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Jörg Becker

Drei Romane über Journalismus und Geld

Three Novels about Journalism and Money

Abstract In his comedy “Die Journalisten” (The Journalists) of 1852, the German writer and journalist Gustav Freytag makes fun of local journalism in a small German town. With fun and wit he addresses the theme of journalism as a commodity sold just according to political principles of opportunism, up to and including the sale of the local newspaper to the political opponents. Journalism for sale is also a theme in the 1891 novel “L’Argent” (Money) by the French novelist and journalist Émile Zola, where it is treated as a decidedly serious problem. In Zola’s novel the entanglement of journalism and money is more intense than in Gustav Freytag’s play; newspapers are even traded on the stock-exchange as economic ventures. A third comparison is with the 1977 novel “La tía Julia y el escribidor” (Aunt Julia and the Scriptwriter) by the Peruvian novelist and journalist Mario Vargas Llosa. Here too, in a work from the radionovela genre, the theme is not only journalism, but also money, advertising agencies and radio surveys. In addition to a comparison of the three literary works, the author classifies the debate about money and journalism in current communication theory discussions.

1. Empirie: Drei Romane

1.1 Das 19. Jahrhundert: deutsche Schriftsteller und Journalisten

Johann Wolfgang von Goethe war bei seinem Freund Herzog Carl August von Sachsen-Weimar nicht nur Hofpoet, sondern auch dessen Kriegsminister. Und als Journalist (vgl. Wohlleben 1981) und Kriegsberichterstatter beschreibt er 1822 unter dem Titel „Kampagne in Frankreich 1792“ den Feldzug deutscher Fürsten gegen das jakobinische Frankreich. Und ebenfalls als Journalist und Kriegsreporter arbeitete einer der wichtigsten deutschen Romanciers des 19. Jahrhunderts. Es ist Theodor Fontane mit seinen bekannten Bestsellerromanen „Frau Jenny Treibel“, „Effi Briest“ und „Der Stechlin“, der gute fünfzig Jahre nach Goethe ebenfalls kriegerisch nach Frankreich zieht (vgl. Krings 2008). In den Jahren 1873 bis 1876 bringt er unter dem Titel „Der Krieg gegen Frankreich 1870–1871“ drei Bände voller eigener Erinnerungen an diesen deutschen Aggressionskrieg gegen Frankreich zu Papier. Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht auch Fontanes Kriegsgedicht „Das Trauerspiel in Afghanistan“ von 1858. Fontanes Ballade endete im Übrigen ähnlich wie die gegenwärtigen westlichen Militärinterventionen. „Die hören sollen, sie hören nicht mehr, vernichtet ist das ganze Heer, mit dreizehntausend der Zug begann, einer kam heim aus Afghanistan.“

Die Geburt des Journalismus aus der Schriftstellerei: Das galt im Deutschland des 19. Jahrhunderts auch für die folgenden Doppelbegabungen: Für den Dramatiker Heinrich Kleist als Herausgeber der „Berliner Abendblätter“, für den Dichter Ludwig Börne und seine radikal-demokratischen Essays, den Dichter Heinrich Heine als Auslandskorrespondenten der „Augsburger Allgemeine Zeitung“, den Dichter Karl Gutzkow mit seinen Feuilletons in der Frankfurter Zeitung „Phönix“ oder den Dramatiker Georg Büchner und seinen „Hessischen Landboten“ (vgl. Pöttker/Stanko 2016). Und genau in dieser Doppeltradition stand auch der Schriftsteller Gustav Freytag, der die letzten Jahre seines langen Lebens in Wiesbaden nur noch als Journalist arbeitete.

1.2 Gustav Freytags Lustspiel „Die Journalisten“ (1852)

Als der Schriftsteller Gustav Freytag 1852 sein Lustspiel „Die Journalisten“ (vgl. Droescher 1919; Mehring 1948) auf die Theaterbühne brachte, war in Europa die politische Reaktion bereits wieder voll auf dem Vormarsch. Die großen und andauernden Kämpfe um Pressezensur und Pressefreiheit waren bereits geschlagen. Zwar war die Pressefreiheit in der Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. März 1849 garantiert worden, doch sah die Realität, besonders in den beiden deutschen Großstaaten Preußen und Österreich, anders aus. Und außerdem war die Pressefreiheit 1854 durch neue Gesetze wieder erheblich eingeschränkt worden. Nun konnten Druckschriften, Zeitschriften, Zeitungen, Flugschriften oder bildliche Darstellungen nur noch unter zwei Bedingungen erscheinen. Der Verleger musste eine staatliche Lizenz für seine Gewerbe beantragen, und vor jeder Publikation musste er den Behörden ein Exemplar seiner Druckschrift zur Verfügung stellen.

Das Thema Presse war damals eines der politisch heißesten und umstrittensten Themen. Freytag, der ja selbst nicht nur Romanautor, sondern auch Journalist war, wusste das natürlich allzu gut. Er tat bei diesem Thema gut daran, es in Form einer Posse und einer Klamotte zu veröffentlichen, denn ein romantischer Realismus wie bei seinem etwa zwanzig Jahre älteren Dichterkollegen Heinrich Heine oder ein sozialkritischer Naturalismus wie bei dem etwa zwanzig Jahre jüngeren französischen Kollegen Émile Zola hätte ihn seinen Job, seine Reputation und seine Tantiemen gekostet. Eingekleidet in die Form eines vieraktigen Lustspiels geht es in seinen „Die Journalisten“ höchst ironisch vor allem um zwei Liebesbeziehungen. Jeweils zwei schöne Frauen kämpfen um ihre jeweiligen Liebhaber, die sie zunächst aus Standesgründen nicht bekommen können. Zum Schluss gibt es ein großes happy end und beide Pärchen sind glücklich. Vom literarischen Genre her gleicht Freytags Theaterposse einer Opera buffa (Mozart, Rossini, Donizetti, Verdi, Offenbach) mit Verwechselungen, Versteckspielen und Lächerlichkeiten.

Im Hintergrund dieses Theaterstücks steht die politische Konkurrenz von zwei Lokalzeitungen im Wahlkampf einer deutschen Kleinstadt. Die liberale Zeitung heißt „Union“, die konservative „Coriolan“. Und mit genau diesem großen Namen „Coriolan“ treibt Freytag sein ironisches Spiel. Ein römischer Held noch bei Shakespeare und 45 Jahre nach Beethovens gleichnamiger Ouvertüre konfrontiert Freytag seine Zeitung „Coriolan“ mit deutschem Spießbürgertum in einer Kleinstadt, mit politischer Korruption, mit Geld und mit Machtgelüste abgehalfterter alter Männer. Nach der politisch unruhigen Epoche des Vormärz und nach Heines heftigen Attacken gegen die idealistische deutsche Klassik konnte auch ein Gustav Freytag im „freien Geist deutscher Nation“ nur noch spöttisch Tugenden und Vernunft erblicken. Nein, auch für ihn waren solche Werte hohl geworden und das Gegenteil von mutiger Praxis (vgl. Freytag 2010, 61). Und selbstverständlich ist auch der Name der anderen Zeitung, nämlich „Union“, also Einheit, ironisch gemeint, war es doch das Dilemma der Deutschen Verfassung von 1848, dass es eben nicht zu einer Einheit aller deutschen Kleinstaaten gekommen war.

Bei Gustav Freytag kommt besonders die liberale Zeitung „Union“ nicht gut weg. Was im Vormärz einst der kämpferische Geist eines fortschrittlichen Liberalismus war, ist 1852 zu einer Zeitung „mit schlechtem Geist und Übermut“ (Freytag 2010, 58) verkommen. Und aus einem früher wohl kämpferischen Journalisten dieser Zeitung macht Freytag einen sinnenfrohen Bohemien, einen „Exzentriker“ mit „unregelmäßigem“ Lebenswandel, einen „Schuldenmacher“, der „ziemlich frei, sehr wild, sittenlos und unwürdig“ lebt (Freytag 2010, 14, 16, 17, 24).

Generell hat Freytag kein gutes Bild vom Journalismus. Da sagt eine Protagonistin „Eine Zeitung verdirbt den Charakter“, spricht vom „bösen Geist Journalismus“, da sind Journalisten „flüchtige, unruhige und zerstreute“ Menschen und da ist es normal, wenn Journalisten nur, nach dem Honorar schielend, von einer Zeitungsredaktion in eine andere wechseln wollen. Als normal gilt es auch, dass politisch gehässige Attacken unter Pseudonym veröffentlicht werden, dass zwar jeder über den Journalismus klagt, ihn aber gleichzeitig für sich selber instrumentalisieren will und dass der Beruf Zeitungsschreiber als ernstes Ehehindernis gilt (Freytag 2010, 35, 59, 62, 81).

Dass Journalisten moralisch unerträgliche Opportunisten sind, offenbart sich in diesem Bekenntnis eines Journalisten der Zeitung „Coriolan“: „Ich habe bei [meinem Redakteur] gelernt, in allen Richtungen zu schreiben. Ich habe geschrieben links und wieder rechts. Ich kann schreiben nach jeder Richtung“ (Freytag 2010, 39). Oder: „Erfinde Deine eigenen Geschichten, wozu bist Du Journalist“ (Freytag 2010, 18). Schmocks Präzisierung seines Opportunismus „Ich habe bei Blumenberg gelernt, in alle Richtungen zu schreiben“ wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts bei einigen Inszenierungen weggelassen, denn sonst wäre die opportunistische Charakterlosigkeit eines jüdischen Journalisten als Gehorsam gegenüber einer Anordnung seines deutsch-arischen Chefs erschienen (vgl. Zur Mühlen 2016, 121). Auf journalistischen Opportunismus wird noch genauso zurück zu kommen sein wie auf den folgenden Satz: „Es ist jetzt Mode, dass alles angenehm sein soll für die Leser“ (Freytag 2010, 79).

Dem antisemitischen Geist des 19. Jahrhunderts voll verpflichtet, ist der größte opportunistische Journalist in Gustav Freytags Theaterstück ein deutscher Jude. In der Zeitung „Coriolan“ steht er ganz unten in der Hierarchie, sein liberaler Chef behandelt ihn wie Dreck, will ihn nicht in seiner Nähe haben, nennt ihn Dritten gegenüber „ordinär“, „hasst“ und „verachtet“ ihn (Freytag 2010, 10 und 38). Dieser Jude spricht kein korrektes Hochdeutsch und antwortet auf eine Frage mit dem als „typisch jüdisch“ angesehenen Charakteristikum von Gegenfragen. In der Figurenkonstellation des Stückes stellt er die böse Welt schlechthin dar. Seine Sicht auf den Journalistenberuf ist zynisch und von (vermeintlich typisch jüdischer) Geldgier geprägt: „Mein Unglück ist nur, ich stecke in einem schlechten Geschäft. Ich muss achten, dass ich aus der Literatur herauskomme“ (Freytag 2010, 79).

Dieser Journalist des „Coriolan“, der ohne irgendeine eigene Gesinnung mal links, mal rechts schreibt, heißt mit Nachnamen Schmock. Und der Name Schmock stand in der deutschen Sprache seit Freytags Lustspiel lange stellvertretend für einen opportunistischen Journalisten, der jede Meinung vertritt, Hauptsache, man bezahlt ihn gut dafür. Er war lange Zeit das Gegenteil zu einem der Wahrheit und Objektivität verpflichteten Journalisten, er war der gesinnungslose Lump, der Schmierfink und der Schreiberling. Noch 1902 gab Wolfgang Madjera in seinem Schauspiel „Helden der Feder“ einem miesen Journalisten namens Schmock den Beinamen „charakterloser Schmierant“ (vgl. Madjera 1902, 31 – 32). Nicht unähnlich dem Schmock ist in Gustav Freytags Bestsellerroman „Soll und Haben“ von 1855 die Figur des jüdischen Kaufmanns Veitel Itzig, der dort im manichäischen Gegensatz zum tugendhaften deutschen Kaufmann Anton Wohlfahrth steht.

Ein opportunistischer jüdischer Journalist wie Schmock bildete 1852 den Auftakt zu dem, was im deutschen Faschismus ab 1933 regierungsoffizielle Systemlogik wurde, nämlich journalistischer Antisemitismus und NS-Hetze gegen die jüdische Medienunternehmen. Bereits 1923/24 hatte Adolf Hitler in „Mein Kampf“ davon gesprochen, dass die Presse eine „Waffe im Dienste des Judentums“ [sei]. In ihren Besitz setzt er sich mit aller Zähigkeit und Geschicklichkeit“ (Hitler 1933, 345). In der NS-Zeit gab es dann Anfang der vierziger Jahre anti-semitische Sätze etwa einer jungen Journalistin wie Elisabeth Noelle (vgl. Becker 2013) oder antisemitische Hasstiraden gegen jüdische Presseunternehmen durch einen promovierten Juristen wie Hans Theodor Froehlich, der 1940 im NS-Propagandaministerium Ansprechpartner für Elisabeth Noelles Dissertation war. Unter seinem Pseudonym Theodor von Bipen hatte er 1943 in einem fast sechzig Seiten langen Aufsatz über „Presse und Judentum“ in den USA schlimme antisemitische Polemiken veröffentlicht. So nannte er beispielsweise den Journalisten Walter Winchell einen der „übelsten Vertreter der jüdischen Journaille“, warf ihm „schleimige Zweideutigkeit“ vor, sprach von der „personellen Durchsetzung [der amerikanischen Presse] mit Juden“ und nannte New York „die größte Judenstadt der Welt, [in der] die Zeitungsverlage völlig vom guten Willen und der Mitarbeit ihrer jüdischen Zeitungsverkäufer abhängig“ sind (Bipen 1943, 320, 321, 325, 363).

1.3 Gesellschaft und Literatur unter Napoleon III. in Frankreich

Wie in Deutschland so saß auch in Frankreich nach den revolutionären Umbrüchen zu Anfang dann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die politische Reaktion wieder fest im Sattel. Die innenpolitische Repression in Frankreich korrespondierte unter Napoleon III. mit imperialen Abenteuern im Ausland (sardinischer Krieg, Krimkrieg, frz. Truppen in Mexiko). Gleichzeitig war diese zweite Jahrhunderthälfte auch in Frankreich mit einem enormen, steilen und immer dynamischer werdenden Anstieg der Entfaltung der Produktivkräfte verbunden. Eisenbahn und Telegraph wurden zum Symbol eines nicht enden wollenden technischen Fortschritts, in dessen Folge sich zugleich eine enorm wachsende Menge stolzer und kämpferischer Industriearbeiter formierte, die sich in mächtigen Gewerkschaften und großen sozialistischen Parteien organisierten. Unter dem Ingenieur George-Eugène Baron Hausmann wurde fast die Hälfte aller Häuser in Paris abgerissen und die so entstandenen freien Flächen wurden in breite Alleen verwandelt. Die Pariser Weltausstellung von 1867 bildete den Höhepunkt des Zweiten französischen Kaiserreichs – an ihr nahmen 32 Länder mit mehr als 50.000 Ausstellern teil.

Im Gegensatz zur deutschen Romantik kannte die französische Romantik Anfang des 19. Jahrhunderts nicht die völlige Verinnerlichung und Entpolitisierung ihres literarischen Helden, so dass in Frankreich der Übergang von der Romantik (Hugo, Lamartine) zur Sozial- und Gesellschaftskritik des Naturalismus (Maupassant, Zola) und Realismus (Stendhal, Flaubert, Balzac, Verne) bruchloser und einfacher verlief. Der in der französischen Revolution blutig und mühsam erkämpfte Begriff der Aufklärung rettete sich quer durch die Romantik bis zu Naturalismus und Realismus (vgl. Fontius 1979). „Engagierte“ Literatur kannte Frankreich lange, bevor ihr Sartre 1945 diesen Begriff gab. Literatur ist und war in Frankreich stets Trägerin einer l’opinion publique. Daher wird auch verständlich, dass französische Soziologie ihre Wurzeln in der Literaturkritik – öffentliches Räsonieren, qualitative Analyse und Gesellschaftstheorie – hat und eben nicht in einem philosophischen Pragmatismus und Funktionalismus, der eine US-amerikanische Soziologie in einen quantitativen Positivismus hinein drängen musste. Bezeichnend in diesem Sinne ist es, dass sich ein realistischer Schriftsteller wie Balzac selbst als Doktor der Sozialwissenschaften verstand. Der zornige Artikel „J’accuse“ eines Émile Zola, Schriftsteller und Journalist, der der antisemitischen Dreyfuß-Affaire 1898 seine entscheidende politische Wende gab, ist insofern kein Ausrutscher in der französischen Literaturgeschichte, sondern einer ihrer konsequenten Höhepunkte.

1.4 Émile Zolas Roman „L’Argent“ (1891)

Gestützt auf das viel gelesene Buch „Le manuel du spéculateur à la bourse“ (Handbuch des Börsenspekulanten) des anarchistischen Sozialisten Pierre-Joseph Proudhon von 1853 konnte Émile Zola seinen Roman „L’Argent“ (Das Geld) als einen seiner letzten großen Romane 1891 veröffentlichen (vgl. Winklehner 1987). Zola war inzwischen eine Romanmaschine geworden – ab 1871 veröffentlichte er pro Jahr einen Roman –, berühmt und reich vom Schreiben. „L’Argent“ war sein vorvorletzter Band des zwanzigbändigen Romanzyklus „Les Rougon-Macquart“, der „Natur- und Sozialgeschichte einer Familie im Zweiten Kaiserreich“, wie er seine zwanzig Bände im Untertitel genannt hatte.

In „L’Argent“ zeichnet Zola den Aufstieg und Fall der großen französischen Bank „Union Générale“ unter Leitung ihres Direktors Eugène Bontoux nach. Im Roman trägt er den Namen Saccard. Er ist ein genialer Planer, der sein Vermögen mit gewagten Spekulationen an der Börse gewinnt. Mit Hilfe einer von ihm gegründeten Kapitalgesellschaft will Saccard den Nahen Osten für Frankreich wirtschaftlich ­erobern. Als Gegenspieler von Saccard erscheint bei Zola der Bankier Gundermann – hier porträtiert er den Bankier James de Rothschild. Gundermann schafft es schließlich, Saccards Bank in die Knie zu zwingen, so dass er mit all seinen Unter­nehmungen im Orient in die Pleite getrieben wird. In der Realität erinnert Zola hier an den Bankrott der „Union Générale“ 1882, der damals die gesamte europäische Finanzwelt erschütterte und im Übrigen viele andere Schriftsteller dazu ermunterte, Romane über die Börse zu verfassen. Während das erste Wort in Zolas Roman „Börse“ lautet, beschließt der Autor sein Werk mit den beiden Wörtern „Liebe“ und „Leben“ – und genau dazwischen spielt der mit mehr als 500 Seiten sehr umfangreiche Roman.

Als zentrale Aussagen seines wirtschaftlichen Handelns können die folgenden Sätze des Bankiers Saccard gelten. „Es gibt nichts Gewinnbringenderes als gestohlenes Geld“ oder „Auffressen oder auffressen lassen“ (Zola 2017, 212, 310). Zola beschreibt eine Finanz- und Bankenwelt mit „Spitzbuben“, Spekulationen unter dem „Deckmantel eines Strohmanns“ und mit „Spekulationswahnsinn“. „Geld ist der König, ein Abgott“ – heißt es apodiktisch an einer Stelle (Zola 2017, 16, 271, 277, 377). Zola personalisiert nicht, sondern ist sich praktisch wie theoretisch der Tatsache bewusst, dass es um hinter den Personen stehende gesellschaftliche Strukturen geht. Das wird zum Beispiel dann deutlich, wenn er den Intellektuellen Sigismond Busch davon sprechen lässt, dass „unsere Gesellschaft auf dem kapitalistischen System“ (Zola 2017, 359) beruhe. Hört man Saccards Sätze: „Geld wurde zum Ferment jedes sozialen Wachstums und diente als notwendiger Nährboden für die großen Vorhaben. [...] Alles Gute entstand aus dem Geld, und es erzeugte alles Übel“ (Zola 2017, 283), dann meint man fast das bekannte Diktum von der zerstörerischen Kraft des ökonomischen Fortschritts bei dem Ökonomen Joseph Schumpeter zu hören. Und man denkt nicht nur an Schumpeter, sondern auch an den marxistischen Ökonom Rudolf Hilferding, der uns alle schon 1910 mit seinem Buch „Das Finanzkapital“ auf die immense ökonomische Bedeutung der Finanzmärkte und des Geldkapitals für das produktive Kapital aufmerksam machte.

Zola kannte das Werk des Sozialisten Pierre-Joseph Proudhon und kannte natürlich auch die Ideen der beiden Brüder Emile und Isaac Péreire, die am 18. November 1852 nicht nur ihre industrienahe Bank „Crédit Mobilier“ gegründet hatten, sondern, gestützt auf den Frühsozialisten Henri de Saint-Simon, davon träumten, dass eine von den Banken gestützter Industrialisierung geradewegs in den Sozialismus führe. Und selbstverständlich war einem Zola auch sein Zeitgenosse Karl Marx ein Begriff, erwähnt er doch in „L’Argent“ die Erstveröffentlichung von Marxens „Kapital“ (Zola 2017, 359) im September 1867. Doch auch wenn Zola nur eine radikaldemokratische und republikanische und keine sozialistische Revolution vorschwebte (vgl. Klein 1989, 236), so wächst er mit seinem Bergarbeiterroman „Germinal“ (1885) über das Bild eines individuellen bürgerlichen Rebell seiner früheren Romane hinaus: Der kollektive Revolutionär von „Germinal“ ist hier nun die Arbeiterklasse!

Mögen solche ökonomischen Zusammenhänge rund um das Werk von Zola eventuell bekannt sein, so besticht Zola in seinem Buch „L’Argent“ aber vor allem auch mit seinen detailreichen Kenntnissen über das damalige französische Pressewesens und dessen gesellschaftlicher Bedingungen und Funktionen.

Der Bankier Saccard ist sich sehr der Tatsache bewusst, dass die Gründung seines an der Börse notierten neuen Bankenimperiums nur mit einer sehr aktiven Medienarbeit funktionieren wird, will er doch insbesondere Kleinsparer, die arme Landbevölkerung, Bauern und Arbeiter zum Ankauf von Aktien motivieren. Um dieses Ziel zu erreichen, macht er kurzen Prozess. Er führt dazu keine Hintergrundgespräche mit opportunistischen Journalisten, sondern kauft eine dann der Bank gehörende Zeitung, nämlich „Ésperance“, ein „notleidendes katholisches Blatt“ (Zola 2017, 215), deren Verleger und Direktor er gleich selbst wird. Er gründet unter den Fittichen seiner Bank einen Reklamefonds, „in die er alles verfügbare Geld stecken will“ (Zola 2017, 145). Der „Propagandarummel“ (Zola 2017, 291) unter Leitung seines Chefredakteurs Jantrou ist enorm: Saccard plakatiert in ganz Paris, veröffentlicht Broschüren, kauft mehrere kleine Börsenzeitungen und eine weitere Tageszeitung auf. So weit, so gut – könnte man meinen.

Doch Zola kennt sich mit weiteren Medientricks gut aus: Da werden für die Öffentlichkeitsarbeit bewusst Witze produziert, da wird gegnerischen Journalisten ein Schweigegeld gezahlt, da versichert man sich der wohlwollenden Berichterstattung, indem man Journalisten Bankaktien schenkt und da lässt man gar „Annoncen auf heikle Körperteile von anständigen Frauen“ (Zola 2017, 220) tätowieren. Sein Redakteur Jantrou bietet Saccard der Zeitung „Ésperance“ seine Mitarbeit mit folgenden Worten an: „Ich würde Ihnen jeden Morgen eine Seite reservieren, Artikel würden ihr Loblied singen, einfache Notizen die Aufmerksamkeit auf Sie lenken, desgleichen Anspielungen auf Aufsätze, die mit Finanzfragen überhaupt nichts zu tun haben, kurz, ein regelrechter Feldzug bei wichtigen und unwichtigen Anlässen“ (Zola 2017, 145). Jantrou beendet sein journalistisches Angebot an Saccard mit folgenden Worten: „Kaufen Sie eine Zeitung! Sie ist Macht!“ (Zola 2017, 146)

Natürlich kennt Zola auch gute Protagonisten: Im Gegensatz zum opportunis­tischen Journalisten Jantrou steht der zunächst arme, aber gesinnungsethische saubere Schriftsteller Paul Jordan, ein „Hungerleider“, denn er war „ein Mensch, der Bücher schreibt“ (Zola 2017, 347). Doch Zola meint es gut mit ihm. Zum Schluss von „L’Argent“ wird Paul Jordan durch die Veröffentlichung seines ersten Romans reich (Zola 2017, 444).

1.5 Literatur und Gesellschaft in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts in Peru

Ein einhundertjähriger Sprung aus dem nachrevolutionären Deutschland von 1852 in ein Peru von 1952 ist eventuell kürzer als zunächst gedacht. In dem latein­amerikanischen Land, das den höchsten Anteil an indigener Bevölkerung hat und der deswegen nicht Spanisch als Muttersprache spricht, musste die revolutionäre Aufbruchsstimmung nach dem Ende des Ersten Weltkriegs einen literarischen Indigenismus hervorbringen, der zugleich mit der sozialen Frage auf das intimste verquickt war. Herausragende Beispiele dafür sind Ciro Alegrias beiden Romane „Los perros hambrientos“ (Hirten, Herden, Hunde) von 1939 und „El Mundo es ancho y ajeno“ (Die Welt ist groß und fremd) von 1941, die vom Kampf der Indios gegen Hunger, Ausbeutung und Großgrundbesitzer handeln. In dieser Zeit kämpft für einen peruanischen Indigenismus auch ein José Carlos Mariátegui mit seinen sozialistischen Theorien eines Agrarsozialismus und wird dabei von dem französischen Ökonom Louis Baudin mit seinem 1942 erschienenen Buch „Essais sur le socialisme. Les Incas du Pérou“ unterstützt. War der Schriftsteller und Journalist Ciro Alegrias noch Mitglied der schon 1924 gegründeten „Alianza Popular Revolucionaria Americana“ (APRA) (Amerikanische Revolutionäre Volksallianz), so war genau diese APRA Anfang der fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts bereits in die Jahre gekommen. Parallel zur 1929 gegründeten und damals ebenfalls revolutionären mexikanischen „Partido Revolucionario Institucional“ (PRI) hatten APRA und PRI in den fünfziger Jahren jeglichen revolutionären Elan hinter sich gelassen und vertraten nur noch die Interessen des städtischen Bürgertums.

Und genau zu Anfang der fünfziger Jahre, in der in Peru nicht mehr die APRA an der Macht, sondern General und Militärdiktator Manuel Apolinario Odría Amoretti Staatspräsident war, spielt Mario Vargas Llosas 1977 veröffentlichter Roman „La tía Julia y el escribidor“ (Tante Julia und der Kunstschreiber) (vgl. Prieto 1983). Dieser Roman kämpft nicht mehr revolutionär gegen das Elend im damaligen Peru, atmet aber als Schelmenroman gleichwohl noch ein nach-revolutionäres Pathos aus. Sozusagen eine ironische „revolution light“ für ein inzwischen reich gewordenes Bürgertum der zweiten Generation nach den Revolutionären aus den zwanziger und dreißiger Jahren. Wie auch bei Gustav Freytag geht es bei Vargas Llosa um die politische Rolle der Massenmedien, dieses Mal nicht um Zeitungen, sondern um das Radio. Und genau dieses Medium stand Anfang der fünfziger Jahre durch die von den USA ausgehende forcierte Modernisierung des peripheren Kapitalismus in Lateinamerika an der Spitze von Modernisierungsstrategien. Das galt sowohl in der Realität einer aggressiv wilden privaten Radiolandschaft als auch in der Communication-and-Development-Forschung unter der Ägide von Kommunikationsforschern wie Daniel Lerner oder Wilbur L. Schramm mit Arbeiten für Organisationen wie die „Central Intelligence Agency“ (CIA), das „Project Camelot“, die „United States Information Agency“ (USIA) oder später das „Peace Corps“.

1.6 Mario Vargas Llosas Roman „La tía Julia y el escribidor“ (1977)

Bereits die Berufsbezeichnung „escribidor“ im Titel dieses Romans deutet eine kritische Stoßrichtung dieses Buches über Radiojournalismus an. Denn im Gegensatz zu dem spanischen Wort „escritor“ meint das spanische Wort „escribidor“ leicht abfällig den schlechten Autor oder Schreiberling. Konsequenterweise war die deutsche Übersetzung des Wortes „escribidor“ mit „Lohnschreiber“ richtiger als mit „Kunstschreiber“ bei zwei verschiedenen deutschen Übersetzungen dieses Romans. Es geht also um ein Schreiben, um Geld zu verdienen. Im Gegensatz zu dem „escribidor“ Pedro Camacho der Radionovellen steht als erzählendes Ich ein „escritor“, also ein Schriftsteller und gleichzeitig Radiojournalist, der sich am Ende des Romans als junger Mario Vargas Llosa entpuppt. Es geht in diesem autobiographischen Roman nicht nur um den Gegensatz von „escribidor“ und „escritor“, sondern vor allem um den von Fiktion und Fakt und den von Kitsch und Realität. Auf der einen Seite beteuert der „escribidor“ Pedro Camacho an vielen Stellen, dass er in seinen Radionovellen nichts anderes als die Realität wiedergäbe, zum anderen gerät er selbst so sehr in den Strudel seiner eigenen fiktionalen Welt, dass er letztlich im Wahnsinn landet.

Vargas Llosas Roman beschreibt den Inhalt der Radionovellen sehr präzise, zum Teil mit einem Schalk in den Augen. Es geht in ihnen um „einen Strom von Ehebruch, Selbstmord, Leidenschaften, Begegnungen, Erbschaften, Verehrungen, Zufällen und Verbrechen“ (Vargas Llosa 1988, 12) und um „gewaltige Dramen, die einem das Herz zerreißen“ (Vargas Llosa 1988, 96). Und auch die soziale Funktion dieser Radioangebote sieht Vargas Llosa sehr präzise, denn deren Zuhörer „liebten Hörspielserien, weil sie unterhaltsam, traurig oder drastisch waren, weil sie sie ablenkten, sie träumen und Dinge erleben ließen, die im wirklichen Leben unmöglich waren, weil sie einige Wahrheiten aufzeigten oder weil sie immer ein bisschen romantisch waren“ (Vargas Llosa 1988, 97). Um seine augenzwinkernde Ironie auf die Spitze zu treiben, schreibt Vargas Llosa am Ende seines Romans, dass die Hörspielserien von Pedro Camacho so erfolgreich gewesen seien, dass ihnen sogar die Steine zugehört hätten (Vargas Llosa 1988, 251), ganz zu schweigen davon, dass auch Perus Militärdiktator Odría keine der täglichen Folgen dieser Hörspielserie auslässt (Vargas Llosa 1988, 176).

Im dichotomischen Gegensatz zum populären Radiojournalist Pedro Camacho steht als Ich-Erzähler der seriöse Schriftsteller Vargas Llosa. Er fühlt „eine Berufung zur Literatur“ (Vargas Llosa 1988, 63), will Schriftsteller und „Bohémien“ in Paris werden und dort „im Künstlerviertel in einer Mansarde wohnen“ (Vargas Llosa 1988, 93).

Vargas Llosas Roman ist der kongeniale literarische Spiegel der journalistischen Gattung Radionovela, die – mit ihrer medialen Fortsetzung als Telenovela – einerseits Ausdruck eines sehr spezifischen journalistischen Formats aus Lateinamerika ist, die als Telenovela andererseits inzwischen Teil eines millionenschweren und globalen Geschäfts der sogenannten Contentindustrie geworden ist. Zum Teil wird in der kommunikationswissenschaftlichen Fachliteratur die erfolgreiche globale Offensive der lateinamerikanischen Telenovelas sogar als wichtiger Indikator dafür genommen, dass der einst weltweit dominante Medienimperialismus aus den USA auf dem Rückmarsch sei (vgl. Boyd-Barret/Thussu 1992).

Wie sehr gerade die Radionovelas in den vierziger und fünfziger Jahre in Lateinamerika wichtig waren, zeigt exemplarisch der Lebenslauf der späteren argentinischen Staatspräsidentenin Eva Péron, die ihre enorme Popularität – gerade bei armen und einfachen Leuten – ihrem ersten Beruf als Sprecherin einer Hörspielserie verdankte. Wie Vargas Llosa in seinem Roman mehrfach betont, spielte Kuba bei der Produktion der Radionovelas eine herausragende Rolle. Hier stehen die Radiohörspiele des Senders CMQ in Konkurrenz zu der einheimischen Billigproduktion eines Pedro Camacho. Kuba mit seinen Radioangeboten sei wie ein „Bordell“ (Vargas Llosa 1988, 360) und CMQ verhalte sich darin wie ein „Haifisch“ (Vargas Llosa 1988, 360), heißt es in “Tante Julia und der Kunstschreiber“. Und in der Tat war Kuba auf diesem Sektor der Radiohörspiele das erfolgreichste lateinamerikanische Land. Die Serie „El collar de lágrimas“ (Die Halskette der Tränen) von José Sánchez Arcilla brachte es über viele Jahre hinweg auf insgesamt 965 Episoden.

Bekannterweise konkurrieren bei der Frage nach der gesellschaftlichen Funktion von Kitsch – in diesem Fall Radionovelas – zwei kritische Ansätze miteinander. Zum einen der streng ideologiekritische Ansatz, der im Kitsch nichts anderes als eine Beruhigungspille der Herrschenden an die Beherrschten sieht und zum anderen ein Ansatz aus den cultural studies, der auch im schlechtesten Kitsch noch Bruchstücke einer sozialistischen Utopie nach einer herrschaftsfreien Gesellschaft erkennen, ein Ansatz, der im Lebensstil des kleinbürgerlichen Kitsches latente Widerstandsmomente gegen das Bildungsbürgertum herauslesen will.

2. Theoretische Schlussfolgerungen: Journalismus, Geld und Macht

Drei Romane über Journalismus, Geld und Macht aus drei verschiedenen historischen und außerdem aus drei verschiedenen nationalen/kulturellen Kontexten: Doch spannender Weise sind ihre Gemeinsamkeiten größer als ihre Differenzen. Und bereits dieses Ergebnis ist bemerkenswert. Der bürgerlich-konservative Gustav Freytag aus Deutschland von 1852, der radikaldemokratische Bürger Émile Zola aus Frankreich von 1891 und der großbürgerlich reiche Mario Vargas Llosa aus Peru von 1977 schätzen das Verhältnis zwischen Medien, Geld und Macht ähnlich misstrauisch und kritisch ein.

2.1 Schriftsteller und Journalisten

Alle drei Werke eint die bipolare Gegenüberstellung von schlechtem, weil opportunistischem, Journalisten und gutem Schriftsteller. Der erste wird gut bezahlt, ist aber ein „Gesinnungsschwein“, der zweite hat zwar eine edle Gesinnung, verdient aber kein Geld. Hinter dieser Dichotomie stehen nicht nur die möglicherweise stereotypen Sichtweisen der jeweiligen drei Autoren, sondern selbstverständlich auch reale Erfahrungen und historisch jeweils unterschiedlich gewachsene Formen der Arbeitsteilung zwischen diesen beiden Berufen. Bilden sich Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts anwachsende Lesemärkte heraus, die groß genug sind, einem beliebten Schriftsteller genügend Leser für seine Lesestoffe zu sichern, so kann sich dieser von einem Journalisten arbeitsteilig unterscheiden und abheben und kann sich unter Umständen als Freiberufler selber ernähren. Insofern befreite das 19. Jahrhundert Journalisten und Schriftsteller vom Joch des feudalen Patriarchats vorhergehender Jahrhunderte, brachte ihnen deswegen einen neuen Zusatzgrad an Freiheit, wenn auch als Knechte einer kapitalistischen Marktfreiheit.

Sieht man von Dieter Paul Baumerts Studie „Die Entstehung des deutschen Journalismus“ von 1928 (vgl. Baumert 2013) ab, dann gibt es in Deutschland zwar viele historische Studien über die Geschichte der Medien, aber keine über die Geschichte des Journalismus. Deswegen bleiben die folgenden Aussagen ein wenig spekulativ. Eine klar definierte Arbeitsteilung zwischen Schriftstellern und Journalisten dürfte es erst seit ungefähr 1900 geben. Und der, der praktische Gewerkschaftserfahrung hat, weiß, dass die seit 1989 offiziell bestehende Verbandskooperation zwischen Schriftstellern, Journalisten und Druckern in der Gewerkschaft Verdi nicht funktioniert. Der von Karla Fohrbeck und Andreas Johannes Wiesand in ihrem „Autorenreport“ von 1972 (vgl. Fohrbeck/Wiesand 1972) geprägte neutrale Begriff „Wortproduzent“ konnte über die Unterschiede des jeweiligen Selbstverständnisses und Arbeitens von Schriftstellern und Journalisten nicht hinweg täuschen.

Bedenkt man, dass gegenwärtig der Journalismus durch zwei Mechanismen in seiner Substanz bedroht ist, zum einen dadurch, dass, wie in den USA, 200.000 PR-Arbeitsplätzen nur noch 100.000 journalistische Arbeitsplätze gegenüberstehen, und zum anderen dadurch, dass eine kommerziell privatisierte Werbemaschine wie das Internet (facebook, twitter, instagram, individuelle Blogger und Internetportale) keine qualitativen journalistischen Filter mehr kennt, könnte das Zeitalter des Journalismus in nur noch wenigen Dekaden nach rund 150 Jahren wieder vorbei sein. Ein kleiner elitärer journalistischer Restbestand könnte dann, wie Anfang des 19. Jahrhunderts, zurück zum Schriftsteller mutieren (vgl. Becker 2018).

Notabene: Sowohl Freytag und Zola als auch Vargas Llosa waren resp. sind gleichzeitig Journalisten und Schriftsteller und waren resp. sind alle drei ausgesprochen reich.

2.2 Journalismus und Geld

Alle drei Schriftsteller thematisieren das Verhältnis von Journalismus zu Geld. Und genau deswegen wurden sie für diesen Essay ausgewählt. Doch alle drei Autoren sind schlau genug, dieses Verhältnis jenseits von Banalitäten zu erzählen, die jedermann kennt. Sie sind kritische Köpfe, die das Latente jenseits des Manifesten aufspüren, die hinter die öffentlich sichtbare Szenerie gucken oder die eben gesellschaftliche Zustände nicht nur beobachten, sondern auch analysieren.

Wo der affirmative Kopf von Konkurrenz und Pluralismus der Medien spricht, da wissen es diese Schriftsteller besser. Bei Vargas Llosa gehören zwei scheinbar miteinander konkurrierende Radiosender ein und derselben Familie, bei Freytag kauft die eine Zeitung, scheinbar in Konkurrenz mit einer anderen Zeitung, diese einfach auf und auch Zolas Bankdirektor kauft Zeitungen und Börsenblätter en masse, um sie stromlinienförmig seinem Konzern einzuverleiben. Bei Freytag werden im Übrigen Geschäftliches und Privates höchst pikant miteinander vermischt: Wie aus dem Leben gegriffen ist der Zeitungsverkauf in Höhe von 20.000 der einen an die andere Zeitung mit dem „Einkauf“ von Frauen und Töchtern verknüpft, so dass eine Heirat die Geschäftsinteressen nicht stört.

Auch Vargas Llosa ist mit seinen politökonomischen Beobachtungen des Radiosektors auf der Höhe seiner Zeit Anfang der fünfziger Jahre. Längst geht es ihm nicht mehr nur um Honorare von Journalisten, die bei einem Radiosender arbeiten, vielmehr hat er die Kommerzmaschine von privatwirtschaftlichem Rundfunk im Visier. Schon für Anfang der fünfziger Jahre verweist er darauf – im Genre seines Schelmenromans ironisch mahnend – , dass es dem privaten Rundfunk und den mit ihm verbündeten Werbeagenturen mit den Mitteln von Zuhörerforschung und Umfragedaten um nichts anderes geht, als um die Erhöhung der Einnahmen von Werbespots. Dabei ist Vargas Llosas Sprache durchaus drastisch. Kuba mit seinem Radiosender CMQ sei ein einziges „Bordell“, dieser Sender sei ein „Haifisch“ (Vargas Llosa 1988, 360) und natürlich könne man aus einem Quizprogramm eine „neue Goldgrube“ (Vargas Llosa 1988, 371) machen. Kann man die nackten Profitinteressen eines Radiosenders noch mehr auf den Punkt bringen, als Vargas Llosa sagen zu lassen, dass „die Hörspielserien aus Kuba nach Gewicht verkauft wurden, weil dies weniger riskant war als nach gegebener Seiten- oder Wörterzahl“ (Vargas Llosa 1988, 12)?

Auch die finanzielle Situation der Journalisten in ihrer Abhängigkeit von ihren Zeitungsverlegern oder Radioeignern ist allen drei Schriftstellern mehr als bewusst. Da haust bei Vargas Llosa der so erfolgreiche Autor der Radionovelas Camacho aus Geldmangel in einer schäbigen Hinterhofbude, bei Zola bettelt der erfolglose Journalist Jordan bei anderen Menschen vergeblich um einen kleinen Kredit, damit er überleben kann und bei Freytag beklagt sich der Journalist Schmock über sein geringes Gehalt und die wiederholten vielen Kürzungen durch seinen Vorgesetzten. Sein mageres Honorar von „1 Zeile für fünf Pfennige“ (Freytag 2010, 79) ähnelt durchaus dem Stücklohn in einer sich gegenwärtig auch im Journalismus abzeichnenden Click-Economy (vgl. Fuchs 2014) ohne Arbeitsvertrag und ohne soziale Absicherung.

Da, wo ein Autor wie Zola das Wesen von Finanzmärkten diskutiert, ist er natürlich viel kritischer (und auch zeitgemäßer) als ein Freytag und ein Vargas Llosa, selbst wenn sein Roman schon Ende des 19. Jahrhunderts spielt. Völlig folgerichtig in seiner Analyse der Entwicklung des Kapitalismus thematisiert Zola Rolle und Funktion der Finanzmärkte für die Medien. Und so geht es ihm – analytisch wiederum völlig richtig – nicht länger um die finanzielle Korruption einzelner Journalisten, sondern um ein international agierendes Bankenkonsortium mit einem angehängten Medienmischkonzern. Zola nennt ihn einen Reklamefonds mit Tageszeitungen, Börsenzeitungen und einem Plakatproduzenten. Ein solcher Reklamefonds kann, je nach Aktienkurs, hin und her verkauft werden. Was Zola hier schildert, gilt heute passgenau für die Firma Reuters plc – ein international agierender Finanzdienstleister und Beinahe-Monopolist mit einer angehängten Nachrichtenagentur (die nicht einmal 10 Prozent des Gesamtumsatzes dieses Konzerns erwirtschaftet).

2.3 Journalismus und Macht

Im Journalismus stellen sich Fragen der Macht im Binnen- und im Außenverhältnis. Allen drei Autoren ist die Abhängigkeit der Journalisten von ihren jeweiligen Arbeitgebern bekannt und bewusst. Diese Abhängigkeit äußert sich nicht nur bei der Entlohnung, sondern auch bei redaktionell zu verantworteten Inhalten. Paradigmatisch dafür lässt Freytag einen Journalisten sagen: „Ich kann schreiben nach jeder Richtung“ (Freytag 2013, 39). Und bei Vargas Llosa nennt ein Protagonist den Journalismus verächtlich nur noch „Prostitution der Feder“ (Vargas Llosa 1988, 130). Wahrlich ist bei solchen Machtverhältnissen innerhalb einer journalistischen Redaktion jeglicher Gedanke an die Freiheit des Journalisten oder an die Freiheit des Wortes nichts als ein idealistisches Geschwätz.

Gibt es eine Diskussion über Macht im Binnenverhältnis verschiedener journalistischer Akteure in der Kommunikationswissenschaft wenigstens hier und dort (wenn auch nicht häufig), hat es in Deutschland eine große und kontroverse Diskussion um diese sogenannte innere Pressefreiheit eigentlich nur in den sechziger und siebziger Jahren gegeben. Sie gipfelte 1970 beim Magazin „Der Spiegel“ in einem sogenannten Redaktionsstatut, nach dem dort Redakteure, Dokumentationsjournalisten und Verlagsangestellte mit einem Anteil von 50 Prozent Teilhaber dieses Magazins sind und ein Verleger deswegen den einzelnen Journalisten nicht zu dieser oder jenen Meinung zwingen kann.

Dass die Freiheit der Medien auch massiv durch die Abwesenheit der äußeren Pressefreiheit bedroht ist, wissen alle drei Schriftsteller ebenfalls nur allzu gut. So wimmelt es in allen drei belletristischen Werken von hohen Politikern. Bei Freytag kandidiert ein Lokaljournalist zum Abgeordneten des städtischen Parlaments und bei Vargas Llosa hört der Staatspräsident selber täglich jede Folge der Radionovelas, ist der Vater des Ich-Erzählers ein Freund des Arbeitsministers, schmiert die Regierung eine Zeitschrift mit Anzeigenaufträgen, damit sie „bestimmte Leute angreife und andere verteidige“ (Vargas Llosa 1988, 385) und schließlich protestiert sogar der argentinische Botschafter gegen die Radionovelas, da sie Argentinien beleidigen würden.

Wiederum ist Zola der analytisch schärfste der drei Autoren, wenn es um eine Beschreibung des Machtmissbrauchs der Presse durch die Politik geht. Bei Zola sitzen hohe Politiker an den Hebeln privatwirtschaftlicher Macht. Der Bruder des Bankiers Saccard ist Minister und im Aufsichtsrat seiner Bank mischt ein Parlamentsabgeordneter genauso mit wie Vertreter des „ganzen französischen Adels“ (Zola 2017, 206). Genauso verhält es sich mit der Großbank seines Konkurrenten Gundermann, dessen Macht als „allumfassend“ gilt und der „eigene Gesandte an allen Höfen der Welt, eigene Konsuln in allen Provinzen und Agenturen in allen Städten und Schiffe auf allen Meeren“ (Zola 2017, 113) unterhielt. Heißt es bei Zola mit gutem Grund: „Kaufen Sie eine Zeitung! Sie ist Macht!“ (Zola 2017, 146), so sekundiert ihm bei Freytag ein Journalist mit den folgenden Worten: Mein erster Toast gilt „der großen Macht, welche Deputierte hervorbringt, die Zeitung“ (Freytag 2010, 83).

Mit aber eben diesem Thema Macht betreten die drei Schriftsteller Freytag, Zola und Vargas Llosa ein Feld, das man sowohl in der empirischen als auch in der theoretischen Kommunikationswissenschaft als einen systematischen blinden Fleck bezeichnen kann und muss. Macht ist das Anathema der bürgerlichen Kommunika­tionswissenschaft (vgl. Naschold 1973).

2.4 Zur Politökonomie von Medien

Während in der hochgradig arbeitsteiligen Kommunikationswissenschaft der anglophonen Welt seit vielen Jahren ein erbitterter Streit von Ökonomie versus cultural studies läuft, muss man diesen Streit aus deutscher Sicht ein wenig verwundert zur Kenntnis nehmen, zumindest dann, wenn man sich als Sozialwissenschaftler im weitesten Sinne und nicht im engen Sinne als Kommunikationswissenschaftler definiert. Diese deutsche Verwunderung kann u.a. auch in einem historischen Rückblick verdeutlicht werden.

Nicht nur dem deutschen Sozialphilosophen Karl Marx war die Verbindung von Ökonomie und Medien mehr als klar, kennt man doch seinen berühmten Satz von 1842 – also ungefähr zur Zeit von Gustav Freytags Stück „Die Journalisten“ –, dass „die erste Freiheit der Presse darin besteht, kein Gewerbe zu sein“ (Marx 2001, 49). Freilich klärt Marx mit diesem Satz nicht die Frage nach Henne oder Ei. Guckt man sich empirisch in der Presselandschaft des 19. Jahrhunderts in Deutschland um, dann findet man in der Mitte dieses Jahrhunderts durchaus Zeitungen, die zu mehr als 90 Prozent aus nichts anderem bestehen als aus gewerblichen Anzeigen. Das gilt zum Beispiel für die „Nachrichten für die Oberamts-Bezirke Calw und Neuenbürg“. In Nr. 2 des Jahrgangs 1848 finden sich zum Beispiel folgende Annoncen: Verkaufsanzeigen für Grundstücke, Holz, Liegenschaften, Häuser, Wiesen, Wein, Bier, Backwaren, Haarbalsam und Versteigerungen von Erbschaften usw. Erst auf der letzten von nur acht Seiten dieser Zeitung gibt es einen redaktionell verantworteten Text. Es ist ein politischer Jahresrückblick auf das Jahr 1847. Er schließt mit dem folgenden Satz: „In London herrscht Grippe und Nervenfieber so stark, dass v. 4. – 11. Dez. v. J. 2454 Menschen daran starben.“ Selbstverständlich gab es in eben diesem Revolutionsjahr 1848 in Deutschland auch Zeitungen wie die in Hamburg erscheinende „Die Reform. Ein Communal- und Bürgerblatt“, in der es keine einzige Annonce gab, sondern nur radikaldemokratische Essays.

Die Calwer Zeitung ist aber bei einer politökonomischen Analyse des Pressewesens im 19. Jahrhundert insofern wichtiger, als das Hamburger Beispiel, da man an diesem Beispiel verdeutlichen kann, dass eine freie Presse auch das Resultat im Kampf um die Gewerbefreiheit sein kann und nicht nur im Kampf gegen Pressezensur und für politische Freiheiten. Redaktionell verantwortete Inhalte sind wie beim Beispiel der Zeitung aus Calw nur ein Zubrot zur Reklame.

Vor diesem historischen Hintergrund lässt sich festhalten, dass freier Journalismus sowohl ein Resultat von ökonomischer Freiheit als auch gleichzeitig ihr Knecht ist, da sich unter kapitalistischen Eigentumsverhältnissen Freiheit notwendigerweise in Knechtschaft verwandeln muss. Mit anderen Worten: Die gescheiterte Revolution in Deutschland von 1848 war eben eine bürgerliche und keine sozialistische Revolution.

Es ist aber für die Anfänge einer deutschen Kommunikationswissenschaft von herausragender Bedeutung, dass dieser Zusammenhang von Presse und Ökonomie vielen Wissenschaftlern sehr deutlich klar war. In chronologischer Reihenfolge können einige dieser Positionen kurz zitiert werden.

Da meldet sich 1892 als erstes Karl Bücher zu Wort, ein Professor für Volkswirtschaft von der Universität Leipzig. Kritisch merkt er an: Der Zeitungsunternehmer „bezweckt nicht, wie naive Leute glauben, in [der Zeitung] öffentliche Interessen zu vertreten, son­dern aus dem Verkaufe von Anzeigenraum Ge­winn zu ziehen. Der redaktionelle Inhalt der Zeitung ist für ihn bloß ein kostensteigerndes Mittel zu diesem Zweck, und es gehört zu den auffallendsten Erscheinungen der Kulturwelt, dass sie diesen Zustand noch immer erträgt“ (Bücher 1981, 146).

Da folgt dieser Position 1910 Hermann Diez mit seinem Büchlein „Das Zeitungswesen“ in einer populärwissenschaftlichen Reihe des Teubner-Verlags. Im Übrigen war Diez kein Wissenschaftler, sondern ein praktisch arbeitender Journalist in einer Zeitungsredaktion und ab 1912 als Direktor der Nachrichtenagentur Wolff tätig. Hier einige Zitate von Diez:

„Die Existenz einer modernen Zeitung ist wirtschaftlich ganz und gar auf das Inseratenwesen gestellt.“ (Diez 1910, 139)

„Das Verflachen und Verblassen ist eine der wichtigsten Voraussetzungen der großgewerblichen, fabrikartigen oder warenhausmäßigen Zeitungs­betriebs.“ (Diez 1910, 140)

„Das Ende der gekennzeichneten Entwicklung unserer Pressverhältnisse wäre schließlich eine Monopolstellung der großkapitalistischen Zeitungsunternehmungen weniger Hauptstädte.“ (Diez 1910, 141)

„Von einer gewissen Grenze ab wird ein vielgelesenes Blatt mit Notwendigkeit schlecht, weil es nicht mehr an die Wichtigkeit der Dinge, ja nicht einmal mehr an die Wünsche und Bedürfnisse der Leser, sondern lediglich an die Inserenten und an die Papierpreise denkt.“ (Diez 1910, 142)

Bemerkenswert ist nicht nur die Radikalität von Diez’ Denken. Denn ganz offensichtlich deckt sich seine betriebswirtschaftliche Alltagserfahrung in einer Zeitung oder Nachrichtenagentur mit der politökonomischen Analyse kritischer Wissenschaftler. Beide wissen um die ökonomische Basis ihrer Medienanalysen und beide sind sich darin einig, dass es systembedingte Konflikte zwischen Kultur/Presse und Ökonomie gibt. Bemerkenswert an zwei Zitaten von Diez ist es auch, dass er richtigerweise eine Homogenisierung von Zeitungsinhalt als Konsequenz von Auflagenhöhe und Marktgröße begreift. Was noch bei Freytag oberflächlich als „Mode“ bezeichnet wurde, nämlich „angenehm für die Leser“ (Freytag 2010, 79) zu berichten, erscheint bei Diez scharf und analytisch als Funktion von Ökonomie.

Und schließlich folgt solchen kritischen Spuren 1928 der schon genannte Dieter Paul Baumert mit seiner staatswissenschaftlichen Doktorarbeit über die Geschichte des deutschen Journalismus. Nachdem Blücher und Diez den Systembegriff Kapitalismus gemieden hatten, gibt Baumert seinem letzten Kapitel den Titel „Journalismus und Kapitalismus“. Der zentrale Satz in diesem Kapitel heißt: „Sowohl die kapitalistische Struktur des Zeitungsgewerbes im allgemeinen wie auch die Verbindung von Zeitung und Anzeigengeschäft im Besonderen haben nun eine Gefährdung der in der Presse tätigen geistigen Arbeit akut erscheinen und Forderungen hervortreten lassen, die zum großen Teil auf eine grundlegende Umgestaltung des Zeitungswesens gerichtet sind“ (Baumert 2013, 167).

Eine solche Analyse wie die von Baumert war anschlussfähig an das 1923 in Frankfurt gegründete Institut für Sozialforschung und die sich aus ihr entwickelnde Kritische Theorie. Interdisziplinär sollte sie sein, diese Kritische Theorie, nämlich eine Verbindung von Ökonomie, Kultur, Musik- und Literaturtheorie, Psychologie und Sozialphilosophie. Als Ökonomen arbeiteten bei den Frankfurtern interdisziplinär die Ökonomen Kurt Albert Gerlach, Richard Sorge, Felix Weil und Friedrich Pollock (vgl. Erazo Heufelder 2017). Freilich muss man auch sehen, dass in der Kritischen Theorie die ökonomische Gesellschaftsanalyse immer mehr einer sozial- und kulturphilosophischen Sichtweise weichen musste, mit der Folge, dass bei einem Konzept wie dem der Kulturindustrie von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno in ihrer „Dialektik der Aufklärung“ von 1944, die ökonomisch-materialistische Analyse von Medienproduktion zu kurz kam. Genau diese Kritik am Konzept der Kulturindustrie übte Armand Mattelart bereits 1982 (vgl. Mattelart/Piemme 1982) in einer UNESCO-Publikation und sie ist nach wie vor gültig.

Wie bekannt, unterbrach der deutsche Faschismus ab 1933 brutal jegliche kri­tische Sozialwissenschaft und die Frankfurter wurden ins Exil getrieben. Die kri­tische Alternativlinie zum Mainstream der damaligen Zeitungskunde, nämlich ­Bücher–Diez–Baumert–Frankfurter Schule, fand ein jähes Ende. Eine völlig unkritische geisteswissenschaftliche Feuilleton- und Zeitungskunde konnte sich nun Bahn brechen. Verankert in einer individualistischen deutschen Romantik und einer völkischen Geschichtswissenschaft konnte sich der Faschismus dieser Wissenschaft gut bemächtigen, konnte diese Art von Feuilletonkunde gut mit dem deutschen Faschismus paktieren. Die gemeinsame Wurzel einer geistesgeschichtlich orientierten Feuilleton- und Zeitungskunde und dem deutschen Faschismus war der deutsche Idealismus. Diese Denktradition setzte sich in der Nachkriegssituation fort und wurde erst Ende der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts aufgebrochen.

2.5 Der Schriftsteller als Wissenschaftler

Es gibt unzählig viele Schriftsteller, die gleichzeitig auch Journalisten waren. Für Lateinamerika gilt das neben Vargas Llosa aus Peru natürlich vor allem für Gabriel García Márquez aus Kolumbien, aber auch für José Martí aus Kuba, Luis Sepúlveda aus Chile oder Mario Benedetti aus Uruguay. Und gerade auch für Lateinamerika wäre eine systematische Auswertung der vielen Romane wichtig, in denen Medien eine Hauptrolle spielen. Zu denken ist hier zum Beispiel an die Rolle des Kinos für pubertierende Jugendliche aus den Slums von Mexiko-City in Oscar Lewis ethnologischer Studie „Die Kinder von Sánchez. Selbstporträt einer mexikanischen Familie“ (The Children of Sánchez. Autobiography of a Mexican Family) von 1961 oder an die Filmromane von Manuel Puig wie „La traición de Rita Hayworth“ (Verraten von Rita Hayworth) von 1968 oder „El beso de la mujer araña“ (Kuss der Spinnenfrau) von 1976. In Deutschland stünde an erster Stelle herausragender Romane über Medien Heinrich Bölls Roman über die unerträgliche Hetze der „Bild-Zeitung“ gegen linke Studenten in den siebziger Jahren. Dieser Roman unter dem Titel „Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann“ von 1974 war Bölls erfolgreichster Roman, der in mehr als 30 Sprachen übersetzt wurde.

Im Institut für Sozialforschung war der Soziologe Leo Löwenthal der dort wichtigste Literaturwissenschaftler. Und im Selbstverständnis der Kritischen Theorie ist es alles andere als zufällig, dass er 1932 im ersten Heft des ersten Jahrgangs seinen epochalen Aufsatz „Zur gesellschaftlichen Lage der Literatur“ veröffentlichen konnte. Sein Kampf gegen eine idealistische Literaturgeschichte und für eine materialistische Gesellschaftsanalyse mittels Literaturanalyse führte ihn zu folgenden Ideen über die gesellschaftliche Funktion des Romans. Denn sie liegt nach Löwenthal darin, „dass sie die Auswirkungen des Konkurrenzgesetzes am privaten Schicksal des Menschen studiert und bis in die Sphären hinein verfolgt, die der unmittelbaren Macht des öffentlichen Lebens, der Marktvorgänge, der Klassenkämpfe, entzogen zu sein scheint“ (Löwenthal 1975, 16). Mit solchen Überlegungen und Forderungen hielt die Methodik der Ideologiekritik ihren Einzug in eine kritische Gesellschaftstheorie.

Mit dem Wechsel von Kritischer Theorie zu Konstruktivismus, Systemanalyse und cultural studies und dem damit verbundenen Wechsel von Ideologiekritik zur Diskursanalyse Anfang der neunziger Jahre ist die ideologiekritische Beschäftigung mit Literatur zurzeit tot.

Der Schriftsteller Émile Zola hat von sich selbst gesagt, er betreibe mit seinen Romanen „praktische Soziologie“ und er lehre mit ihnen und durch sie „die bittere Wissenschaft des Lebens“ und eine „hohe Lektion des Realen“ (zit. nach Klein 1989, 260).

Im Französischen meint die alte Bedeutung von „belles lettres“ „Schöne Wissenschaft“. Belletristik ist also im Französischen gleichermaßen Literaturkritik wie Gesellschaftsanalyse. Dieser Essay ist deswegen eine hommage an dieses französische Verständnis von qualitativer Gesellschaftstheorie.

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