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Petra Malfertheiner

Die antizyklische Kommunalwahl
in der Gemeinde Kastelruth

The anti-cyclical local election in the Municipality
of Castelrotto/Kastelruth

Abstract In March 2022, mistrust due to the pandemic governance of the mayor, Andreas Colli, and his attitude towards compulsory certificates serving as proof of vaccination or ­recovery from COVID-19, led to the resignation of all members of the municipal council of the Municipality of Castelrotto/Kastelruth. On 13 November 2022, new elections took place, in which three parties and a total of 62 candidates made up the political offer. The curious thing about the election was that the outgoing mayor, who was distrusted, formed a new list with which he competed against both lists to which he had belonged during his political career.

While its results were relatively weak compared to past results, the incumbent South Tyrolean People’s Party was able to prevail both for the mayor‘s office and in the municipal council, where it now holds 10 of the total 18 seats. While Cristina Pallanch Malfertheiner is the first female mayor of the Municipality of Castelrotto/Kastelruth, women as well as the Ladin-­speaking minority are clearly underrepresented in the municipal council, while Italian-speakers are not represented at all.

1. Entwicklungsverlauf

Die Coronapandemie hat weltweit nicht nur gesundheitliche und gesundheitspolitische Auswirkungen mit sich gebracht, sondern Regierungen und Parlamente auch vor politische und rechtliche Herausforderungen unerwarteten Ausmaßes gestellt und sie zu Maßnahmen veranlasst, die von der Bevölkerung unterschiedlich bewertet und mitgetragen wurden. Besonders in der Anfangsphase war in Italien ein zentralisiertes Pandemiemanagement dominierend, bei dem wenig Raum für Nuancierung in den einzelnen Regionen und Kommunen möglich war. In hoher Frequenz wurden vom Präsidenten des Ministerrates Verordnungen, so genannte D.P.C.M., und Gesetzesdekrete ad hoc erlassen, die das Land sicher durch die Gesundheits­krise steuern sollten. Genau ein derartiges Gesetzesdekret löste in der Gemeinde Kastelruth eine Regierungskrise aus, die Neuwahlen unausweichlich machte und schließlich den amtierenden Bürgermeister Andreas Colli aus dem Amt hob.

Mit Gesetzesdekret Nr. 1 zu den dringenden Maßnahmen zur Bekämpfung des COVID-19-Notstands, insbesondere an Arbeitsplätzen, Schulen und Hochschulen, das am 7. Jänner 2022 im Gesetzesanzeiger (Gazzetta Ufficiale Serie Generale, n. 4) (vgl. Italia. Il Presidente della Repubblica 2022a) veröffentlicht wurde, wurde ab dem 15. Februar 2022 für Personen über 50 Jahren die 2G-Regel am Arbeitsplatz verpflichtend. Das heißt, dass Personen über 50 auf Nachfrage von zur Kontrolle Befugten ihren Impfstatus bzw. ihre Genesungsbescheinigung nachweisen mussten oder im gegenteiligen Fall nicht arbeiten durften.

Mit Verweis auf die Europäische Datenschutzgrundverordnung DSGVO 2016/679 und darauf, dass ihm selbst in seiner Funktion als Bürgermeister die Kontrolle des Impf- bzw. des Genesungsstatus obliege, weigerte sich der 57-jährige Andreas Colli die sensiblen Daten zu seinem Impf- bzw. Genesungsstatus gegenüber dem Frak­tions­sprecher der Südtiroler Volkspartei, für welche Andreas Colli im Herbst 2020 die Kommunalwahl angeführt hatte, bekanntzugeben. Diese gesetzliche Grauzone, in der nicht klar war, wer in diesem Fall kontrollbefugt sei und ob Beschlüsse des Gemeinderates rechtsgültig seien, wenn sich herausstellen würde, dass Sitzungsteilnehmende aufgrund der geltenden Pandemiebestimmungen nicht teilnahmeberechtigt gewesen wären (Senoner 2022, 15), veranlasste die Mehrheitspartei SVP dazu, eine Woche nach der ersten Gemeinderatssitzung des Kalenderjahres, die am 10. März 2022 stattgefunden hatte und der der Bürgermeister beigewohnt hatte, am 17. März 2022 zurückzutreten. Diesem Rücktritt schloss sich die zweite im Gemeinderat vertretene Fraktion, die Freie Liste | Lista Civica | Lista Liedia, an. Über die Gründe des geschlossenen Rücktritts aller Ratsmitglieder mit Ausnahme des Bürgermeisters wurden medial viele Vermutungen angestellt. Nicht zuletzt die impf­kritischen Äußerungen Collis auf Facebook sollen zu einem Vertrauensbruch innerhalb der SVP geführt haben (vgl. Rai News 2022a).

Art. 193 des Kodex der örtlichen Körperschaften der Autonomen Region Trentino-­Südtirol sieht in der geltenden Fassung1 vor, dass der Gemeinderat bei einem Rücktritt der Mehrheit der zugewiesenen Ratsmitglieder aufgelöst wird, wenn sie ihren Rücktritt zusammen einreichen oder durch getrennte, jedoch beim Protokoll der Körperschaft gleichzeitig abgegebene Akte erklären. Dementsprechend hat die Südtiroler Landesregierung am 22. März 2022 Andreas Fraccaro, ehemaliger Gemeinde­sekretär der Gemeinde Sarntal und Stellvertreter des Bürgermeisters der Gemeinde Ritten, zum Kommissär ernannt, welcher die Befugnisse des Bürgermeisters, des Gemeindeausschusses und des Gemeinderats bis zu den Neuwahlen am 13. November desselben Jahres ausgeübt hat (vgl. Gemeindezeitung Kastelruth 2022a). Paradoxerweise wurde zwei Tage nach Amtsantritt durch den kommissarischen Verwalter der Gemeinde Kastelruth im Gesetzesdekret Nr. 24 vom 24. März 2022 (Gazzetta Ufficiale Serie Generale, n. 70) die Aufhebung des Ausnahmezustandes mit 31. März 2022 bekanntgegeben und die 3G-Regel (getestet, geimpft, genesen) für Personen über 50 Jahren am Arbeitsplatz, die ab 25. März 2022 galt, eingeführt (vgl. Italia. Il Presidente della Repubblica 2022b; Ministero della Salute 2022).

2. Politisches Angebot

Am 13. November 2022 fand schließlich die antizyklische Kommunalwahl in Kastelruth statt, bei der der Gemeinderat sowie der Bürgermeister/die Bürgermeisterin für die verbleibende Legislaturperiode ermittelt werden sollte. Neben der Südtiroler Volkspartei, die seit 1946 den Bürgermeister und die absolute Mehrheit der Ratsmitglieder stellte und 2022 mit Cristina Pallanch Malfertheiner als Spitzenkandidatin ins Rennen ging, traten die bereits im Gemeinderat vertretene Freie Liste | Lista ­Civica | Lista Liedia sowie die neu gegründete Bürgerliste Mir Bürger mit Andreas Colli als Kandidaten für das Bürgermeisteramt an. Obwohl bereits öfters drei Listen angetreten waren,2, war das politische Angebot der sich zur Wahl stellenden Personen noch nie so groß. Insgesamt stellten sich 62 Kandidatinnen und Kandidaten der Wahl, was bei 18 im Gemeinderat verfügbaren Sitzen 3,44 kandidierende Personen pro Sitz ausmacht. 27 Kandidatinnen und Kandidaten stellten sich auf der Liste Mir Bürger der Wahl, die SVP trat mit 25 Personen an, während die Freie Liste | Lista Civica | Lista Liedia mit zehn Kandidatinnen und Kandidaten ins Rennen ging. Das Altersspektrum reichte von 20 bis 79 Jahren. Sowohl die Freie Liste | Lista Civica | Lista Liedia als auch die Liste Mir Bürger stellten mit respektive 6 von 10 (60 Prozent) bzw. 15 von 27 (55,56 Prozent) mehr Kandidatinnen als Kandidaten auf, während der Frauenanteil auf der Liste der Südtiroler Volkspartei mit 7 Kandidatinnen 28 Prozent betrug. Insgesamt gerechnet waren die weiblichen Kandidatinnen mit 45,16 Prozent unterrepräsentiert.

Der sprachlichen Diversität der Gemeinde Kastelruth sind die Listen nur teilweise gerecht geworden. Während sich die Bevölkerung laut den Daten der Volkszählung 2011 aus 80,94 Prozent Deutschsprachigen, 15,37 Prozent Ladinischsprachigen und 3,69 Prozent Italienischsprachigen zusammensetzt (vgl. ASTAT – Landesinstitut für Statistik 2011), waren auf der Liste der Südtiroler Volkspartei die ladinische Sprachgruppe mit fünf Kandidatinnen und Kandidaten (20 Prozent) und die italienische Sprachgruppe mit einem Kandidaten (vier Prozent) vertreten. Im Aufgebot der Liste Mir Bürger war jeweils ein ladinischsprachiger Kandidat (3,7 Prozent) und eine italienischsprachige Kandidatin (3,7 Prozent). Die Freie Liste | Lista Civica | Lista Liedia trat hingegen mit einer ladinischsprachigen Kandidatin (zehn Prozent) an, allerdings ohne Vertretung der italienischen Sprachgruppe (0 Prozent). Insgesamt betrug der Anteil der ladinischen Sprachgruppe 11,29 Prozent, jener der ita­lie­nischen Sprachgruppe 1,61 Prozent. Trotz der Präsenz der drei Sprachgruppen waren die Printwerbungen der drei Listen mit Ausnahme von wenigen Sätzen in ladinischer Sprache auf dem Flyer der Freien Liste | Lista Civica | Lista Liedia ausschließlich auf Deutsch verfasst. Der Social Media-Auftritt der Liste Mir Bürger auf Facebook und Instagram wurde vorwiegend zweisprachig auf Deutsch und Italienisch gestaltet.

Thematisch gab es mehrere Überlappungen zwischen den Wahlprogrammen der Listen. Die größte gemeinsame Schnittstelle, wenngleich in unterschiedlicher Ausprägung, gab es in der von Wasserknappheit einerseits und Überschwemmungen andererseits sowie einer Borkenkäferplage geprägten Gemeinde im Bereich des Umweltschutzes, der Nachhaltigkeit, der erneuerbaren Energien und des Klimaschutzes. Weitere Themen, die den kurzen, verhaltenen Wahlkampf prägten, waren das leistbare Wohnen, Transparenz und Bürgernähe in der Kommunalpolitik sowie die Regulierung der Mobilität und des Tourismus. Während sich die Südtiroler Volkspartei in der Gemeinde Kastelruth als wirtschafts- und handwerksorientierte Partei der Mitte mit sozialen Anliegen einordnen lässt, tritt die Freie Liste | Lista Civica | Lista Liedia für ökosoziale Interessen ein, die klassischerweise dem Mitte-Links-Lager zuzuordnen sind. Die Liste Mir Bürger hingegen trat als heterogene Gruppe auf, die nicht unbedingt die Coronapolitik in den Mittelpunkt stellte, die im Wahlkampf eine vernachlässigbare Rolle spielte, sondern deren zentrales verbindendes Element war der Drang nach politischem Pluralismus und nach der Reduzierung der SVP-Mehrheit im Gemeinderat. Mehrere Kandidaten und Kandidatinnen der Liste Mir Bürger waren ehemalige SVP-Mitglieder und haben bei vergangenen Wahlen für die Süd­tiroler Volkspartei kandidiert bzw. saßen als SVP-Ratsmitglieder im Gemeinderat. Ideologisch ist die Liste in der Parteienlandschaft schwer einzuordnen. In diesem Sinne ähnelt die Liste der 5-Sterne-Bewegung in ihren Anfangsjahren sowie der Landesbewegung Freie Wähler Bayern, die damit wirbt, pragmatische Politik jenseits von Parteiideologien zu betreiben (vgl. Freie Wähler 2022), und der die Liste Mir Bürger inhaltlich nahesteht.3 Die Wahlkampagne der Liste Mir Bürger wurde von der Absenz ihres Spitzenkandidaten Andreas Colli geprägt, der sich während des gesamten Wahlkampfes bis einschließlich nach der Kommunalwahl beruflich im Ausland befand und weder für Wahlkampfveranstaltungen noch für Interviews zur Verfügung stand. Die Südtiroler Volkspartei und die Freie Liste | Lista Civica | Lista Liedia haben auf Diskussionsabende mit Bürgerinnen und Bürgern in mehreren Fraktionen der Gemeinde gesetzt. Abgesehen davon fanden die Vorstellungen der Kandidatinnen und Kandidaten sowie die Wahlwerbung aller drei Listen vorwiegend auf den Social Media-Plattformen Facebook und Instagram sowie mittels klassischer Printbroschüren statt.

Kurioserweise ist die über 30 Jahre andauernde kommunalpolitische Biografie von Andreas Colli von allen drei im Angebot stehenden Listen geprägt. In den drei Legislaturperioden zwischen 1995 und 2005 war er als Vertreter der Freien Liste Kastelruth in der Opposition im Gemeinderat, ehe er 2005 als unabhängiges Mitglied auf der Liste der Südtiroler Volkspartei kandidierte und schließlich fünf Jahre als Gemeindereferent für öffentliche Arbeiten, Lizenzwesen und Polizei unter Bürgermeister Hartmann Reichhalter (SVP) tätig war. 2010 trat er selbst als SVP-Bürgermeisterkandidat gegen Hartmann Reichhalter (ebenfalls SVP) und Christoph Senoner (Freie Liste Kastelruth) an und konnte mit 49,4 Prozent der Stimmen die Wahl für sich gewinnen. Diesen Zuspruch konnte er 2015 als Bürgermeister der Südtiroler Volkspartei mit 85,4 Prozent der Stimmen gegen den zweiten SVP-Bürgermeisterkandidaten Stefan Perathoner weiter ausbauen. Nachdem er bei den Landtagswahlen mit 5.298 Vorzugsstimmen als 18. und damit dritter Nichtgewählter der SVP-Liste den Einzug in den Südtiroler Landtag verpasste (vgl. Südtiroler Volkspartei 2018), gewann Colli die Bürgermeisterwahl 2020 mit 71,8 Prozent der Stimmen gegen den Kandidaten der Freien Liste | Lista Civica | Lista Liedia Christoph Senoner, der auch bei den Neuwahlen 2022 wieder antrat (vgl. Civis.bz.it Das neue Südtiroler Bürgernetz 2022).

3. Wahlergebnis

Die Bürgermeisterkandidatin der Südtiroler Volkspartei, Cristina Pallanch Malfer­theiner, konnte sich mit 45,53 Prozent4 der Stimmen gegen ihre Kontrahenten Andreas Colli von der Liste Mir Bürger (34,87 Prozent) sowie Christoph Senoner von der Freien Liste | Lista Civica | Lista Liedia (19,6 Prozent) durchsetzen und ging aus der Kommunalwahl als Wahlsiegerin hervor. Somit ist sie nach sieben männlichen Bürgermeistern in der Nachkriegszeit die erste Bürgermeisterin der Gemeinde Kastelruth (vgl. Nössing 1983). Ihre beiden Kontrahenten, Colli und Senoner, wurden als Mitglieder in den Gemeinderat gewählt.

Tab. 1: Stimmen für das Amt der Bürgermeisterin/des Bürgermeisters

Liste

Anzahl der Stimmen

Prozente

Freie Liste – Christoph Senoner

680

19,591 %

Südtiroler Volkspartei –
Cristina Pallanch Malfertheiner

1.581

45,549 %

Mir Bürger – Andreas Colli

1.210

34,86 %

Quelle: Gemeindezeitung Kastelruth (2022b)

Mit 54,95 Prozent der Stimmen konnte sich auch die von Pallanch Malfertheiner angeführte Südtiroler Volkspartei als stärkste Liste durchsetzen, wenngleich mit dem schwächsten Ergebnis auf Gemeindeebene seit ihrem Bestehen. Die SVP, die bisher in allen Legislaturen über eine deutliche Mehrheit der Mandate verfügte, konnte zehn der 18 Sitze, davon ein Restmandat, für sich gewinnen. Dies bedeutete einen Verlust von fünf Sitzen zu Gunsten der neu gegründeten Liste Mir Bürger.

Das Inkognito blieb bis zur Auszählung der Stimmen die Liste Mir Bürger, die ohne Wahlveranstaltung und trotz der Abwesenheit ihres Spitzenkandidaten während des gesamten Wahlkampfes auf Anhieb 25,55 Prozent der Stimmen für den Gemeinderat gewinnen konnte. Damit wurden der Liste fünf Mandate, davon ein Restmandat, zugewiesen.

Als dritte Gruppierung konnte die Freie Liste | Lista Civica | Lista Liedia jene drei Sitze, die sie bereits innehatte, bestätigen.

Für die SVP war das Wahlergebnis eine relative Niederlage. Durch die absolute, wenngleich knappe Mehrheit hat die SVP ihr relativ bescheiden gestecktes Wahlziel erreicht und konnte damit auch die erste Koalitionsregierung in der Gemeinde Kastelruth verhindern. Diese Option wurde von der neu gewählten Bürgermeisterin am Morgen nach der Wahl kategorisch ausgeschlossen (vgl. Rai News 2022b). In einer der insgesamt sechs Wahlsektionen, Sektion 3, die mehrere Fraktionen, u. a. auch die Seiser Alm umfasst, konnte Colli sogar mehr Stimmen erzielen als die Gesamtsiegerin Pallanch Malfertheiner.

Die Zersplitterung der Stimmen auf die drei Listen lassen sich durch die wachsende Fragilität der Mehrheitspartei sowie das breitere politische Angebot erklären (vgl. Atz/Pallaver 2016). Obschon sich landespolitische Geschehnisse auf kommunale Wahlergebnisse generell nur begrenzt auswirken, waren die SVP-internen Querelen infolge der wenige Monate zurückliegenden Veröffentlichung des Buches „Freunde im Edelweiß“ (vgl. Franceschini/Oberhofer 2022) und der Abhörprotokolle dem Image der Südtiroler Volkspartei als vertrauensstiftende Konstante wohl auch auf Kommunalebene nicht förderlich.

Generell erfreuen sich Personenlisten großer Beliebtheit (vgl. Atz/Pallaver 2016). Im Falle der Liste Mir Bürger kommt hinzu, dass es sich bei Andreas Colli um einen auch in den vergangenen Legislaturperioden besonders beliebten Spitzenkandidaten handelte, der jahrzehntelange Erfahrung mitbrachte. Diese Beliebtheit lässt sich auch aus dem beachtlichen Wahlergebnis ablesen, das er ohne jeglichen Wahlkampf und in Abwesenheit erreichen konnte. Der Amtsinhaberbonus wurde somit zwar zwischen der amtierenden Partei der SVP und dem amtierenden Bürgermeister aufgeteilt, wobei letzterer eher davon profitierte.

Während mit Cristina Pallanch Malfertheiner zum ersten Mal eine Frau zur Bürgermeisterin der Gemeinde Kastelruth gewählt wurde, wurden aus der Liste der SVP nur zwei weitere Frauen (von insgesamt zehn Gewählten) gewählt. Die fünf Sitze der Liste Mir Bürger wurden auf vier Männer und eine Frau5 aufgeteilt, während alle drei Mandate der Freien Liste | Lista Civica | Lista Liedia männlichen Kandidaten zugewiesen wurden. Die insgesamt vier im Gemeinderat vertretenen Frauen (drei SVP, eine Mir Bürger) machen einen Anteil von lediglich 22,22 Prozent aus.

Auch was die Sprachgruppen betrifft, spiegelt die Zusammensetzung des Gemeinderates nicht die Realität der Bevölkerung der Gemeinde wider. Keine bzw. keiner der insgesamt zwei italienischsprachigen Kandidierenden (SVP und Mir Bürger) wurde gewählt. Von den insgesamt sieben ladinischsprachigen Kandidierenden haben es nur zwei (beide SVP) in den Gemeinderat geschafft, was einem Anteil von 11,11 Prozent entspricht und somit leicht unter dem Anteil der ladinischsprachigen Bevölkerung in der Gemeinde Kastelruth von 15,37 Prozent liegt.

Bei der Kommunalwahl in Kastelruth konnte man auch den generellen Rückwärtstrend bei der Wahlbeteiligung (vgl. Atz/Pallaver 2016) beobachten. Während die Beteiligung bei 67,83 Prozent lag und somit leicht unter jener im Jahr 2020 war (69,4 Prozent) (vgl. Gemeindewahlen 2020 – Südtirol 2020), fällt beim Vergleich zwischen den Fraktionen eine besonders niedrige Beteiligung in der Wahlsektion 6 ins Auge, also jener der drei ladinischen Fraktionen Pufels, Runggaditsch und Überwasser, in denen auch der vergleichsweise größte Teil an italienischsprachigen Bürgerinnen und Bürgern wohnt. Dort haben nur auffallend wenige 59,6 Prozent der Wahlberechtigten von ihrem Recht Gebrauch gemacht.

Tab. 3: Wahlbeteiligung nach Wahlsektionen

Sektion

Männer

Frauen

Totale

1

69,66

66,67

68,09

2

67,82

64,96

66,36

3

78,05

75,58

76,89

4

65,29

69,09

67,18

5

70,00

70,81

70,39

6

60,49

58,46

59,50

Totale

68,40

67,26

67,83

Quelle: Gemeindezeitung Kastelruth (2022b)

Die Gründe hierfür können vielfältig sein. Zum einen waren die sieben ladinischsprachigen bzw. die zwei italienischsprachigen Kandidatinnen und Kandidaten im politischen Angebot von insgesamt 62 Kandidatinnen und Kandidaten (11,29 bzw. 3,23 Prozent) im Vergleich zu ihrem Anteil in der Bevölkerung (15,37 bzw. 3,69 Prozent) etwas unterrepräsentiert. Zum anderen gab es von Seiten der drei im Angebot stehenden Listen kaum Informationsmaterial zur Wahl in ladinischer bzw. ita­lie­nischer Sprache, was sich für die Mitglieder dieser Sprachgruppen als sprachliches Hindernis herausstellte. Gleichzeitig fühlen sich Wählerinnen und Wähler entmutigt zur Wahl zu gehen und somit die Politiken der Gemeinde Kastelruth zu gestalten, wenn sie von den Listen bzw. den Kandidatinnen und Kandidaten in deren Programmen nicht mitgedacht und angesprochen werden. Eine Nebenursache für die geringe Wahlbeteiligung liegt vermutlich darin, dass die Kommunalwahl nicht parallel zu jener in der eng mit den ladinischen Fraktionen verbundenen Gemeinde St. Ulrich stattfand.6 Dadurch blieb die generelle Information sowie die Diskussion über die stattfindende Wahl aus.

4. Fazit

Die außerplanmäßige Kommunalwahl in der Gemeinde Kastelruth erwies sich als Lackmustest für die Jahrzehnte lang dominierende Südtiroler Volkspartei. Zum ­ersten Mal bestand für die SVP das konkrete Risiko, die absolute Mehrheit in der Gemeinde Kastelruth zu verlieren und dadurch gezwungen zu sein, eine Koalition mit einem Juniorpartner einzugehen. Angesichts der parteiinternen Skandale auf Landesebene (vgl. Franceschini/Oberhofer 2022), die während des Wahlkampfes einen langen Schatten auf die Traditionspartei warfen, hätte man vermuten können, dass diese auch im Wahlkampf eine gewisse Rolle spielen und den Diskurs prägen hätten können. Davor blieb die SVP in der Gemeinde Kastelruth aber weitestgehend verschont. Vielmehr war der Faktor Colli (vgl. Werth 2022) im Wahlkampf allgegenwärtig, während Colli selbst mit dem Geheimnis um seine Abwesenheit spielte und dadurch doch wieder von sich reden machte. Darüber, welches Ergebnis er erzielt hätte, wenn er anwesend gewesen wäre und die Liste Mir Bürger eine präsente Wahlkampagne rund um seine Person samt Informationsabenden gemacht hätte, können nur Vermutungen angestellt werden. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass das Ergebnis für die SVP knapper ausgefallen und somit ihre Mehrheit zum ersten Mal in der Geschichte gekippt worden wäre. Bei diesen spürbaren Spannungen zwischen dem Spitzenkandidaten der Liste Mir Bürger und der SVP und der medial insze­nierten Bipolarität zwischen diesen beiden Listen ist es hingegen verwunderlich, dass sich die dritte Liste im Angebot, Freie Liste | Lista Civica | Lista Liedia, nicht als ernstzunehmende Alternative präsentieren konnte. Zwar ist das Ergebnis beachtenswert, doch hätte sich die ökosoziale Liste deutlicher als Option darstellen können.

Mit Ausnahme der SVP, die ihrem Parteistatut gemäß neben der deutschen auch die ladinische Sprachgruppe stark vertreten hat und auch mit einem italienischsprachigen Kandidaten ins Rennen ging, haben es die Listen versäumt, ihr Angebot auf Wählerinnen und Wähler nichtdeutscher Muttersprache auszuweiten, es ihnen mit gezielten Kampagnen vorzustellen und diese Gruppe als Akteurinnen und Akteure in ihre Politik zu involvieren. Vor allem bei der Freien Liste | Lista Civica | Lista Liedia hätte es durchaus Raum für in sich diversere Profile gegeben.

Bis zur nächsten Kommunalwahl dauert es nur etwas mehr als zwei Jahre. Bis dahin hat die Bürgermeisterin Pallanch Malfertheiner die Möglichkeit, in das ihr anvertrautes Amt als Vorsteherin der Gemeinde hineinzuwachsen. In dieser Zeit wird sich herausstellen, ob sich die Südtiroler Volkspartei rund um die Bürgermeisterin thematisch neu orientiert, inwiefern sich die Liste Mir Bürger, die bisher deutliche Züge einer Personenliste aufweist, im Schatten ihres Spitzenkandidaten profilieren kann, und ob es der Freien Liste | Lista Civica | Lista Liedia gelingt, sich mit einem breiteren Kandidatinnen- und Kandidatenspektrum gesellschaftlich umfassender zu positionieren.

Tab. 2: Listenstimmen

Liste

Anzahl der ­Listenstimmen

Prozente

Zugewiesene
Sitze

Freie Liste

683

19,497 %

3

Südtiroler Volkspartei

1.953

54,953 %

10

Mir Bürger

895

25,55 %

5

Quelle: Gemeinde Kastelruth (2022)

Anmerkungen

1 Diese Ziffer wurde durch das Regionalgesetz vom 1. August 2019, Nr. 3 geändert.

2 In den Jahren 2000 und 2005 trat neben der Südtiroler Volkspartei und der Freien Liste Kastelruth auch die SVP „Ladinische Fraktionen“ an. Der Gedanke hinter des kleinen SVP-Ablegers war es, die Stimmen der ladinischsprachigen Wählerinnen und Wähler zu akkumulieren. In beiden Wahlen konnte die SVP „Ladinische Fraktionen“ zwei von damals 20 Sitzen gewinnen. Bei der Kommunalwahl im Jahr 2010 stand den Wählerinnen und Wählern neben der SVP und der Freien Liste Kastelruth auch die Freiheitlichen zur Auswahl. Sowohl 2015 als auch 2020 war das Parteienspektrum mit jeweils zwei vertretenen Parteien (2015: SVP, Freiheitliche, 2020: SVP, Freie Liste) kleiner.

3 Einer der Namensvorschläge für die Liste Mir Bürger soll laut Medien ursprünglich Freie Wähler gewesen sein. Diese Idee soll jedoch aufgrund der Namensähnlichkeit zur bereits in der kommunalen Parteienlandschaft etablierten Freien Liste | Lista Civica | Lista Liedia wieder verworfen worden sein. (Vgl. Vikoler 2022) Von Seiten der Liste gab es hierzu keine Bestätigung.

4 Dies ist der niedrigste Prozentsatz, mit der ein Kandidat bzw. eine Kandidatin bisher zum Bürgermeister bzw. zur Bürgermeisterin der Gemeinde Kastelruth gewählt wurde.

5 Die an fünfter Stelle gewählte Kandidatin der Liste Mir Bürger, Karin Kanestrin, nahm ihr Amt bereits vor der konstituierenden Ratssitzung, die am 30. November 2022 stattfand, nicht an. Somit rückte die sechstgereihte Kandidatin, Ulrike Aichner, für sie nach.

6 Die drei ladinischen Fraktionen der Gemeinde Kastelruth sind traditionell stark mit der Gemeinde St. Ulrich verbunden. Dies liegt unter anderem an der geographischen Nähe, der gemeinsamen Sprache und Kultur sowie an den Schulen sowie Kultur- und Sporteinrichtungen in der Gemeinde St. Ulrich, die auch von ladinischsprachigen Bürgerinnen und Bürgern der Gemeinde Kastelruth besucht werden.

Literaturverzeichnis

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Atz, Hermann/Pallaver, Günther (2016), Kommunalwahlen in Südtirol: Parteienverdrossenheit und Zunahme des Wettbewerbs, in: Engl, Alice/Pallaver, Günther/Alber, Elisabeth (Hg.), Politika 16: Süd­tiroler Jahrbuch für Politik, Bozen: Raetia, 89-112

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Civis.bz.it Das neue Südtiroler Bürgernetz (2022), Wahlen, https://civis.bz.it/de/themen/wahlen.html (12.12.2022)

Franceschini, Christoph/Oberhofer, Artur (2022), Freunde im Edelweiß. Ein Sittenbild der Südtiroler ­Politik, Bozen: Arob

Freie Wähler Landtagsfraktion (2022), Über uns, https://fw-landtag.de/ueber-uns (12.12.2022)

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