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Hans Heiss

Mehr als ein Lobby-Verband: Der Hoteliers- und Gastwirteverband Südtirols (HGV)

More than a lobby association:
The Hoteliers- and Gastwirteverband (HGV)

Abstract The Association of Hotel-owners and Innkeepers of South Tyrol (Hoteliers- und Gastwirteverband, HGV) was founded in 1968, when tourism in the small province at the northern border of Italy reached a new level of growth. The HGV was the result of the fusion of two associations, which decided to unite their forces in order to obtain better representation for the interests of the touristic sector in public opinion, politics and among their own members. In 55 years, the HGV has had only 4 presidents, each of them strong characters, with their own style, shifting between persuasion and pressure. The activities of the HGV were quite successful, professionalizing the touristic sector and exercising a strong influence on provincial politics. HGV also brought some of its high representatives into leading positions in the ­provincial government, so that lobbying activities could have a direct effect. Against a growing number of criticisms, expressed by public opinion and environmental organisations against touristic excesses and overtourism in the alpine region, the HGV has always been able to ­proceed with further expansion, creating consensus among its members and working ­constantly at many levels to realize important goals and objectives.

1. Impressionen und Kurzprofil

Zum Auftakt sei eine persönliche Reminiszenz erlaubt: Das familiäre Mittagessen am „Elephanten“, meinem Elternhaus, verlief in der Regel ungestört. In ferner Jugendzeit, vor gut 50 Jahren, war es sakrosankter Usus, dass in der Zeit zwischen 11.30 und 12.00 Uhr, bevor die ersten Gäste das Restaurant betraten, nicht gestört werden durfte, wenn die Familie in der Wohnung um den Mittagstisch saß. Der am Kopfende sitzende Vater erörterte mit unserer Mutter wie üblich die Tagesagenden, während wir die zwei Gänge des Mittagessens zügig, oft hektisch einnahmen. Schlag zwölf Uhr sprangen nach dem Kaffee alle auf und bezogen Position: Vater Wolfgang in der Rezeption, Mutter Marianne am Pas der Küche, wir Kinder – falls wir nicht in der Schule waren – gönnten uns eine kurze Pause. Die stille Halbstunde kurz vor Mittag gehörte der Familie und durfte nur in dringlichen Fällen unterbrochen werden. Umso mehr staunten wir, als es eines Mittags gebieterisch an die Wohnzimmertür pochte. Noch perplexer waren wir, dass kaum eine Sekunde verging, als sich schon ein Gesicht durch den Türspalt schob, mit fleischiger Nase unter schlauen Äuglein und ohne Umschweife: „Ist der Wolfi da?“ Ein dritter Schock: Niemand in Brixen wagte es, unseren Vater „Wolfi“ zu nennen, in der Stadt war er – Wolfgang Heiss – vor allem als „der Gangl“ bekannt, Diminutive waren nicht zulässig. Noch erstaunter waren wir, dass sich Vater sofort willig erhob, den ungebetenen Besucher unterhakte und mit ihm durch die Tür an die Bar ging. Damit gewannen wir bereits als Jugendliche einen Eindruck vom forschen Naturell des Gastes, handelte es sich doch um Artur Eisenkeil, den Präsidenten des Hoteliers- und Gastwirteverbandes. Wir entdeckten, dass neben der im Hotel üblichen Höflichkeit und Zurückhaltung auch eine Dosis Ruppigkeit zum Erfolg führte, über die Eisenkeil in reichem Maße verfügte.

Artur Eisenkeil war der zweite Präsident des Hoteliers- und Gastwirteverbandes Südtirol (HGV). In seiner Amtszeit zwischen 1970 und 1984 entstanden wesentliche Grundlagen für den Aufbau des Verbands (Stoll 2008, 67–122). Stil und Wirkung seiner Lobby-Arbeit blieben langfristig wirksam und machten den HGV zu einem führenden wirtschaftspolitischen Akteur des Landes, gestärkt durch eine Branche von geschlossenem Auftritt und hoher Kapillarität. In seiner eigenen Vision

„Als tatkräftiges Sprachrohr, führender Impuls- und Taktgeber, sowie effizienter Dienstleister für die Hotellerie und Gastronomie gestalten wir gemeinsam und im Interesse unserer Mitglieder sowie Kundinnen und Kunden vorausschauend und nachhaltig die qualitätsbewusste Zukunft des Gastgeberlandes Südtirol.“ 1

Der HGV, dem rund 4.600 Mitglieder angehören, vertritt heute rund 10.000 gastgewerbliche Betriebe, von der Residence bis zum Fünfsternehotel, die 2022 über 40.000 Mitarbeiter/-innen beschäftigten. Die Position des Tourismus ist mit rund 34,4 Millionen (2022) Gäste-Nächtigungen in gewerblichen und nichtgewerblichen Betrieben auf vielen Ebenen herausragend (astat info 2022/23). Sie hat sich während der Pandemie nur kurz abgeschwächt und im Sommer 2022 wieder an frühere Erfolge angeschlossen. Südtirols Tourismus hielt bei den gastgewerblichen Übernachtungen 2021 an der Spitze alpiner Tourismusregionen, knapp vor dem Bundesland Tirol, vor Bayern, Salzburg oder Graubünden und deutlich vor dem benachbarten Trentino (astat-info 2021, 4).

Tourismus erzielt direkt rund 13 Prozent des Südtiroler Bruttoinlandsprodukts, mit starken Verflechtungs- und Anregungseffekten auf Handel, Bau, Handwerk und bäuerliche Landwirtschaft. Bei Straßenbefragungen nach dem wichtigsten Sektor im Lande antworten Befragte meist wie aus der Pistole geschossen: „Der Tourismus, natürlich!“ Dennoch ist er nicht die stärkste Wirtschaftsbranche des Landes, sondern liegt deutlich hinter der Industrie auf Rang zwei. Die flächendeckende Präsenz von Tourismusbetrieben auf dem Gebiet Südtirols wie die von ihm bewirkten Mobilitäts- und Gästeströme erwecken aber den Eindruck, als ob das ganze Land im Banne der Branche stünde. Diesen erwünschten Effekt nimmt der HGV gerne und ohne Dementi in Kauf. Denn die Verbreitung der Aussage ist der beste Beleg für die erfolgreiche Lobby-Arbeit des Verbandes.

2. Ab 1965: Nachholender Aufstieg des Südtiroler Tourismus

Die Erfolgskurve des Südtiroler Tourismus und des HGV verliefen nahezu synchron. Nach 1945 stiegen die Gästezahlen im Lande zunächst noch schleppend, bis dann ab 1955 das zeitgleich einsetzende „Wirtschaftswunder“ in Deutschland und in Italien die Konjunktur anschob (Biersack 1962, A 1). Bis um 1960 dominierten italienische Gäste den Bergsommer im Alto Adige, während der zweite große Markt, die Bundesrepublik Deutschland, zu dieser Zeit noch schwächer war. Aber Südtirol hatte als Urlaubsziel vor allem in Süddeutschland guten Klang: Neben günstigen Preisen und der Landschaft zogen ethnopolitische Gründe, da deutsche Gäste die deutschsprachige Minderheit gerne unterstützten. Sie überwogen ab 1959, da sich im Zuge der ungelösten Südtirolfrage Attentate und Terror häuften, sodass italienische Gäste den gefährlichen Alto Adige mieden (Heiss 2007, 337). Die Bundesdeutschen führten bis zum Ende der 1980-er Jahre, als Italiener wieder stark aufholten. Ab 1965 zogen die Gästezahlen insgesamt rasant an, da die meist anhaltende Hochkonjunktur, damit verbundene Einkommenszuwächse und die Ausweitung des Jahresurlaubs die Urlaubsfreude weckten. Südtirol/Alto Adige stand als Gästedestination hoch im Kurs. Der Wertverlust der Lira, die gegen die bundesdeutsche D-Mark ständig schwächelte, sorgte für attraktive Preise und kam deutscher Sparsamkeit entgegen. Mit den ab 1965 jährlich oft bis um rund zehn Prozent steigenden Nächtigungszahlen mehrten sich die Betriebsgründungen im Lande, neben neuen Hotels vor allem von kleinen Garnis und Pensionen. Viele bäuerliche Familien wechselten in die aussichtsreiche Branche, ermutigt durch den Umstand, dass eine Eröffnung zunächst noch risikoarm verlief, etwa als Zimmervermieter/-in oder Besitzer/-in einer in Bau- und Fixkosten erschwing­lichen Pension. Mit dem Erfolg wuchs die Zahl der im Tourismus tätigen Unter­nehmer/-innen, sodass die Frage nach der Branchenvertretung an Bedeutung gewann.

3. Der Weg zur Fusion

Bis 1968 verfügten Tourismustreibende über zwei Vertretungen, die „Vereinigung der Hoteliere und Gastwirte in Südtirol“ und den „Gastwirteverband“, die nach Kategorien getrennt waren (Stoll 2008, 37–56). Die „Nobelbranche“ der Hotels und der wachsende Sektor der kleineren Häuser hatten jeweils einen eigenen Verband. Die Doppelung war problematisch, da beide miteinander rivalisierten, zudem fehlte in Verhandlungen mit der Politik die gemeinsame Linie, sodass die Verbände auch gegeneinander ausgespielt wurden. Immerhin gelangte man um 1966 beiderseits zur Einsicht, dass ein einvernehmliches Vorgehen und womöglich eine Fusion die gesamte Branche nur stärken konnte. Eine Vorentscheidung fiel am 8. Juli 1966 bei einem bilateralen Treffen (Stoll 2008, 60 – 61): Der Gastwirteverband kam mit Präsident Josef Theiner, flankiert von den Vizepräsidenten Otto Reiter (Sand in Taufers), Artur Eisenkeil (Meran) und Mathias Thurner (Bozen), begleitet vom dynamischen Geschäftsführer Benjamin Stauder. Die Hoteliers vertraten Präsident Max Staffler, Besitzer der Bozner Hotel-Flaggschiffe „Greif“ und „Laurin“, Vizepräsident Heinz Mayr („Mondschein“, Bozen), Dominikus Demetz, Direktor des Bozner „Alpi“ und Sekretär Josef Valentin. Die Delegationen zeigten die Bozen-Lastigkeit der Hoteliers, denen das wachsende Gewicht der Talschaften im GWV entgegenstand. Denn die Gastwirte legten Jahr um Jahr an Bedeutung zu, während der Einfluss der Stadt-Hotellerie sank. Bei der Juli-Sitzung kam man überein, künftig alle gemeinsamen Fragen in einer Paritätischen Kommission zu je acht Mitgliedern zu behandeln, die einmal monatlich zusammentreffen sollte.

So kam eine Fusion in Gang, zumal eine Fülle von Fragen und Problemen der Lösung harrte: Lizenzvergabe, Kredit- und Beitragspolitik, Mitarbeiter und Mit­arbeiterinnen und ihre Rekrutierung, Berufsbildung und Schulung wie Verkehr und Werbung waren angesichts dringenden Reformbedarfs von zentraler, gemeinsam zu erörternder Bedeutung. Intensiven Verhandlungsrunden folgte am 23. Juli 1968 die Einigung, die noch am selben Abend selbstbewusst bekannt gegeben wurde: „Nach dem Zusammenschluss des Gastwirteverbandes und der Vereinigung der Hoteliers und Gastwirte von Südtirol ist der Südtiroler Hoteliers- und Gastwirteverband mit über 2.300 Mitgliedern und 50.000 Betten eine starke und dynamische apolitische Berufsvertretung“ (Dolomiten 1968, 6). Damit war die Stoßrichtung klar: Die aufstrebende Branche wollte ihr gemeinsames Gewicht ins Spiel bringen. Im Hinblick auf die Landtagswahlen im November 1968 und die anschließende Regierungsbildung sollte der Druck erhöht und eine Plattform für eine tourismusfreundliche Wirtschaftspolitik gebildet werden. Eine gewichtige Rolle spielte die nahende Einigung in der Autonomiefrage, die nach der SVP-Landesversammlung vom 23. November 1969 einer Lösung entgegen ging. In einer künftigen Autonomie sollte die Durchschlagskraft des HGV verstärkt zum Zuge kommen.

Nach kontroversen Bezirksversammlungen im Herbst/Winter 1968, in denen sich die Leitung des Gastwirteverbands mancher Kritik stellen musste, wurde der Zusammenschluss zum HGV nach der ersten Generalversammlung am 16. April 1969 mit der Wahl des Präsidenten, des Präsidiums und der Verbandsleitung am 17. Juni 1969 vollzogen (Stoll 2008, 63). An die Spitze wurde Otto Reiter gewählt, Gastwirt aus Sand in Taufers und Vertreter des bisherigen Gastwirteverbands, dessen aus­gleichende Persönlichkeit den Übergang möglichst friktionsfrei tragen sollte. Hinter ihm stand mit Vizepräsident Artur Eisenkeil ein Mann der Zukunft, der von Anfang an Druck machte; Heinz Mayr (Hotel „Mondschein“, Bozen) und der Starkoch ­Andreas Hellrigl (Restaurant „Andrea“, Meran) waren weitere Vizepräsidenten. Das Präsidium komplettierten Gottlieb Meister, (Hotel „Irma“, Meran) Vater des späteren HGV-Präsidenten, und Josef Plankensteiner (Gasthof „Zum Schlüssel“, ­Bozen).

Die Leitung des Verbandsbüros blieb in Händen des bisherigen Verbandes, mit dem durchsetzungsstarken Benjamin Stauder als Geschäftsführer, flankiert durch den Juristen Thomas Fink und weitere Mitarbeiter/-innen. Neben dem Präsidium wurden drei Sektionen eingerichtet, in denen jeweils Fachvertretungen der Hotels, der Gasthöfe und Pensionen sowie der Restauration saßen. Zudem repräsentierten die Sektionen das Gewicht der einzelnen Bezirke zwischen Vinschgau und Pustertal, mit Vorrang für das Burggrafenamt, Puster- und Eisacktal. Damit bewies der Verband das auch in Südtirol notwendige Gespür für Sektoren- und Territorialinteressen, das auch durch zügige Eröffnung von Bezirksbüros unterstrichen wurde. Zudem legte der HGV das Gewicht auf thematische Schwerpunkte, die in Arbeitskreisen behandelt wurden, so in den Gruppen „Öffentliche Hand“, „Gastgewerbliche Unternehmer“, „Gastbetrieb“, „Gastwirt und seine Mitarbeiter“ (Stoll 2008, 62–64). Die Fusion war so von einem Reform- und Professionalisierungsschub begleitet, der dem neuen Verband von Beginn an Zielorientierung vermittelte, in einem Mix von Dirigismus des Präsidiums und bottom-up-Partizipation. Die ethnische Komponente spielte im HGV kaum eine Rolle, da die Repräsentation der Hoteliers, Gastwirte und Restaurateure der deutschen Sprachgruppe entstammte, flankiert von wenigen Ladinern. Tourismus war in Betriebsführung und Eigentümerstruktur so selbstverständlich in “deutscher Hand“, dass die Frage nach italienischer Präsenz souverän übergangen wurde. Zudem galt Tourismus als ethnisch neutral, ja sogar als aufgeschlossen dem „italienischen Gast“ gegenüber. Der Sektor war 1959–1967 gegen Attentate und politische Gewalt aufgetreten, sodass er trotz „deutscher“ Grundierung als Faktor des Ausgleichs galt.

Bedenklicher als die deutsche Schlagseite war, dass Frauen an der Spitze und in den Bezirken des HGV keine öffentliche Rolle einnahmen. Obwohl Frauen als Inhaberinnen, Hauptverantwortliche in Führung, Küche und Zimmern sowie als leistungsstarke Arbeitskräfte auf allen betrieblichen Ebenen präsenter waren als Männer, zog der Verband ihre Vertretung allzu lange in keiner Weise in Betracht. Der Verzicht auf einen Thesaurus von Einsatz, Ideenreichtum und Innovation war ein Gendefekt, der den HGV (wie andere Verbände) bis heute belastet (Stoll 2008, 235–238) und von Diskriminierung nicht allzu weit entfernt ist.

4. Ein Name, ein Programm – die Präsidentschaft Artur Eisenkeil

Gründungspräsident Otto Reiter verspürte bald den Atem von Vize Eisenkeil im Nacken, dem die moderate Gangart des Tauferers Cafetiers zu schleppend verlief.

Angesichts des wachsenden Drucks zog sich Reiter „aus beruflichen Gründen“ zurück, sodass Eisenkeil nach dessen Rücktritt bereits am 29. Juli 1970 von der Landesleitung zum Präsidenten gewählt wurde (Stoll 2008, 67). Der ausgleichende Reiter war der passende Mann für den Übergang gewesen, nun aber war aus der Sicht Eisenkeils und des Präsidiums die Zeit reif für massiven Druck und erhöhtes Lobbying. Als Geschäftsführer Stauder kündigen wollte, um eine neue Position im Ausland anzustreben, wurde er umgestimmt und seine Rolle gestärkt.

Mit Präsident Eisenkeil zog ein neuer Wind in den HGV ein: „Nachdem unser Verband heute gefestigt dasteht, können wir es uns ohne weiters erlauben, nicht mehr wertlose Bittschreiben – wertlos deshalb, weil sie doch zum Großteil im Papierkorb landen – an die Behörden zu richten, sondern klare und eindringliche Forderungen.“ (Gastgewerbe in Südtirol 1970) Die Ansage zielte auf die Landesregierung, die Eisenkeil als HGV-Stoßstürmer in den kommenden Jahren vor sich hertrieb. Kein anderer Verband hatte in den 1970-er Jahren einen so aggressiven und wirkungsvollen Präsidenten, sodass Eisenkeil auch Vorbildwirkung im Südtiroler Lobbyismus erzielte und dem eigenen Namen alle Ehre machte, da er auch harten Widerstand überwand. Der trinkfeste Lebemann umgarnte Gesprächspartner/-innen in geselliger Runde oder auf der Jagd, ritt aber in der Öffentlichkeit Attacken, die ihre Wirkung nicht verfehlten. Eisenkeil, der sich aus bescheidenen Verhältnissen emporgearbeitet hatte, wurde von Gegenwind erst recht motiviert.

Wie Stauder erkannte er, dass mit anhaltender Konjunktur und stetig steigendem Gästeaufkommen die Rolle des HGV wuchs, zudem suchte er, die neuen Spielräume der zweiten Autonomie im Bereich Fremdenverkehr auszuweiten. Denn mit Inkrafttreten des Zweiten Autonomiestatuts am 20. Jänner 1972 wurden auch die primären Zuständigkeiten im Fremdenverkehr von der Region Trentino-Südtirol auf die Autonome Provinz Bozen-Südtirol übertragen. Die weitreichenden, nur von der Verfassung eingeschränkten Kompetenzen waren aus HGV-Sicht auszuschöpfen, um die Tourismus-Autonomie als Exzellenzbereich der Selbstverwaltung zu nutzen. Tatsächlich eröffnete dann die Durchführungsbestimmung vom 22. März 1974, Nr. 278 „betreffend Fremdenverkehr und Gastgewerbe“ ein weites Handlungsfeld.

Bis 1980 stärkte der HGV vor allem die Rolle des Tourismus gegenüber anderen Sektoren und erschloss Finanzierungslinien und Subventionen. Lange betrachtete die Landespolitik den Sektor als Selbstläufer von eigenständigem Wachstum, während ihr Hauptaugenmerk der Industrie galt. Seit Mitte der 1960-er Jahre öffnete sich die SVP-geführte Landesregierung gegenüber der Industrie, die lange als Ort „italienischer Infiltration“ abgelehnt worden war. Da aber die strukturelle Schwäche der Südtiroler Wirtschaft Jahr um Jahr Tausende junger Südtiroler/-innen in die Emigration trieb, entschieden sich die Magnago-SVP und die Regierung zu einem Kurswechsel und setzten auf dezentrale Industrialisierung (Pixner 1983). Im Puster-, Eisacktal und im Vinschgau sollten moderate Industrieansiedlungen erfolgen, ge­tragen durch einheimische und bundesdeutsche Unternehmen kleiner bis mittel­ständischer Größenordnung. Der Der boomende Tourismus blieb lange sich selbst überlassen, in einer laisser-faire-Haltung, die der HGV unter Eisenkeil-Regie be­endete.

So nutzte der Präsident einen Zielkonflikt, um Rolle und politischen Stellenwert des Tourismus zu unterstreichen. Der HGV attackierte frontal das Vorhaben einer Reifenfabrik des bundesdeutschen Konzerns „Continental“, der sich, von Gemeinde und Landesregierung stark gefördert, in Brixen niederlassen wollte (Brigl 2009, 130–136). Die „Conti“, die ab 1969 in Brixen eine Italien-Filiale mit rund 1.500 Mitarbeiter/-innen plante, wurde von der Landesregierung unterstützt und für die absehbare Niederlassung von der Gemeinde eine ausgedehnte Gewerbefläche südlich der Bischofsstadt ausgewiesen. Touristiker/-innen und Heimatschützer/-innen liefen nach anfänglicher Zurückhaltung bald Sturm gegen das Projekt, da sie neben Umweltschäden wie Rauchentwicklung auch den Zuzug italienischsprachiger Arbeitskräfte befürchteten. Der HGV nutzte den Konflikt, um die Bedeutung des Tourismus zu stärken und seine Position gegenüber der Industrie zu unterstreichen. Die unvermeidliche Konfrontation mit der Landesregierung nahmen Eisenkeil und das Präsidium gerne in Kauf (Stoll 2008, 70–72). Geschäftsführer Stauder wetterte auf Demonstrationen in Brixen gegen die Landesregierung, die mit den Conti-Plänen ihr wichtigstes wirtschaftliches Zugpferd schädige. Der Hannoveraner Konzern ließ Anfang 1972 die Pläne einer Niederlassung fallen, nicht wegen des Widerstands, sondern aus unternehmerischen Gründen. Aber die Abwehrhaltung des HGV war erfolgreich gewesen und hatte die Rolle des Tourismus politisch und medial unterstrichen. Der Verband bewies am Beginn der Eisenkeil-Ära politisches Power-Play und erweiterte nun das gewonnene Terrain.

So drängte der HGV auf Fördergesetze, um dem Investitionsbedarf des Tourismus entgegenzukommen. Dringlich war die Umstellung in den Zimmern, mit systematischer Umrüstung von fließendem Wasser auf ein zeitgemäßes Bäderangebot, um international konkurrenzfähig zu sein. Die Agenda wurde zügig aufgegriffen und der Landesregierung der überfällige Modernisierungsbedarf mit Nachdruck vermittelt (Stoll 2008, 74 – 75): 16.000 fehlende Bäder für bisher primitiv ausgestattete Zimmer, in denen öfters nur Waschkrüge standen, mit Toiletten und Etagen­bädern auf dem Gang, wurden Ende 1971 angegeben und für notwendige Nach­rüstung ein Investitionsvolumen von über 19,2 Milliarden Lire errechnet. Hierzu forderte der HGV für die Haushaltsjahre 1973 und 1974 einen Förderbeitrag aus dem Landeshaushalt von jeweils einer Milliarde. Bereits im Herbst 1972 verabschiedete der Landtag das sog. „Bädergesetz“ (LG Nr. 26 vom 6.9.1972). Es sah Verlustbeiträge für jene Betriebe vor, die mindestens in fünf Gästezimmern Bade- oder Duschräume einbauten. Statt der gewünschten Milliarde wurden nur 500 Lire-Millionen bereit gestellt, aber damit rund 2.500 Einheiten gefördert.

Eine institutionelle Reform war die Ordnung der Fremdenverkehrsämter, um Wachstum und Strategien der Wachstumsbranche besser zu steuern. Nachdem das staatliche E.N.I.T. (Ente Nazionale Industrie Turistiche) auf Auslandsmärkten in Sachen Südtirol jahrzehntelang wenig Wirkung gezeigt hatte (Berrino 2011, 292), erschien ein autonomer Anlauf im Marketing mit einem Qualitätsschub dringlich. So wurde vor allem das neu zu errichtende Landesverkehrsamt, das die Bewerbung und Vermarktung Südtirols im In- und Ausland übernahm, dem Landesassessorat für Fremdenverkehr direkt unterstellt (Stoll 2008, 77–79). Kurverwaltungen und Tourismusvereine sollten die örtliche Betreuung übernehmen und als lokaler Arm des Tourismus fungieren. Nach jahrelanger Diskussion fand der Gesetzesentwurf des Landes zwar nicht die Billigung des HGV, dennoch verzichtete er auf grundsätzlichen Widerstand gegen das am 6. September 1976 verabschiedete Landesgesetz Nr. 41 zur „Rechtsordnung der Fremdenverkehrsorganisationen.“ Die von der Lokal- bis zur Landesebene reichende Reform suchte den Wildwuchs im Bereich örtlicher Verkehrsvereine zu beenden, da in manchen Gemeinden sogar mehrere parallel agierten. Das Gesetz sicherte eine neue Finanzierungsgrundlage und suchte das ab 1. Jänner 1977 neu konstituierte Landesverkehrsamt bürokratisch zu verschlanken und ihm größere Außenwirkung zu vermitteln.

5. Ausweitung der Aktionsfelder

Tätigkeitsfelder des Verbands im Jahrzehnt nach Gründung 1969 unter Eisenkeil-Stauder waren gestärkte Legitimation und Durchschlagskraft als Branchenvertretung, institutionelle Reform im HGV und auf Landesebene, dazu konkrete Subventionspolitik. Mit dem Ausbau eigener Dienstleistungsbereiche profilierte sich der Verband unter Mitgliedern, gewann Loyalität und Vertrauen, da diese auf eine starke Vertretung mit breiter Angebotspalette zurückgreifen konnten: Der HGV bot Buchhaltungsleistungen, Bauberatung und Mitarbeitersuche gegen entsprechende Entgelte an und gewann dank kompetenter Dienstleistungen starke Resonanz (Stoll 2008, 82–86).

Der HGV rückte so in die Position als Lobby, Konsensbildner und Dienstleister ein. Unverkennbar war die zeitweilige Rolle als Vorfeldorganisation für die stärkste Partei in Südtirol, die SVP. Die Verbindung zwischen SVP und HGV war zu diesem Zeitpunkt noch nicht voll entfaltet, da der Verband oft als konfliktstarker Partner auftrat. Wohl aber war der Austausch zwischen beiden „Mächten“ osmotisch, da die Landespolitik HGV-Forderungen vielfach entgegenkam, zumal sich das starke Stimmenpaket seiner Mitglieder stetig ausweitete. HGV-Funktionäre waren parteinah und kandidierten bei Gemeinde- oder Landtagswahlen meist „Fürs Edelweiß“. Der für Fremdenverkehr zuständige Landesrat Franz Spögler war nach anfänglichen Konflikten der ideale Ansprechpartner für den HGV, da er sich in seiner Amtszeit (1974–1989) als Sachwalter touristischer Interessen in der Landesregierung ins Spiel brachte, bis er im Zuge des Generationswechsels 1989 aus der Regierung ausschied (Stoll 2008, 88 – 89). Der Versuch, bei den Landtagswahlen 1978 Benjamin Stauder als hauseigenen SVP-Kandidaten durchzubringen, blieb ohne Erfolg: Wähler und Wählerinnen aus dem Tourismussektor sahen den Geschäftsführer lieber an der Verbandsspitze, sodass er prompt durchfiel – die Drehtür zwischen Verbandsarbeit und Volksvertretung war noch nicht so gut geölt wie zunächst erhofft (Stoll 2008, 90). Umso mehr lancierte der Verband weiterhin unverdrossen Kandidaten und Kandidatinnen direkt aus dem HGV-Hauptquartier und setzte auf eigene Bezirksvertreter/-innen, wie 1993 auf den Pustertaler Hans Berger und 2018 auf den Eisacktaler Helmut Tauber, beide erfolgreiche Hoteliers und HGV-Spitzenvertreter.

Neben seiner Rolle als Stratege langfristiger Lobby- und Brancheninteressen, bewährte sich der HGV als Krisenhelfer. Als infolge des Jom-Kippur-Krieges zwischen Israel und den arabischen Staaten auch in Italien im Oktober 1973 das Heizöl plötzlich knapp wurde, da die arabisch geführten OPEC-Förderländer die Öllieferungen in den Westen sperrten, die Förderung verknappten und die Preise für Öl, Benzin und Gas nach oben schossen, war der Verband unmittelbar gefordert (Stoll 2008, 76 – 77). Südtirols Gastgewerbe litt mitten in der kühlen Herbstsaison, kurz vor dem Winter, unter akuten Lieferengpässen. Aber der Verband überwand drohende Ausfälle durch zügige Intervention und konnte bis Mitte Dezember 1973 die Zuteilung von Ölkontingenten an rund 800 Betriebe zusichern. Dabei rang der HGV in einem Husarenstück dem Regierungskommissariat in Bozen die Zuständigkeit für die Zuteilung ab und übernahm selbst die Zuweisung von Ölquoten an die Betriebe. Dank reibungsloser Zusammenarbeit mit der Regierungsstelle kamen die Betriebe gut durch den Winter, wenn auch mit knappen Reserven, sodass die kalte Saison in Südtirol besser überbrückt wurde als in vielen anderen Regionen.

Die ab 1965 zügig aufsteigende touristische Unternehmerschaft formierte sich zur neuen Mittelklasse: Tausende neue Eigentümer von Hotels, Garnis, Pensionen und in dem vom Tourismus abhängigen Einzelhandel Tätige bildeten eine wachsende, sich ständig ausweitende Mittelschicht. Gab es noch 1972 erst 3.238 gastgewerbliche Betriebe, so stieg ihre Zahl 1981 bis auf 5.132, die der nichtgewerblichen Betriebe von 8.365 auf 10.368 (Lechner/Carlevaris 1996, 1). Viele Inhaber/-innen, in erster und zweiter Generation oft noch Selfmademen und -frauen ohne gastgewerbliche Ausbildung, waren instinktsicher, leistungs- und lernfähig. Oft strotzend von Selbstbewusstsein, wie der HGV-Boss selbst, begriffen sie sich als neue Wirtschaftselite, der kraft ihres Erfolgs auch öffentlicher Einfluss zustand. In Berufs- und Tourismusorganisationen, in Gemeinderäten und Ausschüssen sorgten sie dafür, dass ohne ihr Wissen und gegen ihren Willen möglichst wenig geschah.

6. Gegenwind aus Gesellschaft und Medien

Seit Ende der 1970-er Jahre begegnete dem HGV, der sich längst in enger Partnerschaft mit der Politik befand, wachsender Widerstand aus der Gesellschaft und der Medienlandschaft. Das stetige Wachstum im Tourismus, das unentwegt neue Hotels und Pensionen, Infrastrukturen und Aufstiegsanlagen an ständig neuen Standorten platzierte, traf ab 1975 nicht nur auf Wohlgefallen (Huldschiner Fille 2004, 58–117). Da das Interesse am Erhalt der Kulturlandschaft im Vergleich um 1980 weit ausgeprägter war als heute, reagierte die Öffentlichkeit skeptisch bis ablehnend auf die Unzahl ausladender Hotelbauten, denen Bauherren und Architekten trotz hohen Raumvolumens die Charakteristik eines Bauernhofs zu verleihen suchten. Fehlende Maßstäblichkeit und aufdringliche Positionierung ließen die Baumassen in der Kulturlandschaft Südtirols oft wie die Faust aufs Auge wirken. Verkehrsbauten wie neue Straßen auf den Ritten oder nach Jenesien zerschnitten mit oft wenig rücksichtsvoller Trassenführung das Landschaftsbild, nachdem bereits die Brennerautobahn die Talsohle von Brenner bis Salurn grundlegend transformiert hatte. Hinzu kamen Besuchermassen und Fahrzeuge, die sich über vielbesuchte Erholungsgebiete wie die Seiser Alm und den Montiggler See hermachten. Viele Südtiroler/-innen verfolgten den Umbruch gewohnter Lebensräume mit großer Sorge. Heimatpflegeverband und Alpenvereine mahnten zum Stopp, zudem stemmten sich erste Umweltgruppen gegen die Erschließungswut. Die „Tourismusgesinnung“, wie die Chiffre für positive Einstellung zum Tourismus bis heute lautet, schwand unter Einheimischen, sodass der HGV den spürbaren Defätismus besorgt beobachtete. Die Gegenwehr gewann an Gehör, weil das führende Tagblatt Südtirols, die „Dolomiten“, unter Schriftleiter Josef Rampold die Auswüchse frontal angriff, mit einer Vehemenz, die für die heutige Blattlinie fremd wäre:

„Ebenso wie ein sinnloser Heuschreckentourismus zerstört eine hemmungslose Bauwut unser Land. Eine Wirtschaft, die sich nur durch eine permanente Zerstörung eines der schönsten Länder der Welt am Leben erhält, ist eine verabscheuungswürdige Misswirtschaft, das muss einmal ganz offen gesagt sein“ (Dolomiten 1978, 5).

Die öffentlich, medial und künstlerisch vorangetragene Gegenwehr gegen frühen Overtourism in Südtirol wurde von der Landespolitik flankiert, da Raumordnungs-Landesrat Alfons Benedikter nach einem Jahrzehnt intensiver Baukonjunktur in Südtirol mit seinen Ämtern auf die Bremse trat. Das 1980 verabschiedete Landesentwicklungsprogramm (LEP) sollte die entfesselte Verbauung dämpfen, um mit geringerem Flächenverbrauch auszukommen. Bereits im Wohnbaureformgesetz vom 22. Mai 1978 hatte ein Passus die Ausweitung von Baugründen für Hotels und Pensionen abgeblockt, das Wohnbaureformgesetz Nr. 34 vom 24. November 1980 weitete die Pflichtkonventionierung aus, kurz darauf folgte ein Baustopp für zusätzliche Fremdenbetten im landwirtschaftlichen Grün – eine wirksame Wachstumsbremse (vgl. Rohrer 1995).

7. „Unverschuldet verschuldet“ – Glaubwürdigkeits- und ­Schuldenkrise der Branche

Die frühen 1980-er Jahre markierten im Südtiroler Tourismus wie in der Politik des HGV eine grundlegende Trendwende. Die Hochexpansion der letzten 10 bis 15 Jahre traf auf gesellschaftlichen Widerstand und verstärkten Steuerungsanspruch der Politik. Hauptauslöser für einen Wachstumsstopp und einen Kurswechsel des Verbandes aber war die Wende in der Kredit- und Zinspolitik der italienischen Notenbank ab Sommer 1981. Der ab 1974 in ganz Europa, vorab in Italien, auf Rekord­höhe gestiegenen Inflation, die bis zu 20 Prozent im Jahr erreichte, begegnete die Banca d’Italia zur Jahreswende 1980/81 mit jäher Kreditverknappung (Simonazzi 1994, 408 – 409), wie dies auch die Federal Reserve mit US-Zentralbankchef Paul Volcker vorweggenommen hatte. Die Vergabe von Darlehen wurde gestoppt, während die Kreditzinsen bis auf 25 Prozent angehoben wurden. Die Schocktherapie traf in Südtirol das Gastgewerbe, das unentwegt und massiv investiert hatte, als gäbe es kein Morgen (Huldschiner Fille 2004, 110 – 111). Im Anstieg gastgewerblicher Betten, der 1979 bis 1982 um 30.000 Einheiten zulegte (Lechner/Carlevaris 1996,1), zeigt sich die Hektik, mit der viele Gastwirte auf den Wachstumszug aufsprangen. Um 1980 stand der Tourismus vor Überkapazitäten – mit gravierenden Folgen. Denn trotz Zinserhöhung, beginnender Rezession und sinkender Erlöse liefen die Tilgungsraten bei den Banken weiter und wurden selten durch Stundungen aufgefangen. Während die Nächtigungs-Marke von 20 Millionen bis 1980 mühelos übersprungen wurde, verlief der Anstieg bis 1985 weit schleppender (Lechner/Carlevaris 1996, 1).

Da Hunderten von hoch verschuldeten Tourismusbetrieben eine Pleitewelle drohte, brachte der HGV sein politisches Gewicht ins Spiel und versuchte bei der Landespolitik Druck zu machen (Stoll 2008, 110–114). Die Ausgangslage war ungünstig, da der Ruf der Branche unter dem jüngsten „Goldrausch“ gelitten hatte. In der Öffentlichkeit überwog die Sicht, man solle den lange verwöhnten Sektor getrost sich selbst überlassen, wobei Untertöne von Gehässigkeit nicht ausblieben. Neben Heimatschützern und Umweltbewussten lehnte der soziale Flügel der SVP, die Gruppe der Arbeitnehmer, eine allfällige Rettungsaktion ab; ebenso das italienische Parteienspektrum. Auch einige Vertreter und Vertreterinnen der Verbandsspitze wollten das Überleben der betroffenen Betriebe dem Markt überantworten und der Krise ohne Hilfe der öffentlichen Hand begegnen. Seit Anfang 1981 suchte der HGV die Zahl betroffener Betriebe und das denkbare Ausmaß benötigter Hilfen zu erheben, zudem Unterstützungskriterien festzulegen. Betriebe, deren Investitionen sich auf Modernisierungsarbeiten beschränkt hatten, sollten begünstigt werden, während Neubauten keinen Anspruch auf Hilfe hatten. Im Dezember 1981 berichtete HGV-Direktor Stauder, es gebe rund 200 akut gefährdete Krisenbetriebe. Einige Dutzend seien nicht mehr zu retten, nach Abzug der nicht zur Unterstützung zugelassenen Neubauten verblieben 80 bis 100 Anspruchsberechtigte, für die eine erforderliche Hilfsquote von 400 bis 800 Milliarden Lire errechnet wurde. Der gewiss künstlich aufgeblasene, aber enorme Bedarf an Subventionen machte klar, dass allfällige Hilfsaktionen zwar symbolischen Wert, aber keine flächendeckende Zugkraft entfalten würden. So setzte der Verband auf eine Minimallösung, um der Basis ein Mindestmaß an Subventionen zukommen zu lassen und die Mitglieder zu beruhigen. Diese blickten neidvoll auf Sektoren wie die Landwirtschaft, der ihr Mentor, Assessor Luis Durnwalder, ergiebige Krisenhilfen vermittelte. Das mit 1,6 Milliarden Lire pro Jahr für einen Fünfjahreszeitraum mäßig dotierte Hilfspaket entzündete trotz bescheidenen Umfangs einen gesellschaftlichen und verbandspolitischen Streit. Die von Landesregierung und HGV eingesetzten Kommissionen, die im Vorfeld eine Auswahl unter Subventionsempfängern treffen sollten, gerieten unter enormen Druck, da sich rund 385 Interessierte meldeten, von denen aber nur knapp ein Drittel berücksichtigt wurde. Als die Landesregierung nach mühsamer Auswahl Mitte Mai 1983 entsprechende Zuweisungen beschloss, brach der Skandal los. Unter dem Titel „Die Glücklichen unter den Verschuldeten“ publizierte die Tageszeitung „Dolomiten“ am 1. Juni 1983 Name, Standort und Beitragshöhe der Begünstigten, die sich öffentlich bloßgestellt sahen. Grundsätzlich sprach zwar nichts gegen die Veröffentlichung von Beiträgen aus Steuermitteln, das Blatt ließ aber in diesem ­Falle die Diskretion fallen, die es bei anderen Sektoren walten ließ. So zeigte es genüss­lich das Foto eines Gastbetriebs in Feldthurns, der mit dem Höchstbeitrag von 49 Millionen rechnen konnte (Dolomiten 1983, 15). Da allgemein bekannt war, dass Landeshauptmann Magnago den Sommerurlaub in seinem Feldthurner Haus verbrachte, wurde ein Zusammenhang zwischen Beitragshöhe und Nähe zum Landeschef insinuiert.

Die Folge solcher Kampagnen war ein empörter Aufschrei gegen die Rettung der „unverschuldet Verschuldeten“, hinzu kam der verbandsinterne Protest vieler Gastwirte, die leer ausgingen und sich als Interessengemeinschaft zusammenschlossen. Gemeinsam zog man vor den Staatsrat in Rom, um den Beschluss anzufechten, mit der Folge, dass der HGV in einem medialen und juristischen Spießrutenlauf Substanz und Glaubwürdigkeit einbüßte. Da der Staatsrat die Auszahlung der Beiträge stoppte, kamen nur wenige Beitragsempfänger in den Genuss der Zinsbeihilfen. So half die Aktion den „unverschuldet Verschuldeten“ kaum, beschädigte aber das Image von Branche und HGV (Rohrer 2003, 206 – 207). Die Krise führte zahlreiche Betriebe in Ausgleich oder Konkurs, in eine schmerzhafte Flurbereinigung, die erst um 1985 endete. Sie förderte aber Lern-Effekte und Professionalisierung, sodass das Gastgewerbe Investitionen sorgfältiger platzierte, seine Kostenkalkulation schärfte und mehr Wert auf Ausbildung legte.

7. Erweiterung und innere Reform: Von der pressure group zur ­profession group

Auch infolge des Debakels räumte der lange vor Selbstbewusstsein strotzende HGV-Präsident Eisenkeil Ende 1983 das Feld (Stoll 2008, 123), zumal sich seine eigenen Betriebe in Schwierigkeiten befanden. Zudem war im April 1983 sein Alter Ego im HGV, Geschäftsführer Benjamin Stauder, nach langer Krankheit im Alter von nur 50 Jahren verstorben (Stoll 2008, 120f.). Der Abgang der hochaktiven wie streitbaren HGV-Doppelspitze leitete einen Kurswechsel von Konfrontation hin zu verstärkter Kooperation ein. Dafür stand der neue, am 27. Jänner 1984 gewählte Präsident ­Rudolf Hölzl, 45-jähriger Hotelier aus Schenna, der statt geräuschvollen Polterns wohlbeleibte Bonhommie verströmte (Stoll 2008, 123 – 124). An seine Seite trat als Direktor und Stauder-Nachfolger ab 1. Juni 1984 ein junger Jurist, der 29-jährige Werner Frick, hinter dessen freundlicher Jovialität größere Ambitionen unverkennbar waren (Stoll 2008, 121). Für Kontinuität sorgte Verbandssekretär Thomas Fink, der für Sachlichkeit und Ausgleich einstand, flankiert durch den 1980 eingetretenen ­Wilfried Albenberger, der seit nunmehr 42 Jahren das Ressort Personal im HGV betreut.

In der Krise der frühen 1980-er Jahre, die erst ab 1985/86 nachließ, stand Stabilität an erster Stelle der Brancheninteressen. Aus diesem Grund baute der HGV seine Dienstleistungen systematisch aus, um die Rolle des Verbands und der Einzel­unternehmen über sein Service-Angebot zu stärken: Lohnverrechnung für die Betriebe, Betreuung und Beratung bei Investitionen, Ausbau und Gesuch hatten in der Phase der Konsolidierung nach der stürmischen Wachstumsära 1965 bis 1980 Vorrang. Im Jahrzehnt der Präsidentschaft Hölzl stieg die Zahl der „Lohnkunden“, der Betriebe, die HGV-Lohnberatung in Anspruch nahmen, von 972 (1985) auf 1477 (1995), die von der Steuerabteilung Betreuten wuchsen im selben Zeitraum von 855 auf 1104 (Stoll 2008, 124–128). Solche Werte belegten die Rollenerweiterung des HGV von der pressure group zur profession group, wobei der Verband beide Auf­gaben als komplementär begriff. Das Interesse an erhöhter Professionalität für den HGV wie für die ganze Branche zeigte sich auch am frühen Einstieg in die EDV, die der HGV bereits um 1986 implementierte und den Betrieben zur Einführung empfahl. Die in Italien ab 1987 geltende Pflicht zur Einführung von Registrierkassen in Restaurant- und Barbetrieben zwecks fiskalischer Kontrolle hielt den Verband gleichfalls in Atem. Hölzl drängte mit der Verbandsspitze auf Bündelung des Angebots und systematische Vermarktung, die bisher nicht erfolgt war. Auch die Verbandsstrukturen wurden geöffnet und statt der Trennung in Kategorien erhöhte Durchlässigkeit und Partizipation aller Betriebstypen gefördert, vom Barbetreiber bis zum Hotel.

Der partizipative Hölzl-Stil löste den oft brachialen Eisenkeil-Auftritt erfolgreich ab, ohne auf politischen Druck zu verzichten. Denn in der späten Ära Magnago zwischen 1984 und 1988 war in Südtirol die Handlungs- und Gestaltungsstärke der Regierung nach dem Aufbruch der 1970-er Jahre ermattet, viele Entscheidungen wurden vertagt, was vor allem die Wirtschaft übel vermerkte. Stockende Regierungsaktivität und die Wachstumsbremse des weiter amtierenden Landesrats für Raumordnung, Alfons Benedikter, stoppten die Anforderungen eines ab 1985 stark gewandelten Tourismus. Zwar lebte er ab 1986 im Zuge des italienischen Wirtschaftsbooms der Ära von Ministerpräsident Bettino Craxi wieder auf (Lechner/Carlevaris 1996, 1), unverkennbar waren aber die wachsende Internationalisierung und Globalisierung, die nach den klassischen Destinationen Italien, Spanien und Griechenland andere Zielregionen entdeckten, auch dank stark verbilligten Flugverkehrs (Smeral 1994, 56 – 57). So wurde Südtirol zwar von Inlandsgästen bevorzugt, aber die Sorge vor Bedeutungsverlust wuchs spürbar. Zudem rückte das Thema ­„Erreichbarkeit“ auf die Agenda des HGV (Stoll 2008, 136 – 137), der sich für den Ausbau des Flughafens Bozen ebenso stark machte wie für eine Schnellstraße ­Bozen– Meran im Sinne der Hauptregion Burggrafenamt; bis zur Realisierung 1997 verging aber noch manches Jahr.

Hölzl und Vorstand drängten auf Lockerungen der Raumordnung, um den erhöhten Raum- und Komfortansprüchen der Gäste zu entsprechen. Aber die Ergebnisse blieben vorerst mager, da die zum Abgang rüstende Regierung Magnago wenig Interesse und Energie bewies und andere Prioritäten setzte. Von den ersten Vorstößen um 1986 vergingen fünf Jahre, bis der Blockadekurs um 1991 gelockert und die vom HGV geforderte „qualitative Erweiterung“ gesetzlich ermöglicht wurde (Stoll 2008, 141–149). Den neuen Erwartungen der Gäste wollte man durch erhöhte Zimmer­größen entgegen kommen, auch durch erweiterte Freizeitanlagen im Grünen wie Schwimm-, Hallenbäder oder Minigolfplätze, ergänzt um Personalzimmer und unterirdische Bauten wie Saunen und Garagen. Wichtigstes Argument für eine qualitative Expansion war der seit 1983 einsetzende Rückgang von Betten, eine Reaktion auf die um 1980 entstandenen Überkapazitäten (Lechner/Carlevaris 1996, 1). Erst gut drei Jahre nach Einsetzung der neuen Landesregierung unter Luis Durnwalder verabschiedete der Südtiroler Landtag am 23. Juni 1992 das Landesgesetz Nr. 21 zur qualitativen Erweiterung, dem am 2. September 1992 konkrete Durchführungs­bestimmungen folgten (Stoll 2008, 148). Damit gaben Landesregierung und HGV den Startschuss für eine neue Expansionsphase, die zugleich für den Wachstumskurs und Bauboom der Ära Durnwalder stand. Nun begann die Serie wieder kehrender Forderungen nach gelockerter Raumordnung, mit dem der HGV in Politik und Öffentlichkeit regelmäßig auftrat. 1992, 1997, 2007 und 2021 wurden gesetzliche Breschen in die Forderungen nach einem Wachstumsstopp geschlagen, die große Teile der Öffentlichkeit, Umwelt- und Naturschutzverbände erhoben. Trotz häufiger Kritik daran, dass Landschaft und Umwelt keine weitere Expansion mehr vertrügen, wurde die Abwehr unter Verweis auf veränderte Marktbedingungen und Zukunftsperspektiven systematisch weich geklopft.

8. Kaderstation für die Landesregierung: Die Kandidatur Frick 1988

Der Hölzl-Kurs mit dosiertem, aber ständigem Druck auf Politik und Öffentlichkeit sicherte dem HGV ab 1989 zunehmend Erfolge. Ein großer Coup war die „Opera­tion Frick“, die den jungen Geschäftsführer des Verbands, Werner Frick (* 1955), 1989 in die Landesregierung katapultierte. Bereits seine Einstellung 1984 stand im Zeichen des Aufbaus einer politischen Karriere, die schon der Jura-Student in der Jungen Generation der Südtiroler Volkspartei ab 1977 angestrebt hatte. Anfang 1988 beschloss der HGV-Vorstand, eine Kandidatur Frick zum Südtiroler Landtags im kommenden Herbst zu unterstützen (Stoll 2008, 166–170). Seine Bewerbung wurde in einem programmatischen Auftakt der HGV-Landesversammlung am 19. Jänner 1988 präsentiert, die Nominierung im Ausschuss der SVP unterstützt und sein Wahlkampf mit allen Mitteln zeitgenössischen Polit-Marketings gepusht. So wurde der HGV-Mann, von Bezirken und Mitgliedern auf den Schild gehoben, mit fulminantem Ergebnis in den Landtag gewählt. Der 33-jährige Frick stand auch für den Generationenwechsel in der Landesregierung, in der die über 70-jährigen Silvius Magnago, Anton Zelger, Alfons Benedikter und der 62-jährige Franz Spögler den Polit-Jahrgängen 1941–1955, angeführt vom neuen Landeschef Luis Durnwalder, weichen mussten. In der im März 1989 vom Landtag gewählten Landesregierung übernahm Frick die Agenden von Handel und Tourismus. Der Verband bewies damit, wie sich das Rotationsprinzip zwischen Lobby und Politik friktionsfrei und erfolg­reich gestalten ließ. Während mit Durnwalder ein Bauernvertreter wenig überraschend an die Landesspitze gelangte, war der Frick-Durchmarsch eine kleine Sensation. Nach dem Regierungswechsel wurde die Wunschliste des HGV zwar nicht zügig umgesetzt, aber Frick bewies mit schrittweisen Konzessionen Entgegenkommen in Fragen der Raumordnung und Finanzierung. Anders als der Landeshauptmann landete Frick kaum jemals große Überraschungen, galt aber als ein Meister der Kompromisse und juristischen Winkelzüge, mit denen Anliegen des Vereins aufgenommen wurden.

Seine Nachfolge übernahm im Juni 1989 wieder ein aussichtsreicher Nachwuchsmann: Der 29-jährige Neo-Direktor Christoph Engl hob sich durch Dynamik und Visionsstärke vom taktierenden Auftritt Fricks ab (Stoll 2008, 170).

9. Meister-Jahre des HGV. Zum Charakter einer prägenden ­Präsidentschaft

HGV-Präsident Hölzl sah mit der erfolgreichen Professionalisierung des Verbands, erhöhter Durchsetzungskraft und realisierten Desideraten wie der raumordnerischen Lockerung 1993 seine Mission erfüllt. Nach knapp zehn Jahren wollte er sich wieder Betrieb und Privatleben widmen, sodass er nach Ablauf seines Mandats nicht mehr kandidierte. Sein Nachfolger wurde 1993 der 40-jährige Walter Meister, Eigentümer des Hotels „Irma“ in Meran/Obermais, der im HGV-Vorstand seit 1985 aktiv war (Stoll 2008, 171 – 172). Meister stammte wie seine Vorgänger aus dem Burggrafenamt, das als touristisch stärkster und traditionsreichster Bezirk eine ­natürliche Anwartschaft auf die HGV-Spitze hatte, auch als Gegengewicht zur Position des Pustertals, die Durnwalder repräsentierte. Zudem setzte der HGV bei den Landtagswahlen im Herbst 1993 erfolgreich auf Hans Berger, Hotelier in Rein/Taufers und Vizeobmann des Verbands (Stoll 2008, 202–206). Die Pusterer Achse im Landtag war damit so stark, dass im Gegenzug die Wahl eines Meraners zum HGV-Präsidenten unumgänglich war. Der Neue wirkte wie eine gelungene Fusion von Eisen­keil und Hölzl: Hünenhaft groß, lautstark im Auftritt, aber von differenzierter Argumentation und trotz Gepolters teamfähig, sensibel und beliebt. Meisters 20-jähriger Verbleib an der Verbandsspitze war nur möglich dank des Einsatzes, der Führungsqualität und taktischen Klugheit seiner Frau Ilse Kessler, die Betrieb und Familie zusammenhielt und das Temperament ihres Mannes dämpfte.

Die Meister-Regie war in 20 Jahren erfolgreich, aber auch von einigen Nieder­lagen gesäumt. Ein Sieg war die Abschaffung der Aufenthaltssteuer, die als langfristige Forderung 1995 durchgesetzt wurde (Stoll 2008, 156–163). Südtirol folgte damit einer staatlichen Vorgabe, wonach die Steuer Anfang 1989 fiel. Grundsätzlich wünschte der Verband eine Tourismusabgabe wie in österreichischen Bundesländern, wo auch andere Kategorien für die Finanzierung aufkamen. Aber in Südtirol bockten andere Sektoren, sodass der Plan einer Tourismusabgabe 1995 fallen gelassen wurde. Vorerst wurden die Tourismusorganisationen aus Landesbeiträgen und (halb)freiwilligen Zuwendungen der Branche finanziert. Erst in der späten Ära Meister griff die Landesregierung das Thema um 2011 neu auf – mit gravierenden Folgen.

Zum Erfolg kam die Meister-Präsidentschaft bei der Lockerung der Raumordnung im touristischen Bereich, die 1997 durchgesetzt wurde. Hierzu ein kurzer Rückblick: Nach 1980 erfolgte eine Marktbereinigung, in deren Verlauf zahlreiche Betriebe schlossen, während kleinere Häuser versuchten, in eine höhere Kategorie aufzusteigen. Bald nach 1985 wuchs aber die touristische Nachfrage im Lande trotz sinkenden Bettenangebots, vor allem die Zahl italienischer Gäste nahm sprunghaft zu. Erhöhte Ansprüche an Zimmergröße, Komfort in Bädern und Ausstattung, an Hallenbädern, Freizeitanlagen und Wellness ließen Hoteliers und Gastwirte auf Erweiterung und Expansion drängen. Ein neues, 1997 im Landtag verabschiedetes Raumordnungsgesetz hielt zwar an einem Bettenstopp fest, der die Bettenzahl auf das Niveau von 1985 mit 229.088 Betten fixieren wollte. Trotz der Obergrenze drängte der HGV im Sinne der Mitglieder auf eine liberalisierte Raumordnung: Das Zauberwort lautete „qualitative und quantitative Erweiterung“, um bestehende Häuser wirkungsvoll zu vergrößern. Die Möglichkeit quantitativer Erweiterung mit Bettenausbau und starker Erhöhung des Raumvolumens eröffnete das neue Landes­gesetz zur Raumordnung 1997, das in einer eingehenden Durchführungsverordnung konkretisiert, den Startschuss für einen neuen Bauboom gab (Beschluss der Landesregierung 2007). Die Erweiterung der Bettenzahlen pro Betrieb war nach drei Gebiets­kategorien gestaffelt: Für touristisch stark entwickelte Gebiete gab es nur wenig Spielraum (9 von 116 Gemeinden), umso mehr hingegen in entwickelten (58) oder strukturschwachen (55) Gebieten; in einzelnen Gemeinden gab es nach Frak­tionen unterschiedliche Zuteilungen (ebda., Artikel 4, Anhänge A–C). Zudem ermöglichte die Formel der „Bruttogeschossfläche“ eine maximale Nutzung von Raum­volumina, der in Südtirol stets wichtigen „Kubatur“. Damit erlebte das Land ab 1998 nach bald 20 Jahren eine touristische Expansionswelle, mit Hotels, deren ausladende Dimensionen und Türmchen die neue Phase markierten (vgl. ­Demetz 2003, 36).

Die Ära Meister realisierte um 2003 wichtige Ziele des HGV: Politische Einflussmacht in Landtag und Landesregierung, raumordnerische Liberalisierung und infrastrukturelle Fortschritte: So wurde 1997 die Schnellstraße Meran-Bozen eröffnet und damit der individuellen Erreichbarkeit des Burggrafenamts und Vinschgaus ein Kanal eröffnet (Stoll 2008, 136 – 137). Nur der Ausbau des Flughafens trat auf der Stelle.

10. Politisches Powerplay des HGV

Zudem erweiterte der HGV seinen politischen Einfluss, in einer Aktion, die auch aus der Not geboren war. Bei den Landtagswahlen 1993 stellte die SVP auf Initiative des Verbands neben Landesrat Frick den Hotelier und Vizeobmann Hans Berger als weiteren Kandidaten auf (vgl. Stoll 2008, 202–206) – ein unverkennbares Signal des Misstrauens gegen den jungen Amtsinhaber, der als zögerlich und durchsetzungsschwach galt. Der HGV-Vorstand ortete vor den Wahlen eine „kritische politische Stimmung“ und gab den Kandidaten Zensuren mit auf den Weg: „Bezüglich Hans Berger wurde ein gutes Image, aber ein geringer Bekanntheitsgrad (Ausnahme Pustertal) festgestellt. Bei Kandidat und Landesrat Werner Frick wurde ein hoher Bekanntheitsgrad, aber ein schlechteres Image konstatiert.“2

Das Wahlergebnis bewies Bergers Ansehen, zugleich eine Schwächung Fricks. Der Neueinsteiger ließ am Wahlabend mit 12.851 gegen 12.561 Stimmen den Landesrat auf Anhieb hinter sich (Stoll 2008, 204). Landeshauptmann Durnwalder, SVP-Fraktion und Landtag bestätigten Frick zwar im Amt, aber mit der Präsenz Bergers im Landtag wurde ihm die Rute ins Fenster gestellt. Der Pusterer, als ­Regionalassessor für Grundbuchwesen vorerst noch auf einer Sekundärposition platziert, rückte stark auf: Sachkompetenz, Bienenfleiß und Bürgernähe erhoben den 46-jährigen zum Mann der Zukunft. Bereits beim Wahlgang 1998 ließ er Frick klar hinter sich und wurde zum Landesrat für Landwirtschaft berufen (Stoll 2008, 204). Das bedeutete für den HGV zweifachen Positionsgewinn: Frick blieb zwar Landesrat für Tourismus, wurde aber weitgehend entmachtet und ein Nachfolger positioniert. Ferner übernahm mit Berger ein HGV-Mann die Agenden der Landwirtschaft, was dem Bauernbund kaum behagte. 1998 war klar: Kaum ein anderer Verband übte so souverän Einfluss auf die Landespolitik aus, setzte sich in wichtigen Sachfragen und Personalentscheidungen derart gut durch. Obwohl Bauern und Bauernbund in der Öffentlichkeit höheren Stellenwert genossen, stand hinter dem HGV kein langfristig schrumpfender Sektor wie die Landwirtschaft, sondern eine expansive Branche mit Selbstsicherheit und Durchsetzungskraft.

Bei den Landtagswahlen 2003 versuchte der Meister-HGV einen Hattrick zu ­landen und neben dem Duo Frick-Berger auch den Vinschger Hotelier Manfred Pinzger als dritten Mann zu platzieren. Die Operation wäre fast aufgegangen, fehlten Pinzger doch nur 19 Stimmen zu einem Mandat (Stoll 2008, 205). Der Schönheitsfehler war auch deshalb peinlich, da mit der Wahl von Martina Ladurner eine bisherige HGV-Mitarbeiterin den offiziellen Kandidaten hinter sich ließ, obwohl sie der Verband nicht unterstützt hatte. Der Makel wurde rasch ausgebügelt: 2006 kandidierte Manfred „Manni“ Pinzger bei den Parlamentswahlen im sicheren SVP-Senatswahlkreis West, kam gut durch und wurde 2008 als senatore weiter bestätigt. Damit war der HGV in Bozen und Rom stark vertreten. Der entzauberte Frick verlor 2003 sein Tourismus-Ressort an Thomas Widmann, blieb aber im Besitz von Wirtschaftsressorts. Zudem hatten der Landeshauptmann und der stark gewählte Berger ein Auge auf die touristischen Agenden, sodass der Verlust von relativer Bedeutung war.

11. Konsens und Konflikt: SMG-Gründung und Tourismusabgabe

Wenn Südtirol in Sachen Tourismusvermarktung und Destinationsmanagement ab 2000 eine neue Stufe erreichte, so war dies auch das Verdienst des HGV. Die Süd­tirol-Tourismus-Werbung (STW) war in Zielsetzung und Ausrichtung zu schwer­fällig, sodass der Nachfolger Fricks im Amt des HGV-Geschäftsführers, der seit 1989 amtierende Christoph Engl, seit ca. 1995 an eine umfassende Vermarktungsstruktur dachte (Stoll 2008, 211 – 212), die nicht nur den Tourismus, sondern das „Produkt Südtirol“ (Josef Rohrer) in seiner ganzen Bandbreite von der Landwirtschaft über Handwerk und Tourismus in eine Marketing- und Destinationseinheit einbrachte. Das Konzept einer Südtirol-Marketing-Gesellschaft SMG fand die Zustimmung des Landeshauptmanns, dessen gewichtiges Wort die Bedenken des zuständigen Landesrats Frick und anderer Politiker bald überwand. Die neue SMG wurde zu Jahresbeginn 2000 operativ. Hinter der weitgehend privatisierten Gesellschaft standen als Aktionäre der HGV und andere Wirtschaftssektoren. Maßgeblich war die Unterstützung des Landes, das auch einen repräsentativen Sitz im Herzen Bozens, das Valier-Haus gegenüber dem Dom, zur Verfügung stellte, zudem eine erhebliche Jahresfinanzierung. Direktor wurde ab 1. Jänner 2001 der Vordenker des Projekts SMG, Christoph Engl, zum Präsidenten ernannte die Landesregierung den Direktor der Messe Bozen, Reinhold Marsoner, der als operativ bewährte und integrative Persönlichkeit guten Ruf genoss. Die neu aktivierte SMG zielte darauf, nicht nur einzelne Sektoren oder Aspekte Südtirols zu bewerben, sondern das Image des Landes in einem Markenbildungsprozess zu einem neuen Gesamtbild zu formen (Pechlaner 2009, 40). Dies wurde 2004 mithilfe einer deutschen Agentur umgesetzt und das Land künftig als „Genussland“ umfassend beworben, zugleich neben der Außenwirkung nach innen in Inhalt und Corporate Design ein neues Südtirolbild kommuniziert. Es sollte Unternehmer/-innen und in der Branche Tätige zur gemeinsamen Vision verbinden, um so Selbstbild und Aktivitäten erfolgreich zu bündeln. Dies gelang der SMG und damit auch indirekt dem HGV, der eine weitere Zielsetzung erfolgreich abhaken konnte

Im Unterschied zum Erfolgskapitel SMG ging der HGV, vorab Präsident Meister, ab 2010 in einen Konflikt, der sich zum Bruch zwischen Verband und Landesregierung und dem zuständigen Landesrat ausweitete. Ende 2008 war zunächst die Besetzung der Landesregierung nach Wunsch des Verbands verlaufen: Landesrat Frick, der nur teilweise die Erwartungen erfüllt hatte, war 2008 nach 20 Jahren ausgeschieden, Landesrat Widmann wechselte vom Ressort Tourismus in Mobilität und Wirtschaft, sodass der Tourismus dem wieder gut gewählten Hans Berger anvertraut wurde. Der selbstbewusst und eigenständig handelnde Berger hatte sich längst der Verbandsregie entzogen und ging an ein seit langem gehegtes Projekt, an die Einführung einer Aufenthalts- oder Tourismusabgabe. Eine Taxe erschien notwendig, da die bezirksübergreifenden und örtlichen Tourismusorganisationen seit Abschaffung der Aufenthaltsabgabe 1995 auf der prekären Grundlage freiwilliger Beiträge der Touristiker und Zuweisungen des Landes arbeiteten. Die Mittel waren stets knapp, da in touristisch schwächeren Gemeinden die Beiträge von Hotels und Pensionen oft nur spärlich flossen und die weniger frequentierten Orte damit Gefahr liefen, den Anschluss in Sachen Gästebetreuung und Werbung noch mehr zu verlieren. Zudem verknappte die Finanzkrise ab 2008 den Landeshaushalt, womit die Eigenfinanzierung durch die Branche perspektivisch neue Bedeutung gewann.

Dies bewog Landesrat Berger um 2010, das Projekt Tourismusabgabe, das sein Vorgänger Thomas Widmann ad acta gelegt hatte, ins Auge zu fassen. Die Einführung einer Taxe auf jede Übernachtung, gestaffelt nach Kategorien und Gemeinden, sollte sichere Einnahmen schaffen, nach Möglichkeit ergänzt durch die Zuweisungen anderer Wirtschaftssektoren. Ziel war Finanzierungssicherheit der Tourismusorganisationen, womöglich Erhöhung der Einnahmen und Entlastung des Landeshaushalts. Die verschiedenen Entwürfe für eine Tourismusabgabe oder „Ortstaxe“, wie sie auch genannt wurde, die im Ressort Berger entworfen wurden, lehnte der HGV ab, zumal die anderen Wirtschaftssektoren nicht mitzogen. Als Landesrat ­Berger Anfang 2012 nach langer Diskussion einen Entwurf in den Landtag brachte, war das Tischtuch zwischen HGV und Landesregierung definitiv zerschnitten, das Verhältnis zwischen Berger und Meister nachhaltig gestört (Pfeifer 2012). In der eigenen Partei und der Landtagsmehrheit brachte Berger den Entwurf nur dank der Rückendeckung des Landeshauptmanns voran, auch die Opposition hielt dagegen, bis auf die Grünen, die eine Eigenfinanzierung des Sektors wie in anderen Regionen für unerlässlich hielten. Das Landesgesetz Nr. 9 „Finanzierung im Tourismus“ wurde vom Landtag am 16. Mai 2012 verabschiedet, die Einführung der Taxe auf Anfang 2014 anberaumt. Obwohl sie nur auf Tourismusbetriebe beschränkt war, erwies sie sich bald als so solide Finanzierungsquelle, dass sämtliche Tourismusorganisa­tionen auf einer ungleich stärkeren Basis agieren konnten und ihre bis dahin oft schmalen Haushalte sprunghaft wuchsen. Und kein Gast beklagte sich darüber, dass die Ortstaxe in Höhe von 1 – 2 Euro auf den Zimmerpreis geschlagen wurde. Die beiden Kontrahenten, Hans Berger und Walter Meister, erlebten die erfolgreiche Einführung nicht mehr im Amte: Der Landesrat wechselte ab März 2013 in den römi­schen Senat, Meister verließ im Mai 2013 das Präsidentenamt und verwies beim Abgang auf eine stolze Bilanz: „Als ich angefangen habe, hatten wir 32 Mitarbeiter und einen Netto. Umsatz von sieben Milliarden Lire. Derzeit liegt der Umsatz bei 290 Millionen Euro inklusive Hogast, der Mitarbeiterstab ist auf 160 Personen angewachsen“ (Sorg 2013, 18).

Meister wandte sich aber auch gegen den bereits 2013 absehbaren Bettenboom: „Südtirol braucht aber nicht noch mehr Betten. Wir müssen die bestehende Bettenanzahl erhalten und auf ein hohes Qualitätsniveau bringen.“ (Sorg 2013, 18). Die Mahnung des Alt-Präsidenten verhallte aber ungehört.

12. Der große Erfolg des HGV: Qualifikation und dauernde Expansion

1995 war in Südtirol die Zahl gastgewerblicher und nicht gastgewerblicher Betriebe, der Betten und der Gäste nach dem Hoch um 1982 auf ein Zwischentief gesunken; die Gästezahl stagnierte: Zählte man 1981 noch 15.500 gastgewerbliche und nicht gastgewerbliche Betriebe, so sank diese Zahl bis 1995 auf 10.294, wobei die professionellen Betriebe „nur“ von 5.132 auf 4.595 fielen (Lechner/Carlevaris 1996, 1). Die Bettenzahl schrumpfte von 233.124 auf 212.960, wieder traf der Rückgang vorab den nichtgewerblichen Sektor. Die Gästepräsenz stieg von rund 20 Mio. Nächtigungen um 1980 auf nur 23.407 Mio. (1993), erst dann zog sie deutlich an und erreichte 1995 gut 26 Mio. Nächtigungen.

Die spürbare Reduktion korrigierte zwar die noch um 1980 überhitzte Expan­sion, gab aber dem HGV unter dem neuen Präsidenten Meister Grund zur Sorge, drohte doch ein Bedeutungsverlust des Sektors und ein Nachgeben angesichts drohenden Konkurrenzdrucks anderer Destinationen. Daher die Bemühungen um Aufbau neuer Marketingstrategien, zumal um neue Freiräume im Bereich touristischer Raumordnung, auf die der Meister und sein Nachfolger Pinzger setzten. In 30 Jahren, zwischen 1993 und 2023, wurde ein konstanter Expansionskurs gastgewerb­licher Betriebe beschritten. Ihre Zahl und Größe wurde, zwar stockend, aber kontinuierlich erweitert und die Öffentlichkeit, die ob des systematischen Wachstums murrte, in geschickter Weise kalmiert. Der erste Streich war die erwähnte Zulassung qualitativer Erweiterung, die 1992 bestehenden Betrieben durch die Möglichkeit zur Erweiterung und Requalifikation eingeräumt wurde. Die Hürden für neue Speise­säle, Aufenthaltsräume, Wellness- und Freizeitanlagen wurden gesenkt, um den wachsenden Komfort- und Qualitätsansprüchen entgegen zu kommen, aber auch, um das Prinzip Expansion grundsätzlich zu rehabilitieren. Dem ersten Schritt folgte im Zuge des neuen Landesgesetzes zur Raumordnung 1997 die Chance zur Errichtung neuer Hotels in sog. unterentwickelten Gebieten, die nach einer Durchführungsverordnung immerhin 55 Gemeinden, knapp die Hälfte aller Kommunen umfassten. Als dritter Streich wurden 2007 Neubau und Erweiterung von Betrieben auch in entwickelten Gebieten, sogar in Hochburgen gestattet. Voraussetzung war die Vorlage eines sogenannten „Tourismusentwicklungskonzepts“ (TEK), mit dem eine Experten-Kommission die Notwendigkeit neuer Bettenkapazitäten feststellte, worauf die Landesregierung die Bewertung mit Beschluss rechtlich sanktionierte. Für so gut wie alle Gemeinden wurde ein TEK erstellt und dieses der Landesregierung vorgelegt, die dann mit Beschluss eine stattliche Bettenanzahl festlegte. Die Gemeinden wiesen meist zügig neue Tourismuszonen aus, zumal sie sich von neuen Hotels hohe Erschließungsgebühren und Einnahmen aus der Immobiliensteuer erhofften. Bis um 2014, in den ersten sieben Jahre nach TEK-Einführung, wurde zwar die Möglichkeit Tausender Betten geschaffen, aber der reale Bettenzuwachs verlief moderat. Ab 2014 zog die Neubau-Tätigkeit beeindruckend an. In nur acht Jahren, von 2015 bis Ende 2022, stieg die Quote von 220.000 auf 239.000 Betten. Das Wachstum fiel umso mehr auf, da zur selben Zeit viele kleinere Häuser aufgaben, deren Ausfall aber der Neuzuwachs mühelos kompensierte.

Am 26. Juli 2022 wurde zwar auf gesetzlichem Wege und nach harter Diskus­sion im Landtag und unter Verbänden im Landtag ein sog. „Bettenstopp“ eingeführt, um das überschießende Wachstum zu bremsen (Landesgesetz 2022). Vorerst aber trat der gegenteilige Effekt ein: Die angekündigte Bremse erwies sich als ultimativer Wachstumsbeschleuniger. Denn bis der Stopp zu voller Wirkung gelangte, konnten erworbene Rechte und Ausnahmen geltend gemacht, Betten nachgemeldet werden (Schramm, 2022), sodass die Landesregierung für die Jahre 2023/24 mit einem Anstieg von knapp 240.000 (2022) auf 260.000 Betten rechnete (vgl. Aschbacher 2022; Varesco 2022; Schwarz 2022). Der „Stopp“ war ein Erfolg des Bauernbunds, vorab aber des HGV, der sich dank der Etikette „Bettenstopp“ zudem als Promotor der Nachhaltigkeit in Szene setzte. Ohnedies hatte der Verband im Verlauf der Pandemiejahre sein Negativimage als Verursacher von Overtourism verbessert und sich als Corona-Opfer präsentiert, um kurz darauf wieder neue Erfolge zu vermelden (Heiss 2022, 20 – 21). Wirtschaftlicher Erfolg, mediale Deutungsmacht und politische Durchsetzungsfähigkeit hoben den HGV 2023 auf den Zenit seines Erfolgs.

13. Bilanz: Mehr als ein Lobby-Verband

Der HGV ist 55 Jahre nach seiner Gründung mehr als ein simpler Interessen- und Lobbyverband. Nach außen artikuliert er die Interessen der Branche, bis hinein in die Landesregierung und den Landtag und setzt sie durch, intern schafft er Verbands­identität und tritt als Dienstleister seiner Mitglieder auf. Als Inkubator von politischem Nachwuchs beschickt der HGV Gemeinderäte, Baukommissionen und andere Gremien und sorgt für Präsenz von durchsetzungsfähigen Persönlichkeiten auf den Kandidatenlisten von römischem Parlament und Landtag. Rund 4.600 Mitglieder mit Familien sichern der schrumpfenden SVP ein starkes Stimmenpaket, umgekehrt finden eigene Persönlichkeiten und Positionen Zugang zu Politik und Verwaltung. Der HGV wirkt als politische und wirtschaftliche Lobby politisch beinahe wie eine Wellness-Abteilung der SVP, die sich in seinem Dunstkreis erneuert. In der Öffentlichkeit wird der Verband von eigenen Medien gestärkt, noch mehr von der Athesia-Presse. Das Bild von Manfred Pinzger ziert jede Woche prominent die „Dolo­miten“, die ihm mehr Raum geben als dem Landeshauptmann oder anderen Verbandschefs. Der HGV vertritt, anders als Bauernbund und Handel, eine zukunftsgewisse Branche, kaum bedroht von Ertragseinbrüchen wie die Landwirtschaft oder der von digitalen Märkten bedrängte Einzelhandel, allenfalls muss er der Konkurrenz von Airbnb begegnen. Er vermittelt mit der ungeliebten IDM, der Nachfolge­organisation der SMG, ein Image Südtirols als Land von Genuss, Vielfalt und Identitäten. Dabei entsteht ein gesellschaftliches Bild von Wohlstand und Reichtum, das mit der realen Situation Südtirols nur begrenzt im Einklang steht. Das Bild statt­licher Hotels in reizvoller Landschaft, besetzt von wohlhabenden Gästen und Inhabern schafft ein Leitbild, das soziale Differenzen im Lande und reale Probleme hoher Einkommensunterschiede übertüncht. Tourismus sichert Wertschöpfung, ist aber auch ein Promotor der „Ökonomie der Ungleichheit“ (Pallaver 2020).

Der HGV vereint wirtschaftliche Steuerung, politischen Einfluss, raumprägende Wucht und öffentliche Deutungsmacht in einer Fülle, die im regionalen Maßstab keinen Vergleich zu scheuen braucht. Nach außen beweist er hohe Durchschlagskraft, da er vielfältige politische und mediale Register zieht, und ist zudem ein gesellschaftlicher Imagebildner. Nach innen wirkt er unter den Mitgliedern dank Service und Leistungspalette als starker Faktor von Konsens und Kohäsion, wiewohl nur für die deutsche und ladinische Sprachgruppe.

Zum Ausklang: Unter dem Pseudonym „Goggel Totsch“ hat ein im Netz agierender Südtiroler Kolumnist in satirischer Vorschau auf das Jahr 2099 und eine Ära der Klimakatastrophen die ungebrochene Rolle des HGV unterstrichen:

„Erfreut zeigte man sich beim HGV-SBB aber nicht nur über die Auslastung oberhalb der Steppengrenze, sondern vor allem darüber, dass die neu geschaffenen Angebote in den Tälern positiv angenommen wurden. Seien es Kamel-Touren in die Dünen des unteren Etschtales, Übernachtungen in den Beduinenzelten des Vinschgau oder Offroad-Ausflüge in die Wadi des Pustertales“ (Goggel Totsch 2023).

Goggel Totsch hat recht: Dem HGV sind heute noch wenige Grenzen gesetzt, aber der absehbare Wandel des Tourismus im Zeichen der Erderwärmung wird auch ihn mehr fordern, als Führung und Mitglieder heute noch erahnen.

Anmerkungen

1 www.hgv.it/de/hgv/werte-mission (02.02.2023). (02.02.2023).

2 Protokoll des HGV-Vorstands, 07.09.1993, 2, zitiert nach Stoll 2008, 202.

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