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Gernot Gruber

Zwei Landtagswahlen im Lichte der ­Meinungsforschung

Einfluss und Zusammenwirken von Metastimmungen in der ­Südtiroler Bevölkerung im Vorfeld der letzten beiden Wahlgänge. Erkenntnisse aus den Lebensstilmilieus

1. Einführung

Der vorliegende Bericht versucht, einen Überblick über die Ergebnisse von insgesamt 31 Meinungsforschungsprojekten zur politischen Stimmungslage auch und vor allem in Hinblick auf die zur Zeit der Durchführung der Analysen anstehenden Landtagswahlen in Südtirol zu geben. Die Untersuchungen fanden im Zeitraum September 2005 bis Oktober 2013 jeweils unter der Federführung des Autors statt. Die jeweiligen Eckdaten zu Fallzahlen, Schwankungsbreiten und Durchführungszeitraum sowie methodische Anmerkungen sind in den Ergebnischarts angeführt. Der Autor verzichtet zugunsten einer besseren Lesbarkeit, im Text darauf einzugehen. Ziel der Langzeitanalyse war es zum einen, empirische Erkenntnisse darüber zu erlangen, inwieweit die politisch-ökonomische Stimmungslage in der Bevölkerung auf das Wahlergebnis Einfluss nimmt und inwieweit sich auf Basis von Lebensweltzugehörigkeiten, sprich Milieuzugehörigkeit, eine Parteien- und Themenaffinität in Südtirol darstellen und beobachten lässt.

Hierzu war es zunächst nötig, für Südtirol eine milieuspezifische Segmentierung der Südtiroler Bevölkerung vorzunehmen. Diese wurde im Zeitraum 2006/2007 vom Autor im Zuge einer Auftragsstudie in Angriff genommen und seit diesem Zeitpunkt laufend adaptiert. Da der Forschungsansatz zu Beginn des Projektes ein Ansatz der Konsumforschung war, kam der Autor durch seine laufenden, eng politikwissenschaftlichen Fragestellungen sehr rasch zur Erkenntnis, wie sie Ralph Weiß ausführt: „Lebenslagen und Formen der Lebensführung bestimmen darüber, ob und wie die medienvermittelte politische Kommunikation Einfluss auf politische Vorstellungen, Einstellungen und Handlungen ausübt“ (Weiß 2013, 205).

Um das Wirkungsgefüge zwischen Lebenslagen und Lebensformen – in Folge als Lebensstilmilieu bezeichnet – und den Stimmungen zu den Landtagswahlen 2008 und 2013 darzulegen, erfolgt zunächst eine kurze Beschreibung des Pro­jekt­ab­laufs der Milieusegmentierung sowie eine kurze Darstellung der einzelnen Südtiroler Lebensstilmilieus. Im Anschluss daran wird auf die Langzeitanalyse der politischen und der wirtschaftlichen Stimmungslage eingegangen, da diese als determinierende Einflussfaktoren auf Wahlentscheidungen gelten können. Im Spe­ziel­len sei hier die These angeführt, dass der ab Mitte der 2000er-Jahre einsetzende Trend des Regrounding zum Vorteil der bisherigen Mehrheitspartei vor allem 2008 und im geringeren Maße 2013 Auswirkungen gezeigt hat. Regrounding umschreibt den zentralen Trendbefund, dass nämlich die rasanten Veränderungen in der Welt unter massiver Zunahme der Komplexität eine gesellschaftliche Sehnsucht zu Bodenhaftung, Ruhe, Stabilität und Kontinuität auslösen (vgl. Navigator 2005).

Somit versucht der vorliegende Artikel folgende zentrale Frage zu beantworten: Ist die relative Mehrheit für die Südtiroler Volkspartei bei den Landtagswahlen 2013 dem Wunsch nach Kontinuität unter einem anderen Gesicht zuzuschreiben oder deutet sie die Sehnsucht nach einem Paradigmenwechsel an?

2. Der Milieuansatz

Der Milieuansatz des Marktforschungsinstituts Sinus Sociovision zielt seit den 70er-Jahren darauf ab, den Wertewandel und die Lebenswelten der Menschen in Deutschland – und mittlerweile in verschiedenen anderen Nationen – zu erforschen. Die Sinus-Milieus sind mittlerweile eines der bekanntesten und akzeptiertesten Zielgruppen-Segmentierungsmodelle. Im Rahmen der Milieuforschung werden alle wichtigen Lebensbereiche erfasst, mit denen eine Person täglich oder nahezu täglich zu tun hat: Arbeit, Familie, Freizeit, Geld, Konsum, Medien usw. Zentrales Ergebnis dieser Forschungen besteht darin, empirisch ermittelte Wertprioritäten und Lebensstile zu einer Basistypologie zu verdichten (vgl. Sinus 2014).

2.1. Die europäische Orientierung

Über die Ländergrenzen hinweg lassen sich gemeinsame Grundorientierungen, Wertehaltungen und Lebensstile identifizieren. Oft verbindet Menschen aus verschiedenen Ländern, aber vergleichbaren Milieus mehr, als sie mit dem Rest ihrer Landsleute verbindet.

Speziell in einer zweisprachigen und in weiten Teilen „zweikulturellen“ Gesellschaft, wie die Südtiroler Gesellschaft sie darstellt, reicht es aber nicht aus, die deutsche Bevölkerung entlang der für Österreich oder Deutschland definierten Milieus sowie die italienische Bevölkerung entlang der für Italien definierten Milieus zu segmentieren.

Aus diesem Grunde entschied der Autor, sich im Forschungsdesign zwar an den Sinus-Meta-Milieus® für Westeuropa als Grundraster zu orientieren, aber die für Südtirol spezifische Segmentierung auf Basis quantitativer und qualitativer Befunde zu generieren. Insgesamt wurden im Projektzeitraum 18.000 quantitative Interviews und 16.000 qualitative Erhebungen durchgeführt. Dabei wurde ein Item-Katalog mit 58 Indikatoren entwickelt und operational überprüft.

Abbildung 1: Sinus-Meta-Milieus

Traditional

Orientierung an Sicherheit und Status quo; Festhalten an traditionellen Werten wie Pflicht­erfüllung, Disziplin und Ordnung

Consumer Materialistic

Konsummaterialistische Orientierung; Versuch, den Konsum-Standard des Mainstreams zu halten; häufig soziale Benachteiligung und Entwurzelung

Established

Leistungsbereitschaft und Führungsansprüche; Statusbewusstsein und ausgeprägte Exklusiv­bedürfnisse

Sensation Orientated

Suche nach Fun & Action, nach neuen Erfahrungen und intensiven Erlebnissen, Leben im Hier und Jetzt; Individualismus und Spontaneität; Provokation und unkonventionelle Stilistik

Intellectual

Weltoffenheit und postmaterielle Werte; ­ausgeprägte kulturelle und intellektuelle ­Interessen, Streben nach Selbstverwirklichung und Persönlichkeitsentfaltung

Modern Performing

Jung, flexibel und sozial mobil; intensives Leben im Sinne von Erfolg und Spaß, hohe Qualifikation und Leistungsbereitschaft; Multimedia-Faszina­tion

Modern Mainstream

Wunsch nach einem angenehmen und harmo­nischen Leben; Streben nach materieller und sozialer Sicherheit

Zusätzlich wurden im Zuge der Projektvorbereitung und der Datenvalidierung Sekundärdaten unterschiedlichster Quellen herangezogen.1 Als sehr hilfreiche Datensammlung erwies sich auch das Kompendium von Tappeiner, Lechner, Tappeiner mit einer ganzen Fülle von Indikatoren zu Gesellschaft und Wirtschaft (2007).

2.2. Die Südtiroler Lebensstilmilieus

Auf Basis der für die Sinus-Meta-Milieus festgelegten Lebensstilindikatoren lässt sich die erwachsene Bevölkerung Südtirols als Angehörige dieser verschiedenen Lebenswelten quantitativ gruppieren. Natürlich ist der relative Bevölkerungsanteil der insgesamt 11 Milieus unterschiedlich stark ausgeprägt. Naturgemäß zeigt sich auch, dass die Grenzen der Milieus teilweise fließend bzw. überlappend sind. Dies ist aber ein grundlegender Bestandteil des Milieukonzeptes. Zwischen den Milieus gibt es Berührungspunkte und Übergänge, welche auf gemeinsamer Wertorientierung und Statuszugehörigkeit sowie auf diversen anderen Indikatoren beruhen.

Als beste Form der Darstellung der Milieus gilt die sogenannte Kartoffelgrafik. Sie stellt die Größenverhältnisse der einzelnen Milieus, die oben beschriebenen Überlappungen, deren Positionierung auf der Wertachse (Tradition/Moderne/Postmoderne) sowie die Achse zum sozialen Status dar.

Abbildung 2: Schema der Südtiroler Lebensstilmilieus

Quelle: Die Südtiroler Lebensstilmilieus – Interne Arbeitsunterlage, Gernot Gruber

2.3. Die elf Südtiroler Lebensstilmilieus in der Kurzbeschreibung

Die folgende, zum Teil stichwortartige Kurzbeschreibung2 dient dem Verständnis der empirischen Ergebnisse und Erkenntnisse in Bezug auf die politische Stimmung im Vorfeld beider Landtagswahlen 2008 und 2013.

a) Traditionelles (klein)bürgerliches Mainstream-Milieu

17 Prozent der Erwachsenen in der Südtiroler Bevölkerung; die auf Sicherheit, Tradition und Ordnung orientierte Kriegs- und Nachkriegsgeneration. Mehrheitlich kleinbürgerlich, aber auch kleinbäuerlich verwurzelt; die im bäuerlichen Milieu aufgewachsenen Arbeiter, Angestellten und Handwerker.

Soziodemografischer Hintergrund:

Dominanter Anteil der über 60- bis 65-Jährigen; hoher Frauenanteil aufgrund der Altersstruktur; überwiegend MittelschulabsolventInnen mit abgeschlossener Berufsausbildung; mehrheitlich RentnerInnen (vorher kleine Angestellte, ArbeiterInnen, Bauern/Bäuerinnen); Einkommen ab 10.000 Euro bis zu 45.000 Euro.3 Besitz ist meist auf Eigenheim konzentriert. Bauern bilden die Ausnahme. Deutlicher Überhang der deutschen und ladinischen Sprachgruppe im ländlichen Gebiet. In der italienischen Sprachgruppe findet sich dieses Milieu stark unter den urbanen RentnerInnen.

Lebensstile und Werte:

Kleine Haushalte mit Stützpunktcharakter für die Nachkommen. Mitglieder in Traditionsvereinen (Schützen, Alpenverein usw.) sowie SeniorInnen- und Hobbyvereinen (BienenzüchterInnen usw.). Kleines Eigenheim oder Eigentumswohnung; sparsames Familienauto oder Kleinwagen. Bewahrer der traditionellen Werte, Pflichterfüllung, Disziplin, Moral. Sie leben die Pflege von Familien- und Nachbarschaftsbanden und suchen nach Anerkennung im unmittelbaren sozialen Umfeld. Sich in den Mittelpunkt zu stellen, Traditionen aufzugeben, kommt nicht infrage. Interessen kreisen eng um die eigenen vier Wände, Familie, Basteln usw. Haben ein Leben lang gespart und halten nach wie vor ihr Geld fest; Kinder und Enkelkinder unterstützen sie dagegen gerne.

b) Etabliert-konservatives Milieu

Umfasst 6 Prozent der Erwachsenen der Südtiroler Bevölkerung. Die Etabliert-Konservativen sind zum einen sehr gebildet und selbstbewusst, zum anderen Personen mit hohem Einkommen und Besitzstand. Sie sind aufgrund der rasanten wirtschaftlichen Entwicklungen in Südtirol aber auch relativ „neureich“.

Soziodemografischer Hintergrund:

Konzentriert auf zwei Generationen, zum einen ist es die Generation ab Mitte Dreißig und zum anderen die Generation der 60+. In der älteren Generation hohes und mittleres Bildungsniveau, in der jungen Generation überdurchschnittliches Bildungsniveau. Sie sind UnternehmerInnen, Industrielle, Hoteliers. Einkommen über 60.000 Euro.

Lebensstile und Werte:

Deutlich stärker in der deutschen und ladinischen, sehr gering in der italienischen Sprachgruppe vertreten. Während die junge Gruppe meist in Drei- oder Mehr-Personen-Haushalten lebt, lebt die ältere Generation in Zwei-Personen-Haushalten. Meist verheiratet. Keine starke Vereinsbindung (Kulturvereine oder exklusive Freizeitvereine). Ausschließlich Eigenheime, Häuser, Villen und Altstadtwohnungen. Die Jüngeren fahren SUVs oder sportliche Limousinen, die Älteren Limousinen. Der eigene Stand ist von hoher Bedeutung, wird aber sehr häufig auch mit der Interessensvertretung gleichgesetzt. Sehr kunst- und kulturaffin, tendenziell klassische Orientierung. Beruflicher Erfolg ist genauso wichtig wie das Interesse an Politik und Wirtschaft. Sehr engagiert in Vereinigungen, Verbänden (Rotary, Lions, Kiwanis usw.). Familie und Zusammenhalt sind sehr wichtig.

c) Aufstiegsorientiertes Milieu

Umfasst 11 Prozent der erwachsenen Südtiroler Bevölkerung. Die Welt der Aufstiegsorientierten ist jene der Marken mit hohem Prestigecharakter. Sie streben aus dem traditionellen kleinbürgerlichen oder modernen bürgerlichen Arbeitnehmermilieu ins etablierte Milieu. Sie wollen mehr erreichen als ihre Eltern, aber nicht durch Sparen, sondern durch Leistung. Konsum steht sehr hoch im Kurs.

Soziodemografischer Hintergrund:

Altersstruktur: Ab Ende 20 bis maximal 50 Jahre. Dominant männlich, Frauen holen auf. Mittlere Bildungsschicht, zunehmend mehr AkademikerInnen. Meist selbstständig, stark im Bereich Handel, aber auch expansionsorientierte Handwerker vertreten. Einkommen zwischen 25.000 und 50.000 Euro.

Lebensstile und Werte:

Tendenziell in allen Sprachgruppen vorhanden, in der italienischen leicht schwächer. Sehr hohe Singlerate; Beziehungen sind durchschnittlich von geringerer Dauer. Kaum Kinder und nicht formalisierte Beziehungen. Netzwerke sind wichtiger als Vereine, Verbände haben Bedeutung, sind jedoch nur mit geringem persönlichem Engagement verbunden. Beim Wohnen zählt Prestige, nicht nur Eigenheim, sondern aufgrund der Dynamik dieses Milieus wird häufig die präsentable Mietwohnung bevorzugt. Sie fahren SUVs oder Limousinen bzw. sportliche Ausführungen bekannter Marken. Insgesamt weisen sie eine sehr hohe Markenaffinität für Statuslabels auf. Edelkonsum ist Bestandteil des Aufstiegsmilieus. Beruflicher Erfolg steht auf der Werteskala ganz oben, als Garant für aufwendigen Lebensstil und noblen Konsum und nicht als Selbstfindungszweck.

d) Gehobenes liberal-intellektuelles Milieu

Rund 7 Prozent der Südtiroler erwachsenen Bevölkerung. Liberales Bildungsbürgertum. Hoher Stellenwert von Selbstverwirklichung und Selbstbezug, speziell in Beruf und Freizeit. Ablehnung von Äußerlichkeitswerten (man schätzt aber das Edle, Echte, Auserlesene).

Soziodemografischer Hintergrund:

Breites Altersspektrum: ab Anfang 20 bis ins Alter der „jungen Alten“. Dominant männlich, obwohl Frauen stark aufholen. Fast ausschließlich Matura und Hochschulabschluss. Qualifizierte und leitende Angestellte, BeamtInnen, FreiberuflerInnen, StudentInnen. Einkommen ab 40.000 Euro. Nur teilweise Besitzstand.

Lebensstile und Werte:

Tendenziell in allen Sprachgruppen gleichermaßen vorhanden (bedingt durch die Konzentration auf urbane Gebiete). Häufig größere Haushalte mit Kindern. Sinnhafter Genuss auf hohem Niveau ist wichtiger als Konsum. Weiterbildung ist ein lebenslängliches Thema, weil sie sich mehr über Intellekt und Kreativität definieren. Politisches Engagement, verantwortungsbewusster Umgang mit sich und der Welt, soziale Gerechtigkeit, ökologische und politische Korrektheit macht sie wählerisch in Sachen sozialer Bindungen. Wohnen in gediegenen Altbauwohnungen, gepflegter Lebensstil. Das Auto hat funktionalen Charakter: Sicherheit statt Status. Zeichnen sich durch hohes Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten aus, gehen souverän mit beruflichen Herausforderungen um, wollen Erfolg im Beruf, aber nicht um jeden Preis. Ihre Ansprüche richten sich auf die Entfaltung ihrer individuellen Bedürfnisse und Neigungen, auf das Schaffen von Freiräumen für sich. In hohem Maße sind sie interessiert an Literatur, Kunst und Kultur.

e) Harmonieorientierter Mainstream

8 Prozent der Erwachsenen der Südtiroler Bevölkerung. Diese Personen streben ein ausgeglichenes, angenehmes und behütetes Leben an, ohne Risiken und Extreme. Die deutlich katholische oder spiritualistische Orientierung grenzt sie vom modernen bürgerlichen Mainstream ab. Sehr hoher Stellenwert von sozialen Beziehungen. Im internationalen Vergleich ist dieses Milieu stark ausgeprägt, vor allem in seiner christlich/spiritualistischen Orientierung. Daher ist in den Südtiroler Lebensstilmilieus eine Abgrenzung hin zum deutlich säkularisierten Alltagsleben des modernen ArbeitnehmerInnen-Mainstream notwendig.

Soziodemografischer Hintergrund:

30 bis 50 Jahre, leicht erhöhter Frauenanteil (weibliche Singles). Mittlerer Bildungsstand, zwei- bis dreijährige Ausbildung nach Mittelschule oder Matura überrepräsentiert. Hoher BeamtInnenanteil, LehrerInnen und soziale Berufe, Angestellte und FacharbeiterInnen. Einkommen ab 10.000 Euro bis zu 45.000 Euro. Meist auf die Schaffung eines Eigenheims konzentriert.

Lebensstile und Werte:

Sehr ähnliche Verteilung über alle Sprachgruppen. Mehrpersonen-Haushalte, meist verheiratet, sehr kinderfreundlich. Sehr hohe Mitgliederquote in Vereinen wie im Katholischen Familienverband, aber auch im Verein für Kinderspielplätze und Erholungsinitiativen, Kirchenchören und Pfarrgemeinderäten. Das Eigenheim als zentrales Familienziel, viele Ausgaben werden für Einrichtung getätigt. Das sichere Familienauto und der Zweitwagen für die Frau zählen. Bodenständig, häuslich und modern zugleich. Thema Nummer eins sind Familie und Kinder – darum kreist das Leben und Denken dieses Milieus ganz entscheidend: Familie und Kinder zu genießen und den Wohlstand mit der Familie zu teilen. Sehr wichtig sind Lebensqualität, Sicherheit, materielles wie auch emotionales Wohlergehen. Die soziale Mitte als selbstverständlicher Platz in der Gesellschaft ist die Basis ihres sozialen Engagements (aber immer mit Gleichgesinnten). Klare Ablehnung von extremen Haltungen.

f) Postmoderne Ökosoziale

Der Bevölkerungsanteil liegt bei 4 Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Aufgeklärte nach 68er, kosmopolitisch und tolerant. Kulturpessimistisch setzen sich mit den Auswirkungen der Übertechnisierung und Globalisierung auseinander. Ökosoziale Gerechtigkeit ist fast gleich wichtig wie die persönliche Entfaltung.

Soziodemografischer Hintergrund:

Breites Altersspektrum, ab Anfang 20 bis ins Alter der „jungen Alten“. Dominant weiblich, obwohl Männer stark aufholen. Fast ausschließlich Matura und Hochschulabschluss. Qualifizierte und leitende Angestellte und BeamtInnen, FreiberuflerInnen, StudentInnen. Einkommen ab 30.000 Euro, nur teilweise Besitzstand.

Lebensstile und Werte:

Sehr ähnliche Verteilung über alle Sprachgruppen. Häufig größere Haushalte mit Kindern. Das Auto hat nur funktionalen Charakter, kein Statussymbol. Sicherheit und Ökonomie zählen. Ihr Lebensstil ist umwelt- und gesundheitsbewusst (Balance zwischen Körper, Geist und Seele). Sie schätzen subtile Genüsse, überflüssigen Konsum lehnen sie ab. Nach dem Motto „weniger ist mehr“ kaufen sie selektiv und mit hohem Informationsstand. Hohe Bedeutung von KonsumentInnenschutz.

g) Experimentalistische PerformerInnen

4 Prozent der Erwachsenen der Südtiroler Bevölkerung. Extremer Individualismus als Experiment. Der Experimentalist lebt in Widersprüchen. Das Selbstverständnis ist ein Lebensstil der Avantgarde.

Soziodemografischer Hintergrund:

Sehr junges Milieu, Altersschwerpunkt unter 30 Jahren. Gehobene Bildungsabschlüsse, SchülerInnen, StudentInnen. (Mittlere) Angestellte, (kleinere) Selbständige und FreiberuflerInnen. Vergleichsweise hoher Anteil an Personen ohne eigenes Einkommen, aber Haushaltsnettoeinkommen im Durchschnitt (gut situierte Eltern).

Lebensstile und Werte:

Sehr ähnliche Verteilung über alle Sprachgruppen. Häufig größere Haushalte mit Kindern. Nur spontane Bindungen, kaum geregelte Vereinsmitgliedschaften. Wohnen häufig noch zu Hause oder in Wohnungen im Besitz der Eltern. Das Auto hat geringe Bedeutung als Statussymbol, Akzeptanz nur als Fortbewegungsmittel und damit austauschbar. Haben große Lust am Leben, sind tolerant und offen gegenüber unterschiedlichsten Lebensstilen, Szenen und Kulturen. Ablehnung von Zwängen, Routinen und Rollenvorgaben. Materieller Erfolg, Status und Karriere sind weniger wichtig. Sie sind mit Multimedia groß geworden und nutzen intensiv Onlineangebote, Video- und Computerspiele, soziale Netzwerke. Kaum Konsum klassischer Medien. Hohes Interesse an Musik, Kunst und Kultur, Filmen und Literatur. Großes Bedürfnis nach Kommunikation und Unterhaltung. Extremes spontanes Konsumverhalten, kaufen möglichst Ungewöhnliches. Vielfältige Outdoor-Aktivitäten (Extremsportarten).

h) HedonistInnen

7 Prozent der Erwachsenen der Südtiroler Bevölkerung. Die HedonistInnen zeichnet der starke (und ausgelebte) Drang nach Abenteuer und Spaß aus. Ein dominant junges Milieu mit sehr heterogener Soziodemografie.

Soziodemografischer Hintergrund:

Jüngere und mittlere Altersgruppen bis 50 Jahre, Schwerpunkt unter 30 Jahren. Einfache bis mittlere Formalbildung, relativ oft ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Einfache Angestellte und ArbeiterInnen, viele SchülerInnen und Auszubildende. Vergleichsweise großer Anteil von Personen ohne eigenes Einkommen. Wenn Einkommen vorhanden, bis maximal 15.000 Euro.

Lebensstile und Werte:

Sehr ähnliche Verteilung über alle Sprachgruppen, die deutsche leicht überrepräsentiert. Nur in geringem Maße gibt es „italophile“ HedonistInnen. Häufig größere Haushalte mit Kindern. In Freizeitvereinen organisiert (signifikantes Beispiel: Auto-Tuning-Gruppe). Wohnen meist noch zu Hause bei den Eltern. Hoher Stellenwert von Autos und Motorrädern, „getunte“4 Gebrauchtwagen. Spaßorientierte untere Mittel- bis Unterschicht, immer auf der Suche nach Fun und Action (on the road). Nicht selten wird das Wochenende unterwegs im Auto verbracht. Trotzdem träumen sie von einem geordneten Leben mit Familie, geregeltem Einkommen und schönem Auto/Motorrad. Daher herrscht häufig aggressive Underdogstimmung vor. Bei den deutschsprachigen Jugendlichen drückt sich dies auch in rechtslastiger Abgrenzung zur italienischen Sprachgruppe und Kultur aus.

i) Traditionell Bäuerlich-Ländliche

4 Prozent der Südtiroler Bevölkerung gehören dem kleinbäuerlichen Milieu an, das von großem Stolz und Ausharrungswillen geprägt ist. Die häufigste Berufsgruppe bilden natürlich Bauern und Bäuerinnen, aber auch landwirtschaftliche ArbeiterInnen.

Soziodemografischer Hintergrund:

Breite Altersstreuung bis ins hohe Alter. Meist Grund- und/oder Mittelschulabschluss mit oder ohne Berufsausbildung. Fast ausschließlich Bauern und Bäuerinnen, Saisonarbeitskräfte und landwirtschaftliche HilfsarbeiterInnen im engen Familienverbund. Untere Einkommensklasse. Die Einkommen liegen bei 20.000 bis 35.000 Euro.

Lebensstile und Werte:

Nur in der deutschen und ladinischen Sprachgruppe vorhanden. Häufig größere Haushalte mit Kindern. Der soziale Kontakt läuft über die traditionellen Ereignisse im Jahresverlauf: Kirchtag, Markt usw. Vereinszugehörigkeit nur im bäuerlichen Kontext. Gewohnt wird am eigenen Hof oder bei den ArbeitgeberInnen. Vielleicht so: Der Mobilität dient ein Gebrauchtwagen, wenn vorhanden. Stark ausgeprägtes Traditionsbewusstsein. Leicht bis stark modernisierungsscheu. Das Erbe weiterführen mit eigenem Stolz ist wichtiger, als sich um Förderungen zu kümmern. Wenn möglich, versucht man SelbstversorgerIn zu sein. Kaum Konsum, nur Nutzungsorientierung vorhanden.

j) Moderne bürgerliche ArbeitnehmerInnen

Umfasst 14 Prozent der Südtiroler Bevölkerung. Der statusorientierte moderne Mainstream: Streben nach beruflicher und sozialer Etablierung, nach gesicherten und harmonischen Verhältnissen.

Soziodemografischer Hintergrund:

Dominante Streuung in der Altersgruppe zwischen 30 bis 50 Jahren. Qualifizierte mittlere Bildungsabschlüsse. Einfache/mittlere Angestellte und BeamtInnen, FacharbeiterInnen, vereinzelt kleinere oder mittlere landwirtschaftliche BetriebsinhaberInnen, selbständige und unselbständige HandwerkerInnen. Mittlere Einkommensklasse zwischen 25.000 und 35.000 Euro.

Lebensstile und Werte:

Sehr ähnliche Verteilung über alle Sprachgruppen. Bei der italienischen Sprachgruppe ein höherer Anteil zuungunsten des traditionellen Kleinbürgertums. Mehr-Personen-Haushalte, meist verheiratet, sehr kinderfreundlich. Sehr hohe Mitgliederquote in Vereinen (Feuerwehr, Sport, Freizeit). Das Eigenheim als gepflegtes Ambiente. Familienauto, das sicher, aber auch sportlich ist. Das Lebensziel ist es, in gut gesicherten Verhältnissen zu leben. Das Milieu der modernen bürgerlichen ArbeitnehmerInnen sucht nach gleichgesinnten und gleich situierten FreundInnen, die ihnen den Lebensrahmen geben. Sie wollen sich einen angemessenen Wohlstand erarbeiten, sich leisten können, worauf sie Lust haben. Dabei bleiben sie aber flexibel und realistisch. Beruflicher Erfolg, eine gesicherte Position und die Etablierung in der Mitte der Gesellschaft sind ihnen wichtig. Zeigen Leistung und Zielstrebigkeit. Partiell herrschen Abstiegsängste.

k) Konsumorientierte MaterialistInnen

19 Prozent der Südtiroler Bevölkerung gehören dieser Milieugruppe an. Stark materialistisch geprägte untere Mittelschicht und Unterschicht. Geprägt vom Versuch, am traditionellen (klein)bürgerlichen Mainstream oder am bürgerlichen ArbeitnehmerInnentum Anschluss zu haben, um die soziale Benachteiligung nicht sichtbar werden zu lassen.

Soziodemografischer Hintergrund:

Breite Altersstreuung, dominant im Erwerbstätigenalter bis 60 Jahre und darüber. Meist Grund- und/oder Mittelschulabschluss mit oder ohne Berufsausbildung. Überdurchschnittlich viele ArbeiterInnen/FacharbeiterInnen, Saisonarbeitskräfte. Untere Einkommensklassen, von unter 10.000 bis maximal 20.000 Euro. BezieherInnen geringer Pensionen, sehr hoher Anteil an BezieherInnen von Mindestrenten. Sehr ähnliche Verteilung über alle Sprachgruppen. Häufig größere Haushalte mit überdurchschnittlicher Anzahl an Kindern.

Lebensstile und Werte:

Vereinsmitgliedschaft wird als Notwendigkeit betrachtet, um dazuzugehören­. Streben zu traditionellen oder modernen Milieus, je nachdem sind es die entsprechenden Vereine, zu denen dieses Milieu gehört. In den Städten wird in Mietwohnungen (häufig Sozialwohnungen) gewohnt und am Land auch in Eigenheimen (durch geförderten Wohnbau). Teilweise hohe Überschuldung aufgrund des Wohnbaus. Es wird versucht, ein durchschnittlich „repräsentatives“ Auto zu fahren. Trotz oder vor allem aufgrund der beschränkten Mittel hoher Konsummaterialismus. Meist konzentriert man sich auf das Hier und Heute. Konsumieren spontan, um zu beweisen, dass sie mithalten können. Haben häufig das Gefühl, zu den Benachteiligten zu gehören, obwohl sie gern als „normale DurchschnittsbürgerInnen“ gelten würden. Unterhaltungsorientiertes Freizeitverhalten: Fußball, Gasthaus oder Einkaufsbummel, wenn möglich in größeren Geschäften, aber auch Zuhause bleiben ist sehr beliebt.

3. Langzeitdaten zur wirtschaftlichen und politischen Stimmung 2005–2013 in Südtirol

Der Einfluss der ökonomischen Stimmungslage auf das konkrete Wahlverhalten ist eine bereits seit Jahrzehnten politikwissenschaftlich und volkswirtschaftlich geführte Diskussion, die, allein um einen Überblick der Standpunkte zu schaffen, den Rahmen dieses Artikels sprengen würde. Stellvertretend sei auf die Arbeit von Sören Enkelmann (2013) verwiesen, der ausführt: „We show that a positive assessment of the economy significantly improves government popularity while negative evaluations decrease satisfaction“.

Um für die lokale Südtiroler Politik eine befriedigende Antwort auf die Frage des ökonomischen Einflusses zu geben, können Daten einer Langzeitanalyse herangezogen werden. Südtirol galt vor allem in den letzten zwei Jahrzehnten als „Wohlstandsland“, an dem sämtliche Konjunkturschwankungen europäischer oder Weltmarktprovenienz „vorbeischwappten“. Die regierende Mehrheitspartei, die Südtiroler Volkspartei, galt nach ihrem Halten der Mandatsmehrheit 2008 als eine der, wenn nicht sogar die letzte mehrheitsfähige Volkspartei Europas. Kann daher Südtirol als Gegenbeweis für den Einfluss ökonomischer Befindlichkeiten dienen? Oder ist es sogar möglich, das Wirkungsgefüge zu belegen? Mit dieser Forschungshypothese hat der Autor über den Zeitraum5 von acht Jahren – mit den jeweils gleichlautenden Fragestellungen – die politische und wirtschaftliche Stimmungslage erhoben.

3.1. Die politische Metastimmung: Zufriedenheit allgemein

In der folgenden Abbildung 3 wird zunächst das Gesamtergebnis der Fragestellung, „Wenn Sie im Allgemeinen an die Politik in Südtirol denken, sind Sie damit eher zufrieden oder eher unzufrieden?“ dargestellt.

Abbildung 3: Politische Stimmung in Südtirol im Zeitraum September 2005 bis ­September 2013

Quelle: Monatliche telefonische Repräsentativerhebung. Von September 2005 bis September 2008: n = 1000 Interviews; Grundgesamtheit: die wahlberechtigte Bevölkerung Südtirols aller drei Sprachgruppen. Faktorengewichtung Schwankungsbreite ±3,45 %. Mai/September/November 2009/November 2010/Februar 2011/Juli 2011/September 2011/Oktober 2011/November 2011/Juni 2012/September 2012/März 2013/Mai 2013/September 2013: n = 700 Interviews; Grundgesamtheit: die wahlberechtigte Bevölkerung Südtirols aller drei Sprachgruppen. Faktorengewichtung Schwankungsbreite ±3,70 %. Ausgearbeitet vom Autor. Internes Arbeitspapier.

Das Liniendiagramm stellt den jeweiligen Prozentanteil der Antworten der Modalitäten „eher zufrieden“, „eher unzufrieden“ „w.n./k.A.“ (weiß nicht/keine Antwort) auf der Zeitachse dar. Die Zufriedenheit mit der Politik in Südtirol kann innerhalb der letzten acht Jahre im Wesentlichen in sechs Phasen eingeteilt werden:

Phase 1: Deutliche, wenn auch sukzessiv abfallende Zufriedenheit

In der Zeitphase zwischen September 2005 und Januar 2006 kann wohl (noch) von der lang anhaltenden herrschenden „Systemzufriedenheit“ der Mehrheit der Südtiroler Bevölkerung gesprochen werden. Die politische Zufriedenheit der 1990er-Jahre spiegelte sich auch in den Wahlergebnissen und der Führungsrolle der SVP (vgl. Pallaver 2001).

Phase 2: Die Wende in der Zufriedenheit

Zwischen Februar 2006 und Oktober 2006 kam es zu einem Paradigmenwechsel innerhalb der SVP in Bezug auf die nationale Positionierung: Erstmals trat die Südtiroler Volkspartei bei der Parlamentswahl 2006 einem Mitte-links-Wahlbündnis unter der Führung von Romano Prodi bei. Dies führte zu teils heftigen parteiinternen Disputen, vor allem im Wirtschaftsflügel, aber auch im rechten volkstums­politisch orientierten Lager. Diese latente polarisierte Unzufriedenheit setzte sich in den KernwählerInnenschichten der Volkspartei als zunehmende Unsicherheit fort.

Phase 3: Die Polarisierung

Ab Herbst 2006 bis zum Frühjahr 2008, als erneut eine Parlamentswahl durchgeführt wurde, blieb die polarisierende Situation aufrecht, um schließlich in der vierten Phase endgültig, wenn auch zeitlich begrenzt, zu kippen.

Phase 4: Massive Unzufriedenheit

Im Frühjahr 2008, kurz vor der Parlamentswahl, kippte die politische Stimmung innerhalb der Südtiroler Bevölkerung schließlich massiv mit Spitzenwerten bis zu 62 Prozent „Unzufriedenheit“. Das Ergebnis der Südtiroler Volkspartei mit dem bis dahin historisch geringsten Wert von 44,2 Prozent spiegelte diese Stimmung wider.

Phase 5: Die vorläufige Rückkehr der Zufriedenheit

Mit Beginn des Jahres 2009 bis zum Frühjahr 2011 setzte schließlich eine Re­naissance der politischen „Zufriedenheit“ ein, welche wieder das Niveau des Jahres 2005 erreichte. Diese Phase ist ein erster deutlicher Hinweis auf einen Regrounding-Effekt, da wir in dieser Phase eine mediale Dominanz der Finanzkrise vorfinden. In den Jahren 2009 und 2010 gelang es der Südtiroler Volkspartei auch wieder, bei den EU-Wahlen (Juni 2009) und bei den Gemeinderatswahlen (Mai 2010) absolute Mehrheiten zu erreichen.

Phase 6: Neuerliche Polarisierung

Ab Frühjahr 2011 setzte schließlich eine weitere Phase der Polarisierung zwischen „Zufriedenheit“ und „Unzufriedenheit“ ein, welche bis zum Frühjahr 2013 anhielt.

Phase 7: Wiederkehr der massiven Unzufriedenheit

Mit Ende 2012 setzte eine erneute, mehrheitliche Unzufriedenheit in Bezug auf die politische Situation ein. Hier muss natürlich der Skandal rund um die Südtiroler Elektrizitätsaktiengesellschaft (SEL) als beeinflussender Faktor gesehen werden (vgl. Weissensteiner 2012). Die Parlamentswahlen im Februar 2013 schließlich ergaben mit 44,1 Prozent der Stimmen erneut ein historisch schlechtes Ergebnis für die Regierungspartei. Sind die Faktoren, welche maßgeblich auf die politische Stimmungslage beeinflussend wirken, nur eng politischer Natur, wie das Beispiel im Zusammenhang mit dem SEL-Skandal nahelegt?

3.2. Die wirtschaftliche Stimmung: Einschätzung der Wirtschaftslage

Mit der zweiten zentralen Fragestellung in der Langzeitstimmungsanalyse6 kommt man einer möglichen Antwort näher. Hier die zweite Fragestellung im Wortlaut: „Wenn Sie einmal an die Wirtschaft in Südtirol denken, geht es Ihrer Meinung nach eher aufwärts oder eher abwärts?“

Abbildung 4: Wirtschaftliche Stimmung in Südtirol im Zeitraum September 2005 bis September 2013

Quelle: Siehe Seite 208.

Auch in Bezug auf die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage können Zeitphasen beschrieben werden:

Phase 1: Sinkender Pessimismus

Zu Beginn der Langzeiterhebung zwischen September 2005 und Frühjahr 2006 gab es eine deutlich abfallende pessimistische Mehrheit der SüdtirolerInnen. Daraufhin folgte eine kurze polarisierte Phase bis in den Spätsommer 2006.

Phase 2: Deutlicher Optimismus

Ab Sommer 2006 bis zum Spätsommer 2007, dem Beginn der US-Immobilienkrise, herrschte in Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung eine deutlich optimistische Grundhaltung vor.

Phase 3: Zunehmender Pessimismus macht sich breit

Ab November 2007 kippte die Stimmung deutlich in Richtung pessimistischer Grundhaltung mit Spitzenwerten bis zu 65 Prozent der SüdtirolerInnen, welche bekundeten, an einen Abwärtstrend zu glauben.

Phase 4: Der Turnaround zu Optimismus

Ab September 2009 bis September 2011 waren schließlich die OptimistInnen in Sachen Wirtschaftsentwicklung wieder in der Mehrheit.

Phase 5: Erneute Besorgnis macht sich breit

Ab September 2011 bis zum Herbst 2013 herrscht in Südtirol in Sachen wirtschaftliche Entwicklung wieder mehrheitlich Pessimismus vor.

Um den Zusammenhang beiden Fragestellungen noch besser entlang der Zeitachse zu veranschaulichen, wurde für die Abbildung 5 die Darstellung der jeweiligen Antwortanteile der Modalität „eher unzufrieden“ (politisch) mit der Modalität „eher abwärts“ (wirtschaftlich) gewählt.

Abbildung 5: Politische Unzufriedenheit und wirtschaftlicher Pessimismus

Quelle: Siehe Seite 208.

Dabei fallen primär drei Zeitphasen ins Auge, welche deutliche Parallelitäten in den Trends ableiten lassen. Im Zeitraum 1 zeigen sich sowohl Ab- als auch Zunahmen der Unzufriedenheit. Sie zeigen eine teilweise zeitlich versetzte Parallelbewegung in der Einschätzung der wirtschaftlichen Lage. Im Zeitraum 2 ist dies noch deutlicher wahrzunehmen, während Zeitraum 3 die Korrelationsthese nochmals eindrucksvoll bestätigt. Konkret lassen sich folgende Erkenntnissätze formulieren:

Wirtschaftlicher Pessimismus zieht politische Unzufriedenheit nach sich: Ausmaß und Intensität der Unzufriedenheit verstärken sich in den Folgemonaten.

Die gemeinsame Betrachtung der Ergebnisse zur politischen und zur wirtschaftlichen Stimmungslage lässt die Formulierung folgender Kernthese zu:

Zunahme des Wirtschaftspessimismus führt zu verstärkter politischer Unzufriedenheit.

Nicht endgültig geklärt bleibt die Frage, inwiefern sich reziprok die Stimmungslagen beeinflussen. Daher ist es vielleicht zielführender, detaillierteres Datenmaterial zur Stimmungslage heranzuziehen.

3.3. Die Themenwahrnehmung im Vorfeld der Landtagswahlen 2008

Themenkompetenzprofile für die politischen BewerberInnen können einen Aufschluss darüber liefern, inwiefern der Wunsch nach Verbesserung der Lage den Zuspruch für eine politische Gruppierung stärkt. Mit anderen Worten: Wem vertrauen die WählerInnen eine Änderung der prognostizierten Zukunft an?

In einem Projekt zur Erhebung der konkreten Themenaffinitäten sowie der Stimmungslage und der Kompetenzzuordnungen der wahlwerbenden Parteien im Mai und Juni 2008, bei dem insgesamt 3.500 Interviews aufgeteilt auf acht Bezirkssamples7 durchgeführt worden sind, hat der Autor versucht, Themenkompetenzprofile der Parteien zu erstellen. Die konkrete Fragestellung lautete: „Ich nenne Ihnen nun einige Politikbereiche und Sie sagen mir bitte, welcher Partei Sie am ehesten zutrauen, die Probleme und Herausforderungen zu meistern.“

Abbildung 6: Kompetenzprofil Wirtschaft

Abkürzungen: SVP = Südtiroler Volkspartei; GRÜNE = Grüne/Verdi; BL = Bürgerliste (zum Zeitpunkt der Erhebung war das Bündnis mit den Grünen noch nicht definitiv); Freiheitl. = Freiheitliche Partei Südtirols; Südt. Freiheit = Süd-Tiroler Freiheit; Union=Union für Südtirol (Pöder); Mitte-links = italienische Parteien des damaligen Linksbündnisses; Mitte-rechts = italienische Parteien des damaligen Rechtsbündnisses

Quelle: Telefonische Repräsentativerhebungen in den 8 Bezirken. Unterschiedliche Samplegrößen: Bozen 500 Interviews, Unterland 400, Burggrafenamt 500, Vinschgau 400, Salten-Schlern 400, Eisacktal 500, Wipptal 300, Pustertal 500. Grundgesamtheit: die wahlberechtigte Bevölkerung des jeweiligen Bezirks aller drei Sprachgruppen. Faktorengewichtung. Schwankungsbreite ±4,38 % bzw. ±4,90 %. Durchgeführt im Zeitraum Mai und Juni 2008. Ausgearbeitet vom Autor. Internes Arbeitspapier.

Auffällig im Datensatz ist natürlich das gute Drittel an befragten Personen, welche keiner der Parteien Wirtschaftskompetenz zuordneten bzw. alle als gleich „kompetent“ einstuften. Der Anteil derjenigen Personen, welche der SVP, damals noch Mehrheitspartei, zutrauten, Südtirols Wirtschaft weiterzubringen, lag bei 46 Prozent8.

Die Einschätzung der generellen Wirtschaftslage ist nicht unabhängig von der persönlichen ökonomischen Einschätzung zu betrachten. 2008 war die „sinkende Kaufkraft“ eines der zentralen Wahlkampfthemen. In den Kompetenzprofilen zeigt sich auch, dass wirtschaftliche Stimmungslage und Alltagsempfinden zum Teil stark divergieren können.

Die konkrete Fragestellung in Bezug auf den im Vorfeld der Wahl stark medial thematisierten „Kaufkraftverlust“ lautete: „Ich nenne Ihnen nun einige Politikbereiche und Sie sagen mir bitte, welcher Partei Sie am ehesten zutrauen, die Probleme und Herausforderungen zu meistern.“

Abbildung 7: Kompetenzprofil Kaufkraftverlust

Quelle: Siehe Seite 213.

Die eindeutige Sachlage, dass nahezu die Hälfte der SüdtirolerInnen „keiner“ bzw. allen Parteien (und hier ist die Interpretation zulässig: allen gleich wenig) zutrauen, Maßnahmen gegen den Kaufkraftverlust zu setzen, stellt aus Sicht des Autors­ keine befriedigende Beantwortung dar, ob die aus der politikwissenschaftlichen Forschung bekannten Erklärungshypothesen wie die Belohnungs-/Bestrafungshypothese oder die Parteiendifferenzhypothese anwendbar auf die Südtiroler Verhältnisse sind.9

Da beide Hypothesen von der Grundannahme ausgehen, es gäbe eine homogene WählerInnenschaft, zeigt sich umso mehr, dass eine differenziertere Betrachtung einzelner Bevölkerungsgruppen notwendig ist. Im folgenden Abschnitt wird deshalb zunächst ausgeführt, wie es um die Themenaffinität der einzelnen Milieus im Vorfeld der Landtagswahlen 2008 bestellt war. Der Vergleich zu den Landtagswahlen 2013 in Bezug auf die Stimmungen in den wichtigsten Milieus kann zusätzliche Thesen ermöglichen.

4. Die Milieustimmungen 2008

4.1. Parteienpräferenz und Themenpriorität

In der folgenden tabellarischen Darstellung der Parteiaffinitäten und der im Zeitraum Mai bis August 2008 erhobenen Milieustimmungen werden die Ergebnisse der Fragestellungen: Parteienpräferenz10 (gesicherte Wahlabsicht, tendenzielle Wahlabsicht) sowie die ungestützte (spontane) Themenpriorität dargestellt. Zur besseren Einordnung der Milieus wird zudem die soziale Ebene sowie die Zugehörigkeit zu den Wertedimensionen dargestellt.

Abbildung 8: Milieuübersicht 2008

Milieugruppe

Parteienaffinität (der wichtigsten wahlwerbenden Gruppen)

Spontane Themen­priorität

Soziale Ebene

Werte­dimension

Traditioneller (klein)bürger­licher ­Mainstream

SVP 47 %

Freiheitliche 15 %

Union 3 %

Süd-Tiroler Freiheit 1,6 %

Grüne 0,5 %

Unentschlossene 38 %

Familie (Erhöhung des Kindergeldes) 51 %

Erhöhung der Renten und Löhne 33 %

Zuwanderung stoppen 29 %

Kaufkraft stärken 6 %

Mittelschicht

Tradition

Traditionell Bäuerlich-­Ländliche

SVP 78 %

Freiheitliche 9 %

Union 2 %

Süd-Tiroler Freiheit 2 %

Grüne 1 %

Unentschlossene 8 %

Familie (Erhöhung des Familiengeldes) 54 %

Soziales – Renten erhöhen 19 %

AusländerInnen – Zuwan­derung stoppen 18 %

Großprojekte und Bauwut reduzieren 15 %

Kaufkraft-Maßnahmen setzen 13 %

Untere Mittelschicht und Unterschicht

Tradition

Etabliert-­Konservative

SVP 65 %

Freiheitliche 1 %

Union 0 %

Süd-Tiroler Freiheit 1 %

Grüne 2 %

Unentschlossene 31 %

Steuern senken 55 %

Familie (Erhöhung des Kindergeldes) 32 %

Wirtschaft fördern 19 %

Gesundheitswesen verbessern 12 %

Oberschicht

Tradition

Milieugruppe

Parteienaffinität
(der wichtigsten wahl­werbenden Gruppen)

Spontane Themen­priorität

Soziale Ebene

Werte­dimension

Aufstiegs-­orientierte

SVP 45 %

Freiheitliche 9 %

Union 0,5 %

Süd-Tiroler Freiheit 0 %

Grüne 9 %

Unentschlossene 55 %

Familie (Erhöhung des Kindergeldes/Familienförderung generell) 42 %

Steuern senken 15 %

Wirtschaft fördern 12 %

Zuwanderung regeln 9 %

Obere und mittlere Mittelschicht

Moderne

Konsum-­Materia­listInnen

SVP 33 %

Freiheitliche 22 %

Union 2 %

Süd-Tiroler Freiheit 0,5 %

Grüne 1 %

Unentschlossene 38 %

Familie (Erhöhung des Familiengeldes) 32 %

AusländerInnen: Zuwanderung stoppen/weniger unterstützen 13 %

Soziales – Bedürftigen helfen 10 %

Löhne erhöhen 8 %

Steuern senken 8 %

PolitikerInnengehälter kürzen 7 %

Untere Mittelschicht und Unterschicht

Tradition/
Moderne

Moderne Bürgerliche

SVP 34 %

Freiheitliche 17 %

Union 2 %

Süd-Tiroler Freiheit 1 %

Grüne 6 %

Unentschlossene 38 %

Familie (Erhöhung des Familiengeldes/Kinderbetreuung verbessern) 52 %

Soziales – Bedürftigen helfen 20 %

Löhne erhöhen 18 %

AusländerInnen: Zuwanderung stoppen/weniger unterstützen 15 %

Steuern senken 8 %

PolitikerInnengehälter kürzen 7 %

Untere und mittlere Mittelschicht

Moderne

Harmonie-­orientierter Mainstream

SVP 35 %

Freiheitliche 1 %

Union 15 %

Süd-Tiroler Freiheit 1 %

Grüne 8 %

Unentschlossene 31 %

Familie (Erhöhung des Kindergeldes/Schaffung von mehr Betreuungseinrichtungen) 43 %

Soziales – Bedürftigen helfen 21 %

Kaufkraft stärken 12 %

Löhne erhöhen 23 %

Weniger Verbauung 12 %

Großprojekte – mehr Mitspracherecht 8 %

Mittlere und obere Mittelschicht

Moderne/Postmoderne

Gehobene Liberal-­Intellektuelle

SVP 22 %

Freiheitliche 0 %

Union 0 %

Süd-Tiroler Freiheit 0 %

Grüne 24 %

PD 12 %

Unentschlossene 32 %

Familie (Anpassung der Familienförderung/
neue Konzepte und Angebote) 44 %

Soziales – höhere Treffsicherheit 15 %

Kaufkraft stärken 14 %

Gesundheitswesen verbessern 13 %

Bildung – Stipendien erhöhen 8 %

Obere Mittelschicht und Oberschicht

Moderne/Postmoderne

HedonistInnen

SVP 22 %

Freiheitliche 24 %

Union 6 %

Süd-Tiroler Freiheit 5 %

Grüne 4 %

Unentschlossene 32 %

AusländerInnen: Zuwanderung stoppen/weniger unterstützen 43 %

Familie (Erhöhung des Familiengeldes) 18 %

Soziales – Bedürftigen helfen 12 %

Steuern senken 8 %

Löhne erhöhen 8 %

PolitikerInnengehälter kürzen 7 %

Untere Mittelschicht und Unterschicht

Moderne/Post­moderne

ExperimentalistInnen

SVP 28 %

Freiheitliche 12 %

Union 4 %

Süd-Tiroler Freiheit 5 %

Grüne 12 %

Unentschlossene 39 %

AusländerInnen: ­Problem lösen 43 %

Umwelt – Klimawandel ernst nehmen 24 %

Steuern senken 8 %

Löhne erhöhen 8 %

PolitikerInnengehälter kürzen 7 %

Untere Mittelschicht und obere Mittelschicht

Post­moderne

Postmodern- Ökosoziale

SVP 7 %

Freiheitliche 0 %

Union 3 %

Süd-Tiroler Freiheit 0 %

Grüne 45 %

PD 12 %

Unentschlossene 33 %

Familie (Anpassung der Familienförderung/neue Konzepte und Angebote) 44 %

Soziales – höhere Treffsicherheit 15 %

Kaufkraft stärken 14 %

Gesundheitswesen verbessern 13 %

Bildung – Stipendien erhöhen 8 %

Mittlere und obere Mittelschicht

Post­modern

Quelle: Siehe Seite 213.

NB: Im Anteil der Unentschlossenen sind auch potenzielle bzw. deklarierte NichtwählerInnen subsumiert.

4.2. Fazit der Milieustimmungen 2008

Die Dominanz der spontanen Wichtigkeitszuordnung des Themenbereichs „Familie“ (wenn auch mit lebensweltbedingten Nuancen) zeigt einen klaren Befund, sofern die Makrostimmungsebene der wirtschaftlichen Einschätzung mitberücksichtigt wird: Die vom Pessimismus getriebene Flucht in die eigene „Lebensumgebung Familie“ als Erhaltungs- und Gestaltungsbereich und der Wunsch an die Politik nach materieller, ökonomischer Absicherung ist ein Trend des Regrounding. Der Wunsch nach Ruhe, Stabilität und Kontinuität liegt diesem zugrunde.

Dies ist auch der entscheidende Grund dafür, dass die Oppositionsparteien, allen voran die Freiheitlichen, die trotz eines massiven Vordringens in die Gruppen der KernwählerInnen, welche auch entlang der Milieugrenzen klar differenzierbar sind, es nicht schafften, die absolute Mehrheit der SVP zu brechen. Vor allem in den Unterschichtenmilieus, in denen beispielsweise das AusländerInnenthema stark gefühlt wurde, war schlussendlich das Protestpotenzial doch konservativer gepolt als erwartet und Experimenten gegenüber skeptisch. Der massive „Pessimismus-Schub“ im Herbst 2008 bewirkte eine geringere Bereitschaft für einen Paradigmenwechsel in der Regierungsform jenseits einer absoluten Mehrheit im Lande.

Und fünf Jahre später? Hält der Befund? Oder zeigt der erstmalige Verlust der absoluten Mehrheit der SVP bei Landtagswahlen neue Erklärungsthesen?

5. Die Stimmung 2013 und die zentralen Thesen für den Ausgang der Landtagswahl 2013

Das empirische Datenmaterial, das dem Autor 2013 vorlag, erreicht leider nicht den Umfang des Materials des Jahres 2008. Dennoch ist auch aufgrund einer verbesserten Operationalisierung und von Referenzmessungen auf Basis der damaligen Grundlagenerhebung ausreichend Material vorhanden, um Kontinuitäten und Unterschiede herauszuarbeiten.

Auf der Ebene der Metastimmungen sind die beiden Wahljahre sehr ähnlich verlaufen: Der Anteil der „Unzufriedenen“ erreichte, sei es 2008 als auch 2013, eine deutliche Mehrheit. In beiden Wahljahren fanden zudem im April Parlamentswahlen statt. Die SVP erreichte in beiden Fällen ein nahezu identisches Wahlergebnis (2008: 44,2 % – 2013: 44,1 %). Die wirtschaftliche Stimmungslage war wiederum in beiden Wahljahren dominant „pessimistisch“.

Die Kompetenzzuordnungen der Parteien waren nur in geringem Maße – leicht über der Schwankungsbreite – zugunsten der Freiheitlichen und zuungunsten der Südtiroler Volkspartei „verschoben“. Dies galt sowohl für die Welfare-Themen (soziale Absicherung, Arbeitsplatzsicherung) und die 2013 noch (für den Wahlkampf) zentralere Frage der Wirtschaftskompetenz. Trotzdem scheiterte die bisherige Mehrheitspartei das erste Mal an der absoluten Mandatsmehrheit. War der Regrounding-Effekt verblasst oder übertüncht von einem SEL-Effekt? Eine monokausale Erklärung ist nicht leicht mit dem Milieuansatz in Übereinstimmung zu bringen.

Die folgende Abbildung zeigt eine Grafik, welche die Parteienaffinität der Milieus in den Wahljahren quantitativ vergleicht. Die Fragestellung lautete: „Wenn bereits am kommenden Sonntag Landtagswahlen wären, welche Partei würden Sie wählen?“ Kumuliert wurden auch die Werte der Nachfrage „Und zu welcher Partei tendieren Sie am ehesten?“ an jene, die bei der vorherigen Frage angaben, unentschlossen zu sein.11

Die Erkenntnis aus diesem Vergleich zeigt eine deutliche Verschiebung der Affinitäten vor allem in Bezug auf die SVP und die Freiheitlichen. Die SVP verliert an Konsens innerhalb der traditionellen Milieus, bleibt stabil im größten Milieu (KonsummaterialistInnen) und verzeichnet Zugewinne in den modernen und sogar postmodernen Milieus. Dies bedingt natürlich – aufgrund der zahlenmäßig ungleich verteilten Milieus nicht unwesentliche Mengenverschiebungen. Im konkreten Fall wurde damit das Gesamtergebnis beeinflusst.

Auf den ersten Blick scheint die Wechselbereitschaft der traditionellen und damit wertebewahrenden Milieus im Widerspruch zu der bisher vertretenen Regrounding-These. Das zentrale Wahlkampfmotiv der Südtiroler Volkspartei „Gutes bewahren, Neues wagen“ liefert dazu die Antwort. Der Wunsch nach Stabilität ist in den traditionellen Milieus noch deutlicher ausgeprägt als anderswo. Aus dieser Sicht kann man – mit Blick auf die Abbildung 5 - formulieren: Ein postulierter Paradigmenwechsel seitens der regierenden Mehrheitspartei hätte im Zeitraum 2009 und 2010 deutlich bessere Aussicht auf Erfolg gehabt. Auf der Habenseite des neuen Landeshauptmanns Arno Kompatscher muss aber auch vermerkt werden, dass es gelungen ist, die Wählbarkeit der SVP in den bisher gegenüber der Volkspartei skeptischen Lebensstilmilieus deutlich zu verbessern. Als nächste zu formulierende Fragestellung für die politische Meinungsforschung bleibt jene, ob es der SVP unter dem neuen Landeshauptmann Kompatscher gelingt, das an die Freiheitlichen und an die Süd-Tiroler Freiheit abgetretene Terrain in den traditionellen Milieus zurückzuerobern, oder ob dieses auf längere Zeit verloren bleibt.

Abbildung 9: Vergleich der Parteienaffinität (Wahlabsichtsbekundung 2008 und 2013)

Quelle: Telefonische Repräsentativerhebung September 2008: n = 1000 Interviews; Grundgesamtheit: die wahlberechtigte Bevölkerung Südtirols aller drei Sprachgruppen. Faktorengewichtung Schwankungsbreite ± 3,45 % sowie Telefonische Repräsentativerhebung September 2013: n = 700 Interviews; Grundgesamtheit: die wahlberechtigte Bevölkerung Südtirols aller drei Sprachgruppen. Faktorengewichtung Schwankungsbreite ± 3,70 %. Ausgearbeitet vom Autor. Internes Arbeitspapier.

Anmerkungen

1 Unter anderem ASTAT Jahrbücher 2005 bis 2012 sowie diverse Publikationen, zu finden unter www.provinz.bz.it/astat/de (12.2.2014)

2 An dieser Stelle ist eine detaillierte Beschreibung aus editorischem Platzmangel leider nicht möglich. Für vertiefende Informationen kann man sich an den Autor wenden.

3 Bei den hier angegebenen Durchschnittseinkommen handelt es sich um Bruttobeträge.

4 Tuning beschreibt die Aufrüstung von Automobilen mittels zusätzlicher Karosserieteile (Spoiler, Spezialstoßstangen) sowie Eingriffe in die Wagenaufhängung usw.

5 Quelle: Monatliche telefonische Repräsentativerhebung. Von September 2005 bis September 2008: n = 1.000 Interviews – Grundgesamtheit: die wahlberechtigte Bevölkerung Südtirols aller drei Sprachgruppen. Faktorengewichtung Schwankungsbreite ± 3,45 %. Mai/September/November 2009/Novem­ber 2010/Februar 2011/Juli 2011/September 2011/Oktober 2011/November 2011/Juni 2012/September 2012/März 2013/Mai 2013/September 2013: n = 700 Interviews – Grundgesamtheit: die wahlbe­rechtigte Bevölkerung Südtirols aller drei Sprachgruppen. Faktorengewichtung Schwankungsbreite ± 3,70 %

6 Quelle: Monatliche telefonische Repräsentativerhebung. Von September 2005 bis September 2008: n = 1.000 Interviews – Grundgesamtheit: die wahlberechtigte Bevölkerung Südtirols aller drei Sprachgruppen. Faktorengewichtung Schwankungsbreite ± 3,45 %. Mai/September/November 2009/April 2010/November 2010/Februar 2011/Juli 2011/September 2011/Oktober 2011/November 2011/Juni 2012/September 2012/März 2013/Mai 2013/September 2013: n = 700 Interviews – Grundgesamtheit: die wahlberechtigte Bevölkerung Südtirols aller drei Sprachgruppen. Faktorengewichtung Schwankungsbreite ± 3,70 %

7 Folgende Samplegrößen wurden für die acht Bezirksgemeinschaften ausgewählt: Bozen 500 Interviews, Unterland 400, Burggrafenamt 500, Vinschgau 400, Salten-Schlern 400, Eisacktal 500, Wipptal 300, Pustertal 500.

8 2013 erreicht die Südtiroler Volkspartei in einer südtirolweit durchgeführten telefonischen Repräsentativerhebung (n = 700 Interviews, Grundgesamtheit: wahlberechtigte Bevölkerung, durchgeführt im Juni 2013) bei derselben Fragestellung 43 %.

9 Die Belohnungs-/Bestrafungshypothese besagt im Wesentlichen, dass die WählerInnen die Regierungspartei am Wahltag für die Verschlechterung der Wirtschaftslage abstrafen und sie für eine Verbesserung belohnen, während die Parteiendifferenzhypothese davon ausgeht, dass die WählerInnen sich für jene Partei entscheiden, der sie die größte Kompetenz zur Lösung aktueller und künftiger (!) wirtschaftlicher Probleme zutrauen. Siehe auch Rattinger/Maier 1998.

10 Fragestellung 1: „Wenn bereits am kommenden Sonntag Landtagswahlen wären, welche Partei würden Sie wählen“, Nachfrage bei Unentschlossenen: „Und zu welcher Partei tendieren Sie am ehesten?“ Fragestellung 2: „Welches sind aus Ihrer Sicht die dringendsten Themen, um die sich die Politik kümmern sollte?“

11 Für die Daten 2008: Folgende Samplegrößen wurden für die acht Bezirksgemeinschaften ausgewählt: Bozen 500 Interviews, Unterland 400, Burggrafenamt 500, Vinschgau 400, Salten-Schlern 400, Eisacktal 500, Wipptal 300, Pustertal 500. Grundgesamtheit: wahlberechtigte Bevölkerung, Faktorengewichtung, Theoretische max. Schwankungsbreite: ± 1,94, Zeitraum Mai/Juni 2008. Für die Daten 2013: n = 700 Interviews Südtirol Grundgesamtheit: wahlberechtigte Bevölkerung, Faktorengewichtung, Theoretische max. Schwankungsbreite: ± 3,70, Zeitraum: Juni und Referenzmessung September 2013

Literaturverzeichnis

Enkelmann, Sören (2013). Government Popularity and the Economy. First Evidence from German Micro Data. Working Paper. www.leuphana.de/institute/ivwl/publikationen/working-papers.html (12.2.2014)

Navigator (2005). Die Bodenhaftung nicht verlieren. Die Bundestagswahl 2005 im Lichte der soziokulturellen Forschung von Sinus Sociovision. In: Navigator, Der Newsletter von Sinus Sociovision, 2/2005, 1-3

Pallaver, Günther (2001). Die Südtiroler Volkspartei. Erfolgreiches Modell einer ethnoregionalen Partei. Trends und Perspektiven, in: Institut za Narodnostna Vprasanja/Institute for Ethnic Studies (Hg.). Razprave in Gradivo/Treaties and Documents (38/39), Ljubliana: Institut Za Narodnostna, 314-358

Rattinger, Hans/Maier, Jürgen (1998). Der Einfluss der Wirtschaftslage auf die Wahlentscheidung bei den Bundestagswahlen 1994 und 1998 in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 52, 45-54

Sinus (2014) (Hg.). Die Sinus Milieus, www.sinus-institut.de/de/loesungen/sinus-milieus.html (8.1.2014)

Tappeiner, Ulrike/Lechner, Oswald/Tappeiner, Gottfried (Hg.) (2007). Nachhaltiges Südtirol? Indikatoren zu Umwelt, Gesellschaft, Wirtschaft, Bozen: Athesia

Weiß, Ralph (2013). Segmentierung politischer Kommunikation in Milieus, in: Imhof, Kurt/Blum, Roger/Bonfadelli, Heinz/Jarren, Ottfried (Hg.). Stratifizierte und segmentierte Öffentlichkeit, Wiesbaden: Springer VS, 205-218

Weissensteiner, Robert (2012). Bricht SEL-Skandal der SVP das Genick? In: Südtiroler Wirtschaftszeitung, 19.10.2012, 1

Abstracts

Due elezioni provinciali nell’ottica ­della ricerca d’opinione

Sulla base di un materiale ampio e documentato (31 progetti di sondaggi d’opinione effettuati nel periodo compreso tra il 2005 ed il 2013) l’autore dimostra, attraverso analisi empiriche, sino a che punto la situazione politico-economica della popolazione altoatesina sia in grado di condizionare il risultato elettorale. Per delineare l’influenza delle meta-situazioni sui personali contesti familiari e sociali degli elettori, nell’articolo vengono descritti gli ambienti e gli stili­ di vita degli altoatesini e, per la prima volta in Alto Adige, vengono pubblicati dei risultati in relazione diretta con l’ambiente. A seconda dell’appartenenza ad un determinato ambiente sociale si sono riscontrati notevoli cambiamenti nelle preferenze accordate ai partiti, cambiamenti che consentono di elaborare delle nuove interpretazioni soprattutto in relazione alle elezioni provinciali del 2013. La tesi centrale del testo: nel 2008 una tendenza di “re-grounding” ha avuto come risultato il raggiungimento, per un soffio, della maggioranza assoluta dei voti da parte della Svp. Al contrario, nel 2013 la Svp ha perso consensi, in parte anche in maniera significativa, negli ambienti tradizionalmente affini alla Volkspartei.

Tali perdite sono state compensate grazie all’acquisizione di voti negli ambienti definiti moderni e soprattutto postmoderni. Non si sono pressoché registrati cambiamenti ­negli ambienti appartenenti alle moderne fasce basse della società.

Doi veles dl Cunsëi provinziel ala lum dla nrescida
sun la minonghes

Cun dac bëndebò avisa y documentei (31 proiec de nrescides de minonghes ti ani danter l 2005 nchin l 2013) cëla l autor de descrì tres cunescënzes empiriches tan inant che la situazion politica-economica dla jënt de Südtirol nfluenzea l resultat dla veles. Per mustré su coche la meta-situazions nfluenzea la vita persunela di litadëures vëniel te chësc articul descrì i stii de vita di sudtirolesc y per l prim iede vëniel publicà resultac mesurei n referimënt al ambient soziel. L’afinità de partit aldò dla purtenienza a n cër ambient soziel mostra su nia puec spustamënc tla sozietà n cont dl’afinità de partit che lascia pro interpretazions nueves dantaldut dla veles dl Cunsëi provinziel 2013. La tesa plu mpurtanta: tl 2008 à na tendënza de “re-grounding” fat a na moda che la SVP à mantenì per puech si maiuranza assoluta. Tl 2013 ntant sce pierd la SVP ti si ambienc tradizionei de afinità n pert dassënn cunsëns. Chësta perdudes se à cumpensà cun davanies da pert dantaldut de ambienc postmoderns. Belau degun mudamënc fovel ti ambienc moderns basc.

Two provincial elections in the light
of opinion polling

On the basis of well-founded data material (31 opinion-polling projects in the period from 2005 to 2013), the author describes empirical evidence regarding to what extent the political-economic mood of the South Tyrolean population has an influence on election results. In order to illustrate the influence of metamoods on the personal lives of the voters, the South Ty­rolean lifestyle milieus are presented in the article and milieu-quoted results are published for the first time in South Tyrol. Party affinity along milieu affiliation partially reflects not insubstantial inter-societal migrations in party affinity, allowing for new inter­pretations mainly regarding the 2013 provincial election. The main theses: 2008 brought about a re-grounding trend in the SVP’s scant absolute majority. In 2013, however, the SVP lost approval in the traditional SVP-affinity milieu, sometimes significantly. These losses were offset by gains in the modern and especially postmodern milieus. There was little change in the modern lower-class milieu.