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Christoph Perathoner

Die ladinische Sprachgruppe in Südtirol und das Zweite Autonomiestatut

1. Einleitung

Es ist eine Tatsache, dass 40 Jahre nach dem Inkrafttreten des II. Autonomiestatutes, das die Weichen zu einer grundlegenden Verbesserung des Zusammenlebens der Sprachgruppen gestellt hat, sehr viele deutsche und italienische SüdtirolerInnen nur sehr wenig über ihre ladinischen MitbürgerInnen wissen. Während es selbstverständlich ist, dass die LadinerInnen die italienische und deutsche Sprache beherrschen, ist die Zahl der deutsch- und italienischsprachigen SüdtirolerInnen, die sich dem Ladinischen auch nur nähern, verschwindend gering.

Dieser Umstand, der sine ira et studio angemerkt wird, stellt die Begründung dafür dar, dass der nachfolgende Beitrag ganz bewusst das gestellte Thema aus einer weiteren historischen und soziopolitischen Optik abhandelt und auch die wesentlichen verfassungs- und autonomierechtlichen Errungenschaften aus dem völker- und europarechtlichen Kontext erklärt.

2. Wichtige Etappen auf dem Weg zum II. Autonomiestatut

Die ladinische Minderheit in der Donaumonarchie

Die ladinische Bevölkerung wurde amtlich-statistisch zum ersten Mal im Jahre 1846 im Rahmen einer altösterreichischen Volkszählung erfasst. Das Besondere dieser Nationalitätenfeststellung, die übrigens auch die erste der Donaumonarchie war, liegt in der Tatsache, dass die ladinische Bevölkerung als eigenständige Nationalität erhoben wurde. Demnach kann dies als eine Art amtliche Geburtsstunde des ladinischen Volksstammes, wie es damals hieß, erachtet werden, und zwar mit der später auch für die Grundlagen des II. Autonomiestatutes völkerrechtlich nicht unerheblichen Konnotation, dass es sich hierbei um eine (alt)österreichische Minderheit handelt1.

Der rechtliche Status der ladinischen Minderheit dieser Zeit war grundsätzlich im „Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder“ vom 21. Dezember 1867 geregelt. Diesem Gesetz nach waren alle Volksstämme – zumindest auf dem Papier – gleichberechtigt und besaßen ein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege ihrer nationalen Eigenheiten und ihrer Sprache.2 Zudem erkannte der Staat die Gleichberechtigung aller landesüblichen Sprachen in Schule, Amt und öffentlichem Leben an.

Die ladinische Ethnie machte von diesen Rechten nie Gebrauch. Unabhängig davon, dass die ladinische Ethnie in dieser Zeit ethnopolitisch nicht in Erscheinung trat und einige wenige Vorstöße elitär3 blieben, rührt der Umstand auch daher, dass das altösterreichische Nationalitätenrecht in erster Linie als Sprachenrecht zu sehen ist. Somit war es für jede Minderheit ungeeignet, die über keine Einheitssprache verfügte und noch keinen Versuch unternommen hatte, im eigenen geschlossenen Siedlungsgebiet eine Amtssprache zu etablieren (vgl. Hilpold 2001, 134–135).

In der Donaumonarchie war das dolomitenladinische Gebiet mit Gherdëina/Gröden, dem Badia/Gadertal, dem Fascia/Fassatal, Fodom/Buchenstein, Col/Colle Santa Lucia und Anpezo/Ampezzo verwaltungsmäßig im Kronland Tirol bzw. in der Gefürsteten Grafschaft Tirol mit dem Lande Vorarlberg vereint.

Die Annexion, die Zwischenkriegszeit, die Zeit nach dem Zeiten Weltkrieg

Die ladinische Bevölkerung erlebte den Ersten Weltkrieg auf dramatische Art und Weise, weil die Dolomitenfront genau durch das Siedlungsgebiet der Minderheit führte (vgl. Palla 1991, 1995) und die ladinischen Standschützenkompanien an vorderster Front mitfochten (vgl. Joly 1998).4

Die Kriegsniederlage und die Auflösung des Kaiserreiches führten auch in Ladinien zu einer politischen Orientierungslosigkeit. Vor diesem Hintergrund verstehen sich der Aufruf der ladinischen Gemeinden an die Deutschtiroler im Oktober 1918 (vgl. Stolz 1934, 262–263) und die Ende 1918 anonym erschienene Broschüre mit dem Titel „Selbstbestimmungsrecht für die Ladiner“, die aus der Feder von Archangelus Lardschneider-Ciampaĉ, Alfons Tasser, Johann Pescosta und Josef Anton Perathoner stammte (vgl. Fontana 1981, 153).

Die Zwischenkriegszeit und die Zeit bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges sind gekennzeichnet durch eine Reihe von Ereignissen, die die Entwicklung der ladinischen Ethnie – nach außen wie nach innen – negativ beeinflussten und ihre Schatten bis in unsere Tage werfen.

Charakterisierend für diese Zeit war – vor allem im Gebiet des heutigen Südtirols – die Entstehung eines internen Spannungsverhältnisses5 zwischen einem politischen Bekenntnis zu Deutschtirol und Österreich und dem notwendigen Auskommen mit den neuen italienischen Machthabern, die eine Eigenständigkeit des Ladinischen an sich leugneten (vgl. Herre 1927, 15). Sie wollten die Sprache wie die Bevölkerung als Teil der großen italienischen Familie sehen und suchten dies durchaus auch wissenschaftlich zu untermauern6. Aus diesem Spannungsverhältnis sollte mit der Zeit eine starke soziopolitische Polarisierung entstehen.

Die ladinische Zwischenkriegszeit war auch die Zeit der bis heute gegebenen verwaltungsmäßigen Aufteilung des ladinischen Siedlungsgebietes. Mit dem Königlichen Dekret Nr. 93 vom 21. Jänner 19237 wurde Südtirol mit dem Trentino zu einer Einheitsprovinz zusammengelegt. Die ladinischen Gerichtsbezirke, sprich Unterpräfekturen, Anpezo/Ampezzo und Fodom/Buchenstein wurden – unter Protest der betroffenen Bevölkerung (vgl. Andreatta/Pace 1981, 119) – von dieser Einheitsprovinz abgetrennt und der Provinz Belluno zugeteilt. Mit dem Königlichen Dekret Nr. 1 vom 2. Jänner 19278 erfolgte durch die Schaffung der Provinz Bozen die zweite ladinische Trennung. Das Fascia/Fassatal wurde nicht zu Bozen, sondern zu Trient geschlagen. Die unter Altösterreich noch administrativ territorial geeinten Dolomitenladiner waren somit ab diesem Zeitpunkt bis heute auf drei verschiedene Provinzen aufgeteilt: Das Badia/Gadertal und Gherdëina/Gröden gehörten fortan zur Provinz Bozen, das Fascia/Fassatal zur Provinz Trient, während Anpezo/Ampezzo, Col/Colle Santa Lucia und Fodom/Buchenstein der Provinz Belluno angehören.

Genauso wie diese politisch-administrative Trennung ein strategischer Schritt war, war auch die Beibehaltung dieser Aufteilung nach dem Zweiten Weltkrieg – trotz lebhafter Gegenwehr – ein ganz bewusster politischer Akt. Diese Aufteilung bedingte, dass die ladinische Sprachgruppe in den drei Provinzen unterschiedliche Entwicklungen mitmachte. Diese äußerten sich vor allem in völlig anderen ethno- und wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen wie auch in differenten autonomie- und minderheitenrechtlichen Voraussetzungen. Dies führte in den minderheitenrechtlich weniger sensiblen Provinzen, wie etwa Anpezo/Ampezzo, zu einem starken Fortschreiten der Assimilierung, was sicherlich durch die touristische Attraktivität aller dolomitenladinischen Gebiete gefördert wird.9 Zu dieser Gefahr gesellte sich die wechselseitige Entfremdung der dolomitenladinischen Täler verschiedener Provinzen.10

Bis heute versucht die Bevölkerung von Anpezo/Ampezzo, Col/Colle Santa Lucia und Fodom/Buchenstein vergeblich den Anschluss an Südtirol.11

Für die politische Entwicklung prägend waren dann – in Gherdëina/Gröden mehr als im Badia/Gadertal – die Option bzw. das Südtiroler Umsiedlungsabkommen vom 23. Juni 1939 und das sogenannte „Massaker von Gröden“, auch als „Grödner Strafexpedition“ bekannt.

Die Option traf die ladinische Sprachgruppe härter als die deutsche, zumal letztere ja mit der Auswanderung die Gewissheit wählte, zumindest die Nationalität und Muttersprache zu wahren. Die ladinische Bevölkerung musste hingegen davon ausgehen, im Großdeutschen Reich germanisiert zu werden und somit Sprache und Volkstum zu verlieren (vgl. Fontana 1981, 1973).

In Gherdëina/Gröden optierten rund 81 Prozent, im Badia/Gadertal 32 Prozent, in Fodom/Buchenstein 40 Prozent, in Col/Colle Santa Lucia 20 Prozent und in Anpezo/Ampezzo waren nur 4 Prozent für das Deutsche Reich, wobei letzterem Ergebnis nachgeholfen wurde.12

Die starke Divergenz der Optionsdaten in den ladinischen Tälern macht deutlich, dass die politische Führung, aber auch die Kohäsion innerhalb der Ethnie fehlte.

Als Südtirol am 9. September 1943 von der Deutschen Wehrmacht besetzt wurde, unterteilte Gauleiter Franz Hofer (1902–1975) die Operationszone Alpenvorland in die drei Provinzen Bozen, Trient und Belluno, die von Präfekten verwaltet wurden, doch mit der Verfügung Nr. 6 vom 22. September 1943 verleibte er das Gebiet von Anpezo/Ampezzo und Fodom/Buchenstein wieder der Provinz Bozen ein. Als aber am 2. Mai 1945 das Bellunesische Nationale Befreiungskomitee13 die Macht übernahm, wurden sogleich wieder Anpezo/Ampezzo und Fodom/Buchenstein mit einem Akt der Restauration zur Provinz Belluno geschlagen.

In diesen Tagen wurde Gherdëina/Gröden zum Schauplatz einer Razzia durch Belluneser Partisanen, welche als „Massaker von Gröden“ (vgl. Steinacher 2000, 187–220) in die Geschichte einging. Es war dies der historisch-emotionale Höhepunkt in der Polarisierung zwischen dem italophilen und dem germanophilen Lager im Tale. Am frühen Morgen des 15. Mai 1945 erreichten bewaffnete Partisanen der Brigata Val Cordevole aus Belluno Gherdëina/Gröden. Sie waren von Grödnern herbeigerufen worden. Die Partisanen schritten mit brutalen Methoden zur Festnahme von Einheimischen, denen sie vorwarfen, während des Zweiten Weltkrieges als überzeugte Nationalsozialisten gegen Italien, die italienische Bevölkerung und alle Freunde Italiens, sprich die Grödner Dableiber, gewirkt zu haben. Eine der schwersten Anschuldigungen war anscheinend die, diese Männer hätten in der Zeit von 1943 bis 1944 eine Befugnis zur Ausmusterung der kriegstauglichen Männer im Tale gehabt und dabei vor allem die Dableiber an die Front geschickt. Fünf Männer wurden auf menschenverachtende Weise ermordet, andere kamen mit Körperverletzungen davon.

In Gherdëina/Gröden führten die Option und die eben genannten Vorfälle zu einer starken soziopolitischen Polarisierung zwischen ehemaligen Optanten- und Dableiberfamilien wie auch zwischen dem italophilen und dem germanophilen Lager. Dies bildete den Humus für die parteipolitische Landschaft des Tales in den folgenden Jahrzehnten.

Der Pariser Vertrag vom 5. September 1946 (Gruber-De Gasperi-Abkommen)

Am 5. September 194614 wurde dann der Pariser Vertrag unterzeichnet, der auch als Gruber-De Gasperi-Abkommen bekannt ist.

In dieser Magna Charta der Südtirol-Autonomie wird die ladinische Sprachgruppe nicht genannt, zudem bezieht sich dieser völkerrechtliche Vertrag nicht auf das gesamte dolomitenladinische Gebiet, sondern nur auf einen Teil davon.

Beides war kein Versehen, sondern eine deutlich artikulierte Forderung der italienischen Delegation (vgl. Alcock 170, 123; Gehler 1996, 453–454), die auf der Pariser Friedenskonferenz des Jahres 1946 einen stärkeren Status als Österreich hatte15.

Die österreichische Delegation hatte lange versucht – und dies auch noch im Vorschlag vom 2. September 1946 – die drei ladinischen Gemeinden der Provinz Belluno in das Abkommen einzubauen und die Vertragsbestimmungen auf alle Ladinisch Sprechenden auszuweiten. Im Vorschlag vom 3. September erfolgte die Einfügung, dass die Rechtswirkungen des Vertrages nur dann die drei ladinischen Gemeinden der Provinz Belluno betreffen sollten, wenn sie dies auch ausdrücklich wünschten. Aber bereits am 4. September 1946 wurde klar, dass sich Italien gegen jede Form der Miteinbeziehung der ladinischen Bevölkerung kategorisch versperrte, auch wenn dem letzten Vorentwurf vom 5. September noch die Forderung der Südtiroler Vertreter bei der Friedenskonferenz Otto von Guggenberg (1887–1971), Friedl Volgger (1914–1997) und Hans Schöfl (1903–1965) beigefügt ist, dass mit der deutschsprachigen Bevölkerung auch die ladinische mit gemeint sein sollte, wenn auch ohne die ladinischen Gemeinden im Bellunesischen. (vgl. Weisgerber 1961, 30).

Die rechtsmethodische Subsumption der ladinischen Sprachgruppe unter die deutsche mit dem Argument, dass im Jahre 1946 die ladinische Bevölkerung Gherdëina/Grödens und des Badia/Gadertals – weil sie eben eine österreichische Minderheit in Italien war –, im Gegensatz zur überwältigenden Mehrheit der damaligen meist zugewanderten ItalienerInnen in Südtirol, der deutschen Sprache mächtig war und demnach als german speaking inhabitants of the Bolzano Province betrachtet werden können, steht sicherlich im Widerspruch zum Vertragswillen der italienischen Delegation. Es stimmt allerdings, dass es einen sprachlichen Unterschied gibt zwischen einem German speaking inhabitant, wie es im Vertrag heißt, und einem native German speaker.

Einen bestimmten Anhang findet die Auslegung, dass mit dem Wort the populations im Artikel 2 des Gruber-De Gasperi-Abkommens auch die ladinische Sprachgruppe gemeint sei (vgl. Riz 2005, 93). In der Tat ist das Substantiv population in der englischen Sprache kein Pluraletantum. Wenn demnach die Vertragsparteien dieses Hauptwort in den Plural gesetzt haben, dann wollten sie dadurch etwas Besonderes ausdrücken (vgl. Miehsler 1962, 185). Wahrscheinlich wollte die ita­lie­nische Verhandlungsdelegation mit dem Plural sichergehen, dass nicht nur die terminologisch hervorgehobene deutsche Bevölkerung in den Genuss der Sonderbestimmungen komme, sondern auch die italienische Bevölkerung, schließlich hatte sich ja Alcide De Gasperi in erster Person für die Ausweitung der Autonomie auf das überwiegend italienisch sprechende Trentino stark gemacht. Anzumerken ist allerdings, dass der Vertragstext in Englisch, Französisch und Russisch authentisch ist und sich nur in der englischen Version ein Plural von populations findet. Im russischen Text findet sich ein Singular (naselenije), während der französische Text eine Umschreibung verwendet (vgl. Weisgerber 1961, 63). Allerdings war die working language bei den italienisch-österreichischen Verhandlungen das Englische (vgl. Weisgerber 1961, 18).

Das Erste Autonomiestatut

An der Wahl der Verfassungsgebenden Versammlung am 2. Juni 1946 nahm die Südtiroler Bevölkerung nicht teil, weil dieses Gebiet von den Alliierten noch besetzt war, sodass die Einteilung der Provinzen und Regionen im Artikel 116 der italienischen Verfassung ohne Teilnahme der Vertreter dieses Bevölkerungsteiles erfolgte.16

Am 10. Februar 1948 wurde das Autonomiestatut für die Region Trentino-Tiroler Etschland mit Verfassungsgesetz beschlossen und am 26. Februar 1948 kundgemacht (vgl. Riz/Happacher Brezinka 2003, 270).

Während die deutsche Minderheit zum überwiegenden Teil in der Provinz Bozen angesiedelt war, hielt die Verfassungsgebende Versammlung an der Aufteilung der dolomitenladinischen Bevölkerung auf die drei Provinzen Bozen, Trient und Belluno fest.17

Das Autonomiestatut aus dem Jahre 1948 sah aus autonomierechtlicher Perspektive nicht nur sehr geringe Gesetzgebungs- und Verwaltungsbefugnisse für die autonomen Provinzen Bozen und Trient vor, sondern war auch aus minderheitenrechtlicher Sicht völlig unzureichend.

Ein einziger Artikel beschäftigte sich mit der ladinischen Sprachgruppe, und zwar der Artikel 8718, welcher wörtlich lautete:

Es wird der Unterricht der ladinischen Sprache in den Volksschulen jener Orte garantiert, in denen sie gesprochen wird. Die Provinzen und die Gemeinden sind auch verpflichtet, die Toponomastik, die Kultur und das Brauchtum der ladinischen Bevölkerung zu achten.

Es handelte sich hier um eine generisch auf die ladinische Kultur bezogene Norm, die zudem nur von der Achtung der Toponomastik, der Kultur und des Brauchtums spricht und nicht vom Schutz. Während nämlich der Schutz ein aktives Handeln fordert, kann die reine Achtung auch in einer passiven Haltung bestehen.

Zudem ist der sprachrechtliche Schutz für die Ethnie in dieser Norm völlig unzureichend, weil die öffentliche und amtliche Verwendung der Sprache nicht garantiert wird und der schulische Unterricht auf jenes Minimum beschränkt ist. Das Recht, das Ladinische in der Schule zu unterrichten, ist an sich ein zentraler Meilenstein und eine wichtige Errungenschaft. Allerdings beschränkt sie sich hier nur auf das, was nicht zu vermeiden gewesen wäre, nämlich, dass in der Elementarstufe das Ladinische immer als Behelfssprache im Unterricht verwendet werden wird und somit eine Verbannung des Ladinischen aus der Volksschule ein aussichtsloser Kampf wäre.

Die Formulierung dieser Norm muss demnach im historischen Kontext einer Zeit gelesen werden, als das Ladinische in der Optik vieler damaliger italienischer Staatsvertreter als Teil des Italienischen gesehen und mit der Gewährung der Bestimmung einzig bezweckt wurde, eine international unangenehme Situation zu befrieden. Diese Formulierung hätte genauso für Sarden, Sizilianer und Calabresen gewählt werden können, wenn es notwendig gewesen wäre.

Diese Norm hat aber auch zwei positive Aspekte, auf welchen viele später notwendige Argumentationen aufbauen können:

Nach der Zeit des Faschismus, der die Eigenständigkeit des Ladinischen gegenüber dem Italienischen leugnete, und der Erfahrung bei der Friedenskonferenz in Paris, wo die italienische Delegation darauf bestand, die ladinische Bevölkerung zu verschweigen, wurde nun in einem italienischen Verfassungsgesetz die Existenz der ladinischen Minderheit in der Region Trentino – Tiroler Etschland außer Frage gestellt. Der Artikel 69 des Dekretes des Präsidenten der Republik Nr. 574 vom 30. Juni 1951 wird dann erstmalig normativ erklären: „Die Sprachgruppen der Provinz Bozen sind die italienische, die ladinische und die deutsche.“

Das Vorsehen von eigenen Bestimmungen für die ladinische Ethnie, die sich seit der Annexion als Teil der österreichischen Volksgruppe in Italien sah, ist zudem aus der Perspektive des internationalen öffentlichen Rechts relevant, weil sich das Erste Autonomiestatut ausdrücklich als Durchführung des Gruber-De Gasperi-Abkommens verstand und somit eine bestimmte Praxis bei der Interpretation des Pariser Vertrages möglich ist.

Im Jahre 1956 wurde mit Vijo (Alois) Pupp (1900–1969) der bisher einzige Ladiner in das Amt des Landeshauptmannes von Südtirol gewählt, nachdem er bereits im Jahre 1955 durch seine Funktion als Landeshauptmannstellvertreter auf Landeshauptmann Karl Erckert (1894–1955), der im Amt verstarb, folgte. Im Jahre 1960 musste er auf Beschluss der SVP-Parteileitung sein Amt Silvius Magnago (1914–2010) überlassen (vgl. Widmann 1998, 531).

Die Südtirol-Frage vor den Vereinten Nationen

Die Unzufriedenheit und die sich immer mehr zuspitzende Situation in Südtirol wie auch der Umstand, dass die bilateralen Verhandlungen mit Italien in einer Sackgasse landeten und eine Lösung im Rahmen des Europarates19 nicht erfolgversprechend schien, bewogen die Republik Österreich, in ihrer völkerrechtlichen Eigenschaft als Vertragspartei des Pariser Vertrages, das Südtirol-Problem vor den Vereinten Nationen aufzuwerfen (vgl. Zeller 1989, 21–23). Diese hatten nicht nur für die Friedenssicherung und Konfliktbewältigung zwischen Staaten eine unbestrittene Kompetenz, sondern auch in Minderheitenfragen. Österreich suchte aber mit der Internationalisierung des Problems ganz bewusst die Öffentlichkeit der Staatengemeinschaft, um dadurch den Bedeutungsnachteil gegenüber dem viel größeren und einflussreicheren Nachbarstaat Italien zu kompensieren.

Österreich versuchte nun einen Tagesordnungspunkt auf die Generalversammlung der Vereinten Nationen zu setzen und wählte dabei geschickt folgende Betitelung: „Das Problem der österreichischen Minderheit in Italien“. Unter dem Begriff österreichische Minderheit kann rechtsmethodisch mit Hinweis auf die geschichtliche Entwicklung – wie ganz zu Beginn dargestellt wurde – auch die ladinische Ethnie subsumiert werden. Italien widersetzte sich aber mit Vehemenz diesem Wortlaut.20 Aufgrund eines Vorschlages von Kanada, das vermittelnd einzuwirken suchte, wurde der Titel des Antrages wie folgt neu formuliert: „Der Status des deutschsprachigen Elements in der Provinz Bolzano (Bozen); Durchführung des Pariser Vertrages vom 5. September 1946“. Mit diesem Wortlaut wurde der Tagesordnungsantrag dann im Politischen Sonderausschuss behandelt. (vgl. von Egen 1997, 46–48)

Am 31. Oktober 1960 wurde in der Generalversammlung der Vereinten Nationen die Resolution 1497 (XV) beschlossen, die Italien und Österreich nachdrücklich aufforderte, wieder Verhandlungen aufzunehmen, um eine Lösung aller Differenzen hinsichtlich der Durchführung des Pariser Vertrages vom 5. September 1946 zu finden.

Am 28. November 1961 wurde in der Generalversammlung der Vereinten Nationen die Resolution 1661 (XVI) beschlossen, die Italien und Österreich aufforderte, weitere Anstrengungen zu unternehmen, um das Südtirol-Problem zu lösen.

Die ladinische Minderheit wurde also auch in diesem Zusammenhang aufgrund des Widerstandes von Italien nicht wörtlich genannt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich Italien in linearer Fortführung der Position des Jahres 1946 in Paris erfolgreich dagegen versperrt, dass die Autonomie und der Minderheitenschutz nur auf die deutschsprachigen Elemente beschränkt und nicht auf die österreichische(n) Minderheit(en) in Italien ausgedehnt wurde.

Die Neunzehner-Kommission, Paket und Operationskalender

Mit der Wiederaufnahme der Verhandlungen, wohl aber auch aufgrund der Anschläge des Befreiungsausschusses Südtirol, wurde am 1. September 1961 die Neunzehner-Kommission eingerichtet. Dieser aus 19 Mitgliedern bestehenden Kommission gehörten elf Mitglieder der italienischen Sprachgruppe, sieben Mitglieder der deutschen Sprachgruppe und ein Ladiner an. Die Berufung eines Ladiners an den Verhandlungstisch war an sich eine wichtige Errungenschaft.

Dieser Ladiner war Francesco (Franz) Prugger (1891–1978), der politisch und weltanschaulich den Reihen der staatstragenden Partei Democrazia Cristiana entstammte und für einige wenige Jahre (1952–1956) Bürgermeister der Marktgemeinde Urtijëi/St. Ulrich in Gröden gewesen war. Seine Rolle in der Kommission soll eher passiv gewesen sein. Wenn bedacht wird, dass die ladinische Volksgruppe mit Vijo Pupp, der zu dieser Zeit zwar nicht mehr Landeshauptmann, aber immerhin noch Halbzeitpräsident des Südtiroler Landtages war, einen führenden Landespolitiker stellte, verwundert die Berufung des eher unbekannten Kommunalpolitikers Prugger in diese Kommission.

Die Kommission traf sich über 200 Mal und schloss ihre Arbeiten offiziell am 10. April 1964 ab. An diesem Tage wurde das Ergebnis dem italienischen Ministerpräsidenten Aldo Moro (1916–1978) überreicht (vgl. Steiniger 1997, 501).

Auf einer Geheimkonferenz am 16. Dezember 1964 in Paris einigten sich der italienische Außenminister Giuseppe Saragat (1898–1988) und der österreichische Außenminister Bruno Kreisky (1911–1990) prinzipiell auf die Umsetzung der Ergebnisse der Neunzehner-Kommission. Die Süd- und Nordtiroler Delegation verweigerte aber am 8. Jänner 1965 in Innsbruck die von Kreisky nahegelegte Annahme (vgl. Steiniger 1997, 502).

Es folgten Jahre intensiver, teils geheim geführter Verhandlungen, bis sich am 13. Mai 1969 der italienische Außenminister Pietro Nenni (1891–1980) und der österreichische Außenminister Kurt Waldheim (1918–2007), am Rande einer Ministerkonferenz des Europarates, grundlegend über einen Operationskalender für die Umsetzung dieses Paketes an Maßnahmen für die Südtirol-Autonomie einigten.

Nun kamen die Minderheiten in Südtirol zu Wort. Am 22. und 23. November 1969, auf der außerordentlichen Landesversammlung der Südtiroler Volkspartei im Kursaal von Meran, sprachen sich die Delegierten von Gherdëina/Gröden und dem Badia/Gadertal für die Annahme des Paketes aus und hatten damit wesentlichen Anteil am knappen Ausgang21. Die ladinischen Vertreter der Democrazia Cristiana stimmten auf ihren vorangegangenen Versammlungen am 26. Oktober 1969 in Corvara und am 12. November 1969 in Urtijëi/St. Ulrich ebenfalls für die Annahme des Paketes (vgl. Berloffa 2004, 154).

Am 30. November 1969 trafen sich die beiden Außenminister Aldo Moro und Kurt Waldheim in Kopenhagen und fixierten den Zeitplan zur Durchführung des Operationskalenders (vgl. Steiniger 1997, 503).

Die Abgeordnetenkammer in Rom stimmte dem am 4. und 5. Dezember 1969 zu, während die formelle Kenntnisnahme durch den österreichischen Nationalrat in Wien am 14. und 15. Dezember erfolgte.

Am Ende der Verhandlungen, die fast ein Jahrzehnt gedauert hatten, stand also eine Vereinbarung zwischen Italien und Österreich, die die mehrheitliche Zustimmung der beiden österreichischen Minderheiten in Italien bzw. der deutschen und ladinischen Sprachgruppe gefunden hatte. Der materielle Teil dieser Vereinbarung, der 137 Maßnahmen zur Besserung der Autonomie und der Minderheitenrechte enthält, wird heute allgemein und auch in der Fachwelt als Paket bezeichnet, während der formelle Teil Operationskalender genannt wird. Im Operationskalender war die Vorgangsweise im Zug-um-Zug-System für die Durchführung des Paketes festgeschrieben worden. Aus der Perspektive des internationalen öffentlichen Rechts ist der Operationskalender ein gentlemen’s agreement oder ein faktisch koordiniertes Verhaltensprogramm.22 Auch wenn sowohl das Paket wie der Operationskalender bilateral zwischen Italien und Österreich ausgehandelt wurden, sind beide keine völkerrechtlichen Verträge (vgl. Zeller, 1989, 23–37; Neuhold et. al. 1997, 526–527).

Die Paketmaßnahmen zugunsten der ladinischen Sprachgruppe in Südtirol

Die Einigung auf die Paketmaßnahmen ist einer der wichtigsten Meilensteine für den Schutz der ladinischen Minderheit in Südtirol, weil in den 137 Paket-Maßnahmen eine Reihe von Bestimmungen festgeschrieben sind, die nicht nur diese kleinste Volksgruppe ausdrücklich nennen, sondern unmittelbar und exklusiv für die LadinerInnen in Südtirol ausgehandelt wurden und die Zustimmung Österreichs und Italien gefunden haben bzw. bilateral sanktioniert sind. Abgesehen von den Präzisierungen im Anhang beschäftigen sich sechs Maßnahmen mit der ladinischen Volksgruppe.

Die Paketmaßnahme 37 und 41 betreffen die Bestellung und einzelne Kompetenzen eines eigenen ladinischen Schulintendanten, sprich Schulamtsleiters.

Die Paketmaßnahme 69 bildet die Grundlage des paritätischen ladinischen Schulmodells.

Die Paketmaßnahme 91 sieht das politische Recht der ladinischen Volksgruppe vor, im Regionalrat, im Südtiroler Landtag und in den Organen der lokalen öffentlichen Körperschaften vertreten zu sein.

Die Paketmaßnahme 92 sieht die proportionale Aufnahme von Personen ladinischer Sprache in die öffentlichen Ämter vor.

Die Paketmaßnahme 93 erkennt das Recht der ladinischen Sprachgruppe auf Förderung der Kultur, der Presse und Freizeitgestaltung an.

Die völkerrechtliche Bewertung des Pakets für die ladinische Sprachgruppe in Südtirol

In der Völkerrechtslehre konsolidiert sich die Meinung, dass das Paket eine sogenannte nachfolgende oder spätere Praxis23 zum Pariser Vertrag vom 5. April 1946 im Sinne von Artikel 31 Abs. 3 lit. b des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (WÜRV) 24 darstelle und als solche bei der Interpretation des Abkommens heranzuziehen sei. Diese spätere Praxis bildet dann zusammen mit dem Operationskalender den Anknüpfungspunkt für einen bindenden Estoppel 25 (vgl. Zeller 1989; Neuhold et. al. 1997, 527; Hilpold 2003, 110–112).

Allerdings muss grundlegend zwischen der rechtlichen Position der ladinischen Sprachgruppe und jener der deutschen unterschieden werden, zumal die LadinerInnen im Pariser Vertrag nicht genannt sind (vgl. Zeller 1989, 67–71; Hilpold/Perathoner 2006, 90–91). Die italienische Delegation hatte sich beharrlich geweigert, die LadinerInnen in den Vertrag aufzunehmen, und dies mit dem Argument, dass es sich bei den LadinerInnen nicht um eine österreichische Minderheit handle, sondern um StaatsbürgerInnen, die einen italienischen Dialekt sprechen.

Diese Position wurde allerdings von Italien in den folgenden Jahren und Jahrzehnten innen- wie außenpolitisch aufgegeben, sodass heute kein Zweifel mehr daran besteht, dass die LadinerInnen eine eigenständige, autochthone Minderheit darstellen. Dies ist durch Verfassungsgesetze, Dekrete des Präsidenten der Republik, Regionalgesetze und Landesgesetze abgesichert.

Die Paketmaßnahmen für die ladinische Sprachgruppe lassen sich in drei Gruppen aufteilen:

a) Die Vertretungsrechte im Regionalrat, Landtag und in lokalen Körperschaften (Paketmaßnahme 91). Diese Paketmaßnahme kann auf den Artikel 2 des Pariser Vertrages zurückgeführt und dort begründet werden, wo es heißt, dass allen Bevölkerungsteilen (populations) autonome Gesetzgebungs- und Vollzugsgewalt zuerkannt werden müsse.

b) Die Paketmaßnahmen 37, 41, 69 und 93 betreffend die ladinische Schule, Sprache, Toponomastik und Kultur im weiteren Sinne können mit dem Art. 87 des I. Autonomiestatutes in Verbindung gebracht werden, welches von Italien mehrfach und ausdrücklich als Umsetzung des Pariser Vertrages angesehen wurde.

c) Die Paketmaßnahme 92 betreffend die proportionale Aufnahme von Personen ladinischer Sprache in die öffentlichen Ämter ist ein allgemeiner Minderheitenschutzmechanismus.

Mit der nachweislichen Abkehr Italiens von der politischen Position, dass es sich beim Ladinischen nur um eine italienische Mundart handle, hat sich auch grundlegend die Position Italiens gegenüber der ladinischen Sprachgruppe in Südtirol gewandelt. So hat Italien in den letzten 40 Jahren auf das öffentlich manifestierte oder konkludente Handeln Österreichs, wonach der Schutzanspruch Österreichs aus dem Pariser Vertrag sich auch auf die Rechte der LadinerInnen als der zweiten österreichischen Minderheit in Südtirol ausdehne, nie protestiert oder irgendwie reagiert. Ganz im Gegenteil hat Italien in den letzten 40 Jahren die deutsche und ladinische Minderheit in Südtirol unter vielen, wenn auch nicht allen26 Gesichtspunkten gleich behandelt.

Aus dieser Neuausrichtung Italiens im letzten halben Jahrhundert kann jenes hohe Formerfordernis hergeleitet werden, welches notwendig ist, damit die spätere Praxis zu einem völkerrechtlichen Vertrag nicht nur ein Interpretationsinstrument, sondern einen Vertragsgestaltungsgrund darstellen kann. Hierfür ist nämlich eine konstante, einheitliche, lang andauernde und insgesamt schlüssige Praxis eines Staates notwendig (vgl. Karl 1983, 172; Zeller 1989, 66).

Wenn die spätere Praxis als Vertragsgestaltungsgrund ex posteriori herangezogen werden kann, so muss sie aber trotzdem in einer Rechtsquelle begründet sein, die nicht unbedingt ein schriftlicher Vertrag zu sein braucht. Dafür kommen neben einem Rechtsgeschäft, das Völkergewohnheitsrecht oder bestimmte Tatbestände in Frage. Diese Rechtsquelle kann im Fall der ladinischen Sprachgruppe in Südtirol vom völkerrechtlichen Vertrauensschutz hergeleitet werden. Im konkreten Fall kann man sich einmal auf das Estoppel-Prinzip, aber dann auch auf den Grundsatz der acquiescence 27 berufen. In der Tat hat Italien nie dagegen protestiert, dass die Republik Österreich stets ihren Rechtsanspruch zur Schutzfunktion aus dem Pariser Vertrag auch auf die ladinische Volksgruppe ausgedehnt hat und die LadinerInnen nie anders als die deutschen SüdtirolerInnen behandelt hat.

Mit den dargestellten Argumenten kann aus Sicht einer internationalen Absicherung der ladinischen Volksgruppe in Südtirol eine Verbindung zwischen Pariser Vertrag, Paketbestimmungen und dem II. Autonomiestatut hergestellt werden.

3. Das Zweite Autonomiestatut

Das italienische Parlament setzte für die Durchführung des Paketes, das in na­tio­nale Gesetze gegossen werden musste, eine aus neun Mitgliedern bestehende Kommission ein, die auch Neunerkommission genannt wird. In dieser war die ladinische Volksgruppe nicht vertreten, sehr wohl aber die deutsche mit Alfons Benedikter (1918–2010) und Roland Riz (*1927). Schließlich wurde das Verfassungsgesetz Nr. 1 vom 10. November 197128 erlassen. Mit Dekret des Präsidenten der Republik Nr. 670 vom 31. August 197229 erfolgte die Genehmigung des vereinheitlichten Textes der Verfassungsgesetze30, die das Sonderstatut für Trentino-Südtirol bilden sollten.

Die wichtigsten Minderheitenrechte im Statut des Jahres 1972

Das Zweite Autonomiestatut gibt der ladinischen Sprachgruppe in Südtirol31 einen neuen Minderheitenstatus, der sich klar von der Gesinnung der Nachkriegszeit abhebt.

In diesem Lichte erhält auch der Wortlaut des Artikels 2 des II. Autonomiestatutes einen neuen, viel tieferen Inhalt, als derselbe Wortlaut im I. Autonomiestatut hatte, wenn er erklärt und festschreibt, dass den BürgerInnen jeder Sprachgruppe die Gleichheit der Rechte zuerkannt wird und deren ethnische und kulturelle Eigenart geschützt werden müsse.

Nachstehend werden die spezifischen Minderheitenrechte durchgegangen, die im Jahre 1972 für die LadinerInnen in Südtirol eingeführt wurden:

Im Artikel 19 Absatz 2, der heute die verfassungsrechtliche Grundlage des im Prinzip seit dem Jahre 1948 bereits bestehenden ladinischen paritätischen Schul­modells bildet, wird festgesetzt, dass die ladinische Sprache in den Kindergärten verwendet und in den Grundschulen der ladinischen Ortschaften gelehrt werden muss. In den ladinischen Ortschaften dient das Ladinische auch als Unterrichtssprache in den Schulen jeder Art und jeden Grades32. Mit dem Begriff paritätisch wird im Zusammenhang mit dem ladinischen Schulmodell verstanden, dass in diesen Schulen der Unterricht auf der Grundlage gleicher Stundenzahl und gleichen Enderfolges in Italienisch und in Deutsch erteilt wird. Im geschlossenen Siedlungsgebiet der ladinischen Minderheit in Südtirol ist nur das paritätische Schulmodel erlaubt.33 Es gilt zudem die besondere Schutzbestimmung, dass in den ladinischen Ortschaften der Unterricht in den Grundschulen nur Lehrpersonen mit ladinischer Muttersprache vorbehalten ist.34 Für die Verwaltung der ladinischen Schulen ernennt das Ministerium für den öffentlichen Unterricht in den ladinischen Schulen einen eigenen Schulamtsleiter aus einem Dreiervorschlag der Vertreter der ladinischen Sprachgruppe im Landesschulrat. Die Führung und Verwaltung der ladinischen Schule obliegt ebenso wie jene der deutschen Schule der Autonomen Provinz Bozen. Die Vertreter der ladinischen Lehrkräfte im Landesschulrat dürfen nicht weniger als drei sein (vgl. Rifesser 1992; 2005).

Im zweiten Absatz des Artikels 48 (und auch im Artikel 62) wurde festgeschrieben, dass das Gesetz über die Wahl des Südtiroler Landtages die Vertretung der ladinischen Sprachgruppe garantieren muss.35 So wurde eingeführt, dass jene/r ladinische KandidatIn, der/die die meisten Vorzugsstimmen auf sich vereinen könne, automatisch gewählt sei, wenn kein/e LadinerIn die Wahl direkt geschafft habe.36 So musste Frau Maria Bertolini, die ein Direktmandat auf der Liste der SVP erlangt hätte, bei den Landtagswahlen 1973 dem Ladiner Franz Demetz das Mandat überlassen. Bei den Landtagswahlen 1993 errang Wolfgang Malsiner, 1998 Werner Stuflesser jeweils die meisten persönlichen Vorzugsstimmen, allerdings kein Direktmandat auf der SVP-Liste. Die ladinischen Mandate errang beide Male Carlo Willeit von der Lista Ladins, obwohl die gesamte wahlwerbende Liste zwar weniger Stimmen als Malsiner und Stuflesser erhalten hatte, sich dafür aber ein Restmandat und damit ein Direktmandat sichern konnte.

In der Version des Autonomiestatutes aus dem Jahre 1972 war noch im Art. 50 lapidar festgeschrieben, dass die Zusammensetzung der Südtiroler Landesregierung im Verhältnis zur Stärke der Sprachgruppen stehen müsse, wie diese im Landtag vertreten sind. Da im Regelfall nur ein Mandatar im Südtiroler Landtag der ladinischen Sprachgruppe angehörte, konnte nur im Ausnahmefall ein Vertreter der Ladiner in die Südtiroler Landesregierung einziehen. Dieser Ausnahmefall ereignet sich in der Legislaturperiode 1983–1988 und dann im Jahre 1993, als jeweils Hugo Valentin, weil zwei ladinische Abgeordnete im Südtiroler Landtag saßen, in die Regierung einziehen konnte.37

Der Artikel 56 sieht dann eine Form direkter Verfassungsbeschwerde gegen Regional- oder Landesgesetze seitens der Regionalrats- und Landtagsabgeordneten vor, wenn angenommen wird, dass diese Gesetze die Gleichberechtigung der Angehörigen der verschiedenen Sprachgruppen oder deren ethnische und kulturelle Merkmale verletzen (vgl. Riz 2005, 102–104).

Im Artikel 61 wurde vorgesehen, dass in die Ordnung der örtlichen öffentlichen Körperschaften Bestimmungen aufgenommen werden müssten, die die verhältnismäßige Vertretung der Sprachgruppen bei der Erstellung ihrer Organe gewährleisten. So wurde auch vorgesehen, dass in den Gemeinden der Provinz Bozen jede Sprachgruppe das Recht habe, im Gemeindeausschuss vertreten zu sein, wenn sie im Gemeinderat mit wenigstens zwei Rät/en/Innen vertreten ist.

Der Artikel 62 legte fest, dass die Gesetze über die Wahl des Regionalrates und des Südtiroler Landtages sowie die Bestimmungen über die Zusammensetzung der Kollegialorgane der örtlichen öffentlichen Körperschaften in der Provinz Bozen die Vertretung der ladinischen Sprachgruppe gewährleisten müssen.

Im Artikel 89 ist dann das Proporzsystem für die Stellenpläne der öffentlichen Verwaltungen geregelt. Demnach sind mit wenigen Ausnahmen alle öffentlichen Stellenpläne in der Provinz Bozen-Südtirol, nach Verwaltung und Laufbahn gegliedert, BürgernInnen jeder der drei Sprachgruppen vorbehalten, und zwar im Verhältnis zur Stärke der Sprachgruppen, wie sie aus den bei der amtlichen Volkszählung abgegebenen Zugehörigkeitserklärungen hervorgeht. Ein Problem für die Angehörigen der ladinischen Sprachgruppe besteht darin, dass es oft keine oder fast keine ladinischen Stellen für höhere Funktionen gibt, sodass einige LadinerInnen sich sogar einer anderen Sprachgruppe zugehörig erklären, um an der Ausschreibung teilnehmen zu dürfen.

Im Artikel 102 wird dann festgeschrieben, dass die ladinische Bevölkerung das Recht auf Förderung der eigenen Bestrebungen und Tätigkeit auf dem Gebiete der Kultur, der Presse und der Freizeitgestaltung sowie das Recht auf die Erhaltung der Ortsnamen und der eigenen Überlieferungen hat.

Das Recht auf Verwendung der ladinischen Sprache

Die ladinische Sprache38 ist das unüberhörbare Wesensmerkmal der ladinischen Minderheit in Südtirol.

Der Gebrauch der ladinischen Sprache ist grundlegend in der Durchführungsbestimmung zum Autonomiestatut über den „Gebrauch der deutschen und der ladinischen Sprache im Verkehr der Bürger mit der öffentlichen Verwaltung und in den Gerichtsverfahrenen“ enthalten, welche mit Dekret des Präsidenten der Republik Nr. 57439 vom 15. Juli 1988 verabschiedet wurde.

Wesentlich ist dabei der Artikel 32, der eine ganze Reihe von Sprachrechten vorsieht.

So haben gemäß dieser Durchführungsbestimmung die ladinischen BürgerInnen der Provinz Bozen-Südtirol das Recht, im mündlichen und schriftlichen Verkehr mit den Ämtern der öffentlichen Verwaltung in den ladinischen Ortschaften Südtirols (mit Ausnahme der Streitkräfte und der Polizeikräfte), mit den örtlichen Körperschaften und den Schuleinrichtungen in diesen Ortschaften die ladinische Sprache zu verwenden. Das Gleiche gilt für Konzessionsunternehmen, die ihre Tätigkeit ausschließlich in den ladinischen Gemeinden ausüben.

Abgesehen von diesen Ämtern im ladinischen Siedlungsgebiet haben die Angehörigen der ladinischen Minderheit das Recht, mit den Ämtern der Provinz Bozen-Südtirol, die ihre Aufgaben ausschließlich oder überwiegend im Interesse der ladinischen Bevölkerung besorgen, auch wenn sie ihren Sitz außerhalb der genannten Ortschaften haben (z.B. das ladinische Schulamt oder das ladinische Pädagogische Institut in Bozen), ihre Muttersprache zu verwenden.

Diese Verwaltungen und Konzessionsunternehmen sind zudem verpflichtet, mündlich auf Ladinisch oder schriftlich in italienischer und in deutscher Sprache mit darauffolgendem Text in ladinischer Sprache auf Anfragen der BürgerInnen zu antworten.

Ein wesentliches politisches Recht besteht darin, dass in den Sitzungen der gewählten Organe der örtlichen Körperschaften der ladinischen Ortschaften der Provinz Bozen die Mitglieder dieser Organe in den mündlichen Vorträgen die ladinische Sprache verwenden können.40

Die Region und die Provinz Bozen haben gemäß DPR 574/1988 die Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Rechtsvorschriften und Rundschreiben, die für die in der Provinz Bozen ansässige ladinische Bevölkerung von Interesse sind, auch in ladinischer Sprache veröffentlicht werden. Der ladinische Text wird in der Regel gleichzeitig mit dem italienischen und dem deutschen Text und auf jeden Fall spätestens innerhalb 30 Tagen nach dem Tag der Veröffentlichung des italienischen und des deutschen Textes, unbeschadet deren Inkrafttretens, veröffentlicht.

Mit gesetzesvertretendem Dekret Nr. 177 vom 4. April 2006 wurde dann eingeführt, dass in den ladinischen Gemeinden Urtijëi/St. Ulrich, Santa Crestina/St. Christina in Gröden, Sëlva/Wolkenstein, Corvara, Badia/Abtei, La Val/Wengen, San Martin/St. Martin in Thurn und Mareo/Enneberg die Identitätskarten bzw. Personalausweise in italienischer, deutscher und ladinischer Sprache ausgestellt werden.

All diese Bestimmungen geben dem Ladinischen, zumindest innerhalb des geschlossenen ladinischen Siedlungsgebietes und mit den genannten bei den Landesämtern, den Rechtscharakter einer Amtssprache (vgl. Mischi 1994).

Schwieriger ist die Forderung nach der Abwicklung der Gerichtsverfahren in ladinischer Sprache mit dem Ziel, eine effektive Verteidigung im Sinne des Art. 24 der italienischen Verfassung auch in der Muttersprache zu garantieren. Obwohl die Abwicklung von Prozessen in ladinischer Sprache sicherlich ein wertvolles Instrument zur Stärkung der Minderheit wäre, scheitert das Ansinnen wohl an praktischen Erwägungen, wie der Finanzierbarkeit und der notwendigen Anzahl von Fachpersonal (vgl. Hilpold 2001, 137).

Die gegenwärtige Regelung des Artikels 32 DPR 574/1988 sieht vor, dass die in der Provinz Bozen ansässigen Bürger der ladinischen Sprachgruppe in den in der Provinz Bozen durchzuführenden Prozessen, und zwar sowohl im italienischsprachigen als auch im deutschsprachigen Prozess, in ladinischer Sprache mit Hilfe des Dolmetschers verhört und vernommen werden können, wenn sie es wünschen.

Eine Ausnahme bilden die Verfahren vor den Friedensgerichten, wo die ladinische Sprache als Prozesssprache verwendet werden kann, allerdings nur vor den Friedensgerichten, die für die ladinischen Ortschaften in der Provinz Bozen-Südtirol zuständig sind.

Bislang offen ist die Frage nach einer ladinischen Einheitssprache. Das Dolomitenladinische konnte im Laufe seiner Geschichte keine einheitliche Schriftsprache entwickeln, sodass heute einer Reihe von Dorf- (Gadertal, Buchenstein, Fassa) bzw. Talschaftsidiomen (Gröden, Ampezzo) im Alltag gesprochen werden. Auf schriftlicher Ebene haben sich in den letzten Jahren fünf Talschaftsidiome herausgebildet: das Grödnerische, das Gadertalische, das Fassanische, das Ampezzanische und das Buchensteinerische (vgl. Videsott 2010, 184).

Es gibt nach wie vor einen bestimmten Widerstand in Teilen der ladinischen Bevölkerung gegen die Einführung einer Einheitssprache oder Standardsprache (ladin dolomitan). Die Kritiker sehen in ihr ein künstliches Konstrukt, das wenig mit der ethnokulturellen Identität und Authentizität zu tun habe, der sie sich in der Tradition ihrer Vorfahren verpflichtet fühlen. Das Argument, dass eine Einheitssprache ein Instrument der inneren Kohäsion, der Weiterentwicklung und schließlich des Fortbestandes der Minderheit sei (vgl. Schmid 1989; Videsott 2010; 2011), lehnen sie ebenso ab wie die praktischen Erwägungen hinsichtlich der Vorteile in der Verwaltung bei einer einheitlichen Amts- und Gesetzessprache. Ähnlich wie bei den Gegnern des Rumantsch Grischun (vgl. Schmidt 2012) werden auch pragmatische Argumente dagegen angeführt, nämlich dass die Sprache mit dem Aufwand einer Fremdsprache erlernt werden müsse, dann aber so gut wie keine praktische Anwendung außerhalb der Siedlungsbereiches der Minderheit habe.

Aufgrund des Fehlens einer Einheitssprache hat die Südtiroler Landesregierung mit Beschluss Nr. 210 vom 27.01.2003 über den „Gebrauch der ladinischen Sprache in den öffentlichen Ämtern und in normativen Akten“ verfügt, dass das vereinheitlichte Gadertaler Ladinisch und das Grödner Ladinisch die offiziellen Formen des Ladinischen in der Provinz Bozen sind. Demnach müssen alle Gemeindeämter, die Kindergärten und Schulen aller Stufen und Arten sowie die örtlichen Ämter der Landesverwaltung in den ladinischen Tälern der Provinz Bozen in den öffentlichen Akten und Verlautbarungen die jeweilige ladinische Talschaftssprache neben dem Deutschen und Italienischen verwenden. Die zentralen Ämter der Landesverwaltung, welche ausschließlich oder vorwiegend für die ladinische Bevölkerung zuständig sind, verwenden in den öffentlichen Akten und Verlautbarungen, wo vorgesehen, neben Deutsch und Italienisch alternierend das Gadertaler Ladinisch oder das Grödner Ladinisch.

Die normativen Texte, die die ladinischen Täler der Provinz Bozen betreffen, werden alternierend in einem der beiden Talschaftsidome Gadertaler Ladinisch oder Grödner Ladinisch verfasst oder übersetzt, wobei auf eine gleichmäßige Präsenz der beiden Idiome geachtet werden muss.41

Die Normierung der beiden ladinischen Idiome der Provinz Bozen obliegt dem Ladinischen Kulturinstitut Micurà de Rü in St. Martin in Thurn.42

Streitbeilegungserklärung

Ein wichtiger Meilenstein für die Südtirol-Autonomie war die Streitbeilegungserklärung im Jahre 1992. Mit ihr erkannte Österreich die Erfüllung des Pakets durch Italien an und beendete damit den seit der Resolution 1497 (XV) der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 31. Oktober 1960 bestehenden Streit zwischen Österreich und Italien betreffend die Erfüllung des Pariser Vertrages.

Im abgestimmten Notenwechsel zwischen Österreich und Italien zur Durchführung von Punkt 13 des Operationskalenders ist kein Hinweis auf die ladinische Minderheit enthalten, sondern nur auf die deutsche (vgl. Dokument 9 in: Clementi/Woelk 2003, 60–62). Das ist darauf zurückzuführen, dass der Notenwechsel von Italien initiiert wurde und kein Interesse haben konnte, vom ursprünglichen Wortlaut des Pariser Vertrages abzuweichen.

Im Akt der Streitbeilegung an sich ist ebenfalls kein Hinweis auf die ladinische Volksgruppe zu finden, sondern nur der Hinweis auf die deutsche Sprachgruppe. Das darf aber nicht weiter verwundern, weil in diesem streng protokollarischen Text der Hinweis auf die deutsche Bevölkerung aus der Relation zum Wortlaut des Pariser Vertrages, zum Wortlaut der UN-Resolutionen 1497 (XV) und 1661 (XVI) sowie zum Wortlaut der italienischen Regierungserklärung vom 3. Dezember 1969 gesetzt wird.

Für die Argumentation zugunsten einer internationalen Verankerung der Rechte der ladinischen Minderheit in Südtirol ist vielmehr die Analyse der „Österreichischen Note mit der definitiven Streitbeilegungserklärung vom 11. Juni 1992“ relevant. Die Streitbeilegungserklärung ist nämlich in einen umfassenderen Text gebettet, den das Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten dem italienischen Botschafter übermittelt (vgl. Dokument 12 in: Clementi/Woelk 2003, 65–67). In der Erklärung wird ganz bewusst im Plural von Volksgruppe Südtirols und Sprachminderheiten in Südtirol gesprochen.

Im Punkt 6 der österreichischen Note bestätigt Österreich gegenüber Italien die eigene Schutzfunktion und erklärt, davon auszugehen, dass die zugunsten der Volksgruppen Südtirols, also auch der LadinerInnen, durchgeführten Maßnahmen, wie das Autonomiestatut 1972, die entsprechenden Durchführungsbestimmungen, die ordentlichen Gesetze und Verwaltungsakte nicht einseitig abgeändert werden können, sondern nur im Rahmen der gemeinsamen Verantwortung zwischen Österreich und Italien und mit dem Konsens der betroffenen Volksgruppen.

Italien hat den Wortlaut dieser österreichischen Note nie bestritten oder in Frage gestellt, was dem Argument einer völkerrechtlichen acquiescence in Zusammenhang mit der Rechtsposition der ladinischen Ethnie in Südtirol Vorschub leistet.

Auch der Text der Notifizierungsurkunde der Streitbeilegung vom 17. Juni 1992, welche am 19. Juni 1992 von Österreich und Italien dem Generalsekretär der Vereinten Nationen Boutros Boutros-Ghali überreicht wurde mit der Bitte, die formellen Briefe der Generalversammlung vorzulegen, spricht nur generisch von „Maßnahmen zugunsten der Bevölkerung von Südtirol“ und nimmt keine ethnische Differenzierung vor (vgl. Dokument 9 in: Clementi/Woelk 2003, 67–68).

In der Folge wurde die Streitbeilegungserklärung mit den dazu gehörenden Rechtsakten (Paketmaßnahmen, Autonomiestatut, Durchführungsbestimmungen usw.) bei der Europäischen Gemeinschaft in Brüssel, bei der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE, heute: OSZE), beim Kanzler des Internationalen Gerichtshofes (IGH) in Den Haag und dem Generalsekretariat des Europarates hinterlegt (vgl. Gehler 2003, 44).

Der internationale Charakter der Streitbeilegungserklärung ist in re ipsa gegeben, wichtiger erscheint aber die Frage nach der Justiziabilität. In der Logik der bisher gefolgten Darstellung muss gefolgert werden, dass alle Maßnahmen zum Schutz der ladinischen Volksgruppe, die zum Zeitpunkt der Streitbeilegung bestanden haben, international verankert sind und bei Verletzung durch Italien von der Schutzmacht Österreich beim Internationalen Gerichtshof eingeklagt werden können (Riz 2005, 99).

Es stimmt allerdings, wie Roland Riz (Riz 2005, 99) unterstreicht, dass aus europarechtlicher Sicht beim Beitritt Österreichs zur Europäischen Union im Jahre 1995 weder von der Schutzmacht Österreich noch von der Territorialmacht Italien ein Vorbehalt hinsichtlich des Pariser Vertrages und der Streitbeilegung erfolgt ist. Dieser Umstand dürfte aber in keiner Weise den Minderheitenschutz in Frage stellen.

Die Verfassungsreform des Jahres 2001

Mit dem Verfassungsgesetz vom 31. Jänner 2001, Nr. 243 wurden der ladinischen Minderheit in Südtirol vor allem eine Reihe von politischen Rechten zuerkannt, die ihre Diskriminierung hinsichtlich des Zuganges zu einigen höchsten institutionellen Ämtern beheben sollte.

Im Sinne des Artikels 30 des Autonomiestatutes gehört der Präsident des Regionalrates in der ersten Hälfte der Legislaturperiode der italienischen und in der zweiten Hälfte der deutschen Sprachgruppe an. Mit dem Verfassungsgesetz Nr. 2/2001 wurde eingeführt, dass mit Zustimmung der Mehrheit der Abgeordneten der italienischen bzw. der deutschen Sprachgruppe für den Zeitraum, in dem ihnen jeweils die Präsidentschaft zustehen würde, ein Abgeordneter der ladinischen Sprachgruppe zum Präsidenten des Regionalrates gewählt werden kann.

Analog zum Artikel 30 hat der Artikel 48/ter festgeschrieben, dass mit Zustimmung der Mehrheit der Abgeordneten der deutschen bzw. der italienischen Sprachgruppe für den jeweiligen Zeitraum ein Abgeordneter der ladinischen Sprachgruppe zum Präsidenten des Südtiroler Landtages gewählt werden kann.

Auch wenn diese Bestimmung ohne Zweifel ein großer Fortschritt gegenüber der vorhergehenden Gesetzeslage ist, die ausschloss, dass ein/e LadinerIn in dieses Amt gewählt wurde, ist diese Bestimmung verschiedentlich kritisiert worden, und zwar mit dem Argument, dass die ladinische Volksgruppe hier keinen direkten Anspruch auf das Amt habe, sondern der Willkür der beiden größeren Sprachgruppen ausgesetzt sei.44 Diese Kritik ist nur zum Teil gerechtfertigt. Es stimmt natürlich, dass vom Prinzip her allen Sprachgruppen die gleichen Rechte (Artikel 2) zuerkannt werden müssen. Wenn das Anliegen aber im Gesamtgefüge der Autonomiebestimmungen gesehen wird, ist der praktische Ansatz ersichtlich, der die Verfasser der Norm bewegt hat. Im Regelfall ist nämlich im Südtiroler Landtag nach dem Zweiten Weltkrieg immer nur ein ladinischer Landtagsabgeordneter vertreten gewesen.45 Wenn dieser in die Südtiroler Landesregierung gewählt wird, darf er institutionell kein Amt mehr im Landtagspräsidium bekleiden. Eben weil nur ein ladinischer Abgeordneter vorhanden ist, bekleidet dieser neben dem Posten in der Landesregierung oder im Landtagspräsidium meist gleichzeitigt auch Spitzenämter in der Region (Regionalausschuss oder Regionalratspräsidium).

Zudem wurde im Artikel 30 mit dem Verfassungsgesetz Nr. 2/2001 eingeführt, dass die Vizepräsidenten des Regionalrates unter den Abgeordneten gewählt werden müssen, die nicht der Sprachgruppe des Präsidenten angehören, wodurch automatisch ein/e LadinerIn zumindest zum Vizepräsidenten gewählt wird, wenn er/sie sich der Wahl stellt.

Der Artikel 36 schreibt dann fest, dass der ladinischen Sprachgruppe die Vertretung in der Regionalregierung auch abweichend von der proporzmäßigen Vertretung garantiert wird.

Damit unterscheidet sich die Bestimmung im Artikel 36 hinsichtlich des Regionalausschusses deutlich vom ebenfalls im Jahre 2001 eingeführten Artikel 50, der das Vertretungsrecht der ladinischen Minderheit in der Landesregierung vorsieht. Während im Artikel 36 eine Muss-Bestimmung vorgesehen wurde, hat der Verfassungsgesetzgeber für die Südtiroler Landesregierung eine Kann-Bestimmung eingeführt, demnach heißt es wörtlich in Artikel 50, Absatz 3:

Der ladinischen Sprachgruppe kann die Vertretung im Landesausschuss von Südtirol auch abweichend von der proporzmäßigen Vertretung [vgl. Absatz 2] zuerkannt werden. Sitzt ein einziger ladinischer Vertreter im Landtag und wird er in den Landesausschuss gewählt, so muss er auf sein Amt als Präsident oder Vizepräsident des Landtages verzichten.

Auf der Grundlage dieser Bestimmung wurde dann zum ersten Mal in der Autonomiegeschichte am 12. Dezember 2001 ein Ladiner, nämlich Florian Mussner, mittels Wahl im Südtiroler Landtag von außen in die Landesregierung berufen. Die Möglichkeit der externen Berufung wurde erst aufgrund der Verfassungsgesetznovelle des Jahres 2001 möglich und setzt voraus, dass für die externe Berufung nach dem formellen Vorschlag mindestens einer Landtagsfraktion nicht nur eine qualifizierte Zweidrittelmehrheit im Südtiroler Landtag erzielt werde, sondern auch die Mehrheit der Abgeordneten jener Sprachgruppe, der der/die KandidatIn angehört, dafür sind.46

4. Vorschläge für die Verbesserung des Zweiten Autonomiestatutes zugunsten der ladinischen Volksgruppe in Südtirol

Abschließend möchte ich auf einige Bestimmungen im heute gültigen Autonomiestatut eingehen, welche die ladinische Sprachgruppe in Südtirol diskriminieren oder welche einfach verbessert werden sollten. Nachstehend wird auf die wichtigsten davon eingegangen und dabei versucht, konkrete Verbesserungsvorschläge zu machen.

Artikel 36

Dieser Artikel behandelt die Zusammensetzung der Regionalregierung. Während ein/e LadinerIn im Regionalausschuss vertreten sein muss und auch PräsidentIn der Region werden kann, bleibt der Zugang zur Vizepräsidentschaft verwehrt, was widersinnig erscheint.

Dies könnte sehr einfach dadurch verbessert werden, dass die Anzahl der Vizepräsidenten auf drei erhöht wird und jeder Sprachgruppe – im Sinne der gleichen Würde der drei Sprachgruppen – ein/e VizepräsidentIn zuerkannt wird.

Eine andere, ökonomischere, aber weniger garantistische Lösung bestünde darin festzuschreiben, dass die beiden Vizepräsidenten anderen Sprachgruppen angehören müssen als die/der PräsidentIn.

Artikel 50

Dieser Artikel behandelt die Zusammensetzung der Südtiroler Landesregierung. Es wurde bereits kritisch angemerkt, dass die jetzige Formulierung keine obligatorische Vertretung der ladinischen Volksgruppe in der Regierung vorsieht, sondern nur eine fakultative. Gegen diese Kritik wird das Argument vorgebracht, dass im Südtiroler Landtag im Regelfall nur ein ladinischer Landtagsabgeordneter vertreten sei und somit keine Auswahlmöglichkeit bestehe. Sollte diese/r ladinische Abgeordnete der Opposition angehören und die Regierung politisch bekämpfen, müsste sie/er ex lege trotzdem auf die Regierungsbank – womöglich ohne Kompetenzen –, sofern eine Berufung von außen am hohen Wahlquorum scheitert.

Gleich wie im Fall des Regionalrates kann ein/e VertreterIn der ladinischen Sprachgruppe sehr wohl Landeshauptfrau/mann werden, nicht aber deren/dessen StellvertreterIn. Dieses Amt steht bislang nur der deutschen und italienischen Sprachgruppe offen.

Eine neue Gesetzesformulierung müsste demnach in die Richtung gehen, dass die Landesregierung im Regelfall einen deutschen und einen italienischen Vizepräsidenten hat und nur dann einen dritten, ladinischen, Vizepräsidenten, wenn zumindest ein/e LadinerIn in der Landesregierung vertreten ist.

Eine Alternative zu dieser ersten Formulierung bestünde darin, statutarisch zu verankern, dass es nur zwei Vizepräsidenten gibt, die jenen Sprachgruppen angehören müssen, die nicht den/die PräsidentenIn stellen. Das wäre auch nicht im Widerspruch zur Paketmaßnahme 75, die nur davon spricht, dass einer der beiden Vizepräsidenten „aus der Sprachgruppe der Minderheit“ sein müsse.

Artikel 84

Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Genehmigung des Haushaltsvoranschlages der Region und des Landes. Die Bestimmung sieht vor, dass auf Antrag der Mehrheit einer Sprachgruppe über die einzelnen Kapitel des Haushaltsvoranschlages der Region und der Provinz Bozen-Südtirol nach Sprachgruppen gesondert abgestimmt werden muss. Die Haushaltskapitel, die nicht die Mehrheit der Stimmen jeder einzelnen Sprachgruppe erhalten haben, werden einer aus vier Regionalrats- bzw. Landtagsabgeordneten bestehenden Kommission unterbreitet. Wenn in der Kommission keine Mehrheit für einen Lösungsvorschlag erreicht wird, so übermittelt die/der PräsidentIn des Regionalrates oder des Landtages den Entwurf des Haushaltsvoranschlages mit allen dazu gehörenden Akten der Autonomen Sektion Bozen des regionalen Verwaltungsgerichtshofes, damit das Gericht darüber entscheide.

Problematisch ist der Umstand, dass die oben genannte vierköpfige Haushaltskommission nach Maßgabe des Autonomiestatutes eine paritätische, rein deutsch-italienische Zusammensetzung hat. Mit der Folge, dass sich die ladinische Sprachgruppe selbst dann, wenn sie ein eigenes Haushaltskapitel beanstanden sollte, dem Entscheid der deutschen und italienischen Kollegen in der Kommission beugen müsste, ohne mitreden zu dürfen.

Der Lösungsvorschlag hier könnte darin bestehen, dass zwei Kommissionen gebildet werden. Sollte die Mehrheit der deutschen oder italienischen Sprachgruppe gegen das eine oder andere Haushaltskapitel sein, so kommt die bereits heute im Statut vorgesehene paritätisch bestellte deutsch-italienische Kommission zur Anwendung. Sollte hingegen die ladinische Volksgruppe gegen ein Haushaltskapitel sein, dann müsste eine ebenfalls zu Beginn der Legislaturperiode eingerichtete Kommission darüber befinden, die sich aus drei Mitgliedern zusammensetzt, die den drei verschiedenen Sprachgruppen angehören.

Um einen Konflikt zwischen den beiden Haushaltskommission zu vermeiden, sollte in Fällen, wo zwei Volksgruppen gegen ein Haushaltskapitel stimmen, direkt der Verwaltungsgerichtshof befasst werden.

Es ist zu vermerken, dass die paritätische, rein deutsche und italienische Kommission in der Paketmaßnahme 85 vorgesehen ist.

Artikel 89

Ohne an dieser Stelle erneut das Problem der Benachteiligung der ladinischen Volksgruppe bei höheren Stellen ansprechen zu wollen, sind in diesem Artikel in den Absätzen 6 und 7 zwei Schutzmaßnahmen nur für die deutsche, nicht aber für die ladinische Volksgruppe vorgesehen. Hier würde es bei einer allfälligen Novelle des Autonomiestatutes genügen, wenn der Terminus „ladinische Sprachgruppe“ nach dem Terminus „deutsche Sprachgruppe“ angefügt würde.

Im Absatz 6 wird festgesetzt, dass die Versetzungen der Bediensteten deutscher (ergänze: und ladinischer) Sprache außerhalb Südtirols den Umfang von zehn Prozent der von ihnen insgesamt besetzten Stellen nicht überschreiten darf.

Das Gleiche sollte für den Absatz 7 gelten. Hier wird festgeschrieben, dass den Richtern, die der deutschen (ergänze: und ladinischen) Sprachgruppe angehören, die Beständigkeit des Dienstsitzes in der Provinz gewährleistet wird, vorbehaltlich der Bestimmungen der Gerichtsordnung über die Unvereinbarkeiten.

Artikel 91

Diese Bestimmung beschäftigt sich mit der Zusammensetzung der Autonomen Sektion des regionalen Verwaltungsgerichtshofes für die Provinz Bozen.

Gemäß dieser Bestimmung muss diese Sektion für die Provinz Bozen in gleicher Zahl den zwei stärksten Sprachgruppen angehören. Dies hat zur Folge, dass ein/e LadinerIn in ganz Italien VerwaltungsrichterIn werden kann, aber nicht in Südtirol.

Die paritätische Zusammensetzung des Gerichts ist in der Paketmaßnahme 90 vorgesehen.

Die Autonome Sektion zählt heute insgesamt acht Richterinnen und Richter. Eine bereits angedachte Erhöhung der Richterschaft auf zehn Einheiten, wodurch zwei neue ladinische RichterInnen dazu kommen könnten, eine/r vom Staat und eine/r vom Land ernannt, scheint konkret kaum verwirklichbar, zumal das Gericht mit acht Richter/n/Innen, gemessen an anderen Regionen, bereits überbesetzt ist. Es wäre auch verständlich, wenn bei einer derartigen Zusammensetzung beanstandet würde, dass zwei ladinische RichterInnen gegen (nur) vier deutsche RichterInnen eine eklatante Überrepräsentierung der ladinischen Richterschaft darstellen würden.

Eleganter wäre es, eine Kompromissformel zwischen dem Wortlaut des Pakets und der heutigen Anzahl der Richterschaft zu finden.

Im ersten Absatz einer allfälligen Revision dieses Artikels könnte das Prinzip festgeschrieben werden, dass die RichterInnen allen drei Sprachgruppen angehören müssen.

Im zweiten Absatz könnte das Paketprinzip festgehalten werden, wonach die RichterInnen grundsätzlich paritätisch der deutschen und italienischen Sprachgruppe angehören müssen, dann aber ergänzen, dass alternierend eine Stelle, die den beiden größeren Sprachgruppen vorbehalten ist, von einer/m RichterIn besetzt sein muss, welcher der ladinischen Sprachgruppe angehört. So wären alternierend einmal vier italienische, drei deutsche und ein ladinischer Richter und dann vier deutsche, drei italienische und ein ladinischer Richter im Amt usw.

Die/der ladinische RichterIn sollte dann ausschließlich vom Südtiroler Landtag ernannt werden. Dies um konkret zu verhindern, dass Rom irgendeine/n RichterIn aus dem Friaul mit dem Hinweis ernennt, dass er/sie rätoromanische Wurzeln habe oder seine/ihre Geburtsgemeinde die eigene Ladinität entdeckt hat.

Bei der Präsidentschaft der Autonomen Sektion ist vorgesehen, dass sich als PräsidentIn für gleiche Zeiträume (2 Jahre) jeweils ein/e RichterIn italienischer Sprache mit einer/m RichterIn deutscher Sprache ablöst. Hier könnte vorgesehen werden, dass, nachdem sich über sechs Mandate ein/e deutsche/r mit einer/m italienischen RichterIn abgelöst haben, ein/e ladinische/r RichterIn als PräsidentIn zum Zuge kommen müsse.

Eine grundlegend andere Lösung des Problems könnte darin bestehen, dass in der vom Landtag bestimmten Quote der RichterInnen ein/e ladinische/r RichterIn ernannt wird, wenn die Mehrheit der Abgeordneten der Volksgruppe, denen die/der RichterIn zusteht, zugunsten der/des Ladiner/s/In verzichtet. Dies wäre aber wohl entwürdigend für die ladinische Sprachgruppe, die keinen eigenen Anspruch geltend machen könnte, sondern nur auf das Wohlwollen der anderen Sprachgruppen angewiesen wäre.

Artikel 93

Diese Bestimmung sieht vor, dass den Sektionen des Staatsrates, die in den Berufungsverfahren über die Entscheidungen der Autonomen Sektion Bozen des regionalen Verwaltungsgerichtshofes zu befinden haben, ein/e Rat/Rätin angehören muss, der/die der deutschen Sprachgruppe der Provinz Bozen angehört. Hier sollte ergänzt werden, dass er/sie der deutschen oder ladinischen Volksgruppe angehören kann.

Da gegenwärtig eine Aufstockung der Südtiroler Staatsräte verhandelt wird, könnte in diesem Zusammenhang das Vertretungsrecht der ladinischen Minderheit eingeflochten werden.

Art. 107

Diese Bestimmung befasst sich mit der Zusammensetzung der Zwölfer- und der Sechserkommission. Im gegenwärtigen Gesetzestext ist kein Vertretungsrecht der ladinischen Volksgruppe vorgesehen.47

Diese Bestimmung geht auf die Paketmaßnahmen 70 und 71 zurück.

Die Zwölferkommission besteht heute aus sechs Vertretern des Staates, zwei Vertretern des Regionalrates, zwei Vertretern des Landtages des Trentino und zwei Vertretern des Südtiroler Landtages.

Eine Lösung könnte darin bestehen, dass das Ernennungsrecht verändert wird. Es könnte vorgesehen werden, dass sechs Vertreter vom Staat ernannt werden und jeweils drei von den Provinzen Bozen und Trient. Da die Region in den letzten 40 Jahren fast sämtliche Kompetenzen verloren hat, wäre es linear, auch diese auf die Provinzen zu übertragen.

Wenn nun die Provinz Bozen drei Vertreter vorschlagen könnte, müsste festgeschrieben werden, dass diese den drei verschiedenen Sprachgruppen angehören müssen, außer die Mehrheit der Abgeordneten einer Sprachgruppe verzichtet auf ihr Recht und wählt einen Vertreter einer anderen Sprachgruppe. Entsprechend müsste auch der erste Absatz des Artikels 107 so angepasst werden, dass drei Mitglieder nicht nur der deutschen Sprachgruppe angehören müssen, sondern der deutschen und ladinischen Sprachgruppe.

Mit diesen Änderungen könnte ein ladinischer Vertreter über den Südtiroler Landtag in die Zwölfer- und in die Sechserkommission gewählt werden.

Anmerkungen

1 Die eigenständige Erhebung wurde bei den periodischen Volkszählungen, die mit dem Jahre 1880 begannen und in zehnjährigen Abständen erfolgten, nicht mehr vorgenommen. Ab diesem Zeitpunkt wurde die Bevölkerung der italienischen und der ladinischen Nationalitäten gemeinsam erhoben (vgl. Brix 1982; Perathoner 1998: 29–40).

2 Bereits in der Landesverfassung für die gefürstete Grafschaft Tirol mit dem Lande Vorarlberg vom 30. Dezember 1848 hieß es im Paragraphen 3: „Die in Tirol und Vorarlberg befindlichen Volksstämme sind gleichberechtigt, und jeder Volksstamm hat ein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalität und Sprache.“

3 Unter diesen sind zu erwähnen: die Gründung der Vereinigung Naziun Ladina im Priestersemiar von Brixen im Jahre 1870, die Gründung des Ladinervereins in Innsbruck im Jahre 1905, wie auch im Pressewesen: die Herausgabe des Amik di Ladins – Der Ladinerfreund im Jahre 1905 in Innsbruck, des ´L Ladin-Der Ladiner im Jahre 1908 in Brixen und des Kalënder de Gherdëina im Jahre 1911 in Innsbruck (vgl. Richebuono 1992, 99–106; Kattenbusch 1992, 91–96; Dorsch-Craffonara 1982).

4 Es ist bezeichnend, dass im Ersten Weltkrieg fast doppelt so viele DolomitenladinerInnen starben (ca. 1050 Tote) als im Zweiten Weltkrieg (ca. 550 Tote).

5 Während in der Zeit von 1848 bis 1918 das Spannungsverhältnis germanophil versus italophil noch weitgehend Tal-geographisch abgrenzbar war – so waren demnach z.B. die Grödner eher germanophil, während die Fassaner stärker für italophile Sympathien anfällig waren –, so wurde nun dieses Spannungsverhältnis zunehmend in die einzelnen Südtiroler Talschaften transportiert, bis schließlich die Option des Jahres 1939 durch das offene Bekenntnis für oder gegen das Deutsche Reich einen Keil zwischen die Dorfgemeinschaften und Familien trieb.

6 Unter diesen Wissenschaftlern trat vor allem Carlo Battisti mit seinen Schriften der Dreißigerjahre des letzten Jahrhunderts (vgl. Battisti 1931, 1937) hervor, bekannt waren natürlich auch die Stellungnahmen von Ettore Tolomei und Giorgio Del Vecchio. Aber selbst in der Nachkriegszeit wurde die Eigenständigkeit des Ladinischen von verschiedenen italienischen Wissenschaftlern geleugnet, unter diesen sind u.a. Carlo Salvioni, Carlo Tagliavini, Matteo Bartoli, Ernesto Giacomo Parodi e Berengario Gerola. Positiv hervorgehoben werden darf der Umstand, dass es im faschistischen Italien der Zwischenkriegszeit gewichtige Stimmen gab, die sich für die sprachliche Eigenständigkeit des Ladinischen aussprachen, so beispielsweise der Präsident der italienischen Akademie der Wissenschaften Giulio Bertoni oder Clemente Merlo.

Paradoxerweise wurde genau in dieser Zeit, nämlich mit der eidgenossenschaftlichen Volksabstimmung vom 20. Februar 1938, das Rätoromanische zur vierten Staatssprache der Schweiz erhoben.

7 Veröffentlicht in der Gazzetta Ufficiale Nr. 24 vom 30. Jänner 1923.

8 Veröffentlicht in der Gazzetta Ufficiale Nr. 24 vom 11. Jänner 1927.

9 Gerade die touristische Attraktivität bedingt, dass immer mehr Provinzfremde in den ladinischen Tourismusgemeinden wie Sëlva/Wolkenstein, Corvara, Cortina Wohnungen zu Preisen erwerben, die für die Einheimischen nicht erschwinglich sind. Das führt zunehmend dazu, dass junge Familien, die von den Eltern keine entsprechende finanzielle Unterstützung erhalten, außerhalb oder an der Grenze des ladinischen Siedlungsgebietes ihren Wohnsitz haben. In einer derartigen Situation wird die Urbanistikgesetzgebung zu einem effizienten Minderheitenschutzinstrument, wenn sie es schafft, die Abwanderung aus dem geschlossenen Siedlungsgebiet der Minderheit in ein Gebiet, wo die Assimilation sehr wahrscheinlich ist, zu verhindern.

10 Es gibt heute im Prinzip wenige Strukturen innerhalb der ladinischen Volksgruppe, die überprovinzial zusammenarbeiten (vgl. Videsott 2011b, 293–295). Am 23. April 2007 wurde in Corvara di Lia di Comuns Ladins gegründet. Es handelt sich um eine Vereinigung der 19 ladinischen Gemeinden. Dies kann einen Ansatz einer institutionellen Zusammenarbeit darstellen. Vgl. http://www.ladiniamap.org/de/home/willkommen.html (30.01.2012)

11 Bei einem am 28. und 29. Oktober 2007 in den drei ladinischen Gemeinden der Provinz Belluno Anpezo/Ampezzo, Col/Colle Santa Lucia und Fodom/Buchenstein abgehaltenen Referendum haben sich bei einer Wahlbeteiligung von 56,34 % (Fodom 87,51 %, Col 84,59 %, Anpezo 77,08 %) der Wahlberechtigten insgesamt 78,86 % (Fodom 87,51 %, Col 84,59 %, Anpezo 77,08 %) für einen Anschluss an die Autonome Provinz Bozen ausgesprochen. Wenn es auch auf der Hand liegt, dass wirtschaftliche Gründe diesen klaren Volksentscheid mit bedingt haben, so steht es außer Frage, dass beim Einbringen dieses Referendums der ethnische Aspekt im Vordergrund stand, ebenso wie die gerechte Forderung, die gleichen Autonomie- und Minderheitenrechte zu erhalten wie die ladinische Bevölkerung Südtirols. (vgl. Videsott 2008, Zaffi 2008)

12 Die Fassaner wurden nicht zur Option zugelassen. Im Fassatal wurde es so gehandhabt, dass diejenigen, die die deutsche Staatsbürgerschaft beantragten, diese auch erhielten. Dies war für ca. 300 Personen der Fall. Schließlich verließen ca. 2.000 Ladiner im Zuge der Option ihre Heimat.

13 Es handelt sich hierbei um das Comitato Liberazione Nazionale, kurz auch CLN genannt.

14 Das Gruber-De Gasperi-Abkommen bildet gemäß Beschluss der Außenministerkonferenz in New York vom 3. Dezember 1946 den Annex IV des Friedensvertrages von Paris (unterzeichnet am 10. Februar 1947). Gemäß Art. 85 des Friedensvertrages bildet dieser Annex einen integrierenden Bestandteil des Vertrages und gemäß Art. 90 trat der Friedensvertrag von Paris am Tag nach der Hinterlegung der Ratifikationsurkunden der vier Siegermächte in Kraft, also am 16. September 1947. Die Republik Italien hat die Ratifikation mit dem Gesetzesvertretenden Dekret Nr. 1430/1947 vorgenommen (Decreto Legislativo C.P.S. n. 1430, 28 novembre 1947: Esecuzione del Trattato di pace tra l’Italia e le Potenze Alleate ed Associate, firmato a Parigi il 10 febbraio 1947; veröffentlicht im Supplemento Ordinario der Gazzetta Ufficiale Nr. 295 vom 24. Dezember 1947.

15 Österreich sollte bekanntlich erst am 27. Juli 1955, nach der am 15. Mai 1955 erfolgten Unterfertigung des Staatsvertrages von Wien-Belvedere betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreichs, die volle völkerrechtliche Souveränität erlangen (vgl. Suppan et al. 2005).

16 Die italienische Verfassung sieht im Artikel 6 vor, dass die Republik die sprachlichen Minderheiten mit besonderen Bestimmungen schützt.

17 Eine ampezzanische Delegation soll bei der verfassungsgebenden Versammlung in Rom vorgesprochen und dort den Anschluss an die Provinz Bozen verlangt haben (vgl. Gehler 1996, 537)

18 Neben dem Parteiobmann der Südtiroler Volkspartei Erich Amonn (1896–1970) setzten sich vor allem Vijo Pupp (1902–1969) und der Bürgermeister von Corvara Franz Kostner (1877–1968) dafür ein, dass die ladinische Volksgruppe im Ersten Autonomiestatut berücksichtigt werde (vgl. Riz 2005, 94).

19 Österreich hatte in diesem Zusammenhang sogar im Jahre 1960 eine Staatenbeschwerde im Sinne des Artikels 24 der Europäischen Menschenrechtskonvention erhoben.

20 Dieser Widerstand Italiens rührte sicher auch daher, weil Italien ganz bewusst versuchte, durch eine Evokation des im Jahre 1960 noch sehr lebendigen Schreckensgespenstes des Pangermanismus, eine Positionierung der anderen Staaten gegen Österreich und Deutschland zu fördern.

21 583 Delegiertenstimmen unter der Führung von Silvius Magnago (1914–2010) sprachen sich für die Annahme aus, 492 unter der Führung von Peter Brugger (1920–1986) dagegen.

22 Unter gentlemen’s agreement wird im traditionellen Völkerrecht eine außerrechtlich (non-legal) ­zwischenstaatliche Absprache zwischen Regierungschefs, Regierungsmitgliedern oder auch Diplomat/Innen verstanden, die sich wechselseitig politisch oder moralisch – meist – zu einem künftigen Verhalten verpflichten, gleichzeitig aber nicht die von ihnen vertretenen Staaten oder Institutionen verpflichten (non binding agreement). Eine solche Übereinkunft, die an die Ehre und Würde der handelnden Persönlichkeiten anknüpft, ist demnach für sich allein nicht justiziabel, sie kann aber in einen bestimmten Zusammenhang gestellt, rechtliche Relevanz erlangen.

23 Der Art. 31 WVK befasst sich mit den allgemeinen Auslegungsregeln völkerrechtlicher Verträge. In Abs. 3 lit. b schreibt diese internationale Konvention fest, dass bei der Vertragsinterpretation auch „jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht“ berücksichtigt werden müsse (vgl. Karl 1983).

24 Im Deutschen wird auch die Kurzbezeichnung Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK, WVRK) verwendet, die geläufigere englische Bezeichnung ist Vienna Convention on the Law of Treaties (VCLT). Der Vertrag trat am 27. Januar 1980 in Kraft. Italien und Österreich sind Vertragsparteien.

25 Das Estoppel-Prinzip entstammt dem anglo-amerikanischen Rechtskreis und ist ein prozessrechtliches Prinzip im Beweisverfahren, wonach bestimmte Einreden unmöglich werden. Es fußt auf dem Grundsatz, dass ein Subjekt, das durch sein Verhalten einen anderen zu rechtlich erheblichem Handeln veran­lasst hat, das Verhalten und die berechtigten Folgerungen, die der andere aus diesem Verhalten gezogen hat, gegen sich gelten lassen muss. Es handelt sich also um einen Grundsatz des Vertrauensschutzes (Prinzip der bona fides), der sich in der römischrechtlichen Tradition im weiteren Sinne in den Grundsätzen: non licet venire contra factum proprium oder allegans contraria non est audiendus wiederfindet.

Im Völkerrecht kann das Estoppel-Prinzip folgendermaßen verstanden werden: Ein Staat ist an die Erwartungen rechtlich gebunden, die er durch sein Verhalten geweckt hat und auf die ein anderer Staat in gutem Glauben vertraut hat, bzw. ein Staat kann dann einen berechtigten Anspruch geltend machen, wenn er sich im Vertrauen auf eine Zusicherung oder auf ein konkludentes Verhalten eines anderen Staates zu einem rechtlich erheblichen Handeln verleiten ließ, das ihm zum Schaden gereichen würde, wenn der andere Staat später einen gegenteiligen Standpunkt einnehmen würde. (Vgl. Müller 1971; Schweinsfurth 2006, 89; Graf Vitzthum 2007, 68)

26 Es hängt oft mit der numerischen Größe der Volksgruppe zusammen, wenn diese nicht der deutschen gleichgesetzt wurde, zudem darf auch der historische Kontext der 60er und 70er Jahre nicht ganz aus den Augen verloren werden. Ins Gewicht fällt auch der Umstand, dass Deutschland in dieser Zeit eine geheime Schutzmacht Südtirols war und vor allem für den Erhalt der deutschen Sprache und Kultur eintrat (vgl. Gehler 2003, 23).

27 Unter dem Rechtsbegriff der acquiescence wird im Völkerrecht das qualifizierte Schweigen verstanden. Konkret geht es um das Schweigen eines Staates gegenüber einem fremden Rechtsanspruch, der sich in solcher Weise manifestiert, dass die passive Haltung nach Treu und Glauben nicht anders als eine stillschweigende Anerkennung verstanden werden kann. Dies lässt sich im lateinischen Rechtsatz: qui tacet consentire videtur, si loqui debuisset ac potuisset. Das Acquiescence-Prinzip hat allerdings zwei Prämissen: a) dem schweigenden Staat muss der gegnerische Anspruch bekannt sein und dieser Anspruch muss ein Eingriff in die Rechte des schweigenden Staats darstellen, b) der schweigende Staat muss sich passiv verhalten, er protestiert nicht und er weist den gegnerischen Anspruch nicht zurück. (Vgl. Müller 1971; Schweinsfurth 2006, 89; Graf Vitzthum 2007, 68)

28 Veröffentlicht in der Gazzetta Ufficiale Nr. 3 vom 5. Jänner 1972.

29 Veröffentlicht in der Gazzetta Ufficiale Nr. 301 vom 20. November 1972.

30 Das waren neben dem Verfassungsgesetz Nr. 1/1971 die gültig gebliebenen Normen des Ersten Autonomiestatutes (Verfassungsgesetz Nr. 62 vom 26. Februar 1948) mit den Änderungen durch das Staatsgesetz Nr. 1777 vom 31. Dezember 1962 und das Verfassungsgesetz Nr. 1 vom 23. Februar 1972.

31 Das Gleiche kann nicht für die ladinische Bevölkerung des Trentino gesagt werden, obwohl diese derselben Region angehört (vgl. Calliari 1991).

32 In den ladinischen Tälern Südtirols gibt es folgende Oberschulen:

a) in Gherdëina/Gröden:

die Handelsoberschule Raetia in Urtijëi/St. Ulrich mit folgenden Fachrichtungen: IGEA, Sprachen und Touristik, Sport, und ebenfalls in Urtijëi/St. Ulrich die Kunstlehranstalt Cademia mit folgenden Fachrichtungen: Dekoratives Malen, Holzbildhauerei, Graphik und Fotographie;

b) im Badia/Gadertal:

die Handelsoberschule La Ila/Stern in Badia/Abtei mit angeschlossenem Sprachenlyzeum.

33 Es gab mehrere Versuche, in Gröden Schulen nach dem deutschen Schulmodell zu errichten, bis das Land Südtirol gegen die in Artikel 7 des Dekretes des Präsidenten der Republik Nr. 116 vom 1973 festlegte Bestimmung, welche die Exklusivität des paritätischen Schulsystems in den ladinischen Tälern sanktionierte, vor dem Verfassungsgerichtshof klagte. Mit Urteil Nr. 101 vom 21. April 1976 wies das Verfassungsgericht die Klage zurück und verteidigte die entsprechende Norm als rechtmäßig (vgl. Pizzorusso 1976; Hilpold 2001, 140–141).

34 Vgl. Artikel 12 Absatz 12 des Dekretes des Präsidenten der Republik Nr. 89 vom 10. Februar 1983.

35 Diese Norm stellt klar, dass zumindest ein/e LadinerIn im Südtiroler Landtag vertreten sein müsse. Statistisch macht ein ladinischer Vertreter im Landtag 2,86 Prozent aus. Der ladinische Bevölkerungsanteil in Südtirol liegt aber bei rund 4,4 Prozent. Dies hat – vor allem seitens der Partei Moviment Pulitich Ladins (ehemals Lista Ladins) – die Forderung laut werden lassen, dass ein effektiver Minderheitenschutz die normativ garantierte Vertretung von zwei ladinischen Abgeordneten im Südtiroler Landtag vorsehen müsste.

36 Vgl. Artikel 63 des Regionalgesetzes Nr. 7 vom 8. August 1983, Nr. 7.

37 Die Wahl von Hugo Valentin wurde nur deshalb möglich, weil in der Legislaturperiode 1983–1988 zwei Ladiner im Südtiroler Landtag vertreten waren. Der Abgeordnete der ALFAS-Alternative Liste für das andere Südtirol, Alexander Langer, erklärte sich – obwohl Nicht-Ladiner – aus Protest als Angehöriger der ladinischen Sprachgruppe. Auch in den letzten Wochen der Legislaturperiode 1988–93 kam es zur gleichen Situation wie nach dem Ausscheiden des italienischen Landeshauptmannstellvertreters, Remo Ferretti (DC), auf den der Ladiner Martin Flatscher nachrückte. Abermals wurde Hugo Valentin – wenn auch nur für wenige Wochen – in die Landesregierung aufgenommen.

38 Das Dolomitenladinische gehört mit dem bekannteren Bündnerromanischen (Rumantsch) in der Schweiz und dem Friulanischen (Furlan) zur rätoromanischen Sprachenfamilie.

39 Diese Durchführungsbestimmung wurde im Gesetzesblatt Nr. 105 vom 8. Mai 1989 kundgemacht. Die deutsche Übersetzung wurde im Ordentlichen Beiblatt zum Amtsblatt Nr. 41 vom 19. September 1989, veröffentlicht.

40 Falls Mitglieder dieser Organe erklären, die ladinischen Sprache nicht zu verstehen, muss auf Antrag unmittelbar nach dem ladinischen Vortrag in die italienische oder in die deutsche Sprache übersetzt werden, um so auch Nichtladiner/n/Innen die Möglichkeit der Partizipation zu geben. Die entsprechenden Niederschriften sind zugleich in italienischer, in deutscher und in ladinischer Sprache zu verfassen.

41 Es wurde kritisch bemerkt (vgl. Videsott 2011b, 298), dass es in der Region Trentino-Südtirol demnach Gesetzestexte in Grödnerisch, Gadertalerisch und Fassanisch gibt.

42 Das Gesetzesvertretende Dekret Nr. 262 vom 22. Mai 2001 sieht vor, dass bestimmte Rechtsvorschriften des Landes auch in ladinischer Sprache veröffentlicht werden müssen. Ebenso wurde der Südtiroler Landesregierung neben der Verpflichtung zur Unterstützung und Koordinierung der Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung der ladinischen Sprache auch die Kompetenz eingeräumt, das für die Festsetzung der Sprach- und Schreibnormen zuständige Rechtssubjekt festzulegen.

43 Veröffentlicht in der Gazzetta Ufficiale Nr. 26 vom 1. Februar 2001 (Disposizioni concernenti l’elezione diretta dei presidenti delle regioni a statuto speciale e delle province autonome di Trento e di Bolzano)

44 Bei der Ausarbeitung der Gesetzesbestimmung war auch überlegt worden, dass die Legislaturperiode durch drei geteilt und jeder Sprachgruppe für 20 Monate die Präsidentschaft zugewiesen würde. Der Vorschlag wurde mit dem Argument verworfen, dass 20 Monate eine zu kurze Zeit seien, um in dieser Funktion etwas gestalten zu können und zudem wahrscheinlich sei, dass der/die eine LadinerIn im Südtiroler Landtag sich nicht um das Amt bewerbe, weil er/sie einen Sitz in der Landesregierung vorziehe.

45 Im Südtiroler Landtag war seit dem Zweiten Weltkrieg die ladinische Minderheit in der Regel immer nur mit einem Abgeordneten vertreten. Es gibt drei Ausnahmen: 1. Alois Pupp (SVP) und Albino dell’Antonio (DC) in der Amtszeit 1952–1956; 2. Hugo Valentin (SVP) und der „Protestladiner“ Ale­xan­der Langer (ALFAS) in der Amtszeit 1983–1988; 3. Hugo Valentin (SVP) und Martin Flatscher (DC) in den letzten Wochen der Amtsperiode 1988–1993. Die ladinischen Vertreter im Südtiroler Landtag: Vijo Pupp (1948–1968), Franz Demetz (1968–1978), Hugo Valentin (1978–1993), Carlo Willeit (1993–2003), Florian Mussner (von 2003 bis heute). Der DC-Politiker Albino Dell’Antonio aus St. Ulrich schaffte bei den Landtags- bzw. Regionalratswahlen 1952 den Einzug in den Südtiroler Landtag, von wo aus er auch in die Landesregierung gewählt wurde. Seine Laufbahn im Landtag endete nach vierjähriger Amtszeit 1956. Valerius Dejaco wird auch manchmal in die Reihe der ladinischen Landtagsabgeordneten aufgenommen. Sein Vater stammte aus dem Gadertal, er selbst wuchs in Brixen auf, wo er auch lebte und darum nur mehr einen sehr beschränkten Bezug zum Heimattal seiner Vorfahren hatte.

46 Von ladinischer Seite wurde der Wunsch geäußert, dass bei der externen Berufung ladinischer Mitglieder der Landesregierung die hohe Hürde der Zweidrittelmehrheit auf die absolute Mehrheit reduziert werde, da die ladinische Minderheit numerisch im Landtag meist nur mit einem/r MandatarIn vertreten ist und somit (fast) ausschließlich auf das Wohlwollen anderer Sprachgruppen angewiesen ist.

47 Der fassaladinische Kammerabgeordnete Bepe Detomas war in den 90er-Jahren Vertreter des Trentino in der Zwölferkommission.

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Abstracts

Il gruppo linguistico ladino in
Alto Adige ed il Secondo Statuto d
’Autonomia

Il gruppo linguistico ladino è una minoranza caratterizzata al proprio interno da separazioni. Il territorio delle Dolomiti ladine è suddiviso dagli anni 1923 e 1927 tra le tre province di Bolzano, Trento e Belluno. Sulla base di diverse condizioni quadro l’etnia ladina si è sviluppata in ciascuna provincia in maniera differente. In Alto Adige la minoranza ladina, grazie alla sua vicinanza alla minoranza tedesca, ha trovato le condizioni più favorevoli. La minoranza può fare riferimento ai diritti delle minoranze garantiti a livello internazionale che sono parte integrante dei diritti di tutela sanciti dal secondo Statuto di Autonomia. In un periodo caratterizzato da una generale crescita economica nelle vallate ladine, in particolare nel corso degli anni ’70, ’80 e ’90, è stata aperta la via al rafforzamento della consapevolezza etnica. In alcuni ambiti i ladini dell’Alto Adige sono ancora discriminati, come ad esempio nell’accesso alla magistratura nell’ambito del Tribunale amministrativo di Bolzano o nel diritto di rappresentanza nella Commissione dei Sei e dei Dodici. A queste carenze si sta cercando di ovviare. Non vi è ancora accordo riguardo ad una lingua ladina unitaria, mentre solamente gli sviluppi futuri potranno dare una risposta riguardo alla possibilità di realizzare l’annessione dei Comuni ladini della provincia di Belluno all’Alto Adige.

La grupa de rujeneda ladina te Sudtirol y l Segondo Statut d’autonomia

La grupa de rujeneda ladina ie na mendranza senieda da spartizions. L raion ladin dla dolomites ie spartì su dai ani 1923 y 1927 incà te la trëi provinzies de Bulsan, Trënt y Belun. Pervia dl cuntest politich defrënt se à la etnia ladina svilupà te uni provinzia autramënter. De gra nce ala prejënza dla mendranza de rujeneda tudëscia à i ladins de Sudtirol abinà de miëura cundizions. I possa se stizé sun dërc de mendranza che fej pert di dërc de scunanza dl Segondo Statut d’autonomia y che ie segurei dal dërt nternaziunel. Cun l svilup economich tla valedes ladines – dantaldut ti ani ’70, ’80 y ’90 – vën su n sentimënt etnich plu sterch. Te vel’ ciamp ie i ladins dl Sudtirol mo descriminei: i ne possa p. ej. nia deventé giudesc dl tribunel aministratif a Bulsan o cumëmbri tla cumiscion di sies y tla cumiscion di dodesc. De chësc vieres vëniel laurà. Minonghes defrëntes iel mo n cont dl ladin standard, y mé l daunì nes dijerà sce l ie mesun a tò ite i chemuns ladins dla provinzia de Belun tl Sudtirol.

South Tyrol’s Ladin Language Group and the Second Statute of Autonomy

The Ladin language group is a minority moulded by segregation. The area in which the language known as Ladin Dolomiten is spoken has been divided into three provinces since 1923–1927: Bolzano, Belluno and Trento. As a result of this division, the Ladin ethnic group has developed differently in each province. The Ladins living in South Tyrol enjoyed favourable conditions as a result of protection afforded by the German minority: today, the Ladins living here can invoke all those rights guaranteed to minorities by the Second Statute of Autonomy. Strong economic growth in the Ladin-speaking valleys, particularly from the 1970s through the 1990s, also paved the way for a marked strengthening of ethnic identity. The Ladin language group still faces discrimination in a handful of areas. Ladin speakers are, for example, still refused access to judgeships at the administrative court in Bolzano and lack the right of representation in certain commissions. Those barriers are already under discussion. Still, there is no consensus when it comes to a unified Ladin language, and only time will tell if incorporating the Ladin communities of Belluno into South Tyrol is at all possible.