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Elisabeth Alber

Politik der Vielfalt – quo vadis?

Antwort- bzw. Forschungsansätze vernetzter Südtiroler ­Politikwissenschaft – Bericht über die Dreiländertagung 2013

Entscheidungsfindungsprozesse sowie Mehrebenensysteme sind aufgrund der Europäisierung und Globalisierung gezwungen, neue Verfahren und Instrumente für ein gemeinsames, problemlösungsorientiertes Regieren zu finden. Auch stellen die Individualisierung und die gesellschaftliche Differenzierung die Integrations- und Konfliktlösungsfähigkeit der Gesellschaft sowie deren politische Rahmenbedingungen infrage. Der krisengebeutelte Politikstil sucht nach neuen Lösungen, um Einheit und Vielfalt unter einem Dach zu vereinen. Die Politikwissenschaft ist deshalb aufgerufen, Phänomene sichtbar zu machen sowie Zusammenhänge zu analysieren und zu erklären. Die Politikwissenschaft soll jedoch auch innovative Lösungen für mehr Vielfalt in der Einheit, aber auch mehr Einheit in der Vielfalt aufzeigen.

Politik der Vielfalt lautete das Generalthema der gemeinsamen Dreiländertagung der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW), der Österreichischen Gesellschaft für Politikwissenschaft (ÖGPW) und der Schweizerischen Vereinigung für Politische Wissenschaft (SVPW), die vom 19. bis 21. September 2013 an der Universität Innsbruck stattfand. Die Südtiroler Gesellschaft für Politikwissenschaft (POLITIKA) war Kooperationspartnerin dieser Tagung, die sich allgemein der gesteigerten Komplexität im Verhältnis zwischen Politik und Gesellschaft im Zuge immer weiter fortschreitender Prozesse der Auflösung bzw. Veränderung traditioneller Grenzen sowie Zugehörigkeiten widmete. Diese Komplexität führt zu neuen Demokratiebewusstseinsmustern in bzw. für die Politik sowie auch in der Gesellschaft. Die repräsentative Demokratie, wie sie in Westeuropa vorherrscht, ist samt ihrer technokratischen Elemente an ihre Grenzen gestoßen. Öffent­liche Verwaltung, politische Institutionen sowie Politiker sind nicht mehr alleinige Träger des Gemeinwohls, sondern Teil eines sich wandelnden politisch-gesellschaftlichen Pluralismus auf Augenhöhe.

Neue Wege der demokratischen Willensbildung1

Die BürgerInnen als zentrale Bausteine des Mehrebenensystems bzw. als aktive Rechtssubjekte im gemeinsamen Mehrebenen-Regieren einzubeziehen, scheint die notwendige Lösung darzustellen, vom Stadtbezirk bis zur EU. Die zeitgerechte Einbindung der BürgerInnenschaft soll der Politikentfremdung entgegenwirken und scheint der einzige Ausweg aus sich überlappenden Krisen zu sein. Einerseits um Gemeinwohl zu aktivieren, andererseits um Entscheidungen zu legitimieren. Unterschiedlichste Beteiligungsverfahren mit Vorschlagscharakter (vgl. BürgerInnenhaushalte, Citizens’ Assemblies, BürgerInnenräte, 21st Century Town Meetings usw.) zielen darauf ab, das Demokratieverständnis und den demokratischen Willensbildungsprozess mit neuem Leben zu füllen. Die Analyse, Weiterentwicklung bzw. Konzeptualisierung solch alternativer Formen der Entscheidungsfindung sind prioritär. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die repräsentative Demokratie sicherlich auch in Zukunft weiterhin eine essenzielle Einrichtung aller institutionellen Systeme bleibt, bedarf es neuer komplementärer Wege der demokratischen Willensbildung. Assoziative und deliberative Verfahren zur Entscheidungsfindung sind innovative Formen von politischer Legitimation, die die parlamentarische Demokratie flankieren und auch verändern werden. Komplementäre demokratische Entscheidungsfindungsprozesse versuchen sich auch im Sinne einer kooperativen Gemeinwohlkonkretisierung mittels partizipatorischen Mitentscheidungsprozessen und -verfahren (vgl. PPP-Projekte) neu zu definieren. Dies aufgrund der Tatsache, dass sich Parlamente vor immense Herausforderungen gestellt sehen angesichts der Supranationalisierung und Europäisierung von Politik, gerade in akuten Krisen­situationen, angesichts komplexer politischer Sachverhalte, die oftmals in nicht­hierarchischen Netzwerken zusammen mit nichtstaatlichen AkteurInnen und über mehrere politische Ebenen hinweg verhandelt werden, und angesichts nachlassender Unterstützung durch die Bevölkerung (vgl. die These vom „Postparlamentarismus“).

Analog zu föderalen Staatsstrukturen und Regierungsprozessen gibt es aufgrund der Kontextgebundenheit in den sich wandelnden Demokratieprozessen viele unterschiedliche Beteiligungsverfahren. Alle haben jedoch aus politologischer sowie rechtswissenschaftlicher Perspektive eines gemeinsam: Sie „höhlen“ die Legitimation repräsentativer Demokratie zum Teil „aus“ und werfen die Frage auf, inwiefern deren Legitimation sich mit demokratietheoretischen, integrationspolitischen und bundes- sowie regionalstaatlichen Aspekten vereinen lässt. Denn ein Mehr an Partizipation heißt nicht notgedrungen ein Mehr an Demokratie. Demokratie reduziert sich nicht auf Partizipationsverfahren. Demokratie ist ein Herrschaftsprinzip und deren Elemente sind systemtheoretisch gekennzeichnet durch strukturelle Kopplungsmodelle (vgl. die Systemtheorie von Niklas Luhmann). Die Gretchenfrage lautet, wie neue Partizipationsverfahren bzw. sich wandelnde Handlungsrationalitäten prozessual an bestehende politische Systeme gebunden werden können. Wie steht es um die Verrechtlichung neuer Partizipationsverfahren? Welche Grenzen sind der Institutionalisierung von Beteiligungsmechanismen gesetzt, damit sich wandelnde Handlungsrationalitäten politisch flexibel eingebaut werden können?

Exklusion als Reaktion. Rechtspopulismus als Parteienfamilie2

Politische AkteurInnen reagieren unterschiedlich auf die komplexen Herausforderungen der postindustriellen Gesellschaft. Manche politische Parteien vertreten einen exklusiven Ansatz, wobei sie Teile der Gesellschaft nicht in ihre Vorstellungen miteinbeziehen, sondern sich nach außen hin abgrenzen. In diesem Zusammenhang treten Parteien auf die politische Bühne, die einfache Antworten auf komplexe Herausforderungen bieten und gegen das Establishment aufbegehren. Ein Großteil der europäischen Parteiensysteme des 21. Jahrhunderts unterliegt dem wachsenden Einfluss einer neuen Parteienfamilie, den sogenannten RechtspopulistInnen. Handelte es sich zuerst noch um einzelne Bewegungen, welche unter an­derem die traditionellen Parteien anprangerten, ist inzwischen ein in Europa fast flächendeckendes Protestphänomen entstanden. Diese Parteien sind mit Wahlergebnissen zwischen 10 und 20 Prozent zu einem stabilen Gegenwartsphänomen vieler politischer Systeme avanciert, wobei manche von ihnen derart erfolgreich agierten, dass sie es bis zur regionalen oder nationalen Regierungsbeteiligung brachten. Zwar handeln diese Parteien in vielen europäischen Staaten als Klein- oder Mittelparteien, gewannen aber vor allem in den letzten zehn bis zwanzig Jahren massiv an Zuspruch. Ihr Aufkommen ist einem Konglomerat aus postindustriellen sozialen, politischen und ökonomischen Entwicklungen geschuldet, wobei staatsabhängige Gegebenheiten ebenso zum jeweiligen Erfolg beitrugen. Die Parteien profitieren unter anderem von kontemporären Krisenerscheinungen, wie der steigenden Politikerverdrossenheit.

Populismus ist ein wissenschaftlich unterschiedlich definierter Begriff, denn er kann sowohl auf das rechte wie das linke Parteienspektrum angewandt werden, nur eine Art der politischen Kommunikation bezeichnen oder ideologisch behaftet sein. Populismus als politische Strömung ist in der Politikwissenschaft schon seit Jahrzehnten ein Thema, doch erst seit Beginn des neuen Jahrtausends beschäftigt man sich gezielt mit der rechtspopulistischen Parteienfamilie, die von Teilen der Wissenschaft zu einer bestimmten Ideologie zusammengefasst werden (vgl. Frank Decker: Der neue Rechtspopulismus. Opladen: Leske + Budrich, 2004). Die rechtspopulistischen Parteien reagieren in besonderer Weise auf die neuen gesellschaftlichen Herausforderungen. Ihr thematischer Schwerpunkt liegt häufig in der Identitäts-, Integrations- und Immigrationspolitik. Rechtspopulistische Parteien sind allem Anschein nach vor allem als OppositionsakteurInnen nachhaltig erfolgreich, können sie sich so doch leichter von ihrem Feindbild – den klassischen etablierten Parteien – abgrenzen. Zuweilen werden rechtspopulistische AkteurInnen aber auch mit in die Verantwortung genommen und in die Regierungsarbeit integriert. Beispiele aus Österreich, der Schweiz, Dänemark oder Italien haben gezeigt, dass RechtspopulistInnen in Folge einer Regierungsbeteiligung nicht zwingend scheitern müssen und ihr Einfluss – insbesondere in der Immigrations- und Sicherheitspolitik – deutlich spürbar ist. Mittlerweile scheint klar, dass die rechtspopulistischen Parteien Europas kein kurzfristiges Phänomen sind, sondern überaus stabil agieren können, falls es ihnen gelingt, ihr politisches Profil gegenüber den restlichen Parteien aufrechtzuerhalten und die institutionellen Faktoren des Landes dies ermöglichen. Einige dieser Parteien haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten gezeigt, dass sie im politischen System sehr wohl kontinuierlich bestehen und dort mit den großen Parteien um die Gunst der WählerInnen konkurrieren können.

Immigration und regionale Diversität: Politiken kultureller Vielfalt auf regionaler Ebene3

Fragen der Integration und Akkommodierung verschiedener kultureller Gemeinschaften werden in zunehmendem Maße auf gliedstaatlicher oder auch lokaler Ebene bearbeitet. Für Gliedstaaten, die selbst durch eine eigenständige Kultur und Identität gekennzeichnet sind – das heißt, in denen kompakt siedelnde Minderheiten leben –, stellt wachsende Zuwanderung und neue kulturelle Diversität eine besondere Herausforderung dar. Einerseits streben Vertreter dieser Gliedstaaten und der dort lebenden Gemeinschaften danach, ihre kulturellen Besonderheiten zu bewahren. Andererseits verlangt die zunehmende gesellschaftliche Heterogenität auch von diesen Gliedstaaten Politiken, die auf die Integration oder Akkommodierung der kulturellen Besonderheiten eingewanderter Gruppe gerichtet sind. Der Fall Quebec zeigt beispielsweise, wie Immigrations- und Integrationspolitiken an dem grundsätzlichen Ziel der Wahrung des besonderen, frankophonen Charakters der Provinz und ihrer Stärkung im kanadischen Föderalstaat ausgerichtet werden. Integrationspolitiken von Gliedstaaten können auch, wie im Falle Schottlands, die Abgrenzungsbedürfnisse einer Region vom Gesamtstaat unterstützen oder die Möglichkeit eröffnen, neue Ansätze zu initiieren, die von anderen Regionen keine Unterstützung finden würden. Die regionale Verantwortlichkeit für die Politikfelder Immigration- und Integrationspolitik kann somit hilfreich sein, regionalen Besonderheiten gerecht zu werden, kann aber auch Spannungen zwischen Ebenen, Regionen oder Gemeinschaften verstärken. Aus vergleichender Perspektive gilt es zunächst aufzuzeigen, wie Regionen, Bundesländer, Provinzen oder Kantone die erworbenen Kompetenzen in diesem Politikfeld nutzen, um gezielt auf regionale Gegebenheiten und Herausforderungen zu reagieren. Welche Rolle spielen hierbei identitäre Besonderheiten in der Region, welche Bedeutung kommt Unterschieden der regionalen Wirtschaft zu? Die regionale Integrationspolitik muss auch aus der Perspektive unterschiedlicher AkteurInnen beleuchtet werden, um den Einfluss unterschiedlicher politischer und gesellschaftlicher AkteurInnen (der Parteien, Wirtschaftsverbände, Vereinigungen sowie der MigrantInnen selbst) erfassen zu können.

Anmerkungen

1 Forschungsergebnisse zu diesem Thema wurden bei der Dreiländertagung in zwei Panels vorgestellt, organisiert von Elisabeth Alber, Vize-Präsidentin der Südtiroler Gesellschaft für Politikwissenschaft und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Föderalismus- und Regionalismusforschung der Europäischen Akademie Bozen (EURAC), zusammen mit Annegret Eppler, Assistant Professor for Studies on European Integration, Institut für Politikwissenschaft, Universität Innsbruck, und Mitglied des Vorstands des Europäischen Zentrums für Föderalismus-Forschung, Universität Tübingen.

2 Forschungsergebnisse zu diesem Thema wurden bei der Dreiländertagung in zwei Panels vorgestellt, organisiert von Reinhold Gärtner, Institut für Politikwissenschaft der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, und Greta Klotz, Mitglied der Südtiroler Gesellschaft für Politikwissenschaft und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Föderalismus- und Regionalismusforschung der Europäischen Akademie Bozen (EURAC). Georg Schedereit, Mitglied der Südtiroler Gesellschaft für Politikwissenschaft, referierte „Zur Langlebigkeit des Phänomens Berlusconi“.

3 Forschungsergebnisse zu diesem Thema wurden bei der Dreiländertagung in zwei Panels vorgestellt, organisiert von Verena Wisthaler, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Minderheitenrecht der Europäischen Akademie und Doktorandin an der Universität Leicester, in Zusammenarbeit mit Bettina Petersohn, EXC 16 Universität Konstanz, Research Fellow – Future of the UK and Scotland, University of Edinburgh.

Abstracts

La Politica della Pluralità – Quo vadis?

Il presente rapporto analizza sinteticamente il coinvolgimento di politologi altoatesini nella conferenza congiunta delle tre associazioni di scienza politica di lingua tedesca tenutasi all’Università di Innsbruck lo scorso settembre. Partendo dal presupposto che la democrazia rappresentativa sia in crisi, i politologi si sono interrogati sia sul significato di governo multilivello e di nuove forme di democrazia, sia sul fenomeno dell’accrescimento della famiglia partitica basata sulle idee del populismo di destra. Inoltre, sono state analizzate le principali ragioni che stanno alla base delle politiche sub-statali d’integrazione e delle nuove competenze in codesto campo, tenendo conto delle caratteristiche socio-economiche ed identitarie ivi presenti.

Politica dla pluralità – Quo vadis?

Chësc cuntribut analisea plu avisa la partezipazion di politologs dl Südtirol pra la cunferënza tenida deberieda dala trëi lies de scienza politica de rujeneda tudëscia tl’Università de Dispruch de setëmber dl ann passà. Pian via dal fat che la democrazia reprejentativa ie te na crisa, se à i politologs damandà ora sibe sun l senificat de n guviern a plu livei y formes de democrazia nueva, che sun l fenomen dl crëscer dla familia partitica che se stiza sun la ideies dl populism de man drëta. Sëuraprò univel analisà la majera rejons che ie ala basa dla politiches sub-stateles de integrazion y dla cumpetënzes nueves te chësc ciamp, tenian cont dla carateristiches sozio-economiches y de identità che ie iló.

Politics of diversity – Quo vadis?

This report briefly analyzes the involvement of South Tyrolean political scientists in the joint conference of the three German-language political science associations, which took place last September at the University of Innsbruck. Starting from the assumption­ that representative democracy is in crisis, the political scientists focused on the relationship between multilevel government and new forms of democracy as well as on the accretive­ phenomenon seen in right-wing populist political parties. The analysis includes the reasons behind and strategies regarding subnational policies of integration as well as the increasing­ competences within this field, taking into account the socio-economic characteristics and identities therein.