die mit der Urbanisierung einhergehenden Herausforderungen für die Lokalverwaltung bereitstellen.3

Tabelle 1: Geografische Verteilung der analysierten Verfassungen

Kontinent

Frequenz

Prozent

Afrika

47

29,2

Europa

45

28,0

Asien und Naher Osten

36

22,4

Lateinamerika

27

16,8

Ozeanien

6

3,7

Nordamerika

0

0

Total

161

100,0

Quelle: Eigene Ausarbeitung

2.1 Ansätze zur Differenzierung zwischen städtischen und
ländlichen Kontexten

Ins Auge stechen zunächst Verfassungsbestimmungen, die explizit zwischen städtischen und ländlichen Kontexten unterscheiden. Unterschiedlichste Verfassungen bieten hier eine Reihe an Differenzierungsmöglichkeiten, die im Folgenden vorgestellt und anhand einiger Beispiele verdeutlicht werden.

1. Eine Unterteilung lokaler Verwaltungssysteme in städtische und ländliche Typen der Lokalverwaltung, mit zum Teil differenzierten Organisationsformen und Kompetenzen (n = 33; 20,50 Prozent der analysierten Verfassungstexte).

Wohl aufschlussreichstes Beispiel zur Veranschaulichung dieses Differenzierungsansatzes, der sich primär in asiatischen, nahöstlichen, afrikanischen und osteuro­päischen Verfassungstexten findet, bietet Indien. So unterscheidet die indische Verfassung nicht nur grundlegend zwischen städtische Gemeinden und Panchayats in ländlichen Gebieten, sondern differenziert darüber hinaus zwischen kleineren und größeren städtischen Gemeinden, Industriestädten sowie einer Übergangsform der Lokalverwaltung vom ländlichen zum städtischen Raum (Artikel 243Q.1). Die Kriterien für eine solche Einstufung von Gemeinden durch den Gouverneur umfassen „[d]ie Bevölkerung des Gebiets, die Bevölkerungsdichte, die für die örtliche Verwaltung erzielten Einnahmen, den Prozentsatz der Beschäftigung in nichtlandwirtschaftlichen Tätigkeiten, die wirtschaftliche Bedeutung oder andere Faktoren, die er [der Gouverneur] für angemessen hält“ (Artikel 243Q.2).

Verfassungsbestimmungen belassen es häufig bei der reinen Feststellung, dass verschiedene Typen der Lokalverwaltung in städtischen bzw. ländlichen Kontexten existieren. Eine Festlegung etwaiger Unterschiede zwischen den beiden Verwaltungstypen in Bezug auf ihre institutionellen Strukturen, ihre Zuständigkeiten, finanziellen Befugnisse usw. wird jedoch der allgemeinen Gesetzgebung überlassen (z. B. mongolische Verfassung, Artikel 57.2). Auch in dieser Hinsicht sticht die indische Verfassung als Ausnahme hervor, indem sie substantielle Unterschiede im institutionellen Aufbau, der finanziellen Autonomie, der Wahlaufsicht und den Verwaltungskompetenzen von ländlichen Panchayats und städtischen Gemeinden vorgibt (Artikel 243 – 243.ZG). Weitere Hinweise auf Asymmetrien zwischen städtischen und ländlichen Typen der Lokalverwaltungen finden sich außerdem in den Verfassungen Afghanistans, Nepals, Serbiens und Zimbabwes.

2. Die Möglichkeit, im Bedarfsfall besondere Typen der Lokalverwaltung oder Sonder­regelungen für die Lokalverwaltung auf Grundlage der territorialen und politischen Gegebenheiten zu schaffen (n = 21; 13,04 Prozent).

In Verfassungssystemen, die nicht a priori zwischen städtischen und ländlichen Typen der Lokalverwaltung unterscheiden (siehe Punkt 1), kann dieser Ansatz als Instrument angesehen werden, um die Gemeindetätigkeit auf unterschiedliche lokale Gegebenheiten und deren spezifische Herausforderungen anzupassen. So beziehen sich die identifizierten Verfassungsbestimmungen etwa auf die Einrichtung von Lokal­verwaltungen mit besonderem Status in städtischen Gebieten (z. B. slowenische Verfassung, Artikel 141) oder in Territorien mit besonderen geografischen und politischen Eigenschaften. Letztere umfassen Inseln (z. B. Verfassung von Guinea-­Bissau, Artikel 107.3), Bergregionen (z. B. indische Verfassung, Artikel 243M.2.b), Grenzgebiete (z. B. peruanische Verfassung, Artikel 198), indigene Territorien (bolivianische Verfassung, Artikel 269) oder Regenwaldgebiete (ecuadorianische Verfassung, Artikel 242 und 250). Dieser Ansatz zur Einrichtung von besonderen Arten der Lokalverwaltungen oder von Sonderregelungen findet sich primär in europäischen, lateinamerikanischen, ebenso wie asiatischen und nahöstlichen Verfassungen.

3. Lösungen zur Verwaltung großer städtischer Siedlungen in Ballungsräumen, die sich über die Verwaltungsgrenzen mehrerer Gemeinden erstrecken (n = 28; 17,39 Prozent).

Diese Lösungen umfassen einerseits die Möglichkeit, gemeindeübergreifende Großstadtdistrikte in Ballungsräumen einzurichten, die über eigene Verwaltungsorgane und in einigen Fällen über Steuerkompetenzen verfügen (z. B. belgische Verfassung, Artikel 170 und venezolanische Verfassung, Artikel 171). In zwei Fällen können gemeindeübergreifende Distrikte auch außerhalb von Ballungsräumen – folgend in ländlichen Kontexten – eingerichtet werden (belgische Verfassung, Artikel 165 und simbabwische Verfassung, Artikel 275). Dieser Ansatz erlaubt es, Schwierigkeiten bei der Politikkoordinierung zwischen Stadtkernen und funktionell eng verflochtenen Außenbezirken zu begegnen, ebenso wie die gemeinsame Erbringung öffentlicher Dienstleistungen in entvölkerten ländlichen Kontexten zu erleichtern (zur Problematik siehe Abschnitt 1.1).

Eine verbundene Lösung, um der institutionellen Fragmentierung in Ballungsräumen entgegenzuwirken, beinhaltet andererseits die Anerkennung von Großstädten als intermediäre Regierungseinheit (z. B. italienische Verfassung, Artikel 114) oder, häufiger, als subnationale Regierungseinheit auf regionaler Ebene (z. B. russische Verfassung, Artikel 65.1). Die Anerkennung einer Großstadt als subnationale Regierungseinheit geht, im Vergleich zum Status der Gemeinde auf lokaler Regierungsebene, mit größerer Autonomie sowie umfassenderen Befugnissen und Ressourcen einher und trifft insbesondere auf nationale Hauptstädte zu (z. B. Zagreb, Artikel 129 der kroatischen Verfassung). Beide Ansätze wurden primär in asiatischen und nahöstlichen, europäischen und lateinamerikanischen Verfassungen identifiziert.

4. Differenzierung von Verfassungsbestimmungen zur Zusammensetzung von Gemeinderäten auf Grundlage der Größe (Bevölkerungsanzahl) einer Gemeinde (n = 11; 6,83 Prozent).

Innerhalb dieses Ansatzes, welcher variierenden Verwaltungsanforderungen aufgrund der Anzahl der in einer Gemeinde zu versorgenden Bürger/-innen Rechnung trägt, stechen primär lateinamerikanische Verfassungen hervor. So richtet beispielsweise die brasilianische Verfassung ein umfassendes Stufensystem mit 24 Katego­rien ein, das sowohl die absolute Anzahl von Gemeinderät/-innen als auch deren finanzielle Entschädigung auf Grundlage der Bevölkerungszahl (von 15.000 bis zu 8 Millionen Einwohner/-innen) ihrer Gemeinde vorschreibt (Artikel 29.4, Buch­staben a. – x.).

5. Die Verankerung auf Gemeindeebene von Kompetenzen, die explizit auf städtische bzw. ländliche Kontexte Bezug nehmen (n = 27; 16,77 Prozent).

Verfassungskataloge lokaler Verwaltungskompetenzen wurden daraufhin untersucht, ob sie Zuständigkeiten beinhalten, die eine wirksame Verwaltung städtischer bzw. ländlicher Kontexte erleichtern. So stellen die Bereiche des städtischen Transportwesens und Verkehrs, der städtischen Gesundheit, der Stadtplanung und der Umweltverschmutzung wiederkehrende Beispiele von auf lokaler Regierungsebene angesiedelten Kompetenzen dar, die sich explizit auf städtische Herausforderungen beziehen. Zuständigkeiten für die Land- und Forstwirtschaft, für ländliche Straßen, die ländliche Entwicklung sowie für den Schutz natürlicher Ressourcen und von Natur­schutzgebieten können hingegen als Beispiele für lokale Kompetenzen angeführt werden, die sich auf ländliche Kontexte beziehen. Am häufigsten finden sich die genannten Zuständigkeiten in lateinamerikanischen Verfassungen, gefolgt von asiatischen und nahöstlichen Verfassungstexten. Die indische Verfassung sticht wie bereits erwähnt als Ausnahmefall hervor, indem sie separate Kompetenzkataloge für ländliche Panchayats und städtische Gemeinden festlegt. Kompetenzen ländlicher Panchayats beziehen sich u.a. auf die Landwirtschaft, die Viehzucht und die Kleinindustrie (Artikel 243G, 11. Zusatzartikel), während städtische Kompetenzkataloge Befugnisse zur Stadtplanung, zur Verbesserung der Slums oder zur Bekämpfung der städtischen Armut verankern (Artikel 243W, 12. Zusatzartikel).

6. Bestimmungen, die zu einem Ausgleich zwischen städtischen und ländlichen ­Interessen verpflichten (n = 12; 7,45 Prozent).

Dieser Interessensausgleich erfolgt in mehreren Fällen über die Einrichtung von gemeindeübergreifenden Gremien, in denen Vertreter/-innen städtischer und ländlicher Lokalverwaltungen zusammenkommen, um die gemeinsame Nutzung von Ressourcen sowie Planungs- und Entwicklungstätigkeiten zu koordinieren (z. B. Bezirks­planungskomitees im Falle der indischen Verfassung, Artikel 243X, oder Kooperationsgremien zwischen den oben genannten belgischen Metropoldistrikten und umliegenden Gemeindezusammenschlüssen, Artikel 165.2 – 3 der belgischen Verfassung). Weitere Ansätze des Interessensausgleichs finden sich in Form von speziellen Repräsentationsmechanismen ländlicher bzw. indigener Bevölkerungsgruppen in Gemeinderäten. So sehen die Verfassungen von Ägypten (Artikel 180) und Pakistan (Artikel 32) beispielsweise reservierte Sitze für Landwirt/-innen in Gemeinderäten vor, während die Verfassungen Afghanistans (Artikel 140) und Boliviens (Artikel 284.II) Beteiligungsmechanismen in Gemeinderäten für Nomad/-innen und die indigene Landbevölkerung verankern. Betreffende Verfassungsbestimmungen können damit als Mittel zur Verhinderung von territorialen Konflikten zwischen städtischen und ländlichen Gebieten interpretiert werden (zur Problematik siehe Abschnitt 1.1). Sie finden sich sowohl in asiatischen und nahöstlichen, als auch in afrikanischen, europäischen und lateinamerikanischen Verfassungstexten.

2.2 Breiter gefasste Antworten auf Urbanisierungsfragen

Eine zweite Gruppe von Verfassungsbestimmungen differenziert zwar nicht explizit zwischen städtischen und ländlichen Kontexten, stellt sich jedoch als interessant in Bezug auf eine Vielzahl der Herausforderungen heraus, die eingangs in Verbindung mit dem Phänomen der Urbanisierung erwähnt wurden. So wurde oben auf wachsende wirtschaftliche Ungleichheiten zwischen großen Metropolen, kleineren Städten und ländlichen Gebieten hingewiesen und tatsächlich lassen sich auf Verfassungsebene mehrere Mechanismen identifizierten, die darauf abzielen, einer solchen ungleichen Entwicklung von Gebieten entgegenzuwirken.

1. Die Verpflichtung zur ausgewogenen und nachhaltigen Entwicklung aller Territorien als Mittel zur Bekämpfung sozioökonomischer Ungleichheiten und ungleicher Entwicklungstrends (n = 25; 15,53 Prozent der analysierten Verfassungstexte).

Eine solche Verpflichtung findet sich am häufigsten in afrikanischen und jüngeren, seit 2001 verabschiedeten Verfassungen. Sie ist außerdem mehrfach mit dem Grundsatz der Solidarität (n = 18; 11,18 Prozent) und der Zusammenarbeit über mehrere Regierungsebenen hinweg (n = 26; 16,15 Prozent) verbunden, ebenfalls primär in afrikanischen und lateinamerikanischen Verfassungen. Letztgenannte Mehrebenenansätze zur Entwicklungsplanung rufen Gemeinden in die Pflicht, ihre Entwicklungsvorhaben mit nationalen und regionalen Entwicklungspolitiken zu koordinieren und sich an der Ausarbeitung von Entwicklungszielen auf höherer Regierungsebene zu beteiligen (z. B. Verfassungen von El Salvador, Artikel 203, und Suriname, Artikel 168.1)

2. Mechanismen zur gerechten Verteilung finanzieller Ressourcen (n = 30; 18,63 Prozent) und Transfers für unterentwickelte Gebiete (n = 28; 17,39 Prozent).

Eng verbunden mit dem Grundsatz der ausgewogenen territorialen Entwicklung (siehe Punkt 1) sind außerdem Verfassungsbestimmungen, die sich auf die gerechte Verteilung finanzieller Ressourcen beziehen. Hier finden sich beispielsweise Bestimmungen, primär in afrikanischen, lateinamerikanischen und einigen europäischen Verfassungen, die finanzielle Ausgleichsmechanismen vorsehen, „um die Gleichheit zwischen den Gebietskörperschaften zu fördern“ (französische Verfassung, Artikel 72.2). Die fiskalische und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sowie die Fähigkeit, administrativen Zuständigkeiten effizient nachzukommen, stellen wiederkehrende Kriterien für die Verteilung nationaler Ressourcen dar, beispielsweise in den Verfassungen von Nicaragua (Artikel 177), Panama (Artikel 240) und Südafrika (Artikel 214.2.e). Außerdem sehen 18 Verfassungen (11,18 Prozent) staatliche Transfers speziell für Entwicklungszwecke vor, und 15 Verfassungen (9,32 Prozent) ermächtigen den Staat zur finanziellen Unterstützung wirtschaftlich schwächerer Gebietskörperschaften. So verankern etwa die Verfassungen von Kongo (Artikel 209), El Salvador (Artikel 207), Guatemala (Artikel 257), Madagaskar (Artikel 140) und Sambia (Artikel 161) Entwicklungsfonds spezifisch für Lokalverwaltungen.

3. Die Möglichkeit für Gemeinden, in Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse zusammenzuarbeiten (n = 33; 20,50 Prozent), Konsortien für die gemeinsame Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen einzurichten (n = 22; 13,66 Prozent) oder Verbände zur Interessensvertretung auf höheren Regierungsebenen zu bilden (n = 6; 3,73 Prozent).

Das Instrument der zwischengemeindlichen Zusammenarbeit wurde bereits in Abschnitt 1.1 als flexibler Ansatz zur Bewältigung der Verwaltungsanforderungen an Gemeinden in Kontexten sowohl der Entvölkerung des ländlichen Raums als auch vor der Gegenwart städtischen Wachstums in institutionell fragmentierten Ballungsräumen diskutiert. Das Recht auf zwischengemeindliche Zusammenarbeit findet sich wiederkehrend in europäischen Verfassungen verankert, ebenso wie in lateinamerikanischen und afrikanischen Verfassungstexten. In unterschiedlichem Maße erhalten wir außerdem Einblick in Detailregelungen, die das Recht auf zwischengemeindliche Zusammenarbeit erweitern; beispielsweise in Hinblick auf die Zusammensetzung der Organe von interkommunalen Konsortien und Dachverbänden durch gewählte Vertreter/-innen (z. B. griechische Verfassung, Artikel 102.3), die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit von Lokalverwaltungen (z. B. ungarische Verfassung, Artikel 32.k) ebenso wie die Möglichkeit von Gemeinden, internationalen Netzwerken oder Vereinigungen beizutreten (z. B. polnische Verfassung, Artikel 172.2). Interessantes Beispiel des Rechts für Gemeinden, sich in Interessensverbänden zusammenzuschließen, bietet außerdem die österreichische Verfassung (Artikel 116.3), die mit der Einrichtung des Österreichischen Gemeindebunds und des Österreichischen Städtebunds die Möglichkeit für eine differenzierte Vertretung ländlicher bzw. städtischer Interessen schafft.

3. Reflektionen zu geografischen und zeitlichen Trends in den ­analysierten Verfassungsbestimmungen

Aus dieser ersten Bestandaufnahme resultiert bereits, dass sich Verfassungsbestimmungen zur Lokalverwaltung im Kontext der Urbanisierung insbesondere in afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Verfassungen feststellen lassen, mit einigen europäischen Ausnahmen. Asiatische und lateinamerikanische Verfassungen stechen insbesondere in Bezug auf die Differenzierung nach städtischen und ländlichen Kontexten hervor, während afrikanische und wiederum lateinamerikanische Verfassungstexte vermehrt Verfassungsbestimmungen zu einer ausgewogenen und auf dem Prinzip der Solidarität beruhenden Entwicklung aller Territorien verankern. Letztere Bestimmungen sind zudem signifikant häufiger in jüngeren Verfassungen enthalten, die seit 2001 angenommen bzw. abgeändert wurden.4 Europäische Verfassungen zeichnen sich hingegen am stärksten in Hinblick auf die Verankerung des Rechts auf zwischengemeindliche Zusammenarbeit aus, während in einigen ost­europäischen Verfassungen außerdem zwischen einem städtischen und ländlichen Typus an Gemeinden unterschieden wird. Ozeanische Verfassungen stechen kaum in Bezug auf die oben genannten Bestimmungen hervor, während nordamerika­nische Verfassungen aufgrund mangelnder Verfassungsbestimmungen zur Lokal­verwaltung gar nicht erst in die Stichprobe der analysierten Verfassungstexte auf­genommen wurden.

Gründe für diese geografische Konzentration der identifizierten Differenzierungsansätze sind wohl im Muster der aktuellen Urbanisierungswelle selbst zu finden. Wiesen bisher Europa, Nordamerika und Ozeanien den höchsten relativen Anteil an Stadtbewohner/-innen an der Gesamtbevölkerung auf (dies ist auf eine erste, mit der Industriellen Revolution einhergehende Urbanisierungswelle im 19. Jahrhundert zurückzuführen), manifestiert sich die aktuelle Urbanisierungswelle zurzeit in Afrika, Asien und Lateinamerika am stärksten.5 Hier trifft das Phänomen eines allgemeinen Bevölkerungswachstums mit dem Übergang von überwiegend ländlichen zu städtischen Gesellschaften zusammen und sorgt für rasantes und zum Teil unkontrolliertes städtisches Wachstum (UCLG 2017, 26; Vereinte Nationen 2019, 12 – 31). Eine größere Aufmerksamkeit für verfassungsrechtliche Antworten auf den rasanten Urbanisierungstrend und die damit einhergehenden Verwaltungsanforderungen könnte daher in solchen Kontexten als reine Notwendigkeit angesehen werden (Hirschl 2020b, 23 – 24). Sie trifft zudem mit einer Reihe an bedeutenden „Verfassungsmomenten“ (Gavison 2002, 91) in den oben genannten geografischen Kontexten überein, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Rahmen der Entkolonialisierung und des Endes des Kalten Krieges nicht nur zur Entstehung neuer Verfassungen, sondern auch zu grundlegenden Änderungen bereits bestehender Verfassungsordnungen führten (Gavison 2002, 91; Go 2007, 89). Hierdurch wurde zumindest theoretisch die Möglichkeit geschaffen, verfassungsrechtliche Bestimmungen zur Anpassung an die Urbanisierungsfolgen einzuführen und nach verschiedenen territorialen Kontexten entlang der Stadt-Land-Dimension zu differenzieren.

4. Schlussbemerkungen

Zusammenfassend konnten anhand der durchgeführten Analyse erste Einblicke in Anpassungstendenzen an das Phänomen der Urbanisierung auf Verfassungsebene gewonnen werden. So weisen Verfassungen bereits unterschiedlichste Ansätze der territorialen Differenzierung auf (siehe Tabelle 2): Zu unterscheiden sind einerseits Ansätze, die explizit zwischen städtischen und ländlichen Kontexten differenzieren, sowie andererseits Verfassungsbestimmungen, die breiter gefasst als Instrumente zur Bewältigung der mit der Urbanisierung einhergehenden Herausforderungen für die Lokalverwaltung interpretiert werden können – ohne hier jedoch unterstellen zu wollen, dass betreffende Ansätze ausschließlich und explizit als Antwort auf die Urbani­sierung eingeführt wurden. Anzumerken bleibt jedoch, dass keiner der genannten Differenzierungsansätze zu einem Anteil von mehr als 10 bis 20 Prozent aller 161 analysierten Verfassungen aufscheint. Territoriale Differenzierung zwischen städtischen und ländlichen Kontexten in Verfassungstexten scheint damit nach wie vor eine Ausnahme darzustellen und wirft die Frage nach einer weiteren Anpassung der verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen an das Phänomen der Urbanisierung auf.

Tabelle 2: Verfassungsbestimmungen zu Stadt, Land und Urbanisierungsfragen

Differenzierung zwischen städtischen und ländlichen Kontexten

Breitere Ansätze zu
Urbanisierungsfragen

1. Städtische vs. ländliche Gemeinden

2. Besondere Arten der Lokalverwaltung

3. Gemeindeübergreifende Städte

4. Größenspezifische Regelungen

5. Kompetenzen für städtische/ländliche Kontexte

6. Ausgleich zwischen städtischen und ländlichen Interessen

1. Mechanismen für eine ausgewogene territoriale Entwicklung

2. Gerechte Ressourcenverteilung

3. Interkommunale Zusammenarbeit

Quelle: Eigene Ausarbeitung

Aufgrund der hohen Anzahl der untersuchten Verfassungen konnte insgesamt ein umfassendes, aber gleichzeitig auch abstrahierendes Bild verfassungsrechtlicher Differenzierungsansätze gezogen werden, das zu einer weiteren Vertiefung anhand vergleichender Fallstudien einlädt. Darüber hinaus bleibt zu unterstreichen, dass sich diese Ausführungen ausschließlich auf schriftlich niedergelegte Verfassungstexte (big-c Verfassungsrecht) stützen und damit keine Rückschlüsse auf die gelebte Rechtspraxis zulassen. Um ein umfassendes Verständnis dafür zu erlangen, ob und wie im breiteren verfassungsrechtlichen Rahmen zwischen städtischen und ländlichen Kontexten differenziert wird und welche Ansätze darüber hinaus im breiteren Sinne als Antwort auf die mit der Urbanisierung einhergehenden Chancen und Herausforderungen für die Lokalverwaltungen bereitgestellt werden, sollte eine Reihe weiterer Rechtsquellen des small-c Verfassungsrechts (wie z. B. Konventionen, richterliche Auslegungen, Organgesetze, Satzungsnormen) zurate gezogen werden (vgl. Gardbaum 2012; Law 2010; Young 2007). Damit bietet die durchgeführte Analyse erste Anknüpfungspunkte für weitere Forschungsunternehmen im Bereich des erweiterten Verfassungsrechts. Sie sollte als kleiner Schritt hin zu einem breiteren Verständnis der Urbanisierung als einem in den Rechtswissenschaften noch nicht ausreichend erforschten Phänomens von globaler Tragweite und hoher Relevanz für die Lokalverwaltung angesehen werden.

Anmerkungen

1 Der Begriff der Lokalverwaltung (hier synonym verwendet mit den Begriffen der Gemeinde und der lokalen Gebietskörperschaft) bezieht sich auf die unterste (lokale) Regierungsebene in der territorialen Organisation eines Staates. Lokalverwaltungen sind öffentliche Behörden, die politisch autonom über eine Reihe unabhängiger, im Rahmen des Gesetzes festgelegter Zuständigkeiten und Ressourcen verfügen (Panara 2013, 371). Durch die zunehmende Dezentralisierung von staatlichen Regierungsfunktionen und Ressourcen an niedrigere (subnationale und/oder lokale) Regierungsebenen haben Lokalverwaltungen über die letzten Jahrzehnte hinweg zunehmend an Bedeutung in politischen Systemen weltweit gewonnen (Gibbins 2001, 167; Ladner et al. 2016, 321; Vandelli 2015, 336).

2 Verfassungen stehen an erster Stelle der Rechtshierarchie eines Staates und kodifizieren dessen grundlegende Regierungsstruktur. So regeln sie nicht nur die horizontale Machtverteilung zwischen den verschiedenen Regierungszweigen, sondern auch die vertikale, territoriale Verteilung der Befugnisse zwischen den nationalen, subnationalen und lokalen Regierungsebenen. Indem sie die grundlegenden Spielregeln eines politischen Systems institutionalisieren, bieten Verfassungen der Gesellschaft außerdem Kohärenz und Identität (vgl. Gardbaum 2012; Gavison 2002; Law 2010).

3 Ausgangspunkt für die Inhaltsanalyse stellten all jene Ausschnitte schriftlich niedergelegter Verfassungstexte dar, die Bestimmungen zu Gemeinden und zur territorialen Struktur eines Staates enthalten. Betreffende Ausschnitte wurden anhand der Webdatenbank „constitute“ (Elkins, Ginsburg and Melton o. J.) ermittelt und decken 161 Verfassungen aus annähernd allen Weltregionen ab. Einzige Ausnahme bildet Nordamerika, da weder die kanadische noch die amerikanische Bundesverfassung Bestimmungen über die Lokalverwaltung enthalten. Insgesamt wurden 79 Prozent aller in der Datenbank verfügbaren Verfassungen und Rechtsakte von Verfassungsrang (letztere im Falle Großbritan­niens, Neuseelands und Schwedens) analysiert.

4 Für jede Gruppe der in Abschnitt 2 präsentierten Verfassungsbestimmungen wurde untersucht, ob ein statistisch signifikantes Abhängigkeitsverhältnis zwischen der ermittelten Bestimmung und der Weltregion oder dem Zeitraum der Verabschiedung der betreffenden Verfassung besteht.

5 Zwischen 1950 und 2018 hat sich der Anteil der Stadtbewohner/-innen in Afrika um das 16-fache, in Asien um das Neunfache und in Lateinamerika um das Siebenfache erhöht. Im Vergleich dazu hat sich der Anteil der Stadtbewohner/-innen in Nordamerika im selben Zeitraum verdoppelt, in Ozeanien verdreifacht und in Europa annähernd verdoppelt (UCLG 2017, 26; Vereinte Nationen 2019, 12 – 31). Es lassen sich also bedeutende Unterschiede in den Urbanisierungsraten zwischen erstgenannten Kontexten und den bereits stärker urbanisierten Weltregionen verzeichnen.

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