Günther Pallaver
Vom innenpolitischen Parteienkonsens zum rechtspopulistischen Export
Grundeinstellung und Südtirol-Engagement der FPÖ
From internal political party consensus to right-wing populist export:
The FPÖ’s fundamental position and South Tyrol engagement
Abstract The Austrian Freedom Party (FPÖ) has stopped supporting the common policy on the South Tyrol issue, a position held by all parties represented in the Austrian Parliament since 1969 when the South Tyrol package was adopted. The FPÖ has voted against the package and against the operation calendar (1969) as well as against dispute resolution before the UN (1991). The FPÖ demands that South Tyrol be returned to Austria. The South Tyrolean minority question and the demand for self-determination are being dealt with under German nationalistic aspects. The FPÖ were involved in South Tyrol terrorism that occurred the 1960s, having acted together with extreme right-wing organisations and accepting fatalities that occurred during attacks. Since the 1980s, the FPÖ has successfully tried to bundle the German national forces in South Tyrol organizationally; they were the godfather of the founding of the Freedom Party of South Tyrol in 1992. The influence of the FPÖ on the ideological orientation of the South Tyrolean Freedom Party is clearly expressed in its programmatic contents and political slogans. Both parties are also connected with each other organizationally.
1. Südtirol als Herzensangelegenheit1
Südtirol ist für Österreichs Parteien, in erster Linie für die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ), nach wie vor eine „Herzensangelegenheit“ (FPÖ 2016). Die FPÖ wird allgemein als eine rechtspopulistische Partei angesehen mit Traditionssträngen in die Zeit des Nationalsozialismus (Pelinka 2002). Trotz mehrmaliger Regierungsverantwortung der Freiheitlichen gibt es auch heute noch eine lange Liste von „Einzelfällen“ von FPÖ-Exponenten, die belegen, dass in ihren Reihen auch rechtsextremes Gedankengut zu Hause ist (Der Standard 2019).
Südtirol als „Herzensangelegenheit“ österreichischer Parteien. Dabei nahm Südtirol mit dem Ende der Habsburger Monarchie noch keine Sonderstellung ein. Denn Österreichs Selbstverständnis den deutschen Minderheiten gegenüber, die sich mit dem Friedensvertrag von St. Germain außerhalb der Staatsgrenzen befanden, erfolgte bruchlos, weil sich die österreichische Republik als deutscher Staat verstand (Thaler 2015, 216).
Der Anspruch auf diese Bevölkerungsgruppen außerhalb des Staatsgebietes der neuen Republik konnte gegenüber den Siegermächten aber nicht durchgesetzt werden. Der Friedensvertrag von St. Germain 1919 sanktionierte definitiv die Grenzen Österreichs, wie sie sich heute noch präsentieren. Dessen ungeachtet fanden dadurch die gegenseitigen Beziehungen kein Ende, die Republik betrachtete sich als natürliche Schutzmacht für diese Minderheiten und eiferte in dieser Hinsicht mit dem Deutschen Reich (ebda).
Allerdings agierte Österreich in seiner Politik diesen Minderheiten gegenüber nicht immer konsequent. Beispielsweise verzichtete der Austrofaschismus, der in der Vaterländischen Front das katholisch-konservative Lager neu organisiert hatte, auf seinen Einsatz zugunsten der deutschsprachigen Bevölkerung Südtirols, als sich das Regime dem italienischen Faschismus näherte (Kerekes 1966). Das deutschnationale Lager, das später im Nationalsozialismus aufging, hatte in Verbindung mit der Heimwehr bereits 1928 durch einen Geheimpakt mit Mussolini als Gegenleistung für den Erhalt von Waffen und Geld mit dem Ziel der Ausschaltung des parlamentarischen Systems und der Errichtung eines diktatorischen Regimes in Österreich auf jeglichen weiteren politischen und propagandistischen Einsatz für Südtirol verzichtet (Kerekes 1966; Steurer 2009, 231).
Als die deutschsprachigen Flüchtlinge in den Jahren 1945 und 1946 vor allem aus Osteuropa nach Österreich drängten, hatte die wiedererstandene Republik ihren Schutzmachtanspruch diesen ehemaligen habsburgischen Minderheiten gegenüber längst beiseite gelegt. Denn nach den negativen Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus war die Politik Österreichs auf nationale Abgrenzung zu Deutschland ausgerichtet, was sehr schnell zu einer nationalen Umorientierung führte (vgl. Pelinka 1990; 1998, 15–20) und damit zu einer veränderten Haltung gegenüber den deutschen Minderheiten im Ausland.
Wenn aber Österreich diese Schutzfunktion nicht mehr ausüben wollte, hätte dies eigentlich auch für Südtirol gelten müssen. Aber das Gegenteil war der Fall. Österreich verlangte das Selbstbestimmungsrecht für Südtirol und die Wiederangliederung an die Republik. Bundeskanzler Leopold Figl (1902–1965) beispielsweise nannte die Rückkehr Südtirols im Dezember 1945 bei einer Rede im Nationalrat „ein Gebet jedes Österreichers (zitiert nach Steininger 1997, 223).
Diese unterschiedliche Haltung gegenüber der österreichischen Minderheit in Südtirol und beispielsweise jener in Böhmen musste begründet werden. Die Überlegung, die Republik als österreichische Ethnonation zu definieren und diese Logik auch auf ausgewählte Bevölkerungen außerhalb des Landes auszuweiten, war nach 1945 politisch nicht mehr aufrecht zu erhalten. Sprachlich-kulturelle Kriterien spielten nach Abschluss des Staatsvertrages 1955 eine immer geringere Rolle für das kollektive Selbstverständnis Österreichs (Thaler 2015, 221). Südtirol blieb von dieser nationalen Neuausrichtung unberührt bzw. ausgenommen.
Dabei lag der Unterschied Südtirols zu den anderen „Auslandsdeutschen“ der ehemaligen Habsburgermonarchie in erster Linie im Selbstverständnis Tirols, das seine Identität nach 1918 und weit über das Jahr 1945 hinaus über die Teilung des Landes und den Verlust Südtirols begründete (ebda, 223). Schon in der Ersten Republik hatte es Überlegungen zur Eigenständigkeit Tirols gegeben, bei der für die Tiroler Entscheidungsträger die Wiedervereinigung Tirols mit Südtirol wichtiger war als die Verbindung mit Wien. Noch 2010 fühlt sich die Tiroler Bevölkerung im Vergleich zu allen anderen Bundesländern am wenigsten mit Österreich (20 %), aber am stärksten mit dem eigenen Bundesland verbunden (42,7 %) (Bußjäger/Seeber 2010, 34)
Neben dieser starken Tirol-spezifischen Verbindung zu Südtirol gab es auch praktische Unterschiede. Den Flüchtlingen aus dem Osten, denen man negativ gegenüberstand, standen keine Flüchtlinge aus Südtirol gegenüber. Südtirol war vielfach auch eine territoriale Frage. Wenn schon, dann hätten die Südtiroler auch ihr Land mit nach Österreich gebracht (Thaler 2015, 225ff).
Außerdem konnten sich alle Parteien aus unterschiedlichen Positionen mit der Südtirolfrage identifizieren. Die Österreichische Volkspartei (ÖVP) konnte mit Patriotismus und Katholizismus argumentieren, die Sozialdemokraten (SPÖ) ganz grundsätzlich mit den demokratischen Grundrechten für Minderheiten, die Kommunisten mit ihrem theoretischem Gerüst zur nationalen Frage, der Verband der Unabhängigen (VdU) zuerst und die Freiheitlichen (FPÖ) danach mit deutschnationalen, völkischen Argumenten (vgl. Wolf 1972, 96–113). Dieser parteiübergreifende, wenn auch argumentativ unterschiedliche Konsens in der Südtirolfrage spielte bei der Nationswerdung Österreichs eine wichtige Rolle. Über Südtirol konnten österreichischer Patriotismus und österreichisches Nationalbewusstsein in nationaler Abgrenzung zu Deutschland unter Beweis gestellt werden (Garscha 2013).
Südtirol spielte dabei rein psychologisch für das christlich-konservative wie für das deutschnationale Lager eine wichtige Rolle der Entlastung und Beruhigung des eigenen Gewissens, um das Versagen in der Vergangenheit zu verdrängen.
Die beiden politischen Lager waren im Sinne von Elias Canetti eine „Klagemeute“ (Canetti 1960, 114ff), die sich in einer gemeinsamen Klage wiederfanden. Beklagt wurde in diesem Falle Südtirol als Opfer von Faschismus und Nationalsozialismus, wodurch auch der Anschluss Österreichs des Jahres 1938 wie die NS-Herrschaft bis 1945 und die darob lange Zeit anhaltende Euphorie relativiert werden konnte. Für die bürgerliche Rechte ermöglichte diese Klage über Südtirol und zugleich die ständige Betonung der „Herzensangelegenheit“ das historische Faktum zu verdrängen, dass der christlich-soziale Austrofaschismus unter Engelbert Dollfuss (1892–1934) und Kurt Schuschnigg (1897–1977) seinen Einsatz für Südtirol der Außenpolitik und Freundschaft mit dem faschistischen Italien geopfert hatte (Steurer 1980, 211–220; Steurer 2015, 107). Dasselbe galt für die Nationalsozialisten, hatte Hitler doch von allem Anfang an auf Südtirol zugunsten des Bündnisses mit dem faschistischen Italien geopfert (Steurer 1980). Nicht so die österreichische Sozialdemokratie, deren Südtirolpolitik von Antifaschismus und Antinazismus geleitet war.
Südtirol stellte somit keine kontroversielle Herausforderung für den österreichischen Nachkriegsstaat dar. Im Gegenteil: In Österreich stand das Südtirolproblem trotz Besatzungsmächte, Versorgungsschwierigkeiten und unsicherer Zukunft an erster Stelle der österreichischen Außenpolitik nach 1945 und diente über alle Parteigrenzen hinweg als Sinn- und Identitätsstiftung für die neue Nation Österreich. Südtirol bildete die nationale Klammer zwischen Boden- und Neusiedler See (vgl. Pallaver 2014, 242).
Diese Phase der identitätsstiftenden Funktion ist zwar längst vorbei, aber Südtirol spielt in der österreichischen Politik nach wie vor eine Rolle, übt Österreich auf Grund des Pariser Vertrags von 1946 doch eine Schutzfunktion für die Minderheit aus. Diese Schutzfunktion äußerste sich in der Vergangenheit und bis heute in verschiedenen Interventionen Österreichs auf diplomatischem Weg in Rom, bis hin zum Gang zur UNO.
2. Programmatische Ziele von VdU und FPÖ zur Südtirolfrage
Der FPÖ war 1949 der Verband der Unabhängigen (VdU) vorausgegangen. Als den ehemaligen, minderbelasteten Nationalsozialisten 1949 wieder das Wahlrecht eingeräumt wurde, kam es zur Gründung der Sammelbewegung der ehemaligen Nationalsozialisten, denen sich auch Deutschnationale und einige wenige Liberale anschlossen (vgl. Brandstaller 2019, 3–8). In den ersten Jahren beschäftigte sich die Partei kaum mit der Südtirolfrage. Die zentrale These lautete: Die Südtiroler sind wie 1919 auch 1945 betrogen worden. Erst 1954 wurde Südtirol zum außenpolitischen Hauptthema, wobei es zu einer Annäherung zwischen dem VdU um die Person des ehemaligen Nationalsozialisten Klaus Mahnert und den Tiroler politischen Hardlinern kam (Wolf 1972, 106–107).
Mitte der 1960er-Jahre wurde das Engagement für Südtirol deutlich erhöht. Auf den Parteitagen spielte die Südtirol-Frage stets eine wichtige Rolle. Für die Partei war die Südtirolfrage neben Fragen zum europäischen Einigungsprozess das wichtigste außenpolitische Thema.
Die ideologisch-politische Grundhaltung der FPÖ zu Südtirol ergab und ergibt sich aus ihrem Bekenntnis zur deutschen Nation, die Österreich und damit Südtirol mit einschließt. Dies kommt recht augenscheinlich bei einer Rede des FPÖ-Abgeordneten Otto Wendling zum Ausdruck, der die FPÖ ab 1957 für drei Legislaturen im Tiroler Landtag vertrat. Wendling meinte 1958:
„Aus unserem Bekenntnis zur deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft leiten wir Freiheitlichen auch unsere Berechtigung und zugleich Verpflichtung ab, für die in ihrer nationalen Existenz bedrohten Teile unseres Volkes tatkräftig einzutreten“ Wendling sprach bei dieser Gelegenheit von „der Wahrung der völkischen Rechte der deutschen Volksgruppe in Südtirol“ (zitiert nach Wolf 1972, 107).
Auch in der vom FPÖ-Südtirolsprecher Werner Neubauer 2009 herausgegebenen Publikation: „Südtirol – eine freiheitliche Herzensangelegenheit“ (Neubauer 2009) wird viel von „Volkstum“ gesprochen. Neubauer meint: „Das sich verbunden fühlen mit allen Angehörigen der deutschen Kulturnation über Staatsgrenzen hinaus und Kontinente hinweg ist (..) eine Selbstverständlichkeit, die eigentlich nicht der Punze ‚national‘ oder ‚deutschnational‘ bedarf“ (Neubauer 2009, 118).
Im ersten Parteiprogramm des VdU aus dem Jahre 1949 gab es keinen direkten Hinweis auf Südtirol, lediglich ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum.2 Im Ausseer Programm von 1954 wurde die Forderung des Selbstbestimmungsrechtes und die Gleichbehandlung der Völker verankert. Darin gibt es auch einen Hinweis auf das bedrohte „Grenzland-Deutschtum.“
Das erste Parteiprogramm der FPÖ, das 1957 verabschiedet wurde, bejahte die Eigenständigkeit Österreichs und legte gleichzeitig ein Bekenntnis zur deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft ab. Die FPÖ legte 1957 auch ein Bekenntnis zu Südtirol ab. In der Positionierung der Partei kam man zum Schluss, „in den deutschen Österreichern das Bewusstsein wach zu halten, ein Teil des gesamten deutschen Volkes zu sein, dem Südtiroler Deutschtum eine geistige Grundlage zu verschaffen.“
Im Bad Ischler Parteiprogramm von 1968, gültig bis 1985, wurde ein europäisches Volksgruppenrecht auf der Grundlage der Selbstbestimmung und des Heimatrechts eingefordert. Bis dahin habe Österreich die Pflicht, den Bestand der deutschen Volksgruppe in Südtirol zu sichern.
Im Wahljahr 1970 wurde das Thema Südtirol im Rahmen der Debatte um ein „Europäisches Volksgruppenrecht“ diskutiert, im Wahlprogramm von 1979 forderte die FPÖ, dass „Österreich als Schutzmacht Südtirols eine nationale und eine europäische Aufgabe zu erfüllen habe.“
Das im Jahre 1985 in Salzburg beschlossene Grundsatzprogramm der FPÖ beschäftigte sich nicht mit Südtirol, betonte aber, dass „Familie und Volk als organisch gewachsene Gegebenheiten“ in der Politik Berücksichtigung finden müssten. Erst wieder das Linzer Programm von 1997 betonte die Schutzmachtfunktion Österreichs der deutschen und ladinischen Volksgruppe gegenüber, ebenso wurde das Selbstbestimmungsrecht eingefordert. Dasselbe geschah 2005 in Salzburg bei der Änderung des Parteiprogramms, in dem wiederum die Selbstbestimmung für Südtirol gefordert wurde (alle Zitate zu den Parteiprogrammen aus Neubauer 2009, 118 – 125).
Im 2011 in Graz verabschiedeten, heute noch in Geltung stehenden Parteiprogramm, das unter dem Motto steht „Österreich zuerst,“ bekennt sich die FPÖ wie seit ihrer Gründung zu „unserem Heimatland Österreich als Teil der deutschen Sprach- und Kulturgemeinschaft.“
Unter der Rubrik „Heimat, Identität und Umwelt“ fordert die FPÖ das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Und zu Südtirol: „Österreich ist Anwalt der deutschen und ladinischen Südtiroler und vertritt die Interessen für alle Altösterreicher deutscher Muttersprache aus dem Bereich der ehemaligen k.u.k. Monarchie. Wir streben die Einheit Tirols an und bekennen uns zum Selbstbestimmungsrecht Südtirols und zur Unterstützung der heimatvertriebenen Verbände“ (FPÖ 2011, 16).
Zahlreich waren die Anfragen, Initiativen, Reden, Beschlussanträge von FPÖ-Abgeordneten im Österreichischen Nationalrat und neben anderen vor allem im Tiroler Landtag, bei denen es um unterschiedliche, oft tagesaktuelle Themen ging, aber alle getragen vom Duktus, dass Südtirol als deutsches Land geschützt werden müsste und die Südtiroler/-innen das Recht auf Selbstbestimmung hätten. Beispielhaft sei hier eine Rede des ehemalige FPÖ-Parteiobmanns von Tirol, Siegfried Dillersberger (geb. 1942), im Rahmen einer Südtiroldebatte im Jahre 1988 im Nationalrat zitiert, bei der er vor allem in die Vergangenheit blickte. Dabei betonte er mit Dankbarkeit an seine Lehrer, die ihm „eingewurzelt“ hätten, dass der Vertrag von St. Germain als Diktat von St. Germain, der Pariser Vertrag als Unrecht, die Brennergrenze als Unrechtsgrenze anzusehen sei, dass man den Italienern überhaupt nicht trauen könne, dass sich das Südtiroler Volk auf einem Todesmarsch befände. Ebenso sei vom Verrat Italiens und Hitlers gesprochen worden (Dillersberger 2009, 179).
Solche Feststellungen fallen nicht unter „vertrauensbildende Maßnahmen“ mit dem Vertragspartner des Pariser Abkommens. 1988 stand man kurz vor Abgabe der Streibeilegungserklärung vor der UNO, das Paket von 1969 (das die FPÖ nicht als erfüllt ansah) garantierte als Zweites Autonomiestatut einen weitreichenden Schutz und die Förderung der deutsch- und ladinischsprachigen Minderheit, aber auch das friedliche und konstruktive Zusammenleben der verschiedenen Sprachgruppen. Die Minderheitenfrage wurde weniger aus einer europäischen Perspektive der Grund- und Menschenrechte angesehen (Hilpold 2001) als vielmehr aus einer deutschnationalen Perspektive verbunden mit der Forderung nach Rückgliederung Südtirols. Die Logik der FPÖ besteht nicht in der Beseitigung von Staatsgrenzen in einem vereinten Europa, sondern die Verschiebung von Staatsgrenzen. Die von der FPÖ immer wieder geforderte Selbstbestimmung für Südtirol wird im Sinne eines Rechts auf Sezession der Südtiroler/-innen verstanden. Diesen Anspruch auf Selbstbestimmung im Sinne einer Sezession Südtirols von Italien haben die Exponenten der FPÖ immer wieder eingefordert, bis herauf zu Heinz Christian Strache (Strache 2009; Mastrobuoni 2016) und Norbert Hofer (Südtiroler Schützenbund 2015). Strache betonte expressis verbis: „Die derzeitige Situation Südtirols kann nur einen Zwischenschritt zur Erreichung der Selbstbestimmung und damit der Landeseinheit darstellen“ (Strache 2009, 13).
3. Die Forderung nach Selbstbestimmung
Die Forderung nach Selbstbestimmung für Südtirol weist ein Kontinuum vom VdU bis heute auf und unterscheidet die FPÖ von allen anderen im österreichischen Nationalrat vertretenen Parteien, die im Einklang mit der Südtiroler Volkspartei die Politik der Autonomie unterstützen. Die FPÖ vertritt mit Südtirols Freiheitlichen und der Süd-Tiroler Freiheit die Politik der äußeren Selbstbestimmung (Sezession), die anderen im Österreichischen Nationalrat vertretenen Parteien zusammen mit der SVP und den anderen im Südtiroler Landtag vertretenen Parteien die Politik der inneren Selbstbestimmung (territoriale Autonomie).
Unter den beiden derzeit im Südtiroler Landtag vertretenen Parteien ist es besonders die Süd-Tiroler Freiheit, die die Selbstbestimmung für eine Rückkehr zu Österreich durchsetzen will. Dementsprechend gut sind deshalb auch die Beziehungen der Süd-Tiroler Freiheit zur FPÖ (vgl. etwa APA 2018).
Die Schwesterpartei der FPÖ, die Freiheitlichen Südtirols, haben hingegen eine etwas andere Vorstellung über die Selbstbestimmung der Südtiroler/-innen. Südtirols Freiheitliche beurteilen die Autonomie lediglich als Teilautonomie und Zwischenlösung. Der nächste autonomiepolitische Schritt müsse deshalb der Ausbau zur Vollautonomie sein. Nur noch wenige Zuständigkeiten sollten beim Zentralstaat belassen werden.
Solange Südtirol aber ein Teil Italiens sei und nicht über einen eigenen vollautonomen institutionellen Rahmen verfüge, seien Entwicklungen, die das Überleben der deutschen und ladinischen Minderheit gefährden, nie ausgeschlossen. Deshalb sprechen sie sich für einen souveränen Staat aus, der von allen drei Sprachgruppen in Südtirol errichtet werden sollte (Die Freiheitlichen 2013; 2018c). Hier unterscheidet sich die FPÖ von ihrer Schwesterpartei in Südtirol, welche die Einheit Tirols anstrebt, ohne Umweg eines selbständigen Staates. In dieser Frage besteht Gleichklang mit der Süd-Tiroler Freiheit (Süd-Tiroler Freiheit 2007).
Die Süd-Tiroler Freiheit strebt die Rückkehr Südtirols zu Österreich an, die Freiheitlichen wollen einen Freistaat Südtirol. Diese unterschiedlichen Zielsetzungen hängen stark mit dem Wettbewerb zwischen den beiden Parteien zusammen, die Freiheitlichen mussten der Selbstbestimmungspartei Süd-Tiroler Freiheit etwas Anziehendes entgegensetzen, um diese zu überbieten.
Die FPÖ argumentiert bei der Forderung nach der Selbstbestimmung für Südtirol implizit völkisch-ethnonational. In der liberal-republikanischen Interpretation steht der demos als Legitimationsträger des Selbstbestimmungsrechtes, während es bei der FPÖ wie bei den Selbstbestimmungsparteien Südtirols, namentlich der Süd-Tiroler Freiheit, der ethnos ist. Während der demos vom Prinzip der Gleichheit ausgeht und somit, zumindest normativ betrachtet, einschließend wirkt, bezieht der ethnos das Gleichheitsprinzip nur auf Seinesgleichen und schließt damit aus. Die Volksgruppentheorie und das von ihr formulierte völkische Selbstbestimmungsverständnis richtet sich nicht nur gegen den Gleichheitsgrundsatz, sondern versucht zugleich eine ethnisch homogene Gesellschaft zu errichten (Salzborn 2005, 139).
Selbstbestimmung bedeutet, dass der Mensch in der Volksgruppentheorie völkisch verstanden wird und aufgrund des organischen und ganzheitlichen Volksverständnisses lediglich als Teil eines völkischen Kollektivs zu seiner Selbstverwirklichung kommen kann (ebda, 143). Im 1973 von der FPÖ verabschiedeten „Freiheitlichen Manifest zur Gesellschaftspolitik“ wurde weniger der Individualismus, sondern eher dieses organische Gesellschaftsbild betont (vgl. Luther 2006, 378).
Diese Logik finden wir beispielsweise in einer Rede des bereits zitierten Tiroler Landtagsabgeordneten der FPÖ, Otto Wendling im Jahre 1958 im Tiroler Landtag, wenn er vom Bekenntnis zur deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft und von den völkischen Rechten der deutschen Volksgruppe in Südtirol spricht (vgl. Wolf 1972, 107).
Der rassistische Bodensatz kam auch anlässlich des Landesparteitages der Tiroler-FPÖ in Innsbruck an die Oberfläche, als Klaus Mahnert (1913 – 2005), ehemaliger Gauinspektor für Tirol und Vorarlberg für in der NS-Zeit, die Internationalisierung des Südtirol-Problems und weiters forderte, dass „das Selbstbestimmungsrecht der Völker nicht nur für Neger, sondern auch für die Deutschen in Südtirol anerkannt werden“ müsse (zitiert nach Olt/Speckner 2019, 177). Solche Sager waren bei den Verhandlungen vor der UNO 1960 auch von Südtiroler Seite gekommen. Österreichs Außenminister Bruno Kreisky (1911 – 1990) hatte damals alle Hände voll zu tun, um eine solche „Taktlosigkeit“ wieder auszubügeln (Kreisky 1988, 152).
In diesem Zusammenhang ist auch das besondere Engagement der FPÖ für den sog. Doppelpass für deutsch- und ladinischsprachige Südtiroler/-innen zu nennen. Den Vorschlag für eine solche österreichische Staatsbürgerschaft hatte die SVP 2006 gemacht, als Italien den Italiener/-innen in Slowenien und Kroatien einen italienischen Pass anbot. Die SVP hatte diesen Vorschlag im Wettbewerb mit den Selbstbestimmungsparteien eingebracht.
Die Freiheitlichen und vor allem die Süd-Tiroler Freiheit haben sich diese Idee aber zu eigen gemacht und seit Jahren Druck ausgeübt, damit das österreichische Parlament in dieser Hinsicht gesetzesinitiativ werde (vgl. Denicolò/Pallaver 2018).
Dieses hatte 2012 das Thema Doppelpass aber auf Eis gelegt, bis die ÖVP-FPÖ Regierung 2017 die Verleihung des österreichischen Passes an die deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler/-innen besonders auf Druck der FPÖ, und hier wiederum besonders auf Druck der Exponenten der Burschenschaften in der FPÖ, ins Regierungsprogramm schrieben (Regierungsprogramm 2018).
Während anfänglich die FPÖ die These vertrat, Österreich könne in Eigenregie die doppelte Staatsbürgerschaft verleihen, musste die rechtskonservative Koalition akzeptiere, dass es dazu auch den Konsens Italiens benötigt. Der Nationalrat hat deshalb in seiner letzten Sitzung vor den Nationalratswahlen am 19. September 2019 einen Entschließungsantrag mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ verabschiedet, mit dem bilaterale Gespräche zur Doppelstaatsbürgerschaft für die Südtiroler/-innen aufgenommen werden sollten (Gasser 2019).
Der exkludierende, deutschnationale Duktus kommt etwa bei dem bereits 2018 vorgestellten Pernthaler-Watschinger-Vorschlag für ein sog. „2. Südtirolergleichstellungsgesetz 2018“ zum Ausdruck (Regierungsvorlage 2018), mit welchem unter anderem das österreichische Staatsbürgerschaftsgesetz von 1985 geändert werden sollte. Anknüpfungspunkt für den Erhalt der österreichischen Staatsbürgerschaft sollte die Zugehörigkeitserklärung zur deutschen oder ladinischen Sprachgruppe sein. In den Erläuterungen des Vorschlags wird auch von „deutscher Identität“ gesprochen. Aber die Zugehörigkeitserklärung ist in Südtirol eine rein subjektive Willensbekundung und nicht auf ihre objektive „Wahrheit“ hin überprüfbar, jeder kann frei, aus welcher Überlegung und aus welchem Kalkül auch immer, eine beliebige Sprachgruppenzugehörigkeit angeben. Das Archiv der Sprachgruppenerklärungen umfasst inzwischen viele Tausende von (vor allem) „Deutsch-Bekenntnissen“, die überhaupt keinen, von den Proponenten aber erklärtermaßen vorausgesetzten „ethnischen Wert“ haben, sondern pure, vom System als vollkommen legitim betrachtete Zweckentscheidungen darstellen (Denicolò/Pallaver 2018, 271 – 272).
Mit der neuen Türkis-grünen Regierung, die im Jänner 2020 angelobt worden ist, ist dieses Thema vorerst ad acta gelegt worden.
4. VdU und FPÖ: Vom Parteienkonsens mit Vorbehalt zum politischen Bruch
Bis zum Beginn der ÖVP-Alleinregierung im Jahre 1966 identifizierten sich die österreichischen Parteien im Wesentlichen mit der Südtirolpolitik der Bundesregierung aus Österreichischer Volkspartei (ÖVP) und Sozialdemokratischer Partei (SPÖ). Etwas abweichend verhielt sich aber von allem Anfang der VdU bzw. die FPÖ, die 1956 offiziell gegründet wurde und den VdU ablöste. Bei der Übernahme des VdU durch die Freiheitlichen spielen die deutschnationalen, rechtsextremen Burschenschaften eine entscheidende Rolle (Brandstalle 2019, 10; Weidinger 2019a) und sollten es in Bezug auf die Südtirolpolitik bis heute tun. Die „deutsche Frage“ spielte in dieser Zeit im Bekenntnis zur „deutschen Kulturgemeinschaft“ eine relevante Rolle, die an die Stelle der Nation Österreich trat (Pelinka/Rosenberger 2000, 137) und zur deutschnationalen Einordnung Südtirols die völkisch-theoretische Grundlage liefern sollte.
Die Tiroler FPÖ folgerte 1958 im Tiroler Landtag: „Aus unserem Bekenntnis zur deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft leiten wir Freiheitlichen auch unsere Berechtigung und zugleich Verpflichtung ab, für die in ihrer nationalen Existenz bedrohten Teile unseres Volkes tatkräftig einzutreten, (…) sich der Wahrung der völkischen Rechte der deutschen Volksgruppe in Südtirol anzunehmen“ (zitiert nach Wolf 1972, 109). Ganz grundsätzlich betonte die FPÖ immer das „Bekenntnis zur deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft.“ In einer Umfrage im Jahre 1964 leugneten immer noch 53,2 % der FPÖ-Anhänger/-innen das Bestehen einer österreichischen Nation (ebda).
Diese deutschnationale Haltung wirkte auf die Streitfrage, ob die Südtiroler/-innen eine deutsche oder eine österreichische Minderheit bzw. Volksgruppe seien, wobei diese Debatte durch alle Parteien ging, bis Bruno Kreisky bei den Verhandlungen vor der UNO mit dem Begriff der „österreichischen Minderheit“ argumentierte, was aber von Italien strikt abgelehnt wurde.
Zwar war die FPÖ in den Grundsätzen der Südtirolpolitik mit den Regierungsparteien einer Meinung, verlangten gegenüber Italien aber immer eine „energischere“ Haltung. Die FPÖ argumentierte, es sei trotz ihrer grundsätzlichen Zustimmung zur Südtirolpolitik ihre staatspolitische Aufgabe, als Oppositionspartei, wie sie dies etwa 1961 bekundete, auf Möglichkeiten hinzuweisen, „die unserer Meinung noch stärker, noch intensiver und noch wirkungsvoller genützt werden müssen“ (zitiert nach Wolf 1972, 114). Darunter verstand die FPÖ das Recht auf Selbstbestimmung. Diese Vorbehalte behielt die FPÖ auch in den folgenden Jahren bei.
Mit dem Amtsantritt von Bruno Kreisky (1911 – 1990) als Außenminister im Jahre 1959 (bis 1966) und durch die Anrufung der UNO im Jahre darauf (vgl. Pfeifer/Steiner 2016) wurden diese Unterschiede vorerst hintangestellt. Bis dahin war die FPÖ von den Verhandlungen zwischen Nord- und Südtirol ausgeschlossen worden (Olt/Speckner 2019, 177). Der Südtirolsprecher der FPÖ, Otto Scrinzi, lobte die damalige „Aufgeschlossenheit des sozialistischen Außenministers Kreisky“ (Scrinzi 2009). Gerade in den Jahren 1959 – 1963, in denen die Außenpolitik Österreichs von der Südtirolfrage dominiert wurde, gab es eine parteiübergreifende gute Zusammenarbeit. Kreisky meinte 1960 im Rückblick auf die UNO-Delegation: „Der Delegation sollten Vertreter aller drei Parteien angehören, um auch nach außen hin zu dokumentieren, dass es hier um eine Frage handelt, die die Unterstützung aller politischen Kräfte Österreichs findet“ (zitiert nach Wolf 1972, 114).
Mit der Alleinregierung der ÖVP zerfiel dieser Grundkonsens in der Südtirolfrage allmählich, bis es 1969 bei der Paket-Abstimmung zum Bruch kam. Die FPÖ lehnte Paket und Operationskalender ab.
Ausgehend von diesen Rahmenbedingungen lautet die These dieses Beitrags, dass die FPÖ in den ersten Jahren der Zweiten Republik den innenpolitischen Parteienkonsens mitgetragen, auf Grund ihres deutschnationalen, völkischen Charakters diesen Konsens aber schon bald aufgekündigt hat und seit den 1980er Jahren, somit seit ihrer populistischen Phase zeitweise erfolgreich versucht, ihre deutschnationale, zum Teil völkische Weltanschauung nach Südtirol zu exportieren und dem deutschnationalen, völkischen Bodensatz in Südtirol eine organisatorische Struktur zu verleihen.
Dabei beließ es die FPÖ von allem Anfang an nicht nur bei Resolutionen auf Parteitagen, Stellungnahmen im Nationalrat und Solidaritätskundgebungen mit den „Brüdern im Süden“. Schon in den 1950er Jahren kam es verstärkt zur Zusammenarbeit mit den diversen Südtirolvereinen und – verbänden in Österreich, die sich allesamt in einem deutschnationalen, rechtsextremen Fahrwasser befanden. Das betraf beispielsweise den Berg-Isel-Bund, das Südtiroler Aktionskomitee Notring für Südtirol, Heimatbund für Südtirol und andere mehr (vgl. Gatterer 1979, 345 – 346; Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands 1979).
Gerade über diese Südtirolvereine und die schlagenden Verbindungen/Burschenschaften erfolgte der Einstieg von Exponenten der FPÖ in den Südtirolterrorismus der spätern 1950er und frühen 1960er Jahre. Dieser nach Südtirol importierte Terrorismus stand im Gegensatz zum autochtonen Terrorismus des BAS (Befreiungs-Ausschuss Südtirol), der mit der Devise operierte, nur für Italien strategisch wichtige Objekte zu sprengen (bei dem es dann nicht blieb), während der aus Österreich agierende Terrorismus bewusst auch gegen Menschen Attentate verübte (vgl. Gatterer 1979, 349 – 350; allgemein zu den Südtiroler Attentaten vgl. Peterlini 2016).
Eine zentrale Figur des von rechtsextremen Vorstellungen gespeisten Südtirol-Terrorismus war Norbert Burger, der sich durch besonders radikale Parolen und Aktionen auszeichnete. Der ehemalige Universitätsassistent an der Universität Innsbruck, Vorsitzender des Ringes Freiheitlicher Studenten, war Mitbegründer des Nordtiroler „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS) und an der logistischen Vorbereitung und sowie an Attentaten beteiligt (vgl. Fasser 2009, 44). Am Höhepunkt der Attentate, namentlich in der Zeit rund um die Feuernacht von 1961, war Burger genauso wie eine Reihe von Burschenschafter aktives Mitglied der FPÖ. Erst 1963 trat er aus der FPÖ aus (Exenberger 1979, 175) und gründete im Ausklang der Attentate 1967 die Nationaldemokratische Partei (NDP) als Abspaltung von der FPÖ, die ihm zu wenig rechts war. Die Mitglieder kamen mehrheitlich aus der FPÖ (vgl. Exenberger 1979a, 149 – 152).
1988 wurde die NDP vom Verfassungsgerichtshof auf der Basis des Verbotsgesetzes wegen NS-Wiederbetätigung verboten. Unter anderem argumentierte der Gerichtshof, die NDP verwende einen „biologisch-rassistischen Volksbegriff“ (Verfassungsgerichtshof 1988), der von Burger auch in Bezug auf Südtirol zur Anwendung kam (Zur Haltung Burgers zu Südtirol vgl. Burger 1969).
Nach den Attentaten und langjährigen Verhandlungen mit Italien kam es 1969 zur Verabschiedung des Südtirol-Pakets durch die Landesversammlung der Südtiroler Volkspartei (SVP). Beim Paket handelte sich um ein umfangreiches Maßnahmenbündel, das die Grundlage des Zweiten, 1972 verabschiedeten und nach wie vor in Geltung stehenden Autonomiestatuts bildet. Dieses Paket wurde von ÖVP und SPÖ im österreichischen Nationalrat gemeinsam, der Operationskalender, das Verfahren zur Implementierung des Pakets, nur von der ÖVP alleine verabschiedet. Die FPÖ lehnte hingegen beides ab und forderte mit Vehemenz die Selbstbestimmung für Südtirol (vgl. Olt/Speckner 2019, 181). Damit fand der Parteienkonsens in der Südtirolfrage definitiv ein Ende. In Kontinuität dieser politischen Linie lehnte die FPÖ auch die Streitbeilegung vor der UNO im Jahre 1992 ab (ebda, 186 – 187).
5. Erste organisatorische Verbindungen in Südtirol: Wahlverband und Heimatbund
Der organisatorisch-politische Sprung über den Brenner erfolgte in den 1970er-Jahren. Die FPÖ pflegte seit jeher Kontakte mit jenen politischen Kräften in Südtirol, die sich gegen die Autonomie und für die Selbstbestimmung einsetzten. Diese Kreise nahmen mit der Verabschiedung des Südtirol-Pakets 1969 zu. Die knappe Annahme des Pakets durch die SVP hatte nämlich zur Folge, dass Gegner dieses Kompromisses mit Italien den Weg der Autonomie ihrer Partei nicht mehr mitmachten.
Einer davon war der SVP-Landtagsabgeordnete Hans Dietl (1915 – 1977) (Peterlini 2007). Dieser lehnte das Südtirol-Paket ab, wobei sich ein politischer Konsens mit den FPÖ-Vertretern entwickelte. Dietl wurde denn auch auf Druck der FPÖ 1968 zu den politischen Treffen in Innsbruck und Salzburg wieder eingeladen, bei denen über die Annahme oder Ablehnung des Paktes diskutiert wurde. Dietl war seit Dezember 1967 nicht mehr dazu eingeladen worden. Die FPÖ unterstrich jedenfalls ein halbes Jahr vor der Paketabstimmung im November 1969, die ablehnende Haltung zum Paket von Dietl mitzutragen (Wolf 1972, 109). Dietl kandierte bei den Wahlen zum italienischen Parlament 1972 erfolglos auf der Liste des Wahlverbandes der Unabhängigen (Pallaver 2007, 604). Zu Dietl und zum Wahlverband hatte die FPÖ wie bereits vor der Paketabstimmung Kontakte gepflegt.
Einige Exponenten des Wahlverbandes gründeten noch im selben Jahr die Partei der Unabhängigen (PdU). Die kleinbürgerlich-liberale Protestpartei lehnte das Paket ab und konnte sich in ihrer Anfangsphase als Sammelbecken vieler unzufriedener Bürger/-innen profilieren (ebda). Vor allem die Tiroler FPÖ unter ihrem Landesparteiobmann Gerulf Stix (geb. 1935) pflegte einen regen Kontakt zur PdU, namentlich mit dessen Landtagsabgeordneten Gerold Meraner. Stix zählt für jene Zeit noch weitere Kontakte zu verschiedenen Südtirol-Aktivisten und Südtirolverbänden auf: Eduard Stoll von der der Europa-Union Tirol, Erhard Hartung von der Kameradschaft der ehemaligen Südtiroler Freiheitskämpfer, Südtiroler Heimat-Bund (Stix 2009, 64).
Die unter dem Landtagsabgeordneten Hans Lunger (geb. 1938) anfänglich noch eher liberal eingestellte Partei schlug bald einen immer rechtskonservativeren Kurs ein und forderte das Recht auf Selbstbestimmung. In Anlehnung an die Erfolge der FPÖ unter Jörg Haider (1955 – 2008) in Österreich, der bei der Nationalratswahl 1986 die Stimmen seiner Partei fast verdoppelte (vgl. Luther 2006, 364 – 365), benannte sich die PDU 1987 in Freiheitliche Partei Südtirols (FPS) um. Beim Parteitag, an dem die Neubenennung vorgenommen wurde, hielt der Tiroler Obmann der FPÖ, Gerulf Stix, die Festrede (Stix 2009, 64).
Mehr als auf die eher blasse und wenig erfolgreiche PDU/FPS setzte die FPÖ auf Organisationen wie den Südtiroler Heimatbund (SHB). Die 1974 gegründete Vereinigung der ehemaligen Südtiroler politischen Häftlinge, die wegen der Attentate der 1960er Jahre verurteilt worden waren, setzte sich Partei-übergreifend für die Selbstbestimmung ein. 1983 verließ der Heimatbund den Grundsatz der Überparteilichkeit und kandidierte bei den Wahlen zum italienischen Parlament und im gleichen Jahr als Wahlverband des Heimatbundes auch bei den Landtagswahlen, 1988 bei den Landtagswahlen erneut als Südtiroler Heimatbund. Beide Male wurde Eva Klotz (geb. 1951), die Tochter des Südtirol-Attentäters Jörg Klotz (1919 – 1976), in den Landtag gewählt, aus dem sie sich 2014 zurückzog. Nach Umbenennungen und Parteispaltungen ist heute die Süd-Tiroler Freiheit die Nachfolgepartei des Heimatbundes (vgl. Pallaver 2018, 269).
6. Die Rolle von Otto Scrinzi für die Südtiroler FPÖ-Politik
Einer der wichtigsten Politiker Österreichs, der Gründung und Aufstieg des SHB förderte, war Otto Scrinzi (1918 – 2012). Das NS-Mitglied und der SA-Sturmführer war von 1949 bis 1956 Abgeordneter zum Kärntner Landtag und Klubobmann sowie Landesobmann des VdU. Anschließend war er von 1966 bis 1979 FPÖ-Abgeordneter zum Nationalrat und Südtirolsprecher seiner Partei (vgl. Exenberger 1979, 189), stammte Scrinzi doch von einer Südtiroler Familie aus Branzoll ab. Gleich zu Beginn seiner politischen Karriere als Südtirolsprecher war auf Initiative Scrinzis 1966 auf dem Bundesparteitag ein Arbeitskreis Volkstum und europäische Einigung eingerichtet worden. 1968 nahm dann auch die FPÖ in ihr Parteiprogramm die Forderung nach einem europäischen Volksgruppenrecht auf der Grundlage der Selbstbestimmung und des Heimatrechtes auf.
1984 hatte Burger die „National-Freiheitliche Aktion“ als Opposition zu der für ihn zu liberalen FPÖ-Politik des damaligen Bundesparteiobmanns Norbert Steger gegründet. 1986 kandidierte Scrinzi mit Unterstützung der NDP von Norbert Burger für das Amt des Bundespräsidenten (1,2 %). Mit der Wahl von Jörg Haider 1986 zum Bundesparteiobmann kehrte Scrinzi in die FPÖ zurück (Lasek 2015).
Wegen der Betonung der deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft wurden die freiheitlichen Positionen zu Südtirol von den beiden anderen Parteien abgelehnt. Die Meinungsverschiedenheiten hatten sich unter anderem darin zugespitzt, ob die Südtiroler/-innen eine deutsche oder eine österreichische Minderheit seien. Die FPÖ entschied sich für den Slogan: Südtirol bleibt deutsch,“ wodurch die Beantwortung der Frage für sie entschieden war (Wolf 1972, 109).
Scrinzi war hauptverantwortlich, daß die FPÖ im Jahre 1969 das Paket und den Operationskalender als Lösung der Südtirolfrage ablehnte und statt dessen die Selbstbestimmung einforderte. Die SPÖ hatte bei dieser Grundsatzabstimmung zwar den Operationskalender, also das Verfahren zur Implementierung des Pakets abgelehnt, nicht aber das Paket selbst. Die ÖVP stimmten beiden Vorschlägen zu (Steurer 2019 135; Scrinzi 2009, 60).
Scrinzi unterhielt all die Jahre als FPÖ-Politiker ganz offiziell direkte Kontakte zur rechtsextremen Szene in Österreich und Deutschland, wie etwa zu Norbert Burgers (1929 – 1992) Nationaldemokratischer Partei (NDP), die, wie bereits darauf verwiesen, wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung 1988 aufgelöst wurde. Dadurch garantierte Scrinzi die Anbindung des Südtiroler Irredentismus an diese rechtsextreme Szene.
Als der Südtiroler Heimatbund 1983 mit Mehrheit beschloss, an den Parlaments- und Landtagswahlen teilzunehmen, wurde Scrinzi zum wichtigsten Spin-doctor im Wahlkampf und zum eigentlichen politischen Ziehvater von Eva Klotz wie des gesamten SHB. Der Wahlkampf des Wahlverbandes mit dem Listenzeichen „Süd-Tirol“ wurde mit einer großen Rede des FPÖ-Politikers Otto Scrinzi in Bozen eröffnet (Steurer 2019, 135).
Dass Scrinzi und die FPÖ gleich verstanden hatten, dass es einen ideologischen Gleichklang mit dem SHB gab, lässt sich aus dessen Aufruf von 1981 ablesen, mit der sich die Vereinigung anschickte, als politische Partei aufzutreten. Man hat fast den Eindruck, Scrinzi habe den Aufruf (mit)verfasst. Hier eine Passage daraus:
„Unsere Heimat Südtirol befindet sich wie schon oft in der jüngsten Geschichte in äußerster Gefahr. Trotz steigenden Wohlstandes, Wirtschaftswunder, Selbstverwaltung und Parlamentsvertretung, flotten weiß-roten Fahnen ist das südliche Tirol heute gefährdeter als einst unter der faschistischen Gewaltherrschaft!
Eine große Gefahr für unser Volk ist die Vermischung. Durch Mischehen wird unsere Volkssubstanz zersetzt und unserem Volkskörper ein nicht wieder gutzumachender Schaden zugefügt (…). Wir wollen freie deutsche Tiroler bleiben, deshalb müssen wir einen völkischen Schutzwall gegen Verwelschung und Überfremdung errichten (…). Das oberste Ziel des SHB ist die Erhaltung Deutsch-Südtirols!“ (abgedruckt in Steurer 2019, 119).
Aufschlussreich sind biologische Begriffe wie Volkssubstanz, Volkskörper oder völkischer Schutzwall. Nur allzu deutlich erinnern die Begriffe im Aufruf des SHB an das Vokabular des Nationalsozialismus, auch an jenes der österreichischen Burschenschaften sowie an die früheren Diskurse der FPÖ, das heute zum Teil sprachlich modernisiert worden ist.
1981 befand sich Südtirol in einem demokratischen Staat Italien, das Mitglied der Europäischen Union war, nicht mehr in einem faschistischen autoritären System. Das Zweite Autonomiestatut war 1972 verabschiedet worden und wurde Schritt für Schritt umgesetzt. Die deutsche Sprachgruppe befand sich numerisch, kulturell, wirtschaftlich und politisch in einer rasanten Phase des Aufstiegs, während sich die italienische in einer krisenhaften Entwicklung befand.
Während sich Südtirol auf dem Wege zu einem friedlichen Zusammenleben befand, es bei der Ausgestaltung der Autonomie Augenmaß und Mäßigung, Konsens und Zusammenarbeit unter den Sprachgruppen bedurfte, ging der Aufruf des SHB genau in die entgegengesetzte Richtung – auch dank des Einsatzes von Otto Scrinzi und seiner FPÖ (ebda, 120). Es lag auf der ideologischen Linie Scrinzis, wenn dieser 1994 die Eckartschrift: „Südtirol – ein zweites Elsass?“ veröffentlichte und mit der Urangst-Politik der „Verelsässerung“ zündelte (Scrinzi 1994).
7. Die FPÖ als Patin der Freiheitlichen Südtirols
Im Sog des Südtiroler Heimatbundes wurden auch die Selbstbestimmungskräfte in der Südtiroler Volkspartei aktiviert. Es war die Zeit der Neuorientierung Osteuropas nach dem Ende des Ost-West-Konflikts. Der Faszination von staatlichen Neugründungen konnte sich auch die SVP nicht entziehen und diskutierte einen „slowenischen Weg“ zur Selbständigkeit, der von den Realisten in der Partei aber von allem Anfang an eingebremst wurde (Willeit 1991, 4; Pallaver 2018, 61).
Mit Blick auf die Wiedervereinigung Deutschlands forderte die Tiroler FPÖ die Wiederherstellung der Landeseinheit. 1991 präsentierte der Generalsekretär der FPÖ, der Tiroler Walter Maischberger (geb. 1959) die „Grundlinien zur freiheitlichen Südtirolpolitik im Lichte der neuen Entwicklung in Europa.“ An erster Stelle des Programms stand das Recht auf Selbstbestimmung (Olt/Speckner 2019, 184 – 185).
Im Gegensatz zur Gesamtpartei sah die Junge Generation in der SVP (JG) in den europäischen Umwälzungen rund um das Jahr 1990 ein „window of opportunity.“ Der spätere Obmann der Freiheitlichen Südtirols, Pius Leitner (geb. 1954) berichtet, dass die ÖVP und SPÖ immer das taten, was die SVP wollte, „während sich die FPÖ innovationsbereit zeigte und ihre Südtirol Politik an den Vorschlägen der aufstrebenden jungen Südtiroler ausrichtete“ (Leitner 2009, 27).
1990 hatte die JG Jörg Haider zu einem Vortrag nach Bozen eingeladen. Im Jänner 1992 war im Parteiausschuss der SVP die Entscheidung über die Streitbeilegung vor der UNO gefallen, somit über das Ende des Streites zwischen Österreich und Italien wegen der offenen Südtirolfrage und seiner Autonomie. Das war der definitive Schritt zum Bruch zwischen Exponenten der JG und der Mutterpartei.
Die Partei „Die Freiheitlichen“ wurde 1992 im Beisein von Jörg Haider, der seit 1986 die FPÖ anführte, in Bozen gegründet, mit einer klaren Anlehnung an die FPÖ. Christian Waldner (1959 – 1967), ehemaliger Vorsitzender der Jungen Generation in der Südtiroler Volkspartei, wurde zum ersten Parteiobmann gewählt (Pallaver 2007, 614). Wegen Meinungsverschiedenheiten verließ dieser 1994 die Freiheitlichen und gründete eine eigene Bewegung (Pallaver 2018, 263). Nach seiner Ermordung 1997 durch seinen langjährigen politischen Weggefährten Peter Paul Rainer (geb. 1967)3 übernahm der ehemalige Kommandant des Südtiroler Schützenbundes, Pius Leitner, den Parteivorsitz. 2013 wuchs der Stimmenanteil der Freiheitlichen bei den Landtagswahlen auf 17,9 % (6 Landtagsmandate auf 35), wodurch die Partei zur stärksten Oppositionskraft im Südtiroler Landtag aufstieg. 2017 übernahm Andreas Leiter-Reber (geb. 1982) die Obmannschaft und führte die Freiheitlichen noch weiter nach rechts. Diverse Skandale waren der Grund, weshalb die Freiheitlichen bei den Landtagswahlen 2018 auf 6,2 % und zwei Mandate zurückfielen (Atz/Pallaver 2019).
Die Verbindungen mit den Freiheitlichen Österreichs werden durch den populistischen Gleichklang in der Kommunikation und bei den politischen Inhalten bestätigt. Wie die FPÖ nennen sich die Freiheitlichen Südtirols ebenfalls „Soziale Heimatpartei.“ Wenn für die FPÖ der Slogan „Österreich zuerst“ im Parteiprogramm steht, so ist es für die Freiheitlichen Südtirols nicht anders: „Südtirol zuerst“. In der Politik Migrant/-innen gegenüber gibt es gemeinsame Vorstellungen. Die Warnung vor der Islamisierung gehört zum politischen Repertoire beider Parteien. Die Kritik, zum Teil Ablehnung „dieser EU“ zieht sich wie ein roter Faden durch beide Parteien (vgl. die Partei- und Wahlprogramme der beiden Parteien. Die Freiheitlichen 2020; FPÖ 2020) Aber im Gegensatz zur FPÖ kann den Freiheitlichen Südtirols (mit einem Ausrutscher) kein Antisemitismus vorgeworfen werden (Gesellschaft für bedrohte Völker 2002).
Ist die politische Bezugspartei in Österreich die FPÖ, so ist es in der Bundesrepublik Deutschland die Alternative für Deutschland. Dies sah man etwa bei der Wahl von Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten von Thüringen durch die Stimmen der AfD. Während die Wahl wegen der mangelnden Abgrenzung von Rechtsextremen zu einer Krise in Thüringen, in der Bundesrepublik Deutschland und in der CDU führte, jubelte die Generalsekretärin der Freiheitlichen Ulli Maier (Franceschini 2020). Schon nach der Bundestagswahl 2017 sah Mair im Wahlerfolg der AFD auch „Rückendeckung für unsere freiheitliche Politik in Südtirol“ (Kofler 2017).
Die besonderen Beziehungen zwischen Österreichs und Südtirols Freiheitlichen gehen über die Beziehungen zwischen Parteien derselben Parteienfamilie hinaus. Sowohl der Tiroler Landesparteiobmann als auch der Obmann der Südtiroler Freiheitlichen sind in den beiden Landesvorständen vertreten. Der Obmann der Südtiroler Freiheitlichen hat als ausländischer Parteienvertreter Sitz und Stimme in den Gremien der Bundes-FPÖ, sodass Andreas Leiter-Reber am 1. Oktober 2019 für die Suspendierung Christian Straches (geb. 1969) aus der Partei mitstimmte, nachdem er diesem nach seinem Rücktritt wegen der Veröffentlichung des Ibiza-Videos für seinen Einsatz für Südtirol noch gedankt hatte (Die Neue Südtiroler Tageszeitung online 2019).
Nur einmal gab es kurz eine Verstimmung zwischen Bozen und Wien. 2007 bildete sich im EU-Parlament die Fraktion Identität, Tradition, Souveränität. Aus Protest gegen die Zusammenarbeit der FPÖ mit den beiden neofaschistischen italienischen Parteien Alternativa Sociale von Alessandra Mussolini (geb. 1962) und Fiamma Tricolore des Pino Rauti (1926–2012), die gegenüber Südtirol eine autonomiefeindliche Politik betrieben und das von den Südtiroler Freiheitlichen, aber auch von der FPÖ geforderte Recht auf Selbstbestimmung ablehnten, trat der damalige Parteiobmann Pius Leitner aus dem Bundesparteivorstand der FPÖ aus, nicht aber aus dem Vorstand der Tiroler FPÖ. Das Problem war allerdings nicht, dass die beiden italienischen Parteien rechtsextrem und antidemokratisch, sondern weil sie antideutsch waren. Die Fraktion löste sich allerdings im November desselben Jahres wieder auf (Olt/Speckner 2019, 188–190).
Das gute Einvernehmen zwischen den beiden Parteien zwischen Bozen und Wien zeigte sich anlässlich der Südtiroler Landtagswahlen im Herbst 2018. Sowohl FPÖ-Parteiobmann Heinz Christian Strache (Die Freiheitlichen 2018a) wie der damalige FPÖ-Verkehrsminister Norbert Hofer und der FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky leisteten den Südtiroler Freiheitlichen politische Schützenhilfe und hielten in Südtirol zahlreiche Wahlveranstaltungen (Die Freiheitlichen 2018b). Strache war bei seinem Besuch in Bozen gegen Landeshauptmann Arno Kompatscher vom Leder gezogen und wünschte sich die Rückkehr von seinem Vorgänger Luis Durnwalder. Der SVP täte eine „Wahlwatschn gut,“ während er dem patriotischen Lager 12 Mandate zutraute (Kofler 2018). Die Prognose von Strache sollte sich als falsch herausstellen. Die Freiheitlichen verfehlten ihr Wahlziel deutlich und verloren vier von sechs Mandaten und fielen von 17,9 % auf 6,2 %. Das patriotische Lager mit den Freiheitlichen (zwei Mandate) und mit der Süd-Tiroler Freiheit (zwei Mandate) kam auf insgesamt vier Landtagsabgeordnete.
8. Resümee
Nach 70 Jahren Vdu/FPÖ kann man die Beziehungen der FPÖ zu Südtirol wie folgt zusammenfassen:
1. Die Freiheitlichen Österreichs haben spätestens seit 1969 mit der Annahme des Südtirol-Pakets die gemeinsame Politik aller im österreichischen Nationalrat vertretenen Parteien in der Südtirol-Frage nicht mehr mitgetragen. Die FPÖ hat gegen das Paket und gegen den Operationskalender sowie gegen die Streitbeilegung vor der UNO gestimmt.
2. Die FPÖ fordert an Stelle der Autonomie, die nur als Zwischenlösung angesehen wird, das Recht auf Selbstbestimmung im Sinne der Sezession und die Rückkehr Südtirols zu Österreich. Damit stellt sie sich gegen die große Mehrheit der Südtiroler Bevölkerung, die den Weg der Autonomie befürwortet.
3. Die Südtiroler Minderheitenfrage und die Forderung nach Selbstbestimmung wird von den Freiheitlichen unter völkisch-deutschnationalen Aspekten behandelt. Ausgangspunkt ist der ausschließende ethnos, nicht der einschließende demos.
4. Der europäische Einigungs- und Vertiefungsprozess ist die Antithese zum Nationalismus der einzelnen europäischen Staaten. Die Forderung nach Selbstbestimmung für Südtirol, die von der FPÖ erhoben wird, fördert nicht das Vertrauen zwischen Österreich und Italien und die Rolle Südtirols als Brücke der Freundschaft zwischen den beiden Ländern.
5. Exponenten der FPÖ waren im Südtirol-Terrorismus der 1960er Jahre beteiligt und agierten zusammen mit rechtsextremen Organisationen, die bei den Attentaten den Tod von Menschen in Kauf nahmen.
6. Eine besonders aktive Rolle in der Südtirol-Frage innerhalb der FPÖ spielen die Burschenschafter, die eine explizit völkische Südtirol-Politik vertreten.
7. Die FPÖ hat seit den 1980er Jahren erfolgreich versucht, die deutschnationalen Kräfte in Südtirol organisatorisch zu bündeln. Die FPÖ unter Jörg Haider stand Pate bei der Gründung der Freiheitlichen Südtirols. Direkter Ansprechpartner der FPÖ sind heute neben den Freiheitlichen auch die die Süd-Tiroler Freiheit.
8. Der Einfluss der FPÖ auf die ideologische Ausrichtung der Südtiroler Freiheitlichen kommt in den programmatischen Inhalten und politischen Slogans deutlich zum Ausdruck. Die Freiheitlichen Südtirols sind im Bundesparteivorstand der FPÖ wie im Landesparteivorstand Tirols mit Sitz und Stimme vertreten.
9. Das Engagement der FPÖ kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass hochrangige FPÖ-Politiker im Wahlkampf der Freiheitlichen in Südtirol auftreten.
Anmerkungen
1 Für aufschlussreiche Hinweise danke ich Leopold Steurer, Meran.
2 Zu den einzelnen Parteiprogrammen der FPÖ vgl. Luther 2006, 376–382.
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