Jakob Volgger
Motivation, Opportunitäten, Kosten:
Spracherwerb von Asylbewerber/-innen in Südtirol
Motivations, Opportunities, Costs: Language Acquisition
of Asylum Seekers in South Tyrol
Abstract The task of learning the language of the host society is crucial for the social integration of asylum seekers. However, in a multilingual society like South Tyrol, the language acquisition process is complex. This article therefore considers the following research questions: What language acquisition opportunities do asylum seekers have in South Tyrol? What are some of the motivations and costs of language acquisition? In order to answer these research questions, this article builds its analysis from eleven interviews conducted with employees of the refugee houses run by the Caritas Diocese of Bozen-Brixen. The article identifies 29 factors that can influence the opportunities, motivations and costs of language acquisition of asylum seekers. These factors are, on the one hand, linked to the specific situation of asylum seekers and, on the other hand, to the particularities of the South Tyrolean society.
1. Einleitung
Viele Menschen sind in den letzten Jahren vor allem aus Afrika und Asien nach Italien eingewandert und haben einen Asylantrag gestellt. Der italienische Staat ist während der Bearbeitung des Antrags für die Unterbringung der Asylbewerber/-innen1 und für Maßnahmen zur Integration der Menschen zuständig. Das Erlernen der Sprache spielt dabei zweifelsohne eine zentrale Rolle. Welche Sprache lernen Menschen, die in anderen Ländern um Asyl ansuchen? Natürlich die Sprache des Aufnahmelandes. In mehrsprachigen Gesellschaften wie Südtirol mit seinen drei offiziellen Sprachen ist die Antwort nicht ganz so einfach, die Entscheidung komplexer. Zudem muss man den Spracherwerb von Asylbewerber/-innen als Spezialfall betrachten.
In Anlehnung an die theoretischen Überlegungen von Esser (2006) liegt diesem Beitrag folgende Fragestellung zugrunde: Welche Spracherwerbsmöglichkeiten haben Asylbewerber/-innen in Südtirol? Wie steht es um die Motivation und die Kosten des Spracherwerbs? Der Beitrag geht von der Annahme aus, dass der Spracherwerb einerseits durch den Südtiroler Kontext beeinflusst wird und dass Asylbewerber/-innen andererseits aufgrund ihrer Situation mit speziellen Schwierigkeiten konfrontiert sind.
Die Caritas Diözese Bozen-Brixen gehört zu jenen Trägern, die vom Land Südtirol mit der Unterbringung von Asylbewerber/-innen beauftragt wurden. Um die Forschungsfrage zu beantworten, wurden im Februar 2019 Mitarbeiter/-innen der elf Caritas-Aufnahmeeinrichtungen interviewt. Fünf Interviews fanden in deutscher Sprache statt, sechs Interviews wurden in Italienisch geführt. Zum Zeitpunkt der Feldforschung befanden sich die Caritas-Häuser an folgenden Standorten: Bozen (2), Brixen, Bruneck, Kastelruth, Mals, Meran, Lengmoos, Pfitsch, Prissian, Vintl. Insgesamt war die Caritas Ende Dezember 2018 für die Unterbringung von etwa 400 Asylbewerber/-innen verantwortlich.2
Warum wurden die Mitarbeiter/-innen interviewt und nicht die Asylbewerber/-innen? Die Befragung von Asylbewerber/-innen wäre aus forschungsethischer Sicht schwieriger gewesen und zudem hätten sich sprachliche Schwierigkeiten ergeben. Andererseits befinden sich die Mitarbeiter/-innen der Caritas-Häuser an einer interessanten Position. Sie sind gewissermaßen an der Schnittstelle zwischen den Asylbewerber/-innen und der Südtiroler Gesellschaft.
Alle Interviews wurden mit Zustimmung der Interviewpartner/-innen aufgezeichnet, um sie anschließend transkribieren zu können. Die Auswertung der Transkripte orientierte sich am Modell der qualitativen Inhaltsanalyse von Gläser und Laudel (vgl. 2009). Aus den Interviewaussagen der befragten Mitarbeiter/-innen wurden 29 Faktoren abgeleitet, die den Spracherwerb von Asylbewerber/-innen in Südtirol beeinflussen können.
Im nächsten Abschnitt dieser Arbeit werden zunächst Essers Überlegungen zum Thema Sprache und Integration kurz vorgestellt. Daran anschließend wird auf vier Punkte hingewiesen, die Südtirol zu einer besonderen Aufnahmegesellschaft für Migrant/-innen machen. Es folgt dann ein Blick auf den gesamtitalienischen sowie den südtirolspezifischen Kontext im Hinblick auf die Aufnahme und die sprachliche Integration von asylsuchenden Menschen. Aufbauend darauf werden schließlich die Ergebnisse der Interviews vorgestellt.
2. Sprache und Integration
Esser (vgl. 2006) hat dem Thema Sprache und Integration eine gleichnamige Monografie gewidmet. Für das Verständnis dieses Beitrags reicht es aus, einige seiner Ideen zu verstehen.
Grundsätzlich geht Esser (2006, 39) davon aus, dass jeder Mensch sein „physisches Wohlbefinden erhalten und soziale Wertschätzung erlangen“ will. Migrant/-innen können dieses Ziel in der Aufnahmegesellschaft wahrscheinlich nicht auf demselben Weg wie in der Herkunftsgesellschaft erreichen. In anderen Ländern gelten nämlich andere gesellschaftliche Regeln oder andere Ressourcen sind vonnöten. Die beruflichen Kompetenzen, die Migrant/-innen in ihrer Heimat erlangt haben und dort nützlich waren, können in einem anderen Kontext unbrauchbar sein. Dazu ein simples Beispiel: Das Wissen, wie man aus Trauben Wein gewinnt, wird einem Winzer in Ländern mit anderen klimatischen Bedingungen wenig nützen. Migrant/-innen können hinnehmen, dass ihre beruflichen Fähigkeiten an Wert verlieren, oder versuchen, sich neue Qualifikationen anzueignen. Eine Migrantin wird aber beispielsweise einen ihr angeboten Computerkurs nur dann in Anspruch nehmen, wenn sie davon ausgehen kann, dass sich diese Zusatzqualifikation auch bezahlt macht – im wahrsten Sinne des Wortes.
Ähnlich verhält es sich mit den Sprachkompetenzen der Migrant/-innen. Im Aufnahmeland werden wahrscheinlich andere Sprachen gesprochen und wer sich beruflich weiterbilden oder eine Arbeit finden möchte, wird erkennen, dass dazu das Erlernen der entsprechenden Sprache erforderlich ist. Der Spracherwerb von Migrant/-innen kann als weitere Kosten-Nutzen-Abwägung gesehen werden. Die Migrant/-innen haben die Möglichkeit, sich zwischen zwei Optionen zu entscheiden: Sie können bei ihrer Erstsprache bleiben oder eine neue Sprache lernen bzw. in den Zweitspracherwerb investieren. Die Entscheidung für oder gegen diese Investition wird laut Esser von der Motivation, den Opportunitäten und den Kosten beeinflusst. Bei den Opportunitäten unterscheidet er zwischen dem Zugang zum Spracherwerb und der Effizienz. Die Effizienz gibt den Grad an, „mit dem ein gegebener Input sprachlicher Anregungen und Rückmeldungen tatsächlich in den L2-Erwerb umgesetzt wird“ (Esser 2006, 87). Als Kosten gelten neben finanziellen Ausgaben auch die für das Sprachenlernen aufgewendete Zeit.
3. Aufnahmegesellschaft Südtirol: Vier Besonderheiten
Südtirol stellt für Migrant/-innen aus vier Gründen eine besondere Aufnahmegesellschaft dar. Das hängt zuallererst mit der Tatsache zusammen, dass man in Südtirol drei offizielle Sprachen spricht. Laut der letzten Südtiroler Immigrationsstudie waren sich 52,9 Prozent der befragten Migrant/-innen der Dreisprachigkeit des Landes vorher gar nicht bewusst (vgl. ASTAT 2012, 115 – 116). Die Dreisprachigkeit führt jedenfalls dazu, dass sich Migrant/-innen nicht nur entscheiden müssen, ob sie eine Sprache lernen wollen, sondern welche Sprache(n) sie sich aneignen wollen. Dazu gehört eine individuelle Einschätzung des Werts einer Sprache.
Die Tatsache, dass die deutschsprachige Bevölkerung Südtirols sehr häufig in Dialekt kommuniziert, kann als zweite Besonderheit angesehen werden. Während 84,7 Prozent der Deutschsprachigen im Freundes- und Bekanntenkreis den Dialekt verwenden, sind es bei der italienischsprachigen Bevölkerung nur 5,8 Prozent (vgl. ASTAT 2015, 143 – 144). Was bedeutet das für Migrant/-innen? Wer Italienisch lernt, kann davon ausgehen, diese Sprache im Alltag relativ problemlos anwenden zu können. Da die deutschsprachige Bevölkerung unter sich Dialekt und nicht Hochdeutsch spricht, kann das die sprachliche Integration von Migrant/-innen hingegen erschweren.
Eine weitere Besonderheit ist das Autonomiestatut, das das zentrale Gerüst der Südtiroler Gesellschaft bildet. Zu den wichtigen Pfeilern des Südtiroler Minderheitenschutzes gehören Maßnahmen zur politischen Repräsentation aller Sprachgruppen, der ethnische Proporz, die Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung sowie die Zwei- bzw. Dreisprachigkeit im öffentlichen Dienst. Das Autonomiestatut bewirkt aber zugleich eine Trennung der Südtiroler Gesellschaft in Sprachgruppen. Pallaver (2001, 137) spricht vom „eigenen Reservat“, in welches sich die drei Sprachgruppen flüchten. Migrant/-innen finden sich also in einer sprachlich fragmentierten Gesellschaft wieder, was wiederum eine Hürde für die (sprachliche) Integration darstellen kann.
Die Südtiroler Migrations- und Integrationspolitik stellt die vierte Besonderheit dar. Diese wird oft als „defensiv“ beschrieben (Medda-Windischer 2015, 109; Oberbichler/Niedrist 2017, 76). Die allgemeine Zurückhaltung beim Thema Migration hat laut Medda-Windischer (2015, 105) mit einer Angst zu tun: „[…] the fear of opening up a Pandora’s box of all the unresolved divisive issues underlying the relationship between the main German- and Italian-speaking linguistic groups.“ Diese Angst vor dem Thema ist nicht zuletzt in den negativen Migrationserfahrungen während der Zeit des Faschismus begründet (vgl. Medda-Windischer 2015, 100 – 101). Man denke an die faschistische Zuwanderungspolitik und die Option. Carlà (vgl. 2018, 1112) meint, dass Südtirols Politik den Fokus vor allem darauf legt, wie Migrant/-innen in das bestehende System zum Schutz der Minderheiten eingebunden werden können, ohne es aus dem Gleichgewicht zu bringen. Wenn es um die Integration von Migrant/-innen geht, wird wahrscheinlich deshalb oft auf die Bedeutung der Sprache und des Spracherwerbs hingewiesen. Das Südtiroler Integrationsgesetz von 2011 nimmt mehrmals darauf Bezug. So wird bereits in Artikel 1 („Ziele“) darauf hingewiesen, dass „die Kenntnis der offiziellen Landessprachen“ ein Integrationsziel des Landes Südtirol ist (Autonome Provinz Bozen – Südtirol 2011). Was bedeutet das für Migrant/-innen, die nach Südtirol kommen? Der Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung kann – verglichen mit einer migrationsgeschichtlich unbelasteten Gesellschaft – schwieriger sein. Ebenso kann man vermuten, dass Migrant/-innen unter besonderem „Spracherwerbsdruck“ stehen.
4. Unterbringung und Spracherwerb von Asylbewerber/-innen
Zur Unterbringung und zum Spracherwerb von Asylbewerber/-innen gibt es zunächst staatliche Richtlinien, die hier aufgezeigt werden sollen. Anschließend folgt der Blick auf die Situation in Südtirol.
4.1 Italien
Wie funktioniert das Asylverfahren in Italien? Nachdem ein Asylantrag offiziell bei der Grenzpolizei oder der Quästur eingereicht wird, landet der Fall bei den zuständigen Kommissionen für internationalen Schutz. Diese prüfen dann den Antrag und treffen die erstinstanzliche Entscheidung darüber, welche Form von Schutz dem/-der Antragsteller/-in gegebenenfalls zuerkannt wird. Die vorgesehenen Fristen zur Bearbeitung der Fälle werden nur selten eingehalten. Dadurch und durch etwaige Berufungsverfahren kann der Asylprozess Jahre dauern. Italien gehört allerdings zu jenen Ländern, in denen Asylbewerber/-innen relativ rasch in den Arbeitsmarkt einsteigen können. Asylbewerber/-innen können theoretisch 60 Tage nach der offiziellen Registrierung des Asylantrags arbeiten. (vgl. Bove 2018, 21 – 22, 102)
Die Aufnahme von asylsuchenden Menschen gehört grundsätzlich in den Kompetenzbereich des Innenministeriums, während in den Provinzen die Regierungskommissariate bzw. Präfekturen für die Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen zuständig sind (vgl. Caponio et al. 2018, 641). Zur Unterbringung der Asylbewerber/-innen gibt es unterschiedliche Typen von Aufnahmezentren. 2018 waren 80,8 Prozent der insgesamt zu unterbringenden Personen in den sogenannten „Centri di accoglienza straordinaria“ (CAS) untergebracht (vgl. Fondazione openpolis und ActionAid 2018). Wie der Name bereits verrät, handelt es sich hierbei eigentlich um außerordentliche Aufnahmezentren und obwohl gesetzlich andere Formen der Unterbringung vorgesehen sind, bilden die CAS die tragende Säule des italienischen Aufnahmesystems.
Die Bestimmungen zum Spracherwerb von asylsuchenden Personen sind eher vage. Gemeinsam ist den verschiedenen Gesetzen, Rundschreiben und Dokumenten, dass sie die Wichtigkeit des Italienischerwerbs unterstreichen sowie entsprechende Maßnahmen festlegen oder einfordern. Der „Piano nazionale d’integrazione per i titolari di protezione internazionale“ des Innenministeriums (2017, 23) sagt dazu beispielsweise Folgendes:
„L’apprendimento della lingua italiana rappresenta un diritto ma anche un dovere poiché costituisce il presupposto essenziale per un concreto percorso d’inserimento sociale, fondamentale per l’interazione con la comunità locale, per l’accesso al mercato del lavoro e ai servizi pubblici.“
Vorgesehen sind im Integrationsplan unter anderem Einstufungstests, spezielle Unterstützung für Analphabet/-innen oder Sprachkurse mit interaktiven und neuen Methoden (vgl. Ministero dell’Interno – Dipartimento per le Libertà civili e l’Immigrazione 2017, 9).
4.2 Südtirol
Das Land Südtirol muss gemäß dem staatlichen Verteilungsplan für die Unterbringung von 0,9 Prozent jener Personen sorgen, die in Italien um Asyl ansuchen (vgl. Pelacani 2017, 142). Laut Auskunft von Luca Critelli, Direktor der Abteilung für Soziales der Autonomen Provinz Bozen, waren im Jahr 2018 – also zum Zeitpunkt der Untersuchung – rund 1200 asylsuchende Menschen in Südtirol untergebracht. Aus den Daten der Abteilung für Soziales ergeben sich weiters folgende Kennzahlen. Rund 11 Prozent der untergebrachten Asylbewerber/-innen waren minderjährig, 80 Prozent waren Männer, 20 Prozent Frauen. Rund 69 Prozent kamen aus afrikanischen Staaten, 30 Prozent aus asiatischen Ländern.3
Soziallandesrätin Waltraud Deeg (2019) gab im Rahmen einer aktuellen Fragestunde des Landtags an, dass sich im November 2019 noch 880 Asylwerber/-innen in den Südtiroler Aufnahmestrukturen befanden.
In Südtirol wurden zwischen 2015 und 2016 aufgrund der verstärkten Zuwanderung von Menschen aus Nordafrika nach Italien 20 neue Aufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber/-innen eröffnet (vgl. Cereghini und Previte 2017, S. 212). Stand September 2019 gab es 26 CAS-Einrichtungen (vgl. Autonome Provinz Bozen – Südtirol 2019).
Im Hinblick auf den empirischen Part der Arbeit ist es wichtig zu wissen, dass die Asylbewerber/-innen, die der Provinz Bozen zugeteilt werden, zunächst in „Centri di pronta accoglienza“ in Bozen untergebracht werden. Die Unterbringung in diesen Zentren dauert – theoretisch – nur so lange, wie für die Gesundheitskontrolle und für die Verfahren zur Identifizierung und Registrierung des Asylantrags Zeit erforderlich ist. Danach werden die Personen in anderen Aufnahmezentren untergebracht. Tatsächlich bleiben die Menschen aber über einen längeren Zeitraum in diesen „Centri di pronta accoglienza“. (vgl. Associazione per gli Studi Giuridici sull’Immigrazione et al. 2017, 10 – 11)
Die Unterbringung der Asylbewerber/-innen in Südtirol regelt ein Abkommen zwischen der Provinz und dem Regierungskommissariat Bozen. Das Abkommen listet unter anderem die Integrationsdienstleistungen auf, die die untergebrachten Menschen in Anspruch nehmen können. Dazu gehören unter anderem Deutsch- und Italienischkurse – von Ladinischkursen ist nicht die Rede. (vgl. Regierungskommissariat für die Provinz Bozen; Autonome Provinz Bozen – Südtirol 2016)
Laut Critelli ist vorgesehen, dass pro Asylbewerber/-in zehn Stunden Sprachunterricht pro Woche angeboten werden. Hierbei handelt es sich aber um eine unverbindliche Richtlinie. Die Sprachkurse können vom Träger selbst oder mit Freiwilligen organisiert werden. Auch externe Kurse sind möglich.4
5. Forschungsergebnisse
Um die Ergebnisse übersichtlich zu präsentieren, sind sie zunächst zusammenfassend als Tabelle dargestellt. Die Tabelle 1 lehnt sich in ihrem Aufbau eng an Essers Spracherwerbstheorie an. Sie zeigt die erkannten spracherwerbsrelevanten Faktoren und deren Auswirkungen auf den Spracherwerb der Asylbewerber/-innen. Die Auswirkungen der Faktoren auf Motivation, Opportunitäten und Kosten wurden – Essers Beispiel folgend – mit einem ± gekennzeichnet. Bei ambivalenten Wirkungszusammenhängen wurde ein Plus und ein Minus angegeben. Steht ein Vorzeichen in Klammern, so handelt es sich um eine vermutete Auswirkung. Fragezeichen stehen dort, wo sich aufgrund fehlender Informationen keine eindeutige Aussage treffen lässt. Um der Mehrsprachigkeit Südtirols gerecht zu werden, wird bei der Motivation zwischen Deutsch (DE) und Italienisch (IT) unterschieden. Diese Differenzierung wurde auch bei der erwarteten Gesamtwirkung eines Faktors vorgenommen (die letzten zwei Spalten von rechts). L1 (lingua, language) bezeichnet die Erstsprache(n) von Asylbewerber/-innen. Ladinisch spielt in den Caritas-Häusern kaum eine Rolle und ist deshalb nicht eigens angeführt.
Im Anschluss an die Tabelle werden die Einschätzungen begründet. Tabelle 1 ist – und das muss man sich beständig vor Augen halten – eine Darstellung von vermuteten Wirkungszusammenhängen. Ihre Plausibilität ergibt sich aber durch die Interviewaussagen der Mitarbeiter/-innen. Des Weiteren ist zu bedenken, dass nicht jeder Faktor für alle Asylbewerber/-innen in gleichem Maße zutreffen muss.
Die Mitarbeiter/-innen haben die Asylbewerber/-innen in den Interviews eigentlich durchgehend als „Bewohner/-innen“ bezeichnet. Diese Bezeichnung für die Asylbewerber/-innen wurde teils übernommen.
5.1 Motivation
Welche Faktoren beeinflussen die Motivation der Asylbewerber/-innen zum Spracherwerb? Die individuelle Betreuung der Asylbewerber/-innen durch die Mitarbeiter/-innen in den Caritas-Häusern ist generell eine wichtige Einflussgröße. Eine Mitarbeiterin definiert ihre Rolle in Bezug auf den Spracherwerb wie folgt:
„Allora, come operatrici e operatori di questa struttura il nostro compito è quello di informare gli utenti rispetto all’offerta formativa presente sul territorio e quello anche, ovviamente, di fare tutto un progetto educativo con il fine di favorire, diciamo, l’integrazione degli ospiti e, in questo processo, l’apprendimento della lingua è molto importante.“5 (P10, Abs. 10)
Die Mitarbeiter/-innen können jedenfalls durch persönliche Gespräche die Motivation jener Bewohner/-innen steigern, die sich mit dem Spracherwerb schwertun.
Wenn Asylbewerber/-innen einer Aufnahmeeinrichtung zugeteilt werden, müssen sie eine Hausordnung unterschreiben. Durch ihre Unterschrift verpflichten sie sich unter anderem zum Spracherwerb. Theoretisch ist es also denkbar, dass die Hausordnung zum Sprachenlernen motiviert. Es gibt momentan aber kaum Sanktionsmöglichkeiten, wenn jemand Sprachkurse nicht besucht. Das Erreichen eines bestimmten Sprachniveaus ist ebenfalls nicht vorgesehen.
Auch über die Bedeutung des nächsten Faktors lässt sich streiten. Wer irgendwann die italienische Staatsbürger/-innenschaft erwerben möchte, muss laut Gesetz ein gewisses Italienischniveau nachweisen können. Es lässt sich allerdings schwer sagen, ob Asylbewerber/-innen derart langfristig denken und ihren Spracherwerb darauf ausrichten.
Seit Ende 2018 gibt es ein neues Projekt zum Italienischlernen, das von den Mitarbeiter/-innen schlicht „8xmille“ („otto per mille“) genannt wird, weil es durch Mittel aus dem gleichnamigen Geldtopf finanziert wird. Das Projekt wird von zwei Sprachlehrern betreut, die direkt von der Caritas angestellt sind. Diese Sprachlehrer verfolgen einen neuen Ansatz des Sprachenlernens. Ihnen geht es um einen individuellen Unterricht, der sich an den konkreten Bedürfnissen der Asylbewerber/-innen ausrichtet. Das kommt gut an und wirkt sich positiv auf die Motivation aus.
Des Weiteren können Asylbewerber/-innen berufsbildende Kurse oder Projekte besuchen, bei denen Deutsch- bzw. Italienischunterricht inkludiert ist. Oft gehört auch noch ein abschließendes Praktikum dazu. Diese Form von Kurs ist für die Asylbewerber/-innen sehr motivierend, weil sie auf ein berufliches Ziel hin lernen und der Einstieg in den Arbeitsmarkt dadurch erleichtert wird:
„I corsi professionali che abbiamo trovato, per esempio, per un papà di una famiglia, ha aiutato tantissimo a imparare la lingua. […] Quindi lui in poco tempo sta parlando tedesco, perché è motivato che avrà un mestiere con una certificazione e forse poi troverà un lavoro. […] Quindi lì, diciamo, stiamo adesso vedendo che sono motivati perché nel corso devono parlare, devono fare.“ (P3, Abs. 30)
Bevor Asylbewerber/-innen den Caritas-Häusern zugeteilt werden, bleiben sie oft für längere Zeit in den „Centri di pronta accoglienza“ in Bozen. In der Landeshauptstadt spricht die Bevölkerung überwiegend Italienisch. Der Anreiz, Italienisch zu lernen, ist dort größer und so beginnen Asylbewerber/-innen dort eher mit dem Erlernen der italienischen Sprache:
„Ja, wenn sie von woanders kommen, von einem anderen Heim, dann haben sie wahrscheinlich da schon angefangen, Italienisch zu lernen. Und Italienisch gilt als leichter. Und ich glaube, dass sie deshalb anfangen mit Italienisch und dass man dann halt mit Italienisch weitermacht, anstatt Sprache zu wechseln.“ (P10, Abs. 134)
In diesem Zitat wird ein weiterer Faktor angesprochen: Italienisch gilt als leichtere Sprache. Das ist ein Grund dafür, warum viele Asylbewerber/-innen zu dieser Sprache tendieren. Im Umkehrschluss sinkt möglicherweise die Motivation zum Deutscherwerb.
Es ist weiters zu bedenken, dass Italienisch nicht nur in Südtirol gesprochen wird, sondern in ganz Italien und deshalb auf nationaler Ebene einen höheren Wert hat, auch Q-Value genannt. Dieser Wert gibt an, wie viele Menschen durch eine Sprache erreicht werden können.
Dass die deutschsprachigen Südtiroler/-innen oft Dialekt reden, erschwert die Kommunikation und senkt die Motivation, Deutsch zu lernen. Denn Asylbewerber/-innen können das, was sie im Deutschunterricht gelernt haben, im Alltag oft nicht anwenden. Dazu gibt eine Mitarbeiterin folgendes Beispiel:
„Zum Beispiel die Jungs, die bei Despar [Lebensmittelgeschäft, Anm.] arbeiten, kommen schon öfters und sagen: ‚Ich würde sehr gerne Deutsch lernen.‘ Sie haben aber nicht die Möglichkeit, eigentlich das Deutsch, das sie lernen, dann mit jemandem zu sprechen, weil die Antworten von den Kollegen sind dann meistens auf Dialekt. Oder zum Beispiel auch wenn irgendjemand, ein Kunde, fragt, wo die Milch ist, ist es eben nicht: ‚Wo ist die Milch?‘ Sondern: ‚Wo ischn die Milch?‘“ (P4, Abs. 104)
Auf der anderen Seite sind die Asylbewerber/-innen aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen in den Herkunftsländern an die Präsenz verschiedener Sprachen und Dialekte gewöhnt.
Sprachkenntnisse sind essenziell, damit Asylbewerber/-innen einen Job finden können. Das Ziel, durch das Erlernen der Sprache irgendwann einen Job zu bekommen, wirkt motivierend. Auch diejenigen, die einen Arbeitsplatz finden, sehen die Notwendigkeit weiter in den Spracherwerb zu investieren, um den Job nicht zu verlieren. Das ist aber nicht immer so:
„Am Anfang, wenn sie kommen, motivieren wir sie sehr, die Sprache zu lernen. Dann kommt’s zu dem Punkt: Sie haben eine Arbeit, sie haben keine Zeit mehr, niemand interessiert sich mehr für irgendeinen Sprachkurs. […] Es ist immer eine individuelle Geschichte.“ (P12, Abs. 160)
Da die Motivation zum Spracherwerb durch die Arbeit grundsätzlich jedoch steigen dürfte, ist in Tabelle 1 ein Plus angegeben. Von den mitgebrachten Sprachkenntnissen können die Asylbewerber/-innen bei der Arbeit in der Regel kaum profitieren. Es sei denn, Asylbewerber/-innen finden Arbeit bei Menschen aus demselben Herkunftsland. Für den Anfang genügen unter Umständen Englischkenntnisse.
Das Verfahren zur Bearbeitung der Asylanträge ist grundsätzlich in italienischer Sprache und stellt aus diesem Grund einen Faktor dar, der sich positiv auf die Motivation zum Italienischerwerb auswirken kann. In der Vergangenheit konnten Asylbewerber/-innen vor der Asylkommission mit Italienischkenntnissen punkten. Vor allem bei Rekursverfahren ist es wichtig, dass Asylbewerber/-innen zeigen können, dass sie Italienisch gelernt haben. Das wird quasi als Ausdruck des Integrationswillens verstanden. Eine Mitarbeiterin fasst das so zusammen:
„Anche se siamo in Alto Adige, siamo, diciamo, siamo in Italia. E loro dovranno / Tutti devono passare per il colloquio. Per l’udienza nella commissione territoriale di Verona. Ci preoccupiamo per questo e vogliamo che arrivino al colloquio dimostrando che hanno imparato un po’ l’italiano e possono anche un po’ rispondere. Perché dall’esperienza abbiamo visto che la commissione non guarda molto bene una persona che è da molto tempo qua e non sa dire niente in italiano. Forse qualcuno dice: ‚Ma io ho imparato il tedesco.‘ E la commissione dice: ‚Sì, va bene, però noi non siamo in Germania.‘“ (P3, Abs. 88)
Den Spracherwerbsfortschritt können die Asylbewerber/-innen aber nur durch die offiziellen Zertifikate der Sprachschulen nachweisen. Zeugnisse anderer Organisationen oder Personen sind als Nachweis kaum nützlich. Das kann einen Anreiz darstellen, Kurse von Sprachschulen zu besuchen.
Wenn Kinder von Asylbewerber/-innen den Kindergarten oder die Schule besuchen, motiviert das die Eltern beim Spracherwerb. Immerhin müssen die Eltern mit den Lehrpersonen sprechen und die Kinder bei den Hausaufgaben unterstützen. Laut Aussagen der Mitarbeiter/-innen tendieren die Bewohner/-innen dazu, ihre Kinder in deutsche Schulen zu schicken. Sie erhoffen sich dadurch bessere Zukunftschancen für die Kinder:
„Das denken alle. Sie sagen: ‚Du findest besser Arbeit oder leichter Arbeit, wenn du Deutsch redest.‘ Weil sie sehen es ja, wenn sie Arbeit suchen gehen. Das Erste, was sie fragen ist: ‚Kannst du Deutsch reden?‘ Und dann sagen sie: ‚Okay, dann soll mein Kind die deutsche Schule machen.‘“ (P11, Abs. 110)
Wenn die Eltern nur Italienisch sprechen, raten die Mitarbeiter/-innen aber vom Besuch deutscher Schulen ab.
Die Länge der Asylverfahren in Italien und die damit einhergehende Ungewissheit führt bei den Asylbewerber/-innen zu Frustration. Dementsprechend lässt die Motivation, Sprachen zu lernen, nach:
„Loro me lo dicono spesso: ‚Io non so neanche se rimarrò qua.‘ […] Perché ovviamente, non avendo nessuna certezza sul fatto di poter rimanere su questo territorio e neanche in Italia [Lachen], chiaro che la motivazione per l’apprendimento della lingua è molto bassa.“ (P1, Abs. 108)
Die Dauer des Asylverfahrens ist auch der Grund dafür, dass die Asylbewerber/-innen oft lange in den Caritas-Häusern bleiben. Dort erhalten sie die Unterstützung der Mitarbeiter/-innen, die sich um viele Dinge kümmern. Unterm Strich kann das aber zur Folge haben, dass die Motivation zum Spracherwerb sinkt. Schließlich können die Bewohner/-innen bei Problemen immer zu den Mitarbeiter/-innen kommen:
„Perché loro si abituano a una realtà di aiuto, di accompagnamento e di ‚non mi sforzo molto con la lingua perché intanto ci sono gli operatori‘. Lì io vedo che c’è qualche cosa che non funziona.“ (P3, Abs. 190)
Letztlich streben die Mitarbeiter/-innen aber die Selbstständigkeit und Eigenverantwortung der Bewohner/-innen an.
Einige Asylbewerber/-innen planen vielleicht eine Zukunft im deutschsprachigen Ausland. Das steigert die Motivation zum Deutscherwerb. Genauso gibt es aber jene, die möglicherweise in anderssprachige Länder weiterziehen möchten. Letzteres senkt die Motivation zum Deutsch- und Italienischlernen.
Die Auswertung der Interviews lässt nur einen Faktor erkennen, der die Motivation steigert, bei der Erstsprache zu bleiben: die Gruppenbildung. Die Unterbringung von Asylbewerber/-innen in Aufnahmezentren begünstigt grundsätzlich Gruppenbildung. Das kann dazu führen, dass Asylbewerber/-innen untereinander ihre Erstsprachen sprechen: „È difficile, no? Perché questo va benissimo, che loro continuano, però allo stesso tempo è come un’isola, non so, come un mondo dentro un altro mondo.“ (P3, Abs. 156) Der Effekt muss aber nicht zwangsläufig eintreten. Bei Familien ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie in der Familie ihre Erstsprache verwenden. Weitere L1-Faktoren könnte man durch die Befragung von Asylbewerber/-innen ausfindig machen.
5.2 Opportunitäten (Zugang, Effizienz)
In den großen „Centri di pronta accoglienza“, in denen Asylbewerber/-innen am Anfang untergebracht werden, ist individuelle Betreuung schwierig. Das wirkt sich negativ auf den Zugang zu Spracherwerbsangeboten aus. Eine Mitarbeiterin beschreibt das Problem folgendermaßen: „Das sind dann die großen Zentren, wo sie so viele waren, dass die Mitarbeiter, so wie ich eine bin, nicht die Zeit hatten, sich mit ihnen zu beschäftigen.“ (P4, Abs. 88)
Die Mitarbeiter/-innen in den Caritas-Häusern können die Asylbewerber/-innen im Vergleich dazu besser betreuen. Sie können den Spracherwerbsprozess individuell planen und Fortschritte beobachten. Die Kommunikation zwischen Bewohner/-innen und Mitarbeiter/-innen ist nebenbei eine weitere Möglichkeit, Deutsch oder Italienisch zu sprechen bzw. zu üben.
Durch den Austausch mit den Sprachschulen sind die Mitarbeiter/-innen über die dort angebotenen Sprachkurse informiert. Das ermöglicht eine bessere Planung der Sprachkurse und wirkt sich positiv auf den Zugang zum Sprachlernangebot aus.
Die Sprachkurse der Sprachschulen stellen eine wichtige Säule des Spracherwerbs dar (z. B. „alpha beta piccadilly“, „AZB Cooperform“ „Volkshochschule Südtirol“). Meistens finden die Kurse in der Nähe der Caritas-Häuser statt und in der Vergangenheit wurden Sprachkurse manchmal auch direkt in den Häusern abgehalten. Allerdings gibt es mitunter Schwierigkeiten. Wenn die Entfernung zwischen Caritas-Haus und Sprachkursort zu groß ist, wird es schwieriger und demotivierender, Sprachkurse zu besuchen. Den Erfahrungen von Mitarbeiter/-innen zufolge können aber auch Sprachkurse, die direkt im Haus stattfinden, ineffektiv sein:
„In dem Moment, wo du außerhalb einen Kurs machst, hat es den Charakter: ‚Okay, ich besuche einen Kurs. Ich muss hinfahren. Ich muss mich hinbewegen.‘ Und da ist viel mehr Kontinuität gegeben, als wenn es im Haus gemacht wird. Weil dann ist es etwas: ‚Okay, ich muss ja nur in den unteren Stock runtergehen. […] Also es ist dann nicht so das Bewusstsein: ‚Das ist jetzt ein Kurs. Da habe ich pünktlich zu sein.‘“ (P9, Abs. 32)
Große Sprachniveauunterschiede innerhalb eines Kurses wirken sich ebenfalls negativ auf die Effizienz aus. Manchmal gibt es in den Sprachschulen keine freien Plätze mehr oder Kurse werden aufgrund geringer Teilnehmer/-innenzahl abgesagt. Je nach Verfügbarkeit an Kursen kann also der Zugang zur italienischen bzw. deutschen Sprache größer oder kleiner sein.
Es gibt ebenso Non-Profit-Organisationen, die Italienischkurse im Angebot haben. Allerdings gibt es diese nicht landesweit. Deutschkurse wurden von den Mitarbeiter/-innen in diesem Zusammenhang nicht erwähnt. Über die Effizienz lässt sich auf Basis der Interviews wenig sagen.
Die Sprachkurse der Freiwilligen sind die zweite tragende Säule des Spracherwerbs. Die Zahl an aktiven Freiwilligen variiert aber von Haus zu Haus. Die Kurse der Freiwilligen haben den Vorteil, dass sie bei der Gestaltung der Kurse freier sind, dass Einzelunterricht eher möglich ist und dass die Bewohner/-innen sich nicht speziell anmelden müssen. Die Freiwilligen halten die Kurse im Caritas-Haus oder in dessen Nähe ab. Leider handelt es sich aber manchmal nur um temporäre Projekte. Außerdem bringen nicht alle Freiwilligen die notwendigen didaktischen Fähigkeiten mit:
„Also wir machen schon eine Art Selektion. Wir haben auch schon Leute hier gehabt, wo wir wirklich gesehen haben, es geht nicht. Es hat mit der Didaktik nicht geklappt, es hat mit der Motivationsarbeit nicht geklappt. Und die Freiwilligen selber haben gesagt: ‚Schaut, ich habe keinen Erfolg.‘ […] Wir schauen schon jetzt vielleicht Ex-Lehrer, pensionierte Lehrer oder so jemanden zu nehmen.“ (P11, Abs. 48)
Im Rahmen des 8xmille-Projekts geben die zwei von der Caritas angestellten Lehrer selbst Sprachunterricht für die Bewohner/-innen der Caritas-Aufnahmezentren. Zu ihren Aufgaben gehört es auch, die freiwilligen Sprachlehrer/-innen mit dem neuen Konzept vertraut zu machen. Das erhöht also gleichzeitig die Effizienz der Sprachkurse von Freiwilligen. Die Mitarbeiter/-innen bewerten dieses Projekt positiv: „[…] wir haben super Ergebnisse mit ihm. Also Leute, die in Sprachkursen sitzen, dort berieselt werden und null Fortschritte machen, machen mit ihm Fortschritte.“ (P10, Abs. 28)
Asylbewerber/-innen können darüber hinaus die regulären Schulen besuchen und haben dort Zugang zum Deutsch- und Italienischunterricht. Allerdings kommt diese Möglichkeit sicherlich nicht für jeden infrage. Aussagen zur Effizienz lassen sich auf Basis der Interviewaussagen nicht treffen.
Das Sprachenlernen im Rahmen von berufsbildenden Kursen stellt natürlich einen wichtigen Spracherwerbszugang dar. Die Interviewaussagen reichen nicht aus, um die Effizienz berufsbildender Kurse und Projekte bewerten zu können.
Fernsehen, Radiohören, Sprachlern-Apps, Bücher, Tandempartner/-innen: Das sind niedrigschwellige Möglichkeiten, um Deutsch oder Italienisch zu lernen. Inwiefern diese und weitere Möglichkeiten des Spracherwerbs für die Asylbewerber/-innen wirklich eine Rolle spielen, lässt sich schwer sagen.
Die Mitarbeiter/-innen sind sich hingegen einig, dass der Arbeitsmarkt einen wichtigen Spracherwerbszugang darstellen kann. Am Arbeitsplatz bietet sich die Möglichkeit, Sprachkenntnisse im Austausch mit den Arbeitskolleg/-innen zu verbessern. Das hängt aber von der Art der Arbeit ab. Wer eine Tätigkeit ausübt, bei der man gar nicht sprechen muss, wird durch die Arbeit auch keine sonderlich großen Fortschritte beim Spracherwerb machen. Unter Umständen kann der Zugang zu Spracherwerbsmöglichkeiten durch die Arbeit eingeschränkt werden. Denn es ist zu bedenken, dass sich Sprachkurse zeitlich oft nicht mehr mit der Arbeit vereinen lassen oder Asylbewerber/-innen nach der Arbeit einfach zu müde sind.
In fast allen Caritas-Häusern gibt es Projekte und Initiativen, die dazu beitragen sollen, Einheimische und Bewohner/-innen zusammenzubringen, um so den Spracherwerb indirekt zu fördern. Projekte mit der lokalen Bevölkerung bilden somit einen weiteren Zugang.
Viele Asylbewerber/-innen – vor allem Frauen – haben in ihren Herkunftsländern keine Schule besucht oder haben nur geringe oder keine Schulerfahrung. Demzufolge sind viele nicht an Frontalunterricht gewöhnt oder sind Analphabet/-innen: „Ja, ich glaube, sie kommen mit dem System nicht zurecht. Sie haben nie gelernt, so zu lernen wie wir.“ (P10, Abs. 154) Darunter leidet die Effizienz des Spracherwerbs. In den Caritas-Häusern versucht man mit einer individuelleren Ausrichtung der Sprachkurse, mit Alphabetisierungskursen oder mit dem 8xmille-Projekt zu reagieren.
Unter den Asylbewerber/-innen sind außerdem Traumatisierungen nicht selten. Dessen muss man sich bewusst werden, wie eine Mitarbeiterin meint:
„Also generell glaube ich, ist das Problem, dass wir alles von unserer Sichtweise sehen und von unserem Schulsystem. Und denken: ‚Ja, wenn die die Kurse machen, dann müssten sie es wohl lernen.‘ Und dass die Realität ganz anders ist, dass wir traumatisierte Leute haben, dass wir Leute haben, die einfach nicht an sich glauben. […] Ein normaler Kurs kann dem nicht gerecht werden. “ (P10, Abs. 254)
Spracherwerb ist unter solchen Voraussetzungen schwierig, weil die betroffenen Personen unter Umständen Konzentrationsschwierigkeiten haben. Individuellere Betreuung kann in diesen Fällen hilfreich sein.
Wer Mutter oder Vater eines Kindes ist, ist beim Spracherwerb eingeschränkt, denn für die Zeit des Sprachkurses bräuchte es jemanden, der die Kinder betreut. Sprachkurse, die sich etwas weiter weg vom Caritas-Haus befinden, kommen für Mütter oder Väter deshalb oft kaum infrage. Das Problem betrifft eher die Frauen, weil zumeist sie es sind, die für die Kinderbetreuung zuständig sind, während die Männer zur Arbeit gehen. Da die Arbeit – wie bereits aufgezeigt – zugleich einen wichtigen Spracherwerbszugang darstellt, können Frauen mit Kindern also in mehrfacher Hinsicht benachteiligt sein. In den Worten eines/-einer Mitarbeiter/-in kommt die Problematik gut zum Ausdruck:
„[…] dass halt die jungen Frauen mit Babys immer die sind, die einfach so ein bisschen durch den Rost fallen, weil einfach zu wenig Möglichkeiten sind, dass sie ungestört lernen können. […] Die Männer machen trotzdem ihre Kurse. Frauen ohne Kinder können auch ihre Sachen machen, aber in dem Moment, wo du ein Baby hast, wo du stillst, ich meine, bist du irgendwie wie so auf das Wartegleis gestellt.“ (P9, Abs. 126)
Erschwerend kommt hinzu, dass Frauen bereits in ihren Herkunftsländern im Vergleich zu Männern häufig schlechtere Chancen haben, eine Schule zu besuchen. Dadurch sind die Voraussetzungen für den Spracherwerb im Aufnahmekontext ungünstig. Es ist nicht auszuschließen, dass der erschwerte Zugang der Eltern zu Spracherwerbsmöglichkeiten negative Auswirkungen auf den Spracherwerb der Kinder hat.
Dass Asylbewerber/-innen lange Zeit in den Caritas-Unterkünften bleiben, hat eine positive und eine negative Seite. Einerseits werden die Bewohner/-innen dort beim Spracherwerb unterstützt und ihnen stehen einige Spracherwerbsangebote zur Verfügung. Wer das Caritas-Haus verlässt, hat dazu meist keinen Zugang mehr. Nach Verlassen der Aufnahmezentren müssen sich die Asylbewerber/-innen zur Beratung an andere Anlaufstellen wenden. Und die negative Seite des zum Teil langen Aufenthalts in den CAS-Einrichtungen?? Bewohner/-innen mit höherem Sprachniveau profitieren irgendwann nicht mehr vom dortigen Angebot, da es sich eher an Sprachanfänger/-innen richtet.
5.3 Kosten
Die meisten Sprachkursangebote sind für Asylbewerber/-innen, die in Caritas-Häusern untergebracht sind, kostenlos. Dazu gehören die Sprachkurse der Freiwilligen und das 8xmille-Projekt. Bis zu einem gewissen Niveau können auch die Kurse der Sprachschulen kostenlos in Anspruch genommen werden. Viele berufsbildende Kurse werden durch den Europäischen Sozialfonds finanziert und dürften somit für die Asylbewerber/-innen gratis sein. Die finanziellen Kosten werden beim Besuch einer regulären Schule ähnlich gering sein. Im Gegenzug ist der investierte Zeitaufwand wahrscheinlich sehr groß. Deshalb ist diesbezüglich in Tabelle 1 bei den Kosten ein Plus angegeben.
Fernsehen, Radiohören, Sprachlern-Apps, Bücher oder Tandempartner/-innen sind kostengünstige Möglichkeiten zum autonomen Sprachenlernen.
Die individuelle Betreuung und die Dauer der Unterbringung in den Caritas-Häusern sind kostensenkende Faktoren. Schließlich schauen sich die Mitarbeiter/-innen nach Spracherwerbsmöglichkeiten um. Die Bewohner/-innen, die sich ansonsten selbstständig um den Spracherwerb kümmern müssten, sparen sich dadurch Zeit und Geld.
Für Asylbewerber/-innen mit geringer bis keiner Schulerfahrung wird der Spracherwerb teurer, weil sie mehr Zeit investieren müssen. Dasselbe gilt für Asylbewerber/-innen, die unter Traumatisierungen leiden.
Asylbewerber/-innen, deren Erstsprache sich vollkommen von den Südtiroler Landessprachen unterscheidet und die deshalb vielleicht Schwierigkeiten mit dem lateinischen Alphabet haben, müssen höhere Spracherwerbshürden bewältigen: Der Zeitaufwand steigt.
Wenn es dagegen eine linguistische Nähe zur deutschen oder italienischen Sprache gibt, dann reduziert das die Kosten des Spracherwerbs. Das Lernen der italienischen Sprache ist zum Beispiel für Asylbewerber/-innen aus frankofonen Ländern naheliegender. Englischkenntnisse führen laut Aussagen der Mitarbeiter/-innen aber nicht automatisch dazu, dass Asylbewerber/-innen Deutsch lernen. Das kann wiederum damit zusammenhängen, dass man in Südtirol einen deutschen Dialekt spricht.
6. Schlussbemerkungen
Dieser Beitrag hat auf Besonderheiten sowie Schwierigkeiten des Spracherwerbs von Asylbewerber/-innen hingewiesen, die in Südtirol untergebracht sind. Die Mitarbeiter/-innen der Aufnahmezentren nehmen hier eine zentrale Rolle ein, da sie sich im Rahmen ihrer Aufgaben auch um den Spracherwerb kümmern. Sie bilden die Schnittstelle zu anderen Akteur/-innen wie Sprachschulen oder Freiwilligen und verschaffen den Asylbewerber/-innen somit Zugang zu vielen Sprachlernangeboten.
Als sehr effizient und zugleich motivationssteigernd erweisen sich in den Caritas-Häusern die Italienischstunden nach dem Konzept der sogenannten 8xmille-Sprachlehrer. Die Alltagsorientierung und Individualität dieses Kursformats wecken die Lust des Sprachenlernens.
Besondere Aufmerksamkeit verlangt der Spracherwerb von Männern bzw. Frauen mit Kindern. Sie können Sprachkurse oftmals nicht besuchen, weil sie niemanden haben, der während der Zeit des Kurses die Kinder betreut. Zugleich ist es für Männer bzw. Frauen mit Kindern potenziell schwieriger, eine Arbeit zu finden. Damit fällt die Möglichkeit weg, am Arbeitsplatz die Sprachkenntnisse zu verbessern. Die Benachteiligung, die die Eltern erfahren, kann sich langfristig negativ auf die sprachliche Entwicklung des Kindes auswirken.
Bei Asylbewerber/-innen ist ebenfalls zu berücksichtigen, dass einige unter Traumatisierungen leiden. Das wiederum minimiert die Effizienz des Spracherwerbs. Geringe bis keine Schulerfahrung wirkt sich ebenso negativ auf die Effizienz und die Kosten des Spracherwerbs aus. Die lange Unterbringung in den „Centri di pronta accoglienza“ von Bozen sowie das lange Warten auf eine endgültige Entscheidung im Asylverfahren fördern den Spracherwerb der Asylbewerber/-innen ebenfalls nicht.
Es gibt also einige Stellschrauben, an denen man drehen sollte. Deshalb soll hier auf einige Vorschläge der Mitarbeiter/-innen hingewiesen werden. Wichtig sind und wären deren Meinung nach:
die weitere Finanzierung der Spracherwerbsmaßnahmen;
ein flächendeckendes Angebot an Deutsch- und Italienischkursen;
die Individualisierung der Sprachkurse;
die Ausrichtung der Sprachkurse an den Alltag und die Bedürfnisse der Asylbewerber/-innen (z. B. eine Kombination aus Sprach- und Computerkurs);
Maßnahmen zur sprachlichen Frühförderung der Kinder;
das Schaffen von Spracherwerbsanreizen einerseits und von Sanktionsmöglichkeiten andererseits;
Sprachtests, um den Spracherwerbsfortschritt besser messen zu können;
kleinere Wohneinheiten, um die Autonomie der Asylbewerber/-innen zu fördern und die Abhängigkeit von Sozialarbeiter/-innen auf lange Sicht zu reduzieren.
Weitere Forschung ist nötig, um den Spracherwerb und die sprachliche Integration von Asylbewerber/-innen, die in Südtirol untergebracht sind, besser erklären zu können. Zukünftige Forschungsprojekte müssen aber Asylbewerber/-innen direkt einbinden, denn nur dadurch kann auch der Einfluss des Herkunftskontexts auf den Spracherwerb geklärt werden. Es sollten auch Mitarbeiter/-innen anderer Organisationen befragt werden, um ein vollständigeres Bild zu gewinnen. Weiters wäre auch die Befragung anderer Akteur/-innen wie freiwillige Sprachlehrer/-innen aufschlussreich. Vergleiche zur sprachlichen Integration von Asylbewerber/-innen in anderen mehrsprachigen Gesellschaften wären ebenso notwendig. Letzten Endes geht es auch darum, aus den Forschungsergebnissen entsprechende (politische) Maßnahmen abzuleiten. Kurzum: Die Motivation zum Spracherwerb gilt es zu erhöhen, die Opportunitäten zu erweitern und die Kosten zu senken.
Tabelle 1: Faktoren, die den Spracherwerb von in Südtirol untergebrachten Asylbewerber/-innen beeinflussen
Faktor |
Motivation |
Opportunitäten |
Kosten |
DE |
IT | |||
DE |
IT |
L1 |
Zugang |
Effizienz | ||||
Unterbringung in den „Centri di pronta accoglienza“ von Bozen |
- |
- |
- | |||||
Individuelle Betreuung in den Caritas-Häusern |
+ |
+ |
+ |
- |
+ |
+ | ||
Austausch zwischen Sprachschulen, Freiwilligen und Mitarbeiter/-innen |
+ |
+ |
+ | |||||
Hausordnung |
(+) |
(+) |
(+) |
(+) | ||||
Erwerb der italienischen Staatsbürger/-innenschaft |
(+) |
(-) |
(+) | |||||
Sprachkurse von Sprachschulen |
+ |
+/- |
- |
+ |
+ | |||
Sprachkurse von anderen Organisationen |
+ |
? |
- |
? |
+ | |||
Sprachkurse von Freiwilligen |
+ |
+/- |
- |
+ |
+ | |||
Projekt „8xmille“ |
+ |
+ |
+ |
- |
- |
+ | ||
Reguläre Schule |
+ |
? |
+ |
+ |
+ | |||
Berufsbildende Kurse |
+ |
+ |
+ |
? |
- |
+ |
+ | |
Niedrigschwellige Möglichkeiten des Spracherwerbs |
+ |
? |
- |
+ |
+ | |||
Längere Zeit in den „Centri di pronta accoglienza“ von Bozen |
- |
+ |
- |
+ | ||||
Schwierigkeitsgrad der Sprachen |
- |
+ |
+/- |
- |
+ | |||
Q-Value IT |
+ |
- |
+ | |||||
Südtiroler Dialekt |
- |
- |
+ | |||||
Linguistische Nähe L1-DE, IT |
- |
+ |
+ | |||||
Linguistische Distanz L1-DE, IT |
+ |
- |
- | |||||
Arbeitsmarkt |
+ |
+ |
+/- |
+ |
+ | |||
Projekte mit der lokalen Bevölkerung |
+ |
+ |
+ | |||||
Asylverfahren |
+ |
- |
+ | |||||
Geringe bis keine Schulerfahrung |
- |
+ |
- |
- | ||||
Traumatisierung |
- |
+ |
- |
- | ||||
Mutter sein, Vater sein |
- |
- |
- | |||||
Kindergarten- bzw. Schulbesuch der Kinder |
+ |
+ |
+ |
+ | ||||
Gruppenbildung |
+ |
- |
- | |||||
Dauer des Asylverfahrens |
- |
- |
- |
- | ||||
Dauer der Unterbringung im Caritas-Haus |
+/- |
+/- |
+/- |
- |
+/- |
+/- | ||
Temporäre Migration |
+/- |
- |
+/- |
- |
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
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Pallaver, Günther (2001), Ist Südtirol ein multikulturelles Land? Probleme und Perspektiven einer mehrsprachigen Gesellschaft, in: Appelt, Erna (Hg.), Demokratie und das Fremde. Multikulturelle Gesellschaften als demokratische Herausforderung des 21. Jahrhunderts, Innsbruck: StudienVerlag, 134 – 152
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